Grundlage und gleichzeitig Auslöser für die vorliegende Studienarbeit ist ein von mir
gehaltenes Referat zum Thema „Nationalsozialistische Familien- und
Bevölkerungspolitik“ in einem Seminar zur Zeitgeschichte. Wie die anschließende
Diskussion zeigte, gestaltete sich das Thema als höchst interessant und auf brisante
Art aktuell. Jedoch lag der zeitliche Rahmen wie immer zu knapp, der Rahmen für die
anschließende Hausarbeit ebenfalls, obwohl das Wichtigste dargestellt und diskutiert
werden konnte. Letztendlich blieb das Gefühl, das Thema aber nicht gründlich,
vollständig und für mich persönlich befriedigend bearbeitet zu haben. Während sich das Referatsthema in dem Zeitraum 1933-1945 bewegte und inhaltlich auf die politischen Maßnahmen und deren ideologischen Grundlagen beschränkt war,
erweitert die Studienarbeit den zeitlichen Rahmen sinnvoll und konzentriert sich
gleichzeitig mehr auf den Gegenstand der Rassenhygiene. So beinhaltet die Arbeit
zum einen die Entstehung und Weiterentwicklung der Eugenik international und in
Deutschland in der Zeit vor 1933, zum anderen die Darstellung und Analyse der
nazistischen Rassenhygiene, ihrer theoretischen und ideologischen Grundlage und
ihrer konzeptionellen Umsetzung in die Praxis, die in die Vernichtung von Millionen von
Menschen mündete. Wichtig erschien mir persönlich, den in der Diskussion angeklungenen aktuellen Bezug
zu klären. Gibt es heute im Bereich der Eugenik Analogien zu der Zeit des NSRegimes
und wenn ja welche? So wird gerade die rasante naturwissenschaftliche und
technische Entwicklung, vor allem im Bereich der Humanbiologie und –genetik am
Beispiel der PID, international und in vielen Gesellschaftsbereichen diskutiert. In
diesem Kontext kommen andere, altbekannte Themen wieder zur Sprache: denn die
Diskussion wird in einigen Ländern um das der Euthanasie erweitert. Zumindest in
Deutschland scheint dies für Einige Anlass genug zu sein, die Geschichte als
mahnendes Beispiel zu zitieren. Die im Seminar andiskutierten Punkte um die Fragen nach Widerstand, einem
internationalen Vergleich, einem Wandel in der Gesellschaft, der Debatte um
Modernität und ob der behandelte Aspekt sich als typisch nationalsozialistisch erweist,
werden berücksichtigt und sollen das Ganze sinnvoll ergänzen.
