Die meisten Kinder besitzen bereits vor Schulbeginn schon eine Reihe von mathematischen Kenntnissen und Fertigkeiten, insbesondere zu den Zahlen und dem Umgang mit ihnen. Viele Schulanfänger kennen die Zahlwortreihe bis 20 oder darüber hinaus, sie können die Anzahl der Elemente einer Menge angeben, und einige können bereits in einfachen Problemen addieren und subtrahieren. Für den Lehrer besteht die Aufgabe darin, diese unterschiedlichen Vorkenntnisse und Erfahrungen der Kinder zu erkennen und in die Unterrichtsplanung einzuarbeiten.
Im ersten Teil meiner Arbeit beschäftige ich mich mit dem mathematischen Lernen im Kindergarten. Pädagogische Zielvorstellungen werden erläutert, Möglichkeiten der mathematischen Denkerziehung dargestellt und die Zusammenarbeit zwischen Kindergarten und Grundschule näher beleuchtet. Danach werde ich einige Studien zu den mathematischen Vorkenntnissen von Schulanfängern vorstellen, die einerseits hohe mathematische Kompetenzen der Kinder beweisen, andererseits die großen Leistungsunterschiede in den Mittelpunkt stellen. Außerdem werde ich mögliche Ursachen für die Leistungsheterogenität erläutern.
Um die Ergebnisse der Studien zu untermauern, schließt sich meine empirische Untersuchung zu mathematischen Vorerfahrungen von Vorschulkindern daran an.
Das Resultat der unterschiedlichen Vorkenntnisse der Kinder bringt Konsequenzen für den Lehrer mit sich. Welche Kompetenzen er entwickeln sollte und welche Diagnoseinstrumente zur Bestimmung der Lernausgangslage im mathematischen Bereich genutzt werden können, beschreibe ich in diesem Teil der Arbeit. Weiterhin werde ich Möglichkeiten zur Förderung des Zahlverständnisses und zur Förderung von Wahrnehmungsleistungen ansprechen.
Auch dem mathematischen Anfangsunterricht wird die Aufgabe zugeteilt, sich nach den Vorkenntnissen der Kinder zu richten. Ich werde verschiedene Prinzipien der offenen Unterrichtsgestaltung anbieten, moderne Organisationsformen des Unterrichts erklären und verschiedene didaktische Materialien vorstellen.
Zum Abschluss stelle ich die neue Schuleingangsstufe vor, ein Modellprojekt, was in fast allen Bundesländern durchgeführt wird. An diesen Schulen werden alle Kinder aufgenommen, egal welche Vorerfahrungen sie besitzen. Die Heterogenität wird als positive Herausforderung angesehen. Ich werde die Entstehung, die Ziele und wichtige Merkmale der neuen Schuleingangstufe vorstellen. Außerdem gehe ich speziell auf die Lage in Thüringen ein.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Mathematisches Lernen im Kindergarten
2.1 Pädagogisch-psychologische Zielvorstellungen
2.2 Förderung der Kinder
2.3 Mathematische Denkerziehung
2.3.1 Klassifikation und Seriation
2.3.2 Grundlegung des Zahl-, Raum- und Zeitbegriffs
2.4 Probleme und notwendige Veränderungen im Vorschulbereich
2.5 Zusammenarbeit zwischen Kindergarten und Grundschule
2.5.1 Vorbereitung der Kinder auf die Grundschule
2.5.2 Orientierung der Schule am Kind
3. Mathematische Kompetenzen von Schulanfängern
3.1 Ältere und neuere Studien zu mathematischen Vorkenntnissen
3.2 Genauere Betrachtungen der Studien
3.2.1 Große Leistungsheterogenität bei Schulanfängern
3.2.2 Straßen- und Schulmathematik
3.2.3 Mögliche Ursachen für Leistungsunterschiede
4. Empirische Untersuchung zu mathematischen Vorerfahrungen von Vorschulkindern
4.1 Ausgangssituation im Kindergarten
4.2 Begründung und Vorstellung der Testaufgaben
4.3 Durchführung der Untersuchung
4.4 Darstellung und Auswertung der Protokollergebnisse
5. Konsequenzen für den Lehrer
5.1 Kompetenzen des Lehrers
5.2 Veränderte Rahmenbedingungen
5.3 Exemplarische Diagnoseinstrumente für den Lehrer
5.3.1 Zahlenalbum
5.3.2 25er-Quadrat
5.4 Übersicht zur Bestimmung der Lernausgangslage im mathematischen Bereich
5.5 Möglichkeiten zur Förderung von Wahrnehmungsleistungen
5.6 Möglichkeiten zur Förderung des Zahlverständnisses
6. Resultierende Möglichkeiten der Gestaltung des mathematischen Anfangsunterrichts
6.1 Traditionelle Stoffverteilung
6.2 Offene Unterrichtsgestaltung
6.2.1 Das Prinzip des aktiv-entdeckenden Lernens
6.2.2 Das Prinzip des schriftlich-reflektierenden Lernens
6.2.3 Das Prinzip des interaktiv-argumentierenden Lernens
6.3 Moderne Organisationsformen des offenen Unterrichts
6.3.1 Lernen an Stationen
6.3.2 Wochenplanarbeit
6.3.3 Freiarbeit
6.3.4 Projektunterricht
6.3.5 Anregungen für eine Mathe-Ecke
6.4 Didaktische Materialien im mathematischen Anfangsunterricht
6.4.1 Strukturierte Materialien
6.4.2 Unstrukturierte Materialien
6.4.3 Mischformen
7. Die neue Schuleingangsstufe
7.1 Entstehung und Ziele
7.2 Wichtige Merkmale der neuen Schuleingangsstufe
7.2.1 Rhythmisierung
7.2.2 Differenzierung
7.2.3 Förderdiagnostik
7.3 Lage in Thüringen
7.4 Heterogenität als Auftrag
8. Schlussbetrachtung
9. Literaturverzeichnis
10. Anhang
1. Einleitung
Die meisten Kinder besitzen bereits vor Schulbeginn schon eine Reihe von mathematischen Kenntnissen und Fertigkeiten, insbesondere zu den Zahlen und dem Umgang mit ihnen. Viele Schulanfänger kennen die Zahlwortreihe bis 20 oder darüber hinaus, sie können die Anzahl der Elemente einer Menge angeben, und einige können bereits in einfachen Problemen addieren und subtrahieren. Für den Lehrer besteht die Aufgabe darin, diese unterschiedlichen Vorkenntnisse und Erfahrungen der Kinder zu erkennen und in die Unterrichtsplanung einzuarbeiten.
