Es ist bereits eine zentrale Aufgabe der Grundschule, die Kinder an das selbständige Lernen heranzuführen und so ist auch in den Lehrplänen der Grundsatz des selbständigen Lernens fest verankert. Beispielsweise im Rahmenplan Sachunterricht liest man: „[...] Es werden arbeitsmethodische und arbeitstechnische Fähigkeiten entwickelt, die der zunehmend selbstständigen Erschließung der Wirklichkeit, dem Erwerb und der Strukturierung des Wissens, der Wissensvernetzung und -anwendung dienen.“
Im Schuljahr 2002/2003 war ich als Referendarin an einer Grundschule in Hamburg-Wandsbek. Dort habe ich 2 Stunden Sachunterricht pro Woche in einer zweiten Klasse unterrichtet. Die Klasse 2a war bisher fast ausschließlich lehrerzentrierten Unterricht gewohnt, der wenig Möglichkeiten für das selbstbestimmte Lernen ließ. Dies wurde für mich besonders deutlich, als ich im Rahmen einer Unterrichtseinheit Gruppenarbeit einführte. Dennoch fand sich die Klasse erstaunlich schnell in diese neue Arbeitsform ein und machte in kurzer Zeit große Fortschritte im Hinblick auf das eigenständige Erarbeiten von Unterrichtsinhalten. Dies bestärkte mich, das selbständige Lernen noch stärker zu fördern. So wollte ich eine Unterrichtsmethode ausprobieren, die sowohl das Lernen in der Gruppe weiter entwickelt, als auch zusätzlich das selbständige Lernen in Einzel- und Partnerarbeit anbahnt. Ich entschied mich für die Stationenarbeit, da man bei dieser Methode je nach Vorerfahrung der Schüler mit dem selbständigen Lernen die Anteile von Offenheit und Geschlossenheit variieren kann. Außerdem bietet diese Methode neben ihrem offenen Charakter sehr klare Strukturen, an denen sich auch Lerngruppen mit geringer Vorerfahrung mit offenen Unterrichtsformen gut orientieren können.
Der Sachunterrichtsplan der Schule sah in diesem Schuljahr zudem das Thema „Sinne“ vor und es erschien mir sehr geeignet, um dazu eine Stationenarbeit zu entwickeln. Ein Thema, bei dem jeder Schüler seine eigenen Sinne auch erfahren soll und dafür eine sehr individuelle Zeitspanne benötigt, also eine offene Form des Unterrichts von Vorteil ist. So erarbeitete ich eine Stationenarbeit, wie sie mir für meine Lerngruppe geeignet erschien.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Zum Begriff „Selbständigkeit“
2.2 Die Methode „Stationenarbeit“
3 Ziele des Unterrichtsversuchs
4 Planung des Unterrichtsversuchs
4.1 Lerngruppenbeschreibung
4.2 Didaktisch-methodische Überlegungen
4.2.1 Auswahl der Methode der Stationenarbeit
4.2.2 Auswahl des Themas und der Lehrplanbezug
4.2.3 Sachanalyse
4.2.4 Die Auswahl der Lernangebote
4.2.5 Der Aufbau der Stationen
4.2.6 Zum Unterrichtsablauf
5 Darstellung und Reflexion ausgewählter Unterrichtsteile
5.1 Die erste Arbeitsphase an den Stationen
5.1.1 Auswertung
5.2 Die Kontrolle durch die Experten
5.2.1 Auswertung
5.3 Ergebnissicherung im Abschlussgespräch
5.3.1 Auswertung
6 Schlussbetrachtung und Ausblick
7 Literaturverzeichnis
8 Anhang
8.1 Die Stationen im Überblick
8.2 Beispiel für eine Stationenkarte
8.3 Beispiele für die Arbeitsaufträge
8.4 Auszüge aus den Beobachtungs- und Gesprächsprotokollen, die zur Reflexion der Unterrichtseinheit verwendet wurden
9 Erklärung
1 Einleitung
„[...] Weil Sachwissen durch den wissenschaftlichen Fortschritt schnell veraltet, hängt die Selbständigkeit des mündigen Menschen weitgehend davon ab,
inwieweit er fähig zur Selbsterschließung neuen Wissens ist. [...]“
(Rombach 1977, S. 133)
Es ist bereits eine zentrale Aufgabe der Grundschule, die Kinder an das selbständige Lernen heranzuführen und so ist auch in den Lehrplänen der Grundsatz des selbständigen Lernens fest verankert. Beispielsweise im Rahmenplan Sachunterricht liest man: „ [...] Es werden arbeitsmethodische und arbeitstechnische Fähigkeiten entwickelt, die der zunehmend selbstständigen Erschließung der Wirklichkeit, dem Erwerb und der Strukturierung des Wissens, der Wissensvernetzung und -anwendung dienen.“ (Freie und Hansestadt Hamburg (Hrsg.) (2003), S. 7)