Inhalt
I. Einleitung
II. Eugenik und „Rassenhygiene“ vor 1933
1. Was ist Eugenik?
2. Grundlagen der „Rassenhygiene“
2.1. Sozialdarwinismus
2.2. Degenerationstheorien und Züchtungsutopien
2.3. Entwertung des Menschen, bzw. des Individuums
2.4. Euthanasiedebatte
2.5. Antisemitismus und Rassismus
3. Politische Implementierung der „Rassenhygiene“ in Deutschland
3.1. Vertreter der „Rassenhygiene“ in Deutschland (in Auswahl)
3.1.1 Ernst Haeckel
3.1.2. Alfred Ploetz
3.1.3. Fritz Lenz
3.2. Eugenik und andere Wissenschaften – ein internationaler Vergleich
4. Politische Zuordnung der „Rassenhygiene“ in Deutschland
III. Rassenhygiene und die nationalsozialistische Ideologie
1. „Reinheit des Blutes“
2. Die „Volksgemeinschaft“
3. Zwischenfazit
IV. Rassenhygiene im NS-Staat
1. Pronatalistische Maßnahmen
2. Der „qualitative“ Aspekt
3. Negative Eugenik – von Euthanasieaktionen zur „Endlösung“
3.1. Eugenik am Beispiel der Psychiatriepatienten
3.2. Vernichtungsziel Nummer Eins: Anhänger jüdischen Glaubens
3.3. Die Gruppe der Sinti und Roma
V. Aktueller Diskurs
1. Kontinuität und Wandel
2. Modern, rational oder „vollendet sinnlos“
3. „Gleichbehandlung“ in der nationalsozialistischen Eugenik
4. Forschungsinteresse vor Wohl und Recht des Individuums?
5. Biopolitik
4.1. Euthanasie heute
4.2. Genetisches Design und Selektion
VI. Fazit
VII. Anhang
1. Gesetzestexte
1.1. „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“
1.2. „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ („Nürnberger Gesetze“)
1.3. „Reichsbürgergesetz“ („Nürnberger Gesetze“)
2. Bibliographie
2.1. Quellen
2.2. Periodika
2.3. Zeitungen
2.4. Monografien und Sammelbände
I. Einleitung
Grundlage und gleichzeitig Auslöser für die vorliegende Studienarbeit ist ein von mir gehaltenes Referat zum Thema „Nationalsozialistische Familien- und Bevölkerungspolitik“ in einem Seminar zur Zeitgeschichte. Wie die anschließende Diskussion zeigte, gestaltete sich das Thema als höchst interessant und auf brisante Art aktuell. Jedoch lag der zeitliche Rahmen wie immer zu knapp, der Rahmen für die anschließende Hausarbeit ebenfalls, obwohl das Wichtigste dargestellt und diskutiert werden konnte. Letztendlich blieb das Gefühl, das Thema aber nicht gründlich, vollständig und für mich persönlich befriedigend bearbeitet zu haben.
Während sich das Referatsthema in dem Zeitraum 1933-1945 bewegte und inhaltlich auf die politischen Maßnahmen und deren ideologischen Grundlagen beschränkt war, erweitert die Studienarbeit den zeitlichen Rahmen sinnvoll und konzentriert sich gleichzeitig mehr auf den Gegenstand der Rassenhygiene. So beinhaltet die Arbeit zum einen die Entstehung und Weiterentwicklung der Eugenik international und in Deutschland in der Zeit vor 1933, zum anderen die Darstellung und Analyse der nazistischen Rassenhygiene, ihrer theoretischen und ideologischen Grundlage und ihrer konzeptionellen Umsetzung in die Praxis, die in die Vernichtung von Millionen von Menschen mündete.
Wichtig erschien mir persönlich, den in der Diskussion angeklungenen aktuellen Bezug zu klären. Gibt es heute im Bereich der Eugenik Analogien zu der Zeit des NS-Regimes und wenn ja welche? So wird gerade die rasante naturwissenschaftliche und technische Entwicklung, vor allem im Bereich der Humanbiologie und –genetik am Beispiel der PID, international und in vielen Gesellschaftsbereichen diskutiert[1]. In diesem Kontext kommen andere, altbekannte Themen wieder zur Sprache: denn die Diskussion wird in einigen Ländern um das der Euthanasie erweitert. Zumindest in Deutschland scheint dies für Einige Anlass genug zu sein, die Geschichte als mahnendes Beispiel zu zitieren.
Die im Seminar andiskutierten Punkte um die Fragen nach Widerstand, einem internationalen Vergleich, einem Wandel in der Gesellschaft, der Debatte um Modernität und ob der behandelte Aspekt sich als typisch nationalsozialistisch erweist, werden berücksichtigt und sollen das Ganze sinnvoll ergänzen.
II. Eugenik und Rassenhygiene vor 1933
Wenn man sich dem handelsüblichen Lexikon zuwendet, findet man unter dem Schlagwort „Eugenik“ folgende kurze Information: „ Verhütung von Erbschädigungen, Bekämpfung von Erbkrankheiten – vom Nationalsozialismus rassistisch missbraucht.“[2] Tatsächlich reichen die Ideen der Eugenik, bzw. „Rassenhygiene“, bis ins 19. Jh. zurück und sind nicht auf Deutschland beschränkt. Zuerst soll die Entwicklung dieses Gedankenguts international und in Deutschland unmittelbar vor Aufkommen des Nationalsozialismus, d.h. zur Zeit der Weimarer Republik, beleuchtet werden. Damit verbunden ist eine Darstellung des Rassismus und Antisemitismus, die einen wichtigen Einfluss auf die „Rassenhygiene“ in Deutschland hatten.
