Das Mem feiert sein Revival. Vielleicht nicht unbedingt im Sinne der Etablierung eines validen
wissenschaftlichen Analysebegriffes, wohl aber in seinem popkulturellen Erscheinen zur
Beschreibung der Viralität von Internet-Phänomenen. Folgt man der Etymologie des Begriffes
Mem, geprägt durch Richard Dawkins in seinem Buch "das egoistische Gen", so erscheint diese
Anleihe ertragreich. Mem bedeutet hier soviel wie ein Bewusstseinsinhalt, der durch
Kommunikation repliziert wird. Dawkins wählt dies bewusst angelehnt an die biologische und evolutionstheoretische Figur um Formen der
Kultur, Sprache und Bewusstseinsinhalte, als stetige Replikationen von Informationen innerhalb der
Umwelt anderer konkurrierender Inhalte zu beschreiben.
Innerhalb der Soziologie finden wir eine eher kritisch-verhaltene bis gar keine Rezeption des Mem-
Gedankens, obwohl sich Aspekte von Dawkins Konzepten durchaus innerhalb Luhmanns
Systemtheorie und Latours Akteur-Netzwerk-Theorie (kurz: ANT) finden lassen. Bei Luhmann wird der Versuch unternommen, das
Soziale im Rahmen systemischer Selbstproduktion, etwa mittels Selektion der Umweltkomplexität
durch Sinn, zu erfassen. In Latours ANT steht indes das von und durch Akteure gebildete Netzwerk
im Fokus, wobei hier nicht der Akteur im klassischen Sinne eines intentionalen Subjekts gemeint
ist, sondern jegliches Element welches zur Netzwerkbildung
beiträgt. Die monokausale Erklärung eines Phänomens wird in diesen Theorievorschlägen
zugunsten der Replikation von Ideen aufgegeben und sich somit tendenziell einer auf Selektions- und
Mimesisprozessen fußenden Genese von Systemen/Netzwerken zugewandt. Allen drei
Theorien ist ähnlich, dass Kommunikationsinhalte durchaus als Elemente aufgefasst werden,
welche durch gewisse Weitergabefunktionen in dieser oder ähnlicher Form iterativ wieder in ein
System oder Netzwerk integriert bzw. extegriert werden.
Diese Theorien sollen, vor dem Hintergrund des Mem-Begriffes, in ihren Gemeinsamkeiten als
analytisches Fundament dienen um deren Validität anhand des Internet-Phänomens "Nyan-Cat" zu überprüfen.
Nach einer Kontextualisierung des Mem als Äquivalenzbegriff für Internetphänomen soll fußend darauf im methodischen
Teil die Offenlegung und Beschreibung des Netzwerkes erfolgen. Im Fokus steht hierbei eine genealogische Untersuchung des Akteurs
"Nyan-Cat" anhand von Mem-Ökosystem wie Foren, Chatrooms, Imageboards und Social Media-
Präsenzen, um die beteiligten Akteure und Netzwerke aufzudecken.
Inhaltsverzeichnis:
Einleitung
1.. Was ist ein Mem? Eine theoretische Fundierung nach Dawkins und Blackmore
1.1 Replikatoren
1.1.1 Meme als neue Replikatoren
1.1.2 Imitation
1.2 Überlebenswerte von Memen
1.2.1 Memetik
1.2.2 Erfolgsbedingungen: Wiedergabetreue, Fruchtbarkeit, Langlebigkeit
1.2.2.1 Sprache
1.2.2.2 Schrift
2 Luhmanns Theorie selbstreferentieller Systeme
2.1 Differenz System / Umwelt
2.2 Sinnsysteme
2.2.1 Sozialsystem als Sinnsystem
2.2.2. Operation des Sozialsystems - Kommunikation
2.2.2.1 Information, Mitteilung, Verstehen
2.2.2.1.1 Anschlussfähigkeit
2.2.2.2 Annahme / Ablehnung
2.2.2.3 Themen und Beiträge
2.2.2.4 Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation / Erfolgsbedingungen
2.2.2.5 Redundanz und Differenz
2.3 Konklusion
3.. Zur Akteur-Netzwerk-Theorie bei Bruno Latour
3.1 Vom Akteur zum Aktant
3.2 Zwischenglieder und Mittler
3.3 Interobjektivität und Dauerhaftigkeit
3.4 Konklusion
4.. Dawkins, Luhmann, Latour: Versuch einer memetischenTheoriesynthese
4.1 Logik der Übersetzung - Meme als Akteure (Wiedergabetreue)
4.2 Herstellung von Dauerhaftigkeit (Langlebigkeit)
4.3 Aussichtsreiche Kommunikation und Anschlussfähigkeit (Fruchtbarkeit)
5. Methodik
5.1 Vorbemerkung: Sichtbarmachung des Sozialen
5.2 Lokalisierung des Globalen
5.3 Die Beschreibung des Netzwerks
5.4 Der methodische Zugang
6. Das Internet-Mem - eine analytische Konzeptualisierung
6.1 Web 2.0 - Informationszeitalter und Prosumentenverhalten in Internetnetzwerken
6.1.1 Genuität digitaler Netzwerke
6.2 Mem als Begriff der Populärkultur
6.2.1 Internet-Phänomene als Meme
6.2.2 Memhistorie
6.2.3 Mem-Ökosysteme
6.2.4 Wann wird ein Phänomen viral?
7. Nyan Cat - Eine Fallanalyse
7.1 Nyanyanyanyanyanyanya!
7.1.1 Internet- und Popkultur Japans: Kawaii
7.1.2 Vocaloid
7.1.3 Hatsune Miku als Sinnbild des Techno-Akteurs
7.1.4. daniwellPund Momoko Fujimoto
7.2 Pop-Tart-Cat
7.2.1 Eine Künstlerbiographie von prguitarman
7.2.2 Pop-Tart-Cat
7.2.3 Exkurs: LOLcats
7.3 Nyan Cat
7.3.1 Saraj00ns Übersetzung auf Youtube
7.3.2 Verbreitung der Nyan Cat
7.3.2.1 Lol-Comics
7.3.2.2 Tumblr
7.3.2.3 Fur Affinity
7.3.2.4 Memebase, Buzzfeed, Tosh.0 blog, RWJ, College Humor & G4TV
7.3.2.5 Reddit
7.3.2.6 Twitter
7.4 Ausgewählte Derivate
7.4.1 Zehn Stunden Version
7.4.2 Nyan-Cat Games
7.4.3 Reaktionsvideos
7.4.4 Slipknot's Psychosocial-Raid
7.4.5 Tac Nayn
7.4.6 PBS LulzSec Hack
7.5. Abschließende memetische Aufarbeitung
7.5.1 Fruchtbarkeit
7.5.2 Wiedergabetreue
7.5.3 Langlebigkeit
8 Fazit
9 Literatur- und Abbildungsverzeichnis
"It. Never. Ends."
