Deutschland ist führende Handels- und Wirtschaftsmacht in Europa und profitiert damit wie kein anderes europäisches Land von der Europäischen Union (EU). Ebenso profitiert Deutschland in erheblichem Maße von der Globalisierung und der derzeitigen Nachkriegsweltordnung. Dafür ist es jedoch auch nötig, dass der europäische Integrationsprozess im sicherheits- und verteidigungspolitischen Bereich weiter vorangetrieben wird, damit die EU als globaler Akteur auch in Zukunft neben den anderen Mächten der Welt bestehen und Deutschland seine außenpolitischen Interessen im internationalen System realisieren kann. Doch Europa und ganz besonders Deutschland hinken hinter den sicherheits- und verteidigungspolitischen Möglichkeiten anderer Mächte, insbesondere den USA, Indien und China hinterher.
Im Rahmen des stagnierenden Integrationsprozesses der GSVP stellt sich die zentrale Frage, welche Rolle Deutschland bei der Fortentwicklung der GSVP spielen kann. Zur Beantwortung der zentralen Frage wurden zwei Theoriemodelle herangezogen: Die erste Hypothese befindet sich auf der Ebene des internationalen Systems und lautete:
Deutschland strebt zwar nicht nach militärischer Macht als solcher; es versucht jedoch, durch Ausbau seiner sicherheits- und verteidigungspolitischen Handlungsmöglichkeiten im Rahmen der GSVP sein Gewicht und seinen Einfluss auch in anderen internationalen Organisationen wie NATO und UN weiter zu erhöhen.
Die Untersuchung konzentrierte sich hier auf den modifizierten neorealistischen Ansatz der Tübinger Politologen Baumann, Rittberger und Wagner und knüpfte damit an deren Untersuchung an, die das deutsche Außenpolitikverhalten vor und nach der Wiedervereinigung erforschten. Dies erfolgt anhand der Fallbeispiele „Teilnahme an GSVP-geführten Missionen“ und „strategische Stärkung der GSVP“ durch die Enhable-and-Enhance-Initiative. Neben dieser Untersuchung auf systemischer Ebene, folgte eine zweite Untersuchung auf der subsystemischen Ebene. Dies erfolgte anhand des konstruktivistischen Strategic-Culture-Ansatzes und bedient sich der Fallbeispiele „Auslandseinsätze zur Wahrung wirtschaftlicher Interessen“ (Rücktritt Köhlers) und „Die Libyen-Enthaltung“ . Die dazu theoriebezogene Hypothese lautete:
Deutschland wird in seinem Streben nach mehr Einfluss in internationalen Kontexten durch verbreitete militär-skeptische Einstellungen in der Bevölkerung gebremst.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Untersuchungsrahmen
2.1 Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa
2.2 Deutschlands sicherheitspolitische Interessen im Kontext internationaler Organisationen
3 Deutsches Machtstreben
3.1 Theorie des (modifizierten) Neorealismus
3.2 Analyse des deutschen Machtstrebens
3.2.1 Deutsche Machtposition
3.2.2 Einflusspolitik innerhalb der GSVP
3.2.2.1 Teilnahme an GSVP-geführten Missionen
3.2.2.2 Strategische Stärkung der GSVP
3.3 Zusammenfassung
4 Deutschlands sicherheitspolitische Kultur
4.1 Der konstruktivistische Strategic-Culture -Ansatz
4.2 Analyse der Strategischen Kultur
4.2.1 Deutsche strategische Kultur
4.2.2 Einflussnahme auf das außenpolitische Verhalten
4.2.2.1 Auslandseinsätze im Rahmen wirtschaftlicher Interessen
4.2.2.2 Die Libyen-Enthaltung
4.3 Zusammenfassung
5 Resümee
Quellen- und Literaturverzeichnis
Anhang – Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Deutschland zeigt zwar seit langem, dass es international verantwortlich handelt. Aber es könnte [...] entschlossener weitergehen, um den Ordnungsrahmen aus Europäischer Union, Nato und den Vereinten Nationen aufrechtzuerhalten und zu formen (Gauck 2014: 118).
1 Einleitung
Mit dem Appell, die Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) müsse mehr Verantwortung in der Welt übernehmen, eröffnete der Bundespräsident Joachim Gauck (2014: 115) die Münchner Sicherheitskonferenz 2014 und spricht damit aus, was die internationale Gemeinschaft schon längere Zeit fordert: Deutschland ist führende Handels- und Wirtschaftsmacht in Europa und profitiert damit wie kein anderes europäisches Land von der Europäischen Union (EU) (Bunde 2014: 237–241, vgl. auch Silberhorn 2012: 27). Damit Deutschland weiterhin die Früchte der Globalisierung ernten kann, ist es vom Funktionieren der Weltmärkte und der hiesigen Weltordnung abhängig (Kaim/Stelzenmüller 2013: 3, 38). Dafür ist es jedoch auch nötig, dass der europäische Integrationsprozess im sicherheits- und verteidigungspolitischen Bereich weiter vorangetrieben wird, damit die EU als globaler Akteur auch in Zukunft neben den anderen Mächten der Welt bestehen und Deutschland seine außenpolitischen Interessen im internationalen System realisieren kann (Kaim/Stelzenmüller 2013: 4, vgl. auch Speck 2012: 94ff.). Doch Europa und ganz besonders Deutschland hinken hinter den sicherheits- und verteidigungspolitischen Möglichkeiten anderer Mächte, insbesondere den USA, Indien und China hinterher (von Ondarza 2014: 125f., vgl. auch Bahr 2014: 17ff.).
In der wissenschaftlichen Außenpolitikdebatte finden sich unterschiedliche Auffassungen darüber, welchen Stellenwert die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Deutschland einnimmt. Während einerseits von einem Desinteresse, sogar einer Abkehr von der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU, die Rede ist (z. B. Müller-Brandeck-Bocquet 2012: 120), sehen andere Deutschland als die wiedererwachte Großmacht in Europa, die ihren Führungsanspruch wahrnimmt (z. B. Brozus 2013: o. S.). Zudem sieht die wissenschaftliche Debatte die deutsche Position in der GSVP gefährdet, da es im Bereich der militärischen Fähigkeiten bisher nicht an Frankreich und Großbritannien aufschließen konnte. Die zunehmend engere Kooperation zwischen den beiden Partnerstaaten außerhalb des institutionellen Rahmens birgt für Deutschland zudem das Risiko eines Rang- und Einflussverlustes innerhalb der GSVP (Diedrichs 2012: 203f.). Arbeiten von Fröhlich (2014) und von Ondarza (z. B. 2014) beschäftigen sich mit dem europäischen Integrationsprozess im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Darüber hinaus setzen sich zahlreiche Arbeiten mit der Außenpolitik Deutschlands und den deutschen Sicherheitsinteressen auseinander. Zu den Herausgebern jüngster Sammelbände sind beispielhaft Meier-Walser und Wolf (2012) sowie Jäger, Hose und Oppermann (2011) zu nennen. Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) sowie die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) richten zudem ihren Fokus auf die Zukunft der deutschen Außenpolitik. Bei der Vielzahl an vorhandenen Arbeiten ist auffallend, dass oftmals ein theoretisch begründeter Rahmen in den Untersuchungen des deutschen Außenpolitikverhaltens fehlt, dagegen Analysen mit wertenden Empfehlungen und Prognosen vergleichsweise hoch sind. In diesem Sinne hat die vorliegende Arbeit das Ziel, deutsches Außenpolitikverhalten seit 2000 durch zwei theoretisch fundierte Verhaltensannahmen an ausgewählten Beispielen zu verstehen.
