Einleitung und Überblick
Jahr für Jahr finden über 150 Millionen Deutsche ihren Weg in eines von über 1.800 Kinos in Deutschland, um sich dort einen Film anzusehen (vgl. Filmförderungsanstalt, 2002d). Wie kommt es dazu? Wollen diese Menschen in ihrer Freizeit einfach mal ins Kino gehen, egal welcher Film läuft? Oder gehen die Leute nur ins Kino, wenn sie einen bestimmten Film sehen wollen? Warum gehen Menschen überhaupt ins Kino?
Bevor eine Person zum Kinobesucher wird, steht sie vor zwei Entscheidungen: Möchte ich ins Kino gehen? Welchen Film will ich sehen? Aus einer Fülle von möglichen Freizeitaktivitäten gilt es, sich für das Verhalten „Kinobesuch“ zu entscheiden, aus einem Angebot von Kinofilmen für einen bestimmten Film. Kinobesuch und Filmauswahl hängen augenscheinlich zusammen, die Frage ist jedoch, wer sich wann, wie, warum und aufgrund welcher Kriterien wofür entscheidet: Sind Entspannung, Geselligkeit und Spaß wichtige Motive für den Kinobesuch, oder dreht es sich für den Zuschauer dabei doch eher um Lernen, soziale Nützlichkeit und Identifikationsprozesse mit Darstellern? Welche Rolle spielen persönliche Präferenzen im Hinblick auf die Kinoart und das Filmgenre? Wie wichtig sind Informationen, die man vorab z.B. durch die Medien über Filme erhalten kann, bei der Filmauswahl? Genau diesen Fragen möchte sich diese Diplomarbeit widmen.
Die Kinolandschaft in Deutschland hat sich mit der Verbreitung von Multiplex-Kinos verändert, einschlägige Untersuchungen weisen darauf hin, dass diese „neue“ Art des Kinos immer mehr Zulauf durch die Kinobesucher erfährt. Ändern sich dadurch eventuell auch die Ansprüche der Kinobesucher an das Kino? Wird Service wichtiger? Wie wichtig sind bestimmte Eigenschaften, die ein Kino haben kann? Die Präferenzen des Kinopublikums hinsichtlich der Kinoart und des dortigen Angebots sind bisher kaum in Untersuchungen eingeflossen, könnten jedoch ebenfalls zum Wissensstand über das heiß umworbene Kinopublikum beitragen.
INHALTSVERZEICHNIS
1 Einleitung und Überblick
2 Kino und Kinobesucher in Deutschland – Fakten und Zahlen
2.1 Daten zum deutschen Kino
2.1.1 Saal- und Leinwandbestand
2.1.2 Kinoarten und Filmprogramm
2.1.3 Kinoumsatz und Eintrittspreisniveau
2.2 Daten zum Kinopublikum in Deutschland
2.2.1 Der Stellenwert des Kinobesuchs innerhalb der Freizeitgestaltung
2.2.2 Zur Definition des Begriffs „Kinogänger“ und der Identifikation von „Kinogängertypen“
2.2.3 Die Entwicklung der Besucherzahlen
2.2.4 Soziodemographische Daten zum Kinopublikum
3 Stand der Forschung zu Kinobesuch, Kinonutzungsmotiven und Filmauswahl
3.1 Der Kinobesuch vor dem Hintergrund der Medienforschung
3.1.1 Die Anfänge der Medienforschung
3.1.2 Uses and Gratifications: Der Nutzen- und Belohnungsansatz
3.2 Nutzungsmotive und Gründe für den Kinobesuch
3.2.1 Palmgreen et al.: Die 10 Motivfaktoren des Kinobesuchs
3.2.2 Tesser et al.: 3 Motive für den Kinofilmbesuch
3.2.3 Berg & Frank: Filmbezogene und soziale Gründe für den Kinobesuch
3.2.4 Weitere Untersuchungen zu Kinonutzungsmotiven in Deutschland
3.2.5 Aktuelle Ergebnisse der filmorientierten Marktforschung zu Gründen für den Besuch eines bestimmten Kinofilms
3.3 Theoretische Modelle zur Filmauswahl
3.3.1 Bruce Austin: Model for movie selection
3.3.2 Exkurs: Modelle der Fernsehprogrammauswahl
3.3.3 Dirk Blothner: Modell „Zwischenschritte der Filmauswahl“
3.3.4 Zentrale Einflussfaktoren bei der Filmauswahl nach Linton & Petrovich
3.3.5 Untersuchungen und Ergebnisse im Kontext von Filmauswahl
3.4 Zusammenfassung der Ausgangslage
4 Fragestellungen der vorliegenden Arbeit
5 Methodik, Konzeption und Durchführung der Untersuchung
5.1 Entwicklung des Fragebogens und Methoden der Datenerhebung
5.1.1 Variablen zur differentiellen Beschreibung des Publikums hinsichtlich Filmauswahl und Kinonutzungshäufigkeit
5.1.2 Erfassung von Kinonutzungsmotiven
5.1.3 Erfassung von filmbezogenen Entscheidungsfaktoren
5.1.4 Erfassung von Informationsquellen über den Film
5.1.5 Erfassung von kinospezifischen Entscheidungsfaktoren
5.1.6 Erfassung von sonstigen Variablen
5.2 Datenerhebung
5.3 Datenbasis: Beschreibung der Gesamtstichprobe
5.3.1 Beschreibung der Gesamtstichprobe nach soziodemographischen Merkmalen
5.3.2 Kinonutzungshäufigkeit
5.4 Differentielle Beschreibung von Untergruppen der Gesamtstichprobe
5.4.1 Die Kinogänger
5.4.2 Filmwähler und Kinowähler
6 Ergebnisse
6.1 Deskriptive Ergebnisse
6.2 Ergebnisse zu Fragestellung 1
6.3 Ergebnisse zu Fragestellung 2
6.4 Ergebnisse zu Fragestellung 3
7 Diskussion der Ergebnisse
7.1 Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse
7.2 Diskussion der Ergebnisse in Hinblick auf Konsequenzen für zukünftige Forschung
8 Literaturverzeichnis
9 Anhang
Anhang A: Kinobesuch nach soziodemographischen Merkmalen 1993 bis 2002 (Quelle: Zoll, 2002)
Anhang B: Fragebogen
Anhang C: Kinonutzungsmotive – Itemsammlung mit Quellenangabe
Anhang D: Zuordnung einzelner Items zu theoretisch postulierten Dimensionen
Anhang E: Rotierte Komponentenmatrix zu Kinonutzungsmotiven
Anhang F: soziodemographische Daten der Gesamtstichprobe
Anhang G: Diagramme zur Kinonutzungshäufigkeit der Gesamtstichprobe
Anhang H: Diagramme zu den Kinogängern
Anhang I: Diagramme zum Wahltyp (Kino- und Filmwähler)
Anhang J: Material zu den Regressionsanalysen
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung 1: Soziodemographische Daten zum Kinopublikum in Deutschland 1999 (Quelle: Neckermann, 2000, 410)
Abbildung 2: Gründe, ins Kino zu gehen (Quelle: FDW Werbung im Kino e.V., 2000, S. 17)
Abbildung 3: Motive für den Kinobesuch in der CAG-Kinostudie (Quelle: Cinema Advertising Group, 2003, 7)
Abbildung 4: Motive für den Kinobesuch nach Altersgruppen in der CAG-Kinostudie (Quelle: Cinema Advertising Group, 2003, 6)
Abbildung 5: Zwischenschritte der Filmauswahl (Quelle: Blothner, 2003, S. 13)
Abbildung 6: Source of Awareness nach Altersgruppen (Quelle: Zoll, 2002, 43)
TABELLENVERZEICHNIS
Tabelle 1: Erstaufgeführte Langfilme nach Genres 1997 bis 2001 (Arbeitsgemeinschaft der ARD-Werbegesellschaften, 2002, 59)
Tabelle 2: 10 Motivfaktoren für den Kinobesuch nach Palmgreen et al. (vgl. Palmgreen,1988, 8f.; in deutscher Fassung zitiert nach Baum, 2003, 26)
Tabelle 3: Item-Komplexe bei Tesser et al. (1988; in deutscher Fassung zitiert nach Baum, 2003, 18f.)
Tabelle 4: 7 Interessentypen von Kinogängern nach Berg und Frank (1979, 36f. und 48)
Tabelle 5: Für Kinobesuch ausschlaggebende filmbezogene Gründe (Berg & Frank, 1979, 72)
Tabelle 6: Für Kinobesuch ausschlaggebende soziale Gründe nach Berg und Frank (1979, 73f.)
Tabelle 7: Motive für den Kinobesuch nach Settele (1996, 74); zitiert nach Prommer (1999, 113)
Tabelle 8: Studien und untersuchte Informationsquellen
Tabelle 9: Kinonutzungshäufigkeit der Gesamtstichprobe im Jahr
Tabelle 10: Soziodemographische Daten und Kinonutzungshäufigkeit im Jahr
Tabelle 11: Gelegentliche und häufige Kinobesucher in der Stichprobe
Tabelle 12: Soziodemographische Daten zu gelegentlichen und häufigen Kinogängern im Vergleich
Tabelle 13: Soziodemographische Daten zu Kino- und Filmwählern im Vergleich
Tabelle 14: Kinonutzungshäufigkeit an einzelnen Wochentagen
Tabelle 15: Rangliste der beliebtesten Kinotage
Tabelle 16: Planungsverhalten beim Kinobesuch
Tabelle 17: Stellenwert des Kinobesuchs innerhalb der Freizeitgestaltung
Tabelle 18: Art und Häufigkeit der Kinobegleitung
Tabelle 19: Entscheidungsträger bei der Filmauswahl
Tabelle 20: Nutzungshäufigkeit von Informationsquellen über Kinofilme
Tabelle 21: Relevanz von Informationsquellen über Kinofilme für die Filmauswahl
Tabelle 22: Stichprobenmittelwerte bei Filmauswahlkriterien
Tabelle 23: Prozentränge der Wichtigkeit und Unwichtigkeit von Filmauswahlkriterien
Tabelle 24: Rangfolge der Genrepräferenzen der Gesamtstichprobe
Tabelle 25: Beliebteste Genres nach Altersgruppen
Tabelle 26: Beliebteste Genres nach Geschlecht
Tabelle 27: Stichprobenmittelwerte bei Kinoauswahlkriterien
Tabelle 28: Prozentränge der Wichtigkeit und Unwichtigkeit von Kinokriterien
Tabelle 29: Nutzungshäufigkeit der Kinoarten
Tabelle 30: Präferenzen für Kinoarten
Tabelle 31: Anforderungen an den Traumkinofilm (n = 189)
Tabelle 32: Interne Konsistenzen der Motivskalen
Tabelle 33: Motive des Kinobesuchs innerhalb der Gesamtstichprobe (n = 190)
Tabelle 34: Modellzusammenfassung der Regressionsanalyse zur Erklärung der Kinonutzungshäufigkeit
Tabelle 35: Beta-Gewichte der berücksichtigten Variablen
Tabelle 36: Eigenwerte und Wilks`Lambda in der Diskriminanzanalyse
Tabelle 37: Klassifizierungsergebnisse der Diskriminanzfunktion
1 Einleitung und Überblick
Jahr für Jahr finden über 150 Millionen Deutsche ihren Weg in eines von über 1.800 Kinos in Deutschland, um sich dort einen Film anzusehen (vgl. Film-förderungsanstalt, 2002d). Wie kommt es dazu? Wollen diese Menschen in ihrer Freizeit einfach mal ins Kino gehen, egal welcher Film läuft? Oder gehen die Leute nur ins Kino, wenn sie einen bestimmten Film sehen wollen? Warum gehen Menschen überhaupt ins Kino?
