Five years ago I offered to the Secretary-General of the United Nations a blueprint for a sovereign, multi-ethnic democracy called Kosovo. Today we celebrate the full and final adoption of the principles and structures of that blueprint into the institutions, the processes, and the legal framework of an independent, functioning state (Rede Ahtisaari 2012).
Diese Worte richtete UN-Sondervermittler Martti Ahtisaari anlässlich der offiziellen Beendigung der überwachten Unabhängigkeit der Republik Kosovo durch die Internationale Aufsichtsbehörde am 10.09.2012 im Rahmen einer feierlichen Sitzung an das kosovarische Parlament. Der nach ihm benannte Ahtisaari-Plan regelte u. a. den (völker-)rechtlichen Statuts des Kosovo und ebnete somit den Weg in die Souveränität. Darüber hinaus wurde die weitere Demokratisierung der seit dem 17. Februar 2008 unabhängigen Republik Kosovo in der Verfassung festgeschrieben. Diesem Ereignis war eine Phase vorangegangen, die am besten mit Claus Offes sog. Gleichzeitigkeitsdilemma im Kontext postkommunistischer Systemtransformation in Osteuropa beschrieben werden kann. Demnach laufen gleich mehrere Transformationsprozesse verschiedener gesellschaftlicher Subsysteme parallel ab und beeinflussen sich wechselseitig: die politische Transformation (von der Autokratie zur Demokratie), die wirtschaftliche Transformation (von der Plan- zur Marktwirtschaft) und die staatliche Transformation (Neugründung von Nationalstaaten. Im Kosovo tritt die Friedenskonsolidierung (vom gewaltsamen Konflikt zur friedlichen Ordnung) im Rahmen der internationalen Interventionspolitiken – externes Statebuilding oder externe Demokratisierung – hinzu.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
1 Einführung
2 Theoretischer Rahmen
2.1 Schlüsselkonzepte: politisches Regime, defekte Demokratie,demokratische Konsolidierung
2.2 Analysekonzept: demokratische Konsolidierung des politischen Regimes nach Merkel
2.3 Theoretischer Rahmen: historischer Institutionalismus – Akteure und Institutionen
3 Empirie I: Profilanalyse des demokratischen Regimes und der demokratischen Konsolidierung
3.1 Transformationsphasen des politischen Regimes seit 1999
3.2 Profilanalyse des demokratischen Regimes und seine Konsolidierung auf konstitutioneller Ebene (2008–2014)
4 Empirie II: historische institutionelle Hinterlassenschaften im demokratischen Regime während der konstitutionellen Konsolidierung
5 Schlussfolgerungen
Literaturverzeichnis
Monographien, Sammelbände und Zeitschriftenaufsätze
Internetquellen
Anhang: Tabellen und Abbildungen
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Demokratieprofil des politischen Regimes im Kosovo 2010–2014
Abbildung 2: Demokratische Konsolidierung nach dem Mehrebenenmodell von Merkel
Abbildung 3: Demokratieprofil des politischen Regimes im Kosovo 2010–2014
Abbildung 4: Demokratische Konsolidierung nach dem Mehrebenenmodell von Merkel
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Übersicht historischer Hinterlassenschaften (vor dem Regimewechsel 1999)
Tabelle 2: Subtypen defekter Demokratien
Tabelle 3: Operationalisierung der einzelnen Teilregime einer defekten Demokratie
Tabelle 4: Zuordnung der BTI-Indikatoren des Status-Index (in der Untersuchungsdimension Politischen Transformation) zur defekten Demokratie und zur demokratischen Konsolidierung
Tabelle 5: BTI-Werte 2010, 2012 sowie 2014 zur Berechnung der defekten Demokratie sowie demokratischen Konsolidierung
Tabelle 6: Übersicht Ministerpräsident sowie Regierungskoalition im Parlament
Tabelle 7: Übersicht politische Parteien im Kosovo (erstellt anhand Stimmenanteil bei der Parlamentswahl 2010/11)
1 Einführung
Five years ago I offered to the Secretary-General of the United Nations a blueprint for a sovereign, multi-ethnic democracy called Kosovo. Today we celebrate the full and final adoption of the principles and structures of that blueprint into the institutions, the processes, and the legal framework of an independent, functioning state (Rede Ahtisaari 2012).
DieseWorte richteteUN-Sondervermittler Martti Ahtisaari anlässlich der offiziellen Beendigung der überwachten Unabhängigkeit der Republik Kosovo durch die Internationale Aufsichtsbehörde (ICO)am 10.09.2012im Rahmen einer feierlichen Sitzung an das kosovarische Parlament. Der nach ihm benannte Ahtisaari-Plan regelte u. a. den (völker-)rechtlichen Statuts des Kosovo und ebnete somit den Weg in die Souveränität. Darüber hinaus wurde die weitere Demokratisierung der seit dem 17.Februar 2008 unabhängigen Republik Kosovo in der Verfassung festgeschrieben. Diesem Ereignis war eine Phase vorangegangen, die am besten mit Claus Offessog. Gleichzeitigkeitsdilemma im Kontext postkommunistischer Systemtransformation in Osteuropa (vgl. Offe 1991) beschrieben werden kann. Demnachlaufen gleich mehrere Transformationsprozesse verschiedener gesellschaftlicher Subsysteme parallel ab und beeinflussen sich wechselseitig: die politische Transformation (von der Autokratie zur Demokratie), die wirtschaftliche Transformation (von der Plan- zur Marktwirtschaft) und die staatliche Transformation (Neugründung von Nationalstaaten) (vgl. Merkel 2010: 324–330). Im Kosovo tritt die Friedenskonsolidierung (vom gewaltsamen Konflikt zur friedlichen Ordnung) im Rahmen der internationalen Interventionspolitiken – externes Statebuilding oder externe Demokratisierung – hinzu.
Vor diesem Hintergrund liegt dieser transformationstheoretisch orientierten Fallstudie folgende Forschungsfrage zugrunde: (1) Inwiefern hat sich das politische Regime im Kosovo ausgehend von der demokratischen Verfassung 2008 konsolidiert? Ausgehend vom empirischen Befund des Unterkapitels3.2 fügt sich umgehend die zweite Forschungsfrage an: (2)Inwiefern behindern historische institutionelle Hinterlassenschaften wie informelle politische Institutionen die konstitutionelle Konsolidierung des demokratischen Regimes? Die theoriegeleiteten Thesen werden in Kapitel 4 entwickelt.
Den Forschungsfragen wirdwesentlich mithilfe der transformationstheoretischen Ausführungen von Wolfgang Merkel (2010), die gewissermaßen den derzeitigen Forschungsstand im Sinne einer empirisch reflektierten Theorie abbilden, nachgegangen. Merkels zentrales Konzept der demokratischen Konsolidierung (vgl. Merkel 2011: 29–32; 2010: 110–127) stellt einen adäquaten analytischen Rahmen bereit, der die Konsolidierung eines jungen demokratischen Regimes in einemprozessorientierten Mehrebenenmodell konzeptualisiert. Insbesondere zeigt sich das Konzept gegenüber anderen theoretischen Zugängen, wie der Forschung zur politischen Kultur, überaus integrationsoffen und stellt deshalb eine tragfähige analytische Konstruktion für vorliegende Fallstudie dar. Wird das Konzept mit dem historischen Institutionalismus theoretisch verknüpft, bietet es außerdem fruchtbare Erklärungen für demokratische Konsolidierungsprozesse (vgl. Merkel 2011: 43).
Das Forschungsdesign verbindeteine qualitative Fallstudie mit einer Prozessanalyse im Untersuchungszeitraum 2008–2014 (vgl. Muno 2009: 125–127). Die Fallstudie wird zunächst in die grundlegenden transformationstheoretischen Schlüsselkonzepteeinführen (Kap. 2). In einem ersten Schritt wird das politische Regime definiert (2.1), anschließend das Konzept der defekten Demokratie erläutert, um abzustecken, was unter Demokratie zu fassen ist. Sodann wird das Analysekonzept der demokratischen Konsolidierung vorgestellt (2.2). Unter Konsolidierung bedeutet zunächst ganz allgemein eine Verfestigungneuer demokratischer (politischer) Institutionen und einen Stabilitätszuwachs durch Legitimität und Effektivität (vgl. Merkel 1996: 13). Die Fallstudie fokussiert die konstitutionelle Konsolidierung des demokratischen Regimes als Untersuchungsgegenstand. Den theoretischen Rahmen bildet der historische Institutionalismus (2.3), der Institutionen und Akteure der politischen Sphäreim Rahmen von Regimewechselprozessen adäquat erklärt. Hierbei wird insbesondere auf den sog. Legacy-Ansatz rekurriert, der den Konnex zwischen autoritären Hinterlassenschaften und der Demokratisierung[1] erhellt. Die explizierten theoretischen Ansätze werden anhand zweier Empirie-Abschnitte ausgeführt, um die Forschungsfragen zu beantworten.Kapitel 3 wird zunächst in die Transformationsphasen des politischen Regimes im Kosovo seit 1999 einführen (3.1) und danndas Profil der kosovarischen Demokratie sowie die konstitutionelle Konsolidierung des demokratischen Regimes im Untersuchungszeitraum 2008–2014 analysieren. Auf Grundlage der daraus resultierenden empirischen Befunde wird die zweite Forschungsfrage untersucht(3.2), bevor Kapitel 5 die Schlussfolgerungen der Analyse(n) zusammenfasst.
2 Theoretischer Rahmen
Im folgenden Abschnitt wird zunächst der Begriff des politischen Regimes definiert, derin dieser Fallstudie den Untersuchungsgegenstand bildet.Danach wird die zugrundeliegende Demokratiekonzeption vorgestellt.Mithilfe des Konzepts der defekten Demokratie wird das politische Regime in seiner demokratischen Variante weiter mit Inhalt angereichert. Dies dient der Demokratieanalyse des kosovarischen Regimes (Abschnitt 3.2), aus der dann wesentliche Charakteristika, d. h. Defekte im demokratischen Regime abgeleitet unddaraufhin untersucht werden, ob sie sich konsolidieren. In dieser Hinsicht dient ‚defekte Demokratie‘ebenso als Grundlage für die demokratische Konsolidierung im nächsten Abschnitt (Abschnitt 2.2).Das Konzept der defekten Demokratie bietet sichdemnach insbesondere aufgrund des fruchtbaren Konnex zwischen empirischer Demokratiemessung und Transformationsforschung an (vgl. Pickel/Pickel 2006: 235).
2.1 Schlüsselkonzepte:politisches Regime,defekte Demokratie,demokratische Konsolidierung
Merkel (2010: 63 f.) definiert das politische Regime aus herrschaftssoziologischer Perspektive als wertneutralen, analytischen Begriff, dereine auf Dauer ausgelegte politische Herrschaftsordnung adressiert (vgl. Schmidt 2010b: 677).Herrschaftssoziologisch meint in diesem Kontext die Differenzierung diverser politischer Regime entlang herrschaftsbezogener Kriterien: Herrschaftslegitimation, Herrschaftszugang, Herrschaftsanspruch, Herrschaftsmonopol. Herrschaftsstruktur sowie Herrschaftsweise (vgl. Merkel 2010: 22 f.).