Im Schuljahr 2002/2003 war ich als Referendarin an einer Grundschule in Hamburg-Wandsbek. Dort habe ich 2 Stunden Sachunterricht pro Woche in einer zweiten Klasse unterrichtet. Die Klasse 2a war bisher fast ausschließlich lehrerzentrierten Unterricht gewohnt, der wenig Möglichkeiten für das selbstbestimmte Lernen ließ. Dies wurde für mich besonders deutlich, als ich im Rahmen einer Unterrichtseinheit Gruppenarbeit einführte. Dennoch fand sich die Klasse erstaunlich schnell in diese neue Arbeitsform ein und machte in kurzer Zeit große Fortschritte im Hinblick auf das eigenständige Erarbeiten von Unterrichtsinhalten. Dies bestärkte mich, das selbständige Lernen noch stärker zu fördern. So wollte ich eine Unterrichtsmethode ausprobieren, die sowohl das Lernen in der Gruppe weiter entwickelt, als auch zusätzlich das selbständige Lernen in Einzel- und Partnerarbeit anbahnt. Ich entschied mich für die Stationenarbeit, da man bei dieser Methode je nach Vorerfahrung der Schüler[1] mit dem selbständigen Lernen die Anteile von Offenheit und Geschlossenheit variieren kann. Außerdem bietet diese Methode neben ihrem offenen Charakter sehr klare Strukturen, an denen sich auch Lerngruppen mit geringer Vorerfahrung mit offenen Unterrichtsformen gut orientieren können.
Der Sachunterrichtsplan der Schule sah in diesem Schuljahr zudem das Thema „Sinne“ vor und es erschien mir sehr geeignet, um dazu eine Stationenarbeit zu entwickeln. Ein Thema, bei dem jeder Schüler seine eigenen Sinne auch erfahren soll und dafür eine sehr individuelle Zeitspanne benötigt, also eine offene Form des Unterrichts von Vorteil ist. So erarbeitete ich eine Stationenarbeit, wie sie mir für meine Lerngruppe geeignet erschien.
Ich war gespannt, inwieweit eine mit offenen Unterrichtsformen relativ unerfahrene Klasse mit meiner Umsetzung der Stationenarbeit befähigt wird, das selbständige Lernen anzubahnen. Daraus ergab sich dann auch die Leitfrage dieser Arbeit: „Kann das selbständige Lernen mit der von mir ausgearbeiteten Stationenarbeit in dieser Lerngruppe angebahnt werden?“
Um dieser Frage nachzugehen, ist die vorliegende Arbeit folgendermaßen aufgebaut: Im nachfolgenden Kapitel „Theoretische Grundlagen“ werde ich zunächst auf den Begriff „Selbständigkeit“ eingehen, um die für diese Arbeit relevanten Aspekte dieses recht komplexen Begriffs herauszuarbeiten. Anschließend werde die Methode der Stationenarbeit vorstellen, um darzulegen, auf welcher Grundlage ich meine Form der Stationenarbeit entwickelt habe. Im darauf folgenden Kapitel beschreibe und begründe ich die Reflexionskriterien, mit deren Hilfe ich die Leitfrage beantworten werde. Im Kapitel „Planung des Unterrichts“ beschreibe ich zunächst die Lerngruppe. Im Unterkapitel „Didaktisch-methodische Überlegungen“ begründe ich die Auswahl des Themas und der Methode „Stationenarbeit“. Ebenso folgt eine kurze Sachanalyse und eine Begründung und Beschreibung der ausgewählten Lerninhalte. Auch die Beschreibung des Aufbaus der Stationen im Klassenraum sowie des Unterrichtsverlaufs finden sich in diesem Kapitel. Im nachfolgenden Abschnitt „Darstellung und Reflexion ausgewählter Unterrichtsteile“ werte ich den Unterrichtsversuch anhand der Leitfrage und den daraus entwickelten Reflexionskriterien aus. Am Ende der Arbeit werde ich die Ergebnisse kurz zusammenfassen und einen Ausblick auf den möglichen weiteren Einsatz der Stationenarbeit in dieser und in einer anderen Lerngruppe geben.