-rabbit0456 (vgl. Abb. 52)
Einleitung
Das Mem feiert sein Revival. Vielleicht nicht unbedingt im Sinne der Etablierung eines validen wissenschaftlichen Analysebegriffes, wohl aber in seinem popkulturellen Erscheinen zur Beschreibung der Viralität von Internet-Phänomenen. Folgt man der Etymologie des Begriffes Mem, geprägt durch Richard Dawkins in seinem Buch "das egoistische Gen", so erscheint diese Anleihe ertragreich. Mem bedeutet hier soviel wie ein Bewusstseinsinhalt, der durch Kommunikation weitergegeben wird, analog zum Gen welches durch Replikation, Mutation und Selektion die Möglichkeit zur Ausprägung bestimmter biologischer Merkmale erhält. Dawkins wählt dies bewusst angelehnt an die biologische und evolutionstheoretische Figur um Formen der Kultur, Sprache und Bewusstseinsinhalte, als stetige Replikationen von Informationen innerhalb der Umwelt anderer konkurrierender Inhalte zu beschreiben (Dawkins 1978: 223ff).
Innerhalb der Soziologie finden wir eine eher kritisch-verhaltene bis gar keine Rezeption des Mem- Gedankens, obwohl sich Aspekte von Dawkins Konzepten durchaus innerhalb Luhmanns Systemtheorie und Latours Akteur-Netzwerk-Theorie (kurz: ANT) finden lassen. Luhmann selbst verwendet eine evolutionstheoretische Basis, um die Genese von Systemen in Differenz zu ihrer Umwelt zu erklären. Zumal selbst durch den naturwissenschaftlichen Einschlag von Maturanas und Varelas Begriff autopoietischer Systeme beeinflusst, wird der Versuch unternommen, auch das Soziale im Rahmen systemischer Selbstproduktion, etwa mittels Selektion der Umweltkomplexität durch Sinn, zu erfassen. In Latours ANT steht indes das von und durch Akteure gebildete Netzwerk im Fokus, wobei hier nicht der Akteur im klassischen Sinne eines intentionalen Subjekts gemeint ist, sondernjegliches Element (sei es menschlich, tierisch, technisch), welches zur Netzwerkbildung beiträgt. Die monokausale Erklärung eines Phänomens wird in diesen Theorievorschlägen zugunsten der Replikation von Ideen aufgegeben und sich somit tendenziell einer auf Selektionsund Mimesisprozessen fußenden Genese von Systemen/Netzwerken zugewandt. Allen drei Theorien ist ähnlich, dass Kommunikationsinhalte durchaus als Elemente aufgefasst werden, welche durch gewisse Weitergabefunktionen in dieser oder ähnlicher Form iterativ wieder in ein System oder Netzwerk integriert bzw. extegriert werden.
Diese Theorien sollen, vor dem Hintergrund des Mem-Begriffes, in ihren Gemeinsamkeiten als analytisches Fundament dienen um deren Validität anhand eines exemplarischen InternetPhänomens zu überprüfen. Ausschlaggebend hierfür ist die Annahme, dass gerade im Internet ein Möglichkeitsset zur Verfügung steht, außerhalb kopräsenter Anwesenheit und zeitlich-räumlicher Bindungen in Interaktion zu treten. Hier kann anhand des Austausches von Sinnelementen innerhalb eines Netzwerkes beobachtet werden, wie sich neue Netzwerke bilden, verfestigen oder wieder auflösen. In der hohen, oftmals erratischen Zirkulationsdichte von Elementen, Medien und
Artefkaten, die durch den Rahmen des Internets ermöglicht werden, realisiert sich jene Prämisse Luhmanns, wonach mit der Komplexitätssteigerung des Systems die Unwahrscheinlichkeit kommunikativer Anschlussfähigkeiten einhergehe (Luhmann 1987: 252). Das System steht so vor der Herausforderung, diese Unwahrscheinlichkeiten in Wahrscheinlichkeiten zu transformieren (Passoth in Sutter / Mehler 2010).
Mein exemplarischer Schwerpunkt liegt auf dem Mem "Nyan Cat". Dabei handelt es sich um die Gif-Animation[1] einer Cartoon-Katze mit dem Körper eines sogenannten Pop-Tart[2] versehen, die durch das Weltall fliegt und einen Regenbogenschweif hinter sich herzieht. Im Verlauf seiner Genese wurde das Gif weiterentwickelt und als längere Animation, mit einem japanischen PopSong versehen und auf Youtube hochgeladen. Das Video hierzu befand sich im Jahr 2011 in der Top 5 Liste der meistgeklickten Videos auf Youtube und erreichte gegenwärtig (Stand 01. August 2014) 111,151,406 Aufrufe[3]. Von Bedeutung ist, dass es sich hierbei nicht um eine gezielte Direktmarketing- oder Viralmarketing-Kampagne handelte, was sich im Verlauf der dieser Arbeit zugrundeliegenden Netzwerkanalyse noch gezeigt wird. Man könnte somit ex ante behaupten, dass die "Nyan Cat" als geteilter Inhalt, aus der Eigenlogik der Mem-Ökosysteme, in denen er auftauche, viral werden konnte und somit zum Internet-Mem avancierte.