Das politische Regime in Anlehnung an Robert Fishman (1990: 428) verstanden als Herrschaftsordnung wird entlang zweier inhaltlicher Dimensionen konzeptualisiert. Die erste Dimension betrachtet die formelle und informelle Organisation des politischen Herrschaftszentrums und fokussiert die Herrschaftseliten oder ‑träger sowie ihreBeziehungen (Regimeelite und Opposition) untereinander. In dieser Hinsicht wird auch der Zugang zur politischen Herrschaft betrachtet. Darüber hinaus verweist die zweite Dimension auf die Herrschaftsbeziehung zwischen den Herrschaftsträgern (Regimeelite) und den Herrschaftsunterworfenen – typischerweise die Gesellschaft (vgl. Merkel 1994: 10 f.; Merkel 2010: 63 f.).
Im Hinblick auf die Dauerhaftigkeit (Persistenz) siedelt sich das politische Regime zwischen Regierung als am wenigsten dauerhafte Form und Staat als eine dauerhafte Form politischer Herrschaftsordnung an. Gerade der Vergleich zum Staat ist aufschlussreich, denn er kann sowohl unter einem demokratischen als auch unter einem autokratischen (autoritären) Regime funktionieren (vgl. Merkel 2010: 64).[2] In diesem Sinn versteht sich das politische Regime im Rahmen bestehender formaler und informeller Institutionen als „Modus, in dem regiert wird“ (Hartmann 2011: 23).
Mithilfe der eingebetteten Demokratie (Merkel et al. 2003) wird das Konzept der defekten Demokratiededuktiv abgeleitet.Die eingebettete Demokratie[3] dient der Analyse liberalerdemokratischer Regime und rekurriert auf das Dahl’sche Minimalkonzept von Demokratie (Polyarchie) – eineinflussreicher demokratietheoretischer Bezugspunkt in der Transformationsforschung(vgl. Croissant 2010: 95; Merkel 2010: 30).Hieran knüpfen Merkel et al. (2003) an und ergänzen diepartizipative und Wettbewerbsdimension der minimalenDemokratiekonzeptionum zwei gehaltvollere Elemente: denliberalen Konstitutionalismus (Verfassungsstaat) sowie denRechtsstaat (vgl. Croissant 2010: 95).Beide Elemente dienen vor allem der elementaren Herrschaftskontrolle der staatlichen Gewalt(en) und der rechtsstaatlichen Ausübung politischer Herrschaft (liberale Abwehrrecht der Bürger gegenüber dem Staat) (vgl. Merkel et al. 2003: 47). Die zugrundeliegende Demokratiedefinition[4] wird anhand von fünf Teilregimen in drei Dimensionen konzeptualisiert. Die Teilregime verstehen sichals komplexe zusammenhängende Regeln und Normen, die für das Funktionieren des demokratischen Regimes erforderlich sind (vgl. Croissant 2010: 95). Die Teilregime der eingebetteten Demokratie sind: 1. Wahlregime; 2. politische Freiheiten; 3. bürgerliche Rechte; 4. horizontale Gewaltenkontrolle; 5. effektive Regierungsgewalt (vgl. Merkel 2010: 30–37).Das Ergebnis der Konzeption von Merkel et al. ist ein Demokratiemodell, das alle notwendigen Bestandteile einer modernen liberalen Demokratie beinhaltet, um gegenwärtige, sich transformierende Demokratien abseits der Dichotomie Demokratie/Autokratie zu erfassen.Hier setzt die Konzeption der defekten Demokratien (Merkel et al. 2003) an.
Defekte Demokratien[5] weisen in einzelnen oder gar mehreren Teilregimen Defekte auf und stören somit das komplexe Gesamtregime der eingebetteten Demokratie, verfügen aber über einen gewissen Mindeststand an institutionalisierten demokratischen Regeln und Normen, die sie eindeutig von einem autokratischen Regime (autoritär, totalitär) abgrenzen (vgl. Croissant 2010: 98).Die Tabelle 2im Anhang bietet eine Typologie der defekten Demokratie underfasst unterschiedliche (Sub-)Typen. Je nachdem welches Teilregime verletzt wird, können existierende Demokratien einem defekten Demokratietyp zugeordnet werden. Die idealtypischen Subtypen treten realiter als Mischtypen auf.
Im Anhang befindet sichaucheine erweiterte Tabelle 3zurAnalyse einer defekten Demokratie notwendigenOperationalisierung mitsämtlichen Indikatoren. Die Profilanalyse des politischen Regimes im Kosovowird auf Grundlage des Konzepts der defekten Demokratie inUnterkapitel3.2erfolgen.Im Anhang befindet sich weiterhin eine Tabelle 4, in der die BTI-Indikatoren den Indikatoren der defekten Demokratiezugeordnet werden. Hierbei dient der BTI als Datenbasis zur Messung der Indikatoren der defekten Demokratie (BTI-Werte siehe Anhang Tabelle 5) An diese Praxis knüpft auch die Operationalisierung der demokratischen Konsolidierung an.
2.2 Analysekonzept: demokratische Konsolidierung des politischen Regimes nach Merkel
Grundsätzlich lässt sich die demokratische Konsolidierung als dritte Phase innerhalb desTransformationsphasenmodells (Merkel 2010: 93–127)verorten.Zwischen autokratischem System und konsolidiertem demokratischen System verlaufendrei idealtypische Phasen: (1) das Ende des autokratischen Regimes; (2) die Institutionalisierung der Demokratie sowie (3) die Konsolidierung der Demokratie (vgl. Merkel 2010: 95).Sinnvoll erscheint es,die Transformationsphasen empiriebezogen zur Anwendung zu bringen (Unterkapitel 3.1).
Das Konzept der demokratischen Konsolidierung ist in der Transformationsliteratur umstritten, was sich bereits in der Bestimmung des zeitlichen Beginns dieser Phase zeigt. Darüber hinaus wird kontrovers diskutiert, wie gehaltvoll die Konsolidierung konzeptualisiert werden muss. Im Anschluss an Merkel (2010: 110) beginnt die demokratische Konsolidierung mit der Deklaration der Verfassung bzw. mit der demokratischen Revision der alten Verfassung, während ein Teil der Literatur die Gründungswahlen (founding elections) in Anlehnung an O’Donnell et al. (1986) als Ausgangspunkt der demokratischen Konsolidierung versteht.
Zudem variiert die Transformationsliteratur zwischen minimalistischen und umfassend bestimmtenKonsolidierungskonzepten (vgl. Merkel 2010: 110). Merkel greift die Überlegungen von Geoffrey Pridham (1995: 168) zwischen negativer und positiver Konsolidierung auf.[6] Die gegenwärtige Forschung sowie die Realität stellen diesen Konsolidierungsbegriff vor eine Herausforderung. Der negative Begriff führt erhebliche Implikationen mit sich, denn er verkennt das Potenzial politischer respektive sozialer Akteure,sich den Staat oder politische Institutionenanzueignen, um innerhalb demokratischer Institutionen ihre (Partikular-)Interessen und Ziele zu verfolgen (vgl.Merkel/Croissant 2000: 16–24; Zürcher 2005). Dies betrifft zugleich den positiven Konsolidierungsbegriff, der auf den negativen aufbaut. Dies muss in einer Analyse entsprechend berücksichtigt werden. Der positive Konsolidierungsbegriff bringt insofern einen erheblichen Vorteil mit sich, als er auf den Weber’schen Terminus des Legitimitätsglaubens abhebt, der gewissermaßen den Ausgangspunkt für die empirisch orientierte Begriffsdimension der politischen Legitimität (siehe Fußnote 9) darstellt. Das prozessorientierte Mehrebenenmodell demokratischer Konsolidierung von Merkel folgt der positiven Konsolidierungsvariante. Mit ihm eröffnet sich gleichsam die eingangs angesprochene Integrationsfähigkeit des Konzepts, das in seiner Zielsetzungeindeutig systemtheoretisch ausgerichtet ist, indem es vorrangig auf die Stabilität des demokratischen Systems zielt, die sich ihrerseits mithilfe von Legitimität und Effektivität konkretisieren lässt (vgl. Pickel/Pickel 2006: 85–92). Merkel (2010: 111) konzipiert demokratische Konsolidierung in Anlehnung an Linz/Stepan (1996) auf vier Analyseebenen, die miteinander in Beziehung stehen und sich gewissermaßen gegenseitig bedingen:
(1) konstitutionelle bzw. institutionelle Konsolidierung (Makro: Strukturen),
(2) repräsentative Konsolidierung (Meso: formelle Akteure),
(3) Verhaltungskonsolidierung (Meso: informelle Akteure),
(4) Konsolidierung einer Staatsbürgerkultur (Mikro: Bürger, Makro: Gesellschaft).[7]
Die analytische Sequenzierung entspricht häufig der zeitlichen Sequenz eines sich konsolidierenden demokratischen Regimes. Demnach ist die konstitutionelle Ebene in der Regel am ehesten konsolidiert und legt somit das Fundament für die weitere Konsolidierung der anderen Ebenen (vgl. Merkel 2010: 110–127).Die konstitutionelle Konsolidierungist auf der Makroebene angesiedelt und fokussiert insbesonderedie zentralen – formalen – Verfassungsinstitutionen in den drei Gewalten.Mit Blick auf den hier herangezogenen theoretischen Rahmen reduzieren die konstitutionellen politischen Institutionen die Verhaltenskontingenz politischer Akteure. Sie wirken sowohl handlungsermöglichend als auch handlungsbeschränkend und können demnach das Verhalten der für diese Phase wichtigen Eliten beeinflussen – vorausgesetzt die Eliten akzeptieren die neuen demokratischen Spielregeln und verfolgen ihre Interessen und Konflikte innerhalb der demokratisch-politischen Institutionen (vgl. Merkel 2010: 113).[8]
Merkel (2010: 113–118) erfasst die konstitutionelle Konsolidierung mithilfe der formalen und der empirischen Legitimation. Letztere wird anhand der drei Kriterien: 1. institutionelle Effizienz und Effektivität der politischen Institutionen, 2. institutionelle Transparenz der politischen Entscheidungen und 3. institutionelle Inklusion (soziale und politische Integration und Partizipation) bewertet (vgl. Merkel 2011: 32).[9] Diese Bewertungskriterien konzentrieren sich auf eine Institutionenanalyse des demokratischen Regimes und zielen auf die bereits angesprochene systemtheoretischorientierte Stabilität des demokratischen Systems. Anders formuliert: Je höher die graduelle Bewertung dieser Kriterien ausfällt– so die implizite Annahme Merkels –, desto wahrscheinlicher ist die Herausbildung empirischer politischer Legitimität der politischen Ordnung bei den Herrschaftsunterworfenen.[10]
Anhand dieser festgelegten (Bewertungs-)Kriterien führt Merkel (2011) mithilfe des BTI die Operationalisierung durch. Anzumerken ist, dass das Mehrebenenmodell demokratischer Konsolidierung zugleich das Referenzmodell für den BTI (samt seiner Kriterien und Indikatoren) ist. Dies ermöglicht es, im Weiteren auf die qualitativen Daten des BTI zurückzugreifen und eine eigene Berechnung durchzuführen (siehe Unterkapitel3.2).
