In meiner Arbeit werde ich mich auf einige Kernanalysen beziehen um die Frage, ob sich das bürgerschaftliche Engagement in Ost und West bezüglich Quantität und Qualität unterscheidet, zu beantworten. Gibt es Besonderheiten des bürgerschaftlichen Engagements in den neuen Bundesländern? Hierzu werde ich Traditionen der DDR beleuchten. Darüber hinaus werde ich mich mit besonderen Problemen des Institutionentransfers von West nach Ost sowie engagementrelevanten Folgen des Umbruchs beschäftigen und in diesem Kontext einen Ausschnitt des „breiten Beziehungsfeldes gesellschaftlicher Entwicklungs- und Veränderungstrends“8 beleuchten, die vermehrt auf die Lebenshaltung großer Teile der Bevölkerung Einfluss nehmen. In einem nächsten Schritt werde ich ostdeutsche Engagementmotive und –Bereiche sowie gender-spezifische Differenzen in Ostdeutschland analysieren.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Zum Begriff des „bürgerschaftlichen Engagements“
2. Empirische Untersuchungen
3. Besonderheiten des bürgerschaftlichen Engagements in den neuen Bundesländern
3.1 Traditionen der DDR, Institutionentransfer und engagementrelevante Folgen des Umbruchs
3.1.1 Traditionen
3.1.2 Besondere Probleme des Institutionentransfers
3.1.3 Engagementrelevante Folgen des Umbruchs
3.2 Engagementmotive und –Bereiche und Gender-spezifische Differenzen
3.2.1 Motive für bürgerschaftliches Engagement
3.2.2 Engagementbereiche
3.2.3 Frauen und bürgerschaftliches Engagement
4. Erklärungsansätze.
4.1 Bestimmungsfaktoren für bürgerschaftliches Engagement in den neuen Ländern
4.1.1 Die Ressourcen der DDR-Gesellschaft
4.1.2 Der unvollständige Transfer.
4.1.3 Nähe zur Erwerbsarbeit
4.2 Defizit oder Differenz?
5. Barrieren für bürgerschaftliches Engagement
6. Resümee
Bibliographie
Einleitung
Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und Selbsthilfe können in Deutschland auf eine lange Tradition zurückblicken und sind in vielen gesellschaftlichen Bereichen von großer Bedeutung. Erst in den letzten Jahren aber hat sich ein Bewusstsein herausgebildet, welches die Vielfalt der einzelnen Bereiche, Formen und Initiativen als Ganzes betrachtet, "als ein gesellschaftliches Handlungsfeld eigener Art".1 Die aktuelle Präsenz des „Modebegriffs“Bürgerschaftliches Engagement in Anstalten und Medien lässt sich nicht von der Hand weisen.2 Bürgerschaftliches Engagement als „Hit der Saison“ gewann noch zusätzlich an Aufmerksamkeit durch das von den Vereinten Nationen initiierte "Internationale Jahr der Freiwilligen" (IJF) - das Jahr 2001 - sowie durch die Einsetzung der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages, deren Aufgabe in der Analyse der „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“3 lag. Mehr und mehr wird der Bereich des bürgerschaftlichen Engagements damit auch zu einem eigenständigen Politikfeld. Die Aktualität des Themas bürgerschaftliches Engagement spiegelt sich in der emotionalen Aufgeladenheit von Befürchtungen über seinen Verfall, der mit dem Verlust des gesellschaftlichen „Kitts“ einhergeht, ebenso wie in der „Hoffnung auf die aktiven Bürger, die [...] bereits dabei seien, sich von allen institutionellen Fesseln zu befreien, die sie bislang am Aktivwerden gehindert hätten“.4 Roland Roth bezeichnet bürgerschaftliches Engagement als „ungehobenen Schatz, um dessen Bergung sich die politischen und gesellschaftlichen Institutionen auch im eigenen Interesse schleunigst bemühen sollten“.5 Diese Diskussion unterstreicht die Bedeutsamkeit bürgerschaftlicher Aktivitäten für ein lebendiges, intaktes Gemeinwesen. Im Hinblick auf die Zukunft des Wohlfahrtsstaates knüpft sich an bürgerschaftliches Engagement „die Hoffnung, auf diese Weise Potenziale für soziale Unterstützung und solidarisches Handeln in der Gesellschaft gewinnen und fördern zu können“.6
