In der Vergangenheit haben sich die verschiedenen wissenschaftlichen Zweige der Gerontologie vorwiegend mit dem geistigen und körperlichen Kompetenzabbau beschäftigt, der im Rahmen des menschlichen Alterungsprozesses stattfindet. Jedoch sehen zunehmend mehr ältere Menschen ihr Alter als positive und produktive Lebensphase, die sie sich möglichst lange in Autonomie erhalten möchten. Baltes und Carstensen (1996) betonen in ihrem Beitrag zum erfolgreichen Altern, dass Altern nicht nur Kompetenzverlust bedeuten kann, sondern auch Weiterentwicklung, Aufbau einer neuen, möglicherweise anders gearteten Vitalität und kreative Auseinandersetzung, so dass Altern auch mit Zufriedenheit erlebt werden kann.
Neben dem Wunsch nach langfristiger, selbstständiger Lebensführung wächst mit zunehmendem Alter aber auch das Bedürfnis nach persönlicher Sicherheit und Krisenvorsorge.
Das Betreute Wohnen hat sich in den letzten Jahren als Wohnform herauskristallisiert, die diesen beiden entgegengesetzten Bedürfnissen von Autonomie einerseits und Sicherheit andererseits gerecht werden kann. Die vorliegende Studie gibt neben aktuellen gerontologisch-theoretischen Grundlagen zur Person-Umwelt-Interaktion im Alter einen kurzen Abriss über das Konzept des Betreuten Wohnens für Senioren und untersucht auf Basis empirischer Daten, aus welchen Beweggründen ältere Menschen sich für diese relativ neue Wohnform entscheiden.
Gliederung
1. Einleitung
2. Wohnen im Alter
2.1 Begriffserläuterung „Wohnen“
2.2 Begriffserläuterung „Alter“
2.3 Bedeutung des Wohnens im Alter
2.3.1 Kompetenz und Anpassung
2.3.2 Umwelt und Anpassung
2.3.3 Ökopsychologische Betrachtung des Wohnens
2.3.4 Gerontologische Betrachtung des Wohnens
2.3.5 Umzug
2.4 Wohnformen
3. Betreutes Wohnen
3.1 Begriffserläuterung
3.2 Formen des Betreuten Wohnens
3.3 Bedeutung und Grenzen des Betreuten Wohnens
3.4 Qualitätskriterien für das Betreute Wohnen
4. Theorien zum Wohnen im Alter
4.1 Das Umweltanforderungs-Kompetenzmodell von Lawton
4.2 Das Modell des erfolgreichen Alterns: Prozessorientiertes Metamodell 22 (SOK Modell) von Baltes und Baltes
5. Empirische Erhebung zum Betreuten Wohnen
5.1 Beschreibung der Einrichtung „Mathilde-Vogt-Haus“ in Heidelberg
5.1.1 Beschreibung der Bewohnerstruktur
5.1.2 Beschreibung des Umfelds der Wohnanlage und der Stadtteil- Infrastruktur
5.2 Methode und Durchführung
5.2.1 Erhebungsinstrument
5.2.2 Beschreibung der Stichprobe
5.3 Ergebnisse
5.3.1 Vorheriger Wohnstandort
5.3.2 Entscheidungsgründe für die Einrichtung
5.3.2.1 Entscheidungsgründe der Priorität
5.3.2.2 Entscheidungsgründe der Priorität
5.3.3 Umzugsgründe
5.3.3.1 Umzugsgründe der Priorität
5.3.3.2 Umzugsgründe der Priorität
5.3.4 Bedeutung der unmittelbaren Wohnumwelt
6. Ergebnisdiskussion
6.1 Ergebnisdiskussion im Vergleich mit der Evaluationsstudie von Heeg und Seiler sowie der Augsburger Längsschnittstudie von Saup
6.2 Ergebnisdiskussion im Kontext der Theorien von Lawton sowie
Baltes und Baltes
7. Schlussbetrachtung
Anhang: Abbildungen
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In der Vergangenheit haben sich die verschiedenen wissenschaftlichen Zweige der Gerontologie vorwiegend mit dem geistigen und körperlichen Kompetenzabbau beschäftigt, der im Rahmen des menschlichen Alterungsprozesses stattfindet. Jedoch sehen zunehmend mehr ältere Menschen ihr Alter als positive und produktive Lebensphase, die sie sich möglichst lange in Autonomie erhalten möchten. Baltes und Carstensen (1996) betonen in ihrem Beitrag zum erfolgreichen Altern, dass Altern nicht nur Kompetenzverlust bedeuten kann, sondern auch Weiterentwicklung, Aufbau einer neuen, möglicherweise anders gearteten Vitalität und kreative Auseinandersetzung, so dass Altern auch mit Zufriedenheit erlebt werden kann.