2.3 Theoretischer Rahmen: historischer Institutionalismus –Akteure und Institutionen
In diesem Abschnitt sollen konzeptionelle Überlegungen zur demokratischen Konsolidierung des politischen Regimes insbesondere mit Fokus auf die politischen Eliten (Akteure) sowie politischen Institutionenvorgenommen werden. Dabeigeht esvor allem um die Frage, wie sich der derzeitige Konsolidierungsstand im Analysebereich der konstitutionellen Konsolidierung erklären lässt. In konzeptionell-analytischer Hinsicht muss die Konsolidierungskonzeption demnach um einen akteurszentrierten Zugang erweitert werden. Der historische Institutionalismus als akteurszentrierterund zugleich historisch informierter Institutionalismus, der sowohl informale und als auch informelle Institutionen umschließt,[11] bietet sich in besonderer Weise für das Forschungsvorhaben an.
Der historische Institutionalismus ist neben dem Rational-Choice- und soziologischen Institutionalismus eine der wichtigsten theoretischen Strömungen des Neo-Institutionalismus und findet interdisziplinäre Anwendung in den Sozialwissenschaften[12] (siehe Schimank 2007). Sven Steinmo (2008: 118) bezeichnet ihn weder als eine besondere Theorie noch als eine spezifische Methode, sondern eher als einen (theoretischen) Ansatz zur Erklärung politischer Phänomene (Polity-, Politics- und Policy-Dimension) mit einem Fokus auf politischen Institutionen[13] und unter besonderer Berücksichtigung des historischen Kontexts (temporale Dimension).Demzufolge lassen sich gegenwärtige politische Phänomene insbesondere durch die historische Kontextualisierung erklären. Die zentralen theoretischen Konzepte des historischen Institutionalismus sind das Pfadabhängigkeitstheorem, damit verbunden die kritische Weggabelung (critical juncture) sowie als neuerer Ansatz der sog. Legacy-Ansatz (historische Hinterlassenschaft). In der vergleichenden Demokratieforschung sprechen Capoccia/Ziblatt (2010) bereitsvon „The Historical Turn in Democratization Studies“ – so der Titel des Journals Comparative Political Studies.
Mit Blick auf die demokratische Konsolidierung des politischen Regimes dieser Fallstudie bringt Merkel es auf folgenden Punkt:
Denn der historische Institutionalismus, wird er in der Regimeforschung angewandt, baut auf der empirisch begründeten Annahme auf, dass legacies, seien sie struktureller, kultureller oder personeller Art, tiefe Pfadabhängigkeiten für die zukünftige Entwicklung schaffen.(Merkel 2011: 43).
Der historische Institutionalismus isteine geeignete theoretische Synthese aus system- und handlungstheoretischen Ansätzen zur Erklärung der demokratischen Konsolidierung, indem er auf Mesoebene sowohl Akteure als auch Institutionen und ihre interdependente Beziehung in den Fokus der Analyse rückt. Solässt sich demokratische Konsolidierung auf der konstitutionellen Ebene als Arena begreifen, in der die relevanten Akteure ihre politischen Entscheidungen im Rahmen institutioneller Opportunitätsstrukturen treffen. Institutionen bilden gewissermaßen einen Möglichkeitsraum von Handlungen (vgl. Merkel 2010: 87–89) und nehmen daher eine zentrale Bedeutung beiRegimewechselprozessen ein (vgl. Merkel/Sandschneider/Segert 1996: 11 f.; Merkel/Croissant 2000: 16–24 sowie Grzymala-Busse 2010).[14]
Bei der Definition politischer Institutionen folgt die Fallstudie den Überlegungen vonFriedbert Rüb (1994; 1996),der sie insbesondere ineinem transformationstheoretischen Kontext beleuchtet. Aus soziologischer Perspektive bezeichnen Institutionen allgemein ein beständiges Muster von Regeln, Normen, Werten sozialer Beziehungen, das darauf ausgerichtet ist, gesellschaftliche Probleme (Konflikte) zu lösen oder zumindestzu regulieren und zu Entscheidungen zu führen (vgl. Rüb 1994: 116). Ausgehend von der soziologischen Perspektive sind politische Institutionen im engeren Sinn insbesondere die Verfassung selbst, die die Ausgestaltung des Regierungssystems sowie seineBestandteile (Präsident, Regierung, Parlament, Gerichte, Verwaltung etc.) und darüber hinaus politische Grundrechte gewährleistet. Im weiteren Sinn lassen sich auch gesetzliche Regelungen zum intermediären System wie Parteien, Verbände, Massenmedien etc. darunter fassen. All diese grundlegenden politischen Institutionen sind vor allem rechtlichkodifiziert. Deshalb definiert Rüb formale politische Institutionen treffend als„diejenigen regulativen Muster, in denen und durch die bindende Entscheidungen hergestellt und durchgeführt werden. Sie sind notwendig rechtlich verfaßt“ (Rüb 1994: 116).
Daneben existieren informelleInstitutionen,die Helmke/Levitsky als „socially shared rules, usually unwritten, that are created, communicated, and enforced outside of officially sanctioned channels“definieren(2004: 727). Hierzu gehören Korruption, Klientelismus, Gewohnheitsrecht, Klan-Strukturen. Politisch werden diese informellen Institutionen, wenn sie in die politische Sphäre reichen und das demokratische Regime beeinflussen.Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht kodifiziert sind, jedoch auf Regelsystemen basieren, die die formalen politischen Institutionen stützen und mitunter sinnvoll ergänzen, aber auch konträr zu ihnen stehen und somit die eigentliche formale Funktionslogik zerstören. Deshalb ist es für die Analyse der demokratischen Konsolidierung relevant, diese informellen Institutionen undihre fördernde und behindernde Konsolidierungswirkung zu erfassen (vgl. Köllner 2012: 272–281; Merkel/Croissant 2000: 16–24 und Schröter 2011: 51–54). Die nähere Bestimmung der Beziehung zwischen formalen und informellen politischen Institutionen erfolgt empiriebezogen in Kapitel 4.
Institutionenverstanden als Regeln und Normen (Regelsysteme) sind per se nicht handlungsfähig, sondern benötigen dazu handlungsfähige natürliche oder juristische Personen. Gerhard Göhler (2012) unterscheidet zwischen Institutionen mit und ohne Akteure. Während Institutionen mit Akteuren Organisationenwie Parlament, Regierung und Gerichte sein können,steht für eine Institution ohne Akteure beispielhaft die Verfassung,die als unabhängig von Personen bestehendesNormensystem ihre Geltung wiederum durch das faktische Wirken vonAkteuren gewinnt (vgl. Göhler 2012: 195).Dies führt zum Begriff des Akteurs.
Unter Akteur werden in dieser Fallstudie politische Eliten gefasst, sowohl individuelle Akteure, also Eliten in ihren Rollen (Amtsträger, Regierungschef), als auch kollektive Akteure im Sinne einer Gruppierung von Eliten (Regimeelite, Opposition), die wiederrum in Organisationen oder Parteien organisiert sein können.Die politischen Eliten spielen eine herausragende Rolle während des demokratischen Konsolidierungsprozesses,denn insbesonderedie Verfassung etabliert formale Institutionen (Polity- Dimension), die ihrerseits in konstitutionell festgelegten Verfahrensweisen (Politics- Dimension) zu politischen Entscheidungen (Policy- Dimensionen) führen, die die Gesellschaft betreffen (vgl. Merkel 2010: 113). In Bezug zum theoretischen Rahmen lässtsich das Verhalten politischer Elitenerst mithilfe von Institutionen erklären.Dies soll keineswegs systemische, strukturalistische oder handlungstheoretische Ansätze verneinen. Die Annahme lautet vielmehr, dass in Konsolidierungsprozessenvon zentraler Bedeutungist, inwieweit politische Akteureden formal demokratischen Institutionen und damit den demokratischen Spielregeln (Funktionslogik) entsprechen.
Der Legacy-Ansatz als neuerertheoretischer Ansatz des historischen Institutionalismus erklärt durch die Hinterlassenschaften des vorherigen politischen Systems als unabhängige Variable die demokratische Entwicklung als abhängige Variable (Demokratisierung des politischen Regimes/Qualität der Demokratie) (vgl. Pop-Eleches 2007 sowie Wittenberg 2013). Die folgenden Überlegungen bauen auf Pop-Eleches (2007) auf, der mithilfe einer quantitativen (multivariaten) Analyse den Zusammenhang von historischen Hinterlassenschaften und Demokratisierung (Demokratiequalität) des politischen Regimes statistisch aufdeckt.Dabei wird keine deterministische Beziehung zwischen Hinterlassenschaften und Demokratisierung des politischen Regimes postuliert, sondern angenommen, dass zusammenwirkende Hinterlassenschaften eher günstige oder eher schlechte Bedingungen für ein demokratisches Regime mit sich bringen – wenngleich einige Hinterlassenschaften eher zu bestimmten Wirkungen der Demokratisierung führen (vgl. Pop-Eleches 2007: 924). Historische Hinterlassenschaften können Defekte im gegenwärtigen demokratischen Regime sowie Faktoren herausstellen, die eine demokratische Konsolidierung behindern (vgl. Merkel/Croissant 2000: 17).[15]
Pop-Eleches (2007) erkennt fünf Dimensionen historischerHinterlassenschaften: 1. geografische bzw. regionale Lage des Staats, 2. kulturelle und religiöse, 3. ökonomische, 4. sozioökonomische und 5. institutionelle Hinterlassenschaften. Diese Dimensionen werden mithilfe diverser Variablen (Indikatoren) operationalisiert und statistische Korrelations- und Regressionsanalysen durchgeführt.
Welcher theoretische sowie empirische Wirkungszusammenhangbesteht? Historische Hinterlassenschaften aus dem Vorgängerregime – seien sie formaler oder informeller Art– bieten fruchtbare Erklärungsansätze für gegenwärtige Demokratisierungsprozesse.In den Transformationsprozessenderpostkommunistischen Staaten wird dies besonders deutlich (vgl. Pop-Eleches 2007, Wittenberg 2013). Demnach wirken historische Hinterlassenschaften wie institutionelle Faktoren im Verlauf vonTransformationsprozessen (enger: in Regimewechseln) auf die Wahl des neuen Regierungssystems, seine Ausgestaltung sowieauf das Parteien- oder Wahlsystem. Unter Einbeziehung der historischen Perspektivekönnen historische Hinterlassenschaften demnach geeignete oder ungeeignete Voraussetzungen für die demokratische Konsolidierung darstellen.
Für die demokratische Konsolidierung des kosovarischen politischen Regimes hat eine formalinstitutionelle Analyse des neuen demokratischen Regimes keine ausreichende Erklärungskraft (vgl. Alexander 2001: 249). Deshalb wird der Legacy-Ansatz für die Analyse des Verhaltens der politischen Eliten im neuen demokratischen Systemfruchtbar gemacht und dafür auch das Konzept der demokratischen Konsolidierung von Merkel angepasst. Daher fokussiert die Fallstudie auf der konstitutionellen Ebene vor allem die politischen Institutionen.
Unter Einbeziehung der historischen Dimension (Legacy-Ansatz) ergibt sich ein institutionell bedingter Handlungsrahmen (Institutionen als Regeln bzw. Regelwerk): Sowohl die neuen formaldemokratischen Institutionen (demokratisches Regime) als auch die historischen Hinterlassenschaften (tradierte informelle Institutionen) bilden den möglichen Handlungsraum der Entscheidungen politischer Eliten. Diese Annahme soll die empirischen Befunde, die mittels Demokratieanalyse und Konsolidierungsanalyse herausgearbeitet werden, theoriegeleitet erklären (vgl. Merkel/Croissant 2000: 16–24).
3 Empirie I: Profilanalyse des demokratischen Regimes undder demokratischen Konsolidierung
Im Folgenden wird der Fall Kosovo anhand Merkels (2010) idealtypischer Transformationsphasen (3.1)eingeordnet, um das demokratische Regimesund die demokratische Konsolidierung zu analysieren (3.2) und für die historischorientierte Institutionenanalyse (Kap. 4) wichtige Erkenntnisse zu gewinnen.
3.1 Transformationsphasendes politischen Regimes seit 1999
Ablösung des autokratischen Regimes 1999
Das autokratische Regime im Kosovo wurde maßgeblich durch die serbische Herrschaft geprägt, während es territorialer Bestandteil der Sozialistischen Republik Serbiens mit dem Status einer autonomen Region war. Innerhalb der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) erlangte das Kosovo zwischen 1968 und 1974 – zwar unter serbischer Herrschaft – weitreichende politische Autonomierechte (vgl. Pichler 2008: 68–71; Schmitt 2008: 231–233). Im Rahmen der jugoslawischen Zerfallsprozesse und der einsetzenden serbisch-nationalistischen Unterdrückungspolitik unter Slobodan Miloševićwurden die im Kosovo lebenden Albaner serbischen Repressionenausgesetzt, die auf einer ethnonationalen Identitätskonstruktion beruhten und politisch instrumentalisiert wurden (vgl. Sundhaussen 2000: 82–85).Die ethnischen Spannungenentluden sich in einem gewaltsamen Konflikt, dem Kosovo-Krieg 1999. Insbesondere der bewaffnete (Guerilla-)Kampf des Gewaltakteurs der kosovo-albanischen UÇK führte zur militärischen (bzw. unilateralen humanitären)Intervention der NATO, dieeinen demokratischen Regimewechsel erzwang(vgl. Reuter 2000: 171; Schmidt 2000: 198 f.; van Meurs 2011: 740).
Institutionalisierung der Demokratie[16] 1999–2008
Die westliche Militärintervention beendete mit der Ablösung des Ancien Régime die serbische Herrschaft über das Kosovo. Im Anschluss wurde auf Grundlage der Sicherheitsresolution 1244 (Juni 1999)die Institutionalisierung der Demokratie im Kosovo eingeleitet und eine komplexe Struktur aus internationalen Akteuren entstand (vgl. Schoch 2010: 23; Basic 2013).Die UN-Resolution 1244 bestimmtesowohl eine internationale militärische Präsenz unter Führung der NATO (KFOR-Mission) als auch eine internationale zivile Präsenz durch die UN (UN-Interimsverwaltungsmission, kurz: UNMIK). Leiter dieser internationalen Mission war der Special Representative of the Secretary-General (SRSG) mit weitreichender Kompetenz für die Erfüllung seiner Aufgaben (vgl. Schoch 2010: 8). Nicht zuletzt spielten dafür die Erfahrungen der internationalen Akteure in Bosnien und Herzegowina eine Rolle, aberauch die ambitionierteAufgabe, in der kosovarischen Nachkriegsgesellschaft einen Staat mitsamt demokratischem Regime westlicher Prägung zu implementieren. Gleichwohl sicherte die UN-Resolution 1244 paradoxerweise auch die territoriale Integrität Serbiens und sprach vom Aufbau demokratischer Selbstverwaltungsinstitutionen mit substanzieller Autonomie (vgl. Vereinte Nationen 2001: 37 f., Ziffern 10 und 11). Der provisorische Verfassungsrahmenumfasste klassische politische Institutionen mit einem Präsidenten, einer Regierung, einem Parlament, einer Judikativeundeiner administrativen Bürokratie(vgl. Schoch 2010: 12).
Die Institutionalisierung der kosovarischen Demokratieist maßgeblich extern induziert, was die zugrundeliegenden politischen Konzepte – Friedenskonsolidierung, externes Statebuilding und externe Demokratisierung– verdeutlichen. Die internationalen Akteureübernahmen mit ihrer Interventionspolitik die Herrschaft im Kosovo, die Herrschaft wurde also internationalisiert. Bliesemann de Guevara/Kühn (2010)merken deshalb kritisch an, dass die wesentliche Ausgestaltung der politischen Neuordnung (demokratischer Staat) nicht mehr den Willensbildungs- und Aushandlungsprozessen der kosovarischen Gesellschaft obliegt, sondern durch die internationalisierte Herrschaft der internationalen Akteure bestimmt wird. Die zentrale Herausforderung der internationalen Akteure liegt demnach darin, die etablierten demokratischen Strukturen (Institutionen, Akteure, Prozesse) in lokal anerkannte Herrschaft zu wandeln (vgl. Bliesemann de Guevara/Kühn 2010: 49). Aus demokratietheoretischer Perspektive ist ebenfalls kritisch anzumerken, dass die internationalen Herrschaftsträger (UNMIK) der kosovarischen Bevölkerung keineswegs rechenschaftspflichtig sind, sodass kaum vonvollwertiger Volkssouveränität zu sprechen ist.
Konsolidierung der (defekten) Demokratie seit 200 8
Übereinstimmend mit Merkel (2010) wird das Ende der Institutionalisierung[17] und damit der Beginn der Konsolidierung der kosovarischen Demokratie mit derRatifikation der Verfassung durch das kosovarische Parlament am 09.April 2008 datiert.Die Verfassungtrat offiziell am 15.Juni 2008 in Kraft (vgl. Mehmeti/Demi 2013: 33). Die vom kosovarischen Parlament am 17.Februar 2008 einseitig deklarierte Unabhängigkeit ist das Resultat der internationalen Verhandlungen über den Status des Kosovo. Die unabhängige kosovarische Republik beschritt den Weg in die Souveränität, wenngleich es sich zunächst um eine überwachte Unabhängigkeit handelte. Dies erfolgte auf Basis des sogenannten Ahtisaari-Plans (Comprehensive Proposal for the Kosovo Status Settlement von 2007), der den zukünftigen Status des Kosovo in überwachter Unabhängigkeit regelt, aber gleichzeitig an gewisse Bedingungen knüpfte wie u. a. Herausbildung einer demokratischen und multi-ethnischen Gesellschaft, Garantie von Minderheitenrechten, Aufbau eines unabhängigen sowie professionellen Justizsystems (vgl. Leiße 2013: 12). Die Phase der überwachten Unabhängigkeit endete am 10. September 2012 und das bis dahin zuständige International Civilian Office (ICO) stellte seine Arbeit ein (vgl. ICO 2012). Die Republik Kosovo erhielt einen weiteren Teil ihrerSouveränität, wenngleich die UN-Resolution 1244 sowie die Europäische Rechtsstaatlichkeitsmission zur Förderung der kosovarischen Rechtsstaatlichkeit weiterhin aktiv sind – was mitunter rechtliche Konfusion fördert (vgl. Schoch 2010: 23).
3.2 Profilanalyse des demokratischen Regimes und seine Konsolidierung auf konstitutioneller Ebene (2008–2014)
Die kosovarische Verfassung setzt politischeHerrschaftfrei undverriegelt sie zugleich durch das demokratische Regime.Die Verfassung übernahm die bereits bestehende institutionelle Struktur des provisorischen Verfassungsrahmens und inkorporierte den Ahtisaari-Plan, der konsequent auf eineweitere Demokratisierung (samt umfangreichem Minderheitenschutz und multiethnischer Gesellschaft) ausgelegt ist (vgl. Schoch 2010:24).
Aus den Grundlegenden Bestimmungen der Verfassung der Republik Kosovo[18] (Kapitel 1 der Verfassung) wird ersichtlich, dass das Kosovo eine Republik und zudem ein säkularer, souveräner, demokratischer und unteilbarer Staat ist, dessen Herrschaftslegitimation (nach Merkel) sich aus der Volkssouveränität ergibt. Weiterhin wirdder Rechtsstaat etabliert: Gleichheit vor dem Gesetz,Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit, Gleichberechtigung der Geschlechter, Minderheitenschutz. Die Verfassung gründetu. a.auf den WertenFreiheit, Frieden, Demokratie, Gleichheit, Achtung der Menschenrechte und politischen Grundfreiheiten sowie Herrschaft des Rechts. Des Weiteren werden formale Verfassungsinstitutionen etabliert: Versammlung der Republik Kosovo (Parlament), Präsident sowie Regierung, Justizsystem mit Verfassungsgericht.Die Staatsorganisation der Republik Kosovo folgt demArrangement von Gewaltenteilung und -verschränkung eines parlamentarischen Regierungssystems (Art. 4): Legislative (Parlament), zweigeteilte Exekutive (Präsident, Regierung), unabhängige Judikative (Gerichte samt Verfassungsgericht).Neben demZentralstaat bestehen auf kommunaler Ebene Gemeinden mit Selbstverwaltungskompetenzen (Art. 12 sowie Kap. X).
Das institutionelle Verfassungsdesign des kosovarischen Regierungssystems entspricht nach Merkel (2010: 107)einem parlamentarischen Regierungssystem mit einer starken Stellung des Präsidenten in Anlehnung an Shugart (1993) undzeichnet sich demnach durch eine doppelköpfige Exekutive (Präsident/Regierung) aus, die das Parlament wählt (Art. 65). Der Präsident besitzt umfangreiche Kompetenzen,u. a. in der Außenpolitik oder im Notstandrecht (Art. 84), kann aber weder das Parlament noch die Regierung gegen den Willen der parlamentarischen Mehrheit auflösen. Der Präsident kann per Amtsenthebungsverfahren (Art. 91) aus seinem Amt,die Regierung per Misstrauensvotum aus der Regierungsverantwortung entlassen werden (Art. 100).Die Verfassung kann mitqualifizierter Mehrheit (⅔-Mehrheit mit ⅔der anwesenden Abgeordneten) geändert werden (Art. 65) und besitzt einen Selbstschutz, der das Kapitel 2 zur Garantie elementarer Grund- und Freiheitsrechte vor Verfassungsänderungen schützt (Art. 144).
Das konstitutionelle Design ist einer Konkordanzdemokratie nachempfunden,wie Korenica/Doli (2013) feststellen (siehe auch Schmidt 2010a: 309). Die Aufnahme konkordanzdemokratischer Züge in die Verfassunglässtsich insbesondere angesichtsdes ethnisch fragmentierten politischen Gemeinwesenserklären. Korenica/Doli (2013) analysieren anhand von vier Kriterien– 1. Machtteilung (Power-Sharing), 2. kulturelle Autonomie, 3. Proportionalität politischer Repräsentation, 4. institutionelle abgesicherte Vetorechte(Lijphart 2008) – das konstitutionelle Design und schlussfolgern, dass neben stark ausgeprägten konkordanzdemokratischen auch integrationsfördernde Elemente in der Verfassung verankert sind. Sie merken an, dass das konstitutionelle Polity-Design von vornherein ethnische Minderheiten in den politischen Prozess einbindet und durch eine Vielzahl von Machtteilungsarrangementsgeschützt ist (vgl. Korenica/Doli 2013).
Zusammengefasst bietet die kosovarische Verfassungfolglich günstige institutionelle Voraussetzungen, die insbesondere die Friedenskonsolidierung fördern, doch muss analysiert werden, inwiefern das konstitutionelle Design mit seinem Regierungssystem eine Konsolidierung fördert. Die Verfassung konstituiert ein modernes liberales demokratisches Regime,das alle fünf Teilregime der eingebetteten Demokratie erfüllt. Inwiefern die Verfassung mit der (Verfassungs-)Realität bzw. dem gelebten demokratischen Regime übereinstimmt, wird nachfolgend herausgearbeitet.
Profilanalyse demokratisches Regime (2008–2014)
Die folgende Profilanalyse für die Konsolidierungsphase ab 2008 fußt auf dem Konzept derdefekten Demokratie. Der Bertelsmann-Transformationsindex stellt hierfür in seiner Untersuchungsdimension „Politische Transformation“ empirische Daten anhand qualitativer Einschätzungen von Expertenbereit und erlaubt somit eine erste Einordnungbestehender Defekte.
Abbildung 1 zeigt das Demokratieprofil des politischen Regimes der Republik Kosovo im Untersuchungszeitraum 2010–2014 (für das Jahr 2008 gibt es keine BTI-Werte). Insgesamt kann das demokratische Regime als defekte Demokratie bewertet werden, deren Defektesich insbesondere in den Teilregimen C (Bürgerliche Freiheitsrechte) und D (Horizontale Gewaltenkontenkontrolle) zeigen. Die beiden Teilregime kennzeichnen die Dimension des liberalen Rechts- und Verfassungsstaats der eingebetteten Demokratiekonzeption und stellen die Erweiterung der minimalistischen Demokratiekonzeption von Robert Dahl dar. Die starken Defekte der beiden Teilregime bleiben im gesamten im Zeitraum konstant und grenzen sich gegenüber den anderen drei Teilregimen in ihrem Ausmaß ab. Das demokratische Regime des Kosovo stellt einen Mischtyp mit illiberal-delegativem Charakter dar (siehe Tabelle 2 im Anhang), während Stahl (2013: 373) im Kosovo eine Enklavendemokratie erkennen will.[19]
Abbildung 1: Demokratieprofil des politischen Regimes im Kosovo 2010–2014
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Berechnung. Weitere Erläuterungen siehe Anhang (selbe Abbildung, Abb. 3).
Demokratische Konsolidierung auf konstitutioneller Ebene
Anknüpfend an den Befund der Profilanalyse des politischen Regimes als defekte Demokratie mit illiberal-delegativem Charakter stellt sich die Frage nach der demokratischen Konsolidierung im Untersuchungszeitraum 2010–2014 (für 2008 sind keine BTI-Werte vorhanden). Abbildung 2 zeigt alle vier Analyseebenen des mit den Werten des BTI berechnetenMehrebenenmodells von Merkel.
Die demokratische Konsolidierung entfaltet sich in der Tatsache, dassdie Bürger im Kosovo seit 2008 die eigenen politischen Institutionen (Regierung, Parteien) für die gegenwärtige politische Entwicklung verantwortlich machen, während dies bis 2008 an die Adresse der internationalen Akteure (UNMIK) gerichtet wurde (vgl. UNDP 2013: 11). Die empirische Legitimität des politischen Regimes leidet, wenn es die an ihm gestellten Forderungen der Herrschaftsunterworfenennicht erfüllen kann, wie es die Umfragewerte des UNDP-Public-Pulse-Berichts (2013) eindringlich belegen.Sie stellen zusätzliche Indikatoren für die konstitutionelle Konsolidierung mit Blick auf die empirische politische Legitimitätbereit und erweitern somit die Operationalisierung von Merkel.[20] Der UNDP-Bericht belegt die Unzufriedenheit der befragten Bürger mit ihren politischen Institutionen.Von März 2007 bis April 2013 lassen sich folgendeZufriedenheitswerte aus den ungewichteten Mittelwerten berechnen: Parlament (38,5 %), Regierung (35,8 %) sowie Gerichte (21,3 %) (vgl. UNDP 2013: 10). Ein möglicher Erklärungsansatz hierfür kann dasinstitutionelle Design der Verfassungsein.
Mit Blick auf die formale Legitimation der Verfassung nach Merkel (2010: 113 f.) stellt sich heraus, dass externe Experten die kosovarische Verfassung ausarbeiteten, sodass sie nur auf begrenzten politischen Konsens im Kosovo stieß (vgl. Bieber 2013: 147). Dass in einer ethnisch fragmentierten Post-Konfliktgesellschaft die Verfassungsgebung durch externe Akteure realisiert wird, ist in Anlehnung an die Vierer-Typologie nach Merkel (2010: 114) als demokratietheoretisch bedenklich einzustufen.
Die empirische Legitimation der Verfassung validiertMerkel (2011: 32)anhand dreier konsolidierungsfördernder Bewertungskriterien: 1. institutionelle Effizienz sowie Effektivität der politischen Institutionen, 2. institutionelle Transparenz der politischen Entscheidungen (Legitimität der politischen Entscheidungen) und 3. institutionelle Inklusion (soziale und politische Integration und Partizipation).Die konstitutionelle Konsolidierung bemisst sich demnach daran, inwieweit diese drei institutionalistischen Kriteriender politischen Wirklichkeit (Verfassungswirklichkeit)entsprechen. Die hierfür notwendigen empirischen Daten liefert der BTI.
Die Abbildung 2illustriertdeutlich, dass die konstitutionelle Konsolidierung wie die anderen Konsolidierungsebenen stagniert und darüber hinaus mit am schlechtesten bewertet wird. Gründe dafür werden im BTI Länderbericht (2014: 8–11)und durch weitere Berichte, wie z. B. Nations in Transit von2013 (vgl. Gashi 2013: 284–286) gestützt.Das formaldemokratische Regime verstanden als Institutionengefüge ist Herausforderungen ausgesetzt, die vor allem dieineffiziente und ineffektive Rechtsstaatlichkeit betreffen. Demnach werden die grundlegenden Gewaltenteilungsarrangements nicht eingehalten, wodurch das Parlament seine Kontrollfunktion gegenüber der Exekutive nicht gewährleisten kann. Daneben wird die Unabhängigkeit der Gerichte durch politische Einflussnahme geschwächt und institutionelle Abhängigkeiten seitens der Exekutive geschaffen. Dies betrifft bspw. die Budgetausstattung der Gerichte. Darüber hinaus ist das Justizsystem institutionell überlastet, wie der EULEX-Bericht (2011: 43) sowie der Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission (2010:11) feststellen. Das demokratische Institutionengefüge wird außerdem durch krasse Korruption unterminiert (vgl. Báchora/Reiterer 2013: 127–132). Besonders das kosovarische Parteiensystem gilt aufgrund der korrupten Parteienfinanzierung als reformbedürftig (vgl. Baliqi 2013: 59). Zudem werden die konstitutionellen Freiheits-und Bürgerrechte nicht durchweg gewährleistet und oft sogar verletzt (vgl. Bieber 2013). Baliqi (2013: 47f.) verweist darüber hinaus auf die institutionelle Krise des Präsidentenamts hin, die dazu führte, dassparlamentarische Kommissionen zur Verfassungsänderung eingerichtet wurden,um zum einen das Wahlsystem gegen Wahlmanipulation zu schützen und zum anderen das Wahlverfahren des Präsidenten zu ändern. Der Präsident soll direkt vom Volk gewählt werden, was das Regierungssystem in ein präsidentielles System wandeln würde und eher konsolidierungsschwächende Wirkung auf das demokratische Regime hätte.[21]
Das politische Regime des Kosovo sieht sich mitunter kritischen institutionellen Herausforderungen bei der konstitutionellen Konsolidierung gegenüber (insbesondere hinsichtlich der empirischen Legitimation).Aus Perspektive der empirischen Legitimitätsdimension (siehe Fußnote 20)bestätigen sich die eben skizzierten Befunde im Meinungsbild der Bürger (vgl. UNDP 2013: 9–13). Dies behindert besonders die konstitutionelle Konsolidierung seitens der Herrschaftsunterworfenenund führt dazu, dass Anerkennung und Akzeptanz der demokratischen Ordnung seitens aller Akteure (Eliten, Gesellschaft) weiter schwinden.
Abbildung 2: Demokratische Konsolidierung nach dem Mehrebenenmodell von Merkel
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Berechnung. Weitere Erläuterungen siehe Anhang (selbe Abbildung, Abb. 4).
4 Empirie II: historische institutionelle Hinterlassenschaften im demokratischen Regime während der konstitutionellen Konsolidierung
Die Herausbildung des defekt-demokratischen Regimes im Kosovo muss kein Übergangsphänomen sein, sondern kann sich konsolidieren (vgl. Merkel et al. 2003: 68). Für die gegenwärtige demokratische Konsolidierung gibt es eine Vielzahl möglicher Erklärungsansätze.[22] Im Kosovo wird gegenwärtig vor allem die Schwierigkeit der Staats- und Nationenbildung im Rahmen internationaler Politiken externer Demokratisierung sowie externen Statebuildings diskutiert (vgl. Grimm2010, Gromes 2012, Schoch 2012).Aus dem Pool möglicher Erklärungsansätze konzentriert die Fallstudie nachfolgend auf dieinformellen Institutionen und ihre Wirkung auf die demokratischen Institutionen unter Berücksichtigung der Hinterlassenschaften (Abschnitt 2.3).
Theoretische Annahme ist, dass neben den formaldemokratisch etablierten Institutionen auch weiterhin tradierte informelle Institutionen bestehen, die sich mithilfe des Legacy-Ansatzes erfassen lassen und eine mögliche Erklärung für (1) gegenwärtige Defekte im demokratischen Regime des Kosovo, (2) die Konsolidierung sowie (3) das Verhalten der politischen Akteure geben. Dahinter steht die These, dass historische informelle Institutionenauf die konstitutionelle demokratische Konsolidierungkonfligierend bis substitutiv wirken, indem sie die formaldemokratischen Institutionen aushöhlen (vgl. Schröter 2012: 51–54 und Köllner 2012: 276 –279). Im Ergebnis befördert dies eine defekte Demokratie mit illiberal-delegativen Defekten samt ihrer Konsolidierung.
Das weitere methodische Vorgehen wird sich wie folgt gliedern: Zunächst wird festgestellt, welche relevanten historischeninstitutionellen Hinterlassenschaften im Kosovo in das heutige demokratische Regime gelangt sind. Daran anschließend wird analysiert, was diese historischen informellen Hinterlassenschaften kennzeichnet und wie sie in das gegenwärtige demokratische Regime im Kosovo seit 2008 wirken. Der Schwerpunkt der Betrachtungliegt weiterhin im Bereich der konstitutionellen Konsolidierung.