Herrscht über die Bedeutsamkeit des Themas im politischen als auch wissenschaftlichen Dialog weitgehend Einvernehmen, so ist es um die empirische Beschreibung weitaus schlechter bestellt. Der Stand des empirischen Wissens über bürgerschaftliches Engagement lässt keine eindeutige Aussage über die Häufigkeitsverteilung zwischen Ost- und Westdeutschland zu. Jedoch überwiegen Analysen, die zum Ergebnis kommen, dass ein größeres Engagement in Westdeutschland vorherrscht. Das Fehlen einer konsistenten Empirie Studien erschwert die Klärung dieser Frage.7
In meiner Arbeit werde ich mich auf einige Kernanalysen beziehen um die Frage, ob sich das bürgerschaftliche Engagement in Ost und West bezüglich Quantität und Qualität unterscheidet, zu beantworten. Gibt es Besonderheiten des bürgerschaftlichen Engagements in den neuen Bundesländern? Hierzu werde ich Traditionen der DDR beleuchten. Darüber hinaus werde ich mich mit besonderen Problemen des Institutionentransfers von West nach Ost sowie engagementrelevanten Folgen des Umbruchs beschäftigen und in diesem Kontext einen Ausschnitt des „breiten Beziehungsfeldes gesellschaftlicher Entwicklungs- und Veränderungstrends“8 beleuchten, die vermehrt auf die Lebenshaltung großer Teile der Bevölkerung Einfluss nehmen. In einem nächsten Schritt werde ich ostdeutsche Engagementmotive und –Bereiche sowie gender-spezifische Differenzen in Ostdeutschland analysieren. Danach werde ich verschiedene Erklärungsansätze analysieren, indem ich wichtige Bestimmungsfaktoren für bürgerschaftliches Engagement in den neuen Ländern benenne und deren Einfluss analysiere: Welche Rolle spielen Ressourcen der DDR-Gesellschaft? Wie wirkt sich die besondere Transformationssituation der neuen Länder auf bürgerschaftliches Engagement aus? Warum kommt es zu einer größeren Nähe des ostdeutschen Engagements zur Erwerbsarbeit? Schließlich werde ich versuchen zu klären, ob es sich bei bürgerschaftlichem Engagement in den neuen Ländern um eine defizitäre oder um eine differenzierte Entwicklung handelt. Im vorletzten Schritt werde ich Barrieren für Engagement untersuchen. Hierzu werde ich mich mit Hemmnissen beschäftigen, die einem Einstieg in bürgerschaftliches Engagement entgegenstehen und somit bewirken, dass das in der Bevölkerung bestehende engagementbezogene Interesse nur beschränkt realisiert wird „und somit ein umfangreiches ‚Humanpotenzial’ in der Latenz verbleibt“9. Im Resümee werde ich die Hauptbefunde zusammenfassen und einen Ausblick geben. Doch zunächst folgt eine Klärung des Begriffs bürgerschaftliches Engagement.
1. Zum Begriff des „bürgerschaftlichen Engagements“
Eine klare Umreißung des Begriffs fällt schwer, denn dieser fasst weit mehr als das klassische Ehrenamt. Es gibt in Deutschland noch keine allgemein akzeptierte Bezeichnung für dieses Feld. So stellt sich die Frage, ob es um Arbeit („Freiwilligenarbeit“), um soziales und politisches Engagement („Bürgerengagement“), um bestimmte Ämter und Funktionen („Ehrenämter“) in gesellschaftlichen Organisationen und Institutionen oder um Selbsthilfegruppen bzw. selbst organisierte Initiativen und Projekte, wie bspw. im Gesundheitsbereich, geht.10 All dies ist gemeint. Der Begriff ist also durchaus nicht eindeutig. Empirisch gesehen fasst dieser alle Aktivitäten jenseits einer [...] Intim- und Privatsphäre, zu der in unserer Gesellschaft z.B. Familien, aber auch wesentliche ökonomische Aktivitäten, wie die Erwerbsarbeit gehören, und unterhalb der im engeren Sinne staatlichen Handlungssphäre, die weitgehend bürokratischer Rationalität folgt.11
Roland Roth benennt folgende Dimensionen, die bürgerschaftliches Engagement konstituieren:
- Konventionelle und neuere Formen der politischen Beteiligung, gemeint ist ehrenamtliches Engagement wie bspw. die Mitarbeit in Parteien, aber auch Bürgerinitiativen und soziale Bewegungen. Eine unmittelbare politische Beteiligung gilt als charakteristisches Kennzeichen und kann sowohl gesetzlich geregelter als auch informeller Natur sein bis hin zu unabhängigen Formen der Mobilisierung in Initiativen oder Protesten.
- Die freiwillige bzw. ehrenamtliche Wahrnehmung öffentlicher Funktionen. Hierzu zählen Schöffen sowohl als auch Bürgervereine, die vormals kommunale Einrichtungen selbständig betreiben oder deren Leistungen durch ihr Engagement aufwerten.
- Klassische und neue Formen des sozialen Engagements, wie z.B. das klassische soziale Ehrenamt in Wohlfahrtsverbänden, das freiwillige soziale/ökologische Jahr, aber auch die sogenannte „neue“ Ehrenamtlichkeit, die von Freiwilligenagenturen und Ehrenamtsbörsen vermittelt wird.
- Klassische und neue Formen der gemeinschaftsorientierten, moralökonomischen bzw. von Solidarvorstellungen geprägten Erwerbs- und Eigenarbeit, deren Charakteristikum in moralökonomischen Elementen liegt im Gegensatz zur regulären Erwerbsarbeit. Hierbei reicht die Bandbreite von der traditionellen Nachbarschaftshilfe, über Genossenschaften bis zu Seniorenservice-Zentren. Die Grenzen zur Erwerbsarbeit sind fließend und die Intention der Projekte mehrdimensional.
- Klassische und neue Formen von gemeinschaftlicher Selbsthilfe und andere gemeinschaftsbezogene Aktivitäten, wie bspw. Selbsthilfegruppen für spezifische Krankheitsbilder, aber auch Kinder- und Jugendarbeit von Sportvereinen. Oft sind die Übergänge von Selbstbezug zu bürgerschaftlichem Engagement unscharf.12
Der Bereich des bürgerschaftlichen Engagements schließt also eine Vielzahl von Aktionen ein, die sich zwischen den Polen Markt, Staat und Familie bewegen und nur schwer einem dieser Pole zuordenbar sind.13 Doch trotz unterschiedlicher Akzentsetzungen – letztlich geht es um dieselbe Sache: Bürger übernehmen – außerhalb ihrer beruflichen Tätigkeit und außerhalb des rein privaten, familiären Bereichs – Verantwortung im Rahmen von Gruppierungen, Initiativen, Organisationen oder Institutionen. [Bürgerschaftliches Engagement] ist Teil einer breiter verstandenen Aktivität des ‚Mitmachens[...] als aktive Beteiligung’ der Bürgerinnen und Bürger in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen.14
Zweifelsohne kann nicht alles Handeln aus diesem Zwischenbereich als bürgerschaftlich bezeichnet werden, denn nicht jedes Beziehungsnetzwerk entspringt einer sozialen und bürgerschaftlichen Motivation. In diesem Rahmen sind Hierarchien, Ab- und Ausgrenzungen, Rassismus oder Diskriminierung zu benennen, die einer kritischen Auseinandersetzung bedürfen. Roland Roth charakterisiert dies als „unsoziales Kapital“ - als „Kapital der Klüngel, [...], Männerbünde und „besseren Kreise“ [mit] korruptiven Praktiken“.15 Zu betonen sind darüber hinaus zwei „Zusatzbedingungen“ für bürgerschaftliches Engagement: Öffentlichkeit und Gemeinsinn, zumindest Gemeinwohlverträglichkeit; verweisen diese Bedingungen doch auf dessen normativen Gehalt.16 Bürgerschaftliches Engagement ist also mehr als nur ein Sammelbegriff für eine Vielzahl bürgerschaftlicher Aktivitäten. Die gesellschaftliche Bedeutung und Gemeinwohldimension von Engagement sind richtungsweisend. Aus diesem Grund wähle ich in meiner Arbeit aus der Vielzahl der Begriffe den des bürgerschaftlichen Engagements, da dieser die Vielfalt des gemeinwohlorientierten Engagements am besten fasst.
