Festivals können von der Politik für die Stadtentwicklung instrumentalisiert werden, was stadtsoziologisch als Politik der Festivalisierung bezeichnet wird. Umgekehrt wird unter Festivalisierung der Politik verstanden, dass Politik selbst nur noch als Inszenierung von Bedeutungsvollem funktioniere und seit Beginn der 1990er Jahre einen weit verbreiteten und praktizierten Typus der Stadtpolitik darstelle.
In Stadt und Region finden Feste, Festivals oder Großereignisse en mass statt: Weltausstellungen, Olympische Spiele, Weltmeisterschaften, Kultursommer, Theater-, Musik-, Filmfestspiele, Gartenschauen bedeuten für die Stadt oder Region die Ausrichtung eines Großprojektes der besonderen Art. Politisches Motiv dafür ist seit Beginn der Deindustrialisierung in den 1970er Jahren und in Zeiten kommunaler Finanzkrise, internationaler Städtekonkurrenz sowie postmodernem Lebenswandel der „Lokomotiveffekt“: Die Stadt oder Region würde bekannter; Touristen, einkommensstarke Bevölkerungsschichten und Investoren würden angezogen, die Wirtschaft angekurbelt, die Stadt um- und die Infrastruktur ausgebaut sowie die Politik wieder handlungsfähig, so die Hoffnung.
Großprojekte dieser Art beeinflussen somit die Entwicklung von Stadt und Region auf besondere Weise und sind demzufolge auch Gegenstand räumlicher Planung. So wird spätestens seit den 1990er Jahren „Planung durch Projekte“ en vogue: Planung konzentriert sich auf punktuelle Interventionen, die inhaltlich, räumlich und zeitlich auf ein Projekt begrenzt sind.
Im Buch wird aufgezeigt, welche stadtpolischen und gesellschaftlichen Mechanismen sich hinter diesem Typus von Stadtpolitik verbergen und inwiefern diese Art Stadtpolitik kritisch für die Stadtentwicklung bewertet werden muss, wenn doch zunächst davon ausgegangen wird, dass die Stadt grundsätzlich in Aufbruchstimmung versetzt wird, Kräfte mobilisiert und Ressourcen konzentriert werden können.
Fünf Punkte stehen dabei im Mittelpunkt: Wie charakterisiert sich dieser Typus der Stadtpolitik? Welche positiven und negativen Effekte können für die Stadtentwicklung bestehen? Warum gelten die Olympischen Spiele von Barcelona 1992 stadtentwicklungspolitisch betrachtet als gelungen? Welche Bedeutung hat die „Politik der großen Ereignisse“ für die Stadtentwicklung insgesamt? Und wodurch würde sich innovationsorientierte Planung im Umgang mit großen Ereignissen in Stadt und Region auszeichnen?
Inhalt
Einleitung
I Die ‚Außeralltäglichkeit’: Attraktivität des Festes durch Beschwörung von Charisma
1. ‚Festivalisierung’: ein Charakterisierungsversuch
2. Neue ‚Unsichtbarkeit’ der Städte: Der Rahmen für die Politik der Festivalisierung
3. Was ‚verspricht’ das Großereignis? - politische Erwartungen durch die Festivalisierung der Politik
II Was ‚hält’ das Großereignis? – Effekte durch die Politik der Festivalisierung
1. Reflexion: Kräfte mobilisieren, an Bekanntheit gewinnen
2. Reflexion: Konzentration von Ressourcen
3. Reflexion: Administrative Arbeitsweisen und Strukturen beleben
III Großereignis mit Erfolgscharakter – Olympische Spiele in Barcelona
1. Stadtverträglichkeit?
2. Zeitgemäßes Stadtentwicklungskonzept?
3. Grundsatzfragen?
4. Barcelonas ‚Geheimnis zum Erfolg’ Anfang der 1990 Jahre
IV Bedeutung von Festivals als ‚neuer Typus’ der Stadtpolitik
1. ‚Großereignisse’ in Konkurrenz zu ‚konventioneller’ Planung
Fazit
1. Status Quo
2. Planerisches Ideal
3. Großprojekte statt Planung?
Bibliographie
Einleitung
„Planung durch Projekte [ist] gekennzeichnet durch die Konzentration der Politik auf ausgewählte ‚Projekte’, die nicht nur spektakuläre Sichtbarkeit erzeugen, sondern durch ihre Mobilisierungseffekte auch ‚Innovation’ bewirken sollen.“ (Häußermann/Siebel 1994, 57)
Seit den 1990er Jahren haben sich neue Politikformen entwickelt, für die der Terminus ‚Planung durch Projekte’ verwendet wird. Charakteristisch für diese Projektorientierte Planung ist das punktuelle Zurückziehen der Planung auf Interventionen, die räumlich, zeitlich und inhaltlich auf ein Projekt begrenzt sind. (vgl. Häußermann/Siebel 1994, 57; Siebel/Ibert/Mayer 1999, 163)
Häußermann und Siebel konstatieren, dass die Planung durch Projekte „ein Kind ökonomischer Stagnation, öffentlicher Finanzkrise und Deregulierung“ ist (Häußermann/Siebel 1993, 14), wobei sich zwei Extremformen der Projektorientierung in der Planung im letzten Jahrzehnt herausgebildet haben. Zum einen handelt es sich um die ‚Strategie der tausend Blumen’, wobei die endogenen Potentiale dadurch mobilisiert werden, indem vielerorts zu Problemstellungen die unterschiedlichsten modellhaften Lösungen entwickelt werden.[1] Die Planung vollzieht sich durch Projekte, wobei das Projekt Mittel zum Zweck und Teil einer umfassenden Planungsstrategie ist bzw. sein sollte, was durchaus weite Auswirkungen auf die Raumstruktur hat. Zum anderen wird die ‚Politik der großen Ereignisse’ verfolgt, durch die Planung angestoßen oder zumindest unterstützt werden soll. Es wird ein allgemeiner ‚Lokomotiveffekt’ erwartet, „durch den die Region nach vorn gerissen wird.“ (Häußermann/Siebel 1994, 57; vgl. Siebel 1992; Huning/Peters 2003)
Da die in den 1990er Jahren enorme Resonanz erfahrende Thematik der ‚Politik der großen Ereignisse’ heute immer noch hochaktuell ist[2], wird in der folgenden Arbeit dieses ‚Extrem’ als Planung durch Projekte betrachtet. Der von Walter Siebel[3] geprägte Begriff der „Festivalisierung der Stadtpolitik“ (Siebel 1992, 62; vgl. Häußermann/Siebel 1993) äußert sich fortwährend in Stadt und Region als ‚Großereignis’, ‚Großveranstaltung’, ‚Großprojekt’[4], Festival oder Event. Denn Städte feiern - ohne zu stoppen - Feste über Feste, wie Weltausstellungen, Olympische Spiele, Weltmeisterschaften, Kultursommer, Theater-, Musik-, Filmfestspiele – Festivals von Kultur aller Art, Gartenschauen, runde Geburtstage usw. (vgl. Huning/Peters 2003; Häußermann/Siebel 1993, 7)
Wie genauer aufzuzeigen sein wird, gilt die Politik der Festivalisierung für die Stadtentwicklung als sehr ambivalent, da diese Art Projektorientierung u.a. eine Stadt in ein finanzielles Desaster befördern bzw. es noch weiter beschleunigen kann. Denn das sich verlassen auf den Erfolg eines Großprojektes ist im Allgemeinen eine riskante Strategie hinsichtlich der Möglichkeiten politischer Steuerung und der finanziellen Unwägbarkeiten. (vgl. Häußermann/Simons 2000, 71) Dennoch wird Festivalisierung konsequent von Stadtpolitikern weiterverfolgt, da sie doch die Stadt in eine Aufbruchstimmung versetze, Kräfte mobilisiere und Ressourcen konzentriere.
Somit können zwei zentrale Fragestellungen in dieser Arbeit formuliert werden:
1. Inwiefern ist der Festivalisierung der Stadtpolitik kritisch gegenüberzutreten, wenn doch die Stadt in eine Aufbruchstimmung versetzt wird, Kräfte mobilisiert und Ressourcen konzentriert werden können?
2. Bzw. welche stadtpolischen und gesellschaftlichen Mechanismen stecken hinter diesem nun nicht mehr ‚neuen’ Typus von Stadtpolitik?
Im Verlauf der Arbeit werden vier Punkte näher betrachtet, um der Ausgangsfrage hinreichend nachzugehen. Erstens wird sich zunächst grundlegend damit auseinandergesetzt, was unter Festivalisierung – auch heute noch zu verstehen ist. (Kapitel I). Zweitens werden die möglichen Effekte – positiv wie negativ – einer ‚festivalisierten’ Politik für eine Stadt betrachtet. (Kapitel II) Entgegen einer Vielzahl als gescheitert geltenden Festivals aus der Vergangenheit, wie z.B. die Chicagoer Weltausstellung 1992, gelten die Olympische Spiele von Barcelona 1992 stadtentwicklungspolitisch gesehen als gelungen. Daher sind die Fragen des dritten Kapitels: Was machte Barcelona anders? Wodurch kam dieser vermeintliche Erfolg zustande? Anhand von Kriterien zur Beurteilung von Großprojekten, vorgeschlagen durch Klaus Selle, wird diese Olympiade stadtpolitisch näher betrachtet (Kapitel III). Der letzte zentrale Punkt dieser Arbeit ist die Bedeutung der Festivalisierung sowohl in der Stadtpolitik als auch in der Stadtentwicklung (Kapitel IV). Im abschließenden Fazit soll noch einmal reflektiert werden, wo die Stadt durch die Festivalisierungspolitik steht und welche Art von Umgang die –innovationsorientierte – zukunftsweisende Planung mit diesem - nicht mehr - neuen Typ praktizieren sollte. Unterstützend dazu werden kurz die planungstheoretischen Forschungsfelder benannt, die notwendig wären, um die Festivalisierungsprozesse in der Praxis planerisch besser steuern zu können.
Im Rahmen dieser Arbeit kann weder auf die Olympiaplanungen Barcelonas en detail noch auf vertiefende theoretische und empirische Betrachtungen eingegangen werden. Denn Ziel dieser Arbeit ist es, Festivalisierung als Stadtpolitikmechanismus begreifen zu lernen. Relativ offen wird demnach auch die – evtl. ausschließlich als rhetorische zu betrachtende Frage – bleiben, ob die Politik der großen Ereignisse als paradoxes Phänomen oder schlicht rational als unvermeidliche Notwenigkeit der Stadtentwicklung zu betrachten ist?
I Die ‚Außeralltäglichkeit’: Attraktivität des Festes durch Beschwörung von Charisma
Bevor sich mit Festivalisierung an sich beschäftigt wird, wird der m.E. normativ grundlegende Charakterzug eines Festes, die Außeralltäglichkeit einleitend betrachtet, der Festivals so attraktiv macht. Festivals können als Institutionen verstanden werden, mit denen Charisma heraufbeschworen werden kann.
„Das Fest gestattet [...] die regelmäßig wiederkehrende, teils bewusst vollzogene, teils nur dunkel geahnte Erfahrung des charismatischen Ursprungsereignisses, hält das Charisma also in einer institutionellen Ordnung präsent, ohne dass es zwangsläufig zu einer Gefahr für diese wird.“ (Gebhard 1993, 62 nach Ibert 2003, 11)
Oliver Ibert[5] ist der Meinung, Charisma sei die „Organisation von Außeralltäglichkeit“. Darüber hinaus kann Charisma als ein Ansatz zur Erklärung von Innovationen[6] sein, was aus der Schumpeterschen Theorie (1964, 1987) und der Herrschaftssoziologie Max Webers (2002) abgeleitet werden kann. Charisma biete eine Erklärung dafür, wie „nicht regelkonformes ungewöhnliches und ungewohntes Verhalten in ein ansonsten starres System eingeführt wird.“ (Ibert 2003, 10) Das ‚institutionelle Charisma’ (vgl. Gebhard 1993) des Schumpeterschen Unternehmers wird in die aktuelle Diskussion transportiert, in der soziale Arrangements die Funktion erfüllen, Außeralltäglichkeit zu erzeugen. Diese ‚anti-institutionellen Sonderinstitutionen’ (vgl. Loureau nach Gebhard 1993, 64. In: Ibert 2003, 10) können kontrolliert heraufbeschworen werden und äußern sich in der Praxis beispielsweise als Feste, Exponate und Sonderorganisationen, die Gegenstand der Festivalisierungsdebatte sind. Für Feste bzw. große Ereignisse sind außeralltägliche Anstrengungen erforderlich. Diese Anstrengungen werden mit einer Selbstverständlichkeit des Arbeitens unter ‚Hochspannung’ ausgenutzt, um innovative Vorhaben, wie es Festivals sein sollen, durchzusetzen. Durch die zeitlich befristeten Veranstaltungen werden Herrschaftsverhältnisse außer Kraft gesetzt, um zum Teil erwünscht außerhalb der Norm zu arbeiten. Durch das zeitlich befristete Aussetzen der Alltagsregeln, ist eher ein Einlassen auf eine ungewöhnliche Lösung möglich. Die Notwendigkeit der Legitimation von beispielsweise Sonderausgaben sinkt beträchtlich, wenn ein Fest erwartet wird, als es im Alltag der Fall wäre. (vgl. Ibert 2003, 11)
Nach dieser kurzen Annäherung über den Grundcharakter eines Festes – die Außeralltäglichkeit - soll nachfolgend die präzisere Kennzeichnung von ‚Festivalisierung’ als Typus von Stadtpolitik und deren ‚unausweichliche Entfaltung’ betrachtet werden.
1. ‚Festivalisierung’: ein Charakterisierungsversuch
„Ein neuer Typus von Politik scheint auf: die Politik der großen Ereignisse. Gelder, Menschen und Medien werden auf ein möglichst klar umrissenes Ziel hin mobilisiert. Die Kampagne ist zeitlich befristet, räumlich begrenzt und publikumswirksam fokussiert.“ (Siebel 1992, 62)
Diesen neuen Politiktypus der Großveranstaltungen seit den 1990er Jahren prägte Walter Siebel in einem Artikel in der Zeit[7] mit dem Terminus ‚Festivalisierung’, der sich heute grundsätzlich folgendermaßen charakterisieren lässt. Großereignisse wie Weltausstellungen, Olympische Spiele, Kulturhauptstädte auf europäischer Ebene und Bundesgartenschauen auf bundesdeutscher Ebene etc. sind neben der räumlichen, zeitlichen und thematischen Konzentration der Stadtpolitik auf einen Punkt – dem Projekt, noch durch weitere typische Merkmale gekennzeichnet. Mit in der Regel jahrelanger Vorlaufzeit finden sie regelmäßig in Städten oder Regionen statt, die sich in einem – mehr oder weniger aufwendigen – Auswahlverfahren gegen ihre Mitbewerber durchgesetzt haben. (vgl. Huning/Peters 2003) Die Größe des Projektes, welche sich nach Investitionssumme, Bauvolumen, Besucherzahl oder Beschäftigten richtet, kann auch kleineren finanziell schwächeren Akteuren ein großes Projekt durch die Konzentration aller Ressourcen ermöglichen. Industriebrachen, durch den Deindustrialisierungsprozess entstanden, sind bevorzugte Standorte für Großprojekte. Träger, Projektgruppen und Entwicklungsgesellschaften fungieren als Sonderorganisationen, die speziell für die Planung und Durchführung des Projektes eingerichtet werden. Public-Private-Partnerships, in denen die Gebietskörperschaften nur noch als Partner unter anderen agieren, sollen zudem privates Kapital mobilisieren und für breite Unterstützung für das Projekt werben. Großereignisse werden von der Ideenfindung, über Planung, Finanzierung bis zu Bau Marketing und Management möglichst aus einer Hand organisiert, was die Umsetzungsorientierung von Großereignissen kennzeichnet. Zudem sind große Ereignisse eindeutig wettbewerbsorientiert, da sie „in ihrem Kern Instrumente der Städtekonkurrenz“ sind. (vgl. Häußermann/Siebel 1993, 9-10) Großveranstaltungen werden als Aufhänger für Infrastruktur- und/oder Entwicklungsmaßnahmen der Städte oder Regionen genutzt, die häufig im Bundesdeutschenraum zusätzlich durch die Bundes- oder Landesebene kofinanziert werden. Somit sind sie Auswirkungen des Großprojektes über den eigentlichen Veranstaltungszeitraum hinaus spürbar. (vgl. Huning/Peters 2003)
Zu Recht wird – immer wieder – die Frage nach der Neuheit dieses Politiktypus gestellt. Denn bekanntlich gibt es Festivals, große Ereignisse oder Attraktionen schon lange und sind auch kein Phänomen nur der Stadtpolitik, ob es der von Ort zu Ort ziehende kaiserliche Hof im frühen Mittelalter ist, die seit Mitte des 19. Jh. stattfindenden Weltausstellungen[8] sind.
Der von Walter Siebel herausgestellte Unterschied zu früheren Entwicklungen setzt aber an einem anderen Punkt an. Seit den 1970er Jahren wird die Politik der Festivalisierung[9] dadurch besonders deutlich, dass Großereignisse als Motor einer Stadt genutzt werden, um den Umbau der Stadt, Ausbau der Infrastruktur und die regionale Wirtschaft anzukurbeln. Das bedeutet, dass die ehemals sekundären stadtpolitischen Ziele in den Vordergrund treten. Die Zeiten in denen die Folgen von Großereignissen für Stadt und Bevölkerung kaum eine Rolle gespielt haben, sind vorbei. (vgl. Siebel 1992, 62; Häußermann/Siebel 1993, 16) Häußermann und Siebel formulieren eindeutig, dass „[...] hinter Spiel und Spaß [...] handfeste stadtpolitische Überlegungen“ stehen und diese Art „’Inszenierungen’ wird regelrecht zum Kristallisationspunkt der Stadtentwicklung“. (Häußermann/Siebel 1993, 8) Weiterhin wird festgestellt, dass der Wandel des gesellschaftlichen Konsenses, der im folgenden Abschnitt erläutert werden wird, auch einen Wandel bezüglich des Diskurses über große Ereignisse zur Folge hat. Es ist die „Demonstration nationaler Macht und des Technischen Fortschritts hin zu einem Instrument der Stadtpolitik, [was] den Anteil der immateriellen Wirkungen zunehmend aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit“ verdrängt. (Häußermann/Siebel 1993, 19)
Abschießend lässt eine von Walter Siebel beschriebene Metapher den Charakter eines Festivals heute deutlich werden: Ein Gaukler jeden Tag des Jahres auf einem Marktplatz, erregt wenig Aufsehen, aber „365 Jongleure an einem Nachmittag auf dem Marktplatz sind ein Medienereignis.“ (Siebel 1992, 62) – und so wird das „Ereignis zum Ereignis, das Gaukeln zum Festival“, schlussfolgernd Klaus Selle. (Selle 1994, 259)
2. Neue ‚Unsichtbarkeit’ der Städte: Der Rahmen für die Politik der Festivalisierung
„Großprojekte sind ‚in’. Mit Blick auf Europa ist man versucht, an den ersten Halbsatz des Kommunistischen Manifestes zu denken: ‚Ein Gespenst geht um in Europa – (nein, nicht das des Kommunismus, sondern) das Gespenst der Städtekonkurrenz.“ (Selle 1994, 241)
Diese von Klaus Selle[10] beobachtete Ableitung beschreibt Walter Siebel als den Zeitpunkt des Beginns der Festivalisierung Anfang der 70er Jahre nach dem industriell bedingten Ende des Wachstums. Eine Zeit ansteigender Arbeitslosigkeit, neuer Wohnungsnot und einsetzender Finanzkrise einerseits und die expandierender Dienstleistungen, ansteigender Wohlstand und gewandelte Lebensweisen der Mittelschicht, die zu teurem Umbau der Städte ‚zwingen’ andererseits. Das durch die eklatante Finanznot des Staates, der häufig nicht mal seinen Pflichtaufgaben nachkommt, nicht vorhandene nötige Kapital zur Durchführung des Stadtumbaus, scheint durch die Durchführung eines Großereignisses als „Patentlösung“ mobilisierbar. Dabei handelt es sich um die Aktivierung von privaten und überregionalen Geldern. (vgl. Siebel 1992, 62; Huning/Peters 2003)
Bei einer Rückschau der Stadtentwicklung ab dem Ende des zweiten Weltkrieges, wird deutlich, dass Großprojekte die Konsequenz von veränderten Bedingungen der städtischen Politik sind, die auf den ökonomischen Strukturwandel in den Städten reagieren. Es lassen sich drei Phasen nach Häußermann und Siebel unterscheiden; die expansive Urbanisierung bis zu den 60er Jahren, die intensive Urbanisierung seit Mitte der 60er Jahre und die Desurbanisierung bis heute.
Die expansive Urbanisierung oder Stadterweiterung, charakterisiert sich durch einen Urbanisierungs- und Wachstumsprozess, der zunächst durch die Rekonstruktion der städtischen Funktionen und Strukturen und anschließend durch die Expansion der Agglomerationen, im besonderen der Städte beprägt war. Die Aufgaben der Stadtpolitik und -planung in dieser Zeit des Wirtschaftswunders war es, die Flächenbreitstellung und das Verkehrsystem zu regeln.
Die zweite Phase – intensive Urbanisierung oder auch Stadtumbau genannt – ist geprägt durch den Versuch der Wachstumsbewältigung bzw. -steuerung, um möglicherweise unerträglichen Lebensbedingungen und einem funktionalen Kollaps vorzubeugen. Diese Wachstumsbremsung sollte sozialverträglich, indem die Früchte des Wachstums sozial gerecht verteilt wurden, vonstatten gehen. Zu den Instrumenten gehörten Stadtsanierung, die die Wohn- und Lebensbedingungen für benachteiligte Bevölkerungsgruppen verbessern sollte, Infrastrukturverbesserung, Ausbau des ÖPNV, Ausgleich innerstädtischer Disparitäten. In Form von Stadtentwicklungsprogrammen und -plänen sollten diese öffentlichen Maßnahmen umfassend unter einer einheitlichen Zielsetzung koordiniert und strategisch realisiert werden. Diese Phase wird aufgrund dessen nicht nur als ‚Innenentwicklung der Städte’, sondern auch als ‚regulative Politik’ bezeichnet.
Ein radikal sich verändernder Rahmen dieser Politik[11] ab Mitte der 80er Jahre hatte umfassende ökonomische Strukturveränderungen nicht nur auf der Ebene des europäischen Binnenmarktes zur Folge. (vgl. Werner 1998, 240) Im Zuge der Internationalisierung von Kapitalbeziehungen und des Verlustes politischer Regelungskompetenz, vor allem durch das langsame Schwinden nationaler Souveränitäten ist zudem ein „wachsende[s] Dilemma der ‚Handlungsfähigkeit des Staates am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts“ zu beobachten, so Scharpf. (vgl. Scharpf 1991 nach Häußermann/Siebel 1994) Diese ökonomisch veränderten Rahmenbedingungen, gekennzeichnet von Deregulierung, Stagnation bzw. Schrumpfungsprozessen und öffentlicher Finanzkrise, leitete einerseits einen Strukturwandel in den Städten ein. Es handelt sich dabei zwar auch um Veränderungen der Produktionsstandorte[12], aber vorrangig um das Aufkommen von Dienstleistungen, was wachsende Arbeitslosen- und Armutszahlen zur Folge hatte.
Mit diesen Entwicklungen ging der Verlust von Stadtpolitik einher. Bis dahin wurde auf Wachstum gesetzt, nun aber unter fehlenden Instrumenten bzw. Konzepten für diese Bedingungen litt bzw. immer noch leidet. Walter Siebel beschreibt die Situation der Städte – paradoxerweise – folgendermaßen: „Die Städte versinken im Wohlstandsbrei, nur Randgruppen geht es schlecht. Die Politiker alter Aufgaben beraubt, schaffen sich neue: Weltausstellungen, Olympiaden“ (Siebel 1992, 62) Durch eine veränderte politisch-ideologische Schwerpunktsetzung auf Bundesebene gemäß Deregulierung und Privatisierung, fand auch eine Verlagerung der Schwerpunkte kommunalen Handelns und Planens statt. Priorisiert wird fortan in verstärktem Maße der Ansatz wirtschaftlicher Parameter und Akteure. Dadurch werden die Regulierungskosten mehr und mehr mit dem Ergebnis zurückgeschraubt, dass die öffentliche Hand immer weniger rechtliche Kompetenzen hat. Häußermann und Siebel konstatieren, dass große Projekte nun eben diese Schwäche überspielen sollen. (vgl. Häußermann/Siebel 1993, 14; Heinz 1998, 240)
Diese Städtekonkurrenz ist zwar auch nichts neues, aber durch den veränderten weltpolitischen und -ökonomischen Strukturwandel, wurde der Wettbewerb intensiviert. Somit wurden in den ‚Führungsetagen der Städte’ Strategien wie ‚das Wachstum unter den Bedingungen der Stagnation’ entwickelt, da das Krisenbewusstsein und die Suche nach der ‚großen Lösung’ einsetzte. Erforderlich sind heute unter öffentlichem Finanzdruck neue Entwicklungen anzuschieben, Innovationen zu stimulieren und Wachstum zu erzeugen. Deshalb wird der Strategie nachgegangen sich international bemerkbar zu machen, sich als weiterhin zukunftsträchtigen Standort anzubieten und somit externe Investitionen anlocken zu wollen, aufgrund des kommunalen Konkurrenzkampfes auf nationaler und internationaler Ebene. Es kann somit von einer „allgemeine[n] Verwirtschaftlichung kommunaler Planung“ (Heinz 1998, 240) gesprochen werden. (vgl. Häußermann/Siebel 1993, 10-13; Siebel 1992, 62; Siebel/Ibert/Mayer 1999, 165)
Walter Siebel charakterisiert diesen Status der Städte seit den 1990er Jahren aus zweierlei Sicht als unsichtbar. Diese ‚Unsichtbarkeit der Städte’ bezieht sich einerseits auf die eben beschriebenen veränderten weltpolitischen und –ökonomischen Rahmenbedingungen bezüglich des Städtekonkurrenzkampfes, der vor allem kleineren Städte gegenüber großen ehedem schon bedeutenden Städten. (vgl. Siebel 1992; Huning/Peters 2003) Andererseits begründet er diese Unsichtbarkeit im Verschwinden der Städte im Siedlungsband. Dem soll durch die Schaffung von ‚Höhepunkten’ und ‚Inseln im Meer der Agglomerationen’ Abbruch getan werden, zumindest für einen bestimmten Zeitraum zur Sicherung der medialen Aufmerksamkeit[13], Imagebildung und der Bewahrung einer identifikationsfähigen Stadt (vgl. Siebel 1992; Huning/Peters 2003; Häußermann/Siebel 1993, 15) Grundlegend wird festgestellt, dass sich die Stadtpolitik auf zeitliche und räumliche Punkte focusiert, um sichtbar im Siedlungsbrei und hörbar in der ‚Informationsflut zu sein. (vgl. Siebel 1992, 62)
[...]
[1] Das Ziel der Vielzahl unterschiedlicher Projekte ist eine Art Propaganda der guten Tat für die Region. Beispielhaft ist die Internationale Bauausstellung - IBA - Emscher Park zu erwähnen.
[2] Die Diskussion hat scheinbar an Glanz verloren, ist deshalb vergleichbar mit der Entwicklung der Attraktivität von Großereignissen an sich, die im Sinne von ‚Veralltäglichung’, so Ibert, untergehen.
[3] Walter Siebel, Dr., Professor für Soziologie mit Schwerpunkt Stadt- und Regionalforschung, Oldenburg; Hartmut Häußermann, Dr., Professor für Stadt- und Regionalsoziologie, Fachbereich Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin.
[4] Unter Großprojekten versteht man heute auch: Flagship-Image-Projekte, Urban-Renaissance-Projekte, Infrastruktur-Großprojekte, aber eben auch Großveranstaltungen im Sinne von Festivals (vgl. Huning/Peters 2003)
[5] Oliver Ibert, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsgebiet Sozioökonomie des Raumes am Geographischen Institut der Universität Bonn.
[6] In der Diskussion um die (Nicht-)Erzeugung von Innovation geht es darum, dass die Möglichkeiten für strukturelle Veränderungen zwar in den bestehenden gesellschaftlichen System vorhanden sind, doch folgen die Akteure vor allem gesellschaftlichen Routinen und Traditionen, so dass diese Optionen von ihnen systematisch übersehen und ausgelassen werden.“ (Ibert 2003, 9) Es ist aber möglich diese Routinen aufzubrechen und Möglichkeiten zu finden außerhalb der Norm durch Einzelne, von Schumpeter ‚Unternehmer’ mit ‚institutionellem Charisma’ genannt, von Max Weber ‚Träger des ‚Charismas’’ (vgl. Ibert 2003, 9)
[7] Siebel, Walter (1992): Die Festivalisierung der Politik. In: Die Zeit, Nr. 45, 30.10.1992, S. 62.
[8] Die erste Weltausstellung fand 1851 in London statt.
[9] Häußermann und Siebel unterscheiden die ‚Politik der Festivalisierung’ von der ‚Festivalisierung der Politik’. In diesem Abschnitt geht es zunächst nur darum, dass Festivals von der Politik für die Stadtentwicklung instrumentalisiert werden - Politik der Festivalisierung. (vgl. Häußermann/Siebel 1993)
[10] Selle, Klaus, Dr., Prof., Lehrstuhl Planungstheorie und Stadtentwicklung an der RWTH Aachen.
[11] Veränderungen des Weltmarktes und der globalen Arbeitsteilung, wirtschaftliche Konzentrations- und Umschichtungsprozesse
[12] Daher spielen die klassischen Standortfaktoren, wie Rohstoffe, Arbeitskräfte eine untergeordnete Rolle. (vgl. Häußermann/Siebel 1993, 13)
[13] Verstärkung durch die Bedeutung der Medien - Medienwirksamkeit „365 Jongleure an einem Nachmittag auf dem Marktplatz sind ein Medienereignis.“ (Siebel 1992, 62)
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