Die Arbeitsbelastung im Rettungsdienst ist durch Schichtdienst einschließlich Dienst an Wochenenden und Feiertagen hoch. Hinzu kommt es für das Rettungsdienstpersonal während des Einsatzes zu emotionalen, psychischen und körperlichen Belastungen. Heringshausen beschreibt eine zunehmende Komplexität in diesem Berufsfeld: „Die präklinische Akutversorgung von Notfallpatienten stellt aufgrund immer komplexer werdender diagnostischer und therapeutischer Optionen sowie organisatorischer und arbeitsgesetzlicher Rahmenbedingungen hohe Anforderungen an das Rettungsdienstpersonal“ (Heringshausen, 2011, 5). Ein Burnout scheint bei solchen Arbeitsbedingungen nicht selten vorprogrammiert zu sein. Doch „Burnout wird häufig noch als Schwäche, Versagen oder individuelle Fehlleistung angesehen, obwohl in der Forschung zunehmend akzeptiert wird, dass die Arbeitsbedingungen bei der Entstehung von Burnout eine wichtige Rolle spielen“ (Rössner-Fischer, 2007, 3). Zu Beginn der 1970er Jahre galten vor allem die sog. Helferberufe als burnoutgefährdet. Inzwischen gibt es in der aktuellen Fachliteratur Beschreibungen über die Entstehung von Burnout in über 30 Berufen. Hier werden Sozialarbeiter, Pfarrer, Ärzte, Pflegepersonal, Sportler, Anwälte, Studenten und sogar Arbeitsuchende erwähnt. (Aus Gründen der besseren Lesbarkeit des Textes wird nur die kürzere, männliche Schreibweise verwendet. An dieser Stelle wird mit Gültigkeit für die gesamte Arbeit betont, dass dies als Synonym für die männliche und weibliche Form vereinfacht verwendet wurde und alle männlichen und weiblichen Personen gleichberechtigt angesprochen werden.) Mitarbeiter des Rettungsdienstes, die einer hohen emotionalen, psychischen und physischen Belastung ausgesetzt sind, findet man hier nicht. „Neuerdings registrieren Wissenschaftler eine neue Qualität der Burnoutgefahren: Das Syndrom sei in sämtlichen Berufen und Tätigkeiten anzutreffen. Im Arbeitsprozess stünde zunehmend die totale Verausgabung aller menschlichen Ressourcen auf der Tagesordnung und werde die gesamte Persönlichkeit gefordert. Die Arbeitszeit kennt häufig keine Grenzen mehr. Energiereserven bleiben dabei auf der Strecke, oft verbunden mit einer Kette endloser Frustration“ (Rössner-Fischer, 2007, 10).
Inhalt
1. Einleitung
2. Burnout
2.1 Versuch einer Begriffsbestimmung
2.2 Das Schlüsselphänomen Stress
2.2.1 Stresstheorie nach Lazarus (1974)
2.2.2 Stressoren
2.2.3 Vom Stress zum Burnout
2.2.4 Weitere psychische Auffälligkeiten und Krankheitsbilder im Vergleich mit dem Burnout
2.2.4.1 Psychosoziale Belastungen
2.2.4.1.1 Akute Belastungsreaktion
2.2.4.1.2 Posttraumatische Belastungsstörung
2.2.4.2 Depression
2.2.4.3 Vergleich des Burnouts mit anderen Erkrankungen
3. Der Rettungsdienst
3.1 Der Rettungsdienst in Deutschland
3.2 Stadt-/ Landrettung
3.2.1 Beispiel Landrettung RTK
4. Burnout und begünstigende Faktoren im Rettungsdienst
4.1 Einleitung
4.2 Fragestellung
4.3 Stress im Rettungsdienst
4.3.1 Stressoren im Rettungsdienst
4.4 Untersuchungsinstrument Literaturrecherche
4.5 Untersuchungsinstrument Fallbeispiel/Fallgeschichte
4.5.1 Fallgeschichte Fr. E.
4.5.2 Interpretation der Fallgeschichte
4.6 Untersuchungsinstrument Fragebogen
4.6.1 Messung von Burnout
4.6.2 Methoden der Untersuchung
4.6.3 Fragebogenverteilung und Rücklauf
4.6.4 Ergebnisse
4.6.5 Diskussion der Ergebnisse
4.6.5.1 Soziodemographische Daten:
4.6.5.2 Rahmenstrukturen des Arbeitsfeldes:
4.6.5.3 Landrettung
4.6.5.4 Idealismus
4.6.5.5 Anerkennung
4.6.5.6 Stress
5. Zusammenfassende Diskussion und Bezug zur Fragestellung
6. Fazit
Quellen
Anhang
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Ergebnisse
Tabelle 2: andere traumatische Ereignisse im RD
Tabelle 3: Soziodemographische Daten
Tabelle 4: Rahmenstrukturen Arbeitsfeld
Tabelle 5: Landrettung
Tabelle 6: Idealismus
Tabelle 7: Anerkennung
Tabelle 8: Stress
Tabelle 9: Anforderungen und Funktionen des Rettungsdienstpersonals
Das Burnout-Syndrom und begünstigende Faktoren
Überlegungen für das Berufsfeld des Rettungsassistenten und des Rettungssanitäters in der Landrettung am Beispiel des Rheingau-Taunus-Kreises
1. Einleitung