Im ersten Teil meiner Arbeit beschäftige ich mich mit dem mathematischen Lernen im Kindergarten. Pädagogische Zielvorstellungen werden erläutert, Möglichkeiten der mathematischen Denkerziehung dargestellt und die Zusammenarbeit zwischen Kindergarten und Grundschule näher beleuchtet. Danach werde ich einige Studien zu den mathematischen Vorkenntnissen von Schulanfängern vorstellen, die einerseits hohe mathematische Kompetenzen der Kinder beweisen, andererseits die großen Leistungsunterschiede in den Mittelpunkt stellen. Außerdem werde ich mögliche Ursachen für die Leistungsheterogenität erläutern.
Um die Ergebnisse der Studien zu untermauern, schließt sich meine empirische Untersuchung zu mathematischen Vorerfahrungen von Vorschulkindern daran an.
Das Resultat der unterschiedlichen Vorkenntnisse der Kinder bringt Konsequenzen für den Lehrer mit sich. Welche Kompetenzen er entwickeln sollte und welche Diagnoseinstrumente zur Bestimmung der Lernausgangslage im mathematischen Bereich genutzt werden können, beschreibe ich in diesem Teil der Arbeit. Weiterhin werde ich Möglichkeiten zur Förderung des Zahlverständnisses und zur Förderung von Wahrnehmungsleistungen ansprechen.
Auch dem mathematischen Anfangsunterricht wird die Aufgabe zugeteilt, sich nach den Vorkenntnissen der Kinder zu richten. Ich werde verschiedene Prinzipien der offenen Unterrichtsgestaltung anbieten, moderne Organisationsformen des Unterrichts erklären und verschiedene didaktische Materialien vorstellen.
Zum Abschluss stelle ich die neue Schuleingangsstufe vor, ein Modellprojekt, was in fast allen Bundesländern durchgeführt wird. An diesen Schulen werden alle Kinder aufgenommen, egal welche Vorerfahrungen sie besitzen. Die Heterogenität wird als positive Herausforderung angesehen. Ich werde die Entstehung, die Ziele und wichtige Merkmale der neuen Schuleingangstufe vorstellen. Außerdem gehe ich speziell auf die Lage in Thüringen ein.
Ich möchte darauf hinweisen, dass ich in meiner Arbeit überwiegend die männliche Bezeichnung von Personen benutze; selbstverständlich gelten sämtliche Status-, Funktions- und Berufsbezeichnungen auch für Frauen.
2. Mathematisches Lernen im Kindergarten
Der Wissenserwerb von Kindern vollzieht sich in einem großen Zeitraum, der in der frühen Kindheit beginnt und weit über die Grundschule hinaus reicht. Die entscheidenden Vorläuferfähigkeiten für die schulischen Lernprozesse entwickeln sich während der Kindergartenzeit (vgl. Faust-Siehl, Speck-Hamdan 2001, S.74). Die Kinder werden mit Alltagssituationen wie Rätsel, Rollen- und Sprachspiele mit Lauten, Wörtern, Schrift und Zahlen im Kindergarten vertraut gemacht.
2.1 Pädagogisch - psychologische Zielvorstellungen
Kinder brauchen neben ihrer Familie und ihrer Umwelt einen darüber hinausführenden Erlebnis- und Handlungsraum. Diesen Bereich kann der Kindergarten abdecken. Die Erfüllung des Bildungsauftrags trägt entscheidend zur Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit bei. Deshalb ist der Kindergarten nicht nur ein Platz zur Unterbringung von Kindern, sondern der Ort für die Erziehung und Bildung von Drei- bis Sechsjährigen. Rücksicht wird auf das Entwicklungstempo, die individuellen Unterschiede und die Verschiedenheit der häuslichen Bedingungen genommen. Im Kindergarten sind die Heranwachsenden ständig den Dingen ihrer Umwelt zugewandt, untersuchen sie, spielen und hantieren mit ihnen. Auch die Gruppen, die Spielkameraden, die Erzieher und die Kindergartengesamtheit sind wichtig, da sie die Entwicklung des Kindes zu sozialem Verhalten, zu Willensbildung und Entscheidungsfreiheit beeinflussen. Um ihre spontanen Äußerungs- und Tätigkeitsbedürfnisse zu verwirklichen, muss ihnen ausreichend Freiraum gegeben werden. Aber auch Anleitung, Unterstützung und Anregung von den Erziehern muss gegeben werden, um zu differenzierten Formen des Erlebens und Tuns fortschreiten zu können. Erzieher sollen das Kind bei der Bildung der Gesamtpersönlichkeit unterstützen.
Die folgenden übergeordneten Aufgaben dienen der Entfaltung der Kinder:
- „Hinführung zu emotionaler Sicherheit als Grundlage für Eigenständigkeit, Erlebnisfähigkeit und menschliche Entfaltung,
- Förderung von Gemeinschaftsfähigkeit, Kommunikation, Toleranz und Hilfsbereitschaft,
- Hilfestellung bei Konfliktverarbeitung im sozialen und persönlichen Bereich,
- Förderung der kreativen Fähigkeiten, der Phantasie und Spielfähigkeit,
- Erziehung zu Wahrnehmungsfähigkeit, zu sprachlicher Verarbeitung,
- Förderung des Denkvermögens und des Erwerbs von Kenntnissen,
- Förderung der Willens- und Entscheidungsfähigkeit,
- Vermittlung von Werteinstellungen“ (Bayrisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 1992, S. 5).