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Zum Begriff „Selbständigkeit“
Im Wortsinn bedeutet Selbständigkeit: ohne fremde Hilfe stehen können. In einem pädagogischen Wörterbuch findet man z. B. die folgende Definition: „Als Selbständigkeit werden die Fähigkeit und das Bestreben bezeichnet, in unterschiedlichen Situationen den Bedingungen entsprechende Entscheidungen zu treffen und ohne fremde Hilfe zu handeln“ (Laabs (Hrsg.) 1987, S. 343). Vettiger (1979) erweitert diese Definition um den Begriff der Verantwortlichkeit. Für ihn drückt Selbständigkeit zusätzlich die Fähigkeit aus, „[...] Entschlüsse in eigener Verantwortung zu fassen, danach zu handeln und für sein Tun einzustehen“ (Vettiger 1979, S. 171).
Die Schule ist ein Ort, an dem Selbständigkeit gelernt werden soll, ganz besonders im Hinblick auf die Fähigkeit, sich selbständig Wissen anzueignen. Das bereits in der Einleitung erwähnte Zitat „Weil Sachwissen durch den wissenschaftlichen Fortschritt schnell veraltet, hängt die Selbständigkeit des mündigen Menschen weitgehend davon ab, inwieweit er fähig zur Selbsterschließung neuen Wissens ist. [...]“ (Rombach 1977, S. 133) fordert indirekt auch von der Schule, die Schüler zu befähigen, ihre Lernprozesse selbständig und unabhängig vom Lehrer zu organisieren. Natürlich ist dies ein langer Prozess, jedoch müssen die Schüler dafür von Anfang an schrittweise und kontinuierlich die notwendigen Voraussetzungen und Arbeitstechniken lernen, damit sie ihr Lernen nach und nach selbst in die Hand nehmen können. Bereits in der Grundschule sehen auch die Beurteilungskriterien in den Rahmenplänen vor, die Leistung eines Schülers unter anderem danach zu beurteilen, inwieweit er die eigene Arbeit organisieren kann und wie selbständig er bei der Ausführung von Arbeitsaufträgen ist[2].
Vettiger (1979) spricht sich dafür aus, die Erziehung zur Selbständigkeit im Bereich der Schule am Kriterium zu messen, ob die Selbstbestimmung der Schüler gefördert und die Fremdbestimmung durch den Lehrer abgebaut wird und die Schüler am Ende ihrer Schulzeit in der Lage sind, ihre Lernprozesse selbständig zu organisieren. Unter der Selbstorganisation von Lernprozessen versteht er eine ständige aktive Aneignung von Zielen, Inhalten, Organisations- und Evaluationsformen, sowie den freien Zugang zu allen notwendigen Hilfsmitteln. Dies ist meiner Meinung nach bereits ein Idealzustand, den jeder Schüler bis zum Ende seiner Schulzeit erreichen sollte. So möchte ich in meinem Unterrichtsversuch auf dieses Ziel hinarbeiten, bin mir aber bewusst, dass es sich jedoch nur um eine Anbahnung von diesen Fähigkeiten handeln kann, die in den weiteren Schuljahren immer weiter ausgebaut werden müssen. Entscheidend für den Erfolg der Erziehung zur Selbständigkeit ist, dass den Schülern im Laufe ihrer Schulzeit fortlaufend die Möglichkeit gegeben wird, auf diese Ziele hinzuarbeiten. Dazu muss der Unterricht dementsprechend gestaltet werden.