Die Arbeitsbelastung im Rettungsdienst ist durch Schichtdienst einschließlich Dienst an Wochenenden und Feiertagen hoch. Hinzu kommt es für das Rettungsdienstpersonal während des Einsatzes zu emotionalen, psychischen und körperlichen Belastungen. Heringshausen beschreibt eine zunehmende Komplexität in diesem Berufsfeld: „Die präklinische Akutversorgung von Notfallpatienten stellt aufgrund immer komplexer werdender diagnostischer und therapeutischer Optionen sowie organisatorischer und arbeitsgesetzlicher Rahmenbedingungen hohe Anforderungen an das Rettungsdienstpersonal“ (Heringshausen, 2011, 5). Ein Burnout scheint bei solchen Arbeitsbedingungen nicht selten vorprogrammiert zu sein. Doch „Burnout wird häufig noch als Schwäche, Versagen oder individuelle Fehlleistung angesehen, obwohl in der Forschung zunehmend akzeptiert wird, dass die Arbeitsbedingungen bei der Entstehung von Burnout eine wichtige Rolle spielen“ (Rössner-Fischer, 2007, 3). Zu Beginn der 1970er Jahre galten vor allem die sog. Helferberufe als burnoutgefährdet. Inzwischen gibt es in der aktuellen Fachliteratur Beschreibungen über die Entstehung von Burnout in über 30 Berufen. Hier werden Sozialarbeiter, Pfarrer, Ärzte, Pflegepersonal, Sportler, Anwälte, Studenten und sogar Arbeitsuchende erwähnt. (Aus Gründen der besseren Lesbarkeit des Textes wird nur die kürzere, männliche Schreibweise verwendet. An dieser Stelle wird mit Gültigkeit für die gesamte Arbeit betont, dass dies als Synonym für die männliche und weibliche Form vereinfacht verwendet wurde und alle männlichen und weiblichen Personen gleichberechtigt angesprochen werden.) Mitarbeiter des Rettungsdienstes, die einer hohen emotionalen, psychischen und physischen Belastung ausgesetzt sind, findet man hier nicht. „Neuerdings registrieren Wissenschaftler eine neue Qualität der Burnoutgefahren: Das Syndrom sei in sämtlichen Berufen und Tätigkeiten anzutreffen. Im Arbeitsprozess stünde zunehmend die totale Verausgabung aller menschlichen Ressourcen auf der Tagesordnung und werde die gesamte Persönlichkeit gefordert. Die Arbeitszeit kennt häufig keine Grenzen mehr. Energiereserven bleiben dabei auf der Strecke, oft verbunden mit einer Kette endloser Frustration“ (Rössner-Fischer, 2007, 10).
In diesem Zusammenhang sieht der Autor im Berufsfeld Rettungsdienst eine besondere Gefahr für die Beschäftigten, deren Arbeitsalltag zu einem Stresserleben auf breitester Ebene führen kann. „Neben den rein körperlichen Belastungen durch Heben und Tragen, den psychischen Belastungen wie das Bewältigen von plötzlich auftretenden Stresssituationen und dem regelmäßigen Umgang mit Schmerz, Leid und Tod“ (Heringshausen, 2011, 5) werden noch viele weitere Belastungsmomente für Mitarbeiter im Rettungsdienst beschrieben. „Die Mitarbeiter im Rettungsdienst (RD) in Deutschland sind im täglichen Einsatzgeschehen vielfältig psychischen und physischen Belastungen ausgesetzt und regelmäßig mit menschlichem Leid und Ausnahmesituationen konfrontiert“ (Hering & Beerlage, 2004, in: Heringshausen, 2011, 5). Die Belastungs- und Beanspruchungsforschung im Rettungsdienst wird von Arbeiten dominiert, die mehrheitlich auf psychisch hochbelastende, potenziell traumatisierende Einsätze und ihre pathologischen Folgen, wie z. B. die Posttraumatische Belastungsstörung, fokussieren (Hering, 2008, 1). Nur wenige Untersuchungen beleuchten die Merkmale eines Burnouts und deren Bedeutung für die Mitarbeiter im Rettungsdienst. In der vorliegenden Untersuchung wird unter Berücksichtigung der aktuellen wissenschaftlichen Literatur mit Hilfe eines Fragebogens versucht, Faktoren zu identifizieren, die ein Burnout begünstigen können. Der Schwerpunkt der Evaluation liegt dabei bei Einsatzkräften der Landrettung. Als aufeinander bezogene Variablen werden personenbezogene Fragen, Organisationsprofile, Faktoren wie Idealismus (vgl. Edelwich & Brodsky), Anerkennung (vgl. Maslach) und Stress (vgl. Maslach) sowie das subjektive Erleben von belastenden Einsätzen erfragt.
Der Fokus wird deshalb auf die Landrettung gelegt, da diese gegenüber der in der Literatur meist beschriebenen Stadtrettung einige relevante Besonderheiten zeigt, die in dieser Arbeit beschrieben werden sollen. Der Fragebogen wurde an Mitarbeiter des Rettungsdienstes im Rheingau-Taunus-Kreis verteilt. Der Autor ist selbst Mitarbeiter des Rettungsdienstes im Rheingau-Taunus-Kreis. Die dadurch vorhandenen Kenntnisse waren sehr hilfreich bei der Kontaktaufnahme mit den einzelnen Mitarbeitern bzw. deren Vorgesetzten. Ohne diese Kenntnisse wäre vermutlich der Erfolg der Fragebogenaktion nicht möglich gewesen (z.B. der hohe Rücklauf an Fragebögen). Burnout ist eine ernstzunehmende Erkrankung, die in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat und noch weiter zunehmen wird. Eine gezielte Prävention ist nur dann möglich, wenn alle Aspekte (Faktoren, Symptome etc.) erkannt und verstanden werden. Der Autor möchte mit dieser Arbeit einen kleinen Beitrag dazu leisten.
2. Burnout
2.1 Versuch einer Begriffsbestimmung
„Die Meisten haben sich selbst – zumindest gelegentlich – als „ausgebrannt“ erlebt.“ (Hillert & Markwitz, 2006, 7)
„Extrem belastende, potentiell traumatisierende Einsatzsituationen und die psychischen Folgen wie die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) standen zunächst im Mittelpunkt der Forschung und Nachsorge. Der Fokus auf Großschadensereignisse und Katastrophen darf jedoch den Blick auf alltägliche Belastungen im rettungsdienstlichen Einsatz und die psychischen Folgen wie Burnout nicht verstellen“ (Schorn, 2011, 1).