Ziel dieser Abschlussarbeit soll es nun sein, die Akteure/Aktanten aufzudecken, die in ihrer Interobjektivität ein rekursives Netzwerk bilden, innerhalb dessen das Phänomen "Nyan-Cat" aus einem erratischen Interaktionszusammenhang in einen generalisierten und sinnhaften Sozialsystemzusammenhang überführt und stabilisiert werden konnte. Anders formuliert: unter welchen Bedingungen konnte "Nyan-Cat" zum Mem werden? Um dieses Ziel zu erreichen, soll eine theoretische Fundierung des Mem-Gedankens, wie sie erstmalig von Dawkins formuliert wurde, in einen soziologischen Rahmen eingebettet werden. Hierzu bilden die eingangs erwähnten Ansätze die theoretischen Grundlagen, mit denen ein synergetisches Instrumentarium zur Beschreibung des Netzwerkes, in dem das Mem als Akteur virulent werden konnte, zu konzipieren. Insbesondere Latour liefert durch die ANT eine geeignete methodische Offenheit, um sich dem Gegenstand zu nähern. Dazu sollen im ersten Teil die jeweiligen Theorien vorgestellt und im Schlussteil aufBasis einer Mem-Perspektive synthetisiert werden.
Im folgenden Teil wird der klassische Mem-Begriff unter der Dawkins/Blackmore-Ägide mit dessen popkultureller Verarbeitung an Internet-Phänomenen verglichen. Hierzu soll erklärt werden, weshalb sich die Memetik zur selbstreferentiellen Beschreibung von Internet-Phänomenen etablierte. Gleichzeitig soll ein historischer Abriss dieser Phänomene offeriert und Mem- Ökosysteme als genealogische Umwelten für Internet-Phänomene skizziert werden.
Fußend auf diesen Grundannahmen soll im methodischen Teil die Offenlegung und Beschreibung des Netzwerkes erfolgen. Im Fokus steht hierbei eine genealogische Untersuchung des Akteurs "Nyan-Cat” anhand von Mem-Ökosystem wie Foren, Chatrooms, Imageboards und Social MediaPräsenzen, um die beteiligten Akteure und Netzwerke aufzudecken. Im Zuge der Analyse ist zu vermuten, dass sich Regelmäßigkeiten, Gesetzmäßigkeiten und bestimmte Systematiken aufdecken lassen, unter deren Bedingungen die Elemente anschlussfähig werden. Stützen werde ich mich hierbei auch auf Internet-Enzyklopädien wie "knowyourmeme”, "memebase” und die "encylopedia dramatica". Da die Internet-Kultur Meme in einem selbstreferentiellen Raum verarbeitet und katalogisiert, dienen diese Plattformen als exzellente Ausgangspunkte, um Entstehungsbedingungen von Memen anhand archivierter Screenshots von Imageboard-Diskussionen und ähnlichen Relikten aufzudecken. Insbesondere für Imageboards ist dies relevant, da Diskussionsbäume, im Gegensatz zu Foren, schnellebig auftauchen und in der Regel nicht vom Webserver archiviert werden.
Die Arbeit setzt es sich zum Ziel, eine tiefergehende System- und Netzwerkforschung im Themenfeld Populärkultur und Internetphänomene innerhalb der Soziologie anzuregen, vor allem bezüglich der Konstitution von Netzwerken, Massenlogiken und Schwarmphänomenen im Internet. Gleichzeitig soll ein, wenn auch nur propädeutischer, Versuch erfolgen, die theoretische Vereinbarkeit der ANT Latours mit Luhmanns Theorie selbstreferentiell-geschlossener Systeme herzustellen.
1. Was ist ein Mem? Eine theoretische Fundierung nach Dawkins und Blackmore
1.1 Replikatoren
In seinem bekanntesten Hauptwerk „Das egoistische Gen“ vertritt Dawkins einen radikalisierten, auf der Evolutionstheorie gründenden Standpunkt, indem er Selektion und Wettstreit als primäre Mechanismen zur Weitergabe und Erhaltung von Genen formuliert (Dawkins 1978: 15).
Dawkins bezeichnet Bausteine, die imstande sind, Kopien von sich selbst herzustellen, als Replikatoren (Dawkins 1978: 18). Replikatoren finden sich in dauerhafter Konkurrenz zueinander wieder, wobei jeder (egoistisch) versucht, sich durchzusetzen und zu verbreiten. Dawkins wendet insoweit die Selektionsmechanismen eines universellen Darwinismus (also Reproduktion, Selektion, Variation) auf die kleinsten, molekularen Merkmalsträger, die Gene, an: sie reproduzieren sich, sind einem Selektionsdruck anderer Replikatoren ausgesetzt und setzen sich durch oder bilden Variationen (Dawkins 1978: 20-24 / Blackmore 2000: 45ff). Die Fähigkeit zur Replikation ist somit ein selektiver Vorteil vor dem Hintergrund wechselseitiger Konkurrenz zu anderen Replikatoren, die ebenfalls versuchen, sich im Kontext knapper Realisierungsmöglichkeiten zu replizieren.
1.1.1 Meme als neue Replikatoren
Zwar liegt der Fokus Dawkins' auf der Beschreibung von Replikationen auf der Ebene von Genen, allerdings verweist er in seinem letzten Kapitel darauf, dass sich das Konzept der Replikation durchaus auch auf der Ebene kultureller Evolution anwenden ließe. In einem Analogieschluss wird festgehalten, dass die genetische der kulturellen Vererbung darin ähnlich ist, dass auch dort bestimmte Merkmale durch direkte Kopien und bestimmter Variationen weitergegeben werden (Dawkins 1978: 223). Einen bedeutenden Punkt nimmt hierbei die Replikation und Variation durch Nachahmung ein: kontradiktorisch zur genetischen Vererbung gebe es, so Dawkins, auch bei bestimmten Tierarten[4] eine Vererbung von Verhalten, welches sich nicht durch Weitergabe von Genen erklären ließe. Vielmehr müsse dieses Verhalten durch Nachahmung entstanden sein (Dakwins 1978: 224-226). Er bezeichnet diese, auf Imitation fußende kulturelle Replikatoren als Meme - eine Verkürzung des Begriffes Mimem (Nachahmung).