Bevor eine Person zum Kinobesucher wird, steht sie vor zwei Entscheidungen: Möchte ich ins Kino gehen? Welchen Film will ich sehen? Aus einer Fülle von möglichen Freizeitaktivitäten gilt es, sich für das Verhalten „Kinobesuch“ zu entscheiden, aus einem Angebot von Kinofilmen für einen bestimmten Film. Kinobesuch und Filmauswahl hängen augenscheinlich zusammen, die Frage ist jedoch, wer sich wann, wie, warum und aufgrund welcher Kriterien wofür ent-scheidet: Sind Entspannung, Geselligkeit und Spaß wichtige Motive für den Kinobesuch, oder dreht es sich für den Zuschauer dabei doch eher um Lernen, soziale Nützlichkeit und Identifikationsprozesse mit Darstellern? Welche Rolle spielen persönliche Präferenzen im Hinblick auf die Kinoart und das Filmgenre? Wie wichtig sind Informationen, die man vorab z.B. durch die Medien über Filme erhalten kann, bei der Filmauswahl? Genau diesen Fragen möchte sich diese Diplomarbeit widmen.
Die Kinolandschaft in Deutschland hat sich mit der Verbreitung von Multiplex-Kinos verändert, einschlägige Untersuchungen weisen darauf hin, dass diese „neue“ Art des Kinos immer mehr Zulauf durch die Kinobesucher erfährt. Ändern sich dadurch eventuell auch die Ansprüche der Kinobesucher an das Kino? Wird Service wichtiger? Wie wichtig sind bestimmte Eigenschaften, die ein Kino haben kann? Die Präferenzen des Kinopublikums hinsichtlich der Kinoart und des dortigen Angebots sind bisher kaum in Untersuchungen eingeflossen, könnten jedoch ebenfalls zum Wissensstand über das heiß umworbene Kinopublikum beitragen.
„Die Branche weiß noch viel zu wenig über die Motive und Einstellungen der Kinogänger bzw. Nichtkinogänger“, so Neckermann (Arbeitsgruppe Markt-forschung und Statistik der Filmförderungsanstalt Berlin) und Klingsporn (Geschäftsführer des Verleiherverbandes) (Filmecho / Filmwoche, 1993, 3). Dieses Bekenntnis steht exemplarisch für die vorherrschende Meinung, dass die Erforschung des Kinofilmrezipienten de facto bisher nicht sehr weit gediehen ist: Zwar hat die Kinobranche (Produzenten, Verleiher, Werbe-treibende und Förderungsanstalten) ein großes Interesse daran, viel über das Kinofilmpublikum zu wissen, um Werbung und Vermarktung von Filmen effizient zu gestalten, in der Realität erhebt die Kinobranche jedoch vor allem nutzerferne, nicht-psychologische Daten zum Thema Kino, wie z.B. solche zu Einspielergebnissen, Kinobestand und Sitzplatzauslastung sowie Eintritts-preisentwicklung (vgl. Zoll, 2002 und Zoll & Schultz, 2003). Natürlich ist für diese Arbeit trotzdem die Kinopublikumsforschung, wie sie von der Kinobranche betrieben wird, von großem Interesse – vor allem deshalb, weil sich wissenschaftliche Rezipientenforschung, wie sie an akademischen Instituten in weitestgehender Unabhängigkeit von wirtschaftlichen Interessensverbänden betrieben wird, inhaltlich hauptsächlich mit den „klassischen“ Massenmedien wie Fernsehen, Zeitung, Hörfunk und Internet auseinandersetzt. Die Kinobranche beauftragt jedoch oft wissenschaftliche Einrichtungen mit Forschung rund um den Kinobesucher, ist dann jedoch vor allem auf „harte Daten“ fixiert. Im Zuge solcher Studien wird dann kein Wert auf medientheoretische Grundlagenforschung gelegt, die zum Beispiel eine empirische Überprüfung von theoretisch postulierten Dimensionen von Kinonutzungsmotiven zulässt.
Im Bereich der Kinopublikumsforschung hat sich die wissenschaftliche Forschung bisher vor allem mit solchen Kinonutzungsmotiven beschäftigt, wobei größere Itempools vorwiegend im amerikanischen Raum getestet wurden und überwiegend dort eine theoretische Dimensionierung von Nutzungsmotiven überprüft wurde. Im deutschsprachigen Raum besteht im Bereich der Kinonutzungsmotivforschung also ein Defizit, dessen sich diese Arbeit annehmen möchte, indem Items aus verschiedenen Quellen zusammen-getragen, ergänzt und einer Stichprobe vorgelegt werden.
Sehr viel seltener noch hat sich wissenschaftliche Forschung mit dem Entschei-dungsverhalten bei der Filmauswahl beschäftigt. Umfassende Modelle, die sich mit Einflussfaktoren bei der Filmauswahl auseinandersetzen, existieren nur auf theoretischer Ebene, in Einzelstudien wird lediglich der Einfluss bestimmter Faktoren wie zum Beispiel der des Filmgenres oder die Relevanz von medialen und personalen Informationsquellen hinsichtlich der Filmauswahl anhand von Daten analysiert. Marktorientierte Erhebungen der Kinobranche nennen Zahlen im Zusammenhang mit der Größe des Einflusses, den Faktoren wie Thema und Story des Films, agierende Schauspieler oder vorkommende Special Effects auf die Filmauswahl haben, dies jedoch meist im Kontext von Einflussfaktoren, welche die konkrete Filmentscheidung bestimmen. Die entscheidende Fragestellung für diese Diplomarbeit ist jedoch nicht, wie beim Kinobesucher die Entscheidung für den Besuch eines bestimmten Kinofilms zustande kommt, sondern vielmehr, welche generellen Determinanten es bei der Entscheidung für einen Film gibt.
Die vorliegende Arbeit kann thematisch betrachtet der Rezipientenforschung als einem Teilgebiet der Medienforschung zugeordnet werden, da sie sich inhaltlich mit quantitativen Aspekten und individuellen Bedingungen der Mediennutzung, hier des Mediums Kino, auseinandersetzt. Bei den individuellen Bedingungen der Kinonutzung wird das Hauptaugenmerk auf die Motive des Kinobesuchs gerichtet, sowie auf soziale und psychologische Determinanten der Film-auswahl.
Alles in allem soll in dieser Arbeit der Einfluss von generellen filmbezogenen, kinobezogenen, individuellen und sozialen Faktoren bei der Entscheidung für den Kinobesuch und bei der Filmauswahl theoretisch aufgearbeitet und anschließend empirisch überprüft werden. Ziel dieser Arbeit ist es auch, generelle Kinonutzungsmotive mit spezifischen Entscheidungskriterien bei der Filmauswahl in Zusammenhang zu bringen, nämlich solchen, die von Untersuchungsteilnehmern als relevant und wichtig für ihre Entscheidungen definiert werden. Hierbei soll am Ende auch eine Beschreibung verschiedener Nutzergruppen des „Zielgruppenmediums“ Kino (Berg & Frank, 1979, 67) ermöglicht werden, die sich auf Modelle zur Typologisierung stützt, welche im Theorieteil dieser Arbeit vorgestellt werden.
Kapitel 2 bietet zunächst grundlegende Fakten und Zahlen rund um das Kino und das Kinopublikum in Deutschland. Den theoretischen Grundlagen und dem aktuellen Forschungsstand zu den Themen Kinonutzungsmotive und Filmauswahl ist Kapitel 3 gewidmet. Hier werden auch Methoden zur Operationalisierung und Messung relevanter Variablen vorgestellt. Basierend auf diesem Theorieteil werden in Kapitel 4 Fragestellungen der vorliegenden Arbeit referiert. Kapitel 5 befasst sich mit Methodik, Konzeption und Durchführung der Untersuchung, wobei insbesondere das Entstehen des Fragebogens und Details der Erhebung an sich erläutert werden. Schließlich werden in Kapitel 6 die Ergebnisse der Untersuchung präsentiert, welche in Kapitel 7 nochmals eingehend erläutert und vor dem Hintergrund der vorangegangenen Kapitel diskutiert werden.
THEORETISCHER TEIL
2 Kino und Kinobesucher in Deutschland – Fakten und Zahlen
Das Medium „Film“ wurde geboren, als die Gebrüder Lumière am 28.12.1895 in Paris zum ersten Mal öffentlich laufende Bilder präsentierten. Es dauerte nicht lange, bis sich in Städten auf der ganzen Welt feste Abspielstätten für Filme etablierten, der Besuch eines Kinos wurde schnell zum beliebten Freizeitvergnügen für Menschen in aller Herren Länder[1]. Im Jahr 2003 gab es allein in Deutschland 1.058 Kinostandorte mit 1.842 Spielstätten (vgl. Filmförderungsanstalt, 2003a, 1). In diesem Kapitel wird die Entwicklung der Kinolandschaft in den letzten Jahren beschrieben, außerdem werden sozio-demographische Daten zum Kinopublikum und Erkenntnisse zum Stellenwert des Kinobesuchs in Deutschland vorgestellt. In allen Bereichen werden vorwiegend aktuelle Zahlen und Fakten berücksichtigt, da ein historischer Überblick über Entwicklungen für diese Arbeit nur rudimentär von Interesse ist[2].
2.1 Daten zum deutschen Kino
Die Filmtheater-Landschaft in Deutschland lässt sich gut anhand einiger Eckdaten beschreiben. In diesem Abschnitt werden daher Aussagen zu Saal- und Leinwandbestand, Kinoarten, Kinoumsatz und Eintrittspreisniveau gemacht.
