Ich werde mich in der folgenden Schrift mit der Frage nach der Rolle der Sprache im politischen Handeln beschäftigen. Um genauer zu sein: die Rolle, die Sprache innerhalb eines Staatsgefüges einnimmt. Hierzu werde ich an die aristotelischen Überlegungen über die Politik anknüpfen, insbesondere an seine Thesen über das Wesen des Menschen als politisches Lebewesen, was ihn zu einem solchen macht und warum der Mensch in einem höheren Maße ein politisches Lebewesen ist als andere.
Aus diesen Thesen des Aristoteles ergibt sich die Notwendigkeit für den Menschen als politisches Lebewesen in der Polis zu leben, um sich zum Besten zu entwickeln. Hier werde ich untersuchen, wie sich der Mensch in der Polis entfaltet und warum ihm diese Entfaltung nur im Rahmen der Polis gelingen kann. Damit soll auch der Übergang zum zweiten Kapitel geschaffen werden, in dem ich die eigentliche Rolle der Sprache im etablierten politischen Alltag des klassischen Athens untersuchen werde. Hierfür ist es notwendig die Strukturen des Staates zu untersuchen, um die Partizipationsmöglichkeiten des Bürgers herauszuarbeiten.
Zum Schluss werde ich das Aufkommen der Redekunst untersuchen. Dies unter dem Blick des Bedarfs nach einer Methode um die politische Partizipation zu optimieren. Ich werde kurz auf Rhetorik des Aristoteles eingehen, die eines der bekanntesten Rhetorik Lehrbücher seiner Zeit war. An dem Beispiel der politischen Rede werde ich kurz seine Klassifikation der Redegattungen darstellen. Die Frage die den Anstoß zu dieser Arbeit gibt, ist die nach dem Einfluss der Sprache bei der Staatengründung.
Obwohl der Augenblick der Staatsgenese sehr schwer nachzuvollziehen ist und in diesem Papier auch nicht ausgearbeitet werden kann, kann dennoch gesagt werden, dass es ohne Sprache nicht zu einer Staatenbildung kommen konnte. Um aber der ursprünglichen Frage näher zu kommen sollen die folgenden Betrachtungen dienen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Mensch als politisches Lebewesen
a. Was macht den Menschen zu einem zoon politikon?
b. Die Sprache als Voraussetzung für die Bildung der Polis
c. Die Notwendigkeit der Polis
i. Die Hausgemeinschaft oder die Familie
ii. Das Dorf oder die Gemeinschaft von Häusern
iii. Die Polis oder der Staat
3. Die Rolle der Sprache in der Polis
a. Die politische Struktur der Demokratie Athens in der klassischen Periode
i. Der Rat oder die Boulé
ii. Die Volksversammlung oder Ekklesia
iii. Die Gerichtshöfe oder Dikasterien
b. Der Bedarf nach professioneller Rhetoriklehre
c. Die Rhetorik des Aristoteles und die Redegattungen
4. Fazit
5. Literaturliste
1. Einleitung
Über die Sprache wird wahrscheinlich schon nachgedacht, seitdem es Sprache gibt und selbst das Denken ginge ohne Sprache wahrscheinlich nicht. Überlegungen über die Sprache gibt es in multiplen Richtungen: Ob die Sprache von Gott gegeben sei oder der Mensch sie sich selbst gegeben habe? Wie sich die Sprache weiterentwickelt? Was es heiße sprachliches Wissen zu besitzen? In wie fern eine Sprache mit einem Weltbild verbunden sei? Ob die Sprache Ausdruck des Bewusstseins sei?
Ich werde mich in der folgenden Schrift mit der Frage nach der Rolle der Sprache im politischen Handeln beschäftigen. Um genauer zu sein: die Rolle, die Sprache innerhalb eines Staatsgefüges einnimmt.
Hierzu werde ich an die aristotelischen Überlegungen über die Politik anknüpfen, insbesondere an seine Thesen über das Wesen des Menschen als politisches Lebewesen, was ihn zu einem solchen macht und warum der Mensch in einem höheren Maße ein politisches Lebewesen ist als andere.
Aus diesen Thesen des Aristoteles ergibt sich die Notwendigkeit für den Menschen als politisches Lebewesen in der Polis zu leben, um sich zum Besten zu entwickeln. Hier werde ich untersuchen, wie sich der Mensch in der Polis entfaltet und warum ihm diese Entfaltung nur im Rahmen der Polis gelingen kann.
Damit soll auch der Übergang zum zweiten Kapitel geschaffen werden, in dem ich die eigentliche Rolle der Sprache im etablierten politischen Alltag des klassischen Athens untersuchen werde. Hierfür ist es notwendig die Strukturen des Staates zu untersuchen, um die Partizipationsmöglichkeiten des Bürgers herauszuarbeiten.
Zum Schluss werde ich das Aufkommen der Redekunst untersuchen. Dies unter dem Blick des Bedarfs nach einer Methode um die politische Partizipation zu optimieren. Ich werde kurz auf Rhetorik des Aristoteles eingehen, die eines der bekanntesten Rhetorik Lehrbücher seiner Zeit war. An dem Beispiel der politischen Rede werde ich kurz seine Klassifikation der Redegattungen darstellen.
Die Frage die den Anstoß zu dieser Arbeit gibt, ist die nach dem Einfluss der Sprache bei der Staatengründung. Obwohl der Augenblick der Staatsgenese sehr schwer nachzuvollziehen ist und in diesem Papier auch nicht ausgearbeitet werden kann, kann dennoch gesagt werden, dass es ohne Sprache nicht zu einer Staatenbildung kommen konnte. Um aber der ursprünglichen Frage näher zu kommen sollen die folgenden Betrachtungen dienen.
2. Der Mensch als politisches Lebewesen
In seiner Politik (1253a1 ff.) stellt Aristoteles die These auf, der Mensch sei von Natur aus ein zoon politikon, ein politisches Lebewesen. Die erste Interpretation, die sich daraus logisch zu ergeben scheint, ist, dass der Mensch von Natur aus darauf ausgelegt sei in Städten zu leben. In der GIGON[1] Ausgabe des Textes wurde zoon politikon mit „staatenbildendes Lebewesen“ übersetzt, ein Begriff, der diese Annahme bestätigt. Dieser Schluss liegt auch nahe, wenn man die etymologische Verbindung der Worte politikon und polis betrachtet.
Auch BIEN interpretiert den Satz in diese Richtung, indem er sagt, die Bestimmung der „Natur des Menschen als einer wesenhaft auf die Stadt und bürgerliche Gesellschaft angewiesene Vernunftnatur“ sei Gegenstand der Politik.[2]
Wie COOPER und andere der von mir konsultierten Autoren aber darlegen, erschöpft sich die Bedeutung des Satzes darin keineswegs, denn Aristoteles erwähnt ein paar Zeilen weiter unten (1253a 7-8), dass der Mensch in höherem Grade politisch sei als z.B. die Biene. Da die Biene aber nicht in einer Stadt lebt, kann die eigentliche Bedeutung des Satzes nicht die Angewiesenheit auf die Polis sein.
Um zu klären, was der Kern des Satzes ist, d.h. was den Menschen als zoon politikon unter anderen Lebewesen (zoa) ausmacht, ist es notwendig, eine Passage aus der zoologischen Schrift des Aristoteles „Historia Animalium“ ( 448a) zu Rate zu ziehen, in der Aristoteles die verschiedenen Arten von Lebewesen aufführt und sie nach Lebensform und Tätigkeit klassifiziert:
„Es gibt aber auch Merkmale der folgenden Art, entsprechend der Lebensform und den Aktivitäten. Die einen sind Herdentiere, die anderen leben solitär – und zwar betrifft dies sowohl Landgänger als auch Flugtiere als auch Schwimmer – wieder andere nehmen eine Zwischenstellung ein. Und von denen leben die einen politisch, die anderen verstreut. Beispiele für die Herdentiere unter den Vögeln sind: die Klasse der Tauben, die Kraniche und die Schwäne (von den Krummschnäbeligen ist keines ein Herdentier) und bei den Schwimmern: viele Gruppen von Fischen, zum Beispiel die sogenannten Zugfische, die Thunfische, die Pelamydes, die Amiai. Der Mensch aber nimmt eine Zwischenstellung ein zwischen Herdentier und verstreut lebenden Lebewesen, die politisch leben, sind die, die irgendeine Tätigkeit gemeinsam haben, was nicht auf alle Herdentiere zutrifft. Von dieser Art sind Mensch, Biene, Ameise und Kranich, und von diesen stehen der Kranich und die Klasse der Bienen unter einem Führer, die Ameisen und unzählige andere sind anarchisch.“[3]
Mit dieser biologischen Bestimmung von zoon politikon im Hintergrund, ist es einfacher die Bedeutung des Satzes näher zu bestimmen.
a. Was macht den Menschen zu einemzoon politikon?
Wenn man die oben zitierte Passage in Betrachtung zieht, ist zuerst einmal festzustellen, dass die Bestimmung des Menschen als zoon politikon primär eine biologische Bezeichnung ist und in diesem Zusammenhang nichts direktes mit der Polis zu tun haben kann, da auch andere Tiere, die nicht in der Polis leben, diese Bezeichnung bekommen.[4]
Aristoteles benutzt den Begriff ‚politisch’, der seiner ursprünglichen Bedeutung nach nicht aus der Biologie kommt, um die Tiere zu klassifizieren und die „Unterschiede der einzelnen Tierarten am Maßstab der am höchsten entwickelten Tierart zu messen“[5]: der Mensch. So unterscheidet Aristoteles zwischen Herdentieren und verstreut lebenden Tieren. Als Untergruppen von den Herdentieren unterscheidet er dann diejenigen, die ‚politisch’ sind, von denen, die ‚scattered’[6] sind. Als definierendes Merkmal für die politischen Herdentiere nennt er eine gemeinsame Tätigkeit als Gruppe.
Da der Mensch von Aristoteles der Subgruppe der Herdentiere, die politisch sind, zugeordnet wurde, gilt es nun herauszufinden, welche Tätigkeit es ist, der die Menschen als Gruppe gemeinsam nachgehen. Diese gemeinsame Tätigkeit wird im Bereich des Handelns gefunden, „soweit es der Gründung und Erhaltung politischer Gemeinwesen dient“[7]. Es ist also doch in der Polis, in der die Menschen gemeinsam die Struktur und Organisation der Stadt versuchen zu erhalten, indem sie verschiedenen, sich ergänzenden und auf ein gemeinsames Gut hin zielenden Tätigkeiten nachgehen, in denen sich das politische Sein des Menschen manifestiert.[8] Auf die Frage, welches dieses gemeinsame Gut sei, werde ich später noch eingehen.
Damit wäre der Bogen zu der ersten Definition geschlagen, dass der Mensch ein Staaten gründendes Wesen oder ein Polis-Tier sei. Denn die Aktivität, der die Menschen als Gruppe gemeinsam nachgehen, wird in der Polis ausgeführt. Aber es sind noch nicht alle Schwierigkeiten geklärt.
Die nächste Frage ist also: Was befähigt den Menschen eine Polis zu gründen, in der er sein politisches Wesen entfalten kann? Was hat er, dass die anderen Tiere, die als politika bezeichnet wurden, nicht haben?
b. Die Sprache als Voraussetzung für die Gründung der Polis
Die Antwort auf diese Frage ist im Text schnell zu finden. Der Mensch sei in höherem (mallon) Grade „staatenbildend“ weil er als einziges Lebewesen über die Sprache (logos) verfügt (1253 a 7-8).
Es ist unter den Gelehrten diskutiert worden, ob Aristoteles mit dem Wort mallon nicht meine, dass der Mensch eher als andere Lebewesen ein politikon zoon sei, was wiederum die Interpretation des Menschen als staatenbildendens Wesen oder Polis-Animal unterstützen würde.[9] Die Argumente überwiegen aber, sich für die Bedeutung ‚mehr als’ oder ‚in höherem Grade als’ auszusprechen, da Aristoteles sich sonst in seiner biologischen Bestimmung widersprechen würde.[10] Die Sprache macht den Menschen also zu einem in höherem Grade politischen Wesen.