Der Begriff Burnout (aus dem Englischen, übersetzt: „Ausbrennen“) rührt aus der Kernphysik und steht für das Durchbrennen von Brennelementen bei Kernreaktoren infolge zu hoher Wärmeentwicklung bzw. zu geringer Kühlung. Der Begriff Burnout übertragen auf die menschliche Psyche beschreibt einen Zustand, der mit körperlicher, emotionaler und geistiger Erschöpfung aufgrund von persönlichen, gesellschaftlichen oder arbeitsbezogenen Faktoren einhergeht. „Somit kann jeder Mensch, der über längeren Zeitraum mehreren Burnout auslösenden Ursachen oder Umständen ausgesetzt ist, und zusätzlich noch Persönlichkeitsmerkmale aufweist, die Burnout begünstigen, daran erkranken“ (Rössner-Fischer, 2007, 10). Es gibt eine Fülle an Büchern, Forschungsaktivitäten bzw. Studien und Theorien zu diesem Thema. Eine Recherche mit der Internetsuchmaschine „Google“ und dem Begriff Burnout ergibt knapp 42.000.000 Treffer (Stand vom 15.05.2015). Das Standardwerk für Entwicklungspsychologie Oerter & Montada definiert wie folgt: „Burnout wird als stressbedingter Rückzug aus einer Aktivität verstanden, die zuvor lustvoll betrieben wurde. Er wird als Zustand emotionaler Erschöpfung beschrieben, der zu Depression führen kann. Im Sport tritt Burnout auf, wenn die Kosten die Belohnung übertreffen“ (Oerter & Montada, 2008, 801). Der Brockhaus definiert ein Burn-Out-Syndrom als ein „nach Dauerstress auftretendes Gefühl der Erschöpfung mit chron. Müdigkeit, Unlust und Minderung der Leistungsfähigkeit“ (Der Brockhaus, 2011, 135). „Unter Syndrom versteht man in der Medizin eine in typischer Kombination auftretende Verbindung einzelner Merkmale, die einen krankhaften Prozeß bestimmen“ (Schmidbauer, 2013, 12,13).
Die Entstehung des wissenschaftlichen Begriffs „Burnout“ geht auf den amerikanischen Psychoanalytiker und Arzt Herbert J. Freudenberger (1974) zurück. „Der Beginn der Burnout Diskussion ist in dem von Herbert J. Freudenberger veröffentlichten Artikel mit dem Titel ‚Staff Burn-out‘ im Jahre 1974 im Journal of Social Issues zu sehen. In diesem Artikel beschreibt er seine Beobachtungen und Erfahrungen der ehrenamtlichen Mitarbeiter aus der alternativen Selbsthilfe- und Kriseninterventionseinrichtung in New York. Aufgrund einer persönlichen Krise nimmt er eine Selbstanalyse vor. Die Beschreibung von Burnout stützt sich somit auf seine eigene Lebensgeschichte“ (Lugobone de Morais, 2012, 19). Freudenberger betrachtet Burnout als einen Zustand von Erschöpfung und Frustration, verursacht durch unrealistische Erwartungen. Er ging der Frage nach, warum ehemals hoch engagierte Krankenschwestern und ehrenamtliche Helfer nach und nach abstumpften, sich zunehmend von der Arbeit zurückzogen und in ihrer subjektiven Einschätzung aber auch objektiv weniger leistungsfähig wurden. „ Burn-out ist ein Ernergieverschleiß, eine Erschöpfung aufgrund von Überforderung, die von innen oder außen – durch Familie, Arbeit, Freunde, Liebhaber, Wertesysteme oder die Gesellschaft – kommen kann und einer Person Energie, Bewältigungsmechanismen und innere Kraft raubt. Burnout ist ein Gefühlszustand, der begleitet ist von übermäßigem Stress, und der schließlich persönliche Motivation, Einstellung und Verhalten beeinträchtigt“ (Freudenberger & North, 1992, 27).
„Burisch (2006) fand Beschreibungen, die sehr große Ähnlichkeit mit aktuellen Burnoutdefinitionen haben in literarischen Werken, wie in Manns Buddenbrooks: Senator Thomas Buddenbrooks wurde beispielsweise ein gänzlicher Mangel eines aufrichtig feurigen Interresse zugeschreiben (S. 3). Enzman und Kleiber (1989) finden bei Shakespeare (‚Der verliebte Pilger‘) ein weiteres Beispiel, das den aktuellen Vorstellungen von Burnout sehr nahe kommt (S. 18): ‚She burnt with love, as straw with fire flameth. She burnt out love, as soon as straw out burneth’ “(Hering, 2008, 81).
Der Burnoutbegriff mit all seinen Facetten bezieht sich auf das Leben und Arbeiten in verschiedenen Kulturkreisen und ist mittlerweile ein intensiv erforschter Begriff in der Psychologie. Die Psychologin Christina Maslach, eine Pionierin im Forschungsfeld Burnout definiert Burnout als „ein Syndrom emotionaler Erschöpfung, Depersonalisation und persönlicher Leistungseinbußen, das bei Individuen auftreten kann, die in irgendeiner Art mit Menschen arbeiten. Es ist eine Reaktion auf die chronische emotionale Belastung, sich andauernd mit Menschen zu beschäftigen, besonders, wenn diese in Not sind oder Probleme haben“ (Maslach, 1982, 3). Weiterhin unterscheidet sie das Burnout in drei Bereiche: Erschöpfung, Depersonalisation/Zynismus sowie reduzierte persönliche Erfüllung. Maslach hat die empirische Forschungsphase bezüglich Burnout eingeleitet (vgl. Schaefer, 2012, 5). Hanebuth, Hübner und Aydin unterscheiden verschiedene Faktorengruppen zur Entstehung von Burnout:
- Persönliches Burnout: beschreibt auf einer allgemeinen Ebene den Grad an psychischer und physischer Erschöpfung, den eine Person empfindet.
- Arbeitsbezogenes Burnout: beschreibt den Grad an psychischer und physischer Erschöpfung, den eine Person spezifisch auf die eigene Arbeit zurückführt.
- Klientenbezogenes Burnout: beschreibt den Anteil an psychischer und physischer Belastung, den eine Person spezifisch auf die Zusammenarbeit mit Dritten zurückführt.