Historischeinstitutionelle Hinterlassenschaften lassen sich mithilfe von Länderanalysen (vgl. Džihić/Kramer 2008 sowie Džihić/Kramer 2009: 8–15) und anden faktischenHandlungen politischer Eliten erkennen (vgl. Schlichte 2006: 202), vor dem Regimewechsel im Kosovo folgende (Auflistung ist nicht abschließend):
Tabelle 1: Übersicht historischer Hinterlassenschaften (vor dem Regimewechsel 1999)
Historische Hinterlassenschaften
- Sozio-ökonomischer Stand
- Sozialistisch-bürokratische Modernisierung
- Wederstaatliche noch demokratische (Vor-)Erfahrung
- Nationenverständnis basiert auf ethnischer Zugehörigkeit (keine Staatsbürgerkultur)
- Ausgangssituation des Regimewechsels: Konfliktsituation zwischen ethnischen Gruppen, die heute die fragmentierte kosovarische politische Gemeinschaft bilden
(institutionelle und akteurszentrierte historische Hinterlassenschaft)
- Anerkennung der UÇK als legitimen politischen Akteur vor und während des Transformationsprozesses, damit verbunden die Übernahme informeller politischer Institutionen wie Korruption, Patronage und Klientelismus
Quelle: Eigene Zusammenstellung in Anlehnung an Pop-Eleches (2007).
Aus der institutionellen, akteurszentrierten Hinterlassenschaft lässt sich eine spezifischere These formulieren: Die UÇK als Organisation gelangt während der Institutionalisierung der Demokratiezu politischer Macht, die darüber hinaus international (externe Akteure im Kosovo)und lokal (Kosovo-Albaner) anerkannt wird. Zugleich werden die bestehenden informellen Institutionen übernommen und in das neue demokratische Regime transportiert. Die neuen formaldemokratischen Institutionen werden durch die historischen informellen Institutionen unterwandert.
In der Nachkriegsphase vollführte der ehemalige Gewaltakteur UÇK den Übergang in die neue politische Ordnung, die unter internationaler Aufsicht (UNMIK) geschaffen wurde. Im Vorfeld stieg die UÇK zum legitimen Interessensverwalter der kosovo-albanischen Bevölkerung auf, dadie Politik des friedlichen Widerstands Ibrahim Rugovas und seiner Partei LDK nicht zur erhofften Unabhängigkeit des Kosovo führte. Erst der gewaltsam bestrittene Weg der UÇK internationalisierte den Konflikt und forcierte die Unabhängigkeit. Die gewaltsame Politik der UÇK wurde international legitimiert, indem diese Organisationbspw. bei den Rambouillet-Verhandlungen 1998 gleichberechtigter Verhandlungspartner war. Darüber hinaus machte die UÇK sich das Machtvakuum infolge des gewaltsamen Konflikts zunutze. Die Mitwirkung der UÇK an der neuen politischen Ordnung war aus Sicht der internationalen Akteure notwendig, um einen dauerhaften und konsolidierten Frieden zu erlangen. Die UÇK verfügte über die Ressourcen sowie über ein funktionierendes Netzwerk. Dies macht eine Kooperation seitens internationaler Akteure mit der UÇK gewissermaßen notwendig, um einen Staat und eine Demokratie aufzubauen. In dieser Postkonfliktsituation und mit Beginn der Institutionalisierung der Demokratie kam die UÇKalso zu legitimerpolitischer Macht – und erfuhr damit nachträgliche Legitimierung seitens der internationalen Akteure für ihre gewaltsame Konfliktbearbeitung. Daraus ergab sich für die UÇK – die nunmehr herrschende politische Elite[23] in der neuen politischen Ordnung –ebenso Legitimitätszuspruch ausder kosovo-albanischen Bevölkerung (vgl. Frank 2006: 251–254 sowie 260 f.; Teran 2007 und Schneider/Schneider 2011: 110 f.).
Im Zuge der Institutionalisierung der Demokratie gelangte die UÇKnach ihrer offiziellen Auflösung im Sommer 1999 auf mehreren Wegen in das sich im Aufbau befindende demokratische Regime. Zum einenwurde sie im Rahmen der Entmilitarisierungin neu geschaffene staatliche Organisationen überführt: Kosovo Protection Corps (KPC) und Kosovo Police Service (KPS) sind Nachfolgeorganisationen. Daneben vollzog ein weitererTeil der Mitgliederden Übergang in die organisierte Kriminalität.Darüber hinausgelangte ein Teil der ehemaligenUÇK-Führungselite in den Kern des politischen Regimes und damit in die formalen politischen Institutionen (Regierung, Parlament, Präsident sowie politische Parteien) (vgl. Frank 2006: 254–259; siehe auch Dižihić/Kramer 2008; Kramer/Dižihić 2005: 153–164;Reljić 2008). Die im Anhang befindlichen Tabellen (Tab. 6 und 7) zeigen Weg der UÇK-Eliten in die demokratischen Institutionen.
Teile der ehemaligen UÇKvollziehen also den Wechsel in den Kernbereich demokratischer Institutionenundbilden seitdem die politische Elite im Kosovo.Doch was kennzeichnet die informellen Hinterlassenschaften der UÇK?Cornelia Frank (2006) hat aus Perspektive einer verstehenden Soziologie die UÇK als Gewaltakteur mithilfe eines Ansatzes von Norbert Elias untersucht, insbesondere dieFunktionslogik ihrer sozialenOrdnungsformen. Ihre Analysebereiche sind materielle Reproduktion der Organisation, Gewaltkontrolle (interne und äußere Organisationsstruktur) sowie (Re‑)Produktion sozialer Wirklichkeit (kollektive Identität).
Zur materiellen Reproduktion griff die UÇK auf das informell bestehende Steuersystem im Rahmen des sog. Schattenstaats zurück, das im Wesentlichen Geld aus der in der Diaspora lebenden kosovo-albanischen Bevölkerung akquirierte. Weiterhin versorgte der bestehende Schwarzmarkt die UÇK mit Geld und Waffen, gleichsam die Verbindung zur organisierten Kriminalität (vgl. Frank 2006: 255; Reljić 2008: 86–89). Insgesamt entspricht die materielle Reproduktion (finanzielle Sicherung) einer sog. Kriegsökonomie, die ihr finanzielles Überleben durch Plünderung, Schwarzmarkthandel mit Waffen und Drogen sowie Unterstützung von außen (Diaspora) gewährleistet(vgl. Ahlbrechtet al.2009: 43). Die interne Organisationsstruktur (institutionelle Struktur) derUÇKist eine tradierte gesellschaftliche Strukturierung in Großfamilien und Verwandtschaftsnetzwerke. In dieser Hinsicht ist die UÇK kein einheitlicher Akteur, sondern gliedert sich vielmehr nach regionalen Familien- und Verwandtschaftsverbänden. Die Akteursgruppen innerhalb der UÇK waren wiederum hierarchisch organisiert. Weiterhin bildeten klientelistisch sowie patriarchalisisch organisierte Strukturen das informelle Institutionensystem ab (vgl. Frank 2006: 255–257).Zur Reproduktion sozialer Ordnung sei an dieser Stelle auf die bereits verwiesene nachträgliche Legitimation der UÇK durch die internationalen Akteure und die empirische Legitimität seitens der Bevölkerung hingewiesen. Letztere speiste sich aus dem Schutz vor Übergriffen der serbischen Truppen, aus dem bewaffneten Befreiungskampf gegen Serbien, der Lösung aus dem serbischen Staatsverband und der in der Nachkriegsphase forcierten Eigenstaatlichkeit (vgl. Frank 2006: 256). Insbesondere sei auf den von Schneider/Schneider (2011: 116) bezeichneten „UÇK-Ethos“-Legitimationsnarrativ verwiesen, der darauf abzielt, dass die Zugehörigkeit zur ehemaligen UÇK die Erlangung politischer Ämter auf nationaler Ebene befördert bzw.sie sogar voraussetzt (vgl. Schneider/Schneider 2011: 111–117). Mit Blick auf die Besetzung der kosovarischen Verfassungsinstitutionen (Parlament, Regierung und Präsident) erhärtet sich diese Beurteilung.
Hier schließt die These von Merkel und Croissant (2000) an: Je stärker es den alten politischen Eliten gelingt, in die neuen politischen Institutionen zu gelangen, desto wahrscheinlicherakzeptieren sie diese eher als problemerzeugende, denn als problemlösende Mechanismen (vgl. Merkel/Croissant 2000: 17). Die gegenwärtigen politischen Eliten nutzen daher informelle Institutionen vor allem innerhalb demokratischer Institutionen, die ihnen den Vorteil bieten, informelle Regeln im Lichte der Legitimität ausstrahlenden demokratischen Institutionen zu nutzen (vgl. Merkel/Croissant 2000: 18)
Dies spiegelt die politische Realität in der politischen Sphäre mit Blick auf die konstitutionelle Konsolidierung wider (siehe Unterkapitel 3.2):zusammenfassend: „Regierungs- und Machtpositionen wurden und werden als Einflussdomäne der klientelistisch operierenden Parteien mit dominanten Führungspersönlichkeiten aufgefasst und benutzt, die Entwicklung einer von den Parteien unabhängigen Beamtenschaft blockiert und komplexe Sachfragen von rhetorischen Ablenkungsmanövern überdeckt“ (Džihić/Kramer 2009: 13).
5 Schlussfolgerungen
The Comprehensive Proposal offers Kosovo the possibility of stability, prosperity and good governance. Whether that possibility becomes reality depends on the people of Kosovo, and in particular on you, their democratic representatives. It is in your power, and your power only, to make Kosovo prejudiced or tolerant, to make Kosovo corrupt or fair, to make Kosovo a failure or a success.(Rede Athissari 2012)
Im Zuge seiner Rede am 10.09.2012 verwies UN-Sondervermittler Ahtissari neben dem optimistisch klingenden Eingangszitat (siehe Einleitung) weiterhin darauf, dass es sich zuvorderst an den kosovarischen Bürgern sowie ihren demokratischen Repräsentanten entscheidet, ob sich das demokratische Projekt in der seit 2008 unabhängigen Republik Kosovo behauptet und ob sich eine konsolidierte Demokratie etabliert (siehe Zitat oben). Die demokratische Verfassung von 2008 bildet den Ausgangspunkt für die im Fokus stehende Analyse der konstitutionellen Konsolidierung des demokratischen Regimes. Welche Erkenntnisse gewinnt die Fallstudie in ihrer Analyse?
Im Abschnitt (3.1) wurde der Transformationsfall Kosovo zunächst in die idealtypischen Phasen der Transformation nach Merkel eingeteilt. Die Verfassung der Republik Kosovo leitete den demokratischen Konsolidierungsprozess ein (3.2). Die Verfassung etablierte ein parlamentarisches Regierungssystem mit einer starken Stellung des Präsidenten und sie entspricht weiterhin einem konkordanzdemokratischen Institutionendesign, das im Kontext des ethnisch fragmentierten Gemeinwesens notwendig erscheint. Im Ergebnis erfüllt die Verfassung alle Voraussetzung, um eine moderne liberale Demokratie hinsichtlich der zugrunde gelegten Demokratiekonzeption herauszubilden. In der Analyse des Demokratieprofils (3.2) wurde ersichtlich, dass es sich bei dem kosovarischen politischen Regime seit 2008 um eine defekte Demokratie mit starken Defektausprägungen in der Dimension des liberalen Rechts- und Verfassungsstaates handelt.Daher ist das Regime als ein illiberaler-delegativer Mischtyp einer defekten Demokratie zu klassifizieren. Daran anschließend verstärkte die Analyse der konstitutionellen Konsolidierung (3.2) zudem den Befund, dass sich die defekte Demokratie verfestigt. Die konstitutionelle Konsolidierung stagniert, sodass die Entwicklung in Richtung eines stabilen liberalen demokratischen Regimes gehemmt wird. Dies wurde anhand der empirischen Legitimation, die das formale demokratische Institutionengefüge hinsichtlich institutioneller Kriterien Effizienz und Effektivität, Transparenz sowie Inklusion bewertet.