Bereits in den Reformbestrebungen der Arbeitsschulbewegung wurde die Selbständigkeit durch eine größtmögliche Selbsttätigkeit zu erreichen versucht. Schon Gaudig (1930) forderte die Selbsttätigkeit als beherrschendes Prinzip im gesamten Unterricht. Er wies aber auch darauf hin, dass es einer „planmäßigen [Hervorhebung durch die Autorin] Erziehung zur Selbsttätigkeit bedarf, damit immer schwierigere Arbeitsleistungen in selbsttätiger Wirksamkeit von den Schülern bewältigt werden können“ (Gaudig 1930, zit. nach Reble 1963, S. 77f.). Zum Teil werden die Begriffe „Selbsttätigkeit“ und „Selbständigkeit“ in fachsprachlichen Kontexten auch synonym verwendet[3].
Brenner (1983) grenzt diese Begriffe voneinander ab und sieht in der Selbsttätigkeit ein Mittel zur Selbständigkeit. Für ihn hat der Lerner eine Kompetenz erreicht, die als Selbständigkeit bezeichnet werden kann, wenn die Fähigkeit zu eigenverantwortlicher Lernorganisation so weit entfaltet ist, dass er nicht mehr der „Fremdaufforderung zur Selbsttätigkeit“ (Brenner 1983, S. 295) bedarf. Dies anzubahnen erfordert jedoch eine Methode, die Selbsttätigkeit ohne Aufforderung ermöglicht und daher zwangsläufig auch eine dem traditionellen Unterricht gegenüber veränderte Lehrerrolle beinhaltet. Auch Meyer (1987) weist auf die Rolle des Lehrers bei dem Prozess der zunehmenden Selbständigkeit hin. Seiner Meinung nach muss der Lehrer die Voraussetzungen und den Rahmen schaffen, mit denen der Schüler befähigt wird, durch Selbsttätigkeit seine Selbständigkeit zu entwickeln. Dazu seien Handlungssituationen zu schaffen, die zur Selbsttätigkeit anregen. Wichtig sei in diesem Zusammenhang auch die Anleitung der Schüler zur Reflektion ihres eigenen Tuns. Hierzu regt Meyer (1987) an, die Schüler beispielsweise häufig zu Gruppen- und Partnerarbeit herauszufordern, ihre Arbeitsergebnisse vorstellen zu lassen oder über Lernschwierigkeiten und Lernerfolge berichten zu lassen.
Eine Methode, die meiner Meinung nach die aufgezeigten Wege zur Selbständigkeit ermöglichen kann, ist die Stationenarbeit.
2.2 Die Methode „Stationenarbeit“
Die Stationenarbeit hat heutzutage viele Namen, wie z. B. „Lernen an Stationen“, „Lernzirkel“, „Übungszirkel“ oder „Unterrichtszirkel“. Die Idee geht auf eine Arbeitsform von Helen Parkhust zurück[4], die 1920 in Anlehnung an Maria Montessori eine Unterrichtsform entwickelte, die es ihr ermöglichen sollte, Schüler unterschiedlicher Altersgruppen gemeinsam zu unterrichten. 1953 entwickelten Morgan und Adamson das „circuit training“ für den Sportbereich, bei dem die Sportler verschiedene Übungsstationen durchlaufen mussten. Erst später wurde die Stationenarbeit auf andere Fächer übertragen und ständig weiter entwickelt.
In Abgrenzung zum Werkstattunterricht wird in der Stationenarbeit an einem klar umrissenen Themenbereich gearbeitet. Aufgaben mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten sind dabei auf mehrere Stationen verteilt[5]. Für die Übersicht und Orientierung sind die Stationen nummeriert. An jeder Station liegt das gesamte Arbeitsmaterial bereit, das zur Bearbeitung dieser Aufgabe nötig ist. Die Station ist so eingerichtet, dass ohne die Anleitung des Lehrers gearbeitet werden kann. Die Materialien sollten einen hohen Aufforderungscharakter haben und methodisch abwechslungsreich sein, zudem auch unterschiedliche Lernwege und innere Differenzierung ermöglichen. Die Aufgaben sollten außerdem verschiedene Sozialformen, wie Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit fordern und ermöglichen. Das Arbeitstempo bestimmt jeder Schüler selbst, angefangene Stationen müssen jedoch beendet werden. Falls ein Schüler am Ende einer Stunde mit einer Station noch nicht fertig ist, kann er diese in der nachfolgenden Stunde weiter bearbeiten. Die Bearbeitung einer Station sollte innerhalb von ungefähr 20 Minuten möglich sein. Die Schüler haben je nach Öffnungsgrad dieser Methode die Entscheidungsfreiheit über Reihenfolge, Dauer, Partner und Auswahl der Stationen. Bearbeitete Stationen werden auf einem Laufpass notiert. Außerdem sollten die Schüler so häufig wie möglich in die Lage versetzt werden, die Ergebnisse selbständig zu kontrollieren. Lediglich einzelne Stationen sollten vom Lehrer überprüft werden.