(vgl. Hanebuth, D., Hübner, O. & Aydin, D. o.J. )
Ein grundlegendes Problem von Burnout ist die Unschärfe des Begriffes. Es lässt sich festhalten, „dass es keine Definition gibt, die als Standard akzeptiert ist“ (Maslach, 1982 in Rössner-Fischer, 2007, 5). Die aufgeführten Burnout-Definitionen weisen zum Teil sehr heterogene Inhalte auf. Trotzdem existiert in der momentanen Fachliteratur keine einheitliche bzw. allgemein anerkannte Definition. Das folgende Zitat veranschaulicht, wie schwer es ist, eine einheitliche Definition des Burnout-Syndroms zu finden. „Burnout ist wie Pornographie – ich bin nicht sicher, ob ich es definieren kann, aber wenn ich es sehe, weiß ich, was es ist“ (Bolles, in: Fleischer, 2010).
Ein Burnout-Syndrom entwickelt bzw. entsteht nicht nur durch einen einzigen Faktor. Vielmehr bilden hier multifaktorielle Ereignisse bzw. Entwicklungen die Grundlage für ein Burnout. In der Literatur finden sich verschiedene Modelle, die den Verlauf von Burnout beschreiben. Es gibt Modelle mit drei Phasen bis zu Modellen mit zwölf Phasen. Prinzipiell kann jeder an Burnout erkranken, wenn man längere Zeit Ursachen und Umständen ausgesetzt ist, die diese Krankheit hervorrufen können, jedoch gibt es verschiedene Persönlichkeitsmerkmale und Charaktereigenschaften, die die Entstehung zusätzlich verstärken können. Die bekanntesten Vertreter eines „Persönlichkeitsbezogenen Ansatzes“ sind Edelwich und Brodsky. Nach ihrer Meinung entwickelt sich das Burnout in einem vierstufigen Prozess der Desillusionierung. Nach Meinung des Autors lässt sich dieses Modell gut auf das Arbeitsfeld Rettungsdienst anwenden. Aufgrund eigener Berufserfahrung konnte der Autor die beschriebenen Phasen bei Mitarbeitern des Rettungsdienstes beobachten, weshalb hier Bezug auf dieses vierstufige Modell genommen wird.
1. Enthusiasmus/Idealistische Begeisterung
Die Phase des Enthusiasmus ist gekennzeichnet durch eine emotionale Hingabe und das Überengagement bezüglich des beruflichen Erfolgs. Auch ist diese Phase, nach Meinung der Autoren, gekennzeichnet durch große Hoffnung und Energie sowie unrealistische Erwartungen an sich selbst. Wie bereits oben erwähnt wurde, spielt hier der Beruf eine wichtige bzw. zentrale Rolle. Hier wird versucht persönliche Probleme (privat und im Freizeitbereich) und Bedürfnisse durch berufliches Überengagement zu kompensieren. Es entsteht oder entwickelt sich eine Glorifizierung des Berufes. Neben der bereits beschriebenen Überidentifikation besteht hier die Gefahr, dass Menschen ihre individuelle Energie ineffektiv und exzessiv verausgaben.
Burnout ist ein Prozess. In dieser Phase bzw. in diesem Stadium des Prozesses spielen folgende Faktoren eine entscheidende Rolle:
- Emotionsarbeit als sog. Burnout-Treiber (emotionale Dissonanz). “ Damit ist gemeint, dass der Betroffene gezwungen ist, eine bestimmte Emotion zu zeigen, obgleich sie nicht der real empfundenen entspricht. Dies kann entweder von der Organisation erfordert oder selbst auferlegt sein“ (Dormann, 2010, 276). Im Weiteren steht hier auch der soziale Aspekt im Vordergrund. „Zentral ist das Surface Acting, also das Vorspielen von Emotionen“ (Dormann, 2010, 276).
- Arbeitsbezogene Ressourcen (Handlungsspielraum/soziale Unterstützung durch den Vorgesetzten oder Unterstützung durch Arbeitskollegen). „Arbeitsbezogene Ressourcen können den Einfluss von Arbeitsanforderungen auf die individuellen Stressreaktionen abpuffern. Außerdem können arbeitsplatzbezogene Ressourcen auch ein enormes Motivationspotenzial haben, wenn hohe Arbeitsanforderungen vorliegen“ (Dormann, 2010, 277).
- Affinität zu Hilflosen (ohne Hilflose ist der Helfende hilflos) = Helferpersönlichkeit (vgl. Schmidbauer, 1977).
Überengagierte Menschen sind laut Freudenberger besonders gefährdet für ein Burnout. Unrealistische Erwartungen und Überengagement sind Merkmale, die sich schon in der Kindheit bemerkbar machen. „Die Burnout-Symptomatik entsteht manchmal schleichend. Oft vergehen Wochen oder gar Monate bis sie bemerkt wird, oft nicht von den Betroffenen selbst, sondern erst dann, wenn körperliche oder psychiatrische Symptome auffällig werden. Die Zeichen von Burnout sind vielfältig, sie können somatisch, vegetativ und psychisch ausgeprägt sein. Es kann auch zu Übelkeit, Verspannung, Veränderungen des Essverhaltens, Drogenmissbrauch und Alkoholmissbrauch kommen“ (Kutschera, 2007, 21).
2. Stillstand /Stagnation
In dieser Phase beginnt ein Stillstand. Nachdem die erste Phase gekennzeichnet ist durch ein hohes Maß an Begeisterung, kommt es jetzt zu einer Stagnation. Die berufliche Tätigkeit wird zwar immer noch erledigt, doch hat sie ihren anfänglichen Reiz verloren. Hier entsteht eine Diskrepanz zwischen erhofften und erreichbaren Zielen. Aspekte wie die finanzielle Vergütung, der berufliche Aufstieg und die Einhaltung der Arbeitszeiten treten zunehmend in den Vordergrund. Auch wenn es in dieser Phase schon zu Enttäuschungen kommt, findet häufig keine Veränderung des krankmachenden Verhaltens statt.
