Die Theoretische Grundlagen der Morphologie werden erläutert und anhand von Beispielen aus der spanischen Jugendsprache dargestellt. Abschließend werden Probleme der Klassifizierung diskutiert.
Morphologie in Theorie und Praxis
Jeden Tag wird der Mensch in seiner Umwelt mit unzähligen Wörtern konfrontiert. Schon bei der morgendlichen Lektüre der Zeitung oder dem Weg zur Arbeit, wo man etliche Verkehrsschilder, Werbetafeln und plakatbeklebte Liftfasssäulen passiert, begegnen sie einem, ebenso wie bei persönlichen Gesprächen mit anderen Menschen. Doch was ist eigentlich ein Wort? Die Antwort auf diese doch recht banal anmutende Frage fällt überraschend schwer.
Dem Definitionsversuch von C. Gabriel und T. Meisenburg zufolge ist ein Wort „ein sprachliches Zeichen, zwischen dessen Teile man (fast) nichts einschieben kann und dessen Teile in der Reihenfolge nicht vertauschbar sind.“ (Gabriel/Meisenburg 2007: 137). Den meisten Menschen ist jedoch sehr wohl bewusst, dass man Wörter in einen Stamm und eine Endung unterteilen kann. Hier beginnt das Arbeitsgebiet der Morphologie (gr. morphe: `Form´, gr. lógos: `Lehre´), die sich mit der Form und Struktur von Wörtern befasst (vgl. Wesch 2006: 62 f.).
Doch Wort ist nicht gleich Wort: Während das `grammatische Wort´ die konkret auf der `Parole-Ebene´ realisierte Form eines Wortes darstellt, handelt es sich beim `lexikalischen Wort´ oder `Lexem´ um eine abstrakte Einheit des Wortschatzes auf der Langue-Ebene, die in unterschiedlichen grammatische Wörtern realisiert werden kann (vgl. Thaler: Handout Morphologie I).
Um zu den kleinsten Fragmenten eines Wortes vordringen zu können werden sprachliche Äußerungen zunächst in einzelne Teile (`Morphe´) segmentiert, wobei ein Morph die kleinste bedeutungstragende Einheit, die in konkreten grammatischen Wörtern vorkommt, ist (vgl. ebd. 2006:62; Gabriel/Meisenburg 2007: 151).
Im nächsten Schritt werden darin die Morpheme, die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten eines Sprachsystems, identifiziert, wobei man unterschiedliche Morphemtypen unterscheidet (vgl. Wesch 2006: 62 f.):
Ein Morphem wird als `frei´ bezeichnet, wenn mindestens eines seiner Allomorphe als selbstständiges, grammatisches Wort auftreten kann (z.B. span. {con}, {papel}), wobei es sich bei Allomorphen um Morphe handelt, die demselben Morphem zugeordnet werden können. So ist z. B. span. /duerm-/ ein Allomorph des Morphems {dorm-} (`schlafen´).
Im Gegensatz dazu kann beim `gebundenen´ Morphem keines seiner Allomorphe als eigenständiges, grammatisches Wort auftreten (z. B. {-oso}) (vgl. Gabriel/Meisenburg 2007: 152 ff.). Das Antonym des Allomorphs nennt man darüber hinaus `Nullmorphem´, ein grammatisches Morphem, das nicht mit Lautmaterial gefüllt ist (vgl. Kabatek/Pusch 2009: 80).
Des Weiteren unterscheidet man zwischen lexikalischen und grammatischen Morphemen: Das `lexikalische Morphem´ ist ein Element mit lexikalischer Bedeutung (z.B. Stämme von Substantiven, Verben, Adjektiven und Adverbien), es bezieht sich auf die außersprachliche Wirklichkeit, wohingegen das `grammatische Morphem´ durch seine grammatische Funktion, die eine grammatische Kategorie ausdrückt, charakterisiert wird. Darunter fallen einerseits Artikel, Pronomen, Konjunktionen sowie Singular-, Plural- und Zeitangaben und andererseits die Wortbildungsmorpheme (`Affixe´), die je nach Position zum Lexem `Präfixe´ (des-, en) oder `Suffixe´ (-ción, -miento) genannt werden (vgl. Wesch 2006: 66).
Nach diesem Einblick in die spezielle Struktur von Wörtern ist es sinnvoll, sich größeren Teilgebieten der Morphologie zuzuwenden.
Eines davon ist die Flexionsmorphologie, die sich mit den Veränderungsfähigkeiten von Worten bzw. Wortarten beschäftigt, wobei zwischen flektierbaren und nicht-flektierbaren Wortarten unterschieden wird. Zu letzterer Gruppe zählen u.a. Präpositionen und Konjunktionen, zu ersterer gehören die nominalen Wortarten, also Substantive, Adjektive, Determinanten und Verben, Wortarten, die zum Ausdruck bestimmter grammatischer Kategorien morphologisch abgewandelt werden können (vgl. Gabriel/Meisenburg 2007: 138). Innerhalb der flektierbaren Wortarten existiert darüber hinaus noch eine weitere Differenzierung: Die Flexion der nominalen Wortarten, die nach den Kategorien Kasus, Genus und Numerus stattfindet, wird als `Deklination´ bezeichnet, wohingegen man bei der Flexion von Verben, die nach Numerus, Person, Tempus, Modus und Aspekt vollzogen wird, von `Konjugation´ spricht (vgl. ebd.: 141).
Ein weiterer Teilbereich der Morphologie ist die Wortbildung (Lexikogenese), die sich außer mit Wortbildungsverfahren auch mit Wortbildungsprodukten und deren Entstehung mit Hilfe von Wortbausteinen beschäftigt. Die beiden wichtigsten dabei verwendeten Verfahren sind die `Derivation´ und die `Komposition´, welche auch in der ständig im Wandel begriffenen Sprachvarietät der Jugendsprache eine immense Bedeutung haben. Die Beispiele zu den folgenden theoretischen Erläuterungen entstammen daher dem oben genannten Sprachstil.
Als Derivation bezeichnet man eine Wortbildung, bei der ein Lexem mit einem oder mehreren (Derivations-) Affixen zusammengesetzt wird und als Ergebnis ein neues Lexem entsteht (vgl. Handout Thaler: Morphologie II). Ein Beispiel aus der spanischen Jugendsprache ist die Derivation mittels gewöhnlicher Suffixe, die sowohl in der Standard- als auch in der Jugendsprache gebräuchlich sind. So wird span. porro zu porr ete (`Joint´) und curro zu curr ante (`Arbeit´).
Des Weiteren existiert auch die Derivation durch die rein in der Jugendsprache verwendeten spezifischen Suffixe –ata, -ota, -eto und –uta, die Elemente der Allgemeinsprache in jugendsprachliche Ausdrücke umwandeln. Unter anderem wird span. bocadillo zu boc ata, drogadicto zu drog ota, bar zu bar eto und bisutería zu bis uta (vgl. Baumann 2001: 43ff). Dabei nennt man den Wegfall von Sprachlauten am Wortende zugunsten der Herausbildung einer dreisilbigen Abkürzung `Apokope´ (vgl. Baumann 2001: 42). Aber auch mit Hilfe von Präfixen können Begriffe der Standardsprache, meist Substantive, in Ausdrücke der Jugendsprache umgewandelt werden, wobei das Produkt dieses Vorgangs ein Verb oder Adjektiv ist. So bilden sich z.B. aus el maricón (`der Schwule´) durch das Präfix a- das Adjektiv amariconado (`schwul´), aus rollo (`Rolle´) wird durch das Präfix en- das Verb enrollarse (`sich mit jmd. einlassen´). Weitere verwendete Präfixe sind des-, re-, sowie requete- (vgl. ebd. 45 ff.).
Beim Wortbildungsverfahren der Komposition werden mindestens zwei lexikalische Morpheme zu einem Wort zusammengesetzt, wobei man zwischen Determinativkomposita, bei denen ein Glied das andere semantisch dominiert und Kopulativkomposita, bei denen alle Glieder des Wortes gleichwertig sind, unterscheidet. Darüber hinaus differenziert das Verfahren der Komposition zwischen der asyndetischen Komposition, einer Verbindung zweier Lexeme ohne Bindeglied und der syndetischen Komposition, bei der eben diese Verbindung durch eine Präposition vollzogen wird. Asyndetische Komposita der Jugendsprache sind u.a. el caraculo (`Arschgesicht´), zusammengesetzt aus la cara und el culo oder la pichafloja (Schlappschwanz), komponiert aus la picha und la floja (vgl. ebd.: 46; vgl. Thaler: Handout Morphologie II).
Obwohl man viele Beispiele aus der Jugendsprache zu den theoretischen Grundlagen der Morphologie anführen kann, fällt bei näherer Betrachtung auf, dass die Abgrenzung zur Standardsprache bei weitem nicht einfach und klar vollzogen werden kann. Dies hat verschiedene Gründe. Zum einen kann man die Jugendlichen nicht als eine homogene Gruppe mit homogener Sprache betrachten, denn logischerweise sprechen junge Leute aus verschiedenen Ländern verschiedene Sprachen. Weiterhin besteht die Möglichkeit, dass in einem geographisch relativ eng eingegrenzten Gebiet mehrere Arten der Jugendsprache existieren, wie etwa das Cheli, die Jugendsprache, die nur im Raum Madrid gesprochen wird. Die verschiedenen Jugendsprachen unterscheiden sich also diatopisch (vgl. Androutsopoulos/Scholz 1998: 75ff; Neuland 2008: 67 ff.). Des Weiteren kann man Jugendsprache nicht als Phänomen einer bestimmten Altersgruppe sehen, auch Erwachsene bedienen sich immer häufiger diesem Sprachstil, denn jung sein und jung bleiben ist gefragt, sogar die Medien lassen sich bewusst von der Jugendsprache beeinflussen, wobei diese Beeinflussung natürlich auch umgekehrt von statten geht (vgl. Neuland: 2008: 15ff, 38f). Trotzdem bildet die Jugendsprache keine eigene Sprache, sondern sie basiert in Lexik, Morphologie und Phonologie auf der Standardsprache, der allerdings Entlehnungen aus anderen Sprachen und Sprachstilen beigemischt wurden (vgl. ebd.: 45). Darüber hinaus spiegelt die Sprachvarietät der Jugendlichen die aktuelle soziale und politische Situation wieder – selbsterklärend, dass sie sich auch von diesem Gesichtspunkt aus gesehen in ständigem Wandel befindet. Abschließend betrachtet kann man über die Jugendsprache wohl wenige Thesen aufstellen, die nicht die Problematik der Abgrenzung zur Standardsprache tangieren und demnach nicht ständig aktualisiert und erweitert werden müssen (vgl. Krautheimer/Stekovic: Handout spanische Jugendsprache).
Eines jedoch ist sicher und wird es auch in der Zukunft sein: Die Jugendsprache bildet kein festes Sprachsystem, sondern entwickelt sich unter Verwendung morphologischer Wortbildungsprozesse sowie vieler anderer Einflüsse ständig weiter, und gerade dieser ständige Veränderungsprozess ist es doch, der die Jugendlichen als Persönlichkeiten ausmacht.
Bibliographie
Androutsopoulos, Jannis K./Scholz, Arno (1998): Jugendsprache. Linguistische und soziolinguistische Perspektiven = Langue des jeunes. Frankfurt am Main: Lang.
Baumann, Petra (2001): Das Cheli heute. Untersuchungen zur Jugendsprache in Madrid. Wien: Ed. Präens.
Gabriel, Christoph/Meisenburg, Trudel (2007): Romanische Sprachwissenschaft. Paderborn: Fink (UTB basics).
Kabatek, Johannes/Pusch, Claus D. (2009): Spanische Sprachwissenschaft. Tübingen: Narr Francke Attempto (bachelor-wissen).
Krautheimer, Kathrin/Stekovic, Adriana: Handout „Was ist (spanische) Jugendsprache.
Neuland, Eva (2008): Jugendsprache. Eine Einführung. Tübingen/Basel: Francke.
Thaler, Verena: Handout Morphologie I und II.
Wesch, Andreas (2006): Grundkurs Sprachwissenschaft Spanisch. Stuttgart: Klett (UNI-WISSEN).
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- Susanne Becker (Autor), 2010, Spanische Morphologie in Theorie und Praxis der Jugendsprache, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/301095