Festgestellt wurde, dass das demokratische Institutionengefüge einerseits von sich aus (endogen) institutionell überlastet ist und die an ihm gestellten Anforderungen nur bedingt erfüllt. Dies betrifft vor allem das ineffiziente und ineffektive kosovarische Justizsystem. Weiterhin tritt eine Schwächung innerhalb des demokratischen Institutionengefüges hinzu: Übergriffe der Exekutive auf die Judikative, Verletzung der Gewaltenteilungsarrangements, die institutionelle Krise des Präsidentenamt und die korrupten politischen Parteien. All diese Faktoren minimieren die Chance auf eine weitere konstitutionelle Konsolidierung des demokratischen Regimes.Anderseits treten aus einer exogenen Perspektive der demokratischen Institutionen heraus sodann informelle Institutionen hinzu, die im Verlauf der Arbeit jedoch neben den formalen zusammen das institutionelle Gesamtgefüge der politischen Sphäre bilden. Die Vermutung ist, dass informelle Institutionen – namentlich Korruption, Klientelismus, Patronage – das formal demokratische Regime ebenfalls in ihrer konstitutionellen Konsolidierung behindern. Etwas schärfer formuliert: die informellen Institutionen stehen mit den demokratischen Institutionen konfligierend im Verhältnis und unterminieren diese.
Im Kapitel 4 wurde dieser Vermutung mithilfe einer historisch-institutionellen Analyse im theoretischen Rahmen des historischen Institutionalismus nachgegangen. Insbesondere wurde eine institutionelle Hinterlassenschaft, die erklärtermaßen vor dem Regimewechsel bestand, in ihrer Genese, ihrer konkreten inhaltlichen Ausformung sowie ihrem Übergang in das neu geschaffene demokratische Regime betrachtet. Dies betrifft die Anerkennung der UÇK als legitime politische Organisation vor als auch während des Transformationsprozesses. Damit verbunden ist die Übernahme historisch informeller politischer Institutionen wie Korruption, Patronage und Klientelismus, die seitdem im demokratischen Regime persistent sind. Der Gewaltakteur UÇK etablierte sich in der Nachkriegsphase in der neuen politischen Ordnung als politische Elite und gelangte auf verschiedenen Wegen in die neuen demokratischen Institutionen: Parlament, Regierung sowie politische Parteien.
Akteure (wie politischen Eliten, handlungsfähigen Organisationen bzw. staatliche Organe) sind hierbei Spieler, die im Rahmen der Spielregeln, bestehend aus den formal demokratischen Institutionen sowie informellen Institutionen, ihre (Handlungs-)Entscheidungen treffen. Institutionen sind demnach Regeln und Normen und sind als Kontext zu verstehen, in denen die Akteure ihre Entscheidungen formulieren. Für die gegenwärtigen Akteure also, die aus den UÇK Umfeld kommen, ergibt sich aus formal demokratischen Institutionen sowie aus den informellen Institutionen ein handlungsanleitendes Institutionengefüge. Hierbei lassen die faktischen Handlungen der politischen Eliten darauf schließen (siehe Berichte, Länderanalysen), dass informellen Institutionen auf die demokratischen Institutionen insofern wirken, als sie die demokratischen Funktionslogiken unterminieren und die informellen Regeln und Normen innerhalb als auch außerhalb persistent sind. Dies führt dazu, um die zweite Forschungsfrage vollends zu beantworten, dass informelle historische Hinterlassenschaft die konstitutionelle Konsolidierung beeinträchtigen und sogar verhindern, indem sie konsolidierungsschwächend wirken.
An dieser Stelle ist darauf zu verweisen, dass neben dem dargelegten Erklärungsansatz weiteren Ansätze vorhanden sind: Institutionenwahl (Wahl des Regierungssystem, Wahlsystems), Europäisierung (Nahe und Einfluss zur Europäischen Union), externe Konditionalität (Entwicklungshilfe) sowie externe Demokratisierung (-förderung). Jedoch entfaltet der Ansatz historischer Hinterlassenschaften im Vergleich zu alternativen Ansätzen eine hohe Erklärungskraft für Demokratisierungsprozesse von post-kommunistische politischen Regimen, indem er gleichermaßen Institutionen sowie Akteure unter historischer Betrachtung in den Fokus der Analyse rückt.
Literaturverzeichnis
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Anhang: Tabellen und Abbildungen
Tabelle 2: Subtypen defekter Demokratien
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von Merkel et al. (2003: 69–73).
Tabelle 3: Operationalisierung der einzelnen Teilregime einer defekten Demokratie
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Zusammenstellung auf Grundlage von Merkel et al. (2003: 76–95).
Tabelle 4: Zuordnung der BTI-Indikatoren des Status-Index (in der Untersuchungsdimension Politischen Transformation) zur defekten Demokratie und zur demokratischen Konsolidierung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Zusammenstellung in Anlehnung an Croissant (2010: 101–103) und Merkel (2011).
Abbildung 3: Demokratieprofil des politischen Regimes im Kosovo 2010–2014
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Berechnung in Anlehnung an Croissant (2010: 101–103) auf Grundlage qualitativer BTI-Werte:http://www.bti-project.de/uploads/tx_itao_download/BTI2003-2014_Ergebnisse.xls [zuletzt geprüft am 02.05.2014].
Anmerkung:
Eigene Berechnung: Aus Tabelle 4 wurden die BTI-Indikatoren entsprechend der defekten Demokratie (Teilregime) zugeordnet. Die Berechnung erfolgt auf Grundlage der BTI-Werte (Tabelle 5) mit den ungewichteten Durchschnittswerte.
Der Transformationsindex misst Entwicklungs- und Transformationsprozesse in 128 Staaten anhand zweier Indizes (Status-Index und Management Index). Der hierbei relevante Status-Index gliedert sich entlang an zwei Untersuchungsdimensionen (Politische Transformation und Wirtschaftliche Transformation). Die Untersuchungsdimension Politische Transformation misst insgesamt 5 Kriterien anhand 18 Indikatoren. Zwei von den 5 Kriterien (Politische Partizipation und Rechtsstaatlichkeit) entsprechen eindeutig dem Konzept der eingebetteten Demokratie. Ihren 8 Indikatoren (jeweils vier pro Kriterium) lassen sich die einzelnen Teilregime der eingebetteten Demokratie zuordnen. Die Bewertung der einzelnen Indikatoren erfolgt in Anlehnung an die Typologie von Merkel et al. (2003) zwischen sich konsolidierten Demokratien (Wert von 10 bis 8), defekten Demokratien (Wert von unter 8 bis 6), stark defekte Demokratien (Wert von unter 6 bis 4), gemäßigte Autokratie (Wert von unter 6 bis 4) und harte Autokratie (Wert unter 4) (vgl. Bertelsmann Stiftung).
Abbildung 4: Demokratische Konsolidierung nach dem Mehrebenenmodell von Merkel
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Berechnung in Anlehnung an Merkel (2011)auf Grundlage qualitativer BTI-Werte:
http://www.bti-project.de/uploads/tx_itao_download/BTI2003-2014_Ergebnisse.xls [zuletzt geprüft am 02.05.2014].
Anmerkung:
Ich ziehe zur Berechnung der demokratischen Konsolidierung auf den vier Konsolidierungsebenen die Daten vom Bertelsmann Transformationsindex (BTI) von 2010, 2012 und 2014 heran (siehe Tabelle 5). Alle BTI-Werte befinden sich in einer Skala von 1 (schlechte Bewertung) bis 10 (beste Bewertung) und geben den jeweiligen Stand der entsprechenden Konsolidierungsebene an. Die Berechnung der konstitutionellen Konsolidierung erfolgt aus den beiden BTI-Kriterien „Politische Partizipation“ und „Rechtsstaatlichkeit“ mit ihren dazugehörigen Indikatoren (jeweils 4). Aus den insgesamt 8 Indikatoren, die jeweils in einer Skala von 1 (schlecht) bis 10 (beste Bewertung) abgebildet werden, wird ein ungewichteter Durchschnittswert berechnet, der sodann den graduellen demokratischen Konsolidierungsstand angibt. Zur Berechnung der repräsentativen Konsolidierung wird entsprechend der ungewichteten Durchschnittswert der BTI Indikatoren „Parteiensystem“ und „Interessensgruppen“ gebildet. Die beiden Indikatoren gehören zum BTI-Kriterium „Politische und gesellschaftliche Integration“. Zur Berechnung der Verhaltenskonsolidierung wird allein der Wert des BTI Indikators „Effektive Regierungsgewalt“ herangezogen. Zur Berechnung der Konsolidierung der demokratischen politischen Kultur werden gleichermaßen die ungewichteten Durchschnittswerte der BTI Indikatoren „Zustimmung zur Demokratie“ und „Sozialkapitel“ (aus dem BTI-Kriterium „Politische und gesellschaftliche Integration“) gebildet (siehe insgesamt auch Zuordnungstabelle 4).
Tabelle 5: BTI-Werte 2010, 2012 sowie 2014 zur Berechnung der defekten Demokratie sowie demokratischen Konsolidierung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 6: Übersicht Ministerpräsident sowie Regierungskoalition im Parlament
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Zusammenstellung auf Grundlage Baliqi (2013).
Anmerkung:
* kennzeichnet Ministerpräsident mit UÇK-Vergangenheit.
1 kennzeichnet politische Parteien, die direkte Nachfolgeorganisationen der UÇK sind.
Tabelle 7: Übersicht politische Parteien im Kosovo (erstellt anhand Stimmenanteil bei der Parlamentswahl 2010/11)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quellen: Eigene Zusammenstellung auf Grundlage Baliqi (2013).
Anmerkung:
Politische Parteien im Kosovo sind zuvorderst als Volks- und Befreiungsbewegung gegründet worden mit dem politischen Ziel die Statusfrage – unabhängiger kosovarischer Staat – zu lösen. Gemeinsames Merkmal sämtlicher kosovarischen Parteien ist, dass sie sich entlang der ethnischen Zugehörigkeit sowie der regionalen Zugehörigkeiten (Clan-Strukturen) differenzieren und sie aufgrund der Führungspersönlichkeit gewählt werden. Das Parteiensystem ist in Anlehnung an Giovanni Sartoris Typologie als moderater Pluralismus zu klassifizieren, in der alle Parteien untereinander koalitionsfähig sind und sich ideologisch kaum voneinander unterscheiden. Das Parteiensystem differenziert sich daher eher nicht entlang von gesellschaftlichen Konfliktlinien (cleavages) oder entlang von Themen (vgl. Baliqi 2013: 50–60).
[...]