1. Was ist Eugenik?
Das Wort Eugenik stammt aus dem Griechischen. „Eugenes“ bedeutet soviel wie “wohlgeboren” von griechisch „eu“ gut und „genuar“ zeugen. 1883 wurde der Begriff von dem Briten Francis Galton[3] in der Bedeutung von Rassenhygiene, Erbhygiene oder Erbgesundheitslehre geprägt. Gegründet auf Ergebnissen der menschlichen Erblehre und Bevölkerungsbiologie wurde sie als Wissenschaft von der Erhaltung und günstigsten Entfaltung der gesunden Erbanlagen des Menschen unter Einbeziehung der praktischen Anwendung humangenetischer Erkenntnisse verstanden. Ihre Ziele lauteten genauer formuliert: erstens erwünschte Erbanlagen zu erhalten und zweitens unerwünschte Erbanlagen einzuschränken oder zu entfernen. Das zweite Ziel, die sogenannte “präventive Eugenik”, sollte eventuelle Anomalien verhindern. Praktisch umgesetzt wurde die „präventive Eugenik“ als „Mutationsprophylaxe“ z.B. in Eheberatungen auf genetischer Grundlage durch Eheverhinderung, Unfruchtbarmachung oder Geburtenkontrolle.
2. Grundlagen der Rassenhygiene
Die „Rassenhygiene“ selbst verstand sich als Gesellschaftswissenschaft auf naturwissenschaftlicher Basis, und wurde als solche auch von den Zeitgenossen aufgenommen. Während anfangs die rassenhygienischen Ideen in kleinen elitären Zirkeln kursierten, erreichten sie nach dem Ersten Weltkrieg ein breites Publikum und ebenso breite Akzeptanz. Die „Rassenhygiene“ stellt sich als die Summe der folgenden Ideen dar: Dem Sozialdarwinismus, den Degenerationstheorien und Züchtungsutopien, der Entwertung des Menschen, bzw. des Individuums, der Euthanasiedebatte und dem Antisemitismus und Rassismus.
2.1. Sozialdarwinismus
Aus Darwins Theorie des „Survival of the Fittest“ und dem Manchesterliberalismus entstand der Sozialdarwinismus, eine Richtung, die Darwins Evolutions- und Selektionstheorie auf die menschliche Gesellschaft anwandte.[4] Die natürliche Auslese wurde, so die Vertreter dieser Richtung, durch moderne Medizin und Sozialfürsorge behindert, es komme gar zu einer „Gegenauslese“.[5]
„Die `Soziale Frage´ nahm nun für das Bürgertum einen vollkommen anderen Charakter an. War mit diesem Begriff zunächst ein durch die Folgen der Industrialisierung hervorgerufenes sozialpolitisches Problem gemeint, ein Feld humanitärer Besorgnis und Wohltätigkeit, so wurde sie jetzt zu einem Problem, das die bestehende gesellschaftliche Ordnung zu erschüttern drohte.“[6]
2.2. Degenerationstheorien und Züchtungsutopien
Während die klassische Degenerationstheorie, die auf Benedict Augustin Morel zurückgeht, die Meinung vertritt, dass eine sogenannte „Entartung“ sich im Erbgang verschlimmert, schließlich zur Unfruchtbarkeit und damit zum Aussterben der „entarteten Sippe“ führt, gingen etliche Eugeniker und Rassenhygieniker davon aus, dass sogenannte „Entartete“ sich überdurchschnittlich fortpflanzten.[7]
Daraus ergab sich für sie der Gedanke des künstlichen Eingreifens, und damit die Möglichkeit, eine „hochbegabte Menschenrasse zu züchten“[8], wie es bereits 1869 von Francis Galton formuliert wurde.[9] 1926 schrieb Fritz Dupre: “Züchten kann und muß man den Menschen! Dem Wesen nach ist es…ganz dasselbe, ob ich eine der übrigen Säugetierarten oder das Säugetier Mensch züchte.“[10]
2.3. Entwertung des Menschen, bzw. des Individuums
