Als angehende(r) Religionslehrer(in) stellt man sich während des Studiums viele Fragen: Ist dies das richtige Fach? Willst du dein Leben lang als Religionslehrer vor Schülern stehen? Kannst du das überhaupt? Kannst/willst du die Kirche vertreten und nach ihren Regeln leben?
Um diesen Fragen nachzugehen und sie sich selbst zu beantworten, muss man über seine Fähigkeiten, Unzulänglichkeiten und vor allem auch über seinen Glauben nachdenken und auch mit Verwandten, Bekannten, Kommilitonen und Freunden darüber diskutieren.
Diese innere Einstellung zum Leben, die sich aus verschiedensten Komponenten zusammensetzt, ist es, was Pierre Bourdieu Habitus nannte.
Im Rahmen dieser Arbeit werde ich mich zunächst mit der Rolle der Religionslehrer und Religionslehrerinnen (RL) an Berufskollegs beschäftigen. Was sind ihre Aufgaben, wie nehmen sie sich selbst wahr und was sagen die Leute dazu? Kann man in der heutigen Zeit als Religionslehrer noch zufrieden werden oder ist es ein Kampf auf verlorenem Posten?
Darauf folgend werde ich den Habitus-Begriff nach Bourdieu erläutern und darlegen, wie er zu verstehen ist, um dann auf den Religionsunterricht (RU) am Berufskolleg einzugehen. Wie sieht er aus, was sind die Anforderungen seitens der Kirche und der Gesellschaft.
In einem Exkurs werde ich mich mit der Frage beschäftigen, ob ein konfessioneller Religionsunterricht in der heutigen Zeit noch angemessen ist, oder ob ein multikonfessioneller bzw. Ethik-Unterricht besser wäre.
Im Abschluss werde ich den idealtypischen Habitus eines Religionslehrers näher betrachten. Wie muss dieser aussehen, um die zuvor genannten Anforderungen zu erfüllen?
Im Umfeld dieser Arbeit habe ich mehrere Religionslehrer/innen zu ihren Ansichten und Motivationen befragt und viele Gespräche mit Kommilitonen und mir bekannten Lehrern geführt, die mit in diese Arbeit eingeflossen sind, vielen Dank allen Beteiligten an dieser Stelle noch einmal.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Rolle des Religionslehrers am Berufskolleg
2.1 Selbstwahrnehmung und Selbstverständnis von Religionslehrern
2.2 Erfahrungen von Religionslehrern
2.3 Wie sehen die Leute die Rolle des Religionslehrers?
2.4 Der Religionslehrer als Vertrauensperson und Gesprächspartner
2.5 (Berufs-)Zufriedenheit der Lehrer?
3. Die Habitustheorie nach Pierre Bourdieu
3.1 Kurzbiographie Pierre Bourdieu
3.2 Definition Habitus
3.2.1 Habitus und Klasse
3.2.2 Habitus und Geschlecht
3.2.3 Habitus und soziales Feld
3.2.4 Habitus und Kapital
3.2.4.1 Ökonomisches Kapital
3.2.4.2 Kulturelles Kapital
3.2.4.3 Soziales Kapital
4. Religionsunterricht am Berufskolleg
4.1 Methoden im beruflichen Religionsunterricht
4.2 Ethik als Alternative?
4.3 Profile des Religionsunterrichts
4.4 Die Rolle der Kirchen im beruflichen Religionsunterricht
4.5 Allgemeinbildende Aufgaben des Religionsunterrichts
4.6 Wertevermittlung als Aufgabe des Religionsunterrichts
4.7 Akzeptanz des Religionsunterrichts in der Gesellschaft
5. Der Habitus des Religionslehrers
5.1 Idealtypischer Habitus
5.2 Das Selbstbild eines Religionslehrers
5.3 Konsequenzen des Habitus für Religionslehrer
6. Zusammenfassung
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Als angehender Religionslehrer bzw. angehende Religionslehrerin stellt man sich während des Studiums viele Fragen: Ist dies das richtige Fach? Willst du dein Leben lang als Religionslehrer vor Sch ü lern stehen? Kannst du das ü berhaupt? Kannst/willst du die Kirche vertreten und nach ihren Regeln leben?
Um diesen Fragen nachzugehen und sie sich selbst zu beantworten, muss man über seine Fähigkeiten, Unzulänglichkeiten und vor allem auch über seinen Glauben nachdenken und auch mit Verwandten, Bekannten, Kommilitonen und Freunden darüber diskutieren. Diese innere Einstellung zum Leben, die sich aus verschiedensten Komponenten zusammensetzt, ist es, was Pierre Bourdieu Habitus nannte.