Die Anzahl und Art der Stationen ergibt sich aus der didaktischen Intention des Lehrers. Bauer (1997) unterscheidet vier Arten der Stationenarbeit, die jeweils einen anderen Ansatz verfolgen: Durch die Stationenarbeit kann entweder geübt, vertiefend bearbeitet, selbständig erarbeitet oder können Schulbuchseiten und andere Medien aufgearbeitet werden Da sich das Thema „Sinne“ für forschenden und entdeckenden Unterricht eignet, bei dem sich die Schüler über Arbeitsangebote an den Stationen das Thema neu erarbeiteten, verfolge ich bei meiner Stationenarbeit den Ansatz des selbständigen Erarbeitens.
Die Stationenarbeit kann in die folgenden Phasen gegliedert werden, die je nach Intention des Lehrers unterschiedlich stark gewichtet werden können:
Zunächst erfolgt eine Einführungsphase, in der die Schüler auf die Thematik der Stationenarbeit eingestimmt und für die Arbeit an den Stationen motiviert werden[6]. Dieses kann durch eine Wiederholung des vorangegangenen Arbeitsschwerpunktes geschehen, durch eine Problemstellung oder durch ein von den Materialien ausgehender Impuls. In der ersten Stunde werden in einer nächsten Phase die Stationen vorgestellt und der Arbeitsablauf erklärt. In dieser Phase sollen die Schüler Sicherheit und Selbstvertrauen für die Arbeit gewinnen. Anschließend erfolgt die Arbeit an den Stationen, bei der die Schüler eigenverantwortlich arbeiten und die Lehrkraft nur noch Beobachter und Berater ist. Am Ende jeder Stationenarbeit steht das Schlussgespräch, bei dem einzelne thematische Aspekte aufgegriffen, Ergebnisse präsentiert und das Lernen reflektiert werden. Hier werden auch eventuelle Schwierigkeiten thematisiert und gemeinsam Lösungen gefunden.
Hegele (1997) macht deutlich, dass dieser Wechsel von offenen und gelenkten Phasen notwendig ist, um Selbständigkeit und Handlungsfähigkeit zu entwickeln. Sie sieht in dem wechselnden Spiel mit Offenheit und Geschlossenheit keinen Gegensatz, sondern unterschiedliche Grade von Lenkung und Freisetzung, die die nötige Anleitung und Hilfe zur Selbständigkeit geben. Diese Phasen werden vom Lehrer je nach Voraussetzungen bei den Schülern, dem Unterrichtsgegenstand und anderer Faktoren gewichtet und gestaltet. So sieht Hegele (1997) in der Stationenarbeit eine Methode, die eher zwischen offenem und geschlossenem Unterricht zu suchen ist und die Lerninhalte und Lernziele noch stark verbindet. Dadurch sei diese Methode auch für Klassen geeignet, die eher traditionell unterrichtet worden sind. Ihrer Meinung nach biete diese Methode Selbständigkeit, ohne dass die Schüler damit überfordert wären.
Bauer (1997) sieht in der Stationenarbeit ebenfalls einen guten Weg, die Schüler in mehr Selbständigkeit zu begleiten, da es das Ziel der Stationenarbeit sei, das selbständige Handeln und Lernen bei jedem Kind optimal zu fördern. Die Schüler müssen sich nicht nur dafür entscheiden, etwas zu tun, sie müssen auch aktiv eine Arbeit wählen. Dabei entscheiden sie Auswahl und Abfolge der Aufgaben. Durch das Helfersystem bringen sie für sich gegenseitig Zeit und Hilfe auf und lösen auftretende Schwierigkeiten selbständig.
Wallaschek (1991) sieht in der Stationenarbeit eine Möglichkeit, den Schülern fast spielerisch Arbeitstechniken und Arbeitsformen zu vermitteln, die sie dazu befähigen, individuelle Arbeits- und Lernstrategien zu entwickeln und damit selbständiger lernen zu können.