Meme sind nur analog mit Genen gleichzusetzen. Es handelt sich stattdessen um Bewusstseinsinhalte, etwa Melodien, Gedanken, Mode, Schlagworte, welche sich zerebral festsetzen. Sie können gleichwohl, nach Blackmore, als Anweisung zur Ausübung bestimmter, im Gehirn gespeicherter Verhaltensweisen verstanden und qua Imitation weitergegeben werden (Blackmore 2000: 48). Sie replizieren sich als Bewusstseinsinhalte insofern dadurch, dass sie wiederholt und im besten Falle von anderen Gehirnen aufgenommen und kopiert werden. Dies schließt nicht aus, dass Bewusstseinsinhalte von der Art und Weise, bspw. der sie transportierenden Erzählung, different sind, der Kern indes kopiergenau repliziert werden kann. Somit steht die Kopiergenauigkeit des Mems im Vordergrund, weshalb Dennett (1995) die kleinste Funktionseinheit des Mems als „kleinste Elemente (die) sich selbst zuverlässig und fruchtbar replizieren“ auch hinreichend beschrieben hat (Blackmore 2000: 102): Meme tragen alleinig die Eigenschaft in sich, unabhängig vom Komplexitätsgrad mittels Imitation kopiert zu werden (Blackmore 2000: 104, 120). Meme sind, wie Gene, ebenfalls den universellen Darwinismen Selektion, Variation und Replikation ausgesetzt sind. Sie konkurrieren mit anderen Memen um die Möglichkeit ihrer Replikation und Realisierung im Gehirn (Blackmore 2000: 43). Das menschliche Gehirn fungiert in dieser Hinsicht einerseits als Replikationsgrundlage für das Mem, andererseits stellt es auch dessen selektive Umwelt dar, in dem es qua Festlegung der Rahmenbedingungen Druck auf die Meme ausübt und festlegt, ob sich der Bewusstseinsinhalt evolutionär durchsetzen kann oder nicht (Blackmore 2000: 42ff).
1.1.2 Imitation
Der Prozess, mit dem Meme als Replikatoren weitergegeben werden, wurde bereits weiter oben als Imitation bezeichnet. Die Nachahmung von bestimmten Bewusstseinsinhalten, etwa das Singen einer Melodie oder die Wiederholung eines Werbeslogans, stellt somit eine positive Selektion des jeweiligen mems dar, welches damit die Möglichkeit der Verbreitung und damit Replikation im Mempool erhält. Es erhöht mit größerer Verbreitung also die Wahrscheinlichkeit weiter repliziert zu werden. Dawkins bemüht durchaus eine virologische Terminologie, wenn er von Gedankeneinpflanzung spricht; Meme sind in ihrer Konzeption, so weit sie positiv selektiert werden, mit Viren vergleichbar, da sie sich nur innerhalb des Wirtes vermehren können, der die Grundlage zu ihrer Weitergabe bereit hält (Dawkins 1978: 227).
Imitation bedeutet nicht zwingend, dass eine direkte Kopie des Gedankens erfolgt, da sichtlichjedes Gehirn und Bewusstsein gegenüber dem jeweils anderen Gehirn intrasparent sein muss. Es wird eher eine Anleitung für ein bestimmtes Verhalten übertragen. Der Begriff der Imitation muss daher von Begrifflichkeiten wie Ansteckung und soziales Lernen abgegrenzt werden[5]. Imitationsfertigkeit nimmt den Charakter einer überaus komplexen Handlung an, die nahezu ausschließlich auf Menschen beschränkt bleibt: zum Einen muss nämlich selektiert werden, was genau imitiert werden soll, zum anderen erfordert es zweitens einen perspektivischen Transfer vom Anderen auf sich selbst und die Koordination des eigenen Körpers muss letztenendes im Hinblick auf das zu imitierende Verhalten erfolgen (Blackmore 2000: 98/99).
Imitation als komplexe Resorption und Aneignung von Handlungen lässt so Lernerfolg und Rückschlüsse auf die Form eines bestimmten Verhaltens zu. Meme sind dabei nicht nur auf Bewusstseinsinhalte beschränkt, sondern können Verhaltensanleitungen sein, womit das Gehirn eine Blaupause für die Ausführung eines spezifischen Verhaltens erhält. Meme replizieren sich, indem Form und Details eines Verhaltens durch Imitation kopiert werden, wobei Variationen möglich sein können (Blackmore 2000: 97).
1.2 Überlebenswerte von Memen
Damit Meme sich durchsetzen können, ist ihre Replikationsfähigkeit an bestimmte Überlebenswerte (oder auch: Wahrscheinlichkeiten der Realisierung) geknüpft. Im Kern stellt sich die evolutionstheoretische Frage, wieso und unter welchen Umständen sich die Kopie eines Gedankens verbreiten konnte (Dawkins 1978: 228). Erst unter diesen Bedingungen der Kopierfähigkeit ist Evolution als Konvolut von Selektion, Replikation und Variation möglich. Im Folgenden sollen evolutionäre Erfolgsbedingungen für Replikatoren skizziert werden.
1.2.1 Memetik
Bevor im Anschluss auf die Replikations- und Überlebensfähigkeit von Memen eingegangen werden soll, ist es von Nöten, den theoretischen Unterbau der Memetik von anderen kulturtheoretischen Herangehensweisen abzugrenzen. Memetik ist, da sie für sich die Prinzipien der Evolutionstheorie nach Darwin in Anspruch nimmt, nicht zu verwechseln mit einer theoriegeschichtlichen Abhandlung, welche die kulturellen und zivilisatorischen Entwicklungen im Sinne eines allgemeinen teleologischen Fortschrittes versteht, wie es etwa bei Spencer's oder Comte's Rezensionen des Begriffes Evolution geläufig ist (Blackmore 2000: 57). Eine memetische Perspektive ist weder teleologisch, noch ist sie nutzenmaximierend zu verstehen. Was für die Memetik grundlegend von Interesse ist, sind kulturelle Evolutionen, die sich daraus herleiten lassen, dass sich bestimmte Replikatoren mit der Zeit durchsetzen, während andere dem Selektionsdruck nicht standhalten (Blackmore 2000: 66). Konkret lautet die Frage also: „welche Replikatoren sind gut im Replizieren und wie?“ (Blackmore 2000: 67).
