In dieser Arbeit werden Märchen in den Fokus des Berliner Bildungsprogramms sowie der einzelnen Bildungsbereiche gestellt und überprüft, inwiefern die vormals entstandenen Märchen in der Gegenwart für eine pädagogisch-reflektierte Arbeit mit Kindern/Jugendlichen genutzt werden können.
Alle Völker der Welt besitzen Märchen, Mythen und Geschichten als kulturellen Bestandteil, beziehungsweise als Kulturtechnik, in der Überlieferung von mündlichem „Erzählgut“. In Deutschland, aber auch weltweit haben die Kassler Handexemplare der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm, auch als Grimmsche Märchen bezeichnet, einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht und sind im Jahr 2005 sogar von der UNESCO zum Weltdokumentenerbe erklärt worden. Die in der Romantik entstandenen Grimmschen Märchen, erfreuen schon über zweihundert Jahre vor allem Kinder und regen ihre Fantasie an, obwohl die Märchen zunächst nur zur Unterhaltung für Erwachsene geschrieben wurden.
Seit ihrer Existenz polarisieren die Grimmschen Märchen die Wissenschaften, vor allem in Kreisen der Pädagogik. Gegner werfen ihnen moralisierende Einflussnahme und Gewaltdarstellung vor, Befürworter schwärmen von ihrer wunderbaren, fantasievollen Art und Weise, die Kinder anregt und ihnen hilft Ängste zu überwinden.
All people have their own Fairy Tales, Myths and stories, they exist in common literacy in every culture of the world. In Germany, but also worldwide the Kassel „Children`s and Household Tales“ of the brothers Grimm now common known as „Grimms Fairy Tales“ have been very famous and also become in year 2005 at the UNESCO registery “Memory of the Word“. Over two hundred years children loved the „Grimms Fairy Tales“, which have been written in the period of romanticism actually at their beginning only for adults. Since then, they have been polarizing a lot of scientists in many fields of knowledge, but most in pedagogics. Opponents find the Fairy Tales to moralizing and to cruel, supporters think Fairy Tales, including miracles and fantasy, help children to subdue fears and stimulate them. In this task Fairy Tales are discussed and analysed focussed on the Berlin educational standards and their diffrent subjects to investigate, if last centurys Fairy Tales can be used for a refelective pedagogical work with children and teens in the present time.
Abstract
All people have their own Fairy Tales, Myths and stories, they exist in common literacy in every culture of the world. In Germany, but also worldwide the Kassel „Children`s and Household Tales“ of the brothers Grimm now common known as „Grimms Fairy Tales“ have been very famous and also become in year 2005 at the UNESCO registery “Memory of the Word“. Over two hundred years children loved the „Grimms Fairy Tales“, which have been written in the period of romanticism actually at their beginning only for adults. Since then, they have been polarizing a lot of scientists in many fields of knowledge, but most in pedagogics. Opponents find the Fairy Tales to moralizing and to cruel, supporters think Fairy Tales, including miracles and fantasy, help children to subdue fears and stimulate them. In this task Fairy Tales are discussed and analysed focussed on the Berlin educational standards and their diffrent subjects to investigate, if last centurys Fairy Tales can be used for a refelective pedagogical work with children and teens in the present time.
Alle Völker der Welt besitzen Märchen, Mythen und Geschichten als kulturellen Bestandteil, beziehungsweise als Kulturtechnik, in der Überlieferung von mündlichem „Erzählgut“. In Deutschland, aber auch weltweit haben die Kassler Handexemplare der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm, auch als Grimmsche Märchen bezeichnet einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht und sind im Jahr 2005 sogar von der UNESCO zum Weltdokumentenerbe erklärt worden. Die in der Romantik entstandenen Grimmschen Märchen, erfreuen schon über zweihundert Jahre vor allem Kinder und regen ihre Fantasie an, obwohl die Märchen zunächst nur zur Unterhaltung für Erwachsene geschrieben wurden. Seit ihrer Existenz polarisieren die Grimmschen Märchen die Wissenschaften, vor allem in Kreisen der Pädagogik. Gegner werfen ihnen moralisierende Einflussnahme und Gewaltdarstellung vor, Befürworter schwärmen von ihrer wunderbaren, fantasievollen Art und Weise, die Kinder anregt und ihnen hilft Ängste zu überwinden. In dieser Arbeit werden Märchen in den Fokus des Berliner Bildungsprogramms sowie der einzelnen Bildungsbereiche gestellt und überprüft, inwiefern die vormals entstandenen Märchen in der Gegenwart für eine pädagogisch-reflektierte Arbeit mit Kindern/Jugendlichen genutzt werden können.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung ... 3
1. Das Märchen – eine Begriffsbestimmung ... 6
1.1 Das Märchen – Ein geschichtlicher Abriss zur Entwicklung des europäischen Märchens ... 7
1.2 Das Märchen – literarische und allgemeine Gattungsmerkmale ... 13
1.3 Stand der Forschung – Interpretationen und Zugänge ... 18
2. Theorien und Annahmen zur Entwicklung der Moral bei Kindern und Jugendlichen ... 29
2.1 Märchen – Pro und Contra – Inhalte und Vorstellungen im Märchen und ihre Bedeutung für Kinder ... 33
3. Bildungspolitische Veränderungen und der Kompetenzbegriff in Deutschland – Einführung des Berliner Bildungsprogramms 2004/14 ... 37
3.1 Die Struktur des Berliner Bildungsprogramms ... 41
4. Märchen im Fokus der einzelnen Bildungsbereiche ... 47
4.1 Kinder- und Hausmärchen im Bildungsbereich: Gesundheit ... 48
4.2 Kinder- und Hausmärchen im Bildungsbereich: Soziales und kulturelles Leben ... 56
4.3 Kinder- und Hausmärchen im Bildungsbereich: Kommunikation: Sprachen, Schriftkultur und Medien ... 60
4.4 Kinder- und Hausmärchen im Bildungsbereich: Kunst: Bildnerisches Gestalten, Musik und Theaterspiel ... 63
4.5 Kinder- und Hausmärchen im Bildungsbereich: Mathematik ... 69
4.6 Kinder- und Hausmärchen im Bildungsbereich: Natur – Umwelt – Technik ... 73
5. Fazit und Ausblick ... 76
Literaturverzeichnis/Internetverzeichnis ... 80
Anhang ... 95
Einleitung
„Ein Märchen aus alten Zeiten, das kommt mir nicht aus dem Sinn“, schreibt Heinrich Heine (1824) in dem Gedicht „Die Loreley“ (vgl. Peltzer 1974, 455) und schließlich auf seiner Reise von Paris nach Hamburg „Deutschland ein Wintermärchen“ (1844). In beiden Gedichten gebraucht er das Wort Märchen als Metapher, einerseits für eine in der Vergangenheit liegende wunderbare Erzählung über „die schöne Loreley“ und andererseits für etwas Unwahres, Erfundenes, denn in seinem zweiten Gedicht übt Heine satirisch Kritik an der damaligen Gesellschaft, in der „Deutschland ein Wintermärchen“ verdeckt wie “überwachenden Behörden, in der neue Varianten und Ausmerzungen das Ergebnis sind“ (Heine 1996, 118), eigentlich agieren.