Der Bereich der Sicherheitspolitik ist ein umfassendes Handlungsfeld, welches die Verteidigungspolitik mit einschließt. Zu den elementarsten Aufgaben eines Staates gehört die Gewährleistung von Sicherheit. Die Anforderungen des internationalen Systems haben sich jedoch seit dem Ende des Ost-West-Konflikts wesentlich geändert. Während des Kalten Krieges war die deutsche Sicherheitspolitik davon geprägt, Krieg zu vermeiden, die territoriale Unversehrtheit zu wahren sowie die politische Unabhängigkeit aufrechtzuerhalten (Gareis 2006: 20). Heute geht man von einem erweiterten Sicherheitsbegriff aus. Neben klassischen zwischenstaatlichen Kriegen gehören auch asymmetrisch ausgetragene Konflikte zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren, Bürgerkriege, humanitäre Interventionen, internationaler Terrorismus, bis hin zu Klima- und Umweltkatastrophen sowie Migrationsentwicklungen zu den neuartigen Sicherheitsrisiken eines Staates (vgl. List 2005: 58ff., Gareis 2006: 21 u. BMVg 2011: 1f.). Sicherheitspolitik befasst sich daher nicht nur mit den konventionellen Handlungsfeldern, sondern umfasst immer mehr auch präventive Maßnahmen. Dies reicht von struktureller Hilfe, Hilfe zur good governance bis hin zur Armutsbekämpfung, um fragile Staaten vor dem Zerfall zu schützen oder interne Konflikte zu vermeiden (Gareis 2006: 21).
Im Rahmen eines stagnierenden Integrationsprozesses der GSVP stellt sich die zentrale Frage, welche Rolle Deutschland bei der Fortentwicklung der GSVP spielen kann. In diesem Zusammenhang sind jedoch zunächst zwei weitere Unterfragen zu beantworten, nämlich: Zeigt Deutschland ein einflussmaximierendes Verhalten in den internationalen Institutionen, insbesondere in der GSVP? Gibt es innergesellschaftliche Faktoren, die das deutsche Außenpolitikverhalten beeinflussen? Wenn ja, wie lässt sich dies erklären? Zur Beantwortung dieser Fragen bieten sich zwei Theoriemodelle an, die die zentrale Fragestellung aus zwei unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Die erste hierzu gebildete Hypothese befindet sich auf der Ebene des internationalen Systems und lautet:
Deutschland strebt zwar nicht nach milit ärischer Macht als solcher; es versucht jedoch, durch Ausbau seiner sicherheits- und verteidigungspolitischen Handlungsm öglichkeiten im Rahmen der GSVP sein Gewicht und seinen Einfluss auch in anderen internationalen Organisationen weiter zu erh öhen.
Dabei erfolgt die Analyse aus neorealistischer Sicht, bei der die unabhängige Variable die Machtposition Deutschlands im internationalen System und die abhängige Variable das außenpolitische Verhalten Deutschlands innerhalb der GSVP darstellt. Die Untersuchung konzentriert sich auf den modifizierten neorealistischen Ansatz von Baumann et al. (1998) und knüpft damit an deren Untersuchung an, die das deutsche Außenpolitikverhalten vor und nach der Wiedervereinigung erforschten. Da davon auszugehen ist, dass nicht nur die systemische Ebene, sondern auch innerstaatliche Faktoren außenpolitisches Handeln erklären können, wird die zweite Unterfrage anhand des konstruktivistischen Strategic-Culture -Ansatzes untersucht. Aus diesem Blickwinkel werden innergesellschaftliche Werte und Ideen zur unabhängigen Variable, welche das Staatsverhalten als abhängige Variable bestimmt. Die dazu theoriebezogene Hypothese lautet:
Deutschland wird in seinem Streben nach mehr Einfluss in internationalen Kontexten durch verbreitete milit är-skeptische Einstellungen in der Bev ölkerung gebremst.
Im Verlauf der Arbeit soll gezeigt werden, dass Deutschland mittelfristig keine Führungsrolle bei der Fortentwicklung der GSVP einnehmen wird. Vielmehr ist zu erwarten, dass Deutschland aus nationalen Interessen heraus die Weiterentwicklung der GSVP mit dem Ziel der Einflussmaximierung im internationalen System forciert. Es wird sich jedoch auch zeigen, dass Deutschlands Streben nach mehr Einfluss durch innergesellschaftliche Faktoren gebremst wird.
Methodisches Vorgehen und Gliederung
Die Untersuchung soll empirisch-analytisch durchgeführt werden und für die Darstellung des theoretischen Teils wurde relevante Primär- und Sekundärliteratur verwenden. Im empirischen Teil der Arbeit werden vor allem Dokumente der EU, des Deutschen Bundestages (BT), des Bundesministeriums für Verteidigung (BMVg), des Auswärtigen Amtes (AA) sowie Bevölkerungsumfragen und Artikel aus Zeitschriften und Fachzeitschriften ausgewertet.
Als wesentliche Akteure werden im ersten Teil der Untersuchung die Nationalstaaten betrachtet. Die EU wird zum einen als gemeinschaftlich auftretender Akteur gesehen, zum anderen aber auch als internationale Organisation im Zusammenspiel mit der North Atlantic Treaty Organization (NATO) und den United Nations (UN). Im zweiten Teil der Arbeit spielen vor allem innerstaatliche Akteure, insbesondere die sicherheitspolitischen Akteure der Bundesregierung (BReg) sowie die deutsche Bevölkerung eine wesentliche Rolle.
Die vorliegende Arbeit ist deduktiv aufgebaut. In Kapitel 2 wird der Rahmen der Untersuchung geschaffen, indem die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie die wesentlichen Interessen und Ziele der deutschen Sicherheitspolitik umrissen werden. Danach wird die Arbeit in zwei empirische Teile aufgegliedert. Kapitel 3 widmet sich der neorealistischen Theoriedarstellung (3.1) und Analyse (3.2). Die Analyse beinhaltet die Fallbeispiele „Teilnahme an GSVP-geführten Missionen“ und „strategische Stärkung der GSVP“. Kapitel 4 geht auf den konstruktivistischen Strategic-Culture -Ansatz ein, dessen theoretisches Modell in Kapitel 4.1 vorgestellt und in Kapitel 4.2 dem Praxistest unterzogen wird. Als Fallbeispiele dienen „Auslandseinsätze zur Wahrung wirtschaftlicher Interessen“ und „Die Libyen-Enthaltung“. Abschließend folgen in Abschnitt 5 die Ergebniszusammenfassung und ein Ausblick für weitere Forschungsfragen.