Die Stationenarbeit bringt auch eine gegenüber dem traditionellen Unterricht veränderte Lehrerrolle mit sich[7]: Durch die Aufgaben an den Stationen setzen sich die Schüler direkt mit den Unterrichtsinhalten auseinander, d. h. der Lehrer gibt seine zentrale Anweisungsrolle auf und tritt in den Hintergrund. Er kann nun nicht mehr jederzeit alles kontrollieren und eingreifen oder weitere Erklärungen abgeben. Seine zentrale Rolle ist das Vorbereiten und Aufarbeiten des Unterrichtsstoffes und die Organisation des Unterrichts. Er ist der Initiator und Moderator von Lernprozessen, aber seine Haupttätigkeiten im Unterricht sind das Beraten und das Beobachten. Sein Redeanteil wird erheblich gesenkt und beschränkt sich hauptsächlich auf Gespräche mit einzelnen Kindern.
3 Ziele des Unterrichtsversuchs
Die Ziele meines Unterrichtsversuch sind gleichzeitig die Kriterien, mit deren Hilfe ich die Leitfrage „Kann das selbständige Lernen mit der von mir ausgearbeiteten Stationenarbeit in dieser Lerngruppe angebahnt werden?“ beantworten möchte. Denn nur mit dem Erreichen dieser Ziele kann diese Frage positiv beantwortet werden. In diesem Kapitel möchte ich nun unter Berücksichtigung des erarbeiteten theoretischen Hintergrunds die Ziele meines Unterrichtsversuchs beschreiben.
Die Voraussetzung für die Beantwortung der Leitfrage anhand von Kriterien ist, dass man mit Hilfe dieser Kriterien die Selbständigkeit der Lerngruppe messen und damit bewerten kann. Die von Vettiger erwähnten Kriterien zur Bewertung der Selbstorganisation von Lernprozessen (Siehe S. 6) sind meiner Meinung nach für diese Lerngruppe zu hoch gegriffen, da sie bereits das zu erreichende Ziel am Ende der Schulzeit beschreiben. So waren die Kriterien für diese Lerngruppe im Anspruch herunterzuschrauben und zudem für diese Stationenarbeit zu präzisieren. Des weiteren wollte ich auch die Beurteilungskriterien des Rahmenplans Sachunterricht[8], als Grundlage für alle Lernprozesse in diesem Fach, nicht außer Acht lassen.
So kann die Frage „Kann das selbständige Lernen mit der von mir ausgearbeiteten Stationenarbeit in dieser Lerngruppe angebahnt werden?“ bejaht werden, wenn die Schüler im Verlauf des Unterrichtsversuchs
- ihre eigene Arbeit organisieren können,
- die Arbeitsaufträge selbständig ausführen können und
- an den Stationen die jeweiligen Lernziele erreichen.
„Ihre Arbeit organisieren können“ heißt für diese Lerngruppe,
- dass sie den Aufbau und die Struktur der Stationenarbeit verstehen und für das selbständige Arbeiten nutzen,
- dass sie in der Lage sind, sich eine Aufgabe zu suchen,
- dass sie sich für die Partner- und Gruppenaufgaben einen Partner suchen,
- dass sie sich mit Hilfe des angebotenen Materials ihren Arbeitsplatz einrichten.
„Die Arbeitsaufträge selbständig ausführen zu können“ heißt für diese Lerngruppe,
- dass sie die Arbeitsaufträge lesen und verstehen,
- dass sie die Aufgaben den Arbeitsaufträgen entsprechend bearbeiten,
- dass sie bei Schwierigkeiten das Expertensystem nutzen,
- dass sie selbst entscheiden, wann eine Aufgabe ausreichend bearbeitet ist,
- dass die Kontrolle der Arbeitsergebnisse untereinander mit Hilfe des Expertensystems erfolgt.
Des Weiteren muss das dritte Kriterium sein, dass die Schüler die Lernziele an den jeweiligen Stationen erreichen, denn es geht im Bereich von Unterricht auch immer um die Aneignung von Wissen und Fähigkeiten - in diesem Fall durch eine möglichst hohe Selbständigkeit der Schüler. So muss die von mir ausgearbeitete Stationenarbeit auch dem Kriterium standhalten, ob sie eine geeignete Methode ist, um die an den Stationen gesteckten Lernziele zu erreichen.