Ein erster Ansatzpunkt, um sich mit Fragen der Memetik zu beschäftigen, bietet eine aus evolutionstheoretischer Perspektive geläufige Annahme, Replikatoren ein generelles (egoistisches) Durchsetzungsinteresse zu unterstellen. Mit Einbezug des Selektionsdruckes der zur Regulation für die Lebensfähigkeit der Replikatoren zuständig ist, muss zwangsläufig eine weitere Annahme einhergehen: die Anzahl der Wirte ist geringer, als die der Meme. Meme sind daher gezwungen, mit anderen Memen in Konkurrenz zu treten, um sich im Wirt „festzusetzen“, der gleichsam dazu dient, die Replikation zu initiieren (Blackmore 2000: 77). Wirte sind im diesen Fall menschliche Gehirne. Blackmore beschreibt sie sinngemäß als „Darwin-Maschinen“, womit sie auf die spatiale These Bezug nimmt, nach derjedem Gehirn nur eine limitierte Anzahl an Ressourcen zur Verfügung steht, um bestimmte Bewusstseinsinhalte verarbeiten, hervorrufen und weitergeben zu können (Blackmore 2000: 82). Die Aufmerksamkeit des Gehirns für bestimmte Meme ist damit begrenzt, schlussendlich selektiv und fokussiert auf jenen Verarbeitungsprozess, „der den Genen nutzt, die das Gehirn geschaffen haben“. Aufmerksamkeit erfolgt somit nicht völlig arbiträr, sondern ist bereits Folge einer Ko-Evolution von Memen und den aus Genen hervorgegangenenVerarbeitungselementen (Blackmore 2000: ebd., hierzu auch Franck 2004).
Damit ein Mem auch Mem im Sinne des Replikationsprimates sein kann, ist es nicht ausreichend, nur Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Es muss seine Kopierwahrscheinlichkeit steigern, indem es auch im Gedächtnis bleibt und den Wirt zwingt, das Mem im Geist ständig zu wiederholen (Blackmore 2000: 83). Der Erfolg von Memen ist somit gekoppelt 1. an die Fähigkeit, Aufmerksamkeit zu generieren, also das sensorische System des Gehirns für die Memaufnahme zu stimulieren, 2. im Gedächtnis haften bleiben zu können und 3. innerhalb der Grenzen von Nachahmungskapazität im Imitationsprozess weitergegeben zu werden (Blackmore 2000: 45). Es herrscht eine gewisse Bandbreite an Memen, die Charakteristika aufzeigen, um ihre Wiederholungsfähigkeit zu garantieren, etwa Meme, die emotional berühren, mit Themengebieten wie Sex und Nahrung verknüpft sind, oder sich in sogenannte Memplexe, strukturelle Konglomerate verschiedener Meme, bspw. Ideologien integrieren lassen[6]. Die eigentümliche Logik des Mems, sich unter allen Umständen durch Weitergabe zu replizieren, konstituiert eine Welt der Meme, die das Bewusstsein füllt und so Denkmöglichkeiten, Skripte, Semantiken und Konditionierungen installiert. Die „Welt der Meme füllt sich mit Gedanken, an die Leute häufig denken “ (Blackmore 2000: 83) und das Bewusstsein selbst wird durch alte und neue Meme bzw. deren Variation präformiert[7] (Blackmore 2000: 44-45). Meme initiieren den Druck, weiterzudenken, jene repetitiv ins Bewusstsein zu bringen und letztlich durch Handlung, Wort, Schrift oder ähnliches weiterzugeben (Blackmore 2000: 85).
1.2.2 Erfolgsbedingungen: Wiedergabetreue, Fruchtbarkeit, Langlebigkeit
Damit Meme schlussendlich erfolgreich sind, sich also replizieren können, müssen drei Erfolgsbedingungen gewährleistet sein, die, in Analogie zur Replikation von Genen, Gültigkeit besitzen. Einen hohen Überlebenswert besitzen Meme durch Langlebigkeit, Fruchtbarkeit und Wiedergabetreue (Dawkins 1978: 230).
1. Langlebigkeit bezieht sich darauf, dass Kopien eine lange Zeit überdauern müssen (Blackmore 2000: 169/170).
2. Eine hohe Fruchtbarkeit besitzen Replikatoren dann, wenn sie in der Lage sind, viele Kopien von sich selbst anzufertigen. (Blackmore 2000: ebd.).
3. Wiedergabetreue gibt an, wie identisch eine Kopie mit der Wiedergabe des Kerns ist, wobei insbesondere Gene sehr kopiergenau arbeiten. Wie bereits oben erläutert wurde, ist die Art der Wiedergabe tendenziell immer different von der wiederzugebenden Information[8]. Sinninhalte können also durchaus generalisiert und relativ wiedergabetreu sein, obwohl die Art und Weise der Wiedergabe heterogen ist (Dawkins 1978: 231). Wenn Meme effizient sind in ihrer Art und Weise, kopiert und gespeichert zu werden, so schließt dies zwangsläufig „einen langanhaltenden Gedächtniseintrag von hoher Wiedergabegenauigkeit‘ ein (Blackmore 2000: 107). Je einprägsamer das Mem, umso größer ist die Chance, dass es wiedergegeben und via Imitation repliziert wird.