2 Untersuchungsrahmen
2.1 Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa
Die Veränderungen im internationalen System durch das Ende des Ost-West-Konflikts, die Entstehung neuer Sicherheitsrisiken, die besonders deutlich im Balkankrieg wurden, und der Positionswechsel der britischen Regierung ermöglichte der EU unter der Säule der Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) die Entstehung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) im Jahr 1999, die mit dem Vertrag von Lissabon in GSVP umbenannt wurde. Angesichts der wachsenden Rolle Europas als eigenständiger, weltpolitischer Akteur im politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Sektor, wurde auch die Begründung des außen- und sicherheitspolitischen Politikfelds immer dringender. Insbesondere die USA erwarteten von Europa mehr sicherheits- und verteidigungspolitische Verantwortung und waren nicht mehr ohne Weiteres bereit, allein für die Sicherheit Europas zu sorgen (vgl. Staack/Krause 2014: 8ff.). Mit dem Vertrag von Amsterdam (1999) wurden die Petersberg-Aufgaben[1] der Westeuropäischen Union (WEU) übernommen und durch die European Headline Goals (1999) sowie der Civilian Headline Goals (2000/2001) durch militärische Zielvorstellungen und zivile Fähigkeiten ergänzt. Damit sollen militärische Einsätze keinesfalls in Konkurrenz zur NATO stehen, sondern in Absprache und in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Charta der UN folgen (vgl. ebd.: 9). Entscheidungen werden in der GSVP vom Europäischen Rat (ER) und dem Rat der Europäischen Union (Rat) getroffen. Daneben wird der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und der ihm unterstellte Europäische Auswärtige Dienst (EAD) beteiligt. Dennoch sind zentrale Akteure in diesem intergouvernementalen Bündnis die 28 EU-Mitgliedsstaaten. Alle wichtigen Entscheidungen, vor allem anstehende Missionen, werden nach dem Einstimmigkeitsprinzip gefällt. Die GSVP stellt keine eigenen Soldaten bereit und muss daher auf die militärischen Kapazitäten der EU-Mitgliedsländer zurückgreifen (vgl. Diedrichs 2012: 45–57).
Seit 2003 ist die GSVP befähigt, zivile und militärische Missionen durchzuführen. Zu den Missionen mit zivilem Charakter gehören Ausbildungs-, Beobachter-, Polizei-, Rechtsstaats- und Überwachungsmissionen, die je nach Bedarf von zivilen Experten, Polizeikräften und/oder dem Militär ausgeführt werden (vgl. Diedrichs 2012: 107–110). Die GSVP-Missionen sind zudem in der Lage, militärische Einsätze mit robustem Charakter durchzuführen. Dies bedeutet, dass die Anwendung von Waffengewalt sowohl zur Selbstverteidigung als auch zur Verteidigung der Mission und der Zivilisten eingesetzt werden kann (Art. 42 EUV i. V. m. Art. 42 UN-Charta). Von den seither 34 errichteten Missionen lag der Schwerpunkt mit 22 Missionen bei den zivilen Fähigkeiten der GSVP. Elf Missionen bildeten einen militärischen und eine Mission einen zivil-militärischen Ansatz (vgl. Tab. 7). Trotz einer weiteren Reformierung des Sicherheitsbündnisses mit dem Vertrag von Lissabon 2007 und den damit geschaffenen Möglichkeiten für eine Weiterentwicklung der GSVP, vor allem im verteidigungspolitischen Bereich, stockt der Integrationsprozess seit der im Jahr 2009 einsetzenden Eurokrise (vgl. Staack/Krause 2014: 10). Insbesondere das Engagement der drei großen Mitgliedstaaten Frankreich, Großbritannien und Deutschland ließ nach. Deutschland, weil es sich der europäischen Schuldenkrise gewidmet hat; Frankreich und Großbritannien indem sie bilateralen Kooperationen dem Vorzug gaben (von Ondarza 2014: 142). Daneben wurden weitere Ursachen einer stockenden Weiterentwicklung festgemacht: Neben eines sinkenden Stellenwertes von Sicherheits- und Verteidigungspolitik und eines schrumpfenden Verteidigungsetats in den meisten Mitgliedsstaaten wird eine fehlende gemeinsame strategische Kultur und die nach wie vor bestehende Konkurrenz verteidigungspolitischer Aufgaben mit der NATO bemängelt. Eine weitere Ursache wird in der Vernachlässigung der zivilen Fähigkeiten gesehen, obwohl die zivile Dimension das Alleinstellungsmerkmal der GSVP ist (Staack/Kraus 2014: 7f.). Dennoch wird die EU als „außenpolitischer Akteur im Werden“ (von Ondarza 2014: 142) begriffen, denn in wirtschaftlichen Außenbeziehungen agieren die Mitgliedsstaaten bereits als einheitlicher Akteur und verfügen über ein hohes Durchsetzungspotential. Damit die EU als globaler Akteur sich jedoch auch in Zukunft neben den alten und neuen Mächten der Welt behaupten kann, muss sie künftig „ihrem ökonomischen Gewicht entsprechende sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit“ (Schockenhoff/Kiesewetter 2012: 89) beweisen.
2.2 Deutschlands sicherheitspolitische Interessen im Kontext internationaler Organisationen
Deutschlands Außenpolitik ist traditionsgemäß wenig machtpolitisch ausgerichtet; vielmehr ist sie auf Kooperation mit anderen Staaten, insbesondere im Bereich Handel und Wirtschaft, ausgelegt (Milosevic 2012: 13). Der Begriff des nationalen Interesses ist historisch bedingt belastet und wurde lange Zeit vermieden. Seit einigen Jahren spricht man jedoch von einer „Normalisierung“ (Maull 2006: 428f.) der deutschen Außenpolitik. Zu den deutschen Sicherheitsinteressen gehören unter anderem freie Handelswege, umfassende multilaterale Einbindung sowie die Einflussnahme auf internationale Institutionen und Prozesse (BMVg 2011: 5). Das aktuelle Weißbuch konkretisiert die nationalen Sicherheitsinteressen weiter: Diese sind geleitet von den Werten des Grundgesetzes und verfolgen 1. den Schutz der Freiheit, Sicherheit und Wohlfahrt der deutschen Bürger, 2. die Souveränität Deutschlands, 3. regionale Konflikt- und Krisenprävention, 4. Bekämpfung des Terrorismus und die Proliferation von Massenvernichtungswaffen, 5. die Achtung der Menschenrechte und Stärkung der internationalen Ordnung sowie 6. die Förderung des freien und ungehinderten Welthandels als Grundlage deutschen Wohlstands (BMVg 2006: 24). Die Sicherheitspolitik Deutschlands ist multilateral ausgerichtet und bestimmt damit auch das außenpolitische Handeln. Deutsches sicherheitspolitisches Handeln findet deshalb überwiegend im Rahmen der UN, der NATO sowie der EU statt (BMVg 2011: 4).
