1. Einleitung
Das Internet-Auktionshaus „ebay“ vermeldet Rekordumsätze bei zunehmender Anzahl von registrierten und aktiven Mitgliedern.2 In dieser Arbeit möchte der Frage nachgehen, welche Rolle Vertrauen beim Zustandekommen von Transaktionen spielt, die bei ebay und im Internet allgemein trotz hoher Anonymität und asymmetrischer Informationsverteilung abgeschlossen werden. Dazu werde ich Vertrauen zuerst aus der Perspektive der Psychologisch-soziologischen „System“ -Theorie von LUHMANN3 und dann aus der ökonomischen Theorie von COLEMAN4 betrachten. Beide Perspektiven versucht GAMBETTA5 zu verschmelzen, um zu untersuchen, inwieweit Kooperation unabhängig von Vertrauen zustande kommen kann. Im 3. Kapitel werde ich einige Einflussgrößen, die Vertrauen in der Internetökonomie generieren und voraussetzen, mit Hilfe der Transaktionskostentheorie verdeutlichen und daraus Anforderungen an die ebay- Gemeinschaft ableiten. Das 4. Kapitel beschäftigt sich schließlich mit Vertrauenssignalen, die insbesondere ebay anbietet und einsetzt, um Transaktionen sicherer und für beide Transaktionspartner erfolgreich zu gestalten.
2.1 Niklas Luhmann: „Vertrauen als Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität“
LUHMANN unterscheidet in seinem Buch zwischen Vertrautheit und Vertrauen, zwischen Vertrauen und Hoffnung und zwischen Vertrauen und Misstrauen. Vertrauen reduziert die Komplexität der Umwelt auf ein handhabbares Maß und stellt eine Art Vorleistung dar, die Interaktion erst ermöglicht. Der Vertrauensgeber „schließt durch Vertrauen gewisse Entwicklungsmöglichkeiten von der Berücksichtigung aus. Man neutralisiert gewisse Gefahren, die nicht ausgeräumt werden können, die aber das Handeln nicht irritieren sollen.“6 Hiermit kann jedoch die Sicherheit innerhalb des Handlungssystems nicht erhöht werden. [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Vertrauen in der Theorie
2.1 Niklas Luhmann: „Vertrauen als Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität“
2.1.1 Hoffen vs. Vertrauen
2.1.2 Indizien für Vertrauen
2.1.3 Systemvertrauen
2.1.4 Misstrauen
2.2 James S. Coleman: „Die Grundlagen der Sozialtheorie“
2.2.1 Rolle des Treugebers
2.2.2 Rolle des Treuhänders
2.3 Diego Gambetta: „Können wir dem Vertrauen vertrauen?“
2.3.1 Definition von Vertrauen
2.3.2 Anforderungen des Vertrauens
2.3.3 Bedingung und Interesse
2.3.4 Rationalität des Vertrauens
3. Annahmen der Transaktionskostentheorie und ihre Anforderungen an die ebay-Gemeinschaft
3.1 „Adverse selection“ als Folge der Annahme von Opportunismus
3.2 Begrenzte Rationalität und „Agency Costs“ der ebay-Akteure
3.3 Unsicherheit über die Sicherheit bei ebay
3.4 Spezifität der Güter und strategische Bedeutung für die ebay-Akteure
4. Vertrauenssignale zur Risiko- und Transaktionskostenreduzierung bei ebay-Auktionen
4.1 Definition: Spezifisches Vertrauen
4.2 Definition: Generalisiertes Vertrauen
4.3 Primäre und sekundäre Erfahrung
4.3.1 Reputation: Das Konzept der gegenseitigen Bewertung bei ebay
4.3.2 Reputation: Das Konzept der Bewertung von Meinungen
4.4 Vertrautheit mit Transaktionssituationen
4.4.1 Vertrautheit bei ebay-Auktionen
4.5 Zugehörigkeit als „Sicherungsgut“ für Vertrauen
4.5.1 Zugehörigkeit als vertrauensbildender Mechanismus bei ebay
4.6 Transparenz der Vertrauenswürdigkeit
4.6.1 Risikoabdeckungsleistung durch Treuhandservice bei ebay
4.6.2 Vertrauenssiegel bei ebay
4.7 Heuristische Mittel zur Aussonderung von Alternativen und Attributen
5. Fazit und Ausblick
6. Literaturverzeichnis/Internetquellen/Abbildungen
„Was immer dem Menschen wichtig ist,
es gedeiht in einer Atmosphäre des Vertrauens.“1
1. Einleitung
Das Internet-Auktionshaus „ebay“ vermeldet Rekordumsätze bei zunehmender Anzahl von registrierten und aktiven Mitgliedern.2 In dieser Arbeit möchte der Frage nachgehen, welche Rolle Vertrauen beim Zustandekommen von Transaktionen spielt, die bei ebay und im Internet allgemein trotz hoher Anonymität und asymmetrischer Informationsverteilung abgeschlossen werden. Dazu werde ich Vertrauen zuerst aus der Perspektive der Psychologisch-soziologischen „System“ -Theorie von LUHMANN3 und dann aus der ökonomischen Theorie von COLEMAN4 betrachten. Beide Perspektiven versucht GAMBETTA5 zu verschmelzen, um zu untersuchen, inwieweit Kooperation unabhängig von Vertrauen zustande kommen kann. Im 3. Kapitel werde ich einige Einflussgrößen, die Vertrauen in der Internetökonomie generieren und voraussetzen, mit Hilfe der Transaktionskostentheorie verdeutlichen und daraus Anforderungen an die ebay- Gemeinschaft ableiten. Das 4. Kapitel beschäftigt sich schließlich mit Vertrauenssignalen, die insbesondere ebay anbietet und einsetzt, um Transaktionen sicherer und für beide Transaktionspartner erfolgreich zu gestalten.
2.1 Niklas Luhmann: „Vertrauen als Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität“
LUHMANN unterscheidet in seinem Buch zwischen Vertrautheit und Vertrauen, zwischen Vertrauen und Hoffnung und zwischen Vertrauen und Misstrauen. Vertrauen reduziert die Komplexität der Umwelt auf ein handhabbares Maß und stellt eine Art Vorleistung dar, die Interaktion erst ermöglicht. Der Vertrauensgeber „schließt durch Vertrauen gewisse Entwicklungsmöglichkeiten von der Berücksichtigung aus. Man neutralisiert gewisse Gefahren, die nicht ausgeräumt werden können, die aber das Handeln nicht irritieren sollen.“6 Hiermit kann jedoch die Sicherheit innerhalb des Handlungssystems nicht erhöht werden.
2.1.1 Hoffen vs. Vertrauen
Trotzdem grenzt LUHMANN Vertrauen von reinem Hoffen ab, indem er klarstellt, daß der Vertrauensgeber alle ihm zur Verfügung stehenden Informationen nutzt und sich auf seine Erfahrung bei der Vertrauensentscheidung stützt. Diese Erfahrung setzt sich aus gerechtfertigtem bzw. enttäuschtem Vertrauen aus vergangenen Entscheidungen zusammen. LUHMANN unterscheidet hier die Unsicherheit der Hoffnung mit vertrauensvoller Erwartung bei der Vertrauensentscheidung. „Ein Fall von Vertrauen liegt nur vor, wenn die vertrauensvolle Erwartung bei einer Entscheidung den Ausschlag gibt - anderenfalls handelt es sich um eine bloße Hoffnung.“7
2.1.2 Indizien für Vertrauen
Vertrauen braucht Absicherung, da das Wissen, ob es sich nachträglich als gerechtfertigt erweist oder nicht, dem Entscheidenden zum Entscheidungszeitpunkt nicht zur Verfügung steht, „auch nicht in Form bestimmter Wahrscheinlichkeitsziffern“.8 Gerade durch diese Entscheidung bei asymmetrischer Informationsverteilung - LUHMANN spricht vom „Überziehen der vorhandenen Informationen“9 - ermöglicht Vertrauen die wechselseitige und in die Zeit gestreckte Verteilung von Komplexität zwischen mehreren Handelnden, und damit die Reduktion von Komplexität allgemein. Die Informationen, die es einem Menschen ermöglichen, Vertrauen zu gewähren, haben nach LUHMANNN mehrere Quellen, die in beliebiger Kombination vom potentiellen Vertrauensgeber genutzt werden:
1) Eigene Erfahrung (Allgemeine Lebenserfahrung bzw. Vertrautheit mit dem Objekt des Vertrauens)
2) Eigenes typisches Verhalten (Wie würde ich mich in der Position des Vertrauensnehmers verhalten?) Insbesondere bei unzureichender Kenntnis der Motivationsstruktur des Interaktionspartners.10
3) Selbstdarstellung des potentiellen Vertrauensnehmers (Starke Abweichungen von der Selbstdarstellung des Interaktionspartners entziehen Grundlage für eine Vertrauensgewährleistung)11
4) Handeln des Vertrauensnehmers innerhalb von Sozialsystemen (Gibt es Sicherheiten innerhalb der Systeme, die zur Vertrauensentscheidung beitragen / Funktion latent vorhandener Sanktionsmöglichkeiten ?)
2.1.3 Systemvertrauen
Die Absicherung der Vertrauensentscheidung unter Punkt 4) anhand eines sozialen Systems funktioniert aber nur, wenn genug Vertrauen in das System selbst und in die interne Kontrolle oder dem Nutzen der eigenen Einflussmöglichkeiten in das System von Seiten des Vertrauensgebers vorhanden ist.12 Dieses Vertrauen wird generiert durch eine Rechtsordnung, den Austausch von Informationen innerhalb der Gemeinschaft, durch Erfahrungen mit der Vertrauensgewährung und insbesondere auch durch Vergabe spezifischer Rollen innerhalb des Systems, die Unsicherheiten absorbieren und deren Erfolg kontrolliert werden kann.13 Erfolg kann aber erst nach dem Handeln beurteilt werden. Dieses Zeitproblem, so LUHMANN, überbrückt das Vertrauen, „das als Vorschuss auf den Erfolg im voraus auf Zeit und auf Widerspruch gewährt wird, zum Beispiel durch Einsetzung von Personen in Ämter, Kapitalkredit etc. Das Komplexitätsproblem wird somit auf unterschiedliche Rollen verteilt und dadurch reduziert. Interne Prozesse des sozialen Systems „arbeiten selektiv, indem sie für das System relevante Verhältnisse zwischen Umweltdaten als Information aufnehmen und verarbeiten. Das System setzt innere Sicherheit an die Stelle äußerer Sicherheit und steigert dadurch seine Unsicherheitstoleranz in externen Beziehungen.“14 Eine Absicherung des Vertrauens, die dieses Zeitproblem umgehen kann, stellt ein gesetzliches Rechtssystem und Geld dar, das Vertrauen benötigt (infolge z.B. einer Inflationsgefahr) aber auch zugleich ermöglicht. LUHMANN geht sogar soweit zu sagen: „[…] Wenn ein solches Vertrauen in Geld institutionalisiert ist und sich im Großen und Ganzen bewährt, ist damit eine Art Gewissheitsäquivalent geschaffen.“15
2.1.4 Misstrauen
Einen entscheidenden Vorteil des Vertrauens in Systeme und die internen Kontrollen der Systeme sieht LUHMANN neben der Komplexitätsreduzierung und des Zeitgewinns in dem Umgang mit Misstrauen, welches für LUHMANN „nicht nur das Gegenteil von Vertrauen, sondern als solches zugleich ein funktionales Äquivalent für Vertrauen“16 darstellt. Nur in Systemen kann „Misstrauen so institutionalisiert und begrenzt werden, so dass es nicht persönlich zugerechnet und zurückgegeben wird, also vor Ausuferung in Konflikte bewahrt bleibt.“ Das Risiko des Vertrauensbeweis geht auf das System über solange „beim Vertrauenserweis keine nachweisbaren Fehler unterlaufen.“17 Wo die Grenze zwischen gerechtfertigtem und ungerechtfertigtem Vertrauen allerdings genau liegt, bleibt offen. LUHMANN verweist darauf, dass es weder einen reinen rationalen auswählbaren Ansatz noch eine optimierungsfähige Entscheidungsfindung für eine zu erbringende Vertrauensvorleistung geben kann.18 Der Umschlag zwischen Vertrauen und Misstrauen sieht LUHMANN als persönlich unterschiedlich an. Er nimmt an, dass Misstrauen die Tendenz hat, sich als Regelkreis zu verstärken, was nur durch eine Intervention des Sozialsystems begrenzt werden kann.19 Dagegen sind Systeme wiederum in dem Maße rational, „als sie Komplexität erfassen und reduzieren können, und sie können dies nur, wenn sie von Vertrauen und Misstrauen Gebrauch [zu] machen verstehen, ohne den zu überfordern, der letztlich Vertrauen oder Misstrauen erweist: den Menschen.“20
2.2 James S. Coleman: „Die Grundlagen der Sozialtheorie“
COLEMAN geht in einer Vertrauensbeziehung von mindestens 2 Parteien aus, die zielgerichtet als Treugeber (Vertrauensgeber) und Treunehmer (Vertrauensnehmer) handeln.21 COLEMAN vergleicht die Entscheidung zur Vertrauensvergabe eines potentiellen Treugebers in einer Analyse mit der Entscheidung eines rationalen Akteurs bei der Frage, ob er eine Wette abschließen soll. Der Akteur erkundigt sich hier über Kosten, Gewinne, Chancen und Risiken und kann ganz rational entscheiden, ob er die Wette abschließt unter dem Postulat der Nutzenmaximierung unter Risiko. Der potentielle Treugeber entscheidet sich entweder gegen die Vergabe von Vertrauen, was nach COLEMAN keine Nutzenveränderung nach sich ziehen würde oder für die Vergabe von Vertrauen, die von unterschiedlichen Variablen abhängig ist.22
2.2.1 Rolle des Treugebers
Auch COLEMAN erwähnt die gegebene asymmetrische Informationsverteilung zwischen Treuhänder und Treugeber, indem er anmerkt, dass man „unter verschiedenen Umständen“ unterschiedlich viel weiß über die Variablen p (Gewinnwahrscheinlichkeit), L (Verlust) und G (Gewinn).23 Die Wirkung von Information besteht darin, dass sie die Einschätzung der Gewinnwahrscheinlichkeit und damit auch das Ausmaß des möglichen Gewinns oder Verlustes verändern. COLEMAN hält die Wahrscheinlichkeit der Rechtfertigung von Vertrauen als die oftmals wenigste bekannte Größe. Die Informationssuche sollte so lange anhalten, bis die Kosten einer zusätzlichen Vermehrung von Information geringer sind als der Gewinn, den diese Information verspricht.24 Die Gewinnchance p hängt aber auch elementar von L und G ab. Wenn das Verhältnis von Gewinnchance p zur Verlustchance 1-p größer ist als das Verhältnis des Ausmaßes des möglichen Verlustes L zum Ausmaß des möglichen Gewinns G, so vergibt der rationale Treugeber Vertrauen.25
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Warum aber schenken Treugeber Treuhänder vertrauen, die sie nie zuvor gesehen haben? Für COLEMAN hängt es in jedem speziellen Fall davon ab, inwiefern der Treuhänder „die Überzeugung einer Person von der Möglichkeit eines Verlustes und vom Ausmaß eines möglichen Verlustes und Gewinns manipuliert.“26 Hierzu kann der Gewinn G relativ höher als der Verlust L im Gegensatz zur Konkurrenz in Aussicht gestellt werden oder der Treugeber wird mit einem Angebot konfrontiert, bei dem L/G niedrig ist und somit das Risiko vertretbarer erscheint. COLEMAN vermutet, dass bei Betrügern L/G beträchtlich niedriger ist als p (p als Standardeinschätzung der Vertrauenswürdigkeit bzw. Gewinnwahrscheinlichkeit), so dass selbst bei misstrauischem Absinken der Gewinnwahrscheinlichkeit p durch den Treugeber L/G immer noch kleiner ist als p.27 Der Treugeber muss nach COLEMAN, ein „Mißtrauen entwickeln, wenn p sich einem korrekten Einschätzungswert nähern soll.“28
2.2.2 Rolle des Treuhänders
Der Treuhänder hat in den meisten Fällen die Wahl, ob er das Vertrauen des Treugebers rechtfertigt oder enttäuscht. COLEMAN fragt sich, was, außer einer „internalisierten moralischen Norm“29 den Treuhänder davon abhalten kann, das Vertrauen zu enttäuschen. Meist steht hier der Gewinn, der ihm zukünftig durch Vertrauen entgegengebracht wird im Vordergrund. COLEMAN unterstreicht, dass für den Treuhänder größere Verluste in Zukunft zu erwarten sind, wenn er eine fortdauernde Beziehung zum Treugeber unterhält.30 Dadurch ist der Treuhänder umso vertrauenswürdiger, je länger die Beziehung zum Treugeber andauert und je größer die Gewinne sind, die der Treuhänder sich von dieser Beziehung erhofft. Die Vertrauenswürdigkeit des Treuhänders, wächst nach COLEMAN, „je umfassender die Kommunikation zwischen dem Treugeber und den anderen Akteuren ist, von denen der Treuhänder erwarten kann, dass sie ihm in Zukunft Vertrauen schenken werden.“31 COLEMAN deutet hier auf das Interesse des Treugebers, soziale Strukturen zu schaffen, in denen dem potentiellen Treuhänder daran gelegen ist, vertrauenswürdig zu sein. Hierzu zählt er gefestigte Gemeinschaften, Einstellung enger Verwandter, Verträge und Vollzugspotential als wirkungsvolle Mechanismen.32 Die Interessenkonflikte innerhalb eines sozialen Systems sind verantwortlich dafür, „daß eine Optimierung (z.B. durch die Beseitigung von Misstrauen) im Hinblick auf ein Paar von Akteuren, die an einem Austausch beteiligt sind, nicht auch für alle anderen von Nutzen ist, bzw. das kein Pareto-Optimum entstehen kann.“33 Andererseits macht COLEMAN die Frage nach dem Optimum von Normen, Gesetzen und Sanktionen, um die Vertrauenswürdigkeit von Treuhändern zu gewährleisten, bei Betrachtung des ganzen sozialen Systems abhängig von der Gesamtmenge der Kosten und Gewinne, die aus dem Vertrauen und der Vertrauenswürdigkeit eines bestimmten Paares von Akteuren resultieren.
Die Kosten bzw. Gewinne betreffen mehr oder weniger alle, „die von der Rechtfertigung oder Enttäuschung des Vertrauens betroffen sind“.34
2.3 Diego Gambetta: „Können wir dem Vertrauen vertrauen?“
GAMBETTA beschäftigt sich in seinem Werk „Can we trust Trust?“ vor allem mit dem Zusammenhang von Vertrauen und kooperativem Handeln.35 In welchem Ausmaß kann Kooperation unabhängig von Vertrauen zustande kommen? Ist Vertrauen eher ein Ergebnis oder eine Bedingung von Kooperation? Dabei definiert er Vertrauen und Bedingungen, unter denen es für Kooperation an Relevanz gewinnt und untersucht schließlich, ob es rationale Gründe gibt zu Vertrauen. GAMBETTA´s Perspektive ist dabei insbesondere auf das Handeln und die Entscheidungslage einzelner Akteure gerichtet.
2.3.1 Definition von Vertrauen
GAMBETTA definiert Vertrauen (und „funktional äquivalent“, vergleiche LUHMANN oben, auch Misstrauen) als „bestimmten Grad der subjektiven Wahrscheinlichkeit, mit der ein Akteur annimmt, dass eine bestimmte Handlung durch einen anderen Akteur oder eine Gruppe von Akteuren ausgeführt wird, und zwar sowohl bevor er eine solche Handlung beobachten kann […] als auch in einem Kontext, in dem sie Auswirkungen auf seine eigene Handlung hat.“36
Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit meint somit implizit die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Akteur eine Handlung ausführen wird, die für uns vorteilhaft oder zumindest nicht schädlich ist, die hoch genug ist, so dass wir in Erwägung ziehen, uns auf eine Art Kooperation mit ihm einzulassen. Kooperation geschieht in einem Zustand der Unwissenheit oder Unsicherheit der Akteure. Den Akteuren sind Grenzen gesetzt in ihrer Fähigkeit, jemals vollständiges Wissen „über andere, über ihre Motive oder über ihre Reaktionen auf innere oder äußere Veränderungen zu erlangen.“37 GAMBETTA macht deutlich, dass Akteure somit Freiheiten besitzen, unsere Erwartungen zu enttäuschen, womit Vertrauen in steigendem Maße für unsere Entscheidungen und Handlungen relevant wird, je größer die Menge an Alternativen ist, die anderen offen stehen, sich opportunistisch zu verhalten.38 Jedoch ist unsere Beziehung zu den Akteuren auch durch eine „begrenzte Freiheit“ geprägt, in dem wir die Wahl haben zu kooperieren oder nicht. Gäbe es diese Wahl nicht, so „würden wir eher hoffen als vertrauen“.39
2.3.2 Anforderungen des Vertrauens
GAMBETTA verdeutlicht, dass Männer und Frauen „mit unterschiedlicher Ausprägung an Subtilität, Gegenseitigkeit, Legitimation und Erfolg versucht [haben], das Problem des Vertrauens durch die Veränderung der Menge an Alternativen zu überwinden, die anderen, aber auch ihnen offen stehen.“40 GAMBETTA nennt hier im Folgenden:
1) Zwang
2) Selbstverpflichtung
3) Vertrag
4) Versprechen
Zu 1) Zwang wird häufig als Mittel zur Sicherstellung der Kooperation und Durchsetzung gemeinsamer Rechte eingesetzt, jedoch kann Zwang das Vertrauen, welches andere in uns haben, reduzieren. Zwang als Teil einer kooperativen Übereinkunft kann Vertrauen verstärken, jedoch hält GAMBETTA es nicht für ein „erschöpfendes funktionales Äquivalent für Vertrauen.“41
Zu 2) Selbstverpflichtung ermöglicht es, uns selbst Beschränkungen aufzuerlegen, um den Anspruch zu reduzieren, den unsere Vertrauenswürdigkeit an andere stellt.
Zu 3 und 4) Verträge und Versprechungen sind schwächere Formen von Selbstverpflichtung. Verträge verlagern den Fokus des Vertrauens auf die Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit von Sanktionen, wenn ein Vertag gebrochen wird. Verträge und Versprechen legen nahe, „dass die Bedeutung des Vertrauens bei der Beeinflussung von Handlungen nicht nur von Zwängen abhängt.“42 Dabei betrachtet GAMBETTA neben Zwang das Interesse als „Handlungssteuerung“, die unabhängig von einem bestimmten Vertrauensgrad ist und Verhalten berechenbarer macht.43 GAMBETTA betont, daß die genannten Anforderungen weder Aufschluss darüber geben, wie ein bestimmter Vertrauensgrad erreicht werden kann noch, das kooperatives Verhalten allein von Vertrauen abhängig ist. Bestehendes Vertrauen kann sich jedoch effektiv auf Handlungen auswirken und, „abhängig von den Beschränkungen, Kosten und Gewinnen“, Kooperationspotential in sich bergen.44
2.3.3 Bedingung und Interesse
GAMBETTA legt nahe, dass Vertrauen eher als Resultat denn als Bedingung von Kooperation verstanden werden sollte. „Kooperation wird demnach nicht durch Vertrauen, sondern durch eine Reihe von erfolgreichen Praktiken ausgelöst, die zunächst zufällig, dann selektiv beibehalten werden.“45 Selbst wenn die Parteien ihr Verhalten nicht gegenseitig kontrollieren und keine Vorstellung haben, ob und in welchem Maße sie ihrem Gegenüber vertrauen können, kann Kooperation durch ein „zufälliges Signal“ ausgelöst werden, welches dann aufgrund des Erfolges zukünftig als Willen zur Kooperation interpretiert werden kann.46 GAMBETTA sieht im Beispiel von AXELROD, dass Vertrauen keine Voraussetzung von Kooperation zu sein scheint und Bedingungen für ein Entstehen von Kooperation auch durch
- objektive Umstände und
- wachsendem Wissen (über gemeinsame Interessen und den Kosten eines unkooperativen Verhaltens) beeinflusst werden
Interesse wiederum gibt Handlungen eine höhere Dringlichkeit und erhöht nach GAMBETTA die Wahrscheinlichkeit zur Kooperation, ganz unabhängig vom Vertrauen.47 AXELROD untersuchte unterschiedliche Verhaltensstrategien bei Akteuren, die mit einem iterierten Gefangenendilemma konfrontiert wurden. Die Strategie „Tit for Tat“, sich im allerersten Zug kooperativ zu verhalten und sich dann am jeweiligen Zug des anderen zu orientieren, erwies sich als beste Strategie.48
[...]
1 BOK, S. (1978): „Lying“, S. 31 „Bok gehört zu den wenigen in der Philosophie, die sich mehr oder weniger direkt mit der Ethik des Vertrauens beschäftigt haben.“ (BAIER, A. (1984): „Vertrauen und seine Grenzen“ in Hartmann, M., Offe, C. (Hrsg.) (2001): “Vertrauen. Die Grundlagen des sozialen Zusammenhalts” S.37
2 „Der Umsatz stieg um 280 Millionen US-Dollar im Vergleichsquartal des Vorjahres auf 756,2 Millionen US- Dollar. Damit weist das Unternehmen den höchsten Umsatz der Firmengeschichte auf. Die Zahl der registrierten Nutzer stieg [seit letztem Jahr] um 52 Prozent auf 104,8 Millionen. Von ihnen haben in den vergangenen zwölf Monaten 45,1 Millionen ein Gebot abgegeben, etwas erworben oder verkauft.“ http://www.heise.de/newsticker/meldung/46744 (22.4.2004)
3 vgl. LUHMANNN, N. (1989): „Vertrauen, ein Mechanismus zur Reduzierung sozialer Komplexität“
4 vgl. COLEMAN, J. S. (1990): „Grundlagen der Sozialtheorie“ Band 1
5 vgl. GAMBETTA, D., (1988): „ Can we trust Trust?“, in: Gambetta, D. (Hrsg.), “Trust: Making and Breaking Cooperative Relations”, S. 213-237. Deutsche Übersetzung Catrin Yazdani (2001): „Kann man dem Vertrauen vertrauen?“ in Hartmann, M., Offe, C. (Hrsg.) (2001): “Vertrauen. Die Grundlagen des sozialen Zusammenhalts” S. 204-237
6 ebenda S.26
7 ebenda S.24
8 ebenda S.25
9 ebenda S.26
10 ebenda S. 35
11 ebenda S. 69
12 ebenda S. 58, S. 65, S. 67
13 ebenda S. 26
14 ebenda S. 28
15 ebenda S. 54
16 ebenda S. 78
17 ebenda S.104
18 ebenda S. 97-98
19 ebenda S. 82, S. 84; Als Beispiel sei hier noch die Bereitstellung von Mechanismen genannt, die ein defektes Verhalten der Interaktionspartner vermeiden sollen auch wenn zuvor defekt agiert wurde (vgl. AXELROD, R. (1984): „The Evolution of Cooperation” bzw. Kapitel 4. S.19 )
20 LUHMANN, N. (1989): „Vertrauen, ein Mechanismus zur Reduzierung sozialer Komplexität“, S. 105
21 vgl. COLEMAN, James S. „Grundlagen der Sozialtheorie“ Band 1 (1990) S.121
22 ebenda S.125 f.
23 ebenda S.129
24 siehe auch Abschnitt 3.2 „Verhaltensannahme: Begrenzte Rationalität“, S.14
25 COLEMAN, James S. „Grundlagen der Sozialtheorie“ Band 1 (1990) S.126
26 ebenda S.133
27 Als Beispiel seien hier Diätprodukte genannt: Die Hersteller bieten Produkte an, die Gewichtsverlust versprechen und dies teilweise mit zweifelhaften Studien „garantieren“. Selbst bei Misstrauen auf Seiten des Konsumenten, scheint die versprochene Aussicht auf Erfolg beträchtlich größer zu sein als die dafür aufgewendeten Kosten bzw. der mögliche Verlust. (Anm. des Verfassers)
28 ebenda S.133
29 ebenda S.137
30 ebenda S.138
31 ebenda S.138
32 ebenda S.142 ff.
33 ebenda S.145
34 ebenda S.146
35 vgl. GAMBETTA, D., (1988): „ Can we trust Trust?“, in: Gambetta, D. (Hrsg.), “Trust: Making and Breaking Cooperative Relations”, S. 213-237. Die folgenden Fußnoten beziehen sich auf die deutsche Übersetzung: Catrin Yazdani (2001): „Kann man dem Vertrauen vertrauen?“ in Hartmann, M., Offe, C. (Hrsg.) (2001): “Vertrauen. Die Grundlagen des sozialen Zusammenhalts” S. 204-237
36 ebenda S.211
37 ebenda S.212
38 ebenda S. 213. Diese Situation ist kennzeichnend bei anonymen Online-Auktionen (Anm. des Verf.)
39 ebenda S. 213 und auch LUHMANN, N. (1989): „Vertrauen, ein Mechanismus zur Reduzierung sozialer Komplexität“ S.24
40 ebenda S. 214
41 ebenda S. 215
42 ebenda S. 217
43 ebenda S. 217
44 ebenda S. 220
45 ebenda S. 222 mit Bezug zu HAYEK, den GAMBETTA “als einen der theoretischen Väter dieser Perspektive ansieht“ vgl. HAYEK, F.A. (1978): „The Three Sources of Human Values“
46 GAMBETTA unterstreicht dieses mit dem Beispiel von AXELROD, R. (1984): „The Evolution of Cooperation“, S.73-88 Das berühmte Beispiel des „leben und leben lassen“ im ersten Weltkrieg zwischen verfeindeten Soldaten: Zufällige Signale (z.B. Waffenstillstand zu gleichen Zeiten) wurden als impliziter Waffenstillstand gedeutet und es wurden verschiedene Methoden gelernt, um dem Feind die Bereitschaft zur Kooperation zu signalisieren.
47 vgl. GAMBETTA, D., (1988): „ Can we trust Trust ?“ Deutsche Übersetzung S. 224 und HUME, D. : „Ein Traktat über die menschliche Natur“, (Band 2, Buch 3, Teil 2, Abschnitt 5, Hervorhebung im Original S.270): „Zur Bildung dieses Einverständnisses oder dieser Abmachung ist aber nichts weiter nötig, als dass jeder sich des eigenen Interesses bewusst ist, das er an der treuen Erfüllung seiner Verpflichtungen hat und dass er dies Bewusstsein anderen Gliedern der Gesellschaft ausspricht.“
48 vgl. AXELROD, R. (1984): „The Evolution of Cooperation“ S.20
- Citation du texte
- Christian Lorberg (Auteur), 2004, Vertrauen als Schlüsselfaktor in der Theorie und am Beispiel des Online Auktionshauses ebay, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29023
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