Die Begründung dafür ist, dass der Mensch durch die Sprache in der Lage sei, komplexere Arten von Gemeinschaft aufzubauen[11], bzw. dass die gemeinsame Tätigkeit, die die Menschen als Gruppe verrichten, wegen der durch den logos „höheren Stufe von praktischer Rationalität und Kommunikation“[12] höher und komplexer sei. Diese höhere Stufe zeigt sich dadurch, dass die Menschen im Gegensatz zu anderen Tieren, die nur über die Stimme verfügen und damit nur das mitteilen können, was mehr oder weniger unmittelbaren Schmerz oder Lust betrifft[13], sich das Nützliche und Schädliche gegenseitig mitteilen können und so auch das Gerechte und Ungerechte (1253a 13-15). Die Betonung soll dabei auf dem ‚Mitteilen’ liegen, mittels dem die Menschen auf Gemeinsamkeiten kommen. Darüber hinaus können sie „conceive of and communicate their thoughts about their own and others’ long-term and future good, and the common good which constitutes justice“.[14] Nützlich und schädlich ist etwas, das nicht „in sich selbst wünschenswert ist, sondern um etwas anderen Willen, das noch gar nicht gegeben ist, sondern zu dessen Beschaffung es einem dient“[15]. Eben dies zeugt für ein „Sinn für das Künftige“ und eine „Überlegenheit über das je Gegenwärtige“, weil der Mensch über Sachen sprechen kann, bzw. diese mitteilen kann, die nicht unmittelbar gegenwärtig sind.[16] Deswegen sind die Menschen in der Lage, Häuser und Städte, ein arbeitsteilig gegliedertes Wirtschaftsleben und eine politische Verfassung zu bilden[17] ; wie Aristoteles sagt: „Die Gemeinschaft in diesen Dingen schafft das Haus und den Staat.“[18]
[...]
[1] GIGON, Olof, „Aristoteles Politik“, Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 9. Auflage April 2003, S.49.
[2] BIEN, Günther, „Die Grundlegung der Politischen Philosophie bei Aristoteles“, Karl Alber Verlag, Freiburg/München, 3. Auflage 1985, S.70.
[3] Die Passage wurde so in dem Text von KULLMANN zitiert. Ich habe den Text hier leider nur auf Griechisch bekommen.
[4] Vgl. MULGAN,R.G. „Aristotle´s Doctrine that Man is a Political Animal“ in: Hermes 102. Band, Hrg. : BÜCHNER, Karl, DILLER, Hans, NESSELHAUF, Herbert, Franz Steiner Verlag, Wiesbaden, 1974, S 439.
[5] KULLMANN, Wolfgang, „Der Mensch als politisches Lebewesen bei Aristoteles“ in: Hermes 108. Band, Hrg. : BLEICKEN, Jochen; BÜCHENER, Karl; ERBSE, Hartmut; Franz Steiner Verlag, Wiesbaden , 1980, S.432.
[6] Dem Begriff bin ich nur in den englischsprachigen Texten von COOPER S. 223 und MULGAN S.438 begegnet.
[7] ARENDT, Hannah, “Vita Activa: vom tätigen Leben“ , W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart, 1960, S. 15
[8] Vgl. COOPER, John M., „Political Animals and Civic Friendship“ in: „Aristoteles’ Politik : Akten des XI. Symposium Aristotelicum, Friedrichshafen/ Bodensee 25.08 – 3.9.1987“ Hrg.: PATZIG, Günther, Vanderhoeck & Ruprecht, Göttingen, 1990, S. 225-227.
[9] MULGAN, S.443.
[10] Vgl. ebd.
[11] Vgl. COOPER, S. 225.
[12] HÖFFE, Ottfried „ Aristoteles Politische Anthropologie“ in: Klassiker Auslegen : Aristoteles Politik, Band 23, Hrg. : HÖFFE, Ottfried, Akademie Verlag, Berlin 2001, S.27.
[13] Vgl. COOPER. S.225.
[14] Ebd.
[15] GADAMER, H.G., „Mensch und Sprache“ 1966, In: „Gesammelte Werke / Hans-Georg Gadamer“, Band 2 „Hermeneutik: Wahrheit und Methode“, JCB Mohr, Tübingen, 1986, S.146.
[16] Vgl. ebd.
[17] Vgl. ebd.
[18] GIGON, S.49
- Quote paper
- Mariana Pinzon (Author), 2004, Das zoon logon echon bei Aristoteles oder über die Rolle der Sprache in der antiken Polis, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29970
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