Die vorliegende Facharbeit 1 beschäftigt sich mit Harold Kushners Theodizee-Konzeption in seinem Buch „Wenn guten Menschen Böses widerfährt.“ Ausgehend von der Infragestellung des Tun-Ergehens-Zusammenhangs fordert der Rabbiner Kuschner eine neue Sichtweise über das Verhältnis von Gott und Mensch 2 . In der Kürze dieser Ausarbeitung können nur einige wichtige Aspekte der betrachteten Konzeption fragmentarisch beleuchtet werden. Eine kritische Beurteilung wird hier um des Zusammenhangs willen teilweise direkt im Anschluss an die Betrachtung der einzelnen Gesichtspunkte angehängt.
Inhaltsverzeichnis
A) Darlegung und Beurteilung
I Einleitung
II Zum Autor und seiner Intention
III Aufbau, Vorgehensweise (exemplarisch)
1. Herkömmliche Lösungsansätze und Beispiele
2. Kritische Beurteilung
IV Gott, Welt, Mensch
1. Grundlegendes und Mensch
2. Gott und Mensch
3. Der Realitätswert eines gedachten Gottes
4. Die Welt als Mauer und Katalysator
5. Weichenstellungen
6. Das Gebet
7. Kritische Beurteilung – Das Gebet und Gott
V Abschließende kritische Beurteilung
1. Allgemeines über die Klärung der Theodizee
2. Trinität und Eschatologie
IV Zusammenfassung
B) Anhang (Literaturverzeichnis)
I Quellentext und Hilfsmittel
II Literatur
A) Darlegung und Beurteilung
I Einleitung
Die vorliegende Facharbeit[1] beschäftigt sich mit Harold Kushners Theodizee-Konzeption in seinem Buch „Wenn guten Menschen Böses widerfährt.“ Ausgehend von der Infragestellung des Tun-Ergehens-Zusammenhangs fordert der Rabbiner Kuschner eine neue Sichtweise über das Verhältnis von Gott und Mensch[2]. In der Kürze dieser Ausarbeitung können nur einige wichtige Aspekte der betrachteten Konzeption fragmentarisch beleuchtet werden. Eine kritische Beurteilung wird hier um des Zusammenhangs willen teilweise direkt im Anschluss an die Betrachtung der einzelnen Gesichtspunkte angehängt.
II Zum Autor und seiner und Intention
Der Verfasser des Buches, Harold Kushner[3], ist ein liberaler[4] Rabbiner einer kleinen Gemeinde in den USA. Durch die tragische Krankheit[5] seines Sohnes Aaron und dessen Tod im Alter von 14 Jahren wird Kushner, existentiell betroffen, mit der Frage der Theodizee konfrontiert. Kushner selbst durchlebt eine Vielzahl von herkömmlichen Antwortmustern auf diese Frage nach der Gerechtigkeit Gottes und zeigt in seinem Buch kritisch die Unzulänglichkeit der konventionellen Lösungsversuche auf. Erlebte und beobachtete Realität sowie die Auseinandersetzung mit seinem bisherigen Gottesverständnis veranlassen ihn, Gott, Welt und Mensch gedanklich neu zueinander in Beziehung zu setzen. Ziel des Rabbiners ist es, über die Verarbeitung des persönlichen Erlebens hinaus (13), vom Leid getroffenen Menschen seelsorgerlich Trost und wirkliche Hilfe anzubieten: Den Lesern soll es ermöglicht werden, Gott so zu begreifen, dass dieser auch im Leid als gütig und gerecht geglaubt werden kann[6]. Aufgrund dieser Grundintention verwendet der Autor eine allgemein verständliche Sprache sowie zahlreiche anschauliche Beispiele[7]. Um die Wirklichkeit sowie das menschliche Denkvermögen ernst zu nehmen, möchte Kushner auf eine Verteidigung Gottes bewusst verzichten[8].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
III Aufbau, Vorgehensweise (exemplarisch)
Grundlegend für Kushners Ausführungen über das Leid des Gerechten ist die Form der direkten Frage, der weder der Autor selbst noch der Leser auszuweichen vermag. In den unterschiedlichsten Variationen treibt diese Theodizee-Frage, die der Erfahrung unbegreiflichen Leides entspringt, den Gedankengang der einzelnen Kapitel voran. Die Argumentationsweise Kushners soll im Wesentlichen anhand des ersten Kapitels[9] nachgezeichnet werden, weil die für den Autor typische Vorgehensweise dort besonders deutlich ausgeprägt ist. Der Grobaufbau des gesamten Buches einschließlich der Weichenstellungen wird bei der Betrachtung des Verhältnisses von Gott, Welt und Mensch genauer auszuführen sein.
