I. Einleitung
Thematischer Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit soll das Verhältnis von Photographie und
Literatur in ausgewählten Texten des Pop-Literaten Rolf Dieter Brinkmann sein. Dabei sollen
Untersuchungen über die bei Brinkmann betriebene Intermedialität in Verbindung gesetzt
werden mit konkreten Textbeispielen, an denen die Beziehung von literarischer Umsetzung
basierend auf photographischen Elementen zu ihrer intermedialen Funktion ermessen werden
soll. Die Orientierung erfolgt dabei nach chronologischen Gesichtspunkten, die
angesprochenen Brinkmann´schen Werke werden nach den Jahren ihres Entstehens
interpretiert. Thematische, funktionelle und technische Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede
sollen dabei in einen Bezug zueinander gesetzt werden. Die verschiedenen Weisen, in denen
Brinkmann Photographie und Literatur miteinander verknüpft, sollen deutlich werden, ebenso
wie Brinkmanns komplexer Wandel im Laufe der Zeit, der den Umgang mit dieser Thematik
betrifft. Am Ende sollen auch die Tagebücher Erwähnung finden, sowohl in der Analyse
einzelner Seiten auch in der Gesamtkonzeption des Werkes. Montage-und Collagetechniken,
mit denen Brinkmann arbeitet, sind ebenso nicht außer Acht zu lassen wie das verwendete
Material, dessen ursprüngliche Funktion bzw. dessen Kontext und die Funktion, welches es
nun in Brinkmanns Tagebüchern übernimmt.
II. Das Gedicht „Photographie“ im Kontext einer Photobeschreibung
Brinkmann verdeutlicht seine poetischen Idealvorstellungen im Motiv des „Snap-shot“, dem
er sich in seinen Gedichten immer wieder annähert, andererseits variiert oder durchbricht er
es. Den Werken liegt eine Form der Wahrnehmung zugrunde, die sich oft genug aus den
Bereichen der Photographie, der filmischen Darstellung oder der Popmusik herausbildet. Das
hat zur Folge, dass sich Brinkmanns Gedichte im schmalen Grenzbereich zwischen der
herkömmlichen lyrischen Form und der modernen Kultur der Massen bewegen. Explizit
ausgedrückt bedeutet das, dass sie weder der einen noch der anderen Form angehören bzw.
dass sie mitunter Merkmale beider Formen aufweisen. Brinkmann führt damit einen Angriff
auf die Eigenständigkeit der Kunst, im Mittelpunkt seiner Kritik steht das Verhältnis von
traditionellem Kunstverständnis und den Ausgeburten der Massenkultur.
Inhaltsverzeichnis
I Einleitung
II Das Gedicht „Photographie“ im Kontext einer Photobeschreibung
III Kritik an der Massenkultur und Bewusstseinsindustrie – Die attributslose „Schauspielerin“
IV Brinkmanns Tagebücher – Montagetechniken, Funktion und Auswahl von Bildern und Texten
V Brinkmann in Italien – persönliche Eindrücke verarbeitet im Reisetagebuch Rom,Blicke
VI Westwärts 1 & 2 - Bilder städtischen Lebens und deren Wirkung im Gedicht „Fotos 1,2“
VII Schlussbetrachtung
Anhang
Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Thematischer Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit soll das Verhältnis von Photographie und Literatur in ausgewählten Texten des Pop-Literaten Rolf Dieter Brinkmann sein. Dabei sollen Untersuchungen über die bei Brinkmann betriebene Intermedialität in Verbindung gesetzt werden mit konkreten Textbeispielen, an denen die Beziehung von literarischer Umsetzung basierend auf photographischen Elementen zu ihrer intermedialen Funktion ermessen werden soll. Die Orientierung erfolgt dabei nach chronologischen Gesichtspunkten, die angesprochenen Brinkmann´schen Werke werden nach den Jahren ihres Entstehens interpretiert. Thematische, funktionelle und technische Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede sollen dabei in einen Bezug zueinander gesetzt werden. Die verschiedenen Weisen, in denen Brinkmann Photographie und Literatur miteinander verknüpft, sollen deutlich werden, ebenso wie Brinkmanns komplexer Wandel im Laufe der Zeit, der den Umgang mit dieser Thematik betrifft. Am Ende sollen auch die Tagebücher Erwähnung finden, sowohl in der Analyse einzelner Seiten auch in der Gesamtkonzeption des Werkes. Montage- und Collagetechniken, mit denen Brinkmann arbeitet, sind ebenso nicht außer Acht zu lassen wie das verwendete Material, dessen ursprüngliche Funktion bzw. dessen Kontext und die Funktion, welches es nun in Brinkmanns Tagebüchern übernimmt.
II. Das Gedicht „Photographie“ im Kontext einer Photobeschreibung
Brinkmann verdeutlicht seine poetischen Idealvorstellungen im Motiv des „Snap-shot“, dem er sich in seinen Gedichten immer wieder annähert, andererseits variiert oder durchbricht er es. Den Werken liegt eine Form der Wahrnehmung zugrunde, die sich oft genug aus den Bereichen der Photographie, der filmischen Darstellung oder der Popmusik herausbildet. Das hat zur Folge, dass sich Brinkmanns Gedichte im schmalen Grenzbereich zwischen der herkömmlichen lyrischen Form und der modernen Kultur der Massen bewegen. Explizit ausgedrückt bedeutet das, dass sie weder der einen noch der anderen Form angehören bzw. dass sie mitunter Merkmale beider Formen aufweisen. Brinkmann führt damit einen Angriff auf die Eigenständigkeit der Kunst, im Mittelpunkt seiner Kritik steht das Verhältnis von traditionellem Kunstverständnis und den Ausgeburten der Massenkultur.[1]
Der 1964 erschienene Gedichtband Le Chant du Monde enthält ein Kurzgedicht mit dem Titel „Photographie“.
Photographie
Mitten
auf der Straße
die Frau
in dem
blauen
Mantel.[2]
Auffällig ist auf den ersten Blick bereits die lakonische Kürze des Textes, dessen Wiedergabe lediglich in einer Wiederholung des Dargestellten gipfeln würde. Jeglicher Kommentar zum Inhalt erscheint daher dem Betrachter überflüssig, einzig die subtile Präsenz des lyrischen Ichs, dessen Funktion einer näheren Betrachtung durchaus lohnt. Das lyrische Ich kann das Betrachten der Frau auf drei Ebenen vollziehen, ohne dass dies im Gedicht exakt zu unterscheiden ist. Zum einen die Vorstellung, dass es eine Frau auf offener Straße sieht und beobachtet, zum anderen erscheint das Vorhaben, eine Frau auf der Straße zu photographieren ebenfalls plausibel. Dem dritten Aspekt liegt das Betrachten einer Photographie, auf der die besagte Frau abgebildet ist, zugrunde. Für den Leser ist es letztlich ununterscheidbar, welcher Anlass nun die Grundlage des Textes bildet, sei es nun eine reale Szene oder lediglich eine Photographie. Dass die Frau nicht der eigentliche Mittelpunkt des Gedichtes ist, lässt sich bereits aus dem Titel ableiten, der auf das Themenmotiv der „Photographie“ verweist. Die Photographie steht somit im Mittelpunkt des lyrischen Wirkens, und lediglich auf dieser zweiten Ebene ist eine Frau im Mittelpunkt projiziert.
Es erfolgt auf der Text-Ebene eine Imitation einer Photographie, was den Anlass des Textes irrelevant erscheinen lässt angesichts der Tatsache, dass die Photo-Beschreibung zurücktritt zugunsten einer Anpassung des Textes an photographische Techniken. Der Text entfaltet eine blitzartige Wirkung in seiner Darstellung als text-bildliche Momentaufnahme, es liegt eine bloße Aufzählung von optischen Eindrücken zugrunde, ähnlich wie der Betrachter eines Photos lediglich im Angesicht des Angebildeten daraus außer dem abgebildeten Zustand und den gegenständlichen Beigaben weder einen emotionalen Verlauf noch die persönlich-historischen Hintergründe, die im Kontext des Photos stehen, zu ergründen vermag.
Dem Leser stellt sich die Frage, weshalb Brinkmann explizit diesen und keinen anderen zeitlichen und räumlichen Ausschnitt gewählt hat. Durch die bewusst in Ahnlehnung an die Photographie schlicht gewählte Sprache erwartet der Leser, dass sich hinter der Beobachtung der Frau auf der Straße eine noch tiefer gehende Sinnhaftigkeit verstecken müsse. Dennoch wird diese Erwartung enttäuscht. Der Text stellt quasi eine Abbildung der Photographie dar sowohl in seiner Schlichtheit als auch in der Weise, dass er die Gleichgültigkeit des Photos gegenüber dem Abgebildeten nachzuahmen versucht. Die Objektivität der Photographie bestehe darin, dass sie im Gegensatz zum menschlichen Auge und dessen Wahrnehmungsfähigkeit in der Lage sei, Situationsdetails ohne intuitive Einflüsse ausnahmslos zu rezipieren und ohne Selektion zu erfassen. Die Abbildung dieser Details einer Szene, die dem menschlichen Auge beim direkten Erleben versagt bleiben, da sie Beteiligten in der diesbezüglichen Situation nebensächlich oder belanglos erscheinen, machen die Photographie zu einem Mittel erfahrbarer Realität. Die Photographie in ihrem dokumentatorischen und mechanischen Charakter ist jedoch nicht dazu befähigt, – und darin gleicht sie dem Licht oder der Natur selbst – auch gleichzeitig eine Interpretation ihrer selbst zu bieten.
Dies zeigt sich auch in Brinkmanns „Photographie“ – Gedicht : Im Spannungsverhältnis zwischen dem Photo und einer in ihm vermuteten Bedeutung, die gefördert wird durch die Unmittelbarkeit des gewählten Ausschnitts, wünscht sich der Leser ein stärkeres Engagement und eine exponiertere Stellung des lyrischen Ichs zugunsten einer Überbrückung der Distanz dessen zum Abgebildeten selbst – nämlich der Frau auf dem Photo. Doch die Distanz bleibt bei Brinkmann bestehen, der Photoapparat verstärkt sie, indem er nicht nur die Distanz produziert, sondern das Bild macht, dessen Bedeutung aus seiner Funktion heraus unergründlich bleibt.
Unwesentliches scheint in der sprachlichen Momentaufnahme bewusst weggelassen zugunsten dem bedeutsamen Gesamtzusammenhang, womit sich das Bild einerseits präsentiert andererseits isoliert es sich in sich selbst. In seinem 1969 erschienenen Werk Acid bezeichnet Brinkmann einen derartigen Vorgang als „Realisierung eines winzigen Teils befreiter Realität“. Ihm ist damit eine Illustrationsdarstellung gelungen, ohne dabei das Dargestellte durch sprachliche Verwendung zu einem unsinnlichen Gesamtkörper werden zu lassen.[3]
[...]
[1] Vgl. Burglind Urbe, Lyrik, Fotografie und Massenkultur bei Rolf Dieter Brinkmann, Frankfurt/Main 1985, S. 79/80.
[2] In : Rolf Dieter Brinkmann, Standphotos, Reinbek bei Hamburg 1980, S. 52.
[3] Vgl. Burglind Urbe, Lyrik, Fotografie und Massenkultur bei Rolf Dieter Brinkmann, S. 80-82.
- Arbeit zitieren
- Holger Hufer (Autor:in), 2004, Intermedialität - Photographie und Literatur bei Rolf Dieter Brinkmann, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28578
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