Die praktischen Aufgaben der Kindergartenarbeit sind in den Vordergrund gerückt und die Ganzheitlichkeit der Bildungsaufgabe wird stärker betont.
2.2 Förderung der Kinder
Der Schulanfang ist für die meisten Kinder kein „Nullpunkt“ in der Entwicklung des Lesens, Schreibens und Rechnens. Zentrale schriftsprachliche und mathematische Erfahrungen, wie seinen Namen und einzelne Wörter schreiben, einige Buchstaben und bestimmte Wörter lesen oder bis 100 zählen, machen die Kinder in der Vorschulzeit. Dies besitzt eine herausragende Bedeutung für das Erlernen des Lesens, Schreibens und der Mathematik in der Grundschule. Individuelle Unterschiede in den Schulleistungen hängen mit den unterschiedlichen Fähigkeiten, die sich die Kinder im Vorschulalter angeeignet haben, zusammen. Deshalb ist es notwendig, die Entwicklung dieser Fähigkeiten in der Vorschulzeit stärker zu fördern, vor allem durch Anregungen, die schriftsprachliche und mathematische Erfahrungen im Alltag ermöglichen (vgl. Faust-Siehl, Speck-Hamdan 2001, S. 113). Im folgenden Abschnitt werde ich auf die mathematische Denkerziehung im Kindergarten mit konkreten Beispielen eingehen.
2.3 Mathematische Denkerziehung
Denken ist eine Möglichkeit zur Erfassung und Verarbeitung von Wirklichkeit. Denkerziehung berücksichtigt die Tatsache, dass Denken, vor allem bei Kindern, im engen Zusammenhang mit sozialen und emotionalen Erfahrungen
2.3.1 Klassifikation und Seriation
Klassifizieren bedeutet, Gegenstände oder Ereignisse bezüglich einer oder mehrerer Eigenschaften als gleich zu betrachten. Die Grundfrage lautet: Worin gleichen sich mehrere Gegenstände oder Ereignisse? Gegenstände können hinsichtlich ihrer Farbe, ihrem Verwendungszweck, ihrer Form oder im Hinblick auf eine Verbindung dieser Eigenschaften als gleich und damit als zusammengehörig betrachtet werden. Eine Menge, eine Klasse oder ein Begriff nennt man eine Zusammenfassung von gleichen Dingen.
Im sprachlichen, mathematischen und naturwissenschaftlichen Bereich ist die Fähigkeit zu klassifizieren eine wichtige Grundlage des Denkens. Während der gesamten Kindergartenzeit bekommt das Kind Gelegenheiten, nach unterschiedlichen Merkmalen zu sortieren. In erster Linie soll es dies nach eigenen spontanen Vorstellungen tun, dann erst nach vorgegebenen Gesichtspunkten. Erzieher sollen jedoch der kindlichen Phantasie keine Grenzen setzen, indem sie unerwartete Vorschläge kritisieren. Es ist wichtiger zu überlegen, wie das Kind immer mehr zum kreativen Klassifizieren gebracht werden kann. Denn erst nach und nach lernen die Kinder, Gegenstände in bestimmten Situationen oder Handlungen zu klassifizieren (vgl. Piaget, in: Baacke 1999, S. 180).
Beispiel: Ein Kind klassifiziert Gegenstände frei nach einem auffälligen Merkmal, der Größe. Es spielt mit Muggelsteinen und um eine Blume zu legen, nimmt es die großen Steine für die Blüte, die kleinen für Blätter und Stängel.
Ein weiterer Weg für das Kind, um seine zahlreichen Erfahrungen und Beobachtungen in seiner Umgebung zu systematisieren und bewältigen, ist die Reihenbildung. Dabei interessieren gerade die Unterschiede zwischen Gegenständen und Ereignissen. Beim Ordnen sollen die Gradunterschiede hervortreten. Die Frage bei der Seriation lautet: Worin unterscheiden sich Gegenstände? Sie werden zum Beispiel nach Gewicht, Größe oder Helligkeitsgrad unterschieden und entsprechend vom Leichtesten zum Schwersten, vom Kleinsten zum Größten oder vom Hellsten zum Dunkelsten in eine Reihe gebracht. Im Laufe der Entwicklung eines Kindes wird die Fähigkeit zur Reihenbildung im Sinne einer Ordnung langsam aufgebaut (vgl. Piaget, in: Baacke 1999, S. 181).
Beispiel: Ein Kind vergleicht spontan Gegenstände und stellt Unterschiede zwischen ihnen fest. Beim Umgang mit Cuisinaire-Stäben entdeckt es die vielen unterschiedlichen Längen der farbigen Stäbchen und sortiert diese.
2.3.2 Grundlegung des Zahl -, Raum - und Zeitbegriffs
Im Kindergartenalltag werden die Zahlen in verschiedener Weise verwendet. Die Erzieherin spricht zum Beispiel von zwei Kindern, zwei Puppen oder zwei Tassen. Dabei benutzt sie die Zahl 2, um eine Kollektion von Gegenständen quantitativ zu beschreiben. Die Gegenstände sind gleichwertige Einheiten, welche die Anzahl der von ihnen gebildeten Menge bestimmen. Dies wird als Kardinalzahlaspekt bezeichnet. Spricht die Erzieherin von einem zwei Meter langen Tisch, so beziehen sich die Zahlen auf Einheiten, die willkürlich vereinbarte Längen sind. Die 2 bestimmt als Maßzahl das Verhältnis zwischen der Länge des Tisches und der als ein Meter bezeichneten Länge. Spricht man vom zweiten Tag im Monat, so wird hier die 2 als Ordnungszahl benutzt. Wird die Zahl in der Folge der natürlichen Zahlen betrachtet, spricht man von der Zählzahl, zum Beispiel das Kind mit der Startnummer 2 gewinnt beim Wettrennen. Die Ordnungs- und die Zählzahlen lassen sich unter den Begriff Ordinalzahlaspekt fassen. Die Erzieherin muss zweimal zum Zahnarzt; die Anzahl an Wiederholungen einer Handlung wird als Operatorzahlaspekt bezeichnet. Die 2 steht wie jede Zahl in vielfältigen Beziehungen zu den anderen Zahlen. Diese Verwendung von natürlichen Zahlen lernen die Kinder im Vorschulalter kennen. Die Wechselbeziehungen zwischen den Aspekten sind ihnen noch nicht bewusst. Die Vernetzung der Aspekte wird erst im Laufe der Schulzeit deutlich, und es bildet sich allmählich ein umfassender Zahlbegriff heraus (vgl. Kiper, Nauck 2002, S. 118-119).
Ein solider Zahlbegriff braucht eine breite Erfahrungsbasis. Die Erzieher sollten die kindliche Vorstellung nicht von vornherein auf eine spezielle Zahlauffassung festlegen und den Versuch einer Grundlegung des Zahlbegriffs nicht zu eng anlegen. Kinder machen Erfahrungen mit Zahlen in ihrer alltäglichen Lebenswelt und an diese sollte der Erzieher in natürlicher spielender Weise anknüpfen. Mit zunehmendem Alter gehören das Zählen, das Hören von Zahlwörtern und das Lesen von Zahlzeichen zu den bewussten Erfahrungen. Solange sie nicht mit begrifflichen Vorstellungen verbunden werden, bleibt ihr Gebrauch beim Kind ein unverstandenes Spiel mit Zeichen. Diese Verbindung für immer größer werdende Zahlen herzustellen, ist die Aufgabe der Grundschule. Im Kindergarten ist es wichtig, neben der qualitativen auch eine quantitative Betrachtung von Situationen und Dingen zu entwickeln, um dadurch das begriffliche Verstehen von Zahlen vorzubereiten (vgl. Bayrisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 1992, S. 102-107).
Beispiel: Das Kind führt Anzahlvergleiche durch, aufgrund paarweiser Zuordnung. Es versucht die Frage zu beantworten, ob mehr Jungen oder mehr Mädchen in ihrer Gruppe sind.
Nach Piaget entwickelt das Kind seine Raumvorstellungen in verschiedenen Stadien (vgl. Gudjons 1997, S. 126-127). Das Kind bringt zunächst die Eigenschaften des Raumes in Beziehung zu seinem eigenen Körper und zu den Beziehungs- und Wahrnehmungseindrücken. Diese gewinnt es durch die Veränderung seiner Stellung im Raum. Erst für Kinder von fünf bis sieben Jahren beginnen Linien und Winkel, die den Raum bestimmen, eine Rolle zu spielen. Um den Raum als gleichbleibendes Gebilde erfassen zu können, braucht das Kind viele Erfahrungen. Anfangs kann es nur die unterschiedlichen Perspektiven wahrnehmen, die sich bei jedem Wechsel seiner Stellung im Raum ändern. Die zunehmende Fähigkeit räumliche Beziehungen darzustellen, deutet auf die schrittweise Beherrschung des Raumes hin. Zunächst wird dies nur durch die eigene Bewegung gelingen wie das Steigen auf einen Stuhl, dann in der Wiedergabe räumlicher Beziehungen von Gegenständen wie das Nachbauen von raumhaften Modellen. Schließlich probiert das Kind, räumliche Proportionen zeichnerisch darzustellen wie bei der Darbietung geometrischer Figuren (vgl. Bayrisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 1992, S. 108-111).
Beispiel: Das Kind verwendet die passenden Begriffe bei der Darstellung von räumlichen Beziehungen. Vor allem bei sportlichen Betätigungen ergeben sich Situationen, in denen Begriffe wie oben - unten, vor - hinter, auf - unter in einem sinnvollen Zusammenhang gebraucht werden.
Der Zeitablauf des Kindes wird durch Ereignisse des täglichen Lebens bestimmt. Sein Zeitgefühl ist also an subjektives Erleben gebunden. Aus der Erfahrung des Tagesrhythmus ergeben sich die ersten Ansätze für eine Zeitperspektive. Orientierungspunkte sind zum Beispiel Tag und Nacht, vormittags und nachmittags. Zukunftsverbindungen werden früher erfasst als solche der Vergangenheit. Die Erwartung des Kommenden ist für das Kind von größerer Bedeutung als die Erinnerung an Vergangenes. Schwer zu erfassen sind dagegen größere Zeitabstände. Dies gelingt nur mit Hilfe von Markierungspunkten emotioneller Art wie Geburtstag oder Weihnachten. Erst die Fünf- bis Sechsjährigen beginnen das Zeitgeschehen zu differenzieren und sprechen von vorgestern und übermorgen.
Ungefähr gleichzeitig bildet sich die begriffliche Erfassung von Raum- und Zeiteinheiten bei Kindern aus (vgl. Bayrisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 1992, S. 112 - 115).
Beispiel: Das Kind ordnet und unterscheidet Ereignisse nach ihrer zeitlichen Abfolge. Es hört eine einfache Geschichte und erzählt sie in richtiger zeitlicher Folge nach.
Die verschiedenen Punkte zur Denkerziehung sind kein Muss für Kindergärten. Es sind Hilfen und Anregungen für Erzieher, denn in jeder Einrichtung wird individuell entschieden, ob man den Kindern Lernangebote anbieten möchte oder nicht.
2.4 Probleme und notwendige Veränderungen im Vorschulbereich
Eine gegenwärtige Reform der Schuleingangsstufe bemüht sich um die Entschärfung des Schuleintritts (siehe Punkt 7). Um eine Harmonie zwischen Vor- und Grundschularbeit herzustellen, übernimmt die Grundschule im zweijährigen Anfangsunterricht Funktionen, die zur Vorbereitung auf die Schule notwendig sind. Weiterhin findet eine Wiederbelebung der Kooperation zwischen den beiden Institutionen statt. Man hat festgestellt, dass der Vorschulbereich für Reformen organisatorisch nicht erreichbar ist, da er nicht Teil des Bildungswesens ist. Deshalb werden in erster Linie Veränderungen in der Anfangsphase des Grundschulunterrichts vorgenommen. Jedoch sollte man auf die Einbeziehung des Vorschulbereichs nicht verzichten. Die Anschlussfähigkeit von Kindergarten und Grundschule muss auf drei Ebenen geleistet werden:
- „durch Qualitätsverbesserungen im Kindergarten, insbesondere durch eine stärkere Ausrichtung des letzten Kindergartenjahres auf die Bildungsfunktion und die Schulvorbereitung,
- durch eine Revision der Kooperationsstruktur und
- durch innerschulische Maßnahmen am Schulanfang“ (Faust-Siehl, Speck- Hamdan 2001, S. 84).