Auch heute verbinden viele Menschen mit dem Wort Märchen häufig Satzfragmente wie: „Es war einmal...“ oder “Wenn sie nicht gestorben sind...leben sie noch heute...“, bezogen auf etwas nicht Reales, Unwahres, als auch Wunderbares. Diese Vorstellung von Märchen ist ähnlich wie das Volkslied in fast allen Kulturen „volksläufig existent, meist namenlos überliefert“ (Lüthi 2005, 5). Theodor Benfey kam zu der Schlussfolgerung (1809), dass fast alle Märchen ihren Ursprung in Indien, ferner in der buddhistischen Religion hatten bevor sie über die Kontinente nach Europa wanderten und belegte seine These mit Quellennachweisen von adaptierten Tierfabeln im Werk des Äsop (vgl. Pöge-Alder 2011, 86).
In Deutschland und im europäischen Raum hat die Sammlung der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm (1812/15), als „Kinder- und Hausmärchen“ bezeichnet, im Folgenden häufig als KHM abgekürzt, einen großen Bekanntheitsgrad erreicht, obgleich ihre Sagen-Sammlung relativ unbekannt geblieben ist (vgl. Lüthi 2005, 5). Trotzdem sei an dieser Stelle bemerkt, dass andere beispielsweise Charles Perrault (1696/97) mit seiner französisch-charmanten, aber auch moralisierenden Dichtung, einer Sammlung von mündlich tradierten Geschichten und einigen Prosamärchen, ebenso wie auch später Johann Wolfgang von Goethe (1795) mit seinen traumhaften Märchendichtungen, das Volksmärchen bereits vor den Brüdern Grimm durchaus „literaturfähig“ gemacht haben (vgl. Lüthi 2005, 5, Rölleke 2004, 11f.).
In der kulturgeschichtlichen Epoche der Romantik, Ende des 18. bis bis Mitte des 19. Jahrhunderts und in der sogenannten "Biedermeierzeit", in der Zeit nach dem Wiener Kongress 1815 bis zur Revolution 1848, entfalteten Märchen mit der Zuwendung zu einer eigenen Kultur und zur Sagen- und Mythenwelt des Mittelalters, im Sinne einer Volkspoesie, eine große verklärende Anziehungskraft für Erwachsene (vgl. Rölleke 2004, 26, Schneider 1983, 497- 499). Erst später dienten Märchen als Erziehungsinstrument für Kinder und wurden so auch bewusst eingesetzt. Märchen entsprachen der damaligen zeitgenössischen Weltanschauung und dem Drang der Gesellschaft nach Veränderung gegen die Rationalität der Aufklärung, hin zu einem idyllischen privaten Leben mit sehnsüchtigen Gefühlen, Leidenschaften zugleich Vorlieben für Unbegreifliches und die Individualität des Einzelnen (vgl. Rölleke 2004, 11f., 31f., 69 f.).
Vor allem in Europa, aber auch weltweit kennen heute viele Menschen noch die Märchen der Brüder Grimm, es finden sich oft noch Fragmente verschiedener Märchen im täglichen Sprachgebrauch wieder und existieren so fast unmerklich in unserem Alltagsleben. Bei Schneeeinbruch „schüttelt Frau Holle die Betten aus“ und wir erklären „erzähl doch keine Märchen...“, wenn wir an dem Wahrheitsgehalt einer Erzählung zweifeln bzw. uns etwas „ein Dorn im Auge“ ist, weil jemand „wie ein Kater um den heißen Brei herumschleicht“. Dann stellen wir die „Gretchenfrage“, auch wenn wir uns damit „um Kopf und Kragen bringen“. Wir wollen wissen „wo der Schuh drückt“, „versalzen anderen die Suppe“, denn auch heute „geht uns ein Licht auf“, wenn wir einmal „sieben auf einen Streich“ erledigen konnten, oder mit „Speck Mäuse gefangen haben“. Frauen müssen „viele Frösche küssen“, beziehungsweise einen echten „Goldesel“ finden und Männer wollen weder „die Katze im Sack“, noch „eine Prinzessin auf den Erbse“ bekommen, sondern ein schönes „Schneewittchen“ oder wenigstens ein armes „Aschenputtel“ kennenlernen, wenn sie einer „den Hof machen“, also sich nach potentiellen Partner_innen orientieren. Wir sind „mit allen Wassern gewaschen“, kennen Menschen, die ihren „Mantel nach dem Winde hängen“ und wissen „Kleider machen Leute“ ebenso wie auch heute der „Apfel nicht weit vom Stamm fällt“, also „hängen wir vieles nicht an die große Glocke“ und malen uns alles „märchenhaft schön“, denn es wissen sowieso „Hinz und Kunz“ schon über alles Bescheid.
In diesem Sinn ließen sich die Aufzählungen noch viel weiter ausführen, aber in dieser Arbeit soll es nicht nur um den sprachlichen beziehungsweise den literaturwissenschaftlichen Hintergrund von Märchen gehen, sondern um einen pädagogisch-didaktischen und darum wie eine Märchenarbeit in pädagogischen Einrichtungen angemessen reflektiert umgesetzt werden kann. Märchen werden im kulturellen Kontext anerkennend als Kulturgut betrachtet, im Jahr 2005 hat die UNESCO die Kasseler Handexemplare der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm zum Weltdokumentenerbe (Weltregister „Memory of the Word“) erklärt, da die Märchen der Brüder Grimm neben der Lutherbibel das weltweit am meisten verbreitete Buch der deutschen Kulturgeschichte darstellen (vgl. Dinka 2005). Sie sind zugleich eine erste systematische Zusammenfassung und wissenschaftliche Dokumentation der europäischen und orientalischen Märchentradition (Märchen aus Tausend und einer Nacht), trotzdem polarisieren sie seit ihrer allgemeinen Verbreitung durch die Brüder vor allem in Kreisen der Pädagogik. So gibt es in der Gegenwart zahlreiche kritische Diskurse, ob in einer Gesellschaft mit veränderten Werte- und Moralvorstellungen auch mit dem Leben pluralistischer Lebensstile, in denen wir Diversität plus Inklusion für alle in barrierefreien Einrichtungen, Unternehmen/Organisationen schaffen wollen, Märchen überhaupt noch zeitgemäß sind und an Kinder überliefert werden sollten. Welche Botschaften, Rollenbilder, Muster für Konfliktlösungen erfahren Kinder durch Märchen, die nicht nur zu Hause tradiert und weitergegeben werden, sondern auch in pädagogischen Einrichtungen, Schulen und Freizeiteinrichtungen. Märchen werden in Kino- und Fernsehfilmen adaptiert und auch im Theater in traditioneller oder moderner Weise gezeigt, so wirken sie tatsächlich auch gegenwärtig auf vielen Ebenen der kindlichen Lebenswelt ein. Daher soll der Schwerpunkt dieser Arbeit in der Frage liegen:
Inwiefern sind Märchen vormals entstanden und wie kann man sie in der Gegenwart für eine
pädagogisch-reflektierte Arbeit mit Kindern/Jugendlichen nach dem Berliner Bildungspro-gramm nutzen?