Neben dem Wunsch nach langfristiger, selbstständiger Lebensführung wächst mit zunehmendem Alter aber auch das Bedürfnis nach persönlicher Sicherheit und Krisenvorsorge.
Das Betreute Wohnen hat sich in den letzten Jahren als Wohnform herauskristallisiert, die diesen beiden entgegengesetzten Bedürfnissen von Autonomie einerseits und Sicherheit andererseits gerecht werden kann. Die vorliegende Studie gibt neben aktuellen gerontologisch-theoretischen Grundlagen zur Person-Umwelt-Interaktion im Alter einen kurzen Abriss über das Konzept des Betreuten Wohnens für Senioren und untersucht auf Basis empirischer Daten, aus welchen Beweggründen ältere Menschen sich für diese relativ neue Wohnform entscheiden.
2. Wohnen im Alter
Auch wenn der Mittelpunkt dieser Studie die „älteren Menschen“ darstellt, soll zunächst kurz auf einige allgemeine Aspekte zum Wohnen bzw. der räumlichen Umwelt eingegangen werden.
Der Alltag jedes Menschen ist immer in räumlich-soziale Kontexte eingebettet. Einerseits bildet unsere Umwelt eine Voraussetzung für die Lebensbewältigung, auf der anderen Seite gebrauchen wir unsere Umwelt als Mittel zur Alltags-gestaltung (Saup, 2003). Wie bereits die philosophische Anthropologie aufgezeigt hat, ist menschliches Leben ohne Umwelt- oder Raumbezug nicht vorstellbar. Bollnow beschreibt es wie folgt: „Räumlichkeit ist eine Wesensbestimmung des menschlichen Daseins“ (1990, in Saup, 2003, S.20).
Für unsere Gesellschaft bedeutet der Austritt aus dem Berufsleben häufig den Eintritt in die Altersphase und somit in einen neuen, besonderen Lebensabschnitt, der dann wiederum mit speziellen Bedürfnissen im Zusammenhang steht (Wehrli-Schindler, 1997). In dieser Phase gewinnt das engere Wohnumfeld, bzw. die eigene Wohnung zunehmend an Bedeutung.
2.1 Begriffserläuterung „Wohnen“
Nach Flade (1996a, Kruse, Graumann, Lantermann, 1996) liefert der Philosoph Heidegger die umfassendste Definition von „Wohnen“, denn er setzt Wohnen gleich mit der Art und Weise, wie wir Menschen auf der Erde sind. Wohnen ist für den Menschen eine charakteristische Daseinsform, was dem Wohnen somit einen hohen Stellenwert verleiht (vgl. Saup, 1993).
Während Heidegger Wohnen mit dem gesamten Sein des Menschen gleichsetzt, betont Bollnow die Geborgenheit und das Verwurzeltsein des Wohnens. Nach ihm heißt Wohnen, an einem bestimmten Ort zuhause zu sein, mit ihm verwachsen zu sein und auch dort hinzugehören (Saup, 1990, in Mayring, Saup, 1990).