Im Rahmen dieser Arbeit werde ich mich zunächst mit der Rolle der Religionslehrer und Religionslehrerinnen (RL) an Berufskollegs beschäftigen. Was sind ihre Aufgaben, wie nehmen sie sich selbst wahr und was sagen die Leute dazu? Kann man in der heutigen Zeit als Religionslehrer noch zufrieden werden oder ist es ein Kampf auf verlorenem Posten?
Darauf folgend werde ich den Habitus-Begriff nach Bourdieu erläutern und darlegen, wie er zu verstehen ist, um dann auf den Religionsunterricht (RU) am Berufskolleg einzugehen. Wie sieht er aus, was sind die Anforderungen seitens der Kirche und der Gesellschaft. In einem Exkurs werde ich mich mit der Frage beschäftigen, ob ein konfessioneller Religionsunterricht in der heutigen Zeit noch angemessen ist, oder ob ein multikonfessioneller bzw. Ethik-Unterricht besser wäre.
Im Abschluss werde ich den idealtypischen Habitus eines Religionslehrers näher betrachten. Wie muss dieser aussehen, um die zuvor genannten Anforderungen zu erfüllen?
Im Umfeld dieser Arbeit habe ich mehrere Religionslehrer/innen zu ihren Ansichten und Motivationen befragt und viele Gespräche mit Kommilitonen und mir bekannten Lehrern geführt, die mit in diese Arbeit eingeflossen sind. Vielen Dank allen Beteiligten an dieser Stelle noch einmal.
In der folgenden Arbeit wird das generische Maskulinum als geschlechterneutrale Bezeichnung verwendet, da im Rahmen dieser Arbeit weibliche und männliche Personen gleichermaßen gemeint sind und sich die Inhalte beispielsweise sowohl auf Lehrer als auch Lehrerinnen und Schüler und Schülerinnen beziehen. Zugunsten eines besseren Leseflusses wird daher auf die jeweilige feminine und maskuline Formulierung verzichtet.
2. Die Rolle des Religionslehrers am Berufskolleg
Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen ist mit besonderen Bedingungen und Herausforderungen verbunden. Er ist - heute mehr als je zuvor - umstritten und angezweifelt. Auch sind die Schüler an berufsbildenden Schulen wesentlich heterogener und differenzierter als in anderen Schulformen, nahezu jeder Bildungsstand und jedes Alter sind vorzufinden. So müssen sich Religionslehrer in viele unterschiedliche Unterrichtsgruppen und -situationen hineinversetzen können.1 Sie sind Adressaten vieler Erwartungen, sowohl fachlich als auch persönlich, welche sowohl fordern als auch überfordern können. Der Eintritt in die Berufswelt ist für viele Schüler eine Zeit des Umbruchs, erstmals treffen sie auf die Erwachsenenwelt und sind ein Teil dieser. Viele neue Gefühle und Eindrücke strömen auf sie ein und sie benötigen häufig Orientierung und Anleitung.
Seit Erhebung der OECD-Bildungsstudien (z.B. PISA) wird vermehrt auf eine output-orientierte Schulbildung geachtet. In diesem Zusammenhang ist auch der religionspädagogische Diskurs hinsichtlich der Frage geprägt, wie der Lehrerberuf professionalisiert werden kann und welche Kompetenzen für den Lehrerberuf zur Erfüllung der aktuellen und zukünftigen gesellschaftlichen Herausforderungen benötigt werden. Eine Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, wie sich die Identitätsbildung angehender Religionslehrer mit der Entwicklung professioneller Kompetenzen verbinden lässt. Religion wird zwar innerhalb des Fächerkanons nicht so streng an erteilten Noten und Vergleichstest gemessen wie beispielsweise Mathematik, trotzdem fließt dieser Druck auch hier mit ein, nicht zuletzt durch die anderen Fächer, welche die Religionslehrer unterrichten.
Religionslehrer haben häufig das Problem, wie sie ihren Schülern ihren eigenen gelebten Glauben zeigen und vorleben sollen, ohne diese zu sehr zu bedrängen. Heike Lindner stellt fest, dass im religionspädagogischen Alltagsgeschäft konfessionstypische Glaubensfragen oft zugunsten christentumskultureller Verwässerungen in den Hintergrund geraten.2 So entstehen oft Unterrichtsgespräche, die für die Schüler nur interessant sind, wenn sie nicht auf eine einzelne Konfession bezogen sind, sondern sich eher allgemein religiös orientieren. Doch gerade der Religionsunterricht bietet vielen Schülern die Möglichkeit zu einer Erstbegegnung mit dem Glauben, da dieser in vielen Familien kaum eine oder gar keine Rolle spielt. Sie können und müssen die Jugendlichen auf die „religiöse Dimension des Menschseins systematisch und professionell ansprechen“3.