Einerseits war die Vorrangstellung des Menschen in der Welt durch Darwins Theorien in Frage gestellt worden, andererseits hatte die Erfahrung des Ersten Weltkrieges zu einer Verrohung geführt. Gedanken der Unverhältnismäßigkeit zwischen den unzähligen Toten an der Front und den vielen Kranken und Behinderten, die zuhause „hochgepäppelt wurden“, kamen auf.[11] Menschen waren im Krieg zu Material geworden, das Vaterland zu verteidigen, nun sollten die Ansprüche des Individuums vor denen des Rassewohls zurückstehen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt wird von Düring ausgemacht. Für ihn ist der Zusammenhang komplexer; er sieht in der industriellen Entwicklung der Gesellschaft den Ausgangspunkt für die „Verdinglichung“ des Menschen. Der Mensch werde nur noch nach seinem Nutzen und seiner Leistungsfähigkeit beurteilt und behandelt. Der Nationalsozialismus habe dieses Prinzip auf die maximale Spitze getrieben. Die „Soziale Frage“ sei aber auch heute noch relevant.[12]
So führte die Schrift des Juristen Karl Binding und des Psychiaters Alfred Hoche „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form“ aus dem Jahre 1920 in der Weimarer Republik zu einer heftigen Auseinandersetzung über die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“. Insassen von Pflegeanstalten wurden als „leere Menschenhülsen“, „Ballastexistenzen“, „halbe, Viertels- und Achtels-Kräfte“, „Defektmenschen“ und „völlig wertlose, geistig Tote“ bezeichnet, die aufgrund der schwierigen Situation der Nachkriegszeit lediglich eine Belastung darstellten. Binding und Hoche forderten eine „Entlastung der Nation“ durch die Freigabe der Vernichtung „lebensunwerten Lebens“.[13]
Sie monierten jedoch, diesem Unterfangen stehe einerseits „das moderne Bestreben entgegen, möglichst auch die Schwächlinge aller Sorten zu erhalten [...und] minderwertigen Elementen Pflege und Schutz angedeihen zu lassen“ und (durchaus widersprüchlich!) andererseits lebhafter, vorwiegend gefühlsmäßig vermittelter Widerspruch, „der seine Stärke aus sehr verschiedenen Quellen beziehen wird (Abneigung gegen das Neue, Ungewohnte, religiöse Bedenken, sentimentale Empfindungen usw.)“.[14]
2.4. Euthanasiedebatte
Die ursprüngliche Bedeutung des Begriffes Euthanasie im Griechischen ist „schmerzloses Sterben“. Der Begriff erfuhr über die Jahrhunderte eine Bedeutungswandlung über „ärztliche Handlung, um Sterbenden den Todeskampf zu erleichtern“ (Francis Bacon, Anf. 17. Jh.), „Sterbebegleitung“ im 18. und 19. Jh., wobei die Beschleunigung des Sterbens kategorisch abgelehnt wurde, „Sterbehilfe“, wobei unheilbar Kranke und Behinderte miteinbezogen wurden (Roland Gerkan, Jahrhundertwende), bis hin zur „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ schon vor 1933. Im Konversationslexikon von 1920 findet sich z. B. unter dem Lemma Euthanasie die Bedeutung „schmerzloses Töten“.
2.5. Antisemitismus und Rassismus
Der Begriff Antisemitismus wurde 1879 von Wilhelm Marr geprägt, der mit zu seiner Verbreitung beitrug. Zur Rechtfertigung der Feindseligkeit gegen Juden wurden rassistische Theorien herangezogen, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich, England und Deutschland entwickelt hatten. Den biologisch-deterministischen Rassenlehren zufolge sollten „arische“ (Sanskrit: edel) Völker den semitischen Völkern körperlich und charakterlich überlegen sein.