2.1.1 Saal- und Leinwandbestand
Die deutsche Filmtheater-Landschaft ist seit jeher in Bezug auf die Anzahl und Art der Spielstätten Schwankungen und Änderungen unterworfen. Im Jahr 1967 gab es in Westdeutschland 4.400 Leinwände. Trotz der Wiedervereinigung, die einen bundesweiten Zuwachs um 414 Leinwände mit sich brachte, belief sich die Anzahl der Leinwände im Jahr 1991 in allen Bundesländern nur noch auf knapp 3.700 Stück (Filmförderungsanstalt, 2000e). Mit Eröffnung der ersten Multiplex-Kinos zu Beginn der Neunziger Jahre hat sich die deutsche Filmtheater-Landschaft bis zum heutigen Datum noch einmal sehr verändert. Waren es 1996 noch über 2.000 Spielstätten, die auf 4.070 Leinwänden Kinofilme zeigten (Filmförderungsanstalt, 2000b), so sind es im Jahr 2002 nur noch 1.844 Kinos mit dafür insgesamt 4.868 Leinwänden (Film-förderungsanstalt, 2002d)[3]. Somit nimmt die Anzahl der Kinos zwar kontinuierlich ab, einzelne Spielstätten haben dafür aber immer mehr Leinwände, sprich Kinosäle: 1996 waren es im Durchschnitt zwei Leinwände pro Kino, 2002 immerhin schon 2,6 Leinwände. Bähr und Neckermann sprechen in diesem Zusammenhang von einem „regelrechten Moderni-sierungsschub“ (1997, 114) in der Kinobranche, der durch den Erfolg der Multiplexe ausgelöst wurde und vor allem die traditionellen Kinos unter Wettbewerbsdruck gesetzt hat und immer noch setzt. Allein 1999 wurden in Deutschland 27 Multiplexe mit 230 Leinwänden eröffnet (Filmförderungsanstalt, 2000f, 1), im Jahr 2003 gab es insgesamt 140 Multiplexe mit 1.271 Sälen und über 312.000 Sitzplätzen in der Bundesrepublik. Damit stellen die Multiplexe aktuell rund 26 Prozent des Saalbestandes, die restlichen 74 Prozent entfallen immer noch auf die herkömmlichen Kinos (Filmförderungsanstalt, 2003a, 5).
2.1.2 Kinoarten und Filmprogramm
Unter den „herkömmlichen“ Kinos subsumiert die Filmförderungsanstalt sowohl „normale“, traditionelle Kinos, als auch Programm-, Studio- und Filmkunstkinos, die von der „neuen Kinoart“, den Multiplexen bzw. Kinocentern[4] unterschieden werden[5]. Genaue Zahlen zur Anzahl der Kinos je Kinoart liegen derzeit nicht vor, Zoll und Schultz nennen für das Jahr 2002 jedoch eine Zahl von 518 Leinwänden mit Programmkino bundesweit, wobei Berlin die höchste Programmkinodichte in Deutschland aufweist, während das Saarland und Mecklenburg-Vorpommern mit keinem einzigen Programmkino aufwarten können (2003, 6). Schon der Ausdruck „Leinwände mit Programmkino“ weist hierbei darauf hin, dass Programmkino heutzutage nicht nur in Filmtheatern stattfindet, die sich genau so nennen und ausschließlich Programmkinofilme in ihrem Angebot zeigen, sondern auch in großen Multiplexkinos, die Filmkunst als exotisches, wenn auch wenig Spielzeit einnehmendes Zusatzangebot in ihr Programm aufnehmen. Bähr und Neckermann geben für das Jahr 1995 den Anteil der Kinos, die Studio- bzw. Filmkunstprogramm zeigen, mit 20 Prozent an, während 70 Prozent der Kinos ein gemischtes Programm zeigen[6] (1997, 117). Die SPIO (Spitzenorganisation der deutschen Filmwirtschaft) stellt Jahr für Jahr eine Liste der in deutschen Kinos erstaufgeführten Filme zusammen, in der das gezeigte Filmprogramm in Genres unterteilt wird und welche zum Abschluss dieses Kapitels für die Jahre 1997 bis 2001 wiedergegeben werden soll, um eine Idee vom Programmangebot in deutschen Kinos zu vermitteln.
Tabelle 1: Erstaufgeführte Langfilme nach Genres 1997 bis 2001 (Arbeitsgemeinschaft der ARD-Werbegesellschaften, 2002, 59[7] )
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Am häufigsten finden demnach unangefochten Dramen ihren Weg vom Verleiher in die Kinos: Zwischen 113 und 146 Dramen kamen von 1997 bis 2001 pro Jahr zur Uraufführung, gefolgt von 75 bis 98 Komödien. Weitere oft vertretene Genres sind der Dokumentarfilm, der Thriller sowie Action- und Kinderfilme, die mit je 23 bis 44 Repräsentanten pro Jahr auf dem Markt erscheinen und vor allem Genres wie den Musikfilm, den Sexfilm oder den Western mit 0 bis 7 Stück pro Jahr weit hinter sich lassen. Ein Revival scheint der Fantasy-Film zu erleben, der bis 2000 mit Null Exemplaren in den deutschen Kinos vertreten war, 2001 aber gleich sechs Vertreter ins Rennen um die Gunst des Zuschauers schickte.
2.1.3 Kinoumsatz und Eintrittspreisniveau
Die Multiplexe dürfen für das Jahr 2003 mit rund 194,7 Millionen Euro 47 Prozent des Gesamtumsatzes aller Kinos verbuchen. Während der Umsatz der gesamten Kinobranche in den Jahren 1999 bis 2002 kontinuierlich auf 474 Millionen Euro anstieg, musste die Branche 2003 zum ersten Mal seit langer Zeit einen Umsatzrückgang auf 414,5 Millionen Euro hinnehmen, was einen Schwund um 12,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Die Filmförderungsanstalt erklärt diese Entwicklung mit einer zurückgehenden Eintrittspreisentwicklung: Während die Eintrittspreise von 1999 bis 2002 angestiegen waren, gingen sie 2003 um 1,4 Prozent auf durchschnittlich 5,81 Euro zurück (Filmförderungsanstalt, 2003a, 2 und Filmförderungsanstalt 2002c). Das noch bis vor kurzem hohe Eintrittspreisniveau hing damit zusammen, dass die Kinobranche hohe Investitionen bei Neubauten und Modernisierungen ausgleichen musste, gleichzeitig schienen hohe Eintritts-preise durch die gesteigerte Attraktivität der Kinos gerechtfertigt zu sein. Rückläufige Besucherzahlen im Jahr 2003 (vgl. Kapitel 2.2.3) scheinen eine mögliche Erklärung für das Sinken der Eintrittspreise im selben Jahr zu liefern. Bereits im Jahr 2000 bewiesen deutsche Kinobesucher Preisbewusstsein und gaben bei einer repräsentativen Erhebung der Gesellschaft für Konsum-forschung (GfK) in zwei Drittel der Fälle an, dass sie bei niedrigeren Eintrittspreisen öfter ins Kino gehen würden[8] (vgl. Neckermann, 2001a, 520). Diesem Sachverhalt versucht die Kinobranche nun schon seit einigen Jahren auch mit der Einrichtung von ermäßigten Eintrittstagen wie z.B. dem „Super Kino-Dienstag“, dem Halfprice-Day oder ähnlichen Konzepten wie dem „Kinopass“ gerecht zu werden. Schon 1995 boten 60 Prozent aller Kinos an bestimmten Wochentagen ermäßigte Preise an (vgl. Bähr & Neckermann, 1997, 118). Außerdem führte die Errichtung von vielen Kino-Neubauten mancherorts zu einem Überangebot an Kinos, was die Kinobetreiber zu einem Senken der Eintrittspreise veranlasste, um gegenüber der Konkurrenz bestehen zu können: Ermäßigte Preise wurden „als Wettbewerbsinstrument entdeckt“, wie es Neckermann in einem Übersichtsartikel über die Kinostruktur in Deutschland von 1991 bis 2000 umschreibt (Neckermann, 2001, 513).
2.2 Daten zum Kinopublikum in Deutschland
Das Kino hat als beliebtes kulturelles Medium seit seinem Bestehen in allen Zeiten sein Publikum gefunden. Allerdings hat sich dieses Publikum mit der Zeit natürlich verändert – ein Grund dafür ist die Zunahme beim Angebot alternativer Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, wie zum Beispiel durch die Verbreitung des Fernsehens oder später des Videoverleihs geschehen. Im Folgenden wird daher auf die Veränderungen des Stellenwerts des Kinobesuchs in der Freizeitgestaltung sowie auf die Entwicklung der Besucherzahlen in den letzten Jahrzehnten eingegangen. Danach erfolgt eine Beschreibung des aktuellen deutschen Kinopublikums nach soziodemographischen Merkmalen.
2.2.1 Der Stellenwert des Kinobesuchs innerhalb der Freizeitgestaltung
Seit 1964 erforschen Marie-Luise Kiefer und Klaus Berg im Rahmen der Langzeitstudie „Massenkommunikation“ das Ausmaß frei verfügbarer Zeit und das Mediennutzungsverhalten der deutschen Bundesbürger während und außerhalb dieser Freizeit. Neben Ergebnissen zu klassischen Massenmedien wie Hörfunk, Fernsehen, Radio und Zeitung werden hier auch einige Angaben zum Stellenwert des Kinobesuchs innerhalb der Freizeitgestaltung gemacht.
Freizeit wird von den beiden Autoren „als Restgröße definiert, die den Befragten nach dem Aufwand für Schlafen und Essen, Berufs- und Hausarbeit einschließlich Wegezeiten und sonstigen Tätigkeiten verbleibt.“ (Berg & Kiefer, 1996, 115). In den alten Bundesländern lag der Umfang an Freizeit 1964 noch bei 340 Minuten pro Werktag[9], 1980 war er auf durchschnittlich 449 Minuten angestiegen, 1995 sogar auf 478 Minuten (ebd., 115). Von diesen 478 Minuten wurden 134 außer Haus verbracht. Seit der Wiedervereinigung ist festzustellen, dass Menschen in den neuen Bundesländern ein geringeres Budget an freier Zeit zur Verfügung haben als Menschen in den alten Bundesländern: In den neuen waren es 1995 zum Beispiel 470 Minuten, in den alten dagegen 501 Minuten durchschnittlich[10]. Außerdem verbrachten Menschen aus den neuen Bundesländern nur 24 Prozent ihrer freien Zeit außer Haus, während es bei Menschen aus den alten Bundesländern immerhin 29 Prozent waren (ebd., 120). Der Kinobesuch nimmt dabei als eine Möglichkeit der außerhäuslichen Freizeitgestaltung im Vergleich zu anderen Aktivitäten eine nachgeordnete Stellung ein: Für Gesamtdeutschland gaben die befragten Bundesbürger an, mehr Zeit mit Sport, Spazierengehen, Ausgehen oder dem Treffen von Freunden zu verbringen als im Kino. Besonders bei medialen Freizeit-beschäftigungen wie Lesen, Musik hören oder Videogucken gaben die Bundes-bürger an, mehr Zeit zu investieren als für den Kinobesuch. Vor allem das Fernsehen hat hierbei als Möglichkeit der häuslichen Freizeitgestaltung an Bedeutung gewonnen: 1995 wurden 45 Prozent der häuslichen Freizeit in den neuen Bundesländern vor dem Fernsehgerät verbracht, 37 Prozent in den alten Bundesländern (ebd., 145). Im selben Jahr gaben nur 53 Prozent (ebd., 128) der Bundesbürger an, überhaupt ins Kino zu gehen; lediglich 8 Prozent (ebd., 124) bezeichneten sich als regelmäßige Kinobesucher.