Diese drei Kriterien stellen für sich evolutionäre Erfolgsbedingungen dar, die es Replikatoren erlauben Kopien von sich in Umlauf zu bringen. Dabei sei erwähnt, dass die Selektionsfaktoren durchaus zueinander in Konkurrenz stehen und der eine Selektionsvorteil den anderen ablösen kann. So kann eine hohe Fruchtbarkeit von Vorteil sein, da der Replikator die Anzahl der Kopien seiner selbst maximiert. Allerdings verkehrt sich dies in das Gegenteil, wenn keine gute Wiedergabetreue gegeben ist. Je effizienter also die drei Faktoren ausgeprägt sind und sich miteinander vereinbaren lassen, umso wahrscheinlicher ist es für einen Replikator, sich mit diesem
Eigenschaftsset durchzusetzen (Blackmore 2000: 171). Der Selektionsdruck wirkt somit auf immer bessere Replikatoren.
1.2.2.1 Sprache
Ein Beispiel für ein sich evolutionär bewährtes Replikationssystem stellt die Sprache dar. Sprache erhöht einerseits die Möglichkeit für Meme, sich durch Laute zu kopieren, gleichzeitig verschärft sichjedoch der Selektionsdruck, da nicht alle Gedächtnisinhalte im Gehirn auch ausgesprochen und so kopiert werden können (Blackmore 2000: 146-147). Will man Sprache aus der Sicht der Memetik als evolutionären Vorteil verstehen, muss auch hier die Frage gestellt werden, welche Meme phonetisch eingängiger sind und sich leichter aussprechen lassen (Blackmore 2000: 150).
Das Aufkommen der Sprache wird hier aus der Ko-Evolution zwischen Genen und Memen erklärt: Da Sprachfähigkeit für Meme einen Selektionsvorteil darstellt, entwickelten sich rückkoppelnd mit der Entwicklung des Gehirns, Selektionsdrücke auf die Apparatur zerebraler Mechanismen, die das Kopieren von Memen ermöglichten und verbesserten (Blackmore 2000: 168-169). Daraus entstanden Gehirne mit der Spezialisierung dieje erfolgreichsten Memtypen weiterzuverbreiten, da eben jene Meme innerhalb der Ko-Evolution einen Einfluss auf die Durchsetzung der dafür zuständigen Gene nehmen konnten[9].
Vor dem Hintergrund der Erfolgsbedingungen von Replikatoren muss Sprache also einen Selektionsvorteil bieten, der die Fertigkeit von Imitation effizienter gestaltet. Zum einen erhöht Sprache die Fruchtbarkeit von Memen, da Laute eher wahrgenommen werden, als etwa Gesten, Gebärden oder ähnliche Zeichen. Laute können Aufmerksamkeit generieren und setzen sich einfacher fest, dadurch, dass sie im Gedächtnis wiederholt werden können (Blackmore 2000: 172). Die Digitalisierung von Lauten, also die Asymmetrisierung von Lauten in bestimmte Wörter, erhöht die Wiedergabetreue, da Laute somit standardisiert, als sinnhafte Wortketten, weitergegeben werden können. Die Langlebigkeit wird schließlich dadurch gewährleistet, dass Sprache, wie bereits erwähnt, die Erinnerungsfähigkeit verbessert (Blackmore 2000: 173). So festigte die Weitergabe von mündlichen Erzählungen, Geschichten, Sagen, Mythen oder Rezepten die Erinnerung an bestimmte Meme. Es ließe sich zusätzlich mit Lyotard vermutbaren, dass Erzählungen neben einer festigenden, auch eine legitimierende Funktion besitzen, da sie im Kern durch Sprache weniger Möglichkeit zur Alternierung mit sich führen (was schließlich durch die Festsetzung qua Schrift noch verstärkt wird, etwa in religiösen Büchern wie dem Talmud) (Lyotard 2009: 70ff). Aus einer Memperspektive betrachtet konnten sich vor allem komplexe und grammatikalische Laute durchsetzen, die eine hohe Wiedergabetreue, Fruchtbarkeit und Langlebigkeit zur Voraussetzung hatten (Blackmore 2000: 174ff). Sprache ist damit als eine zwangsläufige, aber nicht sinnhafte oder teleologische Entwicklung der Memreplikation zu verstehen. (Blackmore 2000: 176).
1.2.2.2 Schrift
Mit der Weiterentwicklung der Sprachmeme zu den Schriftmemen, ist aus einer Memperspektive ein Evolutionsschritt zu beobachten, der die Fruchtbarkeit, Wiedergabetreue und Langlebigkeit von Memen potenziert. Sprache und Schrift sind somit auch als Entwicklungsphasen einer Kopiermöglichkeit von Memen zu verstehen, in denen die Bedingungen für immer geeignetere Replikationsgrundlagen geschaffen wurden (Blackmore 2000: 325).
Schreibmeme erhöhen die Langlebigkeit des Wortes. Sie sind also in der Lage, Informationen genauer und langfristiger festzuhalten. Dies gelingt durch die Etablierung verschiedener Zeichen- und Schriftsysteme, wobeijeweils unterschiedliche Wortkombinationsmöglichkeiten zur Verfügung stellen, die in Abhängigkeit vom Alphabet höher oder niedriger ausfallen können[10] (Blackmore 2000: 326ff).
Gleichzeitig nimmt im Schriftsystem die Anzahl der speicherbaren Meme zu. Die Vereinheitlichung von Kopiersystemen, die sowohl eine immer größere Anzahl an Daten fehlerfrei speichern, als auch den Abruf dieser Informationen garantieren, hat zur Folge, dass Meme sich in extremer hoher Wiedergabetreue replizieren können, standardisiert sind und weniger Kopierfehler inne haben (Blackmore 2000: 330-331).