2. Empirische Untersuchungen
Helmut Klages und Thomas Gensicke beziehen sich in ihrer Arbeit „Bürgerschaftliches Engagement 1997“ auf Daten des Speyerer Wertesurveys aus dem Jahre 1997. Die Autoren ermitteln für Westdeutschland einen Engagement-Anteil von 39% und für die neuen Ländern einen Anteil von 35%, geben jedoch zu bedenken, dass die Ost-West-Unterschiede nicht signifikant sind. Auffällig ist jedoch, dass den höheren Prozentzahlen Westdeutscher, die sich bereits engagieren, höhere Anteile Ostdeutscher, die zu einem Engagement bereit sind, gegenüberstehen. Kein Interesse an einem Engagement zeigen nur ca. 30% der Befragten in Ost und West. Auch die zeitliche Frequenz eines Engagements sowie die Anzahl der Stunden im Monat liefern keine signifikanten Unterschiede – dennoch bleiben die Werte im Osten hinter denen im Westen zurück (15,8 Stunden pro Monat im Westen – im Osten 14,9).17
Ähnliche Zusammenhänge in Ost und West zeigen sich bspw. in den Bereichen Alter und Bildung. So ist das Verhältnis zum bürgerschaftlichem Engagement in beiden Landesteilen in den jüngeren Altersgruppen günstiger – die Gruppe der 18- bis 30-Jährigen zeichnet sich hierbei durch eine besonders hohe Bereitschaft, die Gruppe der 31- bis 45-Jährigen durch besondere Aktivität aus. Darüber hinaus steigt das Engagement mit höherer Bildung. Klages und Gensicke schlussfolgern, dass diejenigen, die von der modernisierenden Gesellschaftsentwicklung (z.B. Bildung) profitieren oder ihr aufgeschlossen gegenübersteht (junge Menschen), sich auch mehr engagieren bzw. eine positivere Einstellung zum Engagement haben. Ein markanter Ost-West-Unterschied ist bspw. in der Altersgruppe der 46- bis 65-Jährigen zu finden, die sich im Osten deutlich weniger engagieren.18
1999 wurde ein Freiwilligensurvey zum Thema „Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftliches Engagement“ durchgeführt, der vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegeben wurde. Ziel war es, einen umfassenden Überblick über das gesamte Feld des bürgerschaftlichen Engagements der Bürgerinnen und Bürger zu geben. Thomas Gensicke („Freiwilliges Engagement in Ostdeutschland. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage“)19 als auch Bernhard von Rosenbladt („Freiwilliges Engagement in Ostdeutschland: Gesamtbericht, Ergebnisse der Repräsentativerhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftlichem Engagement“) sowie die Enquete-Kommission („Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“) beziehen sich in ihren Arbeiten auf diese Untersuchung. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die neuen Bundesländer eine niedrigere Engagementquote aufweisen als die alten Länder (im Durchschnitt 28% gegenüber 35%). Innerhalb Ostdeutschlands können praktisch keine Unterschiede in Bezug auf die Engagementquote verzeichnet werden – mit Ausnahme von Berlin, wo, insbesondere im Ostteil der Stadt, wo unter allen Ländern die mit Abstand niedrigste Quote herrscht (24% gegenüber 28 bis 30%). Die alten Länder haben deutlich höhere Engagementwerte, wobei diese in den Stadtstaaten und Niedersachsen nur minimal, in den übrigen Ländern dagegen deutlich höher sind.20
Darüber hinaus existiert in beiden Landesteilen ein Engagementpotenzial von jeweils 27%. Beachtlich ist das große Potenzial für bürgerschaftliches Engagement besonders unter den jungen Menschen in den neuen Ländern. Fasst man die Hauptfunde zusammen, kommen Gensicke als auch von Rosenbladt zu dem Schluss, dass die älteren Bürger sich oft nicht mehr, die Jüngeren hingegen sich oft noch nicht freiwillig engagieren.
Bei den Präferenzen für einzelne Engagementbereiche tritt besonders ein Unterschied deutlich hervor: im Bereich der Kirche und Religion engagieren sich im Westen 6% der freiwillig Tätigen, während sich im Osten nur 2% engagieren. Hier kommen die weiter fortgeschrittenen Entkirchlichungs- und Säkularisierungsprozesse in den neuen Ländern zum tragen, wo drei Viertel der Bürgerinnen und Bürger konfessionell nicht gebunden sind. Für die ostdeutsche Engagementlandschaft hat dieser Umstand in doppelter Hinsicht Konsequenzen: zum einen konnte gezeigt werden, dass Kirchenbindung bürgerschaftliches Engagement grundsätzlich begünstigt und zum anderen machen die Kirchen in den alten Ländern einen erheblichen Teil der Infrastruktur für bürgerschaftliches Engagement aus.21
Der Verein ist in Ost und West der bedeutendste Rahmen für bürgerschaftliches Engagement. Etwa die Hälfte der freiwilligen Tätigkeiten findet dort statt. Während in den alten Ländern kirchliche und religiöse Organisationen mit 15% der zweitwichtigste Träger von Engagement sind, können sie im Osten mit 7% nur halb so viel Engagement aufweisen. In den neuen Ländern sind staatliche und kommunale Einrichtungen mit 14% der zweitwichtigste organisatorische Rahmen für bürgerschaftliches Engagement. Die Enquete-Kommission verweist in diesem Kontext auf grundlegende Strukturunterschiede: in Ostdeutschland sind viele Vereine, Initiativen und Projekte „traditionsbedingt und transformationsgefördert“ eng an den Staat gebunden.22 Die vorliegenden Daten zeigen, dass in den neuen Ländern weitaus weniger Menschen Mitglieder in Vereinen, Parteien, Verbänden, Bürgerinitiativen und anderen Organisationen sind. Dies ist u.a. darauf zurückzuführen, dass viele der in der DDR bestehenden Organisationen nach der Wende aufgelöst wurden. Organisationen, wie bspw. die „Volkssolidarität“, die weiterbestanden, verloren eine große Zahl ihrer Mitglieder und ehrenamtlichen Helfer. Da Vereine und andere Organisationen wichtige Bausteine einer engagementbezogenen Gelegenheits- und Infrastruktur darstellen, trägt die geringere Organisations- und Mitgliedschaftsdichte in Ostdeutschland ausschlaggebend zum geringeren Engagementniveau bei.
In den neuen als auch in den alten Bundesländern engagieren sich Arbeitslose deutlich weniger als Erwerbstätige. Aufgrund der höheren Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland konzentrieren sich Bürgerinnen und Bürger stärker auf den Beruf bzw. auf den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt und engagieren sich somit weniger im öffentlichen Bereich. Da ostdeutsche Frauen besonders von Arbeitslosigkeit betroffen sind, liegt ihre Engagementquote mit 23% deutlich unterhalb der Quote ostdeutscher Männer (34%) und westdeutscher Frauen (32%). Hausfrauen, die in den alten Ländern besonders stark bürgerschaftlich engagiert sind, machen prozentual in Ostdeutschland einen erheblich niedrigeren Anteil aus. Auch die Erwartungshaltung gegenüber einem Engagement ist beeinflusst durch die hohe Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland, denn Bürgerinnen und Bürger erhoffen sich hier in verstärktem Maße auch einen beruflichen Nutzen. Sowohl die bereits Engagierten als auch die an einem Engagement Interessierten hegen diesen Wunsch. So verspricht sich fast die Hälfte dieser Gruppe von bürgerschaftlichem Engagement auch berufliche Vorteile. Besonders ausgeprägt ist dieser Wunsch wiederum bei ostdeutschen Frauen.
Schließlich macht auch die Altersstruktur beim bürgerschaftlichen Engagement Ost-West-Unterschiede deutlich. Die Gruppe der 40- bis 59-Jährigen, die in Westdeutschland überproportional häufig engagiert ist, ist in den neuen Ländern deutlich weniger freiwillig tätig. In diesem Kontext muss die Auflösung von Organisationen aus der DDR-Zeit und die damit einhergehende Beendigung vieler Tätigkeiten benannt werden. Darüber hinaus ist gerade diese „in der DDR sozialisierte“ Generation besonders von Arbeitslosigkeit und dem daraus resultierenden Bemühen um die Wiedereingliederung betroffen.23
Im Folgenden werde ich die bereits kurz dargelegten spezifischen Besonderheiten des Engagements der neuen Länder deutlicher herausarbeiten sowie Engagementmotive und –Bereiche analysieren.
3. Besonderheiten des bürgerschaftlichen Engagements in den neuen Bundesländern
Während der letzten zehn Jahre haben sich eigene Entwicklungspfade des bürgerschaftlichen Engagements in den neuen Ländern herausgebildet. Im folgenden Abschnitt werde ich zweigeteilt engagementbezogene Besonderheiten der neuen Bundesländer beleuchten. Zum einen untersuche ich engagementrelevante Charakteristika der DDR, der Zeit des Umbruchs sowie der Nachwendezeit: Wie wirken sich Traditionen der DDR auf die ostdeutsche Engagementlandschaft aus? Welche Einflussgröße stellt der Institutionentransfer dar? Warum kam es zu einer massiven Niederlegung bürgerschaftlicher Funktionen nach der Wende? Zum anderen versuche ich, die heutige ostdeutsche Engagementlandschaft zu umreißen: Welche Motivlagen führen zu bürgerschaftlichem Engagement? Welche Engagementbereiche sind für die neuen Bundesländer charakteristisch? Und wie verteilt sich Engagement auf die beiden Geschlechter?
[...]
1 Von Rosenbladt, Bernhard (2000): Freiwilliges Engagement in Deutschland: Gesamtbericht, Ergebnisse der Repräsentativerhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftlichem Engagement. Band 1, Stuttgart/ Berlin/Köln: , S. 16.
2 Klages, Helmut; Gensicke, Thomas (1998): Bürgeschaftliches Engagement 1997. In: Meulemann, Heiner (Hg.): Werte und nationale Identität im vereinten Deutschland. Erklärungsansätze der Umfrageforschung. Opladen: Leske+Budrich, S. 177.
3 Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ des Deutschen Bundestages (2002): Bürgerschaftliches Engagement: auf dem Weg in eine zukunftsfähige Bürgergesellschaft. Opladen: Leske+Budrich.
4 Roth, Roland (2002): Chancen und Hindernisse bürgerschaftlichen Engagements in den neuen Bundesländern. In: Backhaus-Maul, Holger; Ebert, Olaf; Jakob, Gisela; Olk, Thomas: Bürgerschaftliches Engagement in Ostdeutschland. Opladen: Leske+Budrich, S. 20.
5 Ebd., S. 20.
6 Von Rosenbladt, S. 33.
7 Roth, S. 26.
8 Ebd., S. 22.
9 Roth, S. 20.
10 Von Rosenbladt, S. 16.
11 Roth, S. 26.
12 Roth., S. 22f.
13 Weitere Begriffsdefinitionen liefern: Backhaus-Maul, Ebert, Jakob, Olk, S. 11 f; Klages, Genicke, S. 178; Enquete-Kommission, S. 57, 86-90.
14 Von Rosenbladt, S. 33, 39.
15 Roth, S. 24.
16 Ebd., S. 24.
17 Klages, Gensicke, S. 180 ff.
18 Klages; Gensicke, S. 182 ff.
19 Gensicke, Thomas (2002): Freiwilliges Engagement in Ostdeutschland. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage. In: Backhaus-Maul, Holger; Ebert, Olaf; Jakob, Gisela; Olk, Thomas: Bürgerschaftliches Engagement in Ostdeutschland. Opladen: Leske+Budrich, S. 89-109.
20 Von Rosenbladt, S. 64, 176.
21 Enquete-Kommisssion, S. 227.
22 Ebd., S. 227.
23 Enquete-Kommission, S. 228 ff.
- Citar trabajo
- Christiane Landsiedel (Autor), 2003, Bürgerschaftliches Engagement in Ostdeutschland, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29638
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