Zur deutschen Mitgliedschaft in den UN besteht ein breiter politischer Konsens darin, dass es ein unverzichtbares Kernelement deutscher Außenpolitik ist und die Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates die Grundlage für multilaterales militärisches Eingreifen in internationale Konflikte und Kriege darstellt (Varwick 2011: 514; vgl. auch Milosevic 2012: 16). Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts erweiterte sich für die UN das Aufgabenprofil, welches nunmehr von der Friedenssicherung über die Entwicklungspolitik, bis hin zum Menschenrechtsschutz reicht (vgl. Gareis 2012: 178). Für Deutschland stellt die UN damit auch die zentrale Organisation zur Regulierung einer stabilen internationalen Weltordnung und „ein wesentliches Forum für die Gestaltung seiner Politik auf der globalen Ebene“ (ebd.: 185) dar. Es ist im Besonderen vom Funktionieren der Weltordnung abhängig und hat damit ein verstärktes Interesse, dies mitzugestalten. Seit der Wiedervereinigung wurde Deutschland bereits drei Mal in den UN-Sicherheitsrat gewählt (1995/1996; 2003/2004 und 2011/2012) und zeigte mit seinem umfangreichen Arbeitspensum das Potenzial mehr Verantwortung übernehmen zu können (ebd.: 182). Als einer der größten Beitragszahler strebt es zudem die Reformierung des UN-Sicherheitsrates an und tritt aktiv für die Übernahme eines ständigen Sitzes ein (Gareis 2012: 184, vgl. auch Varwick 2011: 523ff.). Erschwert wird die Zielerreichung unter anderem dadurch, dass europäische Staaten im UN-Sicherheitsrat als überrepräsentiert gelten und die neuen aufsteigenden Mächte, wie Brasilien und Indien, ebenfalls Ansprüche geltend machen. Um als mögliches ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat ernst genommen zu werden, muss sich Deutschland, insbesondere nach der Libyen-Enthaltung, nicht nur erneut als verlässlicher Bündnispartner beweisen, sondern internationalen Gestaltungwillen und mehr Bereitschaft zu sicherheitspolitischer Verantwortung in der Welt zeigen (vgl. Varwick 2011: 527f.). Insbesondere fordert die UN von Deutschland sich mehr im Bereich der UN-Friedensmissionen zu engagieren. Neben UN-geführten Missionen haben sich UN-mandatierte Missionen seit den 1990er Jahren etabliert, die dann von der NATO oder EU durchgeführt werden und an denen sich Deutschland mit über 95 % seiner Auslandseinsätze beteiligt (ebd.: 420f.).
Die Mitgliedschaft in der NATO ist für Deutschland unverzichtbar und genießt eine herausragende Stellung im verteidigungspolitischen Kontext. Bisweilen ist für Deutschland die NATO das zentrale Element für die Friedensordnung auf dem europäischen Kontinent (BMVg 2011: 11). Nach dem Zerfall der Sowjetunion richtete sich die NATO jedoch neu aus. Das nachlassende Interesse der USA an Europa rückte zudem die Bildung einer eigenen europäischen Sicherheitspolitik immer mehr ins Zentrum deutscher Sicherheitspolitik. Im Kalten Krieg ordnete sich Deutschland der NATO vollständig unter. Die Bildung einer europäischen Sicherheitspolitik im Rahmen der europäischen Integration schmälert jedoch die Stellung der NATO als wichtigstes Militärbündnis (Milosevic 2012: 17). Hinzu kommt, dass Deutschland zunehmend eigene Positionen über die zukünftige Rolle der Allianz vertritt, was die Konsensfindung mit den Bündnispartnern auf NATO-Ebene zeitweise erschwert (Kaim/Niedermeier 2011: 105).
Aus deutscher Sicht spielt die europäische Zusammenarbeit nicht nur aus wirtschaftlicher und politischer, sondern vermehrt auch aus verteidigungspolitischer Sicht eine tragende Rolle. Auch wenn die NATO nach wie vor das wichtigste sicherheitspolitische Instrument darstellt, wird von der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik der Bedeutungszuwachs der GSVP aktiv forciert (Milosevic 2012: 17). Deutschland strebt den Aufbau der EU als regionale Ordnungsmacht zur Sicherstellung von Stabilität und guter Regierungsführung in den europäischen Nachbarstaaten an. Dafür sollen auch sicherheitspolitische Instrumente zum Einsatz kommen können (Kaim/Stelzenmüller 2013: 26). Zwar steht die GSVP noch vor einigen Herausforderungen (siehe oben), dennoch schufen die EU-Staaten ein Politikfeld, das zuvor allein im Zuständigkeitsbereich der NATO lag. Die GSVP bietet für Deutschland zum einen eine Plattform, um sich neben Frankreich und Großbritannien als gestaltendes EU-Mitglied zu behaupten und in sicherheitspolitischen Fragen gestaltend Einfluss auszuüben (vgl. Diedrichs 2012: 202). Zum anderen eröffnet die GSVP für Deutschland die Möglichkeit sich als verlässlicher Bündnispartner im internationalen System zu beweisen.
Nachdem nun der Untersuchungsrahmen für die vorliegende Arbeit vorgestellt worden ist, folgt eine theoriebezogene Einführung und die anschließende Analyse des deutschen Machtstrebens im internationalen System.
3 Deutsches Machtstreben
3.1 Theorie des (modifizierten) Neorealismus
Sowohl beim Realismus, dessen bekanntester Vertreter Hans J. Morgenthau (1963) ist, als auch beim Neorealismus, der hauptsächlich von Kenneth N. Waltz (1959) geprägt wurde, handelt es sich um eine Denkschule, die über ähnliche Grundannahmen verfügt (vgl. Gilpin 1986). Vor allem Waltz hielt seine Theorie für außenpolitische Analysen zunächst für nicht geeignet (vgl. Baumann et al. 1998: 3). Jedoch beschreibt die heutige neorealistische Schule verschiedene Ansätze, die zu unterschiedlichen Aussagen über das erwartete Verhalten der Staaten führen (ebd.), sodass der Neorealismus ohne Weiteres für die nachfolgende Analyse geeignet ist und vor allem erklären kann, weshalb eine sicherheitspolitische Institution wie die GSVP für die Außenpolitik Deutschlands eine hohe Bedeutung haben kann.
Der Neorealismus entwickelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg und ist eine deduktive Denkrichtung (im Gegensatz zum klassischen Realismus als induktive Theorie) der internationalen Politik, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sie eine dreischichtige Analysemethode zugrunde legt, welche in System, Struktur und Einheit untergliedert ist. Das System beschreibt Waltz als "composed of a structure and of interaction units" (ebd.: 79) und ist geprägt durch anarchische Strukturen. Demnach gibt es keine zentrale Ordnungsmacht und jeder Staat ist formell gleichwertig (Waltz 1979: 69). Obwohl alle Staaten als gleichwertig gelten, können dagegen ihre Fähigkeiten (capabilities) äußerst unterschiedlich sein. Diese unterschiedlichen Fähigkeiten sind letztendlich ausschlaggebend für die Position der Staaten im System (Struktur) (ebd.: 80). Staaten (units), als die Einheiten des internationalen Systems, sind die Hauptakteure und handeln sowohl autonom als auch rational. Zwar gibt es auch nichtstaatliche Akteure, sie haben aber bei Waltz keine signifikante Wirkung (ebd.: 94). Darüber hinaus werden gesellschaftliche Prozesse und innerstaatliche Akteure nicht berücksichtigt (Schimmelfennig 2013: 67).
