Ein Hauptproblem beim Einsatz von Fragebogen ist ihre Anfälligkeit für Antworttendenzen im Sinne der sozialen Erwünschtheit ( Social Desirability ). Da per Fragebogen erfasste Verhaltensweisen, Einstellungen etc. fast immer einer mehr oder minder starken sozialen Bewertung unterworfen sind, neigen Personen dazu, entsprechend der Erwartung zu reagieren, dass die Art der Reaktion die Zustimmung einer sozialen Gruppe findet und Ihre Antworten dahingehend anzupassen.
Eine der Möglichkeit zur Minimierung des Auftretens dieser Antworttendenz ist es, durch eine möglichst anonyme Testdurchführung den Aufforderungscharakter für sozial erwünschte Antworten zu reduzieren. Eine vollständig anonyme Befragung sicherzustellen, wird in den meisten Fällen jedoch nicht möglich sein, so dass sich in der Praxis häufig mit einer bloßen Zusicherung der Anonymität beholfen wird. Gerade in bestimmten Kontexten z.B. Mitarbeiterbefragungen etc., bzw. bei sensitiven Themen wie z.B. Fragen zu Sexualität oder kriminellem Verhalten zeigt sich jedoch, dass Personen diesen Anonymitätszusicherungen misstrauen und folglich verstärkt unwahre / sozial erwünschte Antworten abgeben bzw. die Teilnahme an solchen Befragungen grundsätzlich ablehnen/verweigern. Dieser Umstand macht es ausgesprochen schwierig, per Fragebogen valide Daten insbesondere zu sensitiven Themenbereichen zu erheben.
Die Randomized Response Technique ( RRT ), deren theoretische Herleitung und praktische Umsetzung in dieser Arbeit ausführlich erörtert werden, stellt jedoch eine viel versprechende Möglichkeit dar, die beschriebenen Probleme zu vermeiden. Auch die Randomized Response Technique geht davon aus, dass sich die Bereitschaft eines Befragten, gerade auch auf sensitive Fragen wahrheitsgemäß zu antworten, erhöht, falls die vollständige Anonymität einer Befragung gewährleistet werden kann. Allerdings wird bei der RRT durch einen, auch für den Befragten nachvollziehbaren, Zufallsprozess sichergestellt, dass das Antwortverhalten einer Person nicht mit dieser in Verbindung gebracht werden kann. Ausgehend von diesem Grundgedanken wurden verschiedene Randomized Response Technique - Versionen entwickelt, von denen in dieser Arbeit die vier wichtigsten Varianten ( Forced Alternative Variante, Cheater Detection, Warner Modell, Unrelated Question Modell) vorgestellt werden.
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung
1 Überblick
2 Soziale Erwünschtheit - Response Set oder Response Style?
3 Das Zwei-Komponenten Modell von Delroy L. Paulhus
3.1 Überprüfung des Modells
3.2 Konsequenzen für die Kontrolle von sozial erwünschten Antworttendenzen
4 Die Randomized Response Technique
4.1 Der Grundgedanke der Randomized Response Technique
4.2 Die Forced Alternative Variante
4.2.1 Eine Studie zur Forced Alternative Variante
4.3 Die Cheater Detection Variante
4.3.1 Eine Studie zur Cheater Detection Variante
4.4 Das Warner-Modell
4.5 Das Unrelated Question Modell
4.6 Bewertung der Randomized Response Technique
5 Abbildungsverzeichnis
6 Literaturverzeichnis
Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit einem Hauptproblem von Fragebogenverfahren – ihre Anfälligkeit für Antworttendenzen im Sinne der sozialen Erwünschtheit.
Trotz intensiver Forschung ist die Befundlage über den Grad der Situationsabhängigkeit dieser Antworttendenz widersprüchlich.
Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass in den diesbezüglichen Untersuchungen eine von Paulhus vorgenommene Differenzierung des SD-Konzepts in eine Self-Deception- und eine Impression-Management Komponente nicht berücksichtigt wurde. Als Self-Deception bezeichnet Paulhus ein unbewusstes, dispositionales Täuschungsverhalten, welches dem Ziel dient, das idealisierte Selbstbild zu schützen. Die Impression-Management Komponente umfasst dagegen bewusstes, situationsabhängiges Täuschungsverhalten mit der Intention bei anderen Personen einen guten Eindruck zu erzeugen. Aus dem Modell von Paulhus ergeben sich bedeutende Konsequenzen für die Kontrolle von Antworttendenzen im Sinne der sozialen Erwünschtheit.
Eine dieser Kontrolltechniken ist die Randomized Response Technique, die in dieser Arbeit erläutert wird. Die Randomized Response Technique geht davon aus, dass sich die Bereitschaft der Befragten, auch auf sensitive Fragen wahrheitsgemäß zu antworten, erhöht, falls die vollständige Anonymität einer Befragung gewährleistet ist. Dies wird dadurch zu erreichen versucht, indem durch einen Zufallsprozess sichergestellt wird, dass das Antwortverhalten einer Person nicht mit dieser in Verbindung gebracht werden kann.
Ausgehend von diesem Grundgedanken wurden verschiedene RRT- Versionen entwickelt, von denen in dieser Arbeit vier Varianten vorgestellt werden.
Aus Vergleichsuntersuchungen ergeben sich Hinweise darauf, dass es mit Hilfe dieser Verfahren möglich ist, Ergebnisse zu erzielen, die weniger durch Antworttendenzen im Sinne der sozialen Erwünschtheit beeinflusst werden und folglich valider sind als Ergebnisse, die mittels Direct-Questioning gewonnen wurden.
1 Überblick
Als Antworttendenz wird eine systematische Neigung des Probanden bezeichnet, bei der die Reaktion nicht in direkter Beziehung zu dem zu erhebenden Merkmal steht.
Unter dem Oberbegriff Antworttendenz („Response Bias“) werden im allgemeinen:
- Bevorzugung mittlerer oder extremer Antwortalternativen
- Kontexteffekte (Bevorzugung von Antwortalternativen aufgrund des Formats, der Länge oder Position der Items)
- Akquieszenz (Zustimmungs-Tendenz)
- Antworttendenz im Sinne der sozialen Erwünschtheit (Social Desirability)
zusammengefasst.
Die Tendenz, im Sinne sozialer Erwünschtheit zu antworten, kann definiert werden, als „entsprechend der Erwartung zu reagieren, dass die Art der Reaktion die Zustimmung einer sozialen Gruppe findet.“[1]
Während die übrigen Antworttendenzen stark von formalen Aspekten der Fragebogenkonstruktion (Itemabfolge, Art der Antwortalternativen etc.) abhängig sind, wird die Tendenz sozial erwünscht zu reagieren, entscheidend durch die Thematik des Fragebogens bzw. der Frage determiniert.
Zum einen macht die starke Unabhängigkeit von formalen Gesichtspunkten es besonders schwierig, diese Antworttendenz zu kontrollieren, zum anderen lässt sich das Auftreten von Antworttendenzen im Sinne der sozialen Erwünschtheit für kaum einen Themenbereich von vorneherein völlig ausschließen, da die per Fragebogen erfassten Verhaltensweisen, Einstellungen etc. fast immer einer mehr oder minder starken sozialen Bewertung unterworfen sind.
Aus diesen Gründen gilt die Soziale -Erwünschtheitstendenz als ein Hauptproblem aller subjektiven Verfahren und wurde von allen Antworttendenzen am intensivsten erforscht.
Bevor im zweiten Teil dieser Arbeit auf die Randomized-Response-Technique, als eine Methode zur Vermeidung der genannten Antworttendenz, näher eingegangen wird, wird zunächst mit dem Zwei-Komponenten-Modell von Paulhus eine Theorie der sozialen Erwünschtheit vorgestellt.
2 Soziale Erwünschtheit - Response Set oder Response Style?
Antworttendenzen, so auch die soziale Erwünschtheitstendenz, werden häufig hinsichtlich ihres Grades an Situationsspezifität eingeteilt. Es wird hierbei zwischen Response Set und Response Style unterschieden.
Als Response Set werden Antworttendenzen bezeichnet, die von situationalen Umständen bei der Testbearbeitung (z.B. Zeitdruck, keine anonymen Bearbeitungsbedingungen) bzw. Kontexteffekten (z.B. Itemformat, Positionseffekte) hervorgerufen werden.
Im Gegensatz dazu wird eine Antworttendenz, welche konsistent über verschiedene Zeitpunkte und Situationen hinweg auftritt, als Response Style bezeichnet.
Bereits seit Ende der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde von einer Reihe von Forschern hervorgehoben, dass die Tendenz, im Sinne sozialer Erwünschtheit zu reagieren, interindividuell variiert. Social-Desirability (SD) -Tendenzen wurden als Response Style im Sinne eines Persönlichkeitsmerkmals aufgefasst.[2] Diese Ansicht, SD-Tendenzen als Element eines generellen Strebens nach sozialer Anerkennung zu betrachten, wird durch eine Reihe von Befunden gestützt. Dabei konnte gezeigt werden, dass die SD-Tendenz mit allgemeinen Verhaltenskorrelaten in Verbindung steht. Beispielsweise erwiesen sich Personen mit hohen SD-Werten als leichter konditionierbar, bewältigten Lernaufgaben schneller und zeigten eine höhere Konformitätsneigung und ein geringeres Selbstvertrauen.[3]
Andererseits konnte in weiteren Untersuchungen nachgewiesen werden, dass die individuellen Ausprägungen auf der abgeleiteten SD-Dimension nur eine geringe Stabilität über unterschiedliche Antwortsituationen aufwiesen. Ebenso sprechen entdeckte Alterseffekte gegen eine allgemeine, situationsinvariante Konzeption der sozialen Erwünschtheitstendenz.[4]
Aufgrund dieser widersprüchlichen Befundlage plädierte Mummendey dafür, soziale Erwünschtheit im Sinne einer Person-Situations-Interaktion aufzufassen und die Sichtweise sozialer Erwünschtheit als einheitliches Konstrukt aufzugeben.[5]
Tatsächlich bietet sich, durch die im Modell von Paulhus (siehe Abschnitt 3) vorgenommene Differenzierung des SD-Konzepts eine Erklärung für die genannten, uneinheitlichen Ergebnisse.
3 Das Zwei-Komponenten Modell von Delroy L. Paulhus
Im Gegensatz zu der lange Zeit vorherrschenden Ansicht, Social-Desirability- Antworttendenzen als ein einheitliches Phänomen aufzufassen, postulierte Delroy L. Paulhus ein Zwei-Komponenten-Modell. Die zwei Komponenten unterscheiden sich hinsichtlich ihres Bewusstheitsgrades und des Wirkungsobjekts, auf welches das Täuschungsverhalten abzielt.
Als Self-Deception (Selbsttäuschung) wird die dispositionale Tendenz bezeichnet, sich selbst unrealistisch positiv zu beurteilen. Das resultierende Täuschungsverhalten erfolgt in starkem Maße unbewusst und Personen mit starken Self-Deception-Tendenzen sind folglich vom Wahrheitsgehalt ihrer Selbstauskünfte überzeugt. Als Grundlage dieser SD-Komponente wird eine fehlerhafte Selbstwahrnehmung angesehen, wodurch Gedanken und Gefühle mit einem starken Bedrohungscharakter für das eigene, idealisierte Selbstbild abgewehrt werden, dadurch dieses geschützt und das Selbstvertrauen aufrechterhalten wird.[6]
Items zur Identifikation von Personen mit hoher Self-Deception-Tendenz bestehen aus Aussagen über Gefühle und Gedanken, die zwar als universell wahr gelten können, aber einen starken psychischen Bedrohungscharakter aufweisen. Insbesondere werden sexuelle Konflikte und Konflikte mit den Eltern thematisiert, z.B.:
“Have you ever doubted your sexual adequacy?”
“Have you ever thought that your parents hated you?”
“Have you ever been uncertain as to whether or not you are homosexual?“[7]
Im Gegensatz dazu umfasst die zweite SD-Komponente ein bewusstes Täuschungsverhalten. Paulhus bezeichnet diese als Impression Management und versteht darunter die Tendenz, bei anderen Personen einen möglichst guten Eindruck erzeugen zu wollen. Im Vergleich zur Self-Deception-Komponente unterscheidet sich Impression-Management somit neben dem Wissen des Probanden um seine Täuschung auch dadurch, dass das Verhalten zur Täuschung anderer Personen eingesetzt wird.[8] Diese „Außenwirkung“ der Impression-Management-Komponente wird auch in der synonymen Bezeichnung als „Propagandistic Bias“[9] deutlich und führt folglich zu einer situationalen Sensitivität dieser Komponente.[10]
Items zur Erfassung von Impression Management-Tendenzen umfassen offen beobachtbare Verhaltensweisen, die zwar als sozial erwünscht, ihre reale Auftretenswahrscheinlichkeit jedoch als gering angesehen wird und vice versa, z.B.:
“Do you tell the truth?“
“When you take sick-leave from work or school, are you as sick as you say you are?”
“Would you declare everything at customs,
even if you knew that you could never been found out?”[11]
3.1 Überprüfung des Modells
Paulhus überprüfte in drei Untersuchungen die Aussagen des Self-Deception / Impression-Management-Modells gegenüber den Annahmen zweier Alternativmodelle.
Im ersten Alternativmodell werden SD-Antworttendenzen als einheitliches Phänomen aufgefasst (Single-Factor-Model), während das zweite Alternativmodell eine Unterscheidung in eine sogenannte Attribution- und eine Denial-Komponente vornimmt.
Die Annahmen dieses Attribution- / Denial-Modells leiten sich aus dem rationalen Konstruktionsprinzip von SD-Kontrollskalen ab. Bei diesen Kontrollskalen wird auf eine starke SD-Tendenz geschlossen, falls sich eine Person zum einen sozial erwünschte, aber tatsächlich selten auftretende Verhaltensweisen zuschreibt (Attributionskomponente) oder zum anderen bestreitet (Denial-Komponente), sozial unerwünschte, aber tatsächlich häufig auftretende Verhaltensweisen zu zeigen. Der Denial-Attribution-Ansatz folgert nun hieraus, dass diese zwei Komponenten auch eigenständige Konstrukte der SD-Tendenz darstellen.[12]
In der ersten Untersuchung bearbeiteten über 400 Probanden insgesamt sechs häufig verwendete SD-Kontrollskalen. Entgegen der Auffassung, SD-Antworttendenzen als einheitliches Phänomen zu betrachten, interkorrelierten die verschiedenen Verfahren zur Messung von Social Desirable Responding nur gering (Tabelle 1).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Interkorrelationen verschiedener SD-Kontrollskalen.
In einer folgenden Faktorenanalyse wurden die ersten beiden Faktoren, welche 67% der Gesamtvarianz aufklärten, extrahiert und orthogonal rotiert. Die resultierenden Faktorenladungen der einzelnen Skalen sind in Abbildung 1 dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Wie ersichtlich weisen die Self-Deception- und die Other-Deception- Skala hohe Ladungen auf einem Faktor und nur geringe Ladungen auf dem jeweilig anderem Faktor auf.
Diese beiden Verfahren wurden von Sackheim und Gurr rational konstruiert, wobei der Skalenentwicklung ähnliche Annahmen wie im Modell von Paulhus zugrunde lagen.[13]
Paulhus verwendet daher das Self-Deception-Questionaire und das Other-Deception-Questionaire als Markiervariablen für die Self-Deception bzw. Impression Management Komponente und interpretiert die extrahierten Faktoren aufgrund der jeweilig hohen Ladungen der beiden Skalen in diesem Sinne.[14]
In einer zweiten Studie wurden die drei verschiedenen Modelle (Single Factor, Self-Deception/Impression Management, Attribution/Denial) mit Hilfe einer konfirmatorischen Faktorenanalyse überprüft.
86 Personen bearbeiteten hierzu die Marlowe-Crowne-Skala, die Edwards Social Desirability Skala, sowie das Balanced Inventory of Desirable Responding (BIDR).
Das BIDR besteht aus den Items des SDQ und des ODQ, die jedoch teilweise umformuliert und hinsichtlich ihrer Schlüsselrichtung ausbalanciert wurden, um sicherzustellen, dass die gleiche Anzahl an Attribution- als auch Denial-Items je Skala enthalten ist. Die Items des BIDR lassen sich somit, sowohl hinsichtlich ihrer Zuordnung zu den Skalen (Self-/Other-Deception) als auch hinsichtlich ihrer Polung (Attribution-/Denial) einteilen. Insgesamt ergeben sich hieraus die vier Kategorien:
1) Attribution/Other-Deception Items
2) Attribution/Self-Deception Items
3) Denial/Other-Deception Items
4) Denial/Self-Deception Items.
[...]
[1] Mummendey, H. D. (1981). S. 199
[2] Vgl. z.B.: Strack (1994). S. 15; Edwards, A. L. (1957).S. 39
[3] Mummendey, H. D. (1981). S.202-203
[4] Mummendey, H. D. (1981). S.203
[5] Mummendey, H. D. (1981). S.203-205
[6] Paulhus, D. L. (1984). S.606
[7] Paulhus, D. L. (1984). S.603
[8] Paulhus, D. L. (1984). S.599, S.607 Paulhus, D. L. (1986). S.147
[9] Paulhus, D. L. (1986). S.149
[10] Paulhus, D. L. (1991). S. 21
[11] Paulhus, D. L. (1984). S.603
[12] Paulhus, D. L. (1984). S.598-599
[13] Paulhus, D. L. (1984). S.599-600
[14] Paulhus, D. L. (1984). S.601
- Quote paper
- Veit Neubach (Author), 2003, Die Randomized Response Technique - Eine Methode zur Vermeidung sozial erwünschter Antworten, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29884
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