Saegert (1985) bezeichnet Wohnen als den Eintritt in eine besonders innige physische, soziale und psychologische Beziehung zur Umwelt. Auch in der Alltagssprache wird eine ähnlich umfassende Bezeichnung gebraucht, wenn es heißt: „Wo leben Sie jetzt?“ (Flade, 1996a, in Kruse, Graumann, Lantermann, 1996).
„Wohnen ist zusammenfassend: eine vergleichsweise enge Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt, eine Interaktion zwischen Mensch und Wohnumgebung, genauer: eine Transaktion von und zwischen Mensch-Umwelt-Einheiten im Zeitablauf, eine zentrale menschliche Tätigkeit, eine Rahmenbedingung für Sozialisationsleistungen der Familie, ein emotionales Verbundensein mit einem Ort“ (Flade, 1993, in Oswald, 1996, S.58). Oder aber wie Saup knapp zusammenfasst: Wohnen ist „der alltägliche Geschehensablauf im räumlich-sozialen Kontext der Wohnung“ (1993, S.93).
2.2 Begriffserläuterung „Alter“
Baltes und Baltes (1994) unterscheiden zwischen „Alter“ (engl. „old age“) und „Altern“ (engl. „aging“). „Alter“ ist definiert als Lebensperiode und Resultat des Altwerdens; bei der Verwendung dieses Begriffs liegt der Blick auf dem älteren Menschen als Teil der Gesellschaft. Im Gegensatz hierzu betont der Terminus „Altern“ den Prozess des Älterwerdens und die Mechanismen, die diesem Prozess zugrunde liegen. „Altern“ beginnt bereits mit der Zeugung und umfasst die gesamte Lebenszeitspanne einschließlich des Stadiums des Alters.
Trotz vielseitiger Kritik an der Verwendung des biologischen bzw. kalendarischen Alters zur sinnvollen, wissenschaftlichen Kategorisierung einer interindividuell höchst heterogenen Menschengruppe (vgl. Maddox, Campbell, 1985; Bundes-ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2001) hat sich in den gerontologischen Wissenschaften diese Einteilung aus forschungstechnischen und methodischen Gründen durchgesetzt. Saup (1989) beispielsweise teilt Menschen anhand ihres kalendarischen Alters in die Kategorien ältere Menschen - bis 75 Jahre, Hochbetagte - zwischen 75 und 85 Jahre und Höchstbetagte - ab 85 Jahre ein. Die World Health Organization (1999, S.11) unterscheidet „elderly“, d.h. Menschen zwischen 65 und 80 Jahre, und „oldest-old“, d.h. Menschen über 80 Jahre.
Aktuelle Modellrechnungen zeigen, dass die Anzahl der über 65jährigen an der deutschen Gesamtbevölkerung von 22,8 % im Jahr 2000 auf 35,5% im Jahr 2030 ansteigen wird (Alber, Schölkopf, 1999). Diese demographische Veränderung macht die Entwicklung neuer Wohnkonzepte für das Alter zu einem sozial- und alterspolitischen Imperativ.
2.3 Bedeutung des Wohnens im Alter
Die Bedeutung des Wohnens im Alter wird von den psychologischen Einzeldisziplinen unter verschieden Gesichtspunkten untersucht. Die Entwicklungspsychologie betrachtet Wohnen unter dem Aspekt der Aneignung räumlich-dinglicher Umwelten durch den Menschen und untersucht, welche Rolle unterschiedliche Umwelten im Lebenslauf von Menschen spielen. Die ökologische Psychologie analysiert die Bedeutung des Wohnens im Alter insbesondere unter funktions- und bedeutungsorientierten Gesichtpunkten.