Das außenpolitische Verhalten eines Staates hängt primär von seiner Machtposition im internationalen System ab (Baumann et al. 1998: 4). Für die Staaten ist es daher das wichtigste außenpolitische Ziel, als unit innerhalb eines Staatensystems zu bestehen. Da in dieser aber keine Ordnungsmacht existiert, die die Einhaltung von Sicherheit und Ordnung ermöglicht, führt dies zu Unsicherheit und Anarchie. Folglich sind die Staaten auf Selbsthilfe angewiesen, um zu überleben bzw. um ihre eigene Sicherheit zu gewährleisten. Um das Überleben eines Staates zu sichern, versuchen sie ihre relative Macht zu erhöhen oder zumindest zu erhalten. Je mehr Autonomie der Staat inne hat, desto eher kann er seine Selbsthilfe-Strategien verwirklichen und desto sicherer ist er. Daher versuchen Staaten möglichst viel Macht zu erlangen, um ihre Ziele gegenüber anderen Staaten besser durchsetzen zu können (vgl. Baumann et al. 1998: 4). Die relative Macht bestimmt also die Position im anarchischen System und beeinflusst wiederum das außenpolitische Verhalten der Staaten. Ändert sich die Machtstruktur des internationalen Systems, ändert sich auch das außenpolitische Verhalten eines Staates (Waltz 1993: 45). Die Tübinger Politologen Baumann, Rittberger und Wagner gehen davon aus, dass Vorhersagen für eine abhängige Variable dann möglich sind, wenn „ein Zusammenhang zwischen ‚Machtposition‘ und ‚Außenpolitik‘“ (Baumann et al. 1998: 4) hergestellt werden kann. Dies wiederum ist nur durch die Ermittlung der Handlungsdisposition des Staates möglich (ebd.). Neben der Annahme, dass Staaten grundsätzlich nach rationalen Kosten-Nutzen-Kalkülen handeln, sind auch deren grundlegende staatliche Ziele ausschlaggebend.
Die bisherige Darstellung zeigt, dass Staaten im internationalen System ihre Ziele aufgrund zweier wesentlicher Interessen verfolgen, nämlich dem Streben nach Sicherheit und – um diese zu gewährleisten – auch dem Streben nach Macht (vgl. Gilpin 1986: 304f.). Daraus lässt sich jedoch noch nicht ableiten, ob ein Staat machtmaximierend oder machterhaltend handelt. Baumann et al. gehen davon aus, dass Staaten grundsätzlich nach Machtmaximierung streben. Wie stark das Streben ist, hängt davon ab, welche Möglichkeiten an Autonomie- und Einflusspolitik sie betreiben können. Je besser die Machtposition eines Staates ist, desto mehr Machtpolitik wird er betreiben (Baumann et al. 1998: 7).
Machtposition
Die Machtposition der Staaten im internationalen System zu anderen Staaten ist immer relativ. Diese ergibt sich zum einen aus den staatlichen Machtressourcen und zum anderen aus der Polarität des internationalen Systems. Aus neorealistischer Sicht basiert Macht „auf der Verfügung über politische, ökonomische und militärische Mittel und Fähigkeiten, die die Durchsetzung der eigenen Interessen gegenüber anderen Akteuren ermöglicht“ (ebd.). Dennoch besteht kein allgemein gültiger neorealistischer Kriterienkatalog zur Bewertung von Machtressourcen (ebd.: 8; aber auch Waltz 1979: 131; Gilpin 1981: 13; Grieco 1995). Für Baumann et al. (vgl. 1998: 8) sind dennoch vier Machtressourcen unstrittig. Dazu zählen die wirtschaftliche Stärke in Form des Bruttosozialprodukts und des Exportvolumens sowie die militärische Stärke in Form von Militärausgaben, der Truppenstärke und der Besitz von atomaren Waffen. Daneben werden auch der Bevölkerungsumfang und die Größe des Territoriums als bedeutende Machtressourcen genannt.
Neben den staatlichen Machtressourcen bestimmt zudem die Polarität des internationalen Systems die Machtposition der Staaten, die daran gemessen wird, wie viele Großmächte im System bestehen. So können sich uni-, bi- oder multipolare Systeme entwickeln (Schimmelfennig 2013: 73f.). Grundsätzlich gibt es jedoch keine konkrete Definition darüber, wann ein Staat über genügend Machtressourcen verfügt, um als Großmacht zu gelten (ebd.: 74). Dies kann nur in Relation zu anderen Staaten bestimmt werden. Und diese Einordnung ist wichtig, denn daraus ergeben sich Rückschlüsse zur Stabilität des internationalen Systems. Die Anzahl der Großmächte bestimmt, wie flexibel Staaten ihre Machtressourcen einsetzen können (Baumann et al. 1998: 8). So wird angenommen, dass unipolare Systeme zwar stabil sind, die Staaten jedoch nur sehr beschränkte Handlungsmöglichkeiten besitzen. Dagegen gelten multipolare Systeme als äußerst instabil und bergen das Risiko von plötzlich eintretenden Veränderungen (vgl. Schimmelfennig 2013: 75). Dennoch besteht in einem multipolaren System weitaus weniger Abhängigkeit von anderen Staaten als im uni- oder bipolaren System, sodass die Staaten eigenständiger agieren können (ebd.: 76).
Für die vorliegende Untersuchung bedeutet der dargestellte Abschnitt, dass durch die Ermittlung der relativen Machtposition Deutschlands im internationalen System dessen außenpolitisches Verhalten im Rahmen der GSVP erklärt werden kann. Dazu wird im empirischen Teil die Einordnung der deutschen Machtposition nach Baumann et al. erfolgen. Der Indikator „Bruttosozialprodukt“ wird jedoch durch das aussagekräftigere „Bruttoinlandsprodukt“ (BIP) ersetzt. Baumann et al. (1998) untersuchten bereits die Machtposition zwischen 1985 und 1995 und stellten einen relativen Machtzuwachs fest. Die nachfolgende Untersuchung wird sich auf den Zeitraum von 2000 bis 2010 beziehen und prüfen, inwieweit sich die Machtposition Deutschlands im letzten Jahrzehnt weiter verändert hat. Wie oben ausgeführt wurde, müsste sich Deutschlands Machtposition in diesem Zeitraum verbessert haben, um den Ansatz von Baumann et al. für die erste Hypothese (vgl. Kap. 1) anwenden zu können.
Außenpolitisches Verhalten
Nach Baumann et al. (ebd.: 9) gibt es zwei Möglichkeiten Machtpolitik zu betreiben, um die außenpolitischen Interessen in der jeweiligen Machtposition des Staates möglichst effektiv durchzusetzen. Der Staat kann zum einen Abwehrpolitik in Form von Autonomiemaximierung betreiben. Damit kann er gegenüber anderen Staaten seine Unabhängigkeit bewahren oder festigen. Internationale Organisationen, wie EU, NATO oder UN werden dabei als Beschränkung der staatlichen Unabhängigkeit angesehen. Es können verschiedene Verhaltensweisen festgemacht werden, die als Abwehrpolitik gelten. Hierunter fällt zum Beispiel die Ablehnung von neuen Verpflichtungen aus multinationalen Vereinbarungen oder die ablehnende Haltung bei der Übertragung von Entscheidungskompetenzen auf inter- oder supranationale Organisationen (ebd.). Diese Verhaltensoption eines Staates entspricht dem zu erwartenden Akteursverhalten im konventionellen – Baumann et al. sprechen auch vom traditionellen – Neorealismus. In der traditionellen Außenpolitiktheorie genügt die bloße Möglichkeit einer Bedrohung aus, um einen Staat in Alarmbereitschaft zu versetzen. Der Staat wird, aufgrund des steten Sicherheitsrisikos, immer von worst-case -Szenarien ausgehen und damit nach möglichst viel Unabhängigkeit streben. Dies führt letztendlich auch zu balancing -Strategien[2] gegenüber dominanten Staaten und damit im Zweifel der Aufkündigung von internationalen Organisationen (ebd.: 19). Diese Option ist im Untersuchungsrahmen EU eher unwahrscheinlich, wird um der Vollständigkeit halber Willen erwähnt.