Wie Neckermann (2001, 517) konstatiert, gaben im Jahr 2000 in einer Aus-wertung der Filmförderungsanstalt Berlin auf Basis der GfK-Erhebung[11] nur noch 31 Prozent der Befragten an, überhaupt nie ins Kino zu gehen. Etwa die Hälfte der Befragten (54 Prozent) sagten, dass sie seltener als einmal im Monat beziehungsweise nicht jedes Jahr ins Kino gehen, 14 Prozent monatlich und nur 1 Prozent mindestens wöchentlich[12]. Der weiteste Nutzerkreis des Kinos hat sich somit bei der Betrachtung der subjektiven Einschätzung der Bevölkerung in den Jahren von 1995 bis 2000 erweitert – Neckermann stellt jedoch heraus, dass bei einer Gegenüberstellung dieser subjektiven Einschätzung mit dem tatsächlichen Kinonutzungsverhalten im Jahr 2000 auffällt, dass nur 37 Prozent der betrachteten Bevölkerung tatsächlich im Kino waren, obwohl sich von den restlichen 63 Prozent immerhin noch mehr als die Hälfte selbst als Kinogänger definierte. In Bezug auf Personen in dieser Gruppe schließt Neckermann: „Auch wenn sie nur alle paar Jahre einmal ins Kino gehen, so haben sie doch einen Bezug zum Kino als Möglichkeit, einen Teil der Freizeit dort zu verbringen“ (Neckermann, 2001, 518).
2.2.2 Zur Definition des Begriffs „Kinogänger“ und der Identifikation von „Kinogängertypen“
Auf die eben angedeutete Frage, ab welcher Besuchshäufigkeit eine Person als „Kinogänger“ zu bezeichnen ist, werden in der wissenschaftlichen Literatur unterschiedliche Antworten gegeben. Dies erschwert auch einen Vergleich von Untersuchungen, da diesen folglich auch unterschiedliche Definitionen des Begriffs „Kinogänger“ zugrunde liegen und der Anteil an Kinogängern an der Gesamtbevölkerung von Untersuchung zu Untersuchung unterschiedlich beziffert wird. An dieser Stelle soll daher kurz auf die Problematik bei der Definition „des Kinogängers“ eingegangen werden, zumal die Definition auch für den Empirieteil dieser Arbeit von Bedeutung ist.
Die Media-Analyse geht beispielsweise für ihre Definition von einem Kinobesuch innerhalb der letzten sieben Tage aus[13], anderen genügt ein Kinobesuch innerhalb der letzten zwölf Monate. Berg und Frank stellten nach letztgenanntem Kriterium für ihre Studie im Auftrag der ARD/ZDF Medienkommission ein Verhältnis von einem Drittel Kinogänger zu zwei Dritteln Nicht-Kinogängern im Jahr 1978 fest (Berg & Frank, 1979, 48). Weiter identifizieren sie innerhalb der Gruppe der Kinogänger häufige (29 Prozent) und gelegentliche Kinogänger (71 Prozent)[14], wobei als häufige solche definiert werden, die angaben, mindestens einmal pro Monat ins Kino zu gehen, und als gelegentliche, die angaben, seltener als einmal im Monat, aber mindestens einmal im Jahr ins Kino zu gehen. Diese Differenzierung von Kinogängern in Subgruppen nach Besuchsintensität ist häufig anzutreffen, dieselben Unterscheidungskriterien wie Berg und Frank legten auch Settele (1996) und Berg-Stumpff (1985/86) ihren Untersuchungsauswertungen zugrunde. Auch in der Media-Analyse wird von „regelmäßigen Kinobesuchern“ gesprochen, wenn die betreffenden Personen ein Mal im Monat und häufiger ins Kino gehen (vgl. MA 2002 Presse 1, zitiert nach Focus, 2003, 42). Neckermann und Blothner (2001, 10) segmentieren wiederum in „keine“, „seltene“ und „häufige“ Kinogänger, wobei die Zuordnung einzelner Personen aufgrund einer Selbsteinschätzung der Befragten erfolgt.
Zoll, der im Auftrag der Filmförderungsanstalt eine Studie über die Kinobesucher 2002[15] erstellt hat, spricht ab ein bis zwei Besuchen pro Jahr von „Kinogängern“ und teilt diese dann gemäß ihrer Besuchsintensität in „Kinogängertypen“ ein (Zoll, 2002, 5). Der sporadische Kinogänger geht ein bis zwei Mal pro Jahr ins Kino, der durchschnittliche Kinogänger drei bis sechs Mal pro Jahr, ein intensiver Kinogänger tätigt sieben und mehr Kinobesuche pro Jahr. Der Anteil der intensiven Kinogänger am Gesamtbesuch[16] ist von 1999 bis 2002 von 59 auf 49,2 Prozent geschrumpft, während die Anteile der beiden anderen Kinogängertypen leicht zugenommen haben. Die Kinoreichweite, sprich den Anteil der Kinogänger an der Gesamtbevölkerung, benennt Zoll mit 42 Prozent, wobei jede Person im Jahr 2002 durchschnittlich zwei Mal ins Kino ging – bei „Kinogängern“ lag die Besuchsintensität mit durchschnittlich 4,8 Besuchen entsprechend höher (vgl. Zoll, 2002, 5).
Bei „dem Kinogänger“ handelt es sich also um ein „weiches Kriterium“, wie das breite Spektrum der eben vorgestellten kursierenden Definition belegt. Da für die Auswertung der mit dieser Arbeit vorliegenden Untersuchung nur die Aussagen von Personen interessant sind, die tatsächlich ins Kino gehen, wird auch für diese Arbeit eine Definition des Begriffs „Kinogänger“ und ent-sprechender Subtypen vorgenommen, die in Kapitel 5.5.1 dargelegt wird.
2.2.3 Die Entwicklung der Besucherzahlen
In den Neunziger Jahren konnte sich die Kinobranche über einen kontinuierlichen Zuwachs bei den Kinobesucherzahlen freuen. Außer in den Jahren 1992 und 1995 stiegen die Zuschauerzahlen von 120,0 Millionen im Jahr 1991 auf 152,5 Millionen Besucher im Jahr 2000 (vgl. Neckermann, 2001b, 505)[17]. Auch die Anzahl der Kinobesuche pro Kopf hat sich in diesem Zeitraum von durchschnittlich 1,5 auf 1,9 Besuche pro Jahr gesteigert. Gab es zu Beginn dieser Besucherentwicklung noch große Unterschiede zwischen alten und neuen Bundesländern, so haben sich diese im Laufe der Zeit weitestgehend nivelliert (ebd., 505). 2001 war dann für Deutschland das Rekordjahr mit der größten Umsatzsteigerung aller Kinoländer von 20 Prozent (Film-förderungsanstalt, 2003b,1), was vor allem auf den großen Erfolg des deutschen Filmes „Der Schuh des Manitu“ zurückzuführen ist, den 10,5 Millionen Zuschauer gesehen haben (vgl. Blothner, 2003, 28). Die Besucherzahlen stiegen im Jahr 2001 auf 177,9 Millionen[18], die Filmförderungsanstalt spricht jedoch im Zusammenhang mit dem Rückgang der Besucherzahlen im Jahr 2002 auf 163,9 Millionen Zuschauer von einer „sanften Landung“ (Filmförderungsanstalt, 2003b,1), da damit immer noch das zweitbeste Jahresergebnis seit der Wende erzielt wurde.
Für das Jahr 2003 lagen bei Abschluss der Literaturrecherche für diese Arbeit nur Kino-Halbjahresergebnisse vor, die auf Hochrechnungen der Kino-meldungen beruhen und in Relation zu Ergebnissen aus den Vorjahreszeiträumen gesetzt werden. Nach Angaben der Filmförderungsanstalt (2003a, 1) ist demnach beim Kinobesuch ein Anstieg von 66,7 Millionen Besuchern 1999 auf 80,4 Millionen im Jahr 2002 zu verzeichnen (Halbjahresergebnisse bis zum 30.06. des betreffenden Jahres). 2003 fand ein Rückgang um 11,3 Prozent auf nur noch 71,3 Millionen Besucher statt. Als Grund für diesen Besucherrückgang werden „vor allem die allgemeine wirtschaftliche Situation mit ihren rezessiven Auswirkungen“ (ebd., 2003a, 1) sowie die digitale Piraterie durch das Brennen und Verbreiten von aktuellen Kinofilmen bereits vor ihrem offiziellen Kinostart angegeben. Laut FFA hat die GVU (Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen) den Schaden für 2002 auf 354 Millionen Euro geschätzt. Außerdem macht der Boom in der Home-Entertainment-Branche dem Kino zunehmend Konkurrenz, da immer mehr DVD-Player in deutschen Haushalten stehen und die Branche der Videoverleiher und –Verkäufer ein Umsatzplus nach dem anderen verzeichnen kann (allein im Jahr 2002 betrug das Umsatzplus 38,2 Prozent; vgl. Filmförderungsanstalt, 2003b,11).
2.2.4 Soziodemographische Daten zum Kinopublikum
Informationen über die soziodemographische Struktur des Kinopublikums gibt das Konsumentenpanel der GfK (Gesellschaft für Konsumforschung). In diesem wird auf repräsentativer Basis der Kinobesuch von früher 10.000, heute 20.000 deutschen Personen ab zehn Jahren aus Privathaushalten erfasst. Über Entwicklungen im Bereich dieser sich stetig verändernden Struktur berichtet Neckermann regelmäßig in der Zeitschrift Media Perspektiven (vgl. Neckermann, 1997; 2000; 2001a; 2001b und 2002). Die Veränderungen der Besucherstruktur werden so vor dem Hintergrund von Besuchermerkmalen wie Geschlecht, Alter, Wohnortgröße, Beruf, Haushaltsgröße und Haus-haltsnettoeinkommen beleuchtet, wie die folgende Abbildung für das Jahr 1999 exemplarisch veranschaulicht[19].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Soziodemographische Daten zum Kinopublikum in Deutschland 1999 (Quelle: Neckermann, 2000, 410)
In einem Übersichtsartikel über das Kinopublikum 1991 bis 1995 hebt Neckermann hervor, dass Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur natürlich auch Auswirkungen auf die Kinobesuchszahlen haben. Die Tatsache, dass beispielsweise die Anzahl der 20 bis 29-Jährigen in der Bevölkerung aufgrund der geburtenschwachen Jahrgänge seit Jahren kontinuierlich sinkt und im Gegenzug die Anzahl der Personen ab 30 Jahren immer mehr ansteigt, spiegelt sich auch in einem Besucherrückgang bei den 20 bis 29-Jährigen und einem Besucherzuwachs bei den ab 30-Jährigen für die Jahre 1991 bis 1995 wider (vgl. Neckermann, 1997, 124f.). Die 20 bis 29-Jährigen stellten dennoch lange Zeit die besucherstärkste Altersgruppe dar und zählen damit zur Kern-nutzerschaft der Kinos. Wie in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt wurde, haben sich die Besucherzahlen in den Folgejahren positiv entwickelt, was zum einen auf die zahlreichen Modernisierungsmaßnahmen in den Kinos zurückzuführen ist, zum anderen mit dem Erfolg bestimmter Filme im Kinojahr 2001 zu tun hat: Es wurden „breite Bevölkerungsschichten […] wie seit Jahrzehnten nicht mehr“ (Neckermann, 2002, 566) angesprochen und damit Personen, die vorher seit längerem kein Kino mehr besucht hatten, seitdem aber wieder öfter ins Kino gehen. Eine solche Erschließung neuer Besuchergruppen bezeichnet Neckermann an anderer Stelle auch als „die zentrale Herausforderung für die künftige Entwicklung“ (Neckermann, 2000, 413), um die hohen Investitionen der Kinobranche und den Besucherrückgang bei der Kernnutzerschaft auszugleichen. Im Jahr 2001 stellen die 30 bis 39-Jährigen die stärkste Besuchergruppe dar (Neckermann. 2002, 562).