4 Planung des Unterrichtsversuchs
4.1 Lerngruppenbeschreibung
Bei der Klasse 2a handelt es sich um eine freundliche und begeisterungsfähige Klasse, in der eine sehr gute Klassengemeinschaft herrscht. Sie besteht aus 25 Schülern, darunter 14 Jungen und 11 Mädchen. Wie anfänglich erwähnt, wurde diese Klasse bisher hauptsächlich frontal unterrichtet, wobei Aufgaben und der Zeitrahmen für diese von der Lehrkraft meist vorgegeben wurden. Obwohl die Schüler an Gruppentischen sitzen, war Gruppenarbeit eine seltene Ausnahme. Als ich vor dem Unterrichtsversuch regelmäßige Gruppenarbeit einführte, fiel es den Schülern sichtlich schwer, die Arbeit zu organisieren, selbständig zu arbeiten und ein gemeinsames Ergebnis hervorzubringen. Außerdem fiel mir auf, dass die Klasse bei auftauchenden Fragen und Schwierigkeiten sehr auf die Lehrperson fixiert ist und wenig untereinander zu helfen und zu lösen versucht. Auch Partnerarbeit war der Klasse zwar bekannt, wurde aber nur sehr selten gefordert. Die Methode der Stationenarbeit war der Klasse bisher unbekannt. Auch das Thema Sinne war zum ersten Mal Unterrichtsgegenstand in dieser Klasse, sodass ich davon ausgehen musste, dass die meisten Schüler hier kein oder nur wenig Vorwissen mitbringen würden.
Bei den folgenden drei Kindern war ich besonders gespannt, wie sie mit dieser neuen Unterrichtsform zurechtkommen würden:
Jerom[9] gehört zu den leistungsstärksten Schülern dieser Klasse und zeigt auch eine hohe soziale Kompetenz im Umgang mit den anderen Schülern. Er kann sowohl sehr selbständig alleine, als auch mit Anderen gut zusammen arbeiten und hilft seinen Klassenkameraden gerne und geschickt. Er hat gerade im Bereich des Sachunterrichts ein großes Vorwissen. Er liest ungewöhnlich viele Sachbücher und arbeitet zudem zügig und gründlich, sodass man für ihn immer weitere Aufgaben parat halten muss. Ich vermute, dass er sich ohne Probleme auf die Stationenarbeit einstellen und sehr selbständig an die Aufgaben herangehen wird. Für ihn erhoffe ich mir von der Stationenarbeit, dass er seine Selbständigkeit noch weiter ausbauen und so die Unterrichtszeit noch effektiver für sich nutzen kann.
Marcio gehört zu den leistungsschwachen Kindern dieser Klasse. Er kann sich nur schwer konzentrieren und das Lesen und Schreiben bereiten ihm große Schwierigkeiten. Es fällt ihm schwer, mit der Bearbeitung einer Aufgabe zu beginnen und er benötigt auch zwischendurch immer wieder Hilfe und Motivation durch die Lehrkraft. Er wird die 2. Klasse vermutlich wiederholen müssen. Da Marcio klare Regeln und Strukturen beim Lernen helfen und er damit gut umgehen kann, hoffe ich, dass für ihn der organisatorische Rahmen der Stationenarbeit eine Hilfe zum Lernen ist, und er durch den sicheren Umgang damit zum selbständigen Lernen motiviert wird. Außerdem bin ich gespannt, ob er durch die Stationenarbeit in der Lage ist, seine Konzentrationsfähigkeit auszubauen und z. B. eine Aufgabe selbständig bis zum Ende zu bearbeiten. Das hieße für ihn einen großen Schritt in Richtung Selbständigkeit, da er dann nicht mehr von der Motivation des Lehrers abhängig wäre.