Symptome bzw. Warnsignale, die in dieser Phase als Indikatoren eines beginnenden Burnouts wahrgenommen werden können:
- Verhalten: verringerte Initiative, Produktivität und Kreativität, Überziehen von Arbeitspausen, geringe Belastbarkeit, Schuldzuweisung an andere, Meidung von Kontakt zu Kollegen,
- Gefühle und Gedanken: Verlust positiver Gefühle, Verlust von Empathie, Desillusionierung, Angst, Nervosität, Wut, Aggression, reduzierte Selbstachtung, Bitterkeit, Aufmerksamkeitsstörungen, Verständnislosigkeit,
- körperliche Merkmale: sexuelle Probleme, Magen- und Darmgeschwüre, Kopfschmerzen, Alpträume
(vgl. Burisch, 2006 & Rössner-Fischer, 2007).
3. Frustration
„Die Arbeiter sehen sich oder werden als Rädchen im Getriebe angesehen, die man beliebig austauschen kann“ (vgl. Maslach, 1997).
In dieser Phase stellt sich die Frage nach der Effektivität und dem Wert der Arbeit. Nach Edelwich & Brodsky bildet dieses Stadium den sog. Kernpunkt des Burnouts. Dominiert die Einschätzung des eigenen Handelns als wenig effektiv, entsteht ein Gefühl der Machtlosigkeit und der Desillusionierung. Der Betroffene verliert die Begeisterung für die Arbeit und erlangt eine zunehmende Frustration. In dieser Phase können nach Meinung der Autoren emotionale, physische und disziplinäre Probleme auftreten.
Faktoren, die die Frustration fördern:
- Stress mit Kunden (Verbalaggression/ Unfreundlichkeiten/ Unschlüssigkeit) bzw. Fokussierung auf Klientenprobleme (vgl. Maslach, 2001),
- Zeitdruck.
Diese beiden Faktoren werden in der Literatur auch als sog. Stresspfad beschrieben. Außerdem werden genannt:
- fehlende Wertschätzung von Vorgesetzten,
- fehlende Wertschätzung von Kunden,
- Mangel an positivem Feedback (vgl. Maslach, 2001),
- schlechte Teamarbeit (vgl. Maslach, 2001),
- der Verlust von Freude an der eigenen Arbeit: „Ein tief greifendes Problem hinsichtlich der Belohnung ist der Verlust von intrinsischer Befriedigung“ (Maslach & Leiter, 1991, 51),
- zu hohe Verantwortung (vgl. Pines & Kafry, 1978),
- Rollendruck und Rollenambiguität (vgl. Pines & Kafry, 1978),
- „Geringe Bezahlung ist eng gekoppelt mit geringer Wertschätzung“ (Rössner-Fischer, 2007,18).
4. Apathie
Als Apathie bezeichnet man einen Zustand der Abwesenheit von Emotionen und Interessen, der Gleichgültigkeit bzw. Teilnahmslosigkeit. Man spricht hier von einer zunehmenden emotionalen Entfremdung. Im Grunde ist die Apathie nur ein natürlicher Abwehrmechanismus gegen Frustration. In dieser Phase wird nur noch Dienst nach Vorschrift geleistet und das mit einem geringstmöglichen zeitlichen Aufwand. Das Augenmerk liegt darauf, die eigene gesicherte Position nicht zu gefährden. Es scheint schwer aus diesem Stadium herauszukommen.
Faktoren:
- Neurotizismus: Daraus resultiert eine Reduzierung der persönlichen Ressourcen,
- mangelnde Ressourcen (vgl. Maslach, 2001),
- gehäufte chronische und schwer zu beeinflussende Probleme (vgl. Maslach, 2001).
Betrachtet man sich die vier Stadien und die dazugehörigen Faktoren und Symptome, so stehen sich hier Arbeitsanforderungen und Ressourcen gegenüber (vgl. Job Demands-Ressources JD-R-Modell). “Burnout ist nach Edelwich und Brodsky also im Wesentlichen Verlust an Energie und Engagement durch fortschreitende Desillusionierung. In der Überidentifikation mit dem Klienten sehen sie das entscheidende Kettenglied, das die einzelnen Phasen verbindet” (Rössner-Fischer, 2007, 6). Es ist anzumerken, dass die Phasen und Symptome nicht strikt voneinander zu trennen sind. Sie müssen nicht alle gegeben sein, um die Diagnose Burnout stellen zu können.
2.2 Das Schlüsselphänomen Stress
Stress und Burnout bilden eine Symbiose bzw. sind eng miteinander verbunden. „Das Wort Stress kommt aus dem Englischen und wurde ursprünglich für Beanspruchung, Dehnung, Belastung und Spannung von Materialen verwendet. Im heutigen Sprachgebrauch ist Stress der Sammelbegriff für eine unspezifische Reaktion des Menschen auf jede an ihn gestellte Anforderung (Stressor), die physiologische, emotionale und motivationale Aspekte umfasst. Stress ist ein lebenswichtiges Phänomen unserer Existenz und wird nicht nur von negativen Einflüssen ausgelöst, sondern auch positive Ereignisse sind mit Stress verbunden. Wichtig ist, zwischen dem normalen und gesunden Stress (Eustress) und dem krankmachenden Stress (Distress) zu unterscheiden“ (Kühn, Luxem & Runggaldier, 2010, 912). Jeder Mensch reagiert sehr unterschiedlich auf Stress. Der Begriff Stress ist zurückzuführen auf den US-amerikanischer Physiologen W. Cannon (1871-1945). „Cannon untersuchte die körperlichen Auswirkungen von Emotionen wie Wut, Hunger, Angst oder Schmerz auf den Organismus und stellte fest, dass all diese Emotionen zu einer Ausschüttung von Adrenalin führen” (Gölles, 2009, 4). Damit legte er den Grundstein für die moderne Stressforschung (vgl. Schorn, 2011, 5). Der ungarische Arzt Hans Selye (1907-1982), der Begründer der neueren Stressforschung, hat ca. 1950 den Begriff Stress in die moderne Medizin und die Psychologie eingeführt. Sein Verständnis von Stress baut auf Cannons Konzept auf. Selyes definiert Stress als „nonspecific response of the body to any demand“ (Selye, 1977, 1 in Schorn, 2011, 6). „Der Stressbegriff wird auch immer häufiger als Erklärung für unterschiedliche Störungen des physischen oder psychischen Wohlbefindens, sowie als Entschuldigung für das eigene Fehlverhalten herangezogen. Stress kann aber auch als Zeichen der eigenen Bedeutsamkeit gesehen werden und so zu Anerkennung führen; gleichzeitig stellt er einen wichtigen gesundheitlichen Risikofaktor dar, mit dem die Menschen der modernen westlichen Gesellschaft konfrontiert sind” (Gölles, 2009, 3).
Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheit definiert Distress als „ein Ungleichgewicht zwischen den Anforderungen und menschlichen Ressourcen die zur Verfügung stehen, um diesen Anforderungen adäquat gerecht zu werden“ (K&K Bildungsmanufaktur GbR, 2014, 3).
Laut einer anerkannten Definition der Krankenkassen ist Stress „ein als unangenehm empfundener Zustand, der von der Person als bedrohlich, kritisch, wichtig und unausweichlich erlebt wird. Er entsteht besonders dann, wenn die Person einschätzt, dass sie ihre Aufgaben nicht bewältigen kann“ (K&K Bildungsmanufaktur GbR, 2014, 3).
Das medizinische Lexikon Roche definiert Stress als einen „Zustand erhöhter Aktivität des Endokrinismus u. Vegetativismus mit diffuser Erregung des Sympathikus als Reaktion auf heftige, die Integrität des Organismus attackierende Reize“ (Roche, 2003, 1769).
2.2.1 Stresstheorie nach Lazarus (1974)
Der Psychologe Richard Lazarus versteht Stress als einen kognitiven Bewertungsvorgang innerhalb einer sog. Person-Umwelt-Transaktion. „The person-environment relationship that brings stress is about subjective imbalance between demands that are made on people and their resources to manage the demands“ (Lazarus & Folkman, 1984, 211 in Schorn, 2011, 9). Nach Lazarus bewertet der Mensch bzw. das Individuum die Situation und wägt ab, ob diese sein Wohlbefinden und seine Ziele relevant beeinflussen. Solche Situationen können als angenehm-positiv (nicht stressreich) und irrelevant (nicht stressreich) bewertet werden. Erfordert die Situation eine sog. Anpassungsleistung, wird sie als potenziell gefährlich (stressreich) wahrgenommen. Eben diese Situation wird vom Individuum weiter unterschieden in Schaden (harm), Verlust (loss), Bedrohung (threat) oder Herausforderung (challenge). Eine als Bedrohung bewertete Situation ist mit der Erwartung eines Schadens verbunden (vgl. Schorn, 2011, 9). Die Bewältigung bzw. der Umgang mit Stress ist bei Lazarus eng mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen (körperliche Kraft, Ausdauer, psychische Kompetenzen, soziale Kompetenzen, soziale Ressourcen wie Familie oder materielle Hilfsmittel wie Geld) verbunden.
2.2.2 Stressoren
Stressoren sind sog. Stressauslöser (Stressfaktoren). Als Stressoren werden alle endogenen und exogenen Reize bezeichnet, die Stress verursachen und dadurch das betroffene Individuum zu einer Anpassungsreaktion veranlassen. Der Organismus interpretiert die auf ihn einwirkenden Reize und ihre Auswirkungen für die jeweilige Situation und bewertet sie entweder positiv oder negativ. „Selye (1936, 1950) kam durch die Beobachtung von morphologischen Veränderungen des Nebennierenrindensystem als Reaktion auf Einflüsse wie Nahrungsentzug, Kälte, Trauma und akute Infektion zu dem Schluß, daß die Achse Hirnanhangsdrüse-Nebennierenrinde auf eine Vielzahl von Stimuli in gleicher Weise reagiert. Er bezeichnetet dies als das ’Generell Adaptionssyndrom‘ und beschrieb die damit verbundenen Veränderungen im Organismus unglücklicherweise als ’stress’ und nicht als ’strain‘. Versuche, die semantische Verwirrung aufzulösen, haben zu Wortneubildungen geführt, wie z.B. ‘Stressor‘ für äußere Reize“ (Katsching, 1980, 263).
Mögliche Stressoren bzw. Reize für Distress & Eustress können sein: metabolischer Stress (Nahrungsaufnahme und Zusammensetzung der Nahrung), physischer Stress (Körperliche Arbeit und Sport), chemischer Stress (Umweltbelastung und Schadstoffe), sensorischer Stress (Lärm, Reizüberflutung und übermäßiger Fernseh-/ EDV-Konsum), mentaler Stress (Schlafmangel, berufliche Belastungen und hohe Arbeitsintensität) und psychosozialer Stress (Partnerkonflikte, Tod des Ehepartners, Scheidung) (vgl. K&K Bildungsmanufaktur GbR, 2014, 8). Nach Thomas Holmes und Richard Rahe und deren sog. „Social Readjustment Rating Scale (SRRS)“ werden negativen bzw. positiven Lebensereignissen Stresswerte von 0 bis 100 zugewiesen. Demnach ist der Stress umso größer, je mehr Lebensbereiche den neuen Umständen angepasst werden müssen.
2.2.3 Vom Stress zum Burnout
„Burnout ist die Bezeichnung für eine schwere Stressreaktion. Der Betroffene erlebt das Gefühl des Ausgebranntseins, der geistigen Erschöpfung und körperlichen Ausgelaugtheit als Folge von lang anhaltendem Stress“ (Kühn et al. 2010, 915-916).
