Einleitung – Begriffe & Perspektiven
Die Analyse der ‚Psychodynamik in Kleingruppen’ kennt verschiedene Zugangsweisen. Sandner hebt für seine Betrachtungen Selbstanalytische Gruppen aus den traditionellen T-Gruppen und ihren Weiterentwicklungen nach folgenden Kriterien hervor. In Anlehnung an Dunphy (1974) versteht Sandner unter Selbstanalytischen Gruppen „Gruppen, in denen die Hauptaufgabe darin besteht, größere Sensitivität und Verständnis für die eigenen Motive, Emotionen und Abwehrmaßnahmen und die der Gruppenmitglieder zu entwickeln, ebenso wie für die zwischenmenschlichen Prozesse und Gruppenprozesse in der Gruppe selbst.“ (Dunphy 1974, zitiert nach Sandner 1978, S. 13). Sandner ergänzt hierzu, dass diese Gruppen nicht etwa ohne Leiter, sondern unter fachkundiger Anleitung durchgeführt werden. Die Klärung der psychodynamischen Vorgänge ist jedoch nicht alleinige Aufgabe des Gruppenleiters, da diese analytische Arbeit grundsätzlich von allen Gruppenmitgliedern zu leisten ist (vgl. Sandner 1978, S. 14). Bei der Klärung des Begriffs der Psychodynamik orientiert sich Sandner an der britischen psychoanalytischen Tradition, der Objekt-Beziehungstheorie nach Melanie Klein. Aus diesem Blickwinkel ergibt sich folgende Sichtweise auf die Psychodynamik Selbstanalytischer Gruppen.
Psychodynamik ist die Gesamtheit der bewussten und unbewussten Prozesse der wechselseitigen Beeinflussung, wobei Sender und Empfänger Individuen sind, die versuchen, ihr Zueinander, ihre Ängste und Bedürfnisse in der Gruppensituation annähernd zu befriedigen. Diese Beeinflussungsversuche werden über bewusste bzw. unbewusste ‚Regeln’ des Zusammenlebens koordiniert (vgl. a.a.O. 1978, S. 30). Die psychische Dynamik erhält in Sandners Konzept eine zentrale Position. Die Psychodynamik der Gruppe ergibt sich aus der Psychodynamik ihrer Mitglieder, d.h. aus dem individuellen Spannungsfeld zwischen a) den Bedürfnissen und deren Realisierung anhand b) des (explizit oder implizit) internalisierten normativen Bezugsrahmens. (vgl. a.a.O. 1978, S.30)
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung (Begriffe & Perspektiven)
2 Entwicklung des 3-Ebenen-Modells
2.1 Die prä-ödipale Ebene
2.2 Die ödipale Ebene
2.3 Die reflexiv-interaktionelle Ebene
3 Einflussfaktoren
3.1 Psycho-soziale Kompetenz
3.2 Das Setting
3.3 Interventionsstrategie
3.4 Kompetenz des Gruppenleiters
4 Kritische Schlussbetrachtungen
5 Literatur
„Wenn Angst nicht verdrängt wird, wenn man sich gestattet, real so viel Angst zu haben, wie diese Realität Angst verdient, dann wird gerade dadurch wahrscheinlich doch manches von dem zerstörerischen Effekt der unbewussten und verschobenen Angst verschwinden.“
(Adorno, Erziehung nach Auschwitz, 1966)
1 Einleitung – Begriffe & Perspektiven
Die Analyse der ‚Psychodynamik in Kleingruppen’ kennt verschiedene Zugangsweisen. Sandner hebt für seine Betrachtungen Selbstanalytische Gruppen aus den traditionellen T-Gruppen und ihren Weiterentwicklungen nach folgenden Kriterien hervor.
In Anlehnung an Dunphy (1974) versteht Sandner unter Selbstanalytischen Gruppen „Gruppen, in denen die Hauptaufgabe darin besteht, größere Sensitivität und Verständnis für die eigenen Motive, Emotionen und Abwehrmaßnahmen und die der Gruppenmitglieder zu entwickeln, ebenso wie für die zwischenmenschlichen Prozesse und Gruppenprozesse in der Gruppe selbst.“ (Dunphy 1974, zitiert nach Sandner 1978, S. 13).
Sandner ergänzt hierzu, dass diese Gruppen nicht etwa ohne Leiter, sondern unter fachkundiger Anleitung durchgeführt werden. Die Klärung der psychodynamischen Vorgänge ist jedoch nicht alleinige Aufgabe des Gruppenleiters, da diese analytische Arbeit grundsätzlich von allen Gruppenmitgliedern zu leisten ist (vgl. Sandner 1978, S. 14).
Bei der Klärung des Begriffs der Psychodynamik orientiert sich Sandner an der britischen psychoanalytischen Tradition, der Objekt-Beziehungstheorie nach Melanie Klein. Aus diesem Blickwinkel ergibt sich folgende Sichtweise auf die Psychodynamik Selbstanalytischer Gruppen.
Psychodynamik ist die Gesamtheit der bewussten und unbewussten Prozesse der wechselseitigen Beeinflussung, wobei Sender und Empfänger Individuen sind, die versuchen, ihr Zueinander, ihre Ängste und Bedürfnisse in der Gruppensituation annähernd zu befriedigen. Diese Beeinflussungsversuche werden über bewusste bzw. unbewusste ‚Regeln’ des Zusammenlebens koordiniert (vgl. a.a.O. 1978, S. 30).
Die psychische Dynamik erhält in Sandners Konzept eine zentrale Position.
Die Psychodynamik der Gruppe ergibt sich aus der Psychodynamik ihrer Mitglieder, d.h. aus dem individuellen Spannungsfeld zwischen a) den Bedürfnissen und deren Realisierung anhand b) des (explizit oder implizit) internalisierten normativen Bezugsrahmens.(vgl. a.a.O. 1978, S.30)
2 Entwicklung des 3-Ebenen-Modells
Sandners Konzept basiert auf dem 3-Ebenen-Ansatz von Heigel-Evers/Evers. Im Unterschied zu ihnen versteht er die in Kleingruppen ablaufenden Prozesse nicht als durch die Struktur von den jeweiligen Neurosen geprägt. Die verschiedenen Phasen entstehen seiner Auffassung nach aus der interpersonellen Psychodynamik (vgl. a.a.O. 1978, S.41).
Der Autor unterscheidet in seinem Ansatz sensu Heigel-Evers/Evers zwischen bewusst und unbewusst ablaufenden Prozessen der Normbildung (vgl. a.a.O. 1978, S. 42). Unter bewusst ablaufenden Vorgängen fasst er die reflexiv-interaktionelle Ebene des Verhaltens. Mit den unbewussten Prozessen sind zwei weitere Aspekte des Verhaltens angesprochen, die Ebene des prä-ödipalen Geschehens sowie die Ebene ödipalen Verhaltens in einer Gruppe (vgl. a.a.O. 1978, S. 42).
2.1 Die prä-ödipale Ebene
Durch die primär unklare Gruppensituation wird ein alter Konflikt aus der frühen Kindheit reinszeniert. Es geht hier um die Frage der Identität, d.h. um die lebensnotwendige Unterscheidung zwischen Ich und Nicht-Ich.
Die Gruppenteilnehmer zeigen gerade in dieser Anfangsphase ein überstarkes orales Bedürfnis (nach umfassender Versorgung, gleich dem eines Säuglings) und haben Schwierigkeiten mit der Abgrenzung als eigenständiges Individuum. Der Gruppenleiter wird in dieser Orientierungsphase als „gute Mutterbrust“ phantasiert. Wird das Bedürfnis nach ‚mütterlicher Umsorgung’ frustriert, setzt dies Aggressionen frei, die jedoch nur selten gegen die Person des Gruppenleiters gerichtet werden (vgl. a.a.O. 1978, S. 56 f.).
Die Aggression (gegenüber der bösen Brust) wird externalisiert, d.h. sie wird auf ein anderes Gruppenmitglied (Sündenbock) verschoben oder führt zu einer gereizten Grundstimmung. Das mit dieser Aggression besetzte ‚diffuse Etwas’ wird alsdann an irgendwelchen Äußerlichkeiten, wie fehlender Thematik, Größe der Gruppe, Hässlichkeit des Raumes etc. dingfest gemacht. Die frustrierte (unbewusste) Erwartung an den Gruppenleiter wird mit der Externalisierung abgewehrt, wodurch das Innere als durch und durch ‚gut’ erlebt werden kann – das ‚Böse’ kommt von außen (vgl. a.a.O. 1978, S. 56).
Das soeben dargestellte Phänomen beschränkt sich nicht allein auf die Person des Gruppenleiters. Auch die Gruppe als Ganzes wird als ‚gute’ bzw. ‚böse’ Mutter von den einzelnen Gruppenmitgliedern (Kleinstkinder) erlebt, die versorgt oder frustriert (vgl. a.a.O. 1978, S. 147).
Die ver-äußerte Aggression wird nun jedoch als Angriff auf die ‚gute’ Mutterbrust, als Verfolger, als Monster phantasiert. Dies erzeugt Angst vor der Zerstörung bzw. Rache der allumsorgenden Mutterbrust (vgl. a.a.O. 1978, S. 57). In dieser Situation wird sowohl nach einem starken Verbündeten (Gruppenleiter) gegen das ‚Böse’ gesucht, als das auch versucht wird, die Aggression ungeschehen und dadurch alles wieder gut zu machen (vgl. a.a.O. 1978, S. 57).
Das Paradoxe dieser Konstellation besteht nun darin, dass der Gruppenleiter bzw. die Gruppe als Ganzes, in der Vorstellung der Gruppenmitglieder, sowohl ‚gute’ als auch ‚böse’ Mutterbrust sowie beschützender Vater zugleich sein kann (vgl. a.a.O. 1978, S. 57).
Projektion, Introjektion, Spaltung, Rollenzuweisung bzw. Personifikation sind die charakteristischen individuellen Abgrenzungsmechanismen von gefährlichen Impulsen, i.S. kollektiver Abwehrstrategien (vgl. a.a.O. 1978, S. 145).
Der in der Gruppensituation wiederbelebte intrapersonelle Konflikt zwischen Symbiosewünschen einerseits und Identitätsbestrebungen andererseits ist Ausdruck der unzulänglichen Trennung zwischen „mir“ und der „Mutter“. Anders ausgedrückt bedeutet das, die Gruppenteilnehmer empfinden sich abwechselnd selbst als Teil der Mutter, dann wieder die Gruppe als Ganzes oder den Gruppenleiter als Mutter (vgl. a.a.O. 1978, S. 58).
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- Arbeit zitieren
- Arndt Keßner (Autor:in), Christoph Herrmann (Autor:in), 2002, Psychodynamik in Kleingruppen. Theorie des affektiven Geschehens in Selbsterfahrungs- und Therapiegruppen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28977
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