2.1 Selbstwahrnehmung und Selbstverständnis von Religionslehrern
Gerd Birk sieht als entscheidend für einen guten Unterricht die Selbstwahrnehmung des Lehrers.4 Empfindet dieser sein eigenes Tun als sinnvoll und was motiviert ihn dazu? Ist jemand aus tiefster Überzeugung Lehrer und empfindet jeden Tag auf ein Neues Freude daran, so hilft ihm dies auch in schwierigen Situationen, wenn Zweifel auftauchen, ob dies überhaupt der richtige Beruf ist. Gerade Religionslehrer werden sich diese Frage des Öfteren im Laufe ihres Lebens stellen, wenn beispielsweise persönliche Glaubenskrisen, wie sie nach dem unerwarteten Tod einer nahestehenden Person oder zerbrochener Liebe leicht auftreten können, zu Selbstzweifeln und einer persönlichen Auseinandersetzung mit dem eigenen Glauben führen. Wie soll man jungen Menschen ein Leben mit Gott näherbringen, wenn man selbst nicht mehr davon überzeugt ist? Doch ein Problem, mit dem sich die Lehrer auseinandersetzen müssen, ist, dass sie selber nicht die Antworten auf alle Fragen kennen. Kann beispielsweise ein Mathematiklehrer anhand der Formeln und Rechenwege sicher sein, dass er die Schüler das Richtige unterrichtet, so muss sich der Religionslehrer - oft erst im Gespräch mit den Schülern - einer Antwort nähern und wird sich nicht sicher sein, dass diese weiterhilft. Hierzu muss er laut Birk eine gewisse Sympathie für die Schüler empfinden, sich auch kritisch mit seinen Ansichten und den Werten und Ansichten der jungen Menschen auseinandersetzen sowie offen für ein partnerschaftliches Gespräch sein. Er muss also eine besondere pädagogische Aufgabe erfüllen und Verantwortung zeigen. Viele Religionslehrer treibt ein innerer Drang an, eine „menschenwürdige, gesellschaftliche Zukunft der jungen Generation“5 zu schaffen und über den Lehrstoff hinaus den Schülern christliche Werte für ihre Lebensgestaltung zu vermitteln. Dies zeigt sich auch in der hohen Zahl an Vertrauenslehrern an Schulen, die Religion unterrichten und so ihre persönliche Hilfsbereitschaft zeigen und für ihr Selbstverständnis eintreten.6
Ziel der Religionslehrer sollte es sein, die Schüler zu einer kritischen Auseinandersetzung mit vielen Themen des Alltags zu bewegen, wie beispielsweise Respekt vor Anderen, Ausländerfeindlichkeit, Technik und Konsum, Toleranz und ihre Grenzen. Aber sie können sich nicht auf bereits Erreichtem ausruhen und müssen sich ständig viele neue Fragen stellen: Was will ich mit meinem Fach bewirken? Welchen Beitrag zur beruflichen Bildung will ich leisten? Welche Chancen sehe ich dafür? Wie sind die Akzeptanz und der Stellenwert meines Faches? Welches Image hat der RU an meiner Schule? Wie schätze ich meine eigene Kompetenz ein? Wodurch erhalte ich diese und wie kann ich sie erweitern?7
2.2 Erfahrungen von Religionslehrern
Ein häufiges Problem auf das Religionslehrer im Alltag treffen, ist, dass ihr Unterricht in ihren Augen zu wenig wertgeschätzt wird. Oftmals bekommt man von Kollegen und Bekannten zu hören, dass Religion ja nur ein ´ Laberfach ´ ist und man so ohne großen Aufwand Stunden bekommt und zudem wenig Vor- und Nachbereitung hat, geschweige denn Klausuren korrigieren muss. Die Tatsache, dass man - gerade im Religionsunterricht - des Öfteren auf die persönlichen Probleme und Schicksale der Schüler trifft und sich mit ihnen auseinandersetzt wird hierbei häufig außer Acht gelassen.8 Auch die Schüler haben wenig Verständnis für Religion in der Berufsschule, so berichtet z.B. Rainer Jungnitsch von verschiedenen Vorurteilen, die er oft zu hören bekommt: „Die Betriebe unserer Auszubildenden sehen das oft ähnlich [wie die Auszubildenden]: Religion in der Schule ist nutzlos und überflüssig. Die Jugendlichen sollen dort etwas Anständiges lernen - womit man was anfangen kann“9. Hinzu kommt, dass er bei seinen Schülern einen religi ö sen Analphabetismus beklagt in dem Sinne, dass die Schüler sich in religiösen Fragen überhaupt nicht auskennen und ein Religionsunterricht in religiöser Hinsicht nicht ausführbar ist. Muss er nun solchen Schülern von Gott erzählen, mit den Anforderungen der Kirche im Hinterkopf, so wird die Situation für ihn als Lehrer sehr kompliziert:
„Wenn der Papst mal wieder gegen die Kondome wettert, Holocaustleugner in die Kirche zurückgeholt [werden]… Da ist es nicht immer leicht, sich als Vertreter dieser Institution vor die jungen Leute zu stellen, wenn ständig negative Nachrichten mir die guten pädagogischen Absichten verhageln.“10
Bereits 1958 veröffentlichte die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland die Denkschrift Wort zur Schulfrage, in der sie forderte, dass „über Schule und Lehrer keinerlei kirchliche Bevormundung ausgeübt werden darf“11. Trotzdem fühlen sich auch heute noch viele Lehrer und gerade Studierende sowie Referendare durch Missio canonica und Vocatio unter Druck gesetzt. Von Schülern nach ihrer eigenen Meinung gefragt stehen sie oft vor dem Dilemma, dass diese von der kirchlichen Lehrmeinung abweichen kann. Besonders häufig tritt dieser Konflikt beispielsweise beim Thema Verhütung auf. Eine Lehrerin sagte mir dazu, sie könne doch nicht die Schüler anlügen, sondern müsse dringend zur Verhütung beim Geschlechtsverkehr raten. Hierbei ist es für die Lehrer sehr wichtig den Schülern gegenüber deutlich zu machen, dass man in diesem Punkt nicht der kirchlichen Lehrmeinung folgt, trotzdem kostet es gerade unerfahrene Berufsanfänger sehr viel Überwindung dazu Stellung zu beziehen. Auch sonst fällt es vielen Lehrern schwer, ständig als Vertreter der Kirche gesehen zu werden und die schnell persönlich werdenden Anfeindungen abzuwehren, wenn z.B. wieder ein Skandal veröffentlich wird und sie in der Klasse darauf angesprochen werden, wie es auch Reiner Jungnitsch beschreibt.
Stefan Wiesbrock vom Mentorat Köln befragte verschiedene Studierende und Referendare zum Thema „Wie fromm sollte ein/e Religionslehrer/in sein?“. In den Antworten der anonymen OnlineBefragung wird die Authentizität des Lehrers hervorgehoben. Er muss zu dem stehen, was er erzählt und sollte durchaus Kritik an der Kirche äußern, wenn er sie für angebracht hält. Sein Leben sollte aber auf ein tiefes Vertrauen zu Gott basieren:
„Um glaubhaft für einen Glauben einstehen zu können, sollte man ihn sich schon (zumindest zu gewissen Teilen) selbst zu eigen machen, denke ich. Fromm im engeren Sinne muss man dafür allerdings nicht sein; ein kritischer Umgang mit der eigenen Religion ist in meinen Augen sogar eine Voraussetzung.“12
„Ich kann mich auch auf Parties hemmungslos betrinken ;), rede offen über Sex und schreie laut herum, wenn ich lachen muss! Aber religiöse Themen berühren mich zu tiefst und ich singe gerne sonntags die alten Lieder aus dem Gotteslob! Es ist mit Sicherheit der Spagat zwischen einem modernen Menschen und einer konservativ-spirituellen Art, der beim [sic!] mir meistens gelingt. Ich denke, dass ich durch mein Bekenntnis aber auch durch meine sehr offene Lebensart der Kirche ein positives Gesicht geben kann und somit auch jungen Menschen in Glaubensfragen ein Stück weit Orientierung bieten kann.“13
Immer wieder bekommen RL zu hören, es ginge ihnen nur darum „Glaubensbekenntnisse einzuüben“14 oder die eigene religiöse Meinung zu verbreiten, was vielleicht in den 60er Jahren noch gegolten hat, mittlerweile in der Religionsdidaktik aber völlig überholt ist.
So ist es häufig ein Kampf gegen Vorurteile, der die Konzentration und den Spaß am eigentlichen Unterrichten mindert.