Im ersten Teil dieser Arbeit wird es um eine Begriffs- und Gattungserklärung des Märchens gehen sowie einem geschichtlichen Abriss zur Entstehung von Märchen im Allgemeinen beziehungsweise der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm im Speziellen. An dieser Stelle soll angemerkt werden, dass aus Gründen der Länge dieser Arbeit, unter dem Begriff Märchen im Folgenden primär nur die Kinder- und Hausmärchen der Grimms, als auch die europäischen Märchen zusammenfassend betrachtet werden. Dahingehend wird nach der Begriffsbestimmung beziehungsweise dem geschichtlichen Abriss zur Entstehung von Märchen, ein Überblick zum heutigen Stand der Forschung gegeben, ferner im Folgenden das Pro und Contra der unterschiedlichen fachspezifischen Perspektiven zur Märchenarbeit, aber auch im Hinblick auf die geäußerten Meinungen von Kindern dargelegt und erörtert. Im zweiten Teil werden Theorien und Annahmen zur Entwicklung der kindlichen Moral näher untersucht, da Märchen im Allgemeinen und den KHM im Speziellen seit ihrer Entstehung eine große Einflussnahme auf Kinder und ihre moralischen Vorstellungen zugesprochen wird. Im Folgenden werden die bildungspolitischen Veränderungen und der Kompetenzbegriff in Deutschland erläutert, die zur Entstehung des Berliner Bildungsprogramms geführt haben und schließlich wird die Struktur des Berliner Bildungsprogramms mit seinen Bildungsbereichen konkretisiert, um im vierten Teil die einzelnen Bildungsbereiche im Fokus von Märchenarbeit mit Kindern und Jugendlichen ausführlich zu betrachten.
Den Abschluss dieser Arbeit stellt ein Fazit dar, in dem die Ergebnisse zusammengefasst sowie persönlich reflektiert werden, um in einem Ausblick zukünftige Perspektiven im Zusammenhang von Märchenarbeit mit Kindern und Jugendlichen weiterführend zu thematisieren. Im Anhang befinden sich zusätzlich praktische Hinweise und Anregungen für eine umfassende Arbeit zum Thema Märchen in pädagogischen Tageseinrichtungen und Schulen.
1. Das Märchen – eine Begriffsbestimmung
Das Wort Mähr-chen ist eine Verkleinerungsform des aus dem Mittelhochdeutschen kommenden Substantivs mære, mähr, mär, im Oberdeutschen Mähr-lein, das von der Bedeutung für Nachricht von einer geschehenen Sache, Botschaft, Kunde oder Bericht, auch im Sinne von Gerücht, steht (vgl. Rölleke 2004, 11, Lange 2011, 231, Pödge-Adler 2011, 24, Jolles 1969, 219).
Viele kennen das in der Gegenwart kaum gebräuchliche Wort „Mä(h)r“, im Sinne dieser Wortbedeutung eventuell aus dem Weihnachtslied, dessen Text Martin Luther (1535) in Anlehnung an ein volkstümliches Lied eines Spielmannes (vgl. Winterberg 2014) für seine Kinder, zur Ankündigung der Geburt Jesu Christi, verfasst haben soll:
„Vom Himmel hoch, da komm ich her. Ich bring´euch gute neue Mä(h)r. Der guten Mä(h)r bring ich so viel, davon ich singen und sagen will“ (vgl. Lange 2011, 231).
Im Althochdeutschen ist das Substantiv nicht belegt, sondern nur das Adjektiv mit dem gleichen etymologischen Stamm „mãr-i“, bekannt in der Bedeutung für „berühmt“ und heute noch in den Vornamen Walde-mar, Dag-mar, Diet-mar usw. enthalten (vgl. Rölleke, 2004, 10).
Die Verbreitung solcher „Mähren“, also im eigentlichen Sinn das Tradieren von Nachrichten, Botschaften auch Gerüchten erfolgte „von Mund zu Mund“ also mündlich, aber auch durch „professionelle Mährenerzähler/Märchenerzähler“ [An dieser Stelle und folgend nur in der maskulinen Form benannt, da keine Quellen über weibliche Märchenerzähler_innen dieser Zeit vorliegen.].
Es scheint belegt zu sein, dass Ende des 18. Jahrhunderts ein Schriftsteller und Märchenerzähler Johann, Karl-August Musäus äußerte, ein Fremdling wäre durch Stadtklatsch “das Märchen des Tages“ gewesen (vgl. Rölleke 2004,10), meint in diesem Zusammenhang der Fremde ist durch verbreitete Gerüchte in der Stadt, das Thema des Tages gewesen. Sprachgeschichtlich verschlechterte sich im Laufe der Zeit die Bedeutung der Verkleinerungsformen (Diminutiva), sodass Wörter wie „Mæren, Mä(h)ren, Märchen und Mä(h)rlein“, die Bedeutung von erfundenen, erlogenen Geschichten (zum Beispiel Lügenmæren, Schandmæren) erhielten (vgl. Lange 2011, 231).
Mit dem französischen Einfluss in Deutschland, erlangten die Volksmärchen eine immer größere Bedeutung und Attraktivität, viele begannen Märchen zu sammeln und so änderte sich die Bedeutung erneut, unter „Märchen/Mä(h)ren/Mä(h)rlein“ wurden nun wunderbare, unwahrscheinliche, mündlich überlieferte Erzählungen verstanden. Jacob und Wilhelm Grimm nahmen an, dass diese mündlichen Erzählungen vornehmlich vom „niederen Volk“, bezeichnet hier untere soziale Schichten, überliefert wurden (vgl. Lange 2011, 231).
1.1 Das Märchen – Ein geschichtlicher Abriss zur Entwicklung des europäischen Märchens
In der Vergangenheit in Zeiten ohne medialen Einfluss, hat das Tradieren von Märchen, Mythen, Erzählungen, Sagen und Fabeln einen elementaren Stellenwert und findet sich als kultureller Bestandteil, beziehungsweise als Kulturtechnik in allen Völkern der Welt. Geschichten wurden aus zugrundeliegendem mündlichen „Erzählgut“ überliefert, sie implizieren erzählen und zuhören als Teil einer sozialen Kommunikation zwischen Menschen einer Gesellschaft. Es gibt bereits sehr alte schriftlich erhaltene Aufzeichnungen von Märchen aus Babylon und Ägypten (altägyptisches Brudermärchen), ferner stammen die ältesten überlieferten Märchenerzählungen aus Indien und China bereits aus dem 1. Jahrhundert (vgl. Rölleke 2004, 104, Pöge-Alder 2011, 87).
Theodor Benfey ein deutscher Sprachforscher, formulierte (1809) als einer der ersten im Rahmen seiner Forschungsstudien die Annahme (vgl. Pöge-Alder 2011, 86f), dass diese indischen Märchen des „Pantschatantra“, fünf Bücher über Lebensklugheit, in Europa durch die Herrschaft der Mongolen verbreitet worden sind.
Auch in der Gegenwart sind Märchen wichtige kultur- und geistesgeschichtliche Dokumente, die Auskunft über Leben und Denken der Menschen vergangener Epochen geben, ferner auch einen wichtigen Bestandteil von Forschungsinhalten der Anthropologie, Ethnologie, Philolo-gie, Soziologie, Philosophie, Pädagogik und anderer Fachrichtungen bilden.