Zum anderen kann der Staat Einflusspolitik betreiben. Dies entspricht dem modifizierten Ansatz der Tübinger Politologen. Er richtet das außenpolitische Verhalten danach aus, in welchem Ausmaß der Staat im internationalen System bedroht ist. Für ihn agieren Staaten nicht mehr nur aufgrund der steten Möglichkeit der Gewaltandrohung. Demnach muss der Staat nicht zwangsläufig Abwehrpolitik betreiben, sondern kann sich auch dazu entschließen, Einflusspolitik in Form von einflussmaximierender Außenpolitik gegenüber anderen Staaten auszuüben (ebd.: 10, 14). Die Einflussnahme schließt dabei die Mitsprache in internationalen Organisationen und deren Kollektiventscheidungen ausdrücklich mit ein. Als Einflusspolitik gelten unter anderem die Sicherung von Mitsprache- und Mitentscheidungsmöglichkeiten innerhalb einer mächtigen Staatengruppe sowie die Präferenz derjenigen internationalen Organisation, die die größtmögliche Mitsprachemöglichkeit gewährleistet (ebd.). Staaten, die ihren Einfluss innerhalb internationaler Organisationen steigern können, können Entscheidungen verhindern, die zugunsten von Staaten, die sie bedrohen, gefällt werden und so ihren Sicherheitsinteressen entgegenstehen (ebd.: 6). In internationalen Organisationen kann ein Staat jedoch nur dann Einflusspolitik praktizieren, wenn er keine „völlig untergeordnete Machtposition“ (Grieco 1995: 34) gegenüber den mitwirkenden Staaten besitzt.
Oft bedingen sich Abwehrpolitik und Einflusspolitik gegenseitig, sodass ein möglicher Einflussgewinn auch zu Autonomieverlust führt (Baumann et al. 1998: 12). Insbesondere im Rahmen von internationalen Organisationen tritt dieses Phänomen verstärkt auf. So führt beispielsweise der Austritt aus einer internationalen Organisation zwar zu mehr Autonomie, gleichzeitig jedoch ist dies mit einem Einflussverlust verbunden, da fortan weniger Möglichkeiten bestehen, Verhandlungsergebnisse zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Dagegen führt die Stärkung solcher Institutionen in der Regel zwar zu Autonomieverlust, jedoch gewinnt der Staat gleichzeitig an Einfluss, da er mehr Mitsprachemöglichkeiten innerhalb der Institution erhält (weiche Einflussoption). Die Stärkung des eigenen Anteils an personellen Ressourcen in dieser Institution führt ebenfalls zum Einflussgewinn, jedoch ohne die staatliche Autonomie einzuschränken (mittlerer Einflussoption) (ebd.: 13). Durch bilaterale Vereinbarungen mit schwächeren Staaten geraten diese in ein Abhängigkeitsverhältnis zum stärkeren Staat. Daher handelt es sich um eine harte Einflussoption, bei der der stärkere Staat sowohl Einfluss als auch Autonomie gewinnt (ebd.).
Fraglich ist, welches außenpolitische Verhalten Staaten präferieren. Wie oben bereits ausgeführt, ist die Wahrscheinlichkeit einer Sicherheitsbedrohung ausschlaggebend für das Staatsverhalten, sodass Aussagen darüber getroffen werden können, wann ein Staat Abwehr- oder Einflusspolitik im Rahmen seiner Machtposition vorrangig betreibt (ebd.: 14f.). Demnach hängt das außenpolitische Verhalten wesentlich von der Ausprägung der Sicherheitsbedrohung ab:
Je geringer die Sicherheitsbedrohung eines Staates ist, desto höher ist die relative Bedeutung von Einfluß gegenüber Autonomie für diesen Staat, desto eher wird dieser Staat mithin bereit sein, für Einflußgewinne auch Autonomieverluste in Kauf zu nehmen (ebd.: 17).
Grundsätzlich wird angenommen, dass Staaten, die von wenig militärisch bedrohten Industrienationen umgeben sind, relativ sicher sind. Industrienationen, die mit der Weltwirtschaft stark verflochten sind, streben in der Regel nicht nach territorialer Expansion, da sie mit sehr hohen Kosten rechnen müssten. Sie bevorzugen daher lieber die politische Einflussnahme auf andere Staaten (Baumann et al. 1998: 15; Gilpin 1981: 132f.).
Da sich die Analyse auf die deutsche Einflusspolitik bezieht, wäre für die abhängige Variable zum einen wichtig, das Ausmaß der Sicherheitsbedrohung für Deutschland zu bestimmen und zum anderen, in den gewählten Beispielen Indikatoren der Einflusspolitik wiederzufinden. Um die neorealistische Hypothese verifizieren zu können, müsste Deutschland demnach über eine relativ gestiegene Machtposition im internationalen System verfügen und sein sicherheitspolitisches Verhalten müsste aufgrund einer geringen Sicherheitsbedrohung auf Einflussmaximierung innerhalb der GSVP abzielen. Diese Annahme wird nun im nachfolgenden Abschnitt untersucht.
3.2 Analyse des deutschen Machtstrebens
Deutschland ist Gründungsmitglied der EU und hält aufgrund seiner selbstgewählten multilateralen Bindung an den europäischen Strukturen fest. Im Folgenden sollen Kennzeichen einer neorealistischen Außenpolitik und Erkenntnisse in Bezug auf die Rolle Deutschlands bei der Weiterentwicklung der GSVP gewonnen werden. Hierzu erfolgt eine vergleichbare Aufteilung wie bereits bei der Theoriedarstellung.
3.2.1 Deutsche Machtposition
Deutsche Machtressourcen
Die Machtposition eines Staates innerhalb des internationalen Systems besteht aus den vorhandenen relativen Machtressourcen und der Polarität innerhalb dieses Systems. Im Abschnitt 3.1 wurde bereits ausgeführt, dass für die Analyse der Machtressourcen auf die Indikatoren nach Baumann et al. zurückgegriffen wird. Diese sind ökonomische und militärische Machtressourcen sowie Bevölkerungsstärke und territoriale Größe. Neben den USA, China und Russland gehören auch Frankreich, Großbritannien, Japan und Deutschland zu den mächtigsten Staaten im internationalen System (vgl. Foundation of National Security Research 2012: 8). Sie bilden die Referenzgruppe für die Untersuchung. Vereinzelt wird auf den deutschen Anteil innerhalb einer kleineren europäischen Staatengruppe (Deutschland, Frankreich und Großbritannien) verwiesen, da sie als Schlüsselstaaten der GSVP gelten (Göler 2012: 4). Innerhalb der Referenzgruppen wird ein Mittelwert des deutschen Anteils an den Machtressourcen im Zeitraum 2000 bis 2004 und 2006 bis 2010 ermittelt. Bei dem Machtindikator „Territorium“ wird lediglich auf ein Jahr in beiden Zeiträumen Bezug genommen. Das für die Auswertung herangezogene Datenmaterial befindet sich im Anhang.