Auch die Filmförderungsanstalt gibt seit mehr als einem Jahrzehnt jährlich eine Studie über Kinobesucher heraus, die ebenfalls auf den Daten des GfK-Panels basiert. Im Folgenden sollen einige aktuelle Daten zu soziodemographischen Merkmalen von Kinobesuchern aus der bereits erwähnten Studie „Die Kinobesucher 2002“ vorgestellt werden, die Zoll (2002) im Auftrag der Filmförderungsanstalt angefertigt hat. Dies geschieht, um dem Leser eine Vorstellung vom derzeitigen deutschen Kinopublikum zu vermitteln, welches die Zielgruppe für die Erhebung im Rahmen dieser Arbeit darstellt. Abbildungen aus dieser Studie, welche die Entwicklung des Kinobesuchs in Bezug auf bestimmte soziodemographische Merkmale für die Jahre 1993 bis 2002 grafisch veranschaulichen, finden sich in Anhang A.
An die 30 bis 39-Jährigen wurden 2002 die meisten Eintrittskarten verkauft, nämlich 31,2 Millionen Stück, dicht gefolgt von der Altersgruppe der 20 bis 24-Jährigen, die 26,7 Millionen Eintrittskarten an deutschen Kinokassen erstanden. Diese Altersgruppe hat auch die meisten Kinobesuche (6,5) je Person im Jahr vorzuweisen, am wenigsten Pro-Kopf-Kinobesuche tätigten Personen in den Altersgruppen ab 40 Jahren (zwischen 0,3 und 1,7 Besuchen pro Jahr). Auch der Kinogängeranteil je Personengruppe ist bei den 20 bis 24-Jährigen mit 78 Prozent am höchsten, im Vergleich dazu sind nur 58 Prozent der 30 bis 39-Jährigen Kinogänger, wenngleich sie auch die besucherstärkste Altersgruppe sind, weil sie den größten Anteil an der Gesamtbevölkerung stellen.
An Männer wurden etwas mehr Eintrittskarten verkauft als an Frauen (14,3 Millionen Stück), auch weisen sie den größeren Kinogängeranteil auf (44 Prozent; Frauen 40 Prozent), obwohl in Deutschland 2002 mehr Frauen als Männer lebten. Männliche Kinogänger tätigten 5,1 Besuche im Jahr, weibliche 4,9.
Großstadtbewohner in Orten mit über 500.000 Einwohnern gingen mit 2,8 Besuchen je Person am häufigsten ins Kino, während die meisten Eintritts-karten an Personen in Städten mit unter 20.000 Einwohnern verkauft wurden (56,8 Millionen Stück) – diese stellen dabei aber auch den größten Be-völkerungsanteil aller Besuchergruppen nach Wohnortgröße. Den größten Kinogängeranteil je Personengruppe können Personen in Orten mit 20 bis 100.000 Einwohnern verbuchen (39 Prozent).
Obwohl 2002 über 20 Millionen Rentner in Deutschland lebten und damit den größten Bevölkerungsanteil nach Berufsgruppen stellten, wurden an sie nur 11,2 Millionen Eintrittskarten verkauft – weit mehr wurden von Angestellten (50,4 Millionen) sowie Schülern und Studenten (43,9 Millionen) erstanden. Rentner gingen aber auch nur 0,5 Mal pro Kopf und Jahr ins Kino, am häufigsten setzten sich Lehrlinge in einen Kinosaal (4,9 Besuche). Mit 75 Prozent weisen sie außerdem einen noch größeren Kinogängeranteil in ihrer Personengruppe auf als Schüler und Studenten (70 Prozent).
In Hinblick auf die Schulbildung zeigt sich, dass die Lust auf Kino mit steigendem Bildungsniveau zunimmt: Den höchsten Kinogängeranteil je Personengruppe weisen die Personengruppen mit Abitur (66 Prozent) und FH- bzw. Universitäts-Abschluss auf (54 Prozent); die Kinogänger dieser Gruppen gehen auch am häufigsten im Jahr ins Kino im Vergleich zu anderen Gruppen. Auch die meisten Eintrittskarten werden an diese Gruppen verkauft, ähnlich viele (38,6 Millionen Stück) jedoch auch an die Personengruppe mit Mittlerer Reife, die dabei aber gleichzeitig den größten Anteil an der Gesamtbevölkerung stellt, was die Bedeutung dieser Zahl relativiert (vgl. Zoll, 2002, 60-71).
Zudem ist bekannt, dass ein Kinobesuch in Abhängigkeit vom gezeigten Film unterschiedlich früh geplant wird – so wurde im Jahr 2002 der Besuch der Filme „Der Herr der Ringe 1 – Die Gefährten“ und „Harry Potter und der Stein der Weisen“ von der Mehrheit der Kinobesucher mehrere Tage vorher geplant, während sich das Publikum bei einem Film wie „Super süß und super sexy“ relativ spontan am Besuchstag für einen Gang ins Kino entschied (vgl. Zoll, 2002, 38). Natürlich variieren auch die Anzahl der Begleitpersonen sowie die Art der Kinobegleitung: Im Allgemeinen erfolgt eine Kinobesuch bevorzugt in der Gruppe oder zumindest zu zweit. Zoll deutet an, dass Filme bestimmter Genres überdurchschnittlich häufig in Begleitung von bestimmten Personen angesehen werden, zum Beispiel wurden 2002 Komödien überdurchschnittlich häufig in Begleitung von Freunden, Bekannten und Kollegen besucht. Im Durchschnitt sahen 44 Prozent der Kinogänger einen Film gemeinsam mit Freunden, Bekannten und Kollegen an, 20 Prozent mit (Ehe-)Partner(in), 15 Prozent mit Familienangehörigen und nur 6 Prozent alleine (vgl. ebd., 44f.).
Die Tatsache, dass in Veröffentlichungen mit Begriffen wie „Kinokernzielgruppe“ (Zoll, 2002, 9) gearbeitet wird, verdeutlicht einmal mehr, dass Kino ein „Zielgruppenmedium“ ist, das einen begrenzten Zuschauerkreis erreicht, welcher sich hinsichtlich seiner Struktur und aufgrund bestimmter Merkmale vom Bevölkerungsdurchschnitt unterscheidet. Umso brisanter wird die Frage, warum einige Menschen häufiger ins Kino gehen als andere. Welche Gründe sind ausschlaggebend dafür, dass Menschen ins Kino gehen? Welche Einflussfaktoren wirken bei der Entscheidung für oder gegen einen Kinobesuch bzw. einen bestimmten Film? Diesen und weiteren Fragen widmet sich das nächste Hauptkapitel zu Kinobesuch, Kinonutzungsmotiven und Filmauswahl.
3 Stand der Forschung zu Kinobesuch, Kinonutzungsmotiven und Filmauswahl
Im Folgenden werden theoretische Grundlagen und Forschungsergebnisse dargestellt, die für die Fragestellungen dieser Arbeit relevant sind. Hierzu wird in Kapitel 3.1 der Kinobesuch zunächst vor dem Hintergrund der Medienforschung beleuchtet.
Größere Itempools zum Thema Kinonutzungsmotive kommen im akademisch-wissenschaftlichen Bereich zum Einsatz, was bisher allerdings vorwiegend im amerikanischen Raum geschehen ist, wie in Kapitel 3.2 erläutert werden wird. Im deutschsprachigen Raum besteht im Bereich der Kinonutzungs-motivforschung ein Defizit.
In Bezug auf die Frage, wie Kinogänger eigentlich Filme auswählen, existieren im akademischen Bereich einige theoretische Modelle zur Filmauswahl, die in Kapitel 3.3 vorgestellt werden.
3.1 Der Kinobesuch vor dem Hintergrund der Medienforschung
Der globale Einbettungsrahmen für das gewählte Thema ist die Rezipienten-forschung als Teilgebiet der Medienforschung. Innerhalb der Rezipienten-forschung liegt der Fokus dieser Arbeit auf quantitativen Aspekten der Mediennutzung, hier des Mediums Kino, und auf den individuellen Bedingungen der Mediennutzung, hier den Motiven des Kinobesuchs bzw. der Rezeption von Spielfilmen im Kino.
Die Bedürfnisse und Erwartungen, die Menschen gegenüber einem Kinobesuch äußern, liefern Aufschluss über ihre Motive für den Gang ins Kino. Diese Bedürfnisse und Erwartungen sind Gegenstand der Wirkungs- und Gratifikationsforschung, Teilgebieten der Rezeptionsforschung. Wirkungs- und Gratifikationsforschung widmen sich im Allgemeinen zwar eher der Erforschung von Nutzung und Wirkung der Massenmedien wie Fernsehen, Hörfunk, Zeitschriften und Radio, haben sich in einigen Fällen jedoch durchaus einer Analyse kinorelevanter Bedürfnisse und Motivationen zugewandt. Die vergleichsweise geringe Aufmerksamkeit der Forschungswelt gegenüber dem Kino kann damit erklärt werden, dass das Kino eben kein klassisches Massenmedium ist, sondern vielmehr „Zielgruppencharakter“ (Berg & Frank, 1979, 6) besitzt, wie auch in Kapitel 2.2.4 deutlich geworden ist. Auffällig ist, dass eine kinobezogene Rezeptionsforschung eher im amerikanischen Raum stattfindet und im deutschsprachigen Raum bisher nur ansatzweise durchgeführt worden ist, wie noch deutlich werden wird (vgl. Beer, 2000, 57ff).
In den folgenden Abschnitten wird zunächst die geschichtliche Entwicklung der Medienforschung skizziert (Kapitel 3.1.1). Daran schließt sich in Kapitel 3.1.2 eine Darstellung von Motiven der Medienrezeption im Rahmen des Uses-and-Gratifications-Approach an, welche die Basis für das Folgekapitel zu Nutzungsmotiven und Gründen für den Kinobesuch ist.
3.1.1 Die Anfänge der Medienforschung
Die empirische Medienforschung begann Anfang des 20. Jahrhunderts, als mit der Erfindung des Films, des Radios und schließlich des Fernsehens eine „wahre Kommunikationsrevolution“ (Schenk, 1987, 22) einsetzte.
Die Entwicklung der Medienwirkungsforschung kann in drei Phasen eingeteilt werden. In der ersten Phase (in etwa von der Jahrhundertwende bis Ende der Dreißiger Jahre) wurde auf ein einfaches „Stimulus-Response-Modell“ (S-R-Modell) zurückgegriffen, um die Wirkungsweise der Massenmedien zu erklären. Medien galten als „omnipotent“, sprich allmächtig, da sie direkt, unvermittelt und monokausal wirken und somit eine enorm große Wirkung auf den Rezipienten haben. Unterstützt wurde eine solche Theorie zum Beispiel durch das Ereignis von Orson Welles berühmt gewordener Radiosendung „Invasion from Mars“, deren Inhalt die Menschen als reale (und nicht fiktive) Geschichte wahrnahmen. Während dem ersten Weltkrieg wurde versucht, mithilfe von Werbekampagnen und Handzetteln Kriegspropaganda zu betreiben, wodurch ein Forschungsinteresse dahingehend entstand, inwiefern solche Maßnahmen eine Einstellungsänderung beim Volk bewirken können. Es wurde davon ausgegangen, dass gut geplante und massenhaft verteilte Stimuli jedes Gesellschaftsmitglied auf die gleich Art und Weise erreichen, von jedem Individuum gleich wahrgenommen werden und somit auch bei jedermann identische Wirkungen erzielen. Kommunikationsinhalt und Effektrichtung wurden dabei gleichgesetzt, eine Untersuchung der Effekte des Inhalts auf das Publikum unterblieb weitestgehend (vgl. Schenk, 1987, 22).
Als die Wirkung der Massenmedien zusehends ins Zentrum der Forschung rückte, geriet die Annahme der Omnipotenz der Massenmedien ins Wanken. Neben der Gestaltung der Medienbotschaft wurde nun in der zweiten Phase der Medienwirkungsforschung sowohl der psychischen als auch der sozialen Struktur des Rezipienten eine Bedeutung im Wirkungsprozess zugeschrieben. Organismusvariablen spielten ab sofort als zusätzliche Faktoren im resultierenden „Stimulus-Organismus-Response-Modell“ der Medienwirkungen eine entscheidende Rolle. Es wurde angenommen, dass zwischen den Massenkommunikationsstimuli und den Reaktionen der Rezipienten auf diese Stimuli die Einstellungen der Rezipienten als intervenierende Variablen wirken, was eine Erweiterung des klassischen S-R-Modells bedeutete. (vgl. Schenk, 1987, 38f.) Von 1940 bis in die 70er Jahre hinein beschäftigte sich die Forschung mit den Wirkungen der Massenmedien auf Einstellungen und Meinungen. Zum ersten Mal richtig in Frage gestellt wurde das alte S-R-Modell mit der „ The People’s Choice“-Studie von Lazarsfeld, Berelson und Gaudet (1944), die in Feldstudien den Einfluss der Medien auf die politische Meinung der Wähler während der Präsidentschaftswahl 1940 untersuchten. Es wurde festgestellt, dass die Wahlentscheidung einer Person für einen bestimmten Kandidaten vor allem durch den Kontakt mit sogenannten „Meinungsführern“, sprich politisch interessierten, medial informierten und aktiv ihre Meinung vertretenden Menschen zustande kommt – und nicht allein durch mediale Einflüsse erklärt werden kann, was bisher ja postuliert wurde. Vielmehr würden Medien selektiv genutzt, um bereits bestehende Wahlpräferenzen zu festigen. Lazarsfeld et al. hatten die beiden folgenden Prinzipien entdeckt: Das Prinzip der selektiven Wahrnehmung und das Prinzip des Meinungsführers. In der Folge wurden zum Beispiel das Konzept des „Opinion-Leaders“ und der „Two-Step-Flow of Communication“ ausgearbeitet. Die Two-Step-Flow-Hypothese besagt, dass Informationen von den Massenmedien zu den Meinungsführern fließen und von diesen wiederum zu kommunikativ weniger aktiven Menschen. Diese Menschen werden von den Meinungsführern beeinflusst, weil sie weniger gut informiert sind: Meinungsführer stellen somit eine Schnittstelle zwischen Massen- und interpersonaler Kommunikation dar (vgl. Schenk, 1987, 244f.).
Zurückgehend auf Forschungen von Hertha Herzog in den 40er Jahren, die sich mit den Beweggründen von Nutzerinnen der Soap-Operas im Radio beschäftigte, rückte zu Beginn der 70er Jahre verstärkt der Rezipient ins Zentrum der Medienwirkungsforschung, was unter anderem eine intensive Auseinandersetzung mit möglichen Motiven der Mediennutzung bewirkt hat (vgl. Schenk, 379f.). Diese dritte Phase der Medienwirkungsforschung ist durch den Paradigmenwechsel vom passiven zum aktiven Rezipienten gekennzeichnet und Gegenstand des folgenden Kapitels.
3.1.2 Uses and Gratifications: Der Nutzen- und Belohnungsansatz
Aus der Forderung heraus, dass sich Forschung weniger mit „what media do with people“, sondern mehr mit „what people do with the media“ (Katz, 1959, 2) auseinandersetzen soll, entwickelten Blumler und Katz den „Uses-and-Gratifications“-Ansatz (Blumler & Katz, 1974). Die Gratifikationsforschung beschäftigt sich mit
1) den sozialen und psychologischen Ursprüngen von
2) Bedürfnissen, die
3) Erwartungen erzeugen an
4) die Medien oder andere (nicht-mediale) Quellen. Die Erwartungen führen zu
5) verschiedenen Mustern der Medienexposition, woraus
6) Bedürfnisbefriedigung und
7) andere Konsequenzen (meist unbeabsichtigte) resultieren
(vgl. Schenk, 1987, 383).
Damit rückte eine publikumszentrierte Perspektive ins Zentrum der Forschung, die dem Umstand gerecht wurde, dass sich die Menschen in Bezug auf ihre Persönlichkeitsstruktur und ihre Wahrnehmung voneinander unterscheiden. Mediennutzung wurde nun als aktives, selektives und zielgerichtetes Verhalten aufgefasst, dass der Befriedigung individueller Bedürfnisse dient. Das Publikum ist demnach ein aktives, das bestimmte Erwartungen an die Massenmedien richtet. Zu den weiteren grundlegenden Annahmen des Uses-and-Gratifications-Ansatz zählt, dass der Rezipient selbst bestimmt, ob ein Kommunikationsprozess stattfindet oder nicht. Die Zuwendung zu einem bestimmten Medium oder Medieninhalt erfolgt demgemäß aus bestimmten Gründen, grundsätzlich stehen den Menschen aber natürlich auch andere Mittel zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse zur Verfügung – die Massenmedien konkurrieren sozusagen mit anderen nicht-medialen Quellen der Bedürfnisbefriedigung. Weiter wird angenommen, dass Rezipienten sich der Bedürfnisse und Ziele bewusst sind, die sie veranlassen, Massenmedien zu nutzen, und dass sie daher auch valide über ihre Bedürfnisse und Ziele Auskunft geben können (vgl. Schenk, 1987, 382f.).
An dieser Stelle ist eine erste Frage zu nennen, die Kritiker des Uses-and-Gratifications-Approach immer wieder gestellt haben: Handelt ein Rezipient denn stets bewusst, handelt und selektiert er stets aktiv? Wenn man an den habitualisierten, ritualisierten Konsum von TV-Sendungen denkt, dann erscheint das Konzept vom aktiven Rezipienten im Zusammenhang mit dieser Art von Mediennutzungsverhalten nicht ganz passend. Zu hinterfragen wäre, ob die reine Selbsteinschätzung oder Selbstauskunft als empirische Methode der Wahl für Untersuchungen zum Mediennutzungsverhalten angemessen ist, wenn die – oft einfach implizierte – Grundannahme der Bewusstheit und Aktivität des Rezipienten möglicherweise gar nicht gilt. Schenk spricht in diesem Zusammenhang auch von „undifferenzierter Motivforschung“ (Schenk, 1978, 229), bei der die Erhebung und Analyse von Daten im Vordergrund steht und nicht eine theoriegeleitete Empirie.
Oft wird dem Uses-and-Gratifications-Approach in diesem Sinne auch eine allgemeine Theorieschwäche vorgeworfen, deren Kernkritikpunkt nach McQuail (1985) ist, dass keine gesicherte Theorie der menschlichen Bedürfnisse existiert (als Beispiel sei hier die „Maslowsche Bedürfnispyramide“ angeführt, die ein rein theoretisches Modell ist). McQuail spricht außerdem von einer konservativ-restaurativen Rolle des Ansatzes, die Kritikern des TV-Programms den Wind aus den Segeln nimmt, indem von Seiten der Programmgestalter damit argumentiert wird, dass Fernsehprogramm auf Grundlage der Bedürfnisse der Zuschauer gestaltet wird – frei nach dem Motto: Die Meute kriegt, was sie will. Vorderer (1992) spricht in diesem Zusammenhang auch von einer zirkulären Argumentation, da das Zurückführen der Mediennutzung auf basale Bedürfnisse, die befriedigt werden wollen, wiederum augenfällig macht, dass ein theoretisches Fundament in Bezug auf die menschlichen Bedürfnisse fehlt. Schließlich muss Mediennutzung nicht zwingend funktional sein, sondern kann unter einem handlungsorientierten, utilitaristischen Aspekt gesehen ja auch schon als reine Handlung befriedigend sein.
Nichtsdestotrotz stellt der Uses-and-Gratifications-Approach eine bedeutende Weiterentwicklung des ursprünglichen, einfachen S-R-Modells dar und hat dem Rezipienten damit „seine Mündigkeit zurückgegeben“. In seinen Ausdifferenzierungen und Weiterentwicklungen bemüht sich dieser Ansatz, der Vielschichtigkeit des menschlichen Wesens als Mediennutzer gerecht zu werden und leistet somit einen Beitrag zum Verständnis der Tatsache, dass Menschen Medien nutzen. Außerdem bemüht sich neuere Forschung darum, zum Beispiel dem Vorwurf der Theorieschwäche Rechnung zu tragen. Unter den neueren theoretischen Ansätzen ist beispielsweise das Transaktionale Nutzen- und Belohnungs-Modell von McLeod & Becker zu nennen, das unter Einbeziehung diverser Rückkopplungsschleifen Motive, dynamische Beziehungen zwischen Motiven und Mediennutzungsverhalten, sowie die Konsequenzen der Mediennutzung integriert (vgl. McLeod & Becker, 1981, 71-75; zitiert nach Schenk, 1987, 384). Die deutsche Adaption dieses Ansatzes erfolgte durch Schönbach und Früh (dynamisch-transaktionaler Ansatz). Zudem ist in Deutschland der von Renckstorf (1973) konzipierte Nutzenansatz bekannt geworden, der unter Bezugnahme auf zentrale Aspekte des symbolischen Interaktionismus noch einmal die Aktivität des Rezipienten herausstellt. Demnach verarbeitet der Rezipient aktiv die Realität und schafft durch individuelle Interpretationsleistungen Sinn in seiner Welt. Ein weiterer deutscher Ansatz ist der „rezipientenorientierte Ansatz“ von Hertha Sturm.