Schließlich führte die sukzessive Optimierung von Schriftsystemen dazu, dass Meme ihre Extensionsmöglichkeiten von einem begrenzten lokalen Rahmen auf ein globales Umfeld ausweiten konnten. Entwicklungen wie die Druckpresse und digitalisierende Speicher- und Abrufverfahren, Ausbau von Verkehrswegen und Infrastruktur und insbesondere die globale Vernetzung durch Rundfunkmedien und Internet, hatten einen starken Einfluss auf die Wiedergabetreue, wie auch auf die Vermehrungsrate von Informationen (Blackmore 2000: 333-334). Je präziser ein Mem in seiner Genese verstanden wird, umso wiedergabetreuer kann es auch kopiert werden, weshalb der Übergang von der Produktkopie zur Instruktionskopie ein besonderes Augenmerk erhält. Statt der reinen Nachahmung von Inhalten werden Handlungsskripts zur Verfügung gestellt, die es dem Rezipienten ermöglichen, selbstständig eine präzise Kopie des Inhalts herzustellen (etwa in einem Kochrezept) (Blackmore 2000: 338-339). Aus memetischer Perspektive setzen sich genau diese Meme durch, die in der Lage sind, ihre Erfolgsbedingungen ständig zu erhöhen (Blackmore 2000: 336).
2. Luhmanns Theorie selbstreferentieller Systeme
Ein erster soziologischer Berührungspunkt mit dem Konzept der Memetik erfolgt anhand Luhmanns Theorie selbstreferentieller Systeme. Insbesondere der Aspekt von Anschlussoperationen innerhalb der Kommunikation und die Möglichkeit ihrer Realisierung soll darin beleuchtet werden.
2.1 Differenz System/Umwelt
Die allgemeine Theorie selbstreferentieller Systeme nach Luhmann fußt auf der Differenz von System und Umwelt, womit sie auf das Kalkül der Differenz von George Spencer Brown, als auch auf die Kybernetik zweiter Ordnung von Werner von Foerster rekurriert. Zum Einen zielt sie somit darauf ab, sich von ontischen Denktraditionen zu lösen und ihrer statt die Logik der Differenz als konstitutiv zur System-, damit Einheitsbildung zu fassen, zum Anderen kann die Möglichkeit zur Selbstreferentialität eines Systems letztlich nur mithilfe der Differenz von System und Umwelt erklärt werden: „Ohne Differenz zur Umwelt gäbe es nicht einmal Selbstreferenz, denn Differenz ist Funktionsprämisse selbstreferentieller Operationen “ (Luhmann 1987: 35). Differenz bedeutet hier vor allem, dass substanzielle Begrifflichkeiten wie Einheit oder Identität erst durch die Fremd- bzw. Selbstbeschreibung von Systemen und ihre Umwelt zustande kommt. Für die Umwelt des Systems gilt hierbei, dass sieje nur „systemrelativ“ in Erscheinung treten kann, da sie durch Differenzierung von jedem System neu gebildet wird. Sie ist „für jedes System eine andere, da jedes System nur sich selbst aus seiner Umwelt wahrnimmt“ (Luhmann 1987: 36).
Das Verhältnis zwischen System und Umwelt wird mit den Begriffen Komplexität und organisierte Komplexität beschrieben. Mit Komplexität soll gemeinhin die Unmöglichkeit beschrieben sein, eine bestimmte Menge von Elementen unter- und miteinander in (sinnhafte) Verknüpfung zu bringen. Mit Bezug auf die System-Umwelt-Differenz bedeutet dies, dass Systeme sehr rasch an ihre interne Kapazitätsgrenze stoßen, um Elemente sinnvoll zueinander in Bezug zu setzen, womit es gezwungen ist diese zu selektieren. Dies schließt Kontingenzen ein, tendenziell ist also jede Relationssetzung und Selektion auch immer anders möglich (Luhmann 1987: 46-47). Mit Selektion als Mittel der Einschränkung, als auch der Möglichkeit von Elementrelationen, ist dann auch die Überführung von Komplexität in organisierte Komplexität, oder auch die Konditionierung von Elementen untereinander gewährleistet, was schlussendlich Systeme als emergente, autopoietische Ordnungen entstehen lassen kann[11].
Schlussendlich bedeutet Reduzierung von (Umwelt)Komplexität nichts anderes, als die Rekonstruktion eines hoch komplexen Zusammenhangs mittels eines selektiven Gefüges von reduzierten Relationen, folglich einer graduell niedrigstufigeren Komplexität (Luhmann 1987: 4540, 250ff). Dabei sind Systeme, im Hinblick auf ihre eigene Konstitution darauf angewiesen, die Differenz zu ihrer genuinen Umwelt zu nutzen um daraus Informationen zu gewinnen und zu verarbeiten (Luhmann 1987: 263).
Die daraus ableitbare Differenz zwischen System und Umwelt wird durch Sinngrenzen vermittelt (Luhmann 1987: 265ff) und weist auf deren doppelseitige Aufeinanderangewiesenheit hin. Systeme sind, nach Maturana und Varela (1980), an sich zwar autopoietisch, also operativ geschlossen. Schließung bedeutet allerdings nicht Absenz von Umwelt, da diese mittels Selbstbeobachtung innerhalb der autopoietischen Reproduktion immer mit einbezogen wird (Luhmann 1987: 63-64 / Luhmann 1998: 30). Systemgrenzen trennen und verbinden somit System und Umwelt, wobei beide Seiten der Differenz zur Konstitution jeweils wechselseitig aufeinander angewiesen sind. Im Folgenden soll der Begriff Sinn als Verweisungsstruktur für selbstreferentielle Systeme genauer erläutert werden.
2.2 Sinnsysteme
Sozialsysteme wie psychische Systeme zeichnen sich durch ihre Eigenart aus, Sinn zu nutzen. Sinn meint im Kontext der Systemtheorie den „Überschuss von Verweisungen auf1weitere Möglichkeiten des Erlebens und Handelns“ (Luhmann 1987: 93). Präzise bezeichnet Sinn also einen Horizont von intendierten (intendierbaren) und aktualisierten Möglichkeiten, der innerhalb von Systemen thematisiert ist und für die Operationsleistung der Systeme konstitutiv ist. So setzt Sinn das System zwangsläufig einem hohen Maß an Komplexität aus, und dient gleichzeitig als Selektor und Regulator, da durch die Verweisungsstruktur von Sinn eben nur eine Auswahl an operativen Anschlussmöglichkeiten für das System in Frage kommt (Luhmann 1987: 94/95). Sinngrenzen bestimmen rekursiv die Operationen des Systems, weshalb alles in der Umwelt des Systems in Bezug auf die Differenz von Aktualität und Möglichkeit abgefragt wird und ein laufendes Aktualisieren von Möglichkeiten impliziert. (Luhmann 1987: 95-96, 111). „Sinn haben heißt: dass eine der anschließbaren Möglichkeiten als Nachfolgeaktualität gewählt werden kann, sobald das jeweils Aktuelle verblasst und Aktualität aus eigener Instabilität aufgibt“ (Luhmann 1987: 100).
