Den Anlass dieses Referats brauchte ich nicht lange zu suchen. Ich habe im Oktober 2003 mit einer Gruppe von Studenten aus unserem Fachbereich Sozialwesen und unserem Professor Dr. jur. Hubertus Lauer an einem Studentenaustausch mit der Gallaudet University in Washington teilgenommen. Um diese Erlebnisse und Eindrücke bestmöglich zu verarbeiten, schien mir und letztendlich natürlich auch meinen Prüfern, ein Referat als angebracht. Der Umgang mit dem Thema Gehörlosigkeit und den Folgen dieser Einschränkung war für mich zum damaligen Zeitpunkt praktisch unbekannt. Dies mag sich bestimmt für die meisten von uns genauso darstellen. Genau an diesem Punkt aber möchte ich anknüpfen. Gehörlosigkeit ist ein Thema, was gerade in der Sozialarbeit einen unheimlich hohen Stellenwert haben müsste. Die Problemlagen und Ängste dieser Menschen sind praktisch auf Sozialarbeit gemünzt. Sei es bei der schulischen und beruflichen Ausbildung, beim Umgang mit Ämtern oder auch nur beim Einkaufen. Gehörlose Menschen müssen einen Weg in die Gesellschaft finden können, wenn sie das wollen. Wir müssen sie dabei unterstützen, dass ist unsere Aufgabe als Sozialarbeiter.
Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Was hat das mit Amerika und unserem Austausch zu tun? In Amerika haben wir gelernt, wie ein möglicher Umgang mit Gehörlosigkeit weitestgehend ohne öffentliche Diskriminierung stattfinden kann. Sei es beim Fernsehen, dass zu 90 Prozent untertitelt ist, beim Bahn fahren mit speziellen Leuchtsignalen, beim Eintreffen der Bahn oder bei dem Buchfestival auf der „Mall“, bei dem bei jeder Rede auch ein Gebärdensprachdolmetscher übersetzt. Gehörlose könne am öffentlichen Leben teilnehmen, wenn Sie das wollen. Sie haben die Möglichkeit in einer hörenden Welt zu bestehen. Ich bin der Meinung, dass dies in Deutschland nicht in diesem Maße der Fall ist. Es ist wohl in den vergangenen Jahren viel passiert, die Gebärdensprache, die Sprache der Gehörlosen wurde anerkannt. Ich finde aber, gerade an uns allen kann es liegen, dass noch mehr getan wird. Es benötigt sicher mancher Diskussion, was man als sinnvoll und gut ansehen und was man als Unsinn abtun kann. Amerika ist nicht Deutschland und nicht alles was man in Deutschland in Sachen Gehörlosenpädagogik unternommen hat ist schlecht. Allein durch Informationen lassen sich Vorurteile abbauen und Grenzen einreisen. Genau das ist es auch, was ich mit diesem Referat erreichen möchte.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Biografie: Mein Leben als Gehörloser
3 Durch Verständnis zur Verständigung - Wege in die Gemeinschaft
4 Was ist Gehörlosigkeit?
4.1 Die Gehörlosigkeit: Eine Kommunikationsstörung
4.2 Der Versuch einer Begriffsbestimmung
4.3 Die Hörschädigung in der medizinischen Sichtweise
4.3.1 Die Schallleitungsschwerhörigkeit
4.3.2 Die Innenohrschwerhörigkeit
4.3.3 Die zentrale Schwer- und Fehlhörigkeit
4.4 Die Beurteilung des Schweregrades der Schädigung
4.4.1 Der Grad des Hörverlustes
4.4.2 Der Zeitpunkt der Schädigung
4.4.3 Die Sozialisationsbedingungen
4.4.3.1 Der Zeitpunkt des Erkennens der Hörschädigung
4.4.3.2 Die Förderkonzepte
4.4.3.3 Die technische Versorgung
4.4.3.4 Selbstbild: Kulturelle Minderheit contra Behinderung
4.4.4 Die intellektuellen Kompensationsmöglichkeiten des Einzelnen
4.5 Was ist Gehörlosigkeit – eine Zusammenfassung
5 Das Leben mit Gehörlosigkeit: „Folgen, Probleme, Perspektiven“
5.1 Die Laut- und Schriftsprache in der Kommunikation gehörloser Menschen
5.2 Die Gebärdensprache: Sprache der Gehörlosen
5.3 Der Alltag gehörloser Menschen
5.4 Die Perspektiven gehörloser Menschen in einer hörenden Welt
5.5 Das Cochlea Implant
5.5.1 Das Cochlea Implant: Die ideale Hörhilfe für spät ertaubte Menschen
5.5.2 Die Gehörlosenkultur und das Cochlea Implant
6 Der Schluss
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Ohr, Nerv, Hirnzentrum in Abschnitte unterteilt
Abbildung 2: Außen-, Mittel-, und Innenohr
Abbildung 3: Schnitt durch eine Schneckenwindung
Abbildung 4: Hörzentrum in der Großhirnrinde
Abbildung 5: Das Zusammenwirken der Aspekte, die den Schweregrad der Hörschädigung beeinflussen
Abbildung 6: Audiogramm
1 Einleitung
Den Anlass dieses Referats brauchte ich nicht lange zu suchen.
Ich habe im Oktober 2003 mit einer Gruppe von Studenten aus unserem Fachbereich Sozialwesen und unserem Professor Dr. jur. Hubertus Lauer an einem Studentenaustausch mit der Gallaudet University in Washington teilgenommen.
Um diese Erlebnisse und Eindrücke bestmöglich zu verarbeiten, schien mir und letztendlich natürlich auch meinen Prüfern, ein Referat als angebracht.
Der Umgang mit dem Thema Gehörlosigkeit und den Folgen dieser Einschränkung war für mich zum damaligen Zeitpunkt praktisch unbekannt. Dies mag sich bestimmt für die meisten von uns genauso darstellen. Genau an diesem Punkt aber möchte ich anknüpfen.
Gehörlosigkeit ist ein Thema, was gerade in der Sozialarbeit einen unheimlich hohen Stellenwert haben müsste. Die Problemlagen und Ängste dieser Menschen sind praktisch auf Sozialarbeit gemünzt. Sei es bei der schulischen und beruflichen Ausbildung, beim Umgang mit Ämtern oder auch nur beim Einkaufen. Gehörlose Menschen müssen einen Weg in die Gesellschaft finden können, wenn sie das wollen. Wir müssen sie dabei unterstützen, dass ist unsere Aufgabe als Sozialarbeiter.
Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Was hat das mit Amerika und unserem Austausch zu tun?
In Amerika haben wir gelernt, wie ein möglicher Umgang mit Gehörlosigkeit weitestgehend ohne öffentliche Diskriminierung stattfinden kann.
Sei es beim Fernsehen, dass zu 90 Prozent untertitelt ist, beim Bahn fahren mit speziellen Leuchtsignalen, beim Eintreffen der Bahn oder bei dem Buchfestival auf der „Mall“, bei dem bei jeder Rede auch ein Gebärdensprachdolmetscher übersetzt.
Gehörlose könne am öffentlichen Leben teilnehmen, wenn Sie das wollen. Sie haben die Möglichkeit in einer hörenden Welt zu bestehen.
Ich bin der Meinung, dass dies in Deutschland nicht in diesem Maße der Fall ist. Es ist wohl in den vergangenen Jahren viel passiert, die Gebärdensprache, die Sprache der Gehörlosen wurde anerkannt. Ich finde aber, gerade an uns allen kann es liegen, dass noch mehr getan wird. Es benötigt sicher mancher Diskussion, was man als sinnvoll und gut ansehen und was man als Unsinn abtun kann. Amerika ist nicht Deutschland und nicht alles was man in Deutschland in Sachen Gehörlosenpädagogik unternommen hat ist schlecht. Allein durch Informationen lassen sich Vorurteile abbauen und Grenzen einreisen. Genau das ist es auch, was ich mit diesem Referat erreichen möchte.
2 Biografie: Mein Leben als Gehörloser
Ich heiße Peter Sch. und bin 34 Jahre alt. Ich wohne in Frankfurt am Main. Seit Geburt an bin ich gehörlos.
Als ich als Kind in der Schule war, wurde ich zur Oralerziehung gezwungen. Der Klang meiner Stimme ist für viele ungewohnt, und wenn ich etwas sage, werde ich oft nicht verstanden. Viele denken, dass ich Englisch spreche. Hörende denken oft, dass ich Ausländer bin.
Von Geburt an taub, musste ich mir die Lautsprache meiner Umwelt in mühsamen Lernprozessen aneignen und konnte mein Sprechen nie durch das eigene Gehör kontrollieren. Um das Wort „Auto“ auszusprechen, brauchte ich vier Stunden Unterricht. Damals fühlte ich mich nicht wohl. Ich habe mich immer auf die Pausen gefreut, in denen wir uns in Gebärden unterhalten haben. Im Unterricht durften wir nicht gebärden.
In der Berufsausbildung und auch im ganzen Berufsleben musste ich mich mehr anstrengen, da für gehörlose Beschäftigte die Kommunikation das Problem Nummer eins ist. Ich musste nur vom Mund ablesen. Das war sehr anstrengend. Also habe ich vorgeschlagen, komplizierte Sachverhalte aufzuschreiben. Nach etwa einem halben Jahr war ich im Kollegenkreis akzeptiert. Aber die Kollegen wollten von mir keine Gebärdensprache lernen, warum weiß ich nicht. Sie denken, dass ich nicht wie Hörende arbeiten kann.
In meiner Familie muss ich mit Lautsprache kommunizieren. Mit meinem älteren Bruder, der auch gehörlos ist, unterhalte ich mich selbstverständlich in der Gebärdensprache. Bei der alltäglichen Kommunikation mit meiner hörenden Familie, Verwandtschaft und Kollegen fühle ich mich oft isoliert und denke, dass meine hörende Familie bzw. Verwandtschaft keine „richtige“ Familie für mich ist.
Ich bin durch mangelnde Information benachteiligt, die Begegnung mit Menschen, die keine Gebärden können, erlebe ich als nichts sagend. Wenn ich bei dem Treffen der Gehörlosen bin, denke ich, dass dies meine richtige Familie ist, weil dort mit Gebärdensprache kommuniziert wird und ich mich durch die Solidarität unter Gehörlosen mehr unterstützt fühle.
In einer hörenden Welt bin ich immer benachteiligt. Zum Beispiel: beim Wahlkampf.
Alle bekommen Informationen über Rundfunk und Fernsehen, wie die Politik in Zukunft gestaltet werden soll. Diese Informationsquellen gibt es für Gehörlose nicht, und der Wortschatz eines durchschnittlichen Gehörlosen reicht nicht aus, um eine Tageszeitung zu lesen. Die Gehörlosen bekommen keine Informationen und sollen doch wählen. Ich finde das nicht Recht. Ich bin behindert, aber ein Mensch wie alle anderen und habe auch die gleichen Rechte wie alle anderen. Ich will wegen meiner Behinderung nicht benachteiligt werden.
Wir Gehörlose müssen uns immer bemühen, damit die hörende Welt die Probleme der Gehörlosigkeit besser verstehen lernt.
Ich habe nicht die gleichen Möglichkeiten wie hörende Menschen zur Verfügung beispielsweise im Bereich der Medien, der Kultur oder bei anderen Freizeitangeboten. Dies setzt sich natürlich auch in Bereichen des Arbeitslebens fort. Leider gibt es zu wenige DolmetscherInnen.
Die Deutsche Gebärdensprache DGS ist die Muttersprache der Gehörlosen. Sie ist keine primitive Gestensprache, sondern stellt ein eigenes Kommunikationssystem auf der Basis einer festgeschriebenen Grammatik dar, mit der sich die Gehörlosen untereinander verständigen.
Mittlerweile wurde die Deutsche Gebärdengesprache ja anerkannt. Das war ein langer Weg.
In meiner Freizeit arbeite ich ehrenamtlich als Leiter der katholischen Gehörlosengemeinschaft in Offenbach und organisiere Ausflüge, Erholungsreisen, Bildungsreisen und Informationstage, damit Gehörlose mehr Informationen bekommen. Auch halte ich Gebärdensprachkurse beim Landesverband der Gehörlosen in Frankfurt und als Referent des Caritasverbandes in Mainz für interessierte Hörende. Zurzeit wollen viele Hörende gern an Gebärdensprachkursen teilnehmen, aber die Plätze sind nicht ausreichend.
Ich wundere mich, dass so viele Hörende, die keine Gehörlosen kennen und den Film „Jenseits der Stille“ gesehen haben, großes Interesse an der Gebärdensprache haben. Bei den Gebärdensprachkursen kann ich einige hörende Freunde finden. Durch hörende Freunde, die die Gebärdensprache beherrschen, kann ich viel über die hörende Welt erfahren.
Das Cochlea Implant halte ich für überflüssig. Die Cochlea Implantierten können keineswegs normal hören. Sie hören Geräusche, müssen die Zuordnung dieser Geräusche aber erst erlernen. Wenn die Implantation erst spät im Leben erfolgt, ist das ein wirkliches Problem. Eine Restschwerhörigkeit bleibt. Da ich seit Geburt gehörlos bin, will ich auch so gehörlos bleiben. Gehörlos ist gehörlos. Nur Gott hat die Menschen erschaffen. Ich will nicht wie ein Versuchskaninchen behandelt werden.[1]
3 Durch Verständnis zur Verständigung - Wege in die Gemeinschaft
Eine unsichtbare Behinderung wie die Gehörlosigkeit lässt sich nicht einfach nachvollziehen.
Im Gegensatz zum Sehsinn, ist es beim Hörsinn schwierig, ihn vollkommen auszuschalten. Das Ohr lässt sich nicht so einfach verschließen wie das Auge. Bei allem Aufwand bleibt doch meist ein Rest, den man hört und den man vor allen Dingen auch einordnen kann.[2]
Gehörlosigkeit bedeutet mehr als nur einen Funktionsausfall des Sinnesorgans Ohr. Sie hindert den betroffenen Menschen an der Entwicklung seiner Persönlichkeit.
Im heutigen Kommunikationszeitalter läuft das meiste über die Sprache ab. Gehörlose Menschen aber leben in einer Welt der Stille, ohne diese Lautsprache. Eine Teilhabe an der Welt der Hörenden ist zumindest nicht ohne weiteres möglich. Man ist durch seine Behinderung gehandikapt. Hörende können sich nicht in gehörlose Menschen hineinversetzen, sie können lediglich helfen, die Barrieren zwischen den beiden Welten abzubauen. In der Gehörlosengemeinschaft sind die Betroffenen durch ihre gemeinsame Sprache, nämlich die Gebärdensprache integriert. Es wird aber auch die Gemeinschaft mit den Hörenden benötigt. Gehörlose Menschen leben schließlich mit Hörenden zusammen. Dieses Zusammenleben erfordert aber verständnisvolle Mitmenschen.
Viele Hörende geben sich große Mühe, um sich mit gehörlosen Menschen verständigen zu können. Voraussetzungen hierfür sind jedoch langsameres Sprechen, eine deutliche Aussprache, kurze Sätze und möglichst einfache Wörter. Und nicht zuletzt muss jeder Hörende, der Kontakt zu gehörlosen Menschen sucht, über die Gehörlosigkeit und deren Auswirkungen Bescheid wissen.
Leider tun sich Hörende immer wieder sehr schwer damit, zwanglos mit gehörlosen Personen in Kontakt zu kommen. Beide Seiten fühlen sich hilflos, da sie sich nicht in der jeweiligen Umgangssprache unterhalten können. Für viele Gespräche sind daher gehörlose Menschen auf gute Gebärdensprachdolmetscher angewiesen.[3]
4 Was ist Gehörlosigkeit?
4.1 Die Gehörlosigkeit: Eine Kommunikationsstörung
Eine Hörbehinderung ist weder mit technischen Hilfsmitteln noch mit einer noch so guten Sprachförderung aus der Welt zu schaffen, auch wenn es von außen betrachtet so aussieht. Keiner der Guthörenden kann ermessen, welches Ausmaß an Konzentration, Willenskraft und Belastbarkeit Menschen mit einer Hörschädigung im Gespräch mit Guthörenden brauchen, um aus zerstückelten Worten, verzerrten Tönen und unvollständigen Satzteilen das Richtige zu verstehen. Hinzu kommen oft Unsicherheit und Angst vor Missverständnissen, die Angst, anderen durch häufiges Nachfragen auf die Nerven zugehen oder als dumm dazustehen.
Kommunikation ist für hörgeschädigte Menschen sehr störanfällig. Spricht die PartnerIn nicht deutlich und zugewandt, fällt das Licht ungünstig und ist damit das Mundablesen erschwert oder sprechen mehrere gleichzeitig, so ist der Kontakt unterbrochen. Zudem sind gut hörende Menschen kaum in der Lage, sich ein Leben ohne Gehör vorzustellen und sich in das Erleben hörgeschädigter Menschen hineinzuversetzen. Da deren Situation gut hörenden Menschen ungleich fremdartiger erscheint als beispielsweise die Erlebniswelt blinder Menschen, vergessen sie leider nur allzu schnell, die Erfordernisse in der Kommunikation mit hörgeschädigten Menschen zu beachten. Umso wichtiger ist es, schon hörgeschädigten Kindern und Jugendlichen frühzeitig zu vermitteln, wie sie selbstbewusst, jedoch in angemessener Form, immer wieder auf ihre speziellen kommunikativen Bedürfnisse und sicherlich auch Rechte hinweisen können. Hörgeschädigte Kinder und Jugendliche sind nämlich grundsätzlich durchaus positiv zum Leben eingestellt, trauen sich etwas zu und gehen mutig ihren Weg.
Unsere Aufgabe in der Sozialarbeit ist es, sie auf diesem Weg zu begleiten. Hörgeschädigte Menschen, die sich und ihre Anliegen nicht verstecken müssen, sondern die Möglichkeit haben über Gefühle zu sprechen, Erfahrungen auszutauschen und eventuell sogar im Rollenspiel neue Verhaltensweisen auszuprobieren, besitzen wertvolle Hilfen zur Bewältigung stressbeladener Situationen. Denn ebenso wie die Hörschädigung kann man auch Gefühle von Angst, Unsicherheit und Ausgeschlossenheit, mit denen Gehörlose unter Umständen täglich konfrontiert werden, nicht sehen. Sie müssen unter Berücksichtigung des ganzen Ausmaßes der Wahrnehmungsveränderungen und ihrer seelischen Begleiterscheinungen aktiv angegangen werden.[4]
4.2 Der Versuch einer Begriffsbestimmung
Ein Definitionsversuch des Begriffs „Gehörlosigkeit“ erfordert die Frage:
„Was ist Gehörlosigkeit“?
Dabei sind drei Perspektiven und damit Teilfragen zu berücksichtigen:
- Was ist Gehörlosigkeit für die verschiedenen Fachwissenschaften, die sich mit Hörschädigungen befassen, wie beispielsweise Medizin, Pädagogik, Psychologie, Soziologie?
- Was ist Gehörlosigkeit für die mit Gehörlosen im Kontakt stehenden Menschen?
- Was ist Gehörlosigkeit für die Betroffenen selbst?
Nachfolgend versuche ich auf die Fragestellungen einzugehen und die verschiedenen Standpunkte darzustellen.
4.3 Die Hörschädigung in der medizinischen Sichtweise
„Der Begriff Hörschädigung ist eine Sammelbezeichnung für die Funktionsbeeinträchtigung der akustischen Reizaufnahme und –verarbeitung.“[5]
Hiermit wird sowohl die Reizaufnahme durch das Sinnesorgan Ohr wie auch die Reizleitungs- und zentralnervöse Verarbeitungsstörung im akustischen Bereich bezeichnet.
In nachfolgender Abbildung 1 zeige ich den schematischen Aufbau eines Gehöres, vom eigentlichen Ohr, über den Hörnerv bis hin zum Gehirn:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Ohr, Nerv, Hirnzentrum in Abschnitte unterteilt[6]
In der Medizin wird der Begriff der Schwerhörigkeit im Zusammenhang mit der Beschreibung von Hörschädigungen für Verluste des Hörvermögens in unterschiedlicher Ausprägung benutzt.
Man spricht hier nur von Gehörlosigkeit, wenn ein vollständiger bzw. nahezu vollständiger Hörverlust vorliegt, was jedoch relativ selten auftritt. Dies ist in der Pädagogik und in der Psychologie anders, worauf ich aber noch kommen werde.
Die Schwere der Schädigung wird in der Medizin nach dem Grad des Hörverlustes bestimmt, welche in Dezibel im für das menschliche Ohr wahrnehmbaren Bereich gemessen wird.
Man teilt diese Hörstörungen hinsichtlich des Ortes der Schädigung oder ihrer wahrscheinlichen Ursache in drei große Gruppen ein:
4.3.1 Die Schallleitungsschwerhörigkeit
Bei einer Schallleitungsschwerhörigkeit liegt eine Schädigung des Außen- bzw. Mittelohres vor.
Der Schall kann nicht oder nicht mit der notwendigen Intensität an das Innenohr weitergeleitet werden.[7] Den schematischen Aufbau von Außen und Mittelohr zeigt folgende Abbildung 2:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Außen-, Mittel-, und Innenohr[8]
(H: Hammer; A: Amboss; S: Steigbügel) / angedeutet ist die Bewegung bei der Schallleitung
Durch die Missbildung einer Ohrmuschel, die Verengung des Gehörganges oder die Beschädigung des Trommelfells kann hier eine Schwerhörigkeit hervorgerufen werden.
4.3.2 Die Innenohrschwerhörigkeit
Die eigentlichen Sinneszellen liegen in der das Innenohr bildenden Gehörschnecke (Chochlea).
Diese kleinen Härchen werden durch die Schallwellen bewegt und veranlassen eine Reizweiterleitung durch den Hörnerv. Sind diese Haarsinneszellen in irgend einer Art geschädigt, führt dies zur schwer therapierbaren Innenohrschwerhörigkeit.[9] Nachfolgende Abbildung 3 zeigt den Schnitt durch eine Schneckenwindung:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Schnitt durch eine Schneckenwindung[10]
4.3.3 Die zentrale Schwer- und Fehlhörigkeit
Gleichermaßen kann die Hörfähigkeit durch die Schädigung des Hörnerves bzw. der für das Hören verantwortlichen Hirnregionen beeinträchtigt sein. Neben einem Hörverlust können auch Verarbeitungsfehler auftreten. Dies kann sich etwa in einer fehlerhaften bzw. fehlenden Zuordnung von Höreindrücken auswirken.[11] In folgender Abbildung 4 zeige ich die schematische Darstellung des Hörzentrums in der Großhirnrinde:
[...]
[1] aus: Neue Caritas Spezial, Gehörlosigkeit – Hilfen der Caritas für eine unsichtbare Behinderung, 2000 S. 8
[2] Vgl.: Franke/Kretschmer/Stein, Die Beratung hörgeschädigter Rehabilitanden im Berufswahlprozess, 2002, S. 10
[3] Vgl. Neue Caritas Spezial, Gehörlosigkeit – Hilfen der Caritas für eine unsichtbare Behinderung, 2000 S. 9
[4] Vgl. Neue Caritas Spezial, Gehörlosigkeit – Hilfen der Caritas für eine unsichtbare Behinderung, 2000 S. 12
[5] Zit.: Franke/Kretschmer/Stein, Die Beratung hörgeschädigter Rehabilitanden im Berufswahlprozess, 2002, S. 21
[6] aus: Franke/Kretschmer/Stein, Die Beratung hörgeschädigter Rehabilitanden im Berufswahlprozess, 2002, S. 21
[7] Vgl.: Franke/Kretschmer/Stein, Die Beratung hörgeschädigter Rehabilitanden im Berufswahlprozess, 2002, S. 22
[8] aus: Franke/Kretschmer/Stein, Die Beratung hörgeschädigter Rehabilitanden im Berufswahlprozess, 2002, S. 22
[9] Vgl.: Franke/Kretschmer/Stein, Die Beratung hörgeschädigter Rehabilitanden im Berufswahlprozess, 2002, S. 22
[10] aus: Faller, Der Körper des Menschen, 1995, S. 460
[11] Vgl.: Franke/Kretschmer/Stein, Die Beratung hörgeschädigter Rehabilitanden im Berufswahlprozess, 2002, S. 23
- Quote paper
- Bernd Kammermeier (Author), 2004, Leben ohne Gehör - Wege zur Verständigung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28669
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