In der Auseinandersetzung mit dem berufsbedingten Stress und den daraus resultierenden bzw. verbundenen Frustrationen verändert sich auch die Einstellung gegenüber dem Beruf. Gestresste Menschen, die mit Klienten arbeiten, reduzieren ihr Engagement und ihre Zuwendung zu ihren Klienten und beginnen, diese als Gegner zu betrachten. Was als Berufung angefangen hat, ist nun nichts weiter als irgendein Beruf (vgl. Cherniss, 1999, 58). In dem Buch „Jenseits von Burnout und Praxisschock“ beschreibt Cherniss diesen Prozess als eine Veränderung der Sichtweisen, die zum Selbstschutz dienen. „Das Problem dieser, dem eigenen Selbstschutz dienenden Veränderung ist, daß es am Ende zu einem Verlust an Zugewandheit und Engagement führt“ (Cherniss, 1999, 58). Die Übergänge zum Burnout sind hier fließend. Auch Maslach beschreibt den „Verfall des Engagements“ als elementaren Baustein des Burnout-Syndroms. „Energie wird zur Erschöpfung, Einsatzbereitschaft wird zu Zynismus und Leistungsfähigkeit wird zu Leistungsversagen“ (Maslach & Leiter, 2001, 26). „In vielen Ländern (beispielsweise Frankreich oder Schweden) spricht man weniger von Burnout, sondern eher von stress related mental disorders, also von Stress bedingten psychischen Erkrankungen. Und diese sind ganz normal als Krankheiten anerkannt“ (Kleinschmidt, 2014).
2.2.4 Weitere psychische Auffälligkeiten und Krankheitsbilder im Vergleich mit dem Burnout
2.2.4.1 Psychosoziale Belastungen
Durch Großschadensereignisse wie Zugunglücke, Flugzeugabstürze oder andere Schadensereignisse bei Großveranstaltungen (siehe beispielsweise in Rammstein, Eschede oder bei der Loveparade in Duisburg) rücken akute Belastungsreaktionen und posttraumatische Belastungsstörungen wieder mehr in den Fokus. „Katastrophen in Deutschland und in den Niederlanden, wie zum Beispiel der Flugzeugabsturz im Amsterdamer Stadtteil Bijlmermeer oder aber die Katastrophe in Rammstein haben gezeigt, dass die psychosozialen Auswirkungen und die gesundheitlichen Folgen einer Katastrophe längerfristig sind als anfänglich gedacht. Einsatzkräfte, Betroffene haben meist jahrelang an den Folgen zu arbeiten“(Dombrowski, 2014, 5). Zu Beginn werden die Begriffe „Akute Belastungsreaktion“ und „Posttraumatische Belastungsstörung“ voneinander unterschieden.
2.2.4.1.1 Akute Belastungsreaktion
„Die akute Belastungsreaktion ist eine ’normale‘, d.h. angemessene und physiologische Reaktion auf ein ’unnormales‘ traumatisierendes Ereignis und hält i.d.R. für Tage bis max. vier Wochen“ (Kühn et al., 2010, 918). Die akute Belastungsreaktion hat zunächst keinen Krankheitswert, sie wird als eine normale Reaktion der menschlichen Psyche auf eine außergewöhnliche Erfahrung gesehen. Bei der akuten Belastungsreaktion unterscheidet man primäre und sekundäre Symptome. Zu den primären Symptomen gehören die Gefühl der Empfindungslosigkeit und der Depersonalisation sowie starke Angst. Sekundäre Symptome sind zum Beispiel Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen, Schlafstörungen und sozialer Rückzug.
Die Folgen solcher Symptome bzw. der akuten Belastungsreaktion können Selbstisolation, Selbstzweifel, Schuldgefühle und die Unfähigkeit Freude zu erleben (Anhedonie) sein (vgl. Kühn et al., 2010, 918).
2.2.4.1.2 Posttraumatische Belastungsstörung
Im Gegensatz zur akuten Belastungsreaktion ist die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) eine schwere Krankheit, die nach Monaten bzw. nach Jahren auftreten kann. Heute ist sie eine anerkannte Krankheit. Im Laufe der Jahre wurde die Krankheit mehrfach neu interpretiert und umbenannt. Zum ersten Mal massenhaft trat das Phänomen PTBS im Ersten Weltkrieg auf, hier unter dem Namen „Shell Shock“. „The term ‘shell shock‘ was coined by the soldiers themselves” (Jones, 2012, 18). Der Psychologe Charles S. Myers übernahm den Begriff. „The first cases Myers described exhibited a range of perceptual abnormalities, such as loss of or impaired hearing, sight and sensation, along with other common physical symptoms, such as tremor, loss of balance, headache and fatigue. He concluded that these were psychological rather than physical casualties, and believed that the symptoms were overt manifestations of repressed trauma“ (Jones, 2012, 18). „Auf Shell Shock folgten Kampfmüdigkeit und Kriegsneurose, ehe sich in den 1980er Jahren das Konzept der posttraumatischen Störung durchsetzte, unter der heute 5 bis 20 Prozent der Soldaten leiden, die in Afghanistan oder dem Irak im Einsatz waren“ (Eyton, o. J.). „Die posttraumatische Belastungsstörung ist eine mögliche Folgereaktion einer oder mehrerer traumatischer Ereignisse, die an der eigenen Person, aber auch an fremden Personen erlebt werden können. In vielen Fällen kommt es zum Gefühl von Hilflosigkeit und durch das traumatische Erleben zu einer Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses“ (Dombrowski, 2014, 7). „Sie ’schleicht‘ gewissermaßen in die Biographie der Betroffenen ein, verbirgt sich oft hinter einer Vielzahl unspezifischer psychosomatischer Symptome und ist daher schwer zu diagnostizieren“ (Kühn et al., 2010, 918). Die betroffenen Menschen erinnern sich ständig an das traumatisch erlebte Ereignis. Daraus resultieren Schlaflosigkeit, Schreckhaftigkeit, emotionale Stumpfheit, Gleichgültigkeit, akute Ausbrüche von Angst, Panik, Aggressionen und Teilnahmslosigkeit (vgl. Kühn et al., 2010, 919). Die eben genannten Zeichen (subjektive und objektive Symptome) stehen im Zusammenhang mit einer Krankheit, nämlich der Depression.
2.2.4.2 Depression
„Im Gefühlskanon unserer Gesellschaft ist Sich-schlecht-Fühlen nicht vorgesehen“(Nuber, 2015, 3).
"Eine zunehmend differenziertere Diagnosepraxis führt mittlerweile dazu, dass häufiger eine Depression erkannt wird, die eigentlich hinter dem Burn-out steckt" (Thomas, 2014).
Die WHO beschreibt bzw. definiert eine Depression als eine „weit verbreitete psychische Störung, die durch Traurigkeit, Interesselosigkeit und Verlust an Genussfähigkeit, Schuldgefühle und geringes Selbstwertgefühl, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Müdigkeit und Konzentrationsschwächen gekennzeichnet sein kann. Sie kann über längere Zeit oder wiederkehrend auftreten und die Fähigkeit einer Person zu arbeiten, zu lernen oder einfach zu leben beeinträchtigen. Im schlimmsten Fall kann eine Depression zum Suizid führen“ (WHO, 1986). In der Psychologie gehört der Begriff Depression zu den affektiven Störungen (F30-39, ICD 10). Das internationale Klassifikationssystem ICD-10 unterteilt die Depression in verschiedene Formen und Schweregrade. Es wird unterschieden zwischen einmalig auftretender, wiederkehrender und der chronischen Depression. Bei den wiederkehrenden Depressionen wird nochmals zwischen unipolaren und bipolaren unterschieden. Der Schweregrad einer Depression hängt von der Anzahl der diagnostizierten Symptome ab. Kernsymptome sind Niedergeschlagenheit, erhöhte Erschöpfbarkeit, verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Schlafstörungen und Selbsttötungsgedanken (vgl. Ustorf, 2015, 21). Bei Freudenberger ist die Depression Bestandteil des Burnouts. Freudenberger distanziert sich hier aber von dem Krankheitsbild einer chronischen Depression. „Nach Freudenberger bezieht sich die Burnout-Depression nur auf Teile einer Person. So kann sich diese Person im Arbeitsleben ausgebrannt fühlen, in der Gesellschaft mit Freunden hingegen aufblühen“ (Lugobone de Morais, 2012, 8-9).
Menschen mit psychischen Erkrankungen leiden häufig auf zweierlei Art. Das heißt, zu der direkten Symptomlast durch die Erkrankung selbst kommt es auch noch zu einer Stigmatisierung der Betroffenen durch deren Umwelt. Viele Autoren versuchen Burnout von einer Depression abzugrenzen. Die Depression ist eine sehr individuell verlaufende Krankheit. Betrachtet man sich die aktuelle Fachliteratur bezüglich Burnout und Depression, so stellt sich die Frage, ob eine klare Trennung von Burnout und Depression überhaupt möglich ist. Fakt ist, dass sich das Burnout-Syndrom in vielen Aspekten mit der Depression überschneidet. Auch die sog. gesellschaftliche Stigmatisierung spielt hier eine wichtige Rolle. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die von Laien gewählte Bezeichnung für das Krankheitsbild einer Depression Auswirkungen sowohl auf die soziale Akzeptanz der Betroffenen als auch auf die geäußerten Behandlungsempfehlungen für das Problem hat. Ein Labeling als Depression führt zu einer etwas stärkeren, ein Labeling als Burnout zu einer tendenziell geringeren Ablehnung der Betroffenen. Während die Krankheitsbezeichnung Depression mit stärkeren Empfehlungen von psychiatrischer, psychotherapeutischer und medikamentöser Hilfe assoziiert ist, begünstigt die Bezeichnung Burnout die Empfehlung hausärztlicher, psychiatrischer oder psychotherapeutischer Hilfe, jedoch insgesamt schwächer als dies bei der Bezeichnung Depression der Fall ist“ (Bahlmann, Angermeyer & Schomerus, 2013, 81).
2.2.4.3 Vergleich des Burnouts mit anderen Erkrankungen
Die Grenze zwischen Burnout und den oben beschriebenen psychischen Erkrankungen bzw. psychischen Reaktionen ist nicht klar zu ziehen. Psychische Belastungen und Erkrankungen beeinträchtigen das Denken, das Fühlen, die Wahrnehmung, das Erinnern oder andere psychische Fähigkeiten des Menschen. Symptome wie geistige oder körperliche Ermüdung, Erschöpfung nach geringster Anstrengung und verminderte Energie sind keine eindeutigen Indizien für ein Burnout. Im Hinblick auf die eben genannten psychischen Reaktionen bzw. Erkrankungen scheint eine deutliche Trennung nur schwer möglich.
Es lässt sich festhalten, dass es im Hinblick auf die Symptomatik Überschneidungen zwischen Burnout und anderen beschriebenen psychischen Auffälligkeiten und Krankheitsbildern gibt, die eine Abgrenzung nicht immer einfach machen. So ist es durchaus möglich, dass sich verschiedene Krankheitsbilder ergänzen, parallel existieren, sich in Abhängigkeit voneinander entwickeln. Deshalb ähneln sich in vielen Fällen auch die vorgeschlagenen Therapieansätze. Es erscheint in diesem Zusammenhang sinnvoll, den Blick nicht nur auf die Symptome sondern auf die Ursachen oder die Entstehung einer Erkrankung bzw. einer Störung zu richten. Dabei fällt auf, dass Burnout häufig mit Beruf, Arbeit und Leistung assoziiert wird. Unabhängig davon ob es sich um personen- oder arbeitszentrierte Ansätze handelt, werden die beschriebenen Symptome in Zusammenhang mit dem Arbeitsleben gebracht. Die anderen beschriebenen Krankheitsbilder sind von ihrer Entstehung her nicht auf das Berufsleben festgelegt. Beim Burnout vorgeschlagene Therapien und Lösungsangebote sind deshalb oft nicht nur individuumszentriert sondern nehmen eine Veränderung des beruflichen Umfelds mit in den Blick.
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- Citation du texte
- Johannes Fuchs (Auteur), 2015, Das Burnout-Syndrom und begünstigende Faktoren, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/304140
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