Im Rahmen der Uses-and-Gratifications-Forschung werden besonders die motivationalen Aspekte der Mediennutzung thematisiert. Seit den 70er Jahren rückten Bedürfnisse, die durch die Mediennutzung befriedigt werden können, in das Zentrum der Publikumsforschung. So wird zum Beispiel seit langem in der Studie Massenkommunikation (siehe zum Beispiel Berg & Ridder für das Jahr 2002) jedes Jahr ein Direktvergleich der Nutzungsmotive für die Medien Fernsehen, Hörfunk, Tageszeitung und seit neuestem auch für das Internet vorgenommen und in den Mediaperspektiven Basisdaten der Arbeits-gemeinschaft der ARD-Werbegesellschaften referiert (siehe zum Beispiel 2001 und 2002). Im Bereich der Fernsehmotivforschung ist exemplarisch die acht Cluster umfassende Motivtypologie von Greenberg (1974) bekannt geworden, die als grundlegende Motivdimensionen Entspannung, Gewohnheit, Geselligkeit, Information, Selbstfindung, Zeitvertreib, Realitätsflucht und emotionale Erregung nennt. Eine ähnliche Typologie auf Grundlage der Arbeit von Greenberg entwickelte später Rubin (1981), der mittels einer Clusteranalyse neun Motivdimensionen aufstellte.
Im folgenden Kapitel soll nun auf theoretische Modelle und verschiedene empirische Untersuchungen eingegangen werden, die Nutzungsmotive und Gründe für den Kinobesuch zum Gegenstand haben, da das Kino für diese Arbeit das Medium von Interesse darstellt. Das Hauptaugenmerk wird demnach auf den Kinobesuch als Mediennutzungsverhalten gerichtet, wobei dieser auf motivationspsychologischer Ebene betrachtet werden soll.
3.2 Nutzungsmotive und Gründe für den Kinobesuch
Die Erforschung des Filmrezipienten steckt, wie bereits im Einführungskapitel skizziert wurde, bis zum heutigen Zeitpunkt immer noch in den Kinderschuhen. Die Kinoproduktionsbranche weiß sehr wenig über den Rezipienten von Kinofilmen, obwohl ein solches Wissen dabei helfen würde, finanzielle Mittel für die Kinofilmvermarktung gezielter einzusetzen bzw. entstehende Kosten zu senken. Wissenschaftliche Forschung zum Thema Filmrezeption, die keine Auftragsforschung ist, konzentriert sich zumeist auf eingeschränkte Bereiche. Generell findet eine systematische Sammlung und Auswertung von Informationen über den Kinozuschauer und sein Verhalten in zwei Richtungen statt: Einerseits gibt es eine filmorientierte Marktforschung, veranlasst von der Kinobranche, andererseits ein wissenschaftliches Interesse an Motiven für den Kinobesuch, das an akademischen Instituten verfolgt wird (vgl. Baum, 2003, 8ff).
Innerhalb dieser Forschung zu den individuellen Bedingungen der Kinonutzung betreibt die Kinobranche jedoch nur vereinzelt explizite Forschung zu Motiven der Kinonutzung, wie sie z.B. von Sendeanstalten in Bezug auf das Fernsehen betrieben wird. Die Abfrage von Gründen, aus denen Menschen ins Kino gehen, beschränkt sich meist auf einige wenige Items, die inhaltlich kein breites Spektrum abdecken und zudem von Erhebung zu Erhebung in Anhängigkeit vom Auftraggeber sehr unterschiedlich sind.
In den folgenden Abschnitten werden Theorien, Inhalte und Befunde aus den verschiedenen Forschungsrichtungen vorgestellt. Zu beachten ist hierbei, dass die Kinobranche natürlich sehr oft wissenschaftliche Einrichtungen mit Forschungsaufträgen betraut, die ihre Studien zum Beispiel auf Grundlage des GfK-Konsumentenpanels oder der Mediaanalyse erstellen. Andere Studien werden von Vereinigungen innerhalb der Kinobranche in Auftrag gegeben, so beispielsweise von der Filmförderungsanstalt Berlin (FFA), von FDW Werbung im Kino e.V. (einem Mitglied des Fachverbandes Film- und Diapositivwerbung e.V.) oder von der Spitzenorganisation der deutschen Filmwirtschaft (SPIO).
Im Folgenden werden Ergebnisse zu globalen Kinonutzungsmotiven und Ergebnisse zu Gründen des Besuchs eines bestimmten Filmes vorgestellt. Zunächst wird auf die empirische Motivforschung eingegangen, die sich auf Basis von Überlegungen im Kontext der Uses-and-Gratifications-Forschung um die Erforschung und Dimensionierung von Kinonutzungsmotiven bemüht hat.
Schon 1914 und 1915 stellte DeMadey 526 Kindern in Schweizer Schulen die einfache Frage, warum sie gerne ins Kino gehen (vgl. DeMadey, 1929). Als wichtigste Gründe für den Kinobesuch wurden damals die Motive „Unterhaltung“ und „Entspannung“ ermittelt. Der Pionier auf dem Gebiet der US-amerikanischen Kinofilmrezipientenforschung, Bruce Austin, befragte in einer 500 Versuchspersonen einschließenden Untersuchung Collegestudenten zu ihrem Konsum von Kinofilmen und ihrer Motivation dafür (vgl. Austin, 1986). Neben der bereits bekannten Unterhaltungsfunktion ermittelte Austin auch noch Funktionen wie Flucht, Lernen und eine soziale Funktion.
In den USA haben sich unter anderem Palmgreen (1988) und Tesser (1988) mit Motiven für den Kinobesuch beschäftigt. Im deutschen Sprachraum sind die Untersuchungen von Berg und Frank (1979), Settele (1996), Lerch-Stumpf (1985/86) sowie Ergebnisse der filmorientierten Marktforschung zu nennen, die in den folgenden Kapiteln kurz vorgestellt werden sollen.
3.2.1 Palmgreen et al.: Die 10 Motivfaktoren des Kinobesuchs
Insbesondere amerikanische Forscher haben sich darum bemüht, die Motive der Menschen für den Gang ins Kino zu ermitteln, gleichermaßen ausdifferenzierte Untersuchungen wurden im deutschen Sprachraum bisher nicht durchgeführt. Unter den amerikanischen Studien sind als erstes die von Palmgreen, Cook, Harvill und Helm (1988) im Kontext der Uses-and-Gratifications-Forschung ermittelten Motivationsfaktoren der US-amerikanischen Kinogänger hervorzuheben. Palmgreen et al. untersuchten neben dem subjektiv empfundenen Nutzen des Kinobesuchs auch Gründe, die zur Vermeidung eines Kinobesuchs führen. Hierzu wurden die in einer Vorstudie von 205 Untersuchungsteilnehmern schriftlich dargelegten Gründe für beziehungsweise gegen einen Kinobesuch einer Inhaltsanalyse unterzogen. Die Antworten der Studenten wurden anschließend in Nutzen- und Vermeidungskategorien dimensioniert. Von den Autoren werden folgende Nutzendimensionen genannt:
- Spezifischer Filminhalt
- Kommunikationsvermeidung
- Kommunikationsnutzen
- Sozialer Nutzen
- Soziale Förderung
- Soziale Erwartungen
- Zurückgezogenheit
- Stimmungskontrolle / Stimmungserhöhung
- Flucht
- Unterhaltung
- Generelles Lernen
- Charakteristika des Mediums.
Außerdem nennen die Autoren folgende Vermeidungsdimensionen beziehungsweise Ablehnungsgründe für einen Kinobesuch:
- Filminhalt
- Soziale Umgebung
- Physische Umgebung
- Ökonomische Faktoren.
Aus den Ergebnissen der Inhaltsanalyse wurde dann für die Hauptstudie eine Item-Skala entwickelt, die an einer Stichprobe mit 486 studentischen Versuchs-personen getestet wurde. Ein Teil des Fragebogens, fünfzig Aussagen umfassend, bezog sich auf Gründe für den Kinobesuch. Zu jedem Item sollten die Versuchspersonen auf einer siebenstufigen Skala Stellung nehmen, indem sie das Ausmaß an Zustimmung oder Ablehnung angaben.
Eine faktorenanalytische Auswertung der erhobenen Daten führte zur Extraktion von insgesamt zehn interpretierbaren Faktoren, die zusammen ein Varianzaufklärungsniveau von 59 Prozent aufweisen. Zu den wichtigsten von den Befragten genannten Gratifikationen zählen demnach General Learning („Generelles Lernen“; Varianzaufklärungsniveau 23,8 Prozent), Mood Control / Enhancement („Stimmungskontrolle / -Erhöhung“; 7,9 Prozent) und Social Utility („Soziale Nützlichkeit“; 5,3 Prozent) (vgl. Palmgreen et al., 1988, 9). Die verbleibenden sieben Faktoren tragen jeder für sich genommen jeweils nur weniger als 5 Prozent zur Varianzaufklärung bei. Die Ergebnisse der Faktorenanalyse mit allen zehn Faktoren werden in Tabelle 12 auf der nächsten Seite zusammen mit den Ladungen der Einzelitems dargestellt.
Tabelle 2: 10 Motivfaktoren für den Kinobesuch nach Palmgreen et al. (vgl. Palmgreen,1988, 8f.; in deutscher Fassung zitiert nach Baum, 2003, 26)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Ein weiterer Teil des Fragebogens, 20 Aussagen umfassend, bezog sich auf Gründe für die Vermeidung eines Kinobesuchs. Hier sollten die einzelnen Aussagen bezüglich ihrer Wichtigkeit für die Ablehnung eines Kinobesuchs anhand einer siebenstufigen Skala eingeschätzt werden.
Eine Faktorenanalyse der hierzu erhobenen Daten ergab fünf Dimensionen der Vermeidung des Kinobesuchs: Physical Environmental Constraints (Einschränkungen durch die physische Umgebung; Varianzaufklärungsniveau 27,3 Prozent), Specific Content (Spezifischer Filminhalt; 12,9 Prozent), Sensory Discomfort (unangenehme Sinnesempfindungen; 7 Prozent), Social Environmental Constraints (Einschränkungen durch die soziale Umgebung; 5,5 Prozent) und General Content (Allgemeiner Filminhalt; 5,1 Prozent), die zusammen ein Varianzaufklärungsniveau von 57,8 Prozent erreichen. Auf eine Auflistung der unter diesen Einzelfaktoren subsumierten Items wird an dieser Stelle verzichtet, da auf Gründe für die Vermeidung eines Kinobesuchs im Empirieteil dieser Arbeit nicht eingegangen wird und sie daher kaum von Interesse sind (vgl. Palmgreen et al., 1988; für eine Darstellung in deutscher Sprache vgl. Baum, 2003, 22f.).