Die Märchenforschung selbst ist ein relativ junger wissenschaftlicher Fachzweig, daher herrscht immer noch Unklarheit, ob die heute bekannten Märchen in ihrem Grundstamm viele Jahrtausende alt sind, oder nur wenige Jahrhunderte (vgl. Lüthi 2005, 5), denn die Definition und Ausarbeitung von Gattungs- und Funktionsmerkmale des Märchens, in literarischer Abgrenzung zur Novelle, zur Sage, zum Mythos, der Fabel oder anderen Erzählungen erfolgte erst relativ spät, „beeinflusst von literarischen Vorgängen des 18. Jahrhunderts“ (vgl. Jolles 1969, 237).
Heinz Rölleke, ein auf Märchen spezialisierter Literaturwissenschaftler, definierte als kennzeichnendes Merkmal für ein Märchen, die mündliche Überlieferung einer kurzen Geschichte, die durch eine nicht reale Weltsicht gekennzeichnet ist (Rölleke 2004, 11, Thiele 2003,182). Allerdings folgerte er, benötigen auch Märchen „die Stütze durch die schriftliche Fixierung, um nicht schnell unterzugehen“. (Rölleke 2004,104).
In diesem Sinn und in Anlehnung an Benfey, haben die finnischen Märchenforscher Kaarle Krohn wie auch sein Schüler Antti Aarne, beide Vertreter der „Finnischen Schule“, bereits im Jahr 1831 begonnen die Herkunft von Märchen mit einer geografisch-historischen Methode zu erforschen. Antti Aarne schrieb später (1910) den ersten wissenschaftlichen Märchentypenkatalog (vgl. Pöge-Alder 2011, 90ff.), in dem er Märchen nach Häufigkeit und Größe des Verbreitungsgebietes, nach Alter und Erhaltung, nach Entlehnung und nach anderen Umständen, in einem Index typisierte.
Zahlreiche Werke der Epik, der Lyrik und der Dramatik sind aus der Antike bekannt und schriftlich überliefert (vgl. Lüthi 2005, 98, 104), beispielsweise die Fabeln des Äsop, Homers „Odysee“ bzw. das Epos „Ilias“ (vgl. Jolles 1969, 78) sowie die Götterepen des Hesoid mit einer umfangreichen Überlieferung antiker griechischer Mythologie. Auch die „Metamorphosen“ von Ovid, sowohl „Amor und Psyche“ bei Apuleius (vgl. Rölleke 2004,13), schließen an eine lange Reihe schriftlicher Überlieferungen aus der Antike an, die auch gegenwärtig im klassischen Sinn noch aktuell sind. In der neueren europäischen Literatur des Mittelalters, kennen viele heute vor allem noch die Artus-Sage, die in unzähligen Varianten adaptiert und in zahlreichen Versionen verfilmt wurde.
Als einer der ersten Sammler von Märchen im europäischen Raum gilt jedoch der Italiener Giovanni, Francesco Straparola (vgl. Jolles 1969, 228), der Erzählungen veröffentlichte, die meist mündlich überliefert waren und die Straparola in ihrem Ursprung beließ, ferner so auch publizierte, sodass seine Schriften wegen ihrer Drastik, Anzüglichkeit sowie Deftigkeit von der Kirche auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt wurden (vgl. Rölleke, 2004, 13).
Giambattista Basile ebenfalls Italiener, schrieb darauf in einer Sammlung den mündlichen Erzählungen aus Provinzen Italiens entlehnt: „Das Märchen aller Märchen, oder Unterhaltung für Kinder“, im Folgenden in Entlehnung an Boccaccio auch als „Pentamerone“ bezeichnet (vgl. Jolles 1969, 228, Rölleke 2004, 14f ). Ein Werk, das ebenfalls ob seiner derben, frivolen Art nur Unterhaltungsfunktion für Erwachsene hatte und erst nach Basiles Tod (1634/36) veröffentlicht wurde.
Interessant ist hierbei die Tatsache, dass die Brüder Grimm nachfolgend, mehr als dreißig dieser Erzählungen in deutscher Überlieferung nachweisen konnten (vgl. Rölleke 2004, 15f.) beziehungsweise wissenschaftlich belegten, dass Straparola und Basile die ersten quellenkundlichen Belege für die bekanntesten europäischen Volksmärchen erbracht haben, ferner Basiles Werk auch zu „textgenetischen Untersuchungen, zu Herkunft, früher Verbreitung und Ausgestaltung bestimmter Märchen oder Märchenmotive“(Rölleke 2004, 15) genutzt werden konnte .
Märchenerzählungen einzelnen Völker wurden in vielen Teilen Europas übernommen, adap-tiert und verbunden, so existierten frühe Werke als Mischformen von Märchen und Sage, von Märchen und Fabel, von Märchen und Legende usw., denn die Einteilung in unterschiedliche Märchentypen und Gattungen ist in Europa erst seit der Wende vom 18. ins 19. Jahrhundert für anfänglich noch recht vage Gattungen definiert worden (vgl. Lüthi 2005, 98, Rölleke 2004, 11f, 104f.).
Sie bestimmten als Volksmärchen, Kunstmärchen, Ammenmärchen sowie Feenmärchen den damaligen Zeitgeschmack. Es herrschte die romantische Überzeugung, dass die „Volksseele“ sich am ehesten in vom Volksmund überlieferten Märchen, Erzählungen und Liedern ausdrückte, da es dafür keine namentlich nachweisbaren Verfasser gab. Im 19. Jahrhundert begannen viele in Zuneigung zur Poesie, solche Sammlungen von überliefertem „Volksgut“, Märchen, Liedern, Gedichten und Erzählungen anzulegen (vgl. Lüthi 2005, 100, Rölleke 2004, 13-26). Dahingehend formuliert auch Lüthi: „Das Volk ist Märchenträger und Märchenpfleger [...]“ (Lüthi 2005, 92) und versteht darunter, dass nur solche Märchen Bestand haben, die durch wiederholtes Tradieren in einer Gesellschaft nicht vergessen werden.
Großen Einfluss auf die deutsche Tradition der Märchensammlungen hatte auch der bereits genannte Franzose Charles Perrault, der im Jahr 1696/97 mehrere Prosamärchen (vgl. Jolles 1969, 229) herausbrachte unter anderem das bekannte „La petit Chaperon rouge“, eine Rotkäppchenversion und „La belle au bois dormant“, eine Variante von Dornröschen (vgl. Rölleke 2004, 15ff. ). Perrault hat die Gattung Märchen erstmals näher als Erzählungen eingrenzt, die aus der mündlichen Überlieferung genommen wurden und ist später von den Brüdern Grimm ob seiner „rein aufgefassten und im Stil einfach und natürlichen, den Kinderton treffenden, abgerundeten Schriftsprache“, lobend gewürdigt worden (Wilhelm Grimm, In: Rölleke 2004, 15, 16f.).
Darüber hinaus kamen auch orientalische Erzählungen nach Europa (1704/1708), so „Die Märchen von Tausend und einer Nacht“ in der ersten Übersetzung von Galland (vgl. Jolles 1969, 230), die sich auch gegenwärtig noch einer großen Beliebtheit erfreuen. Genannt sei als Beispiel für deutsche Literatur auch Wolfgang von Goethes Märchen aus dem Jahr 1795 in der von Friedrich Schiller herausgegebenen Zeitschrift: „Die Horen“, als letzte Erzählung eines Novellenzyklus, „Unterhaltungen deutscher Ausgewanderter“ (vgl. Rölleke 2004, 11, 26, Weiß 2010, 514), in dem er in Anspielung auf die politischen Verhältnisse, die französischen Revolution reflektierte.
