Die politische Bildung müsse die Taten der NSU und den Umgang mit diesen zwingend als Zäsur verstehen, um zu hinterfragen, was politische Bildung „gegen rechts“ leisten könne und wie der aktuelle Status im Kontext zu beschreiben sei (vgl. Ahlheim 2013: 7f.). Was bei Ahlheim banal wirkt, beinhaltet allerdings implizite Annahmen, die keineswegs unkritisch zu bewerten sind und wesentliche Fragen politischer Bildung berühren: Ist politische Bildung von ihrem Selbstverständnis her tatsächlich „gegen rechts“ oder besser gegen Rechtsextremismus gerichtet, so wie Ahlheim annimmt? Oder steht ein solches Verständnis politischer Bildung nicht vielmehr im Widerspruch zur verfassungsmäßigen Meinungsfreiheit des Einzelnen? Wie ist die Rolle des Grundgesetzes in dem Kontext zu beurteilen? Auf den Politikunterricht konzentriert ist danach zu fragen, ob die seit dem Beutelsbacher Konsens anerkannten Grundsätze des Indoktrinationsverbotes und des Kontroversitätsgebotes auch im Umgang mit rechtsextremistischen Positionen uneingeschränkt gültig sind. Dieses angerissene Spannungsfeld und die Suche nach einer fundierten Position hierzu werden den ersten Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit ausmachen.
In der Öffentlichkeit zumindest wurde die Frage immer eindeutig beantwortet, schließlich wurde bei Ereignissen mit rechtsextremen Hintergrund stetig der Ruf nach der Pädagogik und insbesondere der politischen Bildung laut, um entsprechend Prävention zu betreiben und Gegenstrategien zu entwickeln. Dies musste jedoch notwendigerweise in einer Überforderung der politischen Bildung bzw. der Pädagogik und einer Fehleinschätzung des Wirkungsradius münden (vgl. u. a. Elverich 2008: 14f., Möller 1996: 159f.). [...] Der überwiegenden Enttäuschung über die oberflächlich wahrnehmbare Begrenztheit der Wirkung politischer Bildung im Kontext hat dies jedoch keinen Abbruch getan. Man könnte also meinen, dass der Beitrag politischer Bildung zur Prävention und Begegnung von Rechtsextremismus und rechtsextremen Einstellungen als gering und ineffizient zu beurteilen sei und somit eher nebensächlich erscheint. Der zweite Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit soll es dagegen sein, diese These zu entkräften und den Beweis zu erbringen, dass politische Bildung aus triftigen Gründen – mit Vorgriff auf die Beantwortung des ersten Schwerpunktes – sogar einen wesentlichen Beitrag erbringen kann, sollte und sogar muss, ohne die systemischen Grenzen dabei zu übersehen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Grundlagen von Rechtsextremismus und rechtsextremen Einstellungen in Deutschland
- Terminologie
- Rechtsextremismus als Arbeitsbegriff
- Was sind rechtsextreme Einstellungen?
- Die Entwicklung seit der Wiedervereinigung
- Zum Stand der Rechtsextremismusforschung
- Die Rolle der Pädagogik
- Tendenzen des Rechtsextremismus oder der moderne Rechtsextremismus
- Zur Komplexität der Verursachung rechtsextremer Einstellungen
- Erklärungsansätze
- Der Primat der Bildung
- Was ist Bildung?
- Formale Bildung nach Schulabschluss
- Kognitive Fähigkeiten
- Sozial-Emotionale Fähigkeiten
- Konsequenzen
- Terminologie
- Zur Logik des Dilemmas der politischen Bildung im Umgang mit Rechtsextremismus
- Demokratische Verpflichtung
- Das Konzept der wehrhaften Demokratie der BRD
- Die Rolle der politischen Bildung im Kontext
- Das liberale Paradigma der politischen Bildung und die Grundsätze des Beutelsbacher Konsenses
- Zum Grundrecht der Freiheit der Meinung
- Die Grundsätze des Beutelsbacher Konsenses
- Das Indoktrinationsverbot
- Das Kontroversitätsgebot
- Konsequenzen für die theoretische und implikative Positionierung der politischen Bildung im Spannungsfeld
- Demokratische Verpflichtung
- Einflussmöglichkeiten politischer Bildung auf Rechtsextremismus und rechtsextreme Einstellungen
- Außerschulische politische Bildung
- Schulische politische Bildung jenseits des Politikunterrichts
- Politikunterricht
- Zum Umgang mit differenten rechtsextremen Schülerkonzepten im Politikunterricht
- Der Begriff des Schülerkonzepts und dessen Begründung
- Das Massing-Modell rechtsextremer jugendlicher Zielgruppen
- Systematik
- Zielgruppenspezifische Konsequenzen für den Politikunterricht
- Rechtsextrem organisierte Jugendliche
- Rechtsextreme, in Cliquen eingebundene Jugendliche
- Rechtsorientierte Jugendliche
- Normaljugendliche mit rechtsextremen Gefährdungspotential
- Grundsätze eines präventiven und gegenstrategischen Politikunterrichts
- Grundsätze der Prävention
- Grundsatz 1: Rechtsextremismus zum Thema machen
- Grundsatz 2: Was ist moderner Rechtsextremismus?
- Grundsatz 3: Diagnostizieren rechtsextremer Schülerkonzepte
- Grundsatz 4: Politische Urteilsfähigkeit spezifisch fördern
- Grundsatz 5: Empathie als Schlüsselkompetenz
- Grundsatz 6: Die Kultur der Anerkennung
- Grundsätze der Intervention
- Grundsatz 7: rechtsextreme Vorurteile bearbeiten
- Grundsatz 8: Kommunikation aufrecht erhalten
- Grundsatz 9: Grenzsetzung der Urteils- und Handlungsfreiheit im Unterricht
- Grundsatz 10: Die Gestaltung der Lehrerrolle
- Grundsätze der Prävention
- Fazit
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die wissenschaftliche Hausarbeit befasst sich mit der Herausforderung, politische Bildung im Spannungsfeld zwischen demokratischer Verpflichtung und Meinungsfreiheit zu gestalten, insbesondere im Kontext des Umgangs mit rechtsextremen Schülerkonzepten im Unterricht. Die Arbeit analysiert die Logik des Dilemmas, das sich aus der Notwendigkeit ergibt, sowohl demokratische Werte zu verteidigen als auch die Meinungsfreiheit zu gewährleisten.
- Rechtsextremismus und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland
- Die Entwicklung des Rechtsextremismus seit der Wiedervereinigung
- Die Rolle der politischen Bildung im Umgang mit Rechtsextremismus
- Das Dilemma der politischen Bildung im Spannungsfeld zwischen demokratischer Verpflichtung und Meinungsfreiheit
- Präventive und gegenstrategische Ansätze im Politikunterricht
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema „Politische Bildung im Spannungsfeld zwischen demokratischer Verpflichtung und Meinungsfreiheit – zum Umgang mit rechtsextremen Schülerkonzepten im Unterricht“ ein und beleuchtet die Relevanz des Themas im Kontext der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus.
Das zweite Kapitel befasst sich mit den Grundlagen von Rechtsextremismus und rechtsextremen Einstellungen in Deutschland. Es werden die Terminologie, die Entwicklung seit der Wiedervereinigung und die Komplexität der Verursachung rechtsextremer Einstellungen analysiert.
Das dritte Kapitel untersucht die Logik des Dilemmas der politischen Bildung im Umgang mit Rechtsextremismus. Es werden die demokratische Verpflichtung, das liberale Paradigma der politischen Bildung und die Grundsätze des Beutelsbacher Konsenses beleuchtet.
Das vierte Kapitel analysiert die Einflussmöglichkeiten politischer Bildung auf Rechtsextremismus und rechtsextreme Einstellungen, wobei die außerschulische politische Bildung, die schulische politische Bildung jenseits des Politikunterrichts und der Politikunterricht betrachtet werden.
Das fünfte Kapitel widmet sich dem Umgang mit differenten rechtsextremen Schülerkonzepten im Politikunterricht. Es werden der Begriff des Schülerkonzepts, das Massing-Modell rechtsextremer jugendlicher Zielgruppen und die daraus resultierenden Konsequenzen für den Politikunterricht erläutert.
Das sechste Kapitel stellt Grundsätze eines präventiven und gegenstrategischen Politikunterrichts vor. Es werden sowohl Grundsätze der Prävention als auch Grundsätze der Intervention vorgestellt.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen den Rechtsextremismus, die politische Bildung, die demokratische Verpflichtung, die Meinungsfreiheit, den Beutelsbacher Konsens, den Umgang mit rechtsextremen Schülerkonzepten, die Prävention und Intervention im Politikunterricht sowie die Herausforderungen der Inklusion.
- Citar trabajo
- Marius Hummitzsch (Autor), 2013, Politische Bildung im Spannungsfeld zwischen demokratischer Verpflichtung und Meinungsfreiheit. Zum Umgang mit rechtsextremen Schülerkonzepten im Unterricht, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/289230
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