3.2.2 Tesser et al.: 3 Motive für den Kinofilmbesuch
Eine weitere Studie zu Gründen für den Kinofilmbesuch und zu wahrgenommenen Funktionen des Films auf Grundlage der Gratifikations-Hypothese der Massenkommunikationsforschung wurde von Tesser, Millar und Wu (1988) im Jahr 1984 durchgeführt. In Tabelle 3 werden die Items angegeben, welche die Autoren drei Item-Komplexen zugeordnet haben.
Tabelle 3: Item-Komplexe bei Tesser et al. (1988; in deutscher Fassung zitiert nach Baum, 2003, 18f.)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die 100 Untersuchungsteilnehmer sollten das Ausmaß ihrer Zustimmung beziehungsweise Ablehnung auf einer siebenstufigen Skala angeben. Nach faktorenanalytischer Datenauswertung ergaben sich die folgenden drei interpretierbaren Faktoren:
1) „Self-Escape“ („Eskapismus“; Varianzaufklärungsniveau: 18,3 Prozent)
2) „Self-Development“ („Persönlichkeitsentwicklung“; Varianzaufklärungsniveau: 11,9 Prozent)
3) „Entertainment“ („Unterhaltung“; Varianzaufklärungsniveau: 11,3 Prozent).
Das Varianzaufklärungsniveau dieser drei Faktoren beträgt insgesamt 41,5 Prozent.
Der Faktor „Self-Escape“ umfasst dabei einerseits Aussagen, die den Kinobesuch als eskapistisches Erlebnis beschreiben, andererseits finden sich hier aber auch Items, welche den sozialen Charakter des Kinobesuchs hervorheben. Beispiele für Items mit hohen Ladungen auf diesem Faktor sind: „Der Film lässt mich mich selbst vergessen“ oder „Ich gehe ins Kino, wenn meine Freunde mich dazu auffordern“.
Im Gegensatz dazu weist das eben zitierte Item auf dem zweiten Faktor „Self-Development“ eine negative Ladung auf; entscheidend für diesen Faktor sind Variablen, die als wichtigen Grund für den Kinobesuch das Erleben von starken Emotionen nennen (Beispiele: „Der Film zeigt, wie andere fühlen, denken und handeln“ oder „Der Film spricht mich emotional stark an“).
Der dritte und letzte Faktor „Entertainment“ fasst schließlich Aussagen zusammen, die den Kinobesuch unter dem Unterhaltungsaspekt beschreiben. Items mit hoher Faktorladung sind hier „Bei Freizeit und keiner anderweitigen Beschäftigung“ und alle Items, die sich auf die herangezogenen Informations-quellen für die Kinofilmentscheidung beziehen (Werbung etc.).
3.2.3 Berg & Frank: Filmbezogene und soziale Gründe für den Kinobesuch
Nachdem soeben Forschungsarbeiten aus dem englischsprachigen Raum vorgestellt wurden, soll in den folgenden Kapiteln auf Studien aus Deutschland eingegangen werden.
Eine der frühen Studien, die in Deutschland durchgeführt wurden, ist die oben bereits erwähnte Studie von Berg und Frank im Auftrag der ARD/ZDF Medienkommission aus dem Jahr 1978 (Berg & Frank, 1979). Ziel der Studie war es, „Erkenntnisse über den Kinobesuch, über die Einstellungen und Verhaltensweisen der Bevölkerung gegenüber Spielfilmen in Kino und Fernsehen“ (ebd., 14) zu gewinnen. Grund für das Miteinbeziehen des Fernsehens war eine anhaltende Diskussion darüber, ob das mit der Verbreitung des Fernsehens zunehmende Spielfilmangebot im Medium Fernsehen für ein nachlassendes Interesse der Bevölkerung am Kinobesuch verantwortlich zu machen sei. Darüber hinaus erstellten die Autoren eine Typologie mit sieben Interessentypen von Kinogängern, die als Unterscheidungskriterium das Interesse der Personen an unterschiedlichen Filmgattungen heranzog. Da sich die Ergebnisdarstellung von Berg und Frank auf diese Typologie bezieht, soll sie an dieser Stelle kurz vorgestellt werden.
Nach Angaben der Autoren wurde die Typologie durch ein „multivariates Analyseprogramm“ erstellt (ebd., 36). Es wurden die in Tabelle 4 beschriebenen sieben „Interessentypen“ ermittelt, die sich hinsichtlich ihres Interesses an verschiedenen Filmgattungen deutlich voneinander unterschieden und mittels einer Beschreibung der jeweiligen demographischen Merkmale dieser Gruppierungen voneinander abgegrenzt werden können.
Tabelle 4: 7 Interessentypen von Kinogängern nach Berg und Frank[20] (1979, 36f. und 48)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Grundgesamtheit bei der Untersuchung waren in Privathaushalten lebende deutsche Staatsangehörige ab 14 Jahren, für die Repräsentativerhebung wurde eine mehrstufige, geschichtete Zufallsstichprobe mit 2046 interviewten Personen in der Bundesrepublik und in West-Berlin befragt (vgl. ebd., 35).
[...]
[1] Für eine ausführliche Übersicht zur Geschichte des Films siehe z.B. Zglinicki, Friedrich von (1956): Der Weg des Films. Die Geschichte der Kinematographie und ihrer Vorläufer. Berlin
[2] Für einen ausführlichen historischen Überblick zu Statistiken und Forschung zum Kinopublikum siehe Prommer, Elizabeth (1999). Kinobesuch im Lebenslauf: eine historische und medienbiographische Studie. Kommunikation audiovisuell. Konstanz: UVK Medien.
[3] Für eine Übersicht über die Leinwandbestandentwicklung über einzelne Monate der Jahre 1999 bis 2001 siehe auch Filmförderungsanstalt, 1999 / 2000d / 2001
[4] Kinocenter haben 3 bis 6 Leinwände, Multiplexkinos 7 und mehr Leinwände (vgl. Cinema Advertising Group (2001, 10). Der Einfachheit halber wird im Folgenden nur noch von Multiplex-Kinos gesprochen, um diese neue Art des Großkinos von den kleineren Kinoarten wie dem traditionellen Kino oder dem Filmkunstkino abzugrenzen.
[5] Der Fachverband Film- und Diapositivwerbung e.V. (FDW) unterteilt die Kinos nach Zielgruppenkriterien in die folgenden Kategorien: Cityplexe, Multiplexe, Familien-/Normalkinos, Filmkunstkinos, Arthouse-Kinos, Programmkinos, Truppenkinos (TK), Sex-/Porno-Kinos (P), Imax-Theater, Ein-$-Kinos, Ferien-/Sommerkinos, Open-Air-Kinos, Mehrzweckkinos und Autokinos (vgl. Focus Media Lexikon, 2003). Eine derart detaillierte Untergliederung der Kinoarten ist jedoch im Hinblick auf den empirischen Teil dieser Arbeit unnötig.
[6] Für den verbleibenden Prozentanteil der Kinos lagen keine Angaben zum Programm vor. Eine Definition des Begriffs „gemischtes Programm“ wird von den Autoren nicht geliefert.
[7] In der Publikation wird als Quelle der Daten angegeben: Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (2002). Filmstatistisches Jahrbuch. Baden-Baden: Nomos.
[8] Der Eintrittspreis lag damals im Jahresdurchschnitt bei 10,57 DM (Filmförderungsanstalt, 2000c)
[9] Freizeit pro Werktag meint die Zeit zwischen Montag und Samstag
[10] Hier meint Freizeit die Zeit zwischen Montag und Sonntag
[11] Grundgesamtheit: Deutsche Bevölkerung ab 10 Jahren in Privathaushalten
[12] Für einen quantitativen Vergleich der Häufigkeit des Kinobesuchs mit der Häufigkeit zahlreicher anderer Freizeittätigkeiten für das Jahr 2000 siehe auch Neckermann & Blothner, 2001, 8.
[13] vgl. hierzu die Angaben in der Studie „Kino 2000“ im Auftrag von FDW Werbung im Kino e.V. (2000, 1)
[14] Grundgesamtheit: in Privathaushalten lebende deutsche Staatsangehörige ab 14 Jahren, mehrstufige, geschichtete Zufallsstichprobe mit 2046 interviewten Personen (vgl. Berg & Frank, 1979, 35)
[15] repräsentative Auswertung der Daten des Individualpanels der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), das (ohne Kinder unter 10 Jahren) 20.000 Teilnehmer umfasst (vgl. Zoll, 2002, 1)
[16] Basis für die Berechnungen ist die Menge der verkauften Eintrittskarten in Prozent
[17] Neckermann benennt als Quellen dieser Zahlen die FFA (Filmförderungsanstalt) und die SPIO (Spitzenorganisation der deutschen Filmwirtschaft). Die jährlich durchgeführte Erhebung der Besucherzahlen deutscher Kinos durch die FFA erfolgt in Zusammenarbeit mit der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. (IVW). Die IVW erhebt die Besucherzahlen, die anhand der Eintrittskarten ermittelt werden, bei den Filmtheatern direkt. Diese Meldungen werden dann von der Filmförderungsanstalt über die zur Abrechnung vorgelegten verkauften Eintrittskarten der Filmtheater gegengeprüft.
[18] für eine Übersicht über die Entwicklung der Kinobesucherzahlen von 1989 bis 2001 siehe auch Focus, 2003, 40; getrennt nach alten und neuen Bundesländern siehe Filmförderungsanstalt 2000a; getrennt nach Kinoarten siehe Filmförderungsanstalt 2002a und 20002b
[19] FDW Werbung im Kino e.V. veröffentlicht ebenfalls regelmäßig soziodemographische Daten zu Kinobesuchern, die im Rahmen der MA (Media-Analyse) sowie der VA (Verbraucher-Analyse) erhoben werden. In der Darstellung dieser Daten werden aber schwerpunktmäßig Bezüge zu Konsumfreudigkeit, Zielgruppenaffinität und „ausgewählten Produktgruppen“ hergestellt, weshalb an dieser Stelle auf eine Vorstellung der Daten verzichtet wird (vgl. FDW Werbung im Kino e.V., 2002a und 2002b).
[20] zu den an 100 fehlenden Prozent der Anteile von Kinogängern und Nicht-Kinogängern liegen keine Angaben vor.
- Arbeit zitieren
- Anja Benesch (Autor:in), 2004, Kinofilmrezeption: Nutzungsmotive und Entscheidungskriterien bei der Filmauswahl, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28536
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