2.3 Wie sehen die Leute die Rolle des Religionslehrers?
Viele Menschen sehen es heute als wichtiger denn je an, dass ein Religionslehrer nicht nur seine Religion unterrichtet, sondern auch einen Beitrag zum interreligi ö sen Lernen leistet. In unserer heutigen Welt verschmelzen die Religionen immer mehr, da die Bevölkerung interkultureller wird und der eigene persönliche Glaube nicht mehr so vehement verfochten wird wie noch vor einigen Jahren. Für eine funktionierende und friedliche Gesellschaft ist es wichtig, dass jeder die Glaubensgrundsätze des Nachbarn kennt und respektiert und gerade hier bietet der Religionsunterricht eine große Chance, dieses Verständnis zu vermitteln, wozu aber Religionslehrer erst eigene Erfahrungen mit den anderen Religionen gemacht haben müssen.15
Bernd Schröder beschreibt in seinem Vortrag zum Wandel des Leitbildes der Religionslehrer die Rolle des Religionslehrers in der Moderne eher als die eines Religionsp ä dagogen denn als die eines Lehrers von religiöser Tradition. Aufgrund der Entwicklung der Gesellschaft wird das „Idealbild des Lehrers und der Lehrerin […] nicht länger über dessen Persönlichkeit und Frömmigkeit definiert, sondern über seine bzw. ihre Professionalität“16. Er sieht ein professionelles Auftreten und eine gute Ausbildung in didaktischer Hinsicht als wichtiger an, als den Glauben und die Persönlichkeit des Lehrers und diese Kompetenzvermittlung als Hauptaufgabe der Religionspädagogik in der heutigen Zeit.
Im gleichen Maße, in dem sich die Profile des Religionsunterrichts immer mehr verschieben, wächst aber auch in Teilen der Bevölkerung ein Unmut gegen diese Veränderungen. So treten Schwerpunkte wie Konzentration auf die Bibel oder Überführung von gelernten Sachverhalten in gottesdienstliche und liturgische Praxis (bspw. Gebet im Unterricht oder Gottesdienst in der Schule) immer mehr zurück und werden nicht mehr so häufig praktiziert, an vielen Schulen mittlerweile gar nicht mehr.17
Werden Schüler nach ihren Erwartungen an ihre Religionslehrer gefragt, so werden selten Inhalte genannt, sondern eher Sympathie und Antipathie, Markantes und Unbedeutendes, Anregendes und Frustrierendes. Die Schüler beschreiben eher Gefühle, Eigenarten und Empfindungen als didaktische Fertigkeiten. Der Faktor Mensch spielt demzufolge im Religionsunterricht eine sehr große Rolle, viel größer noch als in den meisten anderen Fächern, bei denen es eher um die Didaktik und somit das Lehrvermögen des Lehrers geht.18 Herbert Ulonska stellt fest, dass Schüler häufig ihren Religionslehrern einen Vertrauensvorschuss aufgrund der zu behandelnden Themen und der Unterrichtsatmosphäre gewähren. Sie sehen den Religionslehrer häufig als Vermittler in wichtigen Lebensfragen. „Der Religionslehrer soll eine Vertrauensperson sein und mit den Schülern über alle wichtigen Probleme des Lebens sprechen“19. Er muss also vor allem ein aufgeschlossener Mensch sein und Sinnorientierung und Lebenshilfe anbieten. Ebenso soll er gütig und geduldig sein, eine positive menschliche Ausstrahlung haben und auch abweichende Meinungen im Unterricht akzeptieren ohne die Schüler zu blamieren oder bloßzustellen. Eine weitere geforderte Eigenschaft ist, dass der Religionslehrer an das glauben soll, wovon er die Schüler überzeugen will. Gerade in diesem Punkt ergibt sich für Lehrer eine schwierige Situation, wie in Kapitel 1.1 bereits angesprochen, wenn er durch persönliche Glaubenskrisen in Selbstzweifel gerät. Schüler sprechen ihren Religionslehrern darüber hinaus große Kompetenz in ihrem Fachgebiet, aber auch in nicht-theologischen Wissensbereichen zu, wobei diese Fachkompetenz nicht zwangsläufig auch einen guten Lehrer ausmacht.
Werner Prawdzik stellte bereits 1974 vier verschiedene Schülererwartungen an ihre Religionslehrer fest:20
1.) Der Religionslehrer versteht es, auf die Fragen und Interessen der Schüler einzugehen.
2.) Der Religionslehrer ist ein freundlicher und humorvoller Mensch.
3.) Der Religionslehrer ist für alles Neue und Moderne aufgeschlossen.
4.) Der Religionslehrer weiß (nicht) immer alles besser als die Schüler.