1. Herkömmliche Lösungsansätze und Beispiele
Den herkömmlichen Lösungsmustern auf die Frage nach Gottes Gerechtigkeit begegnet der Verfasser - wie im Schaubild veranschaulicht - auf zwei Ebenen: 1. auf der konkreten Ebene des hautnah (mit)erlebten Leides; 2. auf einer abstrahierten Gedankenebene. Die häufig verwendeten direkten Fragen dienen dabei im Hinblick auf den Leser dem Hinterfragen festgefahrener Deutungsschemata sowie der Zuspitzung eines Gedankens. Fast durchgängig sind die grammatischen Fragen der Wirkung nach aber verstärkte Aussagen (33), zuweilen sogar Anklagen. Kushner würdigt die gängigen Antwortmöglichkeiten[10] insofern, als sie dem Betroffenen helfen, Trost, Sinn oder Tragkraft für sein Leid zu finden[11]. Seine mitunter vehemente Kritik verwirft jedoch jeden dieser Lösungsversuche gleich wieder. Die Gründe für die Ablehnung dieser Ansätze sind in der fehlenden Antwort auf die bohrenden Fragen, die sich aus dem Leiden ergeben, zu suchen – und zugespitzt im abstrakten Nachdenken über den Sinn und die Gerechtigkeit des Leides. So seien etwa Menschen eher bereit, mit einem Gott zu rechnen, der Leiden schickt, als mit dem Gedanken an einen Gott zu leben, der nicht die Kontrolle über das Weltgeschehen behält[12]. Kushner stellt jedoch, besonders auf der abstrakten Ebene, fest, dass keines der herkömmlichen Erklärungsmodelle wirklich tragfähig ist, sobald man das Verhältnis von Tun, durchlittenem Leid und dem vermeintlichen Nutzen deutlich auf den Punkt bringt[13]. Durch zahlreiche, tragische Gegenbeispiele aus Praxis und Fiktion widerlegt er somit – scheinbar – sämtliche psychologisch-pädagogischen Sinngebungsversuche[14], den Gedanken an einen allmächtigen, gerechten Gott[15] und damit selbstredend den Tun-Ergehens-Zusammenhang. Der Aufschrei der existenziellen Betroffenheit[16] ist beinahe jeder Frage zu entnehmen; er führt jedoch nicht zu einer vertrauensvollen Zuwendung zu Gott, die mit seiner umfassenden Macht rechnet. Jeden Gedanken an eine generelle, göttliche Gerechtigkeit wie in Psalm 92 lehnt der Rabbiner als „Wunschdenken“ (22, 23) ab.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Gemeinsam ist den Widerlegungen, die Kushner formuliert, das behutsame Vorgehen, bei dem er die positiven Aspekte des herkömmlichen Lösungsansatzes wertschätzt und vorsichtig eine neue Sicht eröffnet, um dann seine eigene Meinung zu verdeutlichen. Hierdurch erzielt der Autor eine größere Offenheit des Lesers für seine Argumente[17] - er versäumt dabei aber nicht, seine Ansicht deutlich zu formulieren. Dieses nahezu empathische Vorgehen mit umso deutlicherer Schlagkraft findet sich auch in den anderen Kapiteln des Buches.