Vertreter dieser Theorie waren z. B. der französische Sozialphilosoph Comte Joseph Arthur de Gobineau[15] und der deutsche Philosoph und Wirtschaftswissenschaftler Karl Duhring.
„Maßgeblich für den nachhaltigen und dauerhaften Einfluß, den die Rassentheorien in der deutschen Rassenhygiene haben sollten und der ihre politisch-ideologische Funktion für das „Dritte Reich“ begründete, war der Umstand, daß zwischen wissenschaftlicher Rassenanthropologie und den populären Rassentheorien […], die in Deutschland der ideologische Bezugsrahmen des Nationalismus und Antisemitismus wurden, keine ausreichenden Differenzen bestanden, die es vor allem der Wissenschaft erlaubt hätten, sich von den politischen Bewegungen erfolgreich abzugrenzen.“[16]
Der Rassismus verlieh dem Antisemitismus eine neue Qualität und Radikalität, weil das „Jude sein“ jetzt als angeboren und unüberwindlich galt, die „Jüdischkeit“ ein mit der Geburt erworbenes Merkmal wurde.[17]
Arendt schlussfolgert, dass es einen spezifisch „deutschen Rassebegriff“ gegeben habe[18], der „völkische und der Rasseideologie nah verwandte Elemente in sich aufgenommen hat“[19]. Der deutsche Begriff der Nation, bzw. des Volkes basiere auf der Fiktion einer gemeinsamen „Blutsverwandschaft“[20].
Erstaunlicherweise wurden antisemitische Ideen aber auch von Juden selbst aufgenommen oder akzeptiert. Am extremsten – und sicher nicht exemplarisch – war dies wohl bei Otto Weininger der Fall. Sein Buch „Geschlecht und Charakter“, in dem er die „Minderwertigkeit von Juden, Frauen und Homosexuellen auf biologischer Grundlage“ beschreibt, wurde zum Bestseller in der Gesellschaft, die einerseits von der Furcht vor einer drohenden Apokalypse geprägt war, andererseits voller Forschungsoptimismus an eine Katharsis der Menschheit glaubte.
3. Politische Implementierung der „Rassenhygiene“ in Deutschland
Den Anstoß der rassenhygienischen Diskussion in Deutschland gab vermutlich ein Preisausschreiben von 1900, das von dem Industriellen Friedrich Alfred Krupp ausging. Darin wurden Aufsätze zur Beantwortung der Frage „Was lernen wir aus den Prinzipien der Deszendenztheorie in Beziehung auf die innenpolitische Entwicklung und Gesetzgebung des Staates?“ Wilhelm Schallmayer reichte seine bislang erfolglose Schrift „Über die drohende körperliche Entartung der Kulturmenschheit und die Verstaatlichung des ärztlichen Standes" ein und gewann[21]. Durch das Preisausschreiben kamen verschiedene Eugeniker miteinander in Kontakt, die wissenschaftliche Öffentlichkeit nahm Notiz und es kam zu einem Publikationsschub.
1905 fand die Rassenhygiene ihren ersten institutionellen Rahmen in der Gründung der europaweit erster Gesellschaft für Rassenhygiene: Der Berliner Gesellschaft für Rassenhygiene. Mitgründer war der Arzt Alfred Ploetz, dem Schöpfer des Begriffs der Rassenhygiene. Fünf Jahre später entstand die Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene. Mitglieder waren z. B. Eugen Fischer und Fritz Lenz, deren Buch „Grundriß der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene“ später in Hitlers „Mein Kampf“ seinen Niederschlag finden sollte.
Inzwischen waren auch in Schweden, England und den USA Gesellschaften entstanden und 1908 hatte Francis Galton die internationale Gesellschaft „Eugenics Education Society“ ins Leben gerufen, deren deutscher Vertreter Alfred Ploetz war.
Durch weitere Preisausschreiben, öffentliche Vorträge und das Auftreten auf der Internationalen Hygiene-Ausstellung in Dresden 1911 gewann die Idee der Rassenhygiene das Interesse der Öffentlichkeit und Einfluss auf andere wissenschaftliche Bereiche, wie etwa die Medizin und Kriminologie.