Sinn besitzt damit gleichsam einen Ordnungswert, da mittels Sinn, also der Differenz von Aktualität und Möglichkeit, Zufälle als Informationen verarbeitet werden und auf Grundlage ihrer Anschlussmöglichkeiten für das System reflektiert werden können (Luhmann 1987: 111). Sinn selbst lässt sich in seine jeweiligen Dimensionen dekomposieren, welche durch die Differenz ihrer jeweiligen Horizonte dazu beitragen, Sinn für das System selbstreferentiell zu respezifizieren, ohne ihn der Tautologie auszusetzen[12].
2.2.1 Sozialsystem als Sinnsystem
Innerhalb der Sinndimension des Sozialen tritt unwillkürlich das Problem doppelter Kontingenz auf. In nuce bezeichnet dies die aus dem Aufeinandertreffen zweier, sich als sinnhaft wahrnehmender Systeme (psychischer oder sozialer) resultierende Schwierigkeit bis Unmöglichkeit der Verhaltensabstimmung, da sich diese als komplexe Umwelt begegnen (zwangsläufig begegnen müssen) (Luhmann 1987: 151-152). Kontingenz, etwas, das auch anders möglich wäre, dient hier als Begriff, um die Probleme wechselseitiger Intransparenz von Systemen zu beschreiben, die ihre Erwartungen und Erwartungserwartungen an das andere System nur durch ihre eigenen operativ geschlossenen Sinngrenzen zu formulieren imstande sind (Luhmann 1987: 156). Der aus dieser Differenzperspektive beobachtbare Sachverhalt kann mithin zur Bildung von sozialen Systemen führen, als „emergente Ordnung, die bedingt ist durch die Komplexität der sie ermöglichenden Systeme, die aber nicht davon abhängt, dass diese Komplexität auch berechnet und kontrolliert werden kann “ (Luhmann 1987: 157). Soziale Systeme sind indes also nicht in der Lage, völlige Transparenz herzustellen, dafür jedoch Erwartungen zu stabilisieren und damit in gewisser Weise Verhaltensunsicherheiten im Handeln einzudämmen, womit sie strukturbildend wirken (Luhmann 1987: 158ff). Handlungen dienen hierbei als Zurechnungspunkte von Operationen um Kontingenzerfahrungen zu begegnen, die sich eben aus der weiterhin präsenten, wechselseitigen Intransparenz ergeben (Luhmann 1987: 160ff). Innerhalb der Sozialdimension wird somit - anhand von Handlungen - die Möglichkeit der jeweiligen Anschlussoperationen aktualisiert, welche anhand von (Erwartungs-)-Strukturen und Konditionierungen selektiert werden.
2.2.2 Operation des Sozialsystems - Kommunikation
Sozialsysteme operieren über Kommunikation. Wenn im vorherigen Kapitel von Handlungen die Rede war, so rückt die systemtheoretische Perspektive von einer interaktionsorientierten Handlungstheorie ab und verfolgt einen auf Operationen fußenden Ansatz. Handlungen werden somit als reifizierter Zurechnungspunkt infolge von Komplexitätsreduktion behandelt, die qua Kommunikationen realisiert werden (Luhmann 1987: 191). Kommunikation ist so zu verstehen als amorphes und fluides Verhältnis von Selektionen, welches erst mit Hilfe des Handlungsbegriffes lokalisiert und temporalisiert wird. Handlungen werden so beobachtbar, Kommunikation hingegen kann vom Beobachter nur erschlossen werden, als Folge von Handlungen (Luhmann 1987: 226/227). Kommunikation soll hier daher nun, diametral zum Begriff der Handlung, nicht ontologisch-verortbar verstanden sein, sondern als selektives Geschehen. Kommunikation impliziert mit Bezug auf Sinn als Differenz von Aktualität und Möglichkeit, bereits Selektion. Sie „greift aus ihrem eigenen Verweisungshorizont etwas heraus und lässt anderes beiseite “ und bietet somit ebenfalls ordnungsbildende Potenz (Luhmann 1987: 194-195).
2.2.2.1. Information, Mitteilung, Verstehen
Der klassische Kommunikationsbegriff, der sich auf Absender und Empfänger stützt, zeigt sich nach Luhmann unbrauchbar für eine ausführliche systemtheoretische Analyse. Dieser impliziere, dass der Kommunikationsprozess beginne, nachdem eine Information vom Absender selektiert und dann dem Empfänger mitgeteilt würde. Luhmann wendet hier ein, dass bereits die Selektivität der Information Bestandteil des Kommunikationsprozesses sei (Luhmann 1987: 195). Kommunikation kommt aber nur zustande, wenn sowohl Ego als auch Alter die Differenz zwischen Information und Mitteilung (an)erkennen, wechselseitig erwarten und so ihrenjeweiligen Anschlussoperationen, also weiterer Kommunikationen, zugrunde legen können (Luhmann 1987: 196). Erst auf Grundlage der Selektionen zwischen Information, Mitteilung und Differenz Information/Mitteilunge kann Kommunikation als solche möglich sein (Luhmann 1987: 197). Um kommunizieren zu können, also die Informationen mitzuteilen, bedarf die Information zusätzlich einer Codierung. Sie wird somit in eine bestimmte sprachliche (textliche) Form überführt und fluktuiert zwischen Alter und Ego als beiderseitig antizipierte Form der Standardisierung von Informationen, wobei nicht-codierte Informationen für das System als Störung auftreten.
Diese Ