Friedrich Nietzsches Philosophie ist holistisch, d.h. Nietzsche entwirft einen – unsystematischen – Theorienkomplex, welcher die Welt als Ganzes erklären soll. Es ist daher sinnvoll, Nietzsche eine bestimmte Kosmologie zuzuschreiben, welche die Struktur unseres Universums und ggf. die Struktur anderer Universen thematisiert.
Nietzsches Kosmologie und aktuelle Multiversumstheorien
Von Ulrich Goetz
1. Ausgangsthese:
Nietzsches Philosophie ist holistisch, d.h. Nietzsche entwirft einen – unsystematischen – Theorienkomplex, welcher die Welt als Ganzes erklären soll. Es ist daher sinnvoll, Nietzsche eine bestimmte Kosmologie zuzuschreiben, welche die Struktur unseres Universums und ggf. die Struktur anderer Universen thematisiert.
Mit seiner Lehre von der „ewigen Wiederkehr des Gleichen“ legt Nietzsche zunächst einen moralischen Imperativ vor, fügt aber später eine wissenschaftlich-theoretische Erläuterung an. Er geht von zwei Grundannahmen aus: a) Die Gesamtmenge von Energien und Kräften (Mächten) in unserem Universum ist endlich.[1] Folglich ist auch die Summe aller möglichen Kräfte-Kombinationen begrenzt. b) Die Zeit ist unendlich und bedingt eine ewige Neuerstehung des Universums. Alle möglichen Kräfte-Kombinationen bzw. alle möglichen Universen gelangen somit unendlich oft ins Dasein. Die Kernfrage ist nun für Nietzsche, wie sich der einzelne Mensch zu dieser Lehre positioniert. (Abel, S.191f.)
Nietzsches Lehre von der „ewigen Wiederkehr des Gleichen“ korrespondiert mit der Multiversumstheorie hinsichtlich der Vorstellung, jeder von uns hätte Doppelgänger in anderen Universen bzw. anderen Versionen unseres Universums. (Hürtner / Rauner, S.145f.)
„Die Paradoxie der unzähligen Doppelgänger hat zum ersten Mal Friedrich Nietzsche formuliert. In einem Text, der zu denen gehört, die später seine Schwester und Peter Gast unter dem Titel Der Wille zur Macht herausgaben, heißt es, dass die Welt ‚eine berechenbare Zahl von Kombinationen, im großen Würfelspiel ihres Daseins, durchzumachen hat. In einer unendlichen Zeit würde jede mögliche Kombination irgendwann einmal erreicht sein; mehr noch: sie würde unendliche Male erreicht sein.‘“ (Barrow, S.159f.)
Das Thema „Unendlichkeit“ ist hochkomplex. Mathematisch betrachtet gibt es laut Georg Cantor verschiedene Größen der Unendlichkeit: Eine unendliche Zahl wird nicht größer, wenn sie mit einer anderen unendlichen Zahl multipliziert oder addiert wird. Nimmt man jedoch eine unendliche Zahl hoch einer anderen unendlichen Zahl, so ist das Ergebnis sehr wohl größer als die ursprüngliche Zahl. Die entscheidende Frage lautet nun im kosmologischen Kontext: Gilt dies auch für die physikalische Welt? (Hürtner / Rauner, S.64)
Hinsichtlich des Raums diskutieren Physiker gegenwärtig zwei Möglichkeiten unendlicher Wiederholung: Erstens, unser Universum ist unendlich groß, so dass es Doppelgänger von uns in weiter Entfernung geben muss, weil sich die räumlichen Strukturen wiederholen. (Dieser Ansatz geht nicht mit Nietzsche konform.) Zweitens, es gibt eine unendliche Vielzahl von Universen, die parallel existieren: Ein Multiversum. (Barrow, S.189)
[...]
[1] Die Physik postuliert das Gleiche in Hinsicht auf Materie und Energie. (Vgl. Kaku, S.383f.)
- Quote paper
- Ulrich Goetz (Author), 2012, Nietzsches Kosmologie und aktuelle Multiversumstheorien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/285466