2. Kritische Beurteilung
Kuschner verfasst keine theoretische Abhandlung über sein Thema, sondern er ist existentiell betroffen. Das macht zugleich die Vorzüge seiner Erörterung aus – es birgt aber auch Nachteile. Positiv hervorzuheben ist, dass er die Fragen aufgreift, die das tatsächliche Leben stellt. Dadurch, dass er die Realität ernst nimmt, gibt er sich nicht mit vorschnellen, oberflächlichen Antworten zufrieden. Oft fördern gerade erst die schwersten Leiden zutage, ob ein Erklärungsmuster tragfähig ist oder nicht. Der Autor ermöglicht es dem Leser immer wieder auf seelsorgerliche Weise, aus der eigenen Verzweiflung angesichts unbegründeter, durch soziale und religiöse Prägung hervorgerufener Schuldvorwürfe gegen sich selbst herauszukommen. Hilfreich sind die unzähligen anschaulichen Beispiele, weil sie den meisten Lesern einen unmittelbareren Zugang zu den Überlegungen ermöglichen und weil sie Leid geprüften Menschen ein Verständnis ihrer Lage signalisieren.
[...]
[1] Fußnoten sind in der vorliegenden Ausarbeitung hochgestellt; die Seitenzahlen des Buches werden der leichteren Lesbarkeit des Textes und des Schriftbildes wegen im Haupttext ebenfalls hochgestellt und in Klammern gesetzt. Sofern nicht anders angegeben, beziehen sich die Seitenzahlen auf Kushner.
[2] Die Rolle der Welt ist ebenfalls von Bedeutung. Sie liegt aber, wie sich zeigen wird, im Rollentausch zwischen Gott und Mensch auf einer anderen Ebene.
[3] Vorwiegend anhand des Kapitels „Warum ich dieses Buch schrieb“ (9-14).
[4] Vom orthodoxen Judentum grenzt sich Kushner durch seine Wortwahl ab (102).
[5] Progerie (vorzeitiges Altern mit frühzeitigem Tod).
[6] Dieser Satz folgt einer Korrektur durch Thomas Maier, Studienleiter, Unterweissach.
[7] In anonymisierter Form (141).
[8] De facto verteidigt er Gott allerdings, indem er ihn als nahezu ohnmächtig erklärt und ihm somit vom Vorwurf, das Leid in irgendeiner Weise zuzulassen, freispricht.
[9] „Warum müssen die Gerechten leiden?“ (15-39)
[10] Abgesehen vom Tun-Ergehens-Zusammenhang, den er fast durchgängig infrage stellt.
[11] „Ich verstehe […]“ (28) zur Deutung mit dem Wandteppich.
[12] (25). Kushner kritisiert hier, dass der Wunsch das Ergebnis des Nachdenkens bestimmt. Er selbst ist aber genauso voreingenommen, wie er, ohne es zu merken, zugibt: „Es fällt mir leichter, einen Gott zu verehren […] als einen Gott, der […] (126).
[13] „Welche Art höherer Absicht […]“ (25) sowie viele andere Stellen.
[14] Als Beispiel möge genügen: „Leid veredelt den Menschen […]“ (28).
[15] Hier sei aus Kap. 2 die philosophische Fragestellung erwähnt (Das Hiob-Buch ist nach Kushner Fiktion). Gott könne nicht gerecht und allmächtig zugleich sein, wenn guten Menschen Böses widerfährt.
[16] Vgl. Bittner 50.
[17] Beispielhaft die Entkräftung der Erklärung mittels des Bildes vom Wandteppich (17-28). Noch ausgeprägter ist die Widerlegung der Sinnsuche bei völlig unerklärlichem Leid (31-32): „Natürlich“ (Zustimmung), „Aber nicht“ (Einschränkung), „eher“ (Entgegenkommen), „Doch sicher nicht“ (Ablehnung der Sinn-These) , „Oder […]?“ (rhetorische Frage mit scheinbarer Zurücknahme der Widerlegung), „Ich bin außer mir“ (durch die rhetorische Frage verstärkter entschiedenster Widerspruch).
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