Einleitung
Die erste Intifada brach am 07.Dezember 1987 aus, nachdem bei einem Verkehrsunfall im Flüchtlingslager Jabaliya im Gazastreifen von einem Militärlastwagen vier Palästinenser getötet und mehrere schwer verletzt wurden. Die zweite Intifada nahm mit dem Besuch Ariel Sharons auf dem Haram al-Sharif, dem für Muslime heiligen Tempelberg, am 28.September 2000 ihren Anfang. 1 In den jeweils darauf folgenden Tagen und Wochen waren es palästinensische Massendemonstrationen, mehr oder minder gewaltsame Zusammenstöße israelischen Militärs mit palästinensis chen Männern und Steine werfende palästinensische Jungendliche gegenüber israelischen Panzern, die das Bild Israels und Palästinas in der weltweiten Öffentlichkeit bestimmten.
So wenig wie sich beide Intifadas mit ihren jeweiligen Auslösern erklären lassen, genauso gering sind auch über den ersten, flüchtigen Eindruck hinaus ihre Gemeinsamkeiten. Es stellt sich die Frage, inwiefern die politische und soziale Entwicklung in der Westbank und dem Gaza-Streifen im Zuge des Osloer Friedensprozesses, einen grund legend neuen Typus von Intifada hervorgebracht hat, der mit der ersten Intifada kaum mehr etwas gemein hat. Mit der Zielsetzung diese These auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, wird der zentrale Gegenstand dieser Arbeit sein, die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede beider Intifadas zu erfassen, zu analysieren und zu vergleichen. Die Ursachen, Austragungsformen, Ziele und die Folgen beider Aufstände sind die Eckpunkte, die den Vergleich strukturieren sollen. Der Schwerpunkt wird dabei auf den Ursachen und auf dem Vergleich der Organisationsformen liegen. Der Gegenstand der Arbeit gestaltet sich inhaltlich sehr reich und muss äußerst viele Aspekte berücksichtigen. Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann insofern keinesfalls erhoben werden. Darüber hinaus müssen zwangsläufig zahlreiche an das Thema angrenzende oder zum Teil es direkt betreffende Aspekte weitestgehend außen vor gelassen werden. So konzentriert sich diese Arbeit auf die beiden Intifadas selbst und kann die Thematik der israelischen Seite als Gegenpart der Aufstände kaum bewältigen.
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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Ursachen und Hintergründe
2.1. Die Ursachen der ersten Intifada
2.2. Die Ursachen der zweiten Intifada
2.3. Die Ursachen und Hintergründe im Vergleich
3. Zur Organisation und den Austragungsformen
3.1. Gesellschaftliche Beteiligung
3.2. Beteiligung und Roller politischer und radikaler Gruppierungen
3.2.1. Die Rolle Jasir Arafats und der PLO
3.2.2. Die Rolle radikaler Gruppierungen
3.3. Palästinensische Taktiken und Methoden
3.4. Israelische Gegenmaßnahmen
4. Die Ziele und Folgen
4.1. Die Ziele
4.2. Die Folgen
5. Fazit und Schlussbemerkungen
6. Bibliographie
Die erste und die zweite Intifada im Vergleich
1. Einleitung
Die erste Intifada brach am 07.Dezember 1987 aus, nachdem bei einem Verkehrsunfall im Flüchtlingslager Jabaliya im Gazastreifen von einem Militärlastwagen vier Palästinenser getötet und mehrere schwer verletzt wurden. Die zweite Intifada nahm mit dem Besuch Ariel Sharons auf dem Haram al-Sharif, dem für Muslime heiligen Tempelberg, am 28.September 2000 ihren Anfang.[1] In den jeweils darauf folgenden Tagen und Wochen waren es palästinensische Massendemonstrationen, mehr oder minder gewaltsame Zusammenstöße israelischen Militärs mit palästinensischen Männern und Steine werfende palästinensische Jungendliche gegenüber israelischen Panzern, die das Bild Israels und Palästinas in der weltweiten Öffentlichkeit bestimmten.
So wenig wie sich beide Intifadas mit ihren jeweiligen Auslösern erklären lassen, genauso gering sind auch über den ersten, flüchtigen Eindruck hinaus ihre Gemeinsamkeiten. Es stellt sich die Frage, inwiefern die politische und soziale Entwicklung in der Westbank und dem Gaza-Streifen im Zuge des Osloer Friedensprozesses, einen grundlegend neuen Typus von Intifada hervorgebracht hat, der mit der ersten Intifada kaum mehr etwas gemein hat.
Mit der Zielsetzung diese These auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, wird der zentrale Gegenstand dieser Arbeit sein, die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede beider Intifadas zu erfassen, zu analysieren und zu vergleichen.
Die Ursachen, Austragungsformen, Ziele und die Folgen beider Aufstände sind die Eckpunkte, die den Vergleich strukturieren sollen. Der Schwerpunkt wird dabei auf den Ursachen und auf dem Vergleich der Organisationsformen liegen. Der Gegenstand der Arbeit gestaltet sich inhaltlich sehr reich und muss äußerst viele Aspekte berücksichtigen. Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann insofern keinesfalls erhoben werden. Darüber hinaus müssen zwangsläufig zahlreiche an das Thema angrenzende oder zum Teil es direkt betreffende Aspekte weitestgehend außen vor gelassen werden. So konzentriert sich diese Arbeit auf die beiden Intifadas selbst und kann die Thematik der israelischen Seite als Gegenpart der Aufstände kaum bewältigen.
Die Ursachen der ersten und der zweiten Intifada sind in den ihr vorausgegangenen Zeiträumen und Entwicklungen zu suchen. Die einleitend benannten Auslöser und die Ursachen müssen prinzipiell von einander getrennt betrachtet werden. Kommt den Ursachen selbst schließlich die entscheidende Bedeutung zu, werden die Auslöser nicht weiter behandelt. Die 20-jährige Besatzungszeit nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 und auch der Osloer Friedensprozess haben ihre Spuren in der palästinensischen Bevölkerung hinterlassen. Die Gründe für den Ausbruch beider Intifadas sind insofern in der Vergangenheit zu suchen, aber lassen eventuell bereits einen Ausblick und einen Zusammenhang zu ihren Austragungsformen erkennen. Betrachtet man die Organisation und Struktur, die Mittel und Waffen, die gesellschaftliche Beteiligung inklusive der Rolle radikalerer, politischer Kräfte wird sehr schnell deutlich, dass die gegenwärtige Widerstandsbewegung im Gegensatz zur ersten Intifada militarisiert, entsozialisiert, radikalisiert und desorganisiert ist. Es wird versucht werden zur Erklärung dieser Entwicklung einen Zusammenhang zu den Ursachen der Intifadas herzustellen. Nicht nur der palästinensische Widerstand hat sich verändert, auch die israelische politische und militärische Vorgehensweise weist Veränderungen auf. Der Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt passt sich an die Entwicklungen an.
Die Ziele beider Bewegungen, der Rückzug der israelischen Streitkräfte und ein souveräner palästinensischer Staat, erscheinen als einer der wenigen Punkte der Gemeinsamkeit. Die erste Intifada zog den Friedensprozess von Madrid und Oslo nach sich, doch bleibt die Frage, was die Al-Aksa-Intifada hervorbringen kann und will? Gibt es überhaupt eine konkrete Zielsetzung? Der Preis der zweiten Intifada ist bereits jetzt sehr hoch. Sie kostete vielen Menschen das Leben, die palästinensische Infrastruktur und die Institutionen der Palästinensischen Autonomiebehörde sind größtenteils zerstört und die wirtschaftlichen Schäden auf beiden Seiten beträchtlich.
Es bleibt abschließend zu beurteilen, ob die Erfahrungen aus der ersten Intifada zum Verständnis und vielleicht sogar zur Beendigung der zweiten Intifada beitragen könnten oder ob sich die Unterschiede zwischen beiden Bewegungen zu beträchtlich gezeigt haben.
In bezug auf die gestellte Aufgabe des Vergleichs der ersten und der zweiten Intifada stellen sich mehrere Aspekte problematisch dar. Die Materiallage erwies sich insofern schwierig, als aktuelle Monographien zu der zweiten Intifada kaum in den Bibliotheken zu bekommen sind. Dies führte zu der weiteren analytischen, den Vergleich erschwerenden Problematik, dass die Qualität und die Struktur der Materialien und die Ansätze in der Literatur zur ersten Intifada größtenteils vollkommen anderer Art als die der zweiten Intifada sind. Bei der thematischen Erschließung der zweiten Intifada muss auf Veröffentlichungen, Artikel und Berichte oftmals auch aus dem Internet zurückgegriffen werden. Eine Selektion dieser Berichte und Aufsätze nach dem Maßstab der Sachlichkeit, Unparteilichkeit und Wissenschaftlichkeit hatte hier methodisch absolute Priorität. Der israelisch-palästinensische Konflikt stellt sich nicht nur als solcher, sondern auch in der Literatur und Forschung kontrovers und emotionsgeladen dar. Ich werde mich bemühen uneinheitliche Darstellungen und Analysen beider Intifadas zu kompensieren und dem Anspruch der Objektivität Rechnung zu tragen.
2. Die Ursachen und Hintergründe
Die Ursachen beider Intifadas sind in einer Vielzahl von Faktoren zu suchen. Den beiden Aufständen ist insofern gemein, als dass ein einzelner Erklärungsansatz nicht ausreicht, um ihren Ursprung zu ergründen. Ob noch weitere Gemeinsamkeiten zu entdecken sind, wird zu sehen sein. Ihr jeweiliger historischer, sozialer und politischer Hintergrund ist ein unterschiedlicher. Nachdem die Ursachen beider Aufstände vorerst getrennt voneinander betrachtet werden, werden abschließend Parallelen und Unterschiede hervorgehoben.
2.1. Die Ursachen der ersten Intifada
Der Sechs-Tage-Krieg und seine Folgen können im Rahmen dieser Arbeit nicht behandelt werden. Auch die Entwicklung in den palästinensischen Gebieten, die Ausprägungen der Widerstandsbewegungen, die Entstehung von sozialen und zivilen Organisationen und von einem neuen palästinensischen Nationalbewusstsein in den zwanzig Jahren bis zum Ausbruch der Intifada können nicht hinführend erläutert werden. Allerdings soll anhand einiger zentraler Punkte die Entstehung des Auflehnungspotentials der ersten Intifada erklärt werden.
Die israelische Siedlungs- und Enteignungspolitik, die israelische Wirtschaftspolitik in den besetzten Gebieten und die Politik der „eisernen Faust“ von Rabin ab 1985 über den Erfahrungszeitraum der 20-jährigen Besatzung bilden die Grundlage für den Ausbruch der ersten Intifada.[2] „Die Intifada war in erster Linie die palästinensische Antwort auf die Weigerung Israels, die nationalen Rechte des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung und Eigenstaatlichkeit anzuerkennen.“[3] Shneiwer sieht in diesem Punkt die Ursache für die erste Intifada, welche ihrem Wesen nach lediglich eine neue Austragungsform des stetigen israelisch-palästinensischen Konflikts und „eine neue Phase (…) der Auseinandersetzungen zwischen der palästinensischen Nationalbewegung und dem zionistischen Kolonialismus“[4] seit Anfang des 20.Jahrhunderts darstellt. Die Ursache der Intifada korrespondiert dieser Argumentation nach mit ihrem Ziel, der Beendigung der Besatzung und der Errichtung eines souveränen palästinensischen Staates.[5]
Die israelische Politik in den besetzten Gebieten von 1967 an und die Situation der Palästinenser in der Westbank und im Gaza-Streifen sind die eine Seite. Entscheidend scheint hier die Entwicklung innerhalb des palästinensischen Volkes zu einem Punkt der ausgeprägten Unzufriedenheit und Frustration aufgrund dieser Faktoren. Eine Widerstandsbewegung in der palästinensischen Gesellschaft hat es, wenn auch in anderer Form, in den zwanzig Jahren Besatzung gegeben.[6] Die entscheidende Frage ist, welches Stadium der Entwicklung der palästinensischen Gesellschaft in den besetzten Gebieten im Jahr 1987 erreicht war, das die Bereitschaft für kollektive Auflehnung und auch bedingte Gewaltbereitschaft gewährleistete. Die Erläuterungen Herz` und Steets` ergänzen in dieser Hinsicht den obigen Ansatz. Der „Nährboden für Auflehnung“ war eine Kombination aus Frustration zum einen, resultierend aus fehlenden Alternativen zur politisch wirksamen Artikulation und der sozio-ökonomischen Lage[7] der Palästinenser, und zum anderen aus dem Vorhandensein einer intakten „Infrastruktur sozialer Organisationen“, welche die Intifada so breit angelegt ermöglichte.[8] Das Ergebnis der israelischen Wirtschaftspolitik in den besetzten Gebieten war „eine beinahe völlig auf Israel ausgerichtete Wirtschaft, eine extreme Abhängigkeit von externen finanziellen Hilfen und Einkünften, die nicht in den besetzten Gebieten erwirtschaftet wurden, und eine sehr schwache ökonomische Struktur“[9].
Die Politik der „eisernen Faust“ von Yitzhak Rabin, als Maßnahme gegen zunehmende Gewaltausbrüche 1985 eingeführt, dämmte das aufkommende Potential des offenen Widerstands nicht ein. Das Mittel der Administrativhaft[10] zum Beispiel wurde so weitläufig eingesetzt, dass „1985 etwa 40% aller männlichen erwachsenen Palästinenser mindestens eine Nacht im Gefängnis verbracht hatte“[11]. Die gemeinsame Erfahrung des Gefängnisaufenthaltes ermöglichte das Knüpfen von Kontakten und Informationsaustausch. Die etwas zynische Beschreibung Farsouns dieses Aspekts lautet: „Like the schools that the Israeli army turned into jails, it is said that the prisoners turned jails into schools of the intifada.“[12] Sterns Beschreibung der Situation in den besetzten Gebieten kurz vor Beginn der Intifada erklärt abschließend, was die Menschen zu einem Punkt der Alternativlosigkeit gelangen ließ: „Die Repressionen der israelischen Militärverwaltung – 'Sicherheitsmaßnahmen' im Sprachgebrauch der Okkupanten – gegen die palästinensische Bevölkerung nahmen zu; Verhaftungen – oft ohne Anklage – Ausweisungen, Kollektivstrafen, tagtägliche Schikanen, Schließen von Universitäten, Institutionen und Selbsthilfeeinrichtungen häuften sich.“[13]
[...]
[1] In der vorliegenden Literatur wird nahezu einheitlich dieses Datum als Beginn der Intifada benannt, obwohl es auch schon vorher gewaltförmige Ausschreitungen gab. Die israelische Regierung sieht das Scheitern der Verhandlungen in Camp David am 25.Juli 2000 als Auslöser der zweiten Intifada an, und nicht Ariel Scharons Besuch auf dem Tempelberg. Vgl. dazu Mitchell-Report, Internet…..
[2] Vgl. Shneiwer, S.114, zum Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren und Vgl.Flores, S.15-56, zur Bedeutung der 20-jährigen Besatzungszeit als Grund für die erste Intifada
[3] Shneiwer, S. 115
[4] ebd.
[5] Vgl. Flores, S.75; Vgl. Shneiwer, S.115
[6] Ausführlich hierzu Vgl. Herz / Steets, S.62-65
[7] Der Rückgang des Ölbooms und die Stagnation der israelischen Wirtschaft wirkten sich in den 80er Jahren bemerkbar negativ auf die sozio-ökonomische Lage der Palästinenser aus. Vgl. Haile, S.3-5
[8] Vgl. Herz / Steets, S.75
[9] Herz / Steets, S.74
[10] Vgl. Stern, S.12: Administrativhaft bedeutet „Gefangennahme ohne Anklage und Gerichtsverfahren, meist für einen Zeitraum von sechs Monaten (…)“.
[11] Herz / Steets, S.78
[12] Farsoun, S.239
[13] Stern, S.10
- Citation du texte
- Elfi Victoria Siebert (Auteur), 2003, Die erste und die zweite Intifada im Vergleich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28883
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