Sein Fazit: Diese Punkte „charakterisieren den Religionslehrer nicht in erster Linie als Lehrer, sondern als Mitmenschen, als Vertrauensperson, als aufgeschlossene Persönlichkeit“21.
Diese Erwartungen haben bis heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren und entsprechen immer noch dem aktuellen Anspruch.
2.4 Der Religionslehrer als Vertrauensperson und Gesprächspartner
Die bereits genannte Rolle als Vertrauensperson ist eines der wichtigsten Merkmale von RL neben der eigentlichen Arbeit als Lehrer. Zum einen kann es, wie von Hilger/Ziebertz22 vermutet, an der persönlichen Einstellung vieler Religionslehrer liegen, die sich dazu berufen fühlen für andere einzutreten und ihnen zu helfen. Zum anderen haben aber auch viele Schüler eine gewisse Erwartungshaltung ihnen gegenüber. Sie wollen sich mit ihren Problemen an Erwachsene wenden, um diese um Rat und Hilfe zu bitten und finden diese Ansprechpartner dann häufig in Eltern, Trainern oder eben Lehrern. Diese Lehrer sind dann oft die Religionslehrer, die als eher von der Schule losgelöst gesehen werden und persönlicher wirken als andere Fachlehrer. Herbert Ulonska sieht vor allem vier erwartete Haltungsweisen in solchen Situationen. Die Vertrauensperson muss die Schüler ernst nehmen und als gleichwertig ansehen. Sie muss offen für die Welt und nicht weltfremd sein. Sie muss in der Lage sein eine Sprache zu sprechen, die die Schüler verstehen. Und zuletzt muss sie auf die Schüler hören und nicht immer alles besser wissen wollen. Bezogen auf den Religionslehrer muss dieser fortschrittlichen Unterricht erteilen, dem Modernen gegenüber aufgeschlossen sein und sich auch in nicht-theologischen Bereichen gut auskennen.23
Religionslehrer sind somit häufig mit Fragen zum Lebenssinn oder der Gestaltung des Lebens konfrontiert, die auf einem hohen Vertrauensverhältnis zu den Schülern basieren. Dieses Verhältnis korreliert in großem Maße mit ihrer Einsatzbereitschaft, sich auch außerhalb des Unterrichts für die Schüler zu engagieren und an ihrem Leben teilzuhaben. Wie bereits in Kapitel 1.3 aufgezeigt ist es daher unerlässlich, authentisch und glaubwürdig aufzutreten, um sich dieses Vertrauen überhaupt erst zu erarbeiten.
Damit die Schüler sich ermutigt fühlen, den Kontakt zum Lehrer als Vertrauensperson zu suchen und sich nicht mit ihren Problemen vor der Welt verschließen, muss der Lehrer ein guter Gespr ä chspartner sein. Auch für den Kommunikationsprozess im Unterricht muss er in der Lage sein „Gedanken, Gefühle, Meinungen mittels sprachlicher Symbole oder anderer Zeichen“24 auszutauschen bzw. den Austausch in der Klasse anzuregen. Um ein guter Gesprächspartner zu sein, reicht es nicht aus, dies nur im Unterricht zu pflegen, man muss sich auch außerhalb der Schule viel und engagiert unterhalten und den Kontakt zu anderen Menschen pflegen. Man muss Diskussionen mit verschiedenen Standpunkten zulassen und ernsthaft führen, es im Zweifel aber auch schaffen, sie auf den Kernpunkt zurückzuführen, wenn sie zu sehr vom eigentlichen Thema abschweifen.25
2.5 (Berufs-)Zufriedenheit der Lehrer?