[1] In Abgrenzung der Demokratisierung als Prozess von Demokratisierung als Transformationsphase wird im Kontext der Transformationsphasen nach Merkel (2010) von Institutionalisierung der Demokratie gesprochen. Der Begriff Demokratisierung verweist im Rahmen dieser Arbeit ganz allgemein auf die Prozessdimension eines sich demokratisierenden politischen Regimes – unabhängig davon, ob sich eine bereits konsolidierte Demokratie weiter demokratisiert oder eine Autokratie zu einer Demokratie transformiert und ob sich die Demokratisierung im Kontext einer Postkonfliktgesellschaft vollzieht oder nicht. Demokratisierung verweist im Allgemein auf endogene Prozesse zur Entwicklung einer Demokratie (vgl. Nohlen 2010: 153). Im Fall Kosovo wurden diese endogenen Prozesse zur Demokratieentwicklung maßgeblich von externen Akteuren induziert.
[2] Problematisch ist es, wenn kein funktionierender Staat (funktionierende Staatlichkeit) vorliegt: Linz/Stepan (1996: 14): „No state, no democracy“. Staat(lichkeit) ist „nichthintergehbare Voraussetzung für Demokratie“ (Croissant 2010: 97).
[3] Eingebettet ist die Demokratie in zweifacher Hinsicht: wegen sowohl des interdependenten Zusammenspiels zwischen den einzelnen Teilregimen (sog. interne Einbettung) als auch der notwendigen und begünstigenden Rahmenbedingungen (sog. externe Einbettung) (vgl. Merkel 2010: 30–37). Zu ihnen gehören ein funktionierender Staat (Staatlichkeit) sowie ein intaktes politisches Gemeinwesen im Sinne einer staatstragenden Nation als unabdingbare Voraussetzungen.
[4] Demokratie wird definiert „als ein Set institutioneller Minima, das erstens eine vertikale Dimension demokratischer Herrschaft bezeichnet, nämlich vertikale Machtkontrolle, universelles aktives und passives Wahlrecht und die effektive Gewährleistung der damit verbundenen grundlegenden politischen Partizipationsrechte; zweitens eine horizontale Dimension, also Herrschaftskontrolle im Rahmen der gewaltenteiligen Organisation der Staatsgewalt und der rechtsstaatlichen Herrschaftsausübung; drittens eine transversale Dimension, also die effektive Zuordnung der Regierungsgewalt zu den demokratisch legitimierten Herrschaftsträgern“ (Merkel et al. 2003: 47).
[5] Defekte Demokratie verstehen Merkel et al. ganz allgemein als „Herrschaftssysteme, die sich durch das Vorhandensein eines weitgehend funktionierenden demokratischen Wahlregimes zur Regelung des Herrschaftszugangs auszeichnen, aber durch Störungen in der Funktionslogik eines oder mehrerer der übrigen Teilregime die komplementären Stützen verlieren, die in einer funktionierenden Demokratie zur Sicherung von Freiheit, Gleichheit und Kontrolle unabdingbar sind“ (Merkel et al. 2003: 66).
[6] Negative Konsolidierung liegt vor, „wenn kein relevanter politischer oder sozialer Akteur außerhalb der demokratischen Institutionen seine Interessen und Ziele verfolgt, weil […] keine attraktive Systemalternative zur Demokratie existiert“ (Merkel 2010: 110). Hierauf baut die positive Konsolidierung auf und fügt das Kriterium hinzu, „wenn das gesamte System nicht nur in den Augen der Eliten legitim und ohne Alternative ist, sondern wenn auch die Einstellungs-, Werte-, und Verhaltensmuster der Bürger einen stabilen Legitimitätsglauben gegenüber der Demokratie reflektieren“ (Merkel 2010: 110).
[7] Merkel (2010: 112) setzt die Konsolidierung der Staatsbürgerkultur auf die Mikroebene (Bürger), da die Mikroebene Daten erhebt, die auf der Makroebene aggregiert werden, um anschließend Rückschlüsse auf Makrophänomene wie die Staatsbürgerkultur zu gewinnen.
[8] Allgemein zur Elitenforschung siehe Kaina (2009).
[9] Ad. 1: Institutionelle Effizienz bedeutet, dass politische Institutionen rasch zu politischen Entscheidungen führen, deren Effektivität sich daran bemisst, wie sie zur Lösung gesellschaftlicher Probleme führen. Ad. 2: Institutionelle Transparenz bedeutet, dass die politischen Entscheidungen demokratisch legitimiert sowie eindeutig zurechen- und kontrollierbar sind. Politische Entscheidungen sind demnach innerhalb demokratischer Institutionen nach festgelegten rechtlichen Verfahren (Legalität) herbeigeführt. Ad. 3: Institutionelle Inklusion bedeutet, dass die politischen Institutionen politische und soziale Inklusion und Partizipation fördern. Dies umschließt u. a. die allgemeine Teilhabe aller gesellschaftlichen Schichten am politischen Prozess und die Inklusion aller Minderheiten an politischer Herrschaft (vgl. Merkel 2011: 32).
[10] Empirische Legitimation (Merkel) entspricht nicht dem Konzept empirischer Legitimität (vgl. Schmidt 2010: 462, auch Beetham 1991: 158; Gilley 2009). Der Zusammenhang besteht darin, dass empirische Legitimation (der Verfassung) günstige Bedingungen für die Herausbildung empirischer Legitimität im Sinne der Anerkennung/Akzeptanz der politischen Ordnung (bspw. politisches Regime) seitens der Herrschaftsunterworfenen (aber auch seitens der politischen Eliten) ist(siehe auchUnterkapitel 3.2).
[11] Taylor/Hall (1996: 938) definieren Institution allgemein als „formal or informal procedures, routines, norms and conventions embedded in the organizational structure of the polity or political economy“.
[12] Bspw.: Europäische Integrationsforschung (vgl. Morisse-Schilbach 2012) oder Staatstätigkeitsforschung (vgl. Holtkamp 2012: 75–78).
[13] Institutioneller Wandel, Entstehung und Entwicklung und/oder Stabilität von Institutionen.
[14] Ideengeschichtlich erfahren Institutionen bereits bei Immanuel Kant in seiner Friedensschrift besondere Relevanz: Institutionen wie die republikanische Verfassung, die zur inneren und äußeren Friedfertigkeit eines Staats beiträgt, sind selbst für ein „Volk von Teufeln“ (Kant 2008: 178) möglich. In der heutigen Politikwissenschaft entspricht diese Überlegung den Konzepten des Institution Designs entsprechen. Zentrale Frage hierbei ist u. a., welches Regierungssystem unter gegebenen Rahmenbedingungen am ehesten geeignet ist, um ein junges demokratisches Regime zu konsolidieren?
[15] Damit wird keineswegs behauptet, dass alternative Erklärungsansätze wie die Wahl des neuen demokratischen Regierungssystems – parlamentarisch oder präsidentiell (Linz 1990a und 1990b) –, die Ausgestaltung in Form von Mehrheits- oder Konsensdemokratie (Lijphart 1999) oder die Wahl des Wahlsystems nicht auch oder sogar besser die Demokratisierung des politischen Regimes erklären können. Merkel (2010: 106–109) unterscheidet zur Erklärung der Genese demokratischer Regierungssysteme zwischen prozessorientiertem, akteurstheoretischem, Import- sowie historisch-konstitutionellemAnsatz.Letztererentspricht am ehesten dem hier skizzierten Legacy-Ansatz.
[16] Diese Phase ist gekennzeichnet durch den Aufbau funktionierender staatlicher Strukturen, die langfristig stabile, gesellschaftlich anerkannte (demokratische) Institutionen ausbilden. Hierzu gehören u. a. verschiedene Verfassungsorgane, Parteien und Interessenverbände, aber auch Verwaltung, Militär sowie Polizei (vgl. Grimm 2010: 110, Merkel 2010: 105–109).
[17] „Ende der Institutionalisierungsphase […], wenn die im Regimeübergang ad hoc entstandenen politischen Verhaltensmuster in gesetzlich abgesicherte Normen und Strukturen überführt worden sind, wenn der Zugang zur politischen Herrschaft und der Ablauf von politischen Entscheidungen nach a priori festgelegten und legitim gesatzten Verfahren auch de facto respektiert werden. Dies ist typischerweise nach der Verabschiedung einer neuen bzw. der gültigen Revision der alten Verfassung der Fall.“ (Merkel 2010: 94).
[18] Im Rahmen der Verfassungsanalyse beziehen sich die Angaben Artikel (Art.) sowie Kapitel (Kap.) auf die entsprechenden Artikel in der kosovarischen Verfassung. Abrufbar unter: http://www.vfgh.gv.at/cms/vfgh-kongress/downloads/The_Constitution_of_the_Republic_of_Kosovo_DEU.pdf [zuletzt geprüft 02.05.2014].
[19] Selbst vor 2008, als externe Akteure (UNMIK, NATO u. a.) die Herrschaft über das Kosovo ausübten, ist im Kontext der Post-Konfliktmaßnahmen von keiner Enklavendemokratie zu sprechen, denn gerade die internationalen Akteure bauen ein neues demokratisches Regime auf und übergeben es im Anschluss an die lokalen Akteure.
[20] Während Merkel die konstitutionelle Konsolidierung aus Perspektive des konstitutionellen Designs (Verfassung und Verfassungswirklichkeit mit Blick auf die handelnden politischen Eliten)anhand formaler und empirischer Legitimation bewertet, fokussiert der politische Legitimitätsbegriff in seiner empirischen Dimension die Herrschaftsunterworfenen und fragt nach der faktischen Anerkennung/Akzeptanz der politischen Herrschaftsordnung (demokratisches Regime) durch die Herrschaftsunterworfenen (Bürger) (vgl. Beetham 1991: 158; Gilley 2009 sowie Schmidt 2010a: 462).
[21] Hierzu die These von Merkel/Croissant (2000: 21), dass präsidentielle Regierungssysteme eher vorteilhafte Opportunitätsstrukturen für den Aufstieg illiberaler (defekter) Demokratien bieten, weil sie dem Präsidentenweitreichendes Recht (u.a. in Notstandsituation) verschaffen. Linz (1990a; 1990b) sieht vor allem in präsidentiellen System die Gefahr der politischen Instabilität aufgrund der eigenen Legitimationsbasis der Präsidenten und der daraus resultierenden Gefahr einer präsidentieller Politik (u.a. Dominanz gegenüber dem Parlament).
[22] Merkel (2010: 38–40) benennt wichtige Ursachenkomplexe aus der Transformationsforschung: (1) (sozioökonomischer) Modernisierungspfad und stand, (2) wirtschaftliche Entwicklung, (3) gesellschaftliche Entwicklung (Sozialkapital und Zivilgesellschaft), (4) Typ des autoritären Vorgängerregimes, (5) Modus der Transition, (6) Stand der Staats- und Nationsbildung, (7) politische Institutionen und (8) internatio-nale, regionale Einbindung. Diese Auflistung ist nicht abschließend, sondern basiert auf dem derzeitigen Stand der Transformationsforschung.
[23] Die politische Partei LDK um Ibrahim Rugova galt bereits im Vorfeld des Kosovo-Konflikts als Opposition zur UÇK. Dieses Verhältnis transportiert sich bis die in die Konsolidierungsphase hinein.
- Arbeit zitieren
- Patrick Schröder (Autor:in), 2014, Demokratische Konsolidierung des politischen Regimes im Kosovo, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/299112
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