Merten ist ein Schüler, der von seinen Leistungen her im Mittelfeld der Klasse anzusiedeln ist. Allerdings ist er sehr unselbständig, hat große Schwierigkeiten mit der Organisation seiner Angelegenheiten und verliert schnell den Überblick. Er lebt in seiner eigenen Welt und braucht für alles sehr viel Zeit. Im Umgang mit anderen Kindern ist er sehr unsicher. Seine Klassenkameraden finden es schwer mit ihm zusammen zu arbeiten – seine Gedankengänge verstehen sie häufig nicht und sie haben auch nicht immer Verständnis für sein langsames Arbeitstempo. Meine Vermutung ist, dass diese Methode für Merten nicht ideal ist, weil sie eine Selbstorganisation bedarf, die ihn vielleicht überfordern wird.
4.2 Didaktisch-methodische Überlegungen
4.2.1 Auswahl der Methode der Stationenarbeit
Das Hauptkriterium für die Auswahl der Methode war die Möglichkeit der Anbahnung von selbständigem Lernen mit den Wegen, wie sie im Kapitel „Zum Begriff „Selbständigkeit““ von den verschiedenen Autoren beschrieben wurden.
Viele der von Vettiger (1979) genannten Kriterien der Selbstorganisation werden mit der Stationenarbeit angebahnt: Die Schüler eignen sich während der gesamten Phase der Stationenarbeit aktiv Inhalte an, da sie direkt mit dem Unterrichtsgegenstand umgehen, ohne den Umweg über den Lehrer. Ebenso üben sie aktiv Organisationsformen, indem sie ihren Arbeitsplatz organisieren, sich um Partner oder Gruppe kümmern müssen und ihre Arbeit mit Hilfe des Laufzettels strukturieren. Auch der freie Zugang zu allen Hilfsmitteln ist durch die Bereitstellung der benötigten Materialien an den Stationen bei der Stationenarbeit gewährleistet. Verschiedene Evaluationsformen können durch die Schlussgespräche geübt werden. Ebenso werden den Schülern verschiedene Arbeitstechniken vermittelt - Wallaschek (1991) wies darauf hin, dass diese Methode dies fast spielerisch ermöglicht. Durch die vielen Handlungsmöglichkeiten wird die Selbsttätigkeit angeregt und durch die bewusste Mischung der Sozialformen in der Stationenarbeit vertiefen die Schüler auch darin ihre Erfahrungen. Den Forderungen von Meyer (1987) nach der Vorstellung der Arbeitsergebnisse und dem Berichten von Lernschwierigkeiten und –erfolgen kann die Stationenarbeit ebenfalls in den Schlussgesprächen nachkommen.
Für diese Lerngruppe war zudem zu berücksichtigen, dass sie in offenen Unterrichtsformen ungeübt ist. Doch wie Hegele (1997) beschrieb, bietet die Stationenarbeit eine gute Möglichkeit, die Klasse an offene Formen heranzuführen, indem eine Stationenarbeit geplant wird, in der Lenkung und Freiheit dementsprechend gewichtet werden.
Auch das anstehende Thema „Sinne“ passte gut zur Methode der Stationenarbeit. Jeder Schüler braucht unterschiedlich viel Zeit, um seine Sinne zu erkunden und Erfahrungen zu machen. Diese Heterogenität ist nur mit einer offenen Unterrichtsform aufzufangen, bei der jedem Schüler die nötige Zeit zugestanden wird. Dieser Aspekt wird im folgenden Kapitel deutlich.
[...]
[1] Zwecks besserer Lesbarkeit verwende ich in dieser Arbeit ausschließlich „Schüler“ und schließe damit die weibliche Form ein. Dies gilt im Folgenden auch für weitere Personenbezeichnungen.
[2] Vgl. Freie und Hansestadt Hamburg (Hrsg.) 2003, S. 40.
[3] Vgl. Lenzen (Hrsg.) 1989, S. 1360.
[4] Dieser Absatz basiert auf: Lamberty u. a. 2003.
[5] Der folgende Absatz basiert auf: Lamberty u. a. 2003; Wallaschek 1991.
[6] Dieser Absatz basiert auf Wrede 1996.
[7] Dieser Absatz basiert auf Bauer (1997).
[8] Vgl. Freie und Hansestadt Hamburg (Hrsg.) (2003), S. 40.
[9] Alle Namen wurden von der Autorin geändert.
- Quote paper
- Christine Brauß (Author), 2004, Die Förderung des selbständigen Lernens in einer zweiten Klasse - eine Stationenarbeit zum Thema "Sinne", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/30182
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