1913 wurde die Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene in die medizinische Hauptgruppe der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte aufgenommen.
Durch das im Ersten Weltkrieg geweckte Interesse an Bevölkerungspolitik hielt die Rassenhygiene nun auch Einzug in staatliche Institutionen, so wurde 1923 an der Universität München mit Fritz Lenz erstmals ein Lehrstuhl für Rassenhygiene besetzt.
Die Gründung eines Reichsausschuss für Bevölkerungsfragen 1929/30 ermöglichte es Rassenhygienikern, nun auch beratend in der Politik mitzuwirken.
In Konkurrenz zur Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene entstand 1923 der Deutsche Bund für Volksaufartung und Erbkunde. Seine Zielsetzung war, die Eugenik „in ganz populärer, für jedermann verständlicher Form zu pflegen und zu verbreiten“.
Zunehmend kamen in den Gesellschaften auch Ideen eines „Nordischen Übermenschen“ zum tragen und der Berliner Gesellschaft wurde vorgeworfen, sie sei von Juden unterwandert. Zwar konnte sich 1929 bei den Wahlen zum Vorstand der Gesellschaft für Rassenhygiene die gemäßigte Linie durchsetzen, man vereinigte sich mit dem Bund für Volksaufartung und wollte mit der Umbenennung in Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene (Eugenik) auch die rassistische Komponente eliminieren, nach dem Regierungsantritt der Nationalsozialisten wurde die Führung jedoch ausgetauscht und die Prioritäten neu definiert.
3.1. Vertreter der „Rassenhygiene“ in Deutschland (in Auswahl)
Bisher wurden bereits ein paar wichtige Vertreter der deutschen Rassenhygiene genannt. Deren Hintergrund und wissenschaftliche Richtung sollen hier genauer dargestellt werden.
3.1.1. Ernst Haeckel (1834-1919)
Einer der Vordenker der „Rassenhygiene“ war der Zoologe Ernst Haeckel. Er vertrat die Meinung, dass „die Völkergeschichte (…) größtenteils durch natürliche Züchtung erklärbar, daneben aber auch die künstliche Züchtung vorgekommen sei. Als Beispiel nannte er die Spartaner, die schwächliche, kranke oder missgebildete Neugeborene töteten: „Gewiß verdankt das Volk von Sparta dieser künstlichen Auslese oder Züchtung zum großen Teil seinen seltenen Grad an männlicher Kraft und rauer Heldentugend.“[22] Dieser Vergleich sollte später von Rassenhygienikern und auch von Hitler aufgegriffen werden. Haeckel war Mitinitiator des Kruppschen Preisausschreibens.
3.1.2. Alfred Ploetz (1860- 1940)
Der Arzt Alfred Ploetz entwarf in seinem Buch „Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz der Schwächen“ (1895) das Bild einer Gesellschaft[23], in der die rassenhygienischen Ideen zur Anwendung kamen – Prüfungen der moralischen und intellektuellen Fähigkeiten sollten über Heiratsmöglichkeiten und die erlaubte Kinderzahl entscheiden und konnten auch ein Verbot der Fortpflanzung nach sich ziehen. Unerlaubt gezeugte Kinder sollten abgetrieben werden, Kranke und Schwache, Zwillinge und Kinder, deren Eltern nach Ploetz´ Ansicht zu alt oder jung waren, „ausgemerzt“. Ob Ploetz dies als Warnung beschrieb oder als gewünschten Zustand ist nicht ganz klar.[24]
Bereits Ploetz räumte der nordischen Rasse einen besonderen Stellenwert ein.
3.1.3. Fritz Lenz (1887-1976)
Neben Erwin Baur und Eugen Fischer war Fritz Lenz Mitverfasser des Buches „Grundriß der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene“; der 2. Band „Menschliche Auslese und Rassenhygiene“ stammt von Lenz. Gedanken aus diesem Buch sind später in „Mein Kampf“ miteingeflossen.