Ökonomische Machtressourcen
Der Anteil des deutschen BIP lag im Zeitraum 2006 – 2010 im Mittel mit knapp 10 % ca. 0,4 % über dem Anteil im Zeitraum 2000 – 2004 (vgl. Tab. 1) und hat sich somit im Vergleich zu den übrigen Staaten wenig relativ verbessert. Der Anteil der Exporte der deutschen Wirtschaft ist im Vergleich zur Staatengruppe im Betrachtungszeitraum zunächst einmal mit 0,3 % zurückgegangen. Berücksichtigt man jedoch die 2009 begonnene Eurokrise innerhalb der Eurozone, schneidet Deutschland vergleichsweise gut ab. Deutschland konnte innerhalb der europäischen Staatengruppe im Zeitraum 2006 – 2010 im Mittel um knapp 5,47 % an Macht zulegen, wohingegen Großbritannien und Frankreich erhebliche Einbußen zu verzeichnen hatten (vgl. Tab. 2). Im Exportbereich bestätigt Deutschland damit zunächst seine Rolle als „führende Handelsmacht in Europa“ (Pfeiffer 2014: o. S.). Unter Berücksichtigung der Eurokrise kann davon ausgegangen werden, dass der deutsche Anteil im Exportbereich nahezu konstant geblieben ist. Im Ergebnis bleibt also festzuhalten, dass Deutschland seine Position im wirtschaftlichen Sektor zwar nicht erheblich, aber zumindest leicht ausbauen konnte.
Militärische Stärke
Der deutsche Anteil an den Militärausgaben betrug im Zeitraum 2000 – 2004 im Schnitt ca. 5,22 %, wobei der Anteil im Zeitraum 2006 – 2010 bei ca. 4,12 % im Mittel lag. Dies entspricht einem Rückgang von ca. 1,1 % (vgl. Tab. 3). Auch bei der Truppenstärke ist im deutschen Anteil ein relativer Rückgang von 0,45 % (von 5 % auf 4,54 %) zu verzeichnen. Mit Ausnahme von Russland entspricht dies dem allgemeinen Rückgangstrend bei der Truppenstärke in der Referenzgruppe (vgl. Tab. 4). Da die Anzahl der zwischenstaatlichen Kriege immer weiter zurückgeht, prognostiziert Henrik Heidenkamp auch den weiteren Rückgang herkömmlicher Streitkräftearmeen (2010: 88–99).
Zur Vollständigkeit ist auch das Thema Nuklearwaffen zu betrachten: Deutschland ist nach wie vor nicht in deren Besitz, auch wenn es über die dafür nötige Technologie verfügt. Deutschland hat sich im Zwei-Plus-Vier-Vertrag dazu verpflichtet, keine Nuklearwaffen zu erwerben oder zu benutzen. Dem Besitz von Nuklearwaffen wird bei den heutigen neuartigen Risiken nicht mehr die stabilisierende Wirkung zugeschrieben, welche sie während des Kalten Krieges hatten (Ischinger 2010: o. S.). Die von den USA und Russland angestoßene Initiative einer kernwaffenfreien Welt unterstreicht dieses Argument (Meier-Walser 2010: 5). Auch der Historiker Paul Kennedy konstatiert, dass seit dem Ende des Kalten Krieges Atomwaffen nur noch eine Gefahr, aber kein strategischer Vorteil mehr sind (Kreye 2010: o. S.).
Im Bereich der militärischen Machtressourcen muss festgestellt werden, dass Deutschland – trotz steigender Militärausgaben – einen leichten relativen Machtrückgang zu verzeichnen hat.
Bevölkerung und Territorium
Die deutsche Position bzgl. des demographischen und territorialen Indikators hat sich kaum verändert (vgl. Tab. 5 und 6). Der deutsche Anteil an der Bevölkerung ging im Vergleichszeitraum im Mittel um ca. 0,14 % zurück. Der territoriale Anteil blieb mit 0,95 % (2000 – 2004) bzw. 0,94 % (2006 – 2010) nahezu unverändert.
In Bezug auf die Machtressourcen kann festgehalten werden, dass sich Deutschlands Anteil im internationalen System kaum verändert hat. Zwar konnte Deutschland seine wirtschaftliche Stärke dezent ausbauen, jedoch verringerte sich die militärische Machtressource. Von einer Führungsrolle Deutschlands oder gar Deutschland als „Hegemon in Europa“ (Brozus 2013: o. S.) kann zunächst kaum gesprochen werden.
Multipolarität des internationalen Systems
Allerdings hat sich die Struktur des internationalen Systems aus neorealistischer Sicht grundlegend geändert. Nach dem Ende der Bipolarität in Zeiten des Kalten Krieges befand sich Deutschland in einer Unipolarität zugunsten des Hegemons USA. Diese unipolare Struktur wurde jedoch allmählich von einem multipolaren Staatensystem abgelöst (Hellmann 2012: 41–55; Straack 2009: 45). Den neorealistischen Annahmen zufolge ist das internationale System mit dem Wegfall der Unipolarität instabiler geworden, für die Machtposition Deutschlands bedeutet dies allerdings eine Stärkung: Deutschland besitzt durch die zunehmende Multipolarität mehr Gestaltungsmöglichkeiten als je zuvor, da sie ihre nationalen Interessen wirkungsvoller durchsetzen kann (Hellmann 2012: 41–55).
Im Ergebnis kann darum festgestellt werden, dass sich Deutschlands Machtposition im internationalen System weiter leicht verbessert hat. Zwar stagniert Deutschlands Zuwachs an Machtressourcen im internationalen und europäischen Kontext, dennoch wird Deutschland als eine „große Macht in Europa“ – einer „Mittelmacht“ im internationalen Kontext – und damit auch als Ansprechpartner für europäische Belange wahrgenommen (ebd.: 46). Entscheidend für die relative Aufwertung der deutschen Machtposition sind die im Vergleich zu anderen Staaten gestiegene Bedeutung und die Zunahme an aktiven Gestaltungsmöglichkeiten im heutigen multipolaren internationalen System.
Aus der modifizierten neorealistischen Sicht ist also zu erwarten, dass Deutschland verstärkt Machtpolitik betreibt, wobei sich die Untersuchung auf die Möglichkeit der Einflusspolitik konzentriert.
3.2.2 Einflusspolitik innerhalb der GSVP
Wie im Kapitel 3.1 ausgeführt, hängt die Form von Machtpolitik (Abwehr- oder Einflusspolitik) eines Staats im modifizierten Neorealismus davon ab, welcher Sicherheitsbedrohung dieser ausgesetzt ist. Ist die Sicherheit nicht wesentlich gefährdet, kann Einflusspolitik, unter Inkaufnahme von Autonomieverlust, betrieben werden. In der Tat wird Deutschland derzeit von keinem Staat unmittelbar bedroht; es ist umgeben von „befreundeten Staaten“ (Tognoni 2012: 156, vgl. auch BT 1996). Deutschland ist ausschließlich von Industrienationen umgeben, die selbst wenig von militärischen Angriffen bedroht sind. Selbst von der derzeit noch überragenden Machtposition der USA geht keine sicherheitspolitische Bedrohung aus, daher ist Deutschland auch nicht gezwungen, die im traditionellen Neorealismus verankerte balancing -Strategie auszuüben. Zu erwarten wäre daher, dass Deutschland sich stattdessen verstärkt bei der Fortentwicklung der GSVP einbringt und versucht, vermehrt Einfluss auszuüben.