Einen erheblichen Einfluss auf die Schullaufbahn hat die Vorschulerziehung. Es wurde nachgewiesen, dass Schulversagen in Klasse eins und zwei bei Kindergartenbesuch weniger häufig auftritt. In der heutigen Zeit spielt die Qualität der Kinderbetreuung eine große Rolle. Jedoch sind die Einrichtungen in Deutschland sehr unterschiedlich. Trotzdem ist eine bundesweit einheitliche Entwicklung zu beobachten: der Kindergarten vernachlässigt die Bildungsaufgabe. Der Schwerpunkt in der Bundesrepublik liegt in der Förderung der sozial-emotionalen Entwicklung. Die Förderung der kognitiven Entwicklung und spezielle schulvorbereitende Maßnahmen sind eher selten. Die oft formulierte Kritik am Vorschultrainingsprogramm ist folgende: es würden nur isolierte kognitive Funktionen antrainiert werden. Die Konsequenz der Kritik, auf eine Förderung zu verzichten, ist falsch. Es muss darum gehen, die Förderung der kognitiven Entwicklung alters- und kindgemäß auszurichten (vgl. Faust- Siehl, Speck-Hamdan 2001, S. 83-85).
2.5 Zusammenarbeit zwischen Kindergarten und Grundschule
Die Vorbereitung des Kindes auf die Schule und auf seinen nächsten Lebensabschnitt sind Bildungsziele des Kindergartens. Es ist die Aufgabe der Erzieher, die Heranwachsenden sozial und psychisch so zu fördern, dass sie sich auf die Bedingungen des schulischen Lernens ohne große Schwierigkeiten umstellen können und sich auf die Schule freuen. Dies lässt sich am besten durch die enge Zusammenarbeit der Personen, die im Kindergarten und in der Grundschule mit den Kindern arbeiten, erreichen. Die Erleichterung des Übergangs und des Schulanfangs für das Kind ist das oberste Ziel der Kooperation. Es lassen sich zwei Zielrichtungen ableiten, wenn einerseits das Kind optimal auf die Schule vorbereitet werden soll, andererseits sich aber auch die Schule am Kind und seinem Entwicklungsstand orientieren soll.
2.5.1 Vorbereitung der Kinder auf die Grundschule
Die pädagogische Arbeit im Kindergarten dient unter anderem dem Ziel der Schulvorbereitung. Die Aktivitäten sollen bewirken, dass das Kind sich in bezug auf den Schulbesuch motiviert, informiert, angstfrei, sicher und freudig gestimmt fühlt. Erleichtert werden kann dies, indem man das Thema Schule in Spiele, Geschichten und Tätigkeiten einbaut, sodass die Kinder bestimmte positive Erlebnisse im Zusammenhang mit Schule gemacht haben. Dies lässt sich nur im Rahmen einer guten Zusammenarbeit mit der Grundschule verwirklichen. Auch die Kooperation mit den Eltern ist sehr wichtig, da viele Kinder die Ansichten ihrer Eltern zur Schule übernehmen, wodurch Verunsicherungen entstehen können. Wenn die Kinder die Schule und den Lehrer schon vor der Einschulung kennen lernen, verringert sich ihre Unsicherheit der Schule gegenüber, Schulangst entsteht erst gar nicht oder sie wird abgebaut. Sie entwickeln eine freudige Erwartungshaltung (vgl. Bayrisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 1992, S. 296).
Folgende Punkte beinhalten die Vorbereitung des Kindes auf die Schule:
- „Kinder lernen die Schule, die künftige Lehrerin und Klassenkameraden kennen,
- sie entwickeln Vorfreude auf die Schule,
- Eltern werden auf den Schuleintritt ihre Kinder vorbereitet,
- Erzieher lernen die Situation des Schulanfangs und den Anfangsunterricht kennen“ (Bayrisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 1992, S. 295).
2.5.2 Orientierung der Schule am Kind
Die Grundschule soll an die vorschulischen Erfahrungen der Kinder anknüpfen und jedes einzelne mit dem Ziel der allseitigen Förderung betreuen. Sie soll individuelle Begabungen entfalten und sich bemühen, Rückstände aufzuholen und Schwächen auszugleichen. Neben der Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten hat die Grundschule also auch den Auftrag zur allseitigen Förderung. Die Ziele und Aufgaben des Faches Mathematik werden im Lehrplan genau beschrieben. Die Schüler
- „erarbeiten die Zahlen mit geeigneten Mitteln, gewinnen Vorstellungen von Zahlen und verstehen ihre Eigenschaften und Beziehungen,
- gewinnen inhaltliche Vorstellungen zu den Rechenoperationen, beherrschen die Grundaufgaben … gedächtnismäßig und erwerben grundlegende Fähigkeiten im Rechnen, …
- entwickeln Größenvorstellungen und können mit Größen umgehen,
- finden Lösungsstrategien in der Auseinandersetzung mit mathematischen Problemen und Sachverhalten,
- sammeln … geometrische Grunderfahrungen in Raum und Ebene und erweitern ihr Wahrnehmungs- und Vorstellungsvermögen,
- bearbeiten Aufgaben sachgerecht und achten auf eine sachangemessene sorgfältige Darstellung“ (Thüringer Kultusministerium 1999, S. 93).
Ein Bruch zwischen Kindergarten und Schule muss nicht zwangsläufig sein. Der Unterricht in der ersten und zweiten Klasse sollte inhaltlich und methodisch in besonderer Weise gestaltet werden um dem Kind einen möglichst problemlosen Übergang zu ermöglichen. Das Kind sollte in Bezug auf das Stillsitzen, der Dauer der Aufmerksamkeit und anderer Leistungserwartungen nicht überfordert werden. Der Lehrer sollte oft Gelegenheiten zu Bewegung, Spiel und musischer Betätigung bieten. Der Übergang ermöglicht dem Kind sich langsam in die Ordnung der Schule einzuleben und weist aber auch zunehmend Merkmale planmäßigen und schuleigenen Arbeitens und Lernens auf (vgl. Bayrisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 1992, S. 300 - 301).
Die Orientierung der Schule am Kind wird durch folgende wichtige Punkte gekennzeichnet:
- „Partnerschaftlicher Kontakt zwischen Kindergarten, Grundschule und Eltern,
- Lehrer lernen ihre Kinder vor der Einschulung kennen,
- Absprache über pädagogisch begründete Entscheidungen,
- die Schule kann sich an Arbeitsweise, Raumgestaltung und Material des Kindergartens orientieren,
- Erzieher und Lehrer stimmen die Inhalte ihrer Arbeit so weit möglich ab, - Lehrer lernen die Arbeit des Kindergartens kennen“ (Bayrisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus 1992, S. 295).
3. Mathematische Kompetenzen von Schulanfängern
Unter Kompetenz versteht man die Fähigkeit einer Person, Anforderungen in bestimmten Bereichen zu entsprechen. „Soziale Kompetenz bezieht sich auf den Umgang mit Menschen und bedeutet, in sozialen … Bereichen urteils- und handlungsfähig zu sein; Selbstkompetenz bezeichnet sie Fähigkeit, für sich selbst verantwortlich handeln zu können; Sachkompetenz kennzeichnet die Leistungsfähigkeit und damit die Zuständigkeit für bestimmte Sachbereiche“ (Schaub, Zenke 2000, S. 326).
Bereits vor der Einschulung können viele Kinder mit einfachen mathematischen Fragestellungen umgehen. Probleme können relativ wirksam, manchmal auch weniger effektiv, aber auch überraschend raffiniert oder anspruchsvoll gelöst werden. Die Vorschulkinder nutzen natürliche und informelle Zugänge, die aus dem situativen Kontext heraus wachsen. Das Zählen scheint dem Kind für die Situationsbewältigung nützlich. Nach Krauthausen sind es „die alltäglichen Umstände, in denen Kinder Erfahrungen machen und dabei bedeutungsvolle Kontexte für mathematische Aktivitäten vorfinden und nutzen“ (1994, S. 37). Die Forschungsergebnisse über Vorkenntnisse lassen sich nicht länger übergehen und sollten somit auch in den Unterricht eingebracht werden.
3.1 Ältere und neuere Studien zu mathematischen Vorkenntnissen
Die Idee, etwas über Vorkenntnisse von Schulanfängern zu erfahren, ist schon sehr alt. 1856 wies Sigismund auf die Durchführung solcher Studien hin, um etwas „über die Ursachen der frühern und spätern Entfaltung der Geistesknospen bei einzelnen Kindern“ (Hartmann, in: Peter-Koop 1998, S. 120) zu erfahren. Jedoch erst 40 Jahre später wurde von Hartmann die erste größere empirische Untersuchung vorgelegt. Sie trägt den Titel: „Analyse des kindlichen Gedankenkreises als die naturgemäße Grundlage des ersten Schulunterrichts“. Die Untersuchung fand zwischen 1880 und 1884 statt und es nahmen insgesamt 1312 Schulanfänger teil. Den Kindern wurden einzeln in mehreren Sitzungen insgesamt 100 Fragen gestellt. Man wollte erfahren, welche Vorkenntnisse und welches Sachwissen sie mit in die Schule bringen.
Die mathematischen Vorkenntnisse wurden erhoben, indem man nach Kenntnissen geometrischer Grundformen und Körper fragte sowie dem Zählen bis zehn. Das Letztgenannte konnten damals 69% der Jungen und nur 62% der Mädchen. Viel wichtiger ist allerdings, dass zwei Motive bei dieser Untersuchung deutlich werden, die auch bei den nachfolgenden Studien festzustellen sind. Das Anknüpfungsmotiv ist die Hoffnung, mit den Kenntnissen über die Vorerfahrungen der Kinder den Anfangsunterricht so zu gestalten, dass der Lehrer an die Vorkenntnisse anknüpfen kann und ein problemloser Übergang vom Kindergarten in die Grundschule gewährleistet wird. Das Motiv der curricularen Innovation ist die Hoffnung, auch andere mit den Befunden zu überzeugen, dass das gegenwärtige Curriculum einer dringenden Veränderung bedarf.
Die Untersuchung von Schmidt 1982 unterstützt die beiden Motive. Er prüfte, welche Fähigkeiten die Schulanfänger im Umgang mit Zahlen haben. Dies ist der Gegenentwurf zur damals weit verbreiteten Mengenlehre, denn Schmidt ist es wichtig, den arithmetischen Anfangsunterricht als einen Kurs über Zahlen zu gestalten. Die Untersuchung fand 1981/82 in Hessen und Baden-Württemberg mit 1138 Kindern in Einzelinterviews statt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Schulanfänger bereits beachtliche Fähigkeiten besitzen im Umgang mit Zahlen. Diese beziehen sich auf die Anwendung der Zahlen, den Gebrauch von Ziffern und das verbale Zählen. Um die natürliche Motivation der Kinder zu nutzen, sollte der mathematische Anfangsunterricht an ihre Vorkenntnisse anknüpfen. Daher ist es nicht mehr erforderlich, dem ausführlichen Umgang mit Zahlen eine pränumerische Phase voranzustellen, weil die elementaren Zahlbegriffe in der Regel schon vor dem Schulbeginn erworben werden. Viel wichtiger ist es, die vorhandenen Zahlbegriffe durch Anwendung zu sichern, zu vertiefen und auszubauen. In den Konsequenzen für den Anfangsunterricht wurden die genannten Motive verdeutlicht. In den 80er Jahren ist es Schmidt gelungen, einen neuen Standart mit dem Lehrwerk „Denken und Rechnen“ zu setzen, „nämlich das an den Grundideen der sogenannten Mengenlehre orientierte Curriculum mit einer ausgedehnten pränumerischen Phase abzulösen und durch einen Lehrgang zu ersetzen, der die Kinder die Zahlen von Anfang an wieder in Gebrauch nehmen lässt“ (Peter-Koop 1998, S. 123). Schmidt ist jedoch weit davon entfernt, den Kindern bei Schuleintritt pauschal hohe arithmetische Vorkenntnisse zuzusprechen. Weiterhin liegen zu anderen Bereichen des Anfangsunterrichts wie der Umgang mit Geld keine empirischen Befunde vor, sodass hier keine Aussagen über die Kompetenzen möglich sind. Die Schmidt-Studie unterstützt somit nach Meinung von Peter-Koop die These von hohen mathematischen Kompetenzen von Schulanfängern nicht und ebenso wenig reicht sie für die Begründung eines ganzheitlichen arithmetischen Anfangsunterrichts aus. Jedoch gibt es in dieser Untersuchung einen ersten Hinweis darauf, dass die große Leistungsheterogenität der Kinder das wesentliche Merkmal ist und nicht die allgemein hohen mathematischen Vorkenntnisse.
In den letzten Jahren ist ein erneutes Interesse zu mathematischen Kompetenzen von Schulanfängern deutlich geworden. Die neueren Studien sind in der Wahl der Fragen und im Design gleichartig und gerade darin unterscheiden sie sich grundlegend von der Schmidt-Untersuchung. Das Anknüpfungsmotiv und das Motiv der curricularen Innovation haben aber alle gemeinsam. Anfang der 90er Jahre entwickelte die Niederländerin van den Heuvel-Panhuizen einen neuen Aufgabentyp, wobei sie sich von folgenden Grundsätzen leiten ließ:
- „Die Tests sollen es den Schülern ermöglichen, ihre Kompetenzen zu demonstrieren, und weniger darauf abzielen, ihre Defizite zu diagnostizieren.
- Die Testaufgaben sollen das Spektrum der Lernziele möglichst umfassend abdecken; die individuellen Lösungsstrategien der Schüler können dabei viel aufschlussreicher sein als lediglich die Ergebnisse ihrer Rechnungen.
- Die Testaufgaben sollen unbedingt von guter Qualität sein.
- Die Tests müssen im Unterricht ohne großen Mehraufwand durchzuführen sein“ (Peter-Koop 1998, S. 124).
Nach diesen Leitideen wurden 24 Aufgaben entwickelt, je vier Aufgaben zu sechs verschiedenen Aspekten des arithmetischen Anfangsunterrichts. Dazu gehören das Beherrschen der Zahlwortreihe, das Abzählen, Kenntnis von Zahlsymbolen, Größenvergleich, Addition im Kontext sowie Subtraktion im Kontext. Das Besondere der Untersuchung war, dass Expertengruppen bestehend aus Grundschullehrern, Schulräten und Personen, die in der Lehrerausbildung tätig waren, nach ihrer Einschätzung gefragt wurden, wie viel Prozent der Schulanfänger die Aufgaben lösen können. Zwei zentrale Befunde ergab die niederländische Studie. Zum Ersten wurde bewiesen, dass die Kinder zum Schulanfang über zahlreiche arithmetische Fähigkeiten und Kenntnisse verfügen. Und zum Zweiten zeigen die Ergebnisse, dass die Kompetenzen der Kinder von Fachleuten unterschätzt werden. Diese Untersuchung mit kontextgebundenen Aufgabenstellungen hat eine Reihe von Nachfolgestudien ausgelöst. 1995 hat Selter aus den 24 Aufgaben je eine aus den sechs Gruppen ausgewählt. An dieser Studie nahmen 881 Erstklässler und 426 Lehrer, Lehramtsanwärter und Lehramtsstudenten teil. Selter bestätigt die Befunde der niederländischen Untersuchung. In der Regel besitzen Schulanfänger viele Vorerfahrungen zum Zählen, zu Zahlen und zum Rechnen. Der Anfangsunterricht sollte nicht am Nullpunkt beginnen, sondern Chancen bieten, dieses Vorwissen einzusetzen und weiterzuentwickeln. Dafür erscheint eine ganzheitliche Behandlung des Zwanzigerraumes als unbedingt erforderlich (vgl. Peter-Koop 1998, S. 120 - 127).
3.2 Genauere Betrachtungen der Studien
Mitte der 90er Jahre wurden in verschiedenen Ländern weitere Untersuchungen durchgeführt: in der Schweiz von Hengartner / Röthlisberger, in Berlin, der Slowakischen und der Tschechischen Republik von Grassmann u. a. und in verschiedenen Teilen Deutschlands vom Schroedel-Verlag. Auch diese Studien unterstützen die Ergebnisse, dass Schulanfänger mathematische Kompetenzen haben, die von den Experten jedoch unterschätzt werden. Bei einer genaueren Analyse der Studien wird jedoch festgestellt, dass die Botschaften zu pauschal sind. Sie sollten durch differenziertere Aussagen ersetzt werden. Bei den Studien werden keine Daten über die Streuung der Leistungen mitgeteilt, sondern immer nur Prozentansätze richtiger Lösungen für die Gesamtstichprobe. Die einzige Ausnahme ist der Test vom Schroedel-Verlag, der auch darüber Auskunft gibt. Sein auffälligstes Merkmal ist die enorm große Leistungsdifferenz, sogar zwischen einzelnen Schulklassen. Weiterhin sind die Studien nicht geeignet, das gesamte Spektrum der zu erwerbenden Kenntnisse im Anfangsunterricht zu prüfen. Carraher / Carraher / Schliemann haben in zahlreichen Studien festgestellt, dass Kinder bei kontextgebundenen Aufgaben eine hohe straßenmathematische Kompetenz aufweisen, jedoch bei einer eher schulmathematischen Formulierung der Fragen scheitern. Für die Schulmathematik sind die straßenmathematischen Fähigkeiten ein wichtiger Anknüpfungspunkt (siehe Punkt 3.2.2). Im Hinblick auf die Einschätzung der Experten wird deutlich, dass sie die schulmathematischen Kompetenzen überschätzen, aber die straßenmathematischen unterschätzen (vgl. Peter-Koop 1998, S. 127 - 128).
3.2.1 Große Leistungsheterogenität bei Schulanfängern
Wie schon erwähnt gibt nur die Schroedel-Studie Auskunft über die Streuung der Leistungen. Die Auswertung der Untersuchung ist so gestaltet, dass zuerst für die einzelnen Klassen und dann für alle Kinder die durchschnittliche Lösungshäufigkeit berechnet wurde. In einer Aufgabe soll die Ziffer 7 identifiziert werden. Einerseits gibt es Schulklassen, in denen alle Kinder diese Aufgabe richtig lösen können, andererseits gibt es Klassen, in denen nur 63% dies bewältigen. Dies ist ein Hinweis auf die große Leistungsheterogenität zwischen einzelnen Klassen. Diese enormen Leistungsunterschiede zeigen sich auch bei den anderen Aufgaben. Ungefähr ein Drittel der Schulanfänger kann im Zahlenraum bis zehn nicht rückwärts zählen. Der Mittelwert aller Klassen liegt bei 63%. Die eine Hälfte der beteiligten Klassen liegt im Bereich von 77% bis 52% richtiger Lösungen. Die andere Hälfte streut ihre Leistungen im oberen Bereich von 78% bis 95% und im unteren Bereich von 51% bis 22%. Bei dieser Aufgabe sind also enorme Leistungsunterschiede zu beobachten. Die Darstellung der Menge neun, indem man neun Kreise ausmalt, können 80% aller Kinder lösen. Es gibt jedoch Klassen, in denen alle Kinder die Aufgabe lösen können gegenüber anderen Klassen, in denen nur jedes dritte Kind dazu fähig ist. Durchschnittlich kann jedes zweite Kind die Aufgabe 7+3 in einem Sachkontext ohne die Möglichkeit des Abzählens lösen. Es gibt aber Klassen, in denen kein Kind die Aufgabe lösen konnte im Gegensatz zu mindestens einer Schulklasse mit 93% richtigen Lösungen. Die Aufgabe 10-7 im Kontext vom Einkaufen können 29% richtig lösen. Jedoch ist die Spannbreite wieder sehr groß. Es gibt Klassen, in denen niemand die Aufgabe lösen konnte und es gibt solche, in denen 77% der Kinder richtig gerechnet haben.
Auch in anderen Studien sind enorme Leistungsunterschiede beobachtet worden. Grassmann u. a. berichten von einer Leistungsheterogenität zwischen einzelnen Schulen aufgrund der unterschiedlichen Einzugsgebiete. Aber auch in einzelnen Klassen gleicher Schulen wurden Unterschiede festgestellt. Auch Selter hat dies in seiner Studie diagnostiziert: „Die Lerngruppe, in der ein Kind sicher im Hunderterraum rechnet, während dessen Nachbar Schwierigkeiten dabei hat, bis zehn zu zählen, ist keine Fiktion“ (in: Peter-Koop 1998, S 132). Weiterhin bemerken Hengartner / Röthlisberger große Leistungsunterschiede zwischen den Klassen. Sie waren sehr überrascht, denn sie hatten nur Unterschiede zwischen den Kindern einer Klasse, nicht aber zwischen den Klassen selbst erwartet. Sie halten diese Ergebnisse für sehr beunruhigend, weil die Gefahr besteht, dass Lehrer die Vorerfahrungen ihrer Kinder unterschätzen könnten. Es kann verhängnisvolle Wirkungen haben, wenn ein Lehrer mit wenigen Erwartungen eine Klasse mit hohem Leistungsniveau bekommt. Das vorhandene Vorwissen wird gehemmt und auf das Erwartungsniveau zurück gedrängt. Es besteht allerdings auch die Gefahr der Überforderung, wenn ein Lehrer von hohen mathematischen Kompetenzen ausgeht, die Klasse dagegen aber eher leistungsschwach ist. Lehrer sollten einen offenen Blick auf Leistungsdifferenzen haben und notwendige didaktische Konsequenzen in Betracht ziehen (vgl. Peter-Koop 1998, S. 128 - 132).
3.2.2 Straßen- und Schulmathematik
Peter-Koop hat die These aufgestellt: „Viele Schulanfänger sind gute Straßenmathematiker, jedoch noch keine guten Schulmathematiker“ (1998, S. 134). Den Begriff „Mathematiker“ halte ich in Bezug auf Kinder für etwas überspitzt. Den Unterschied sind sich manche Lehrer nicht bewusst, der für das weitere Lernen ganz entscheidend ist. Der Lehrer sollte sich nicht zufrieden geben, wenn Kinder auf Dauer die Aufgaben durch Abzählen mit Fingern oder Materialien lösen. Das Ziel ist, dass die Kinder schrittweise immer leistungsfähigere Strategien des Rechnens entwickeln unter Ausnutzung perativer Beziehungen wie Halbieren, Verdoppeln, Zerlegen, Zusammensetzen usw. Kurzum sind es die Erfahrungen, die sich durch Einsicht in Zahlbeziehungen entfalten. Mit Schulmathematik ist also der auf Verständnis gegründete, flexible Umgang mit Zahlen und Rechenoperationen gemeint. Im Gegensatz dazu steht die Straßenmathematik mit ihren informellen Verfahren (vgl. Peter-Koop 1998, S. 133 - 134).
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- Arbeit zitieren
- Nicole Opetz (Autor:in), 2004, Zu unterschiedlichen mathematischen Vorerfahrungen von Vorschulkindern sowie daraus resultierende Möglichkeiten der Gestaltung des mathematischen Anfangsunterrichts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/30220
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