In einer früheren Ausgabe der Muttersprache (Heft 3, 2002) erschien ein Bericht von Yaşar Akar (2002), der die türkische Sprachgesellschaft Türk Dil Kurumu (TDK) hinsichtlich ihrer geschichtlichen Entwicklung, Organisationsform, Arbeitsmethoden und Aufgaben vorstellt und sie explizit als einzige Vereinigung ihrer Art in der Türkei ausweist. Akars Bericht hat entscheidende Lücken, die im Rahmen des folgenden Beitrags ausgefüllt werden sollen. Ziel des vorliegenden Berichts ist jedoch nicht nur die Ergänzung fehlender Informationen, sondern in erster Linie die Reflexion über das Wesen der Arbeit von zwei türkischen Sprachinstitutionen, die sich konträren sprachpolitischen Grundsätzen verpflichtet fühlen.
DIE TÜRKISCHEN SPRACHPFLEGE-INSTITUTIONEN
1. Einleitung
In einer früheren Ausgabe der Muttersprache (Heft 3, 2002) erschien ein Bericht von Yaşar Akar (2002), der die türkische Sprachgesellschaft Türk Dil Kurumu (TDK) hinsichtlich ihrer geschichtlichen Entwicklung, Organisationsform, Arbeitsmethoden und Aufgaben vorstellt und sie explizit als einzige Vereinigung ihrer Art in der Türkei ausweist. Akars Bericht hat entscheidende Lücken, die im Rahmen des folgenden Beitrags ausgefüllt werden sollen. Ziel des vorliegenden Berichts ist jedoch nicht nur die Ergänzung fehlender Informationen, sondern in erster Linie die Reflexion über das Wesen der Arbeit von zwei türkischen Sprachinstitutionen, die sich konträren sprachpolitischen Grundsätzen verpflichtet fühlen.1
2. Die Sprachrevolution Atatürks
Als Mustafa Kemal Atatürk die Türkische Republik im Jahre 1923 begründete und ihr erster Präsident wurde, stand er in sprachpolitischer Hinsicht vor einer schwierigen Situation: Einerseits war er sich der engen Beziehung zwischen Sprache, Kultur und Denken im Humboldt‘schen Sinne bewusst. Andererseits lag auf der Hand, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung analphabetisch war. Dies hing nicht zuletzt mit den Eigenheiten der offiziellen Schriftsprache, dem sog. Osmanischen, zusammen: Dabei handelte es sich um eine mit arabischen Buchstaben geschriebene und überwiegend aus arabischen und persischen Elementen zusammengesetzte Kunstsprache, die jahrhundertelang – von der Ära Fatih Sultan Mehmets (etwa ab dem 15. Jh.) bis zur Gründung der Türkischen Republik – im Palast und in der Dichtung gebräuchlich gewesen war, aber weder von der Bevölkerung noch von Arabern oder Persern verstanden wurde. (Vgl. Özturanlı 2003: 51.) Um den daraus entstandenen Problemen begegnen zu können, führte Atatürk – in seinem Denken und Tun moderner als die heutige türkische Staatsführung – als Erstes 1928 das lateinische Alphabet ein, das im Verhältnis zum arabischen einfacher ist. Der nächste Schritt war 1932 die Gründung der TDK, die die Sprachpolitik des neuen Staates bestimmen sollte.2 Durch diese Maßnahmen wollte Atatürk zum einen der Bevölkerung das Schreiben- und Lesenlernen erleichtern und zum anderen für eine kontinuierliche Pflege des Türkischen sorgen, die den übermächtigen Einfluss fremder Sprachen eindämmen sollte. Mit rassistischem Nationalismus hatte diese Sprachpolitik nichts zu tun; sie war vielmehr eine Maßnahme der Selbstverteidigung, denn in der damaligen Situation gab es keine andere Möglichkeit, das Türkische vor wucherndem fremdsprachlichen Material zu schützen.3
3. Entwicklungsstadien der TDK
Für eine Untersuchung der Geschichte der TDK bietet sich – abweichend von Akar (2002) –eine Unterscheidung von drei historischen Stadien an:
1. Im ersten Stadium (1932–1951) stand die TDK unter der Schirmherrschaft des jeweiligen Staatspräsidenten. Aus dieser direkten Zuordnung ergaben sich allerdings keine Behinderungen ihrer freien wissenschaftlichen Tätigkeit.
2. Während der zweiten Entwicklungsphase (1951–1983) war die TDK völlig autonom. Dieses Stadium war in wissenschaftlicher Hinsicht besonders ertragreich, sprachpolitisch betrachtet unterschied es sich jedoch nicht von der ersten Phase.
3. Das dritte Stadium ist ein schwarzer Fleck in der Geschichte der TDK, der türkischen Sprache bzw. der Türkei überhaupt. Drei Jahre nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 wurde die TDK von der damals eingesetzten Regierung – im Widerspruch zu allen gesetzlichen Bestimmungen und zum Testament Atatürks – durch eine Verfassungsänderung reorganisiert, besser: usurpiert und vernichtet. Bis zu diesem Zeitpunkt war die TDK eine unabhängige wissenschaftliche Forschungsinstitution. Danach wurde sie zu einer offiziellen Behörde, die manchmal auch wissenschaftlich illegitime Aufträge der Regierung (z.°B. Verbot von Wörtern) ausführt.
Die neue TDK (nach 1983) hat in ihrem Denken und Handeln mit der alten TDK (vor 1983) nichts zu tun. Es wäre nicht übertrieben zu sagen, dass sie bewusst eine entgegengesetzte sprachpolitische Richtung eingeschlagen hat, die jeglicher Wissenschaftlichkeit widerspricht: Im Rahmen einer Art Abrechnung mit der fortschrittlichen alten TDK wurde alles früher Geleistete für null und nichtig erklärt und fortan ignoriert.
3.1 Antipuristische Bestrebungen der neuen TDK
Ein Hauptanliegen der alten TDK war die Erforschung und Bereicherung des türkischen Wortschatzes. Im Hinblick darauf wurden (selbst in den entferntesten Gegenden der Türkei) volkssprachlich verankerte Wörter gesammelt.4 Darüber hinaus kümmerte man sich um die Neubildung türkischer Wörter durch die Kombination türkischer Affixe mit entsprechenden Wortstämmen.
[...]
1 Die sprachpflegerischen Aktionen der TDK werden eher als revolutionär denn als reformerisch bezeichnet, da sie nach dem Befreiungskrieg zusammen mit der neuen Staatsform in allen Bereichen des sozialen Lebens grundlegende Veränderungen hervorgerufen haben (vgl. Levend 2002: 627). Der renommierte türkische Germanist Yaşar Önen (vgl. Ülkü 1975: 106) spricht – auf Sprachreinigungsbestrebungen seit 1617 hinweisend – im ähnlichen Sinn von einer deutschen Sprachrevolution.
2 Die türkische Sprachrevolution hat ihre Vorläufer. Bereits im Jahr 1860, also während der Tanzimat-(Reform-)Zeit, gründete der berühmte Schriftsteller Sinasi die Zeitung Tercüman-i Ahval, um so das Türkische, das in Anatolien als Volkssprache nur mündlich lebte, in den Status einer Schriftsprache zu erheben; vgl. dazu Erdogdu (1992: 21).
3 Der heutige fundamentalistische Erziehungsminister Çelik (2003: 5) fasst den Sprachpurismus als Sprachnationalismus und diesen wiederum als Ausdruck von Rassismus auf. Diese Ansicht hat offensichtlich klerikale Hintergründe, die durch die genannten Anschuldigungen verdeckt werden sollen.
4 Man denke hier an M. Luther.
- Citation du texte
- Prof. Tahir Balcı (Auteur), 2015, Die türkischen Sprachpflegeinstitutionen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/296291
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