Mit ihrer schöpferischen Arbeit und ihrer Liebe zur Poesie haben die Romantiker, Sammler und Verfasser zahlreicher Werke, die Entstehung von Märchen in dieser Zeitperiode maßgeblich beeinflusst, nennenswert sind unter anderem auch der deutsche Jurist und Schriftsteller Wilhelm, Heinrich Wackenroder mit seinen Märchendichtungen (vgl. Rölleke 2004, 11ff., Schneider 1989, 51), der deutsche Dichter Novalis, eigentlich Georg, Philipp, Friedrich, Freiherr von Hardenberg (vgl. Lüthi 1989,13), mit Werken wie “Hymnen an die Nacht“ sowie “Heinrich von Ofterdingen“, dem Roman aus welchem der Ausschnitt „Die blaue Blume“, als symbolisches Sinnbild dieser romantischen Zeit bis in die Gegenwart anhält. Von Novalis ist im Zusammenhang der Poesie auch folgendes Zitat überliefert: „Alles Poetische muß märchenhaft sein, im Märchen glaube ich am besten meine Gemütsstimmungen ausdrücken zu können. Alles ist ein Märchen“ (Novalis 1923).
Dieses Zitat belegt abermals die Zugewandtheit der kulturgeschichtlichen Epoche der Romantik, nach einem Zustand von Gefühlsreichtum, Sehnsucht sowie der großen Hinwendung zur „romantischen“ Poesie, die sich besonders im Bereich der bildenden Künste äußerte und die ein „guter Nährboden“ für das Märchen im Allgemeinen, ferner auch für die Sammlung von Märchen war. Es war eine neue Sichtweise der Volksliteratur, die durch viele Persönlichkeiten und ihre Werke beeinflusst wurde, von denen in dieser Arbeit aufgrund des vorgegebenen Rahmens, nur ein allgemeiner Umriss gegeben werden kann.
Bedeutungsvoll ist in diesem Zusammenhang die Idee der „Heidelberger Romantik“ Gottfried Herders (vgl. Pöge-Alder 2011, 123), eine Autorengruppierung in der mittelalterliche Literatur eine dem Zeitgeschmack entsprechende Aufwertung erfuhr und der deutsche Dichter Johann Ludwig Tieck (vgl. Rölleke 2004, 32, Schneider 1989, 29), für die Verbreitung einer Märchenkultur unter anderem mit „Die Elfen“ (1812) sowie „Der gestiefelte Kater“ (1797). Auch der dänische Dichter Hans Christian Andersen trug (1835/48) mit einem Teil seiner zahlreichen Publikationen beispielsweise “Die kleine Meerjungfrau“, ferner „Die Schneekönigin“ (vgl. Thiele 2003, 183), zu einem großen Bekanntheitsgrad von Märchen bei. Bemerkenswert und auch heute noch gekannt, als Märchensammler und Verfasser, ist der deutsche Erzähler Wilhelm Hauff (vgl. Hauff 1939). Er schrieb unter anderem „Das Märchenalmanach für Söhne und Töchter gebildeter Stände“ (1826), „Die Geschichte vom Kalif Storch“ (Hauff 1939, 18), als auch „Die Geschichte vom Zwerg Nase“ (vgl. Hauff 1939,150) und „Abner, der Jude, der nichts gesehen hat“ (vgl. Hauff 1939, 186), aber die Novelle „Jud Süß“ ist auch von Hauff, leider vielen nur noch durch die adaptierte antisemitische Verfilmung aus dem Jahr 1940 ein Begriff.
Schließlich sind die deutschen Dichter Clemens Brentano und Achim von Arnim zu erwähnen, die unter dem Titel: „Des Knaben Wunderhorn“ (vgl. Jolles 1969, 219, Rölleke 2004, 33) eine Sammlung (1805/08) von Texten volkstümlicher Lieder publizierten, in der die Brüdern Grimm, als Kassler Bibliothekare tätig, die “Kinderlieder“ im Anhang mit erarbeiteten (vgl. Rölleke 2004, 32). Im Jahr 1812/15 erschien die erste Auflage der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm und im Jahr 1815 die zweite von Wilhelm Grimm völlig überarbeitete Ausgabe, die durch den unverwechselbaren Stil der Grimms, als Buchmärchen (vgl. Rölleke 2004, 86) den bereits beschriebenen großen Bekanntheitsgrad bis in die Gegenwart erreicht hat.
1.1.1 Die Entstehung der „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm.
Die Grimms studierten (1802/03) bei dem Historiker Friedrich Carl von Savigny, der sie in die literarischen Kreise einführte, ferner mit den Schriftstellern Clemens Brentano und Achim von Arnim (beide Vertreter der Heidelberger Romantik) bekannt machte (vgl. Rölleke 2004, 30, 31). Savigny schulte das historische Denken und die Kenntnis über das Sammeln sowie das Publizieren von Literatur bei den Brüdern, überdies inspirierte er ihre Wertschätzung für alle Formen der Volkspoesie, sodass sie sich der Dokumentation, als auch der Erforschung mittelalterlicher deutscher Literatur widmeten (vgl. Rölleke 2004, 32). Jolles bezeichnet diese Zuwendung zur eigenen Kultur als den „Hunger und Durst nach der lebendigen Kraft und inneren Schönheit heimischen Volkstums“(Jolles 1969, 219).
Arnim und Bretano versuchten mit dem Sammeln von Märchen und Sagen an ihren Erfolg des „Wunderhorns“ anzuknüpfen, so zogen sie auch die Brüder Grimm zu diesem Vorhaben hinzu (vgl. Rölleke 2004, 32f.) und Brentano ließ die Brüder dafür seine umfangreiche Privatbibliothek nutzen, dominierte sie jedoch hinsichtlich der Pläne einer endgültigen Bearbeitung und Veröffentlichung. Im Jahr 1811 riefen die Grimms zu einem öffentlichen Sammelaufruf von Volksliteratur auf (vgl. Rölleke 2004, 69, 77ff.). Friederike Mannel, Dorthea Wild, die Schwestern Hasenpflug, Dorothea Viehmann und vornehmlich andere gebildete Frauen der gutbürgerlichen Gesellschaft unterstützten die Brüder mit ihren Aufzeichnungen, auch damit zeigt sich seit dem 18. Jahrhundert in Deutschland die Tendenz zur „Märchen erzählenden Frau“ (vgl. Rölleke 2004, 79, Lange 2011, 234).
Schließlich entfremdeten sich die Grimms in ihrer Beziehung zu Brentano, im Folgenden war es Achim von Arnim, der die Brüder Grimm zu einer eigenen Veröffentlichung überredete und der den Druck der ersten Auflage der KHM in Berlin veranlasste. Weihnachten des Jahres 1812 erschienen die KHM in einer Stückzahl von neunhundert mit dem Titel: „Kinder- und Hausmärchen – Gesammelt durch die Brüder Grimm“ (vgl. Rölleke 2004, 81, 82).
Die KHM stießen jedoch bei zeitgenössischen gebildeten Literaturkennern des Bürgertums und im Allgemeinen auf unerwarteten Widerstand und Ablehnung. Gebildete brachten der sogenannten Gattung Märchen zum Teil nur wenig Sympathie entgegen und kritisierten erheblich den wissenschaftlichen Charakter der KHM, mit dem Anspruch als Kinderlektüre verstanden zu werden, ferner beklagten sie die kunstlose Ausdrucksform der Sammlung. Für die Allgemeinheit galten die KHM in der sogenannten Biedermeierzeit aufgrund des nicht kindgemäßen „Erzähltons“, für Kinder als völlig ungeeignet (vgl. Rölleke 2004, 82, 85-86).
Im Spannungsfeld dieser Kritik überarbeitete Wilhelm Grimm die gesamte Ausgabe und schuf dabei etwas völlig neues (vgl. Rölleke 2004, 86f, Lange 2011, 253 ), denn nach Möglichkeiten suchend das Ursprüngliche des „Volksmärchentons“ (vgl. Lüthi 1989, 21) in einer kindlich, naiven „Erzählart“ zu erhalten und die sprachliche Schönheit dabei nicht aus dem Auge zu verlieren, schuf Wilhelm Grimm den für das Grimmsche Buchmärchen unverwechselbar eigenen, neuen Stil der Märchenerzählungen (vgl. Lange 2011, 237), der letztendlich auch den großen Erfolg der KHM begründete.
Trotz Anerkennung für die Leistungen der Grimms, soll an dieser Stelle kritisch angemerkt werden, dass die Brüder Grimm wohl wissend das Publikum der KHM über ihre eigentliche Sammeltätigkeit und Zusammenstellung der Märchen, mit Hilfe vieler anderer Personen, im Unklaren gelassen haben. Vielmehr haben die Brüder es verstanden, den Eindruck zu erwecken, sie wären selbst durch das Land gezogen und hätten in hessischen Dörfern den Menschen die Märchen entlockt, um sie nach den mündlichen Überlieferungen zu sammeln (vgl. Rölleke 2004, 84).
Im Jahr 1815 wurde ein zweiter Band veröffentlicht und 1819/25 erschien die, auf ein kindliches Publikum konzentrierte, völlig überarbeitete Ausgabe, in der auch zusätzliche Werke anderer Quellen beispielsweise alter Bücher, zeitgenössischer Zeitschriften und anderer Sammlungen von Märchen, mitaufgenommen wurden (vgl. Rölleke 2004, 94-95).
Die von Wilhelm Grimm überarbeitete Ausgabe des Jahres 1825, die als „kleine“ Ausgabe bezeichnet wird, enthielt nur 50 Märchen (vgl. Lange 2011, 232), wurde aber mit den bekanntesten Zaubermärchen allein bis ins Jahr 1858 bereits in zehn Auflagen publiziert. Diese Ausgabe der KHM ist auch die Version, die es zu dem weltweit großen Bekanntheitsgrad gebracht hat und allgemein mit der Gattung „Grimm“ verbunden wird (vgl. Jolles 1969, 219).
Mit der Veränderung der Gesellschaftsstrukturen durch die Industrialisierung und mit dem Herausbilden der „bürgerlichen Kleinfamilie“, die auf Erziehung ihrer Kinder in einer „guten Kinderstube“ großen Wert legte, wurden die KHM als wertvolles Buch zur Kindererziehung sowie als Vorlesebuch zur Unterhaltung in der Familie entdeckt (vgl. Rölleke 2004, 26f.), so werden auch in der Gegenwart, die KHM in vielen Kreisen in dieser Art und Weise verstanden.
1.2 Das Märchen – literarische und allgemeine Gattungsmerkmale
Nachdem im vorhergehenden Kapitel die Entstehung der europäischen Märchen im Allgemeinen sowie der KHM im Speziellen näher betrachtet wurde, sollen an dieser Stelle zum besseren Verständnis und zur Bearbeitung der Fragestellung dieser Arbeit, die Merkmale des Märchens genauer untersucht werden, um im Folgenden Interpretationen und Zugänge besser nachvollziehen zu können.
„Das besondere am Märcheninhalt ist seine Verwobenheit mit dem Wunderbaren“ (Lüthi 2005, 6), Märchen sind losgelöst von jeder Dimension und jedem Raum. Sie sind inzwischen eine eigenständige Gattung in der Literaturwissenschaft, die sich von anderen epischen Formen Sagen, Legenden, Mythen, Fabel und der Lyrik klar in Merkmalen unterscheidet, auch wenn für Kinder zunächst nur die Gemeinsamkeit aller Gattungen, die im Narrativen und im unmittelbaren „Gebrauchswert“ (vgl. Lange 2011, 197) besteht, im Vordergrund liegt. Märchen sind volksläufige, also im Gedächtnis des Volkes gebliebene, kurze Prosa-Erzählungen mit unterhaltsamen Charakter, in denen häufig auch Fragmente anderer Gattungen, als Mischform auftreten (vgl. Lüthi 2005, 98, Rölleke 2004, 11f, 104f.). In der Märchenforschung wird heute zwischen zwei Hauptgruppen unterschieden, dem Volksmär-chen und dem Kunstmärchen. Das Volksmärchen ist aus namenlos mündlich überliefertem Volksgut entstanden, während dem Kunstmärchen ein/e Autor_in/Urheber_in zugrunde liegt (vgl. Pödge-Alder 2011, 30), die/der das Märchen bewusst gestaltet sowie gegebenenfalls eigene Kommentare bzw. Reflexionen mit einfügt.
Max Lüthi, ein Schweizer Märchenforscher, der mit seinen Untersuchungen diesen Zweig der Wissenschaft maßgeblich beeinflusst hat, arbeitete für das europäische Volksmärchen im Folgenden fünf Gattungsmerkmale heraus, wenngleich er selbst kritisch hinterfragte, ob diese Kriterien in der Grundstruktur „wirklich das in mündlichem Erzählen lebendige Volksmärchen erfassen, oder ob sie am Ende nur für das Buchmärchen gültig sind, nur auf den Stil der Brüder Grimm und der vielen, die in ihren Spuren wandeln, zutreffen“ (Lüthi 2005, 99). Die KHM der Grimms gelten inzwischen tatsächlich als eigene Gattung, da sie durch die Überarbeitung durch Wilhelm Grimm nicht mehr die Art und Weise des mündlichen Tradierens aufweisen (vgl. Lange 2011, 233, 237) und die „Erzähltradition“ des Volksmärchens im eigentlichen Sinn verloren haben. Zwar sind sie stilistisch geprägt durch Eingangs- und Schlussformeln, durch formelhafte Ausdrücke sowie durch ein gutes Ende, aber sie werden nicht mehr wirklich von der „Mündlichkeit“ des Erzählers/der Erzählerin beeinflusst. Dennoch finden sich die Gattungsmerkmale des Volksmärchens nach Lüthi auch in den KHM und werden wie folgt beschrieben in Merkmalen der/s:
Sublimation und Welthaftigkeit (vgl. Lüthi 2005, 63ff.)
Die im Märchen existierenden Motive wie Armut, Werbung, Hochzeit, Verwaisung, verwitwete Eltern, Kinderaussetzung und andere, sind Gemeinschaftsmotive im Spiegel und Spannungsfeld der Beziehungen zwischen Mensch, Tier und Umwelt. Sie wurden zunächst als Tatsachen tradiert, aber im Verlauf wurden sie mit numinosen, magischen Motiven (vgl. Lüthi 2005, 63), als auch Elementen einer natürlichen und einer der Natur entfernten Wirklichkeit (diesseitige und jenseitige Welt) verknüpft. Dahingehend bekannt sind Beispiele verschiede-ner Märchen mit wiederkehrenden Toten, Drachen, Fabelwesen, Zauberei und Erlösung, in denen diese Wirklichkeit als magisch erlebt und empfunden wird. „Der abstrakt-isolierende, figurale Stil des Märchens ergreift alle Motive und verwandelt sie. Dinge wie Personen verlieren ihre individuelle Wesensart und werden zu schwerelosen, transparenten Figuren“ (Lüthi 2005, 63). Durch den isolierenden und veredelnden Stil des Märchens, bekommt das Wunderbare, Fantastische im Märchen die Möglichkeit alle Dimensionen von Weltvorstellun-gen in sich zu vereinen (vgl. Jolles 1969, 234), alles im Märchen erscheint möglich, also in diesem Sinn „welthaltig“ (vgl. Lüthi 2005, 69,70).
Flächenhaftigkeit (vgl. Lüthi 2005, 13ff.)
Menschen und Tiere werden ohne körperliche und seelische Tiefe dargestellt, es gibt dahingehend keine körperliche/seelische Freude oder Schmerz. Nur zur Fortführung der Handlung werden beispielsweise „Tränen vergossen“ (vgl. Lüthi 2005, 14 f.), um einen möglichen Kontakt zum/r HelferIn herzustellen. Im Märchen gibt es keine Gefühle, die den Menschen bewegen, denn die Figuren sind flächenhaft ohne lebendige Innenwelt (vgl. Lüthi 2005, 16) dargestellt und werden in ihren Handlungsmöglichkeiten durch starke Kontrastie-rung und Polarisierung (vgl. Lange 2005, 233), die/der Held_in ist gut, die/der Gegner_in ist schlecht, (ober-)flächenhaft nebeneinander dargestellt. So bekommt das Märchen, das so typische stilistische Merkmal der „Wirklichkeitsferne“ (vgl. Lüthi 2005, 25) und ist insofern an keinen genauen Ort und keine bestimmte Zeit gebunden.
Eindimensionalität (vgl. Lüthi 2005, 8ff.)
„Das Wunderbare ist im Märchen nicht fragwürdiger, als das Alltägliche“ (Lüthi 2005,11). Im Märchen gibt es keine vollendeten Gefühle, diesseitige und jenseitige Welten, also wirkliche und unwirkliche Welten werden zwar unterschieden, existieren im Märchen aber als „Überwirklichkeit“ (vgl. Lüthi 2005, 9) nebeneinander. Im Märchen werden Charaktere mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattet, so können sie mühelos, selbstverständlich und ohne Befangen in einer geistigen Dimension agieren. Sie sind dabei nicht detailliert als Individuen beschrieben, sondern nur oberflächlich skizziert, um aufeinander folgende Vorgänge einzulei-ten (vgl. Lüthi 2005, 10). Gefühle wie Angst, Neugier, Wut und andere werden profan dargestellt, die Held_innen fürchten sich vor Gefahren, nicht aber vor dem Unheimlichem. Diesseitige und jenseitige Welten, im Sinne von natürlicher und unnatürlicher Wirklichkeit werden im Märchen nicht örtlich auseinandergerückt, sondern eindimensional auf einer Linie projiziert (vgl. Lüthi 2005,11). Die innere Befremdung (Entfernung) wird so im Erleben nicht spürbar, sondern nur durch äußerlich beschriebene Entfernungen ausgedrückt. Beispielsweise sind die Tiefen des Meeres, die Wolken, die dunklen Wälder für die/den HeldIn nur geografisch fern, nicht geistig (vgl. Lüthi 2005, 12), dahingehend stellt dieses Merkmal im Märchen eine Form der Eindimensionalität dar.
Abstrakter Stil (vgl. Lüthi 2005, 25ff.)
Das Märchen hat keine individualisierende Charakteristik (vgl. Lüthi 2005, 26), sondern schildert und beschreibt seine Elemente trennscharf im Kontrast. Personen werden nicht als Individuen, sondern als bestimmte Typen von Menschen beschrieben, die Prinzessin ist schön, die Hexe ist böse, der König repräsentiert die Gemeinschaft, ist gerecht oder ungerecht. In symbolhaften Formeln werden „Dinge und Lebewesen metallisiert und mineralisiert“(Lüthi 2005,27). Schlösser, Brücken, Schuhe, Früchte, Haare oder Kleidung sind im Märchen häufig gläsern, golden, diamanten. Auch Farben werden nicht als Mischfarben wie in der Natur vorkommend wiedergegeben, sondern den Elementen nur in reinen Farbtönen beispielsweise rot, silbern, golden, schwarz, typisierend beigefügt. Handelnden Charaktere, als auch die gesamte Handlung sind im Märchen genau wie Stoffe und Farben klar gezeichnet, in ihrer Kontur genau bestimmt und folgen einer präzisen Linie, in konkret voneinander getrennten Situationen (vgl. Lüthi 2005, 29). Starre Formeln wie die in ihrer ursprünglichen Bedeutung magischen Zahlen 1, 2, 3, 7 und 12 (vgl. Lüthi 2005, 33f.), werden als wiederkehrender Rhythmus symbolhaft verwendet, um dem Märchen ein unterstützendes, fest umrissenes Handlungsfeld zu geben und um ähnlich der Einflechtung des Wunders, als „Bewältigungsmechanismus“ für bestimmte Handlungsfelder genutzt zu werden (vgl. Lüthi 2005, 31). Diese abstrakte Stilisierung gibt dem Märchen die Formkraft, die Festigkeit und die Gestalt, in der Elemente sich zu einer Einheit fügen (vgl. Lüthi 2005, 31) und den typischen Märchencharakter beziehungsweise den typischen Märchenstil ausmachen, der zusätzlich durch den kurzen, einfachen Satzaufbau charakterisiert ist (vgl. Lange 2005, 233).
Isolation und Allverbundenheit (vgl. Lüthi 2005, 37ff.)
Die Isolation und die „Allverbundenheit“ skizzieren ebenso als typische Gattungsmerkmale den abstrakten Märchenstil. Charaktere der natürlichen und der fantastischen Welt agieren zwar miteinander in einem Handlungsfeld, nicht aber in einer dauerhaften Beziehungsebene, oder in einem dargestellten Milieu, denn es verbindet die Subjekte kein wirkliches gegenseitiges Interesse am einzelnen Individuum (vgl. Lüthi 2005, 37ff.). Wie bereits geschildert, werden Personen flächenhaft ohne Innenleben beschrieben, dieses bedeutet zugleich ihre Isolation, denn ohne Beziehungsebenen bestehen nur noch Handlungs- oder Kontrastbeziehungen (vgl. Lüthi 2005, 37-39). Dahingehend werden beispielsweise zwischen Eltern und Kindern häufig Trennungsabläufe ohne gefühlsmäßige Tiefe isoliert in Handlungsabläufen geschildert. Kinder werden alleine ausgesetzt, weil die Eltern arm, tot, oder verwitwet sind, aber es gibt keine detaillierte Beschreibung ihrer Beziehungen, ihrer Erfahrungen, erlebter Gewalt, beziehungsweise eines Umfeldes. Jede Handlungslinie wird ohne Handlungsraum in einzelnen miteinander verknüpften Abfolgen/Episoden isoliert dargelegt, ohne den Handlungsraum näher zu beschreiben (vgl. Lüthi 2005, 37 ff., Lange 2011, 232). Obgleich die Subjekte im Märchen keine Erfahrungen machen, nicht lernen, sind die Akteure in der Lage “wunderbar“ miteinander und mit allen Dingen/Lebewesen in einer natürlichen und fantastischen Wirklichkeit, in Kontakt zu treten (vgl. Lange 2011, 232, Lüthi 2005, 60), mit allen verbunden zu sein. Somit sind sie zentrale Träger, der von Lüthi als Isolation und „Allverbundenheit“ bezeichneten Merkmale.
An dieser Stelle soll angemerkt werden, dass in pädagogischer Arbeit mit Schüler_nnen, die Analyse derartiger Merkmale durchaus lebensnahe Bezüge herstellen kann und ihnen die Möglichkeit gibt, gerade in Bezug auf beispielsweise naturwissenschaftliche Phänomene, die Darstellungsform im Märchen zu überprüfen. Jüngere Kinder haben zum Teil „wunderbare“ kindliche Vorstellungen von Phänomenen (Schäfer 2005, 272), in denen sie ihre Unerfahrenheit mit Annahmen ausgleichen. Im Verlauf diese Arbeit erscheint es bedeutend diesen Aspekt näher zu betrachten. Es lässt sich jedoch aufgrund der aufgeführten Gattungsmerkmale nachvollziehen, weshalb Märchen eine große Anziehungskraft auf Kinder ausüben, bestätigen sie doch in ihrer Art und Weise zum Teil ein kindliches Denken, beziehungsweise kindliche Vorstellungen und Annahmen, denen eine entsprechende, kognitive, soziale und emotionale Entwicklung zugrunde liegt und die immer in einen vom Gehirn gebildeten Zusammenhang stehen (vgl. Schäfer 2005, 109), in dem das Gehirn die Gesamtheit der Wahrnehmungen interpretiert. Im Folgenden wird daher die Gestalt des Märchens im Vergleich zu anderen Gattungen noch einmal differenzierter beschrieben.
1.2.1 Unterschiede und Abgrenzung des Märchens zu anderen literarischen Gattungen
Aus Gründen der vorgegebenen Länge dieser Arbeit, aber für ein besseres Verständnis der Mischformen des Märchens [der Oberbegriff Märchen häufig auch für Erzählungen mit „fantastischen“ Charakteren/Elementen gebraucht], kann hier nur allgemein zusammen-fassend auf andere literarische Gattungen wie Sagen, Mythen, Legenden und Fabeln eingegangen werden. Im Unterschied zum Märchen weist die Sage einen „wahren Kern“ auf, in dem mündlich überlieferte Bezüge zu Personen, beziehungsweise realen historischen Ereignissen mit genauen Orts- und Zeitangaben, sich von der Wirklichkeit entfernt haben, das Ereignis aber als tatsächlich Geschehenes erzählen (vgl. Pöge-Alder 2001, 36, 63, Jolles 1969, 62f). In der Sage werden ähnlich dem Märchen zeitweise Natur- und Kausalgesetze aufgehoben (auftauchende Fabelwesen), aber sie werden im Gegensatz zum Märchen klar in einer diesseitigen und jenseitigen Dimension, also in einer natürlichen und unnatürlichen Weltbeschreibung abgegrenzt. Nur im Märchen herrscht die beschriebene absolute Raum- und Zeitlosigkeit in einer losgelösten eindimensionalen Weite, mit der dauerhaften Verknüpfung zum „Wunderbaren“ (vgl. Lüthi 2005, 6, 8).
Mythen hingegen sind „sagenhafte“ Schilderungen eines menschliches Daseins in Verknüpfung mit dem Göttlichen (vgl. Jolles 1969, 91), die ebenfalls aus tradierten Erzählungen der Vorzeit nacherzählt werden (vgl. Pöge-Alder 2001, 36-39). Mythen drücken deutlicher als Märchen die kulturspezifischen Vorstellungen einer Gesellschaft aus, denn Mythen entstehen aus menschlichen kulturspezifischen Annahmen eines Göttlichem, im Sinne eines Glaubens an eine übernatürliche Wirklichkeit, im Spannungsfeld ihrer kulturell bedingten Auseinandersetzung in einer realen Welt.
Die Legende ist der Sage sehr ähnlich, beinhaltet aber in einer religiösen Dimension meist historisch vorbildliche, religiös-sittliche Biographien, denen (vgl. Pöge-Alder 2001, 39) eine genaue Namensnennung und reale Schauplätze, zugrunde liegen. „Das Wunder (lat. miraculum) ist die Mitte der Legende“ (Lüthi 2005, 6), trotzdem werden in Legenden im Gegensatz zu Sagen und Märchen, Natur- und Kausalgesetze nicht aufgehoben. Legenden (lat. legenda) gehen auf liturgische Lesungen laut vorgetragener Texte in Kirchen zurück (vgl. Pöge-Alder 2001, 39), die im Verlauf von Gläubigen nacherzählt wurden.
Schließlich die Fabel (vgl. Pöge-Alder 2011, 50), eine kurze in Prosa oder in Versform verfasste Erzählung, der ein/e Autor_in zugrunde liegt und in der menschliche Charaktere durch Tiere ersetzt werden. Die Tiere nehmen in Fabeln meist stereotype Eigenschaften von Menschen an und können oftmals in den Erzählungen auch sprechen (zeitweise Aufhebung von Naturgesetzen). In der Fabel werden keine Orts- und Zeitangaben verwendet, aber der Fabel liegt eine moralische Annahme von kulturspezifischen Regeln zugrunde, auf deren Einhaltung genau verwiesen wird und die das zentrale Element der Fabel bilden. In Wiederholung moralischer Vorstellungen, versucht die Fabel nachhaltig Einfluss auf die/den Hörer_in/Leser_in zu nehmen. Es wird deutlich, dass das Märchen mit seinen spezifischen Gattungsmerkmalen einen ganz besonderen Charakter aufweist, den auch zahlreiche Forschungen näher untersucht und interpretiert haben, von denen nachstehend ein Ausschnitt gezeigt werden soll.
1.3 Märchen - Stand der Forschung - Interpretationen und Zugänge
Im letzten Abschnitt wurden zum besseren Verständnis die Gattungsmerkmale des Märchens erläutert und fast jeder meint, Märchen beziehungsweise märchenhafte Erzählungen zu kennen und je nach Sympathie oder Abneigung, etwas zu diesem Thema sagen zu können. Schnell wird in Meinungsbildern deutlich, dass der Zugang zu Märchen im Allgemeinen, individuell abhängig von der jeweiligen Sozialisation, ein komplexes Thema darstellt und in einem kulturellen Kontext betrachtet werden muss. Die interpersonalen und interkulturellen Dimensionen des Märchens und ihre Funktion in der Bedeutung für den Menschen im Allgemeinen, als auch für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen im Speziellen, wurden und werden von zahlreichen wissenschaftlichen Disziplinen in unterschiedlichen Zugängen und Konzepten mehrperspektivisch betrachtet und untersucht.
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- Citation du texte
- Alexandra Samios (Auteur), 2015, Märchen: (k)eine Möglichkeit mit Kindern und Jugendlichen zeitgemäß und pädagogisch reflektiert zu arbeiten?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/298834
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