Die funktionsorientierten Ansätze der ökologischen Psychologie betrachten die Wohnumwelt im Hinblick auf die kompetenzerhaltenden, -fördernden oder -behindernden Wirkungen auf den älteren Menschen (Oswald, 1996), insbesondere als dieser mit zunehmendem Alter wichtige, umweltrelevante Kompetenzen einbüßen kann (siehe auch Abschnitt 2.3.1). So betont Filipp unter Zuhilfenahme eines Zitats von Wohlwill - „the environment is not in the head“ (1976, in Filip, 1990, S.148) - dass die physische Beschaffenheit der Umwelt zugunsten einer rein bedeutungsorientierten Sichtweise nicht vernachlässigt werden darf. Diese letzteren Ansätze, im englischen Sprachraum auch unter dem Begriff „aging in place“ zusammengefasst, stellen den subjektiven Wert des Wohnens und die Bindung an das eigene Zuhause in den Mittelpunkt, d.h. „weniger die objektiv gegebenen ökologischen Bedingungen (…) als vielmehr die Art und Weise, wie (der ältere Mensch) sie erlebt, (und) was sie für ihn persönlich bedeuten“ (Lehr, 1977, in Oswald, 1994, S.357). So fand Lehr (1996) in ihrer Studie, dass die generelle Lebenszufriedenheit im Alter sehr stark mit der Zufriedenheit mit der Wohnsituation korreliert, diese Wohnzufriedenheit jedoch nur in geringem Maße von objektiven, funktionalen Umweltkriterien bestimmt wird, sondern eher auf subjektiven Bedeutungen wie biographische Verankertheit und Erinnerung basiert.
Die Bedeutung des Wohnens für Ältere ist demnach sowohl in der objektiv-funktionalen als auch der subjektiv-affektiven Entsprechung von Mensch und Wohnraum zu finden. Oswald (1994, S.358) bezeichnet diese beiden Funktionen einer Wohnung als „Gestaltung“ und „Bedeutung und Bindung“. Die Merkmale einer Wohnung und des unmittelbaren Wohnumfelds können, entsprechend dieser zwei Funktionen, sowohl physische als auch emotionale und kognitive Barrieren für ältere Menschen darstellen (Heeg, 1994a).
Auch allein durch die Tatsache, dass Alltag im Alter vor allen Dingen Wohnalltag ist (Saup, 1993, S.18), kommt dem Wohnen im Alter besondere Bedeutung zu. Zeitbudgetstudien zur Alltagsumwelt älterer Menschen belegen, dass zwischen 72% und 75% aller Aktivitäten des täglichen Lebens von älteren Menschen innerhalb ihrer Wohnung durchgeführt werden (Moss, Lawton, 1982; Baltes, Willms, Horgas, 1994, in Oswald, 1994), mit steigender Tendenz, wenn diese hilfe- oder pflegebedürftig werden. Das unmittelbare Wohnumfeld außerhalb der Wohnung erlangt für ältere Menschen ebenfalls hohe räumlich-soziale Bedeutung, da diese ein weitaus geringeres Spektrum an Aktionsräumen, sog. „Behavior Settings“, als andere Altersgruppen nutzen (Saup, 1993; vgl. Barker, Barker, 1961, in Saup, 1989). Das Charakteristische für das Alterswohnen ist nach Saup (1989, S.65): „Eine Schrumpfung des sozial-räumlichen Aktionsradius im Alter wird durch die Ausweitung des (innerhäuslichen) Wohnens kompensiert“. Dies hat zur Folge, dass die Qualität des menschlichen Daseins im Alter entscheidend durch die Qualität der konkreten Wohnverhältnisse beeinflusst wird: „Die Lebensqualität im Alter hängt … verstärkt von den objektiven und den wahrgenommenen Wohnbedingungen ab.“ (Flade, 1996b, S.16; vgl. Saup, 1990; vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2001).
Der in der Regel mit zunehmendem Alter reduzierte Aktionsradius steht meist in direktem Zusammenhang mit körperlichen, sozialen und auch psychischen Faktoren (Saup, 2003, vgl. Saup, 1993). Auf die den Wohnalltag im Alter beeinflussenden Faktoren wird u.a. in den folgenden Abschnitten eingegangen.
2.3.1 Kompetenz und Anpassung
Nach Kruse (1992, in Oswald, 1996, S.37) ist Kompetenz „…die Fähigkeit des Menschen zur Aufrechterhaltung eines selbständigen, aufgabenbezogenen und sinnerfüllten Lebens in einer anregenden, unterstützenden, die selbst-verantwortliche Auseinandersetzung mit Aufgaben und Belastungen fördernden Umwelt.“ Selbstständige Lebensführung in einem unabhängigen Haushalt ist eine Lebenssituation, die von einem Grossteil der älteren Bevölkerung möglichst lange aufrechterhalten werden möchte (Kruse, 1988). Dies ist abhängig von den umweltrelevanten Kompetenzen bzw. dem Grad an etwaigen Kompetenzeinbußen eines älteren Menschen, sowie den Anforderungen und Anregungen, die von den Merkmalen seiner Umwelt ausgehen.
Zu den umweltrelevanten Kompetenzen eines Menschen gehören Seh- und Hörfähigkeit, taktile Sensitivität, Gehfähigkeit und körperliche Mobilität, sowie sensumotorische Fähigkeiten (Saup, 1989). Mit dem Altern ist oft ein Abbau dieser umweltrelevanten Kompetenzen verbunden, der die Bewältigung potentiell widriger Umweltattribute erschwert und Anpassungsleistungen erforderlich macht. Diese Anpassungsleistungen können auf Seiten der Person oder der Umwelt erfolgen. Personseitige Kompensationsmöglichkeiten beinhalten z.B. den Einsatz von Brillen und Hörgeräten oder die Ausbildung von Copingstrategien (vgl. Filipp, 1990) zur erfolgreichen Auseinandersetzung mit sich verändernden Anforderungen der funktionalen oder sozialen Umwelt.
2.3.2 Umwelt und Anpassung
Für die Aufrechterhaltung einer selbstständigen Lebensführung im Alter spielen, neben den o.g. umweltrelevanten Kompetenzen, auch die Anforderungen durch die Umwelt eine signifikante Rolle.
Gerontologisch bedeutsame Umweltmerkmale sind nach Saup (1989): Erreichbarkeit und Zugänglichkeit der Umwelt, Sicherheit vor Unfallgefahren und Kriminalität, Vertrautheit, Anregungsgehalt und Stimulierungsgrad der Umgebung, unterstützende Gestaltungselemente und Orientierungsmöglichkeiten der Umwelt, sowie die Kontrollierbarkeit von Situationsbedingungen.
Kruse (1996) unterscheidet drei Arten von Umweltfaktoren, die Einfluss auf den älteren Menschen nehmen:
- Die soziale Umwelt.
Hierzu zählen: Grad der sozialen Integration in der Familie und außerhalb, Erreichbarkeit von Angehörigen, Nachbarn und Freunden, Anzahl von Personen und Generationen im Haushalt, das Einkommen, Art und Umfang von Verpflichtungen und Unterstützungen in der Familie und außerhalb.
- Die räumliche Umwelt.
Diese umfasst u.a.: Verfügbarkeit von Wohnraum, Qualität und Größe der Wohnung, Nutzung der einzelnen Räume, Wohnungsausstattung wie z.B. sanitäre Ausstattung und Hilfsmittel, Wohn- und Verkehrslage sowie ökologische Faktoren wie Klimafaktoren, Schadstoffbelastung und Umwelthygiene.
- Die infrastrukturelle Umwelt.
Hierzu gehören der Umfang und die Qualität von: kulturellen und sozialen Angeboten in der näheren Umgebung, ärztlicher Betreuung, Pflege und Unterstützung durch mobile Dienste, (teil)stationärer Pflegedienste, sowie die Vertretung der älteren Menschen in Gesellschaft und Politik.
Da die in 2.3.1 beschriebene, individuelle Anpassungsfähigkeit eines älteren Menschen in bezug auf seine Umwelt an ihre Grenzen stoßen kann, kommt den umweltseitigen Kompensationsmöglichkeiten hohe Bedeutung zu. Diese beinhalten z.B. die Schaffung unterstützender Umweltbedingungen durch prothetische oder therapeutische Maßnahmen (Lindsley, 1964, in Saup, 1989), wie Heeg (1994a) sie in ihren Gestaltungsleitlinien zu Betreutem Wohnen für ältere Menschen ausführlich formuliert hat (siehe hierzu Abschnitt 3.4.1). Dabei können bereits kleine Umweltanpassungen vergleichsweise hohe Bedeutung und Wirksamkeit haben.
2.3.3 Ökopsychologische Betrachtung des Wohnens
Aus psychologischer Sicht beschreibt Saup (2003) Wohnen als einen alltäglichen Geschehensablauf im räumlich-sozialen Kontext der Wohnung und des Hauses sowie des angrenzenden Nachbarschaftsgebietes. Er verweist ferner auf den Sozialgerontologen Rosenmayr, der sein Wohnverhalten mit folgenden Worten beschreibt: „Ich bereite eine Mahlzeit. Ich esse zu Haus. Ich lege mich auf die Polsterbank. Ich dusche mich. Ich nehme Bücher aus meinem Regal…“ (Rosenmayr, 1988, in Saup, 2003, S.21).
Laut Saup (2003) kann Wohnen als ein Verhaltens- und Handlungsstrom im Zusammenhang mit Wohnung, Haus und Wohnumfeld betrachtet werden. Er nimmt in diesem Kontext eine nähere Bestimmung mit folgenden Merkmalen vor (vgl. Saup, 1999):
- Wohnen ist eine zielgerichtete Aktivität, d.h. der Mensch verbindet mit seinem Wohnverhalten bestimmte Ziele und Zwecke.
- Wohnaktivitäten sind auf unterschiedliche Zielobjekte gerichtet.
- Wohnen geschieht innerhalb des Wohnraumes und Wohnumfeldes. Die Wohnung ist Handlungsraum, Wahrnehmungsraum und Gefühlsraum.
- Wohnen bezieht sich auf wiederkehrende Aktivitäten.
- Wohnaktivitäten lassen sich multidimensional, also auf unterschiedlichen
Ebenen des Verhaltens beschreiben. Hierbei sind kognitive, affektive und
behaviorale Aspekte zu unterscheiden.
- Der Verhaltens- oder Handlungsstrom des Wohnens ist hierarchisch-sequentiell organisiert.
- Wohnungen zeichnen sich durch eine hohe Komplexität von Wohnaktivitäten und –tätigkeiten aus. Es kann als Mehrfachhandeln im häuslichen Umfeld interpretiert werden.
- Wohnen ist sowohl idiosynkratisches als auch sozial vermittelndes Verhalten.
- Eine Person kann ihre Wohnhandlungen individuell bewerten und dabei feststellen, ob sie im räumlich-sozialen Kontext ihrer Wohnung oder ihres Hauses ihre präferierten Zielsetzungen erreichen kann oder erreicht hat.
2.3.4 Gerontologische Betrachtung des Wohnens
Hinsichtlich der sozialgerontologischen Betrachtungsweise zeigt Saup (2003, vgl. Saup, 1999) folgende Merkmale des Wohnverhaltens auf, die für ältere Menschen möglicherweise spezifisch sind oder im Alter deutlicher als in den vorherigen Wohnphasen auftreten:
- Durch Kompetenzeinschränkungen wird der Verhaltens- und Handlungsstrom „Wohnen“ anfälliger für Störungen. Andererseits ist der Verhaltensstrom „Wohnen“ in dieser Lebensphase durch günstige Umweltbedingungen mehr ansprechbar und beeinflussbar (siehe auch Abschnitt 2.3.1 und 2.3.2).
- Durch Abnahme der Reaktionsgeschwindigkeit und zunehmende Verhaltens-verlangsamung mit steigendem Alter ist die Reaktion auf Umwelt-anforderungen nicht mehr so prompt vorhanden; mehr Zeit für eine Handlungsausführung wird benötigt. Der Verhaltensstrom „Wohnen“ verläuft im Alter langsamer als früher.
- Die meisten Menschen im Alter möchten eine selbstständige Lebensweise in der eigenen Wohnung erhalten.
- Zielobjekte, auf welche Wohnhandlungen gerichtet sind, erlangen im Alter zunehmend mehr Gewicht. Bei älteren Menschen weist der Wohnraum viel mehr als bei jüngeren Menschen biographische Konturen auf.
- Wenn der räumliche Aktionsradius mit zunehmendem Alter kleiner wird, stellt die Wohnung den zentralen Aufenthaltsort dar und wird zum Handlungs-, Wahrnehmungs- und Gefühlsraum. Die emotionale Bindung an die Wohnung scheint im Alter ausgeprägter als in früheren Lebensphasen zu sein.
- Der Verhaltens- und Handlungsstrom des Wohnens ist hierarchisch-sequentiell organisiert. Es können sich Probleme bei der Ausführung täglicher Handlungen in der Wohnung ergeben. Eine unterstützende Wohnumgebung, die ergonomisch auf die älteren Menschen abgestimmt ist, bekommt eine größere Bedeutung.
- Die Verwurzelung in der vertrauten Wohnumgebung scheint für ältere Menschen besonders wichtig zu sein.
- Wohnen bedeutet auch Kontinuität der Lebensumstände. Dies findet seinen Ausdruck in der Verweildauer in derselben Wohnung oder demselben Nachbarschaftsgebiet, die sich bei ältern Menschen häufig über einen sehr langen Zeitraum erstreckt.
- Das Vorhandensein eines individuellen Rückzugsbereiches ermöglicht oder unterstützt das Nachdenken über das eigene Leben. Insofern stellt die Wohnung auch ein Ort des Lebensrückblicks und der Lebensbilanzierung dar.
- Die Wohnung ist auch der von alten Menschen präferierte Ort des Lebensendes und wäre insofern die letzte Wohnstation in der eigenen Wohnbiographie.
2.3.5 Umzug
Bei gravierender Kompetenzabnahme, z.B. bei beginnender oder bereits eingetretener Hilfe- oder Pflegebedürftigkeit sind es, wie bereits dargelegt, häufig die Wohnbedingungen, die über die Aufrecherhaltung einer selbstständigen Lebensführung entscheiden und u.U. einen Umzug in eine altengerechtere Wohnung nahe legen.
Wohnen spielt für die Selbstständigkeit und Zukunftsorientierung des älteren Menschen eine signifikante Rolle, wobei sich die Wichtigkeit dieses Themas auf die aktuelle Wohnsituation bezieht und sich weniger in dem Wunsch nach einem Wohnungswechsel ausdrückt (Lehr, 1996). So zeigte auch eine Umfrage im Jahre 1992 in den alten Bundesländern unter 2526 Personen im Alter von 50-75 Jahren eine extrem geringe Mobilitätsneigung (Tews, 1994a; siehe Abbildung 1 im Anhang).
Nach dem Konzept der kritischen Lebensereignisse führt ein Umzug zur Destabilisierung eines bisher bestehenden Person-Umwelt-Passungsgefüges (Kahana, 1982), dessen Wiederherstellung als zentral anzusehen ist. Kritische Lebensereignisse stellen „vom Individuum als distinkt abgehoben erlebte raumzeitliche, punktuelle Verdichtungen eines Geschehensablaufes dar, die sich innerhalb … und außerhalb… der Person vollziehen können“ (Filipp, 1982, in Oswald, Herrmann, Kanowski, Lehr, Thomae, 1991, S.293). Filipp (1990) fand in ihrer Untersuchung von 80 Personen verschiedener Altersklassen und demographischer Lagen zur Einschätzung von Lebensereignissen folgende Korrelationen zwischen Umzug und verschiedenen, aus Einzelereignissen komprimierten Ereignisfaktoren heraus: Bereicherung .30, Verlust .36 und öffentliches Ereignis .22. Dies lässt die Bedeutung eines Umzugs als kritisches Lebensereignis – sowohl in positiver als auch negativer Hinsicht – erkennen.
In Holmes und Rahes Aufstellung der kritischen Lebensereignisse anhand ihres Stresspotentials nimmt „change in residence“ (Wohnungswechsel) Rang 32 von insgesamt 43 ein (Holmes, Rahe, 1967, in Sugarman, 1986, S.141)
Umweltpsychologisch gesehen ist ein Umzug ein ökologischer Übergang, im Rahmen dessen ein älterer Mensch seine Umwelt durch den Wechsel von einem Wohnort zu einem anderen verändert (Saup, 1990). Durch einen Umzug geht die Ortsidentität als Komponente der Selbstidentität (Proshansky, 1978, in Filipp, 1990) verloren und wird erst durch die Findung einer neuen Ortsidentität, die sich durch den Prozess der Integration in die neue Umgebung einstellt, umgekehrt. Die Dauer dieses Ortsidentitätsfindungsprozesses ist abhängig von Faktoren, die diesen Anpassungsvorgang fördern (z.B. Freiwilligkeit des Umzugs) bzw. behindern (z.B. Zwangsumsiedlung) (Filipp, 1990). Neben den Personenmerkmalen bestimmen die Merkmale der Wohnumgebung die Güte des Anpassungsvorgangs an die neue Wohnumwelt. In Bezug auf ältere Menschen wird die Beschaffenheit der Wohnumgebung wichtiger, je geringer die Kompetenzen der Person sind (Lawton, Nahemow, 1973, siehe Abschnitt 4.1).
Die meisten älteren Menschen verlassen ihre angestammte Wohnung vorsorglich oder aus einem bestimmten Anlass wegen endogener, d.h. familiärer oder persönlicher Gründe, die meist auf dem Gesundheitszustand basieren; rund 1/3 der Wohnortswechsel lassen sich auf exogene, meist in unzulänglichen Wohn- und Lebensbedingungen gelegenen Beweggründe zurückführen. Wohnortwechsel werden ausgelöst über Push-Effekte, z.B. verschlechterter Gesundheitszustand, Mängel der vorigen Wohnung oder deren Kündigung oder Verteuerung, oder über Pull-Effekte wie dem Wunsch nach Nähe zu Angehörigen oder dem Angebot einer attraktiveren Wohnalternative (Heinze, Eichener, Naegele, Bucksteeg, Schauerte, 1997). Beiden Umzugseffekten gleich ist die meist unterstützungsorientierte Mobilitätsintention (Friedrich, 1994; siehe auch Abschnitt 5.3).
Da diese Studie die Gründe untersucht, die ältere Menschen dazu bewegen, ihre bestehende Wohnsituation gegen eine bestimmte Form des Wohnens – das Betreute Wohnen – auszutauschen, werden diese und andere Wohnformen in den nächsten Abschnitten kurz vorgestellt.
2.4 Wohnformen
Schnieder (1989) beschreibt folgende existierende Wohnversorgungsformen für die ältere Bevölkerung:
Normalwohnungen: selbstständiges Wohnen und eigene Haushaltsführung. Inanspruchnahme von ambulanten Diensten möglich, die zeitweilige Probleme der Selbstversorgung mildern können.
Spezialwohnungen: können als erste Stufe der Wohnversorgung angesehen werden. Sie sind für besondere Bedürfnisse der Bewirtschaftung und Mietbelastung sowie des Standorts und funktionaler Defizite entwickelt, die Normalwohnungen i.d.R. nicht berücksichtigen.
Anstalten: bilden den Schwerpunkt der Altershilfe. Altenwohnheim, Altenheim, und Altenpflegeheim stellen ein nach Bedarf der Betreuungsnotwendigkeit gestuftes System institutioneller Versorgungseinrichtungen.
Saup (1993) fasst die institutionellen Wohnformen für alte Menschen wie folgt zusammen:
[...]
- Citar trabajo
- Christina Müller (Autor), 2004, Wohnen im Alter. Umzugsgründe in das Betreute Wohnen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/30021
-
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X.