Lenz trat offen für die negative Eugenik in Form von Abtreibung und Sterilisierung ein, dabei griff er die Forderung des Berliner Sozialhygienikers Alfred Grotjahn auf, dass ca. 20 Millionen „erbuntüchtige“ Deutsche – das war ein Drittel der Bevölkerung – sterilisiert werden mussten.
Er war der erste Inhaber eines Lehrstuhles für Rassenhygiene.
3.2. Eugenik und andere Wissenschaften – ein internationaler Vergleich
Da sich die Rassenhygiene als Gesellschaftswissenschaft auf naturwissenschaftlicher Basis verstand und ihre Vertreter unterschiedlichen Disziplinen angehörten, war der Kontakt oder die Zusammenarbeit mit anderen wissenschaftlichen Zweigen beinahe unumgänglich. Interessanterweise findet der internationale Vergleich jeweils eine völlig unterschiedliche Entwicklung. Ein nur kurzer Exkurs:
[...]
[1] Wichtig bei der Diskussion um PID, der Präimplantationsdiagnostik, ist vor allem die Frage nach Selektion, also die Entscheidung, ob man ein möglicherweise genetisch belastetes Kind möchte oder nicht.
[2] Z.B. „Meyers großes Handlexikon“, 17. akt. Auflage; hrsg. und bearb. Von Meyers Lexikonredaktion [Red.leitung der 17. Aufl.: Wolfram Schwachulla]; Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich: 1994; S. 248.
[3] Galton gehört zu den einflussreichsten ideologischen Wegbereitern nationalsozialistischer Bevölkerungspolitik; dies vor allem durch seine These der übermäßigen „Vermehrung“ von „Minderwertigen“ und einer damit verbundenen ständig fortschreitenden Erosion genetisch wertvoller Substanz.
Vgl. Armin Trus, "... vom Leid erlösen": zur Geschichte der nationalsozialistischen "Euthanasie"-Verbrechen“, Frankfurt am Main, 1995, S.26.
[4] Den sozialdarwinistischen Theoriemodellen kam in unterschiedlichen nationalen Varianten vor allem in Westeuropa und Nordamerika immer mehr Bedeutung zu. In Deutschland wurden sie hauptsächlich von dem Zoologen Ernst Haeckel popularisiert. Vgl. Trus, S. 25.
[5] Hans-Walter Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie: von d. Verhütung zur Vernichtung „lebensunwerten Lebens“; 1890-1945Göttingen, 1987, S. 61.
[6] Peter Weingart, Rasse, Blut und Gene: Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland, 1. Aufl., Frankfurt am Main 1992, S. 115.
[7] Weingart sieht in den „Degenerations“-Theorien die bloße Konstruktion einer Bedrohung.
Vgl. Weingart, S. 27-66.
[8] Der Rassentheoretiker Houston Stewart Chamberlain war von der Möglichkeit und der Notwendigkeit einer kontinuierlichen „Veredelung“ von Rassen durch „Zuchtwahl“ überzeugt. Als Vertreter einer rassistischen, chauvinistischen und imperialistischen Richtung befand er sich politisch am äußersten rechten Rand. Vgl. Trus, S. 27.
[9] Vgl. zur Entwicklung der Theorie und Technologie der künstlichen Züchtung Weingart, S. 87ff.
[10] Schmuhl, 1987; S. 64.
[11] Es zeigt sich hier, dass in Krisenzeiten vor allen anderen die nach einem gesellschaftlichen Kosten-Nutzen-Kalkül als „unbrauchbar“ Eingestuften zu leiden hatten. Die Erfahrung, dass der bestimmten Menschen zugesprochene Lebenswert in der Kriegssituation 1914-1918 offensichtlich sank, was sich darin manifestierte, dass man Psychiatriepatienten – mehr oder weniger bewusst – verhungern ließ, dürfte von einer nicht zu unterschätzenden nachhaltigen Wirkung – insbesondere auf Bedienstete des Fürsorge- und Gesundheitswesens – gewesen sein. Trus, S. 35.