Nachdem die deutsche Machtposition sowie die Sicherheitsbedrohung dargestellt wurden, soll nun anhand von zwei Fällen die abhängige Variable untersucht und damit die erste Hypothese geprüft werden. Die beiden ausgewählten Fallbeispiele „Teilnahme an GSVP-geführten Missionen“ und die „strategische Stärkung der GSVP“ beziehen sich auf das deutsche Politikverhalten innerhalb der GSVP. Ziel der Analyse ist es aufzuzeigen, inwieweit Deutschland eine auf Einflussmaximierung ausgerichtete Außenpolitik in der GSVP betreibt.
3.2.2.1 Teilnahme an GSVP-geführten Missionen
Der modifizierte Neorealismus geht davon aus, dass Deutschland sein größeres Machtpotential zusätzlich durch ein stärkeres Engagement innerhalb der GSVP nutzt, um noch mehr Einfluss zu gewinnen. Im Rahmen der Einflussmaximierung prognostiziert er darüber hinaus, dass sich Deutschland verstärkt an GSVP-Missionen beteiligt, um so auch Einfluss auf die Ausführung und die Ergebnisse der Missionen haben zu können. Mit Ausnahme der jüngsten EU-Mission „EUAM Ukraine“ lag der Schwerpunkt neuer EU-Missionen in den vergangenen Jahren vor allem auf dem afrikanischen Kontinent. Brennpunkte bilden vor allem der Schutz der Zivilbevölkerung in der westlichen Sahelzone und Zentralafrika sowie die Sicherstellung maritimer Handelswege rund um das Horn von Afrika. Letzteres wird nachfolgend detailliert beleuchtet und das Ergebnis zusammengefasst.
Am Horn von Afrika liegt der Golf von Aden, einer der wichtigsten Handelsrouten zwischen dem europäischen Kontinent und Asien. Darum ist es für die EU als größte Handelsmacht im internationalen System von großer Bedeutung, diese Route sicher und offen zu halten. Für Deutschland sind die freien Schifffahrtswege ebenfalls von unmittelbarem sicherheitspolitischen Interesse (BMVg 2011: 3f.), denn Deutschland profitiert als „Exportweltmeister“ (Pfeiffer 2014: o. S.) im Besonderen vom weltweiten Handel. Eines der zentralen Schwierigkeiten am Horn von Afrika sind die anhaltenden Probleme in Somalia nach dem langjährigen Bürgerkrieg. Durch den sich anschließenden Staatszerfall fehlt es an funktionierenden staatlichen Strukturen, vor allem im sicherheitspolitischen und justiziellen Bereich. Die hohe Korruptionsanfälligkeit von Regierungsbeamten, die Nahrungsmittelknappheit in der Bevölkerung und der zahlreichen Aktivitäten von Terrormilizen wie Al-Shaabab führen zur Piraterie in den Gewässern am Horn von Afrika und gefährden damit nicht nur die internationale Sicherheit, sondern auch die Interessen der EU und Deutschlands (vgl. BT 2014a). Aus diesem Grund setzt sich die EU für den Schutz der internationalen Sicherheit am Horn von Afrika ein und forciert den Aufbau von soliden, politischen Strukturen, die Konfliktverhütung und -lösung, die Verminderung der von der Region ausgehenden Sicherheitsbedrohungen sowie die Förderung von Wirtschaftswachstum und Unterstützung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in der Region (vgl. ER 2011). Neben medizinischen und wirtschaftlichen Hilfsprogrammen errichtete der Rat dazu zahlreiche operative GSVP-Missionen.
EU NAVFOR Atalanta
Zur Bekämpfung der Piraterie wurde zunächst eine Koordinierungsmission European Union Naval Coordination Cell ( EU NAVCO) am 19. September 2008 errichtet (vgl. Rat 2008a). Sie hatte lediglich zur Aufgabe, den Schutz der Schifffahrt durch Abstimmung der militärischen Einsätze der einzelnen Staaten am Horn von Afrika zu koordinieren. Es folgte jedoch schnell die Ausweitung und eine operative Neubestimmung der Mission (Diedrichs 2012: 123). Bereits am 19. November 2008 beschloss der Rat, sich verstärkt der Stabilisierung der Verhältnisse in Somalia und der Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias zu widmen (vgl. Rat 2008b) und errichtete die Mission „ European Union Naval Force (EU NAVFOR) Somalia – Operation Atalanta“. Operation Atalanta ist die erste militärische Marine-Mission der EU, die am 8. Dezember 2008 begann und zuletzt am 21. November 2014 vom Rat zunächst bis Dezember 2016 verlängert wurde (vgl. Rat 2014a).
Mit der Mission soll die Piraterie am Horn von Afrika durch Abschreckung eingedämmt werden. Geschützt werden sollen dabei vor allem Schiffe für die World Food Programme (WFP) und Schiffe der African Union Mission in Somalia (AMISOM), aber auch Schiffe der EU sowie teilnehmender Nationen (vgl. ebd.). An der von Großbritannien geführten Mission nehmen temporär 20 verschiedene EU-Staaten, darunter auch Deutschland, teil sowie Norwegen, Kroatien, Montenegro und Ukraine, die sich neben Spanien und Italien fortlaufend an der Mission beteiligen. Das Mandat zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-Mission erteilte der BT erstmals am 19. Dezember 2008 (vgl. BT 2008a) und hat dieses letztmals am 21. Mai 2014 mit einer personellen Obergrenze von 1200 Soldaten bis zum 31. Mai 2015 verlängert (vgl. BT 2014b). Die Aufgaben umfassen vor allem a) die Gewährung von Schutz der WFP- und AMISOM-Schiffe sowie ziviler Schiffe, b) die Überwachung der Küstengebiete und Hoheitsgewässer Somalias und Nachbarländer, c) die Abschreckung, Verhütung und Beendigung von Piratenübergriffen auch mit Hilfe von Gewalteinsätzen und d) das Aufgreifen und Überstellen von Personen, die in Verdacht stehen, seeräuberische Handlungen oder bewaffnete Raubüberfälle begangen zu haben (vgl. BT 2008a, 2008b).
[...]
[1] Die Petersberg-Aufgaben umfassen 1) humanitäre Aufgaben, 2) Rettungseinsätze, 3) friedenserhaltende Aufgaben sowie 4) Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen (vgl. Staack/Krause 2014: 9).
[2] Bei balancing- Strategien handelt es sich um eine Gleichgewichtspolitik zwischen dominanten Staaten, in dem z. B. Staat A versucht einen vorhanden Machtverlust gegenüber Staat B auszugleichen und umgekehrt (Schimmelfennig 2013: 81).
- Citation du texte
- Jenny Wendler (Auteur), 2015, Mehr Verantwortung in der Welt. Deutschlands Rolle bei der Fortentwicklung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/302961
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