Wie auch in vielen anderen Situationen führen viele Religionslehrer ihre eigene ursprüngliche Motivation, diesen Beruf zu ergreifen, auf ihre eigenen Lehrer zurück. Gerade in Universitätsseminaren bekommt man häufig Antworten wie die Folgende zu hören:
´Ich habe mich für Religion entschieden, weil meine Lehrerin in der Oberstufe so super war. Ich habe mich immer auf ihren Unterricht gefreut, weil sie die Themen sehr gut vermittelt hat und immer offen für alles war. So ein Lehrer will ich auch einmal werden. ´
Ein Problem, dem sich viele Lehrer ausgesetzt sehen, betrifft die veränderte Haltung von Kindern und Eltern den Lehrern gegenüber. Dies betrifft zwar vor allem Lehrer von „normalen“ Fächern wie Mathematik, Deutsch oder Englisch, aber auch Religionslehrer sehen sich diesem Problem immer häufiger ausgesetzt. Wurde früher das Kind in erster Linie als schuldig für schlechte Noten angesehen, kommt es heute immer häufiger vor, dass sich Eltern beim Lehrer beschweren oder sich direkt an den Schulleiter wenden. So erzählt beispielsweise Jan-Martin Klinge in seinem Blog26, dass er einen Schüler den Klassenraum fegen ließ, nachdem dieser maßgeblich zur Unordnung beigetragen hatte. Daraufhin verpasste der Junge seinen Bus und sofort rief die Mutter an und beschwerte sich beim Lehrer über die Maßnahme. So sinkt die Berufszufriedenheit und Motivation der Lehrer stetig, da ihnen der Rückhalt seitens der Eltern und auch des Schulleiters fehlt, der häufig versucht die problematische Situation von sich abzulenken und die Verantwortung an den betroffenen Lehrer weiterzureichen, anstatt sich für ihn einzusetzen. Ständig müssen sie sich verantworten und können sich somit auch weniger auf den eigentlichen Unterricht oder die Unterrichtsvorbereitung konzentrieren, da sie oft mit Elterngesprächen oder E-Mails beschäftigt sind.
Religionslehrer stehen in einem ständigen Konflikt in Bezug auf ihre Doppelrolle als Lehrer, der erziehen und fördern soll, andererseits aber als Beamter des Staates auch auslesen und Lebenschancen verteilen muss, indem er beurteilt und Noten verteilt. Diese Doppelrolle zu erfüllen ist im Grunde genommen unmöglich. Man versucht den Schülern als Lehrkraft etwas beizubringen und man unterrichtet Religion. Und gerade der Glaube, das Ziel von Religion, ist nicht lehrbar sondern nur empfangbar.27
„Glaube ist auf jeden Fall eine sehr wichtige Voraussetzung, um auch glaubwürdig Religion unterrichten zu können. Wie kann man sonst über Erfahrungen sprechen, die man selbst nicht gemacht hat?“28
Auch als eine Art Geschichtslehrer sehen sich viele Religionslehrer, da ein großer Teil unserer Kultur und Gesellschaft auf den „lebensnahen Figuren und Erzählungen der Bibel“29 beruht und zumindest eine Grundkenntnis dieser Vorgänge für das Verständnis von Kunst und Geschichte unerlässlich ist. So kommt zu dem eigentlichen Fach noch die zu vermittelnde Geschichte unserer Kultur hinzu.
Sylvia Hügel berichtet von großen Problemen, wenn sie den Religionsunterricht beispielsweise auf Elternabenden vorstellen soll. „Mehrheitlich besitzen die Familien […] keine eigene religiöse Sozialisation, aber durchaus eine Haltung zu Religion“30. In solchen Fällen den Sinn und Nutzen eines, in ihrem Fall in Sachsen-Anhalt, Wahlpflichtfaches zu erklären, ist sehr schwierig und nervenaufreibend. Auch von Kollegen kommen öfters kritische Nachfragen, warum konfessionslose Schüler denn an ihrem evangelischen und nicht an dem katholischen Religionsunterricht teilnehmen sollten, in beiden Fächern ginge es doch um christliche Religion.31
3. Die Habitustheorie nach Pierre Bourdieu
3.1 Kurzbiographie Pierre Bourdieu
Pierre Bourdieu wurde am 1. August 1930 als einziges Kind von Albert und Noémie Bourdieu in Denguin in Frankreich geboren. Sein Vater war ein Bauernsohn und wurde später Postbeamter, seine Mutter war Hausfrau. Zusammen mit seiner Frau Marie-Claire Brizard, mit der er von 1962 bis 1983 verheiratet war, hatte er drei Kinder. Er starb am 23. Januar 2002 in Paris.
Nach dem Besuch der Dorfschule in Denguin besuchte er ab 1941 das Lycée (Gymnasium) in Pau, Denguin und ab 1948 das Lycée Louis le Grand in Paris, das ihm zur Vorbereitung seines Eintritts in die Lehrerausbildung diente. Ab 1951 studierte er an der École Nationale Supérieure Philosophie, wo er 1954 als Jahrgangsbester abschloss.
Von 1955 bis 1958 leistete er Militärdienst in Algerien, einem Land das ihn nicht mehr losließ. Ab 1958 wurde er dort Forschungsprofessor und unternahm Feldforschungen zur Kultur der Berber. Gleichzeitig unterrichtete er Philosophie an der Universität Algiers. Hier entwickelte er auch seine ersten Arbeiten zum Habitus-Begriff, während der die Berber beobachtete. Ab 1960 übernahm er eine Assistenzprofessur der philosophischen Fakultät an der Sorbonne und war von 1961 bis 1964 Dozent für Soziologie an der Universität Lille, bevor er von 1964 bis 1984 Directeur d´études (Studiendirektor) an der École de Hautes Sciences Sociales in Paris wurde. Von 1985 bis 2002 war er Direktor für das Centre de sociologie européenne am Collège de France und École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.
Er engagierte sich stark für die Arbeiterbewegungen und Gewerkschaften, unterstützte die Arbeitslosenbewegung und ist eines der Gründungsmitglieder der globalisierungskritischen Nichtregierungsorganisation attac (association pour une taxation des transactions financières pour l'aide aux citoyens). Neben mehreren Ehrendoktorwürden, wie beispielsweise der FU Berlin oder der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt erhielt er auch zahlreiche Auszeichnungen wie die Huxley-Medaille des Königlichen Anthropologischen Instituts London.
3.2 Definition Habitus
Der Begriff Habitus bezeichnet nach Bourdieu die Grundhaltung des Menschen zu sich selbst und zu der Welt. Es sind die Denk- und Verhaltensstrukturen, die einen Menschen und seine Möglichkeiten und Grenzen seines Denkens bestimmen und definieren. In seinem Buch „Entwurf einer Theorie der Praxis“ nennt Bourdieu es eine „Theorie der praktischen Erkenntnis der sozialen Welt“.32 Diese Theorie ist jedoch sehr variabel und Bourdieu lässt sich den Spielraum, neue Kategorien hinzuzufügen oder bestehende zu ergänzen, wo ihm dies notwendig erscheint.
Mehrere Habitusformen definiert Bourdieu als „Systeme dauerhafter Dispositionen, strukturierte Strukturen, die geeignet sind, als strukturierende Strukturen zu wirken, mit anderen Worten: als Erzeugungs- und Strukturierungsprinzip von Praxisformen und Repräsentationen“.33
In der Soziologie und Philosophie ist dieser Begriff schon lange bekannt und gebräuchlich, für die Theologie wurde er aber erst durch Bourdieu wichtig. Dieser sah ihn als eine Abkehr von der Vorstellung eines sozialen Handelns, das aus dem Befolgen von Regeln entsteht.
[...]
1 Vgl. zur Nieden, 1997, S. 38
2 Vgl. Lindner, 2009, S. 134f
3 Ebd., S. 135
4 Vgl. Birk, Zum Selbstverständnis der Religionslehrerinnen und Religionslehrer, 1997, S. 43f
5 Birk, Zum Selbstverständnis der Religionslehrerinnen und Religionslehrer, 1997, S. 43
6 Vgl. Hilger & Ziebertz, 1993, S. 14-27
7 Vgl. zur Nieden, 1997, S. 38f
8 Vgl. Siebel & Trümmer, Perspektiven von Lehrerinnen und Lehrern, 1997, S. 30
9 Jungnitsch, Religionslehrer/in sein - Ein unmöglicher Job?, 2009, S. 1
10 Ebd., S. 2
11 Wort der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Schulfrage, 1958
12 Wiesbrock, 2009, S. 6, Hervorhebungen im Original.
13 Wiesbrock, 2009, S. 20
14 Jungnitsch, Kampfplatz Religionsunterricht, 2009, S. 2
15 Vgl. Schröder, Interreligiöses Gespräch, 2009, S. 19ff
16 Schröder, Religionslehrer(leit)bild, 2009, S. 138
17 Vgl. ebd., S. 141
18 Vgl. Ulonska, 1982, S. 81ff
19 Ulonska, 1982, S. 84
20 Vgl. Prawdzik, 1974, S. 169
21 Prawdzik, 1974, S. 172
22 Vgl. Hilger & Ziebertz, 1993, S. 14-27
23 Vgl. Ulonska, 1982, S. 89f
24 Ebd., 1982, S. 91
25 Vgl. ebd., S. 81-96
26 Vgl. Klinge, 2014
27 Vgl. Jungnitsch, Religionslehrer/in sein - Ein unmöglicher Job?, 2009
28 Wiesbrock, 2009, S. 4
29 Jungnitsch, Kampfplatz Religionsunterricht, 2009, S. 1
30 Hügel, 2013, S. 146
31 Vgl. ebd., S. 146-149
32 Bourdieu, Theorie der Praxis, 1976, S. 148
33 Ebd., S. 167
- Citar trabajo
- Tobias Crump (Autor), 2014, Über den Habitus des Religionslehrers am Berufskolleg, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/302063
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