[12] „Ich möchte die zentrale These meines Buches hier vorwegnehmen: Es ist das Geheimnis des Pannwitz-Blickes und zugleich die entscheidende Absicht der Nazis gewesen, der Welt am Beispiel Deutschlands en einziges Mal zu beweisen, daß eine Gesellschaft, die sich systematisch und absolut jedes sozialen Ballastes entledigt, wirtschaftlich, militärisch und wissenschaftlich unschlagbar sei, eine Absicht, die sich auch nur schwer widerlegen läßt, wenn man die Logik und Ethik der Industrialisierung konsequent zu Ende denkt.“
Vgl. Klaus Dörner, Tödliches Mitleid: zur Frage der Unerträglichkeit des Lebens oder: die soziale Frage: Entstehung, Medizinierung, NS-Endlösung heute und morgen, 2. Aufl., Gütersloh 1989, S. 10.
[13] Weingart betont, dass es sich bei der Schrift von Binding und Hoche um keine rassenhygienische Argumentation handelt, sondern um eine ökonomischer Natur.
Weingart, S. 524.
[14] Vgl. Trus, S.42f.
[15] Gobineau vertrat die These einer menschlichen Rassehierarchie: in der untersten, „niedrigeren“ Stufe seien „Schwarze“ angesiedelt, danach folgten „Gelbe“ bis hin zu den „Weißen“, deren „erste“ Vertreter die „Arier“ wären. Er war der Auffassung, jede Blutvermischung der ursprünglich „reinen“ Menschenrasse mit „minderwertigen“ Rassen habe eine fortschreitende Entartung der Menschheit zufolge. Obwohl seine Aussagen das „Primat der Arier“ betreffend mit breiter Wirkung aufgenommen wurde, ist der Einfluss seines Denkens nur gering, da die angedrohte Entartung der Gesellschaft für viele zu pessimistisch war.
Vgl. Trus, S. 26f.
[16] „Das ständige Überqueren der Grenze zwischen Wissenschaft und Ideologie […] war typisch und nicht etwa eine Eigenart, und es sollte noch ein halbes Jahrhundert dauern, bis z.B. der Rassenbegriff wissenschaftlich hinreichend konsensuell gefaßt und das beherrschende Rassenmischungsproblem als Scheinproblem beigelegt werden würde.“ Die direkte Verbindung von Rassenanthropologie und Rassenhygie stellen ein Spezifikum der deutschen Rassenhygiene dar. Weingart, S. 99f.
[17] Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Frankfurt am Main 1955 (zuerst 1951), Bd. I: Antisemitismus, Berlin, 1975, S. 155.
[18] Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Frankfurt am Main 1955 (zuerst 1951), Bd. II: Imperialismus, Berlin, 1975, S. 75.
[19] Arendt, Imperialismus, S. 83.
[20] Arendt, Imperialismus, S.77.
[21] Obwohl bei Schallmayer negative eugenische Maßnahmen noch kaum eine Rolle spielen, zeigen die Modalitäten der Preisvergabe, wie populär Gedanken qualitativer und quantitativer Bevölkerungspolitik um die Jahrhundertwende waren. Trus betont hier, dass diese Diskussion nicht nur innerhalb wissenschaftlicher und bildungsbürgerlicher, sondern auch großindustrieller Kreise stattfand. Vgl. Trus, S. 28.
[22] Vgl. Trus, S. 30.
[23] Ploetz ist der Schöpfer des Begriffes “Rassenhygiene”; er hatte maßgeblichen Anteil an der Gründung der „Gesellschaft für Rassenhygiene“ 1905. Sein Engagement in der „Gesellschaft für Rassenhygiene“ wie seine Position als Universitätslehrer sorgten für eine Popularisierung und Radikalisierung rassenhygienischen Denkens im akademischen Bereich.
Trus, S. 27f.
[24] Vgl. Trus, S. 32f.
- Quote paper
- Sonja Krenmayr (Author), 2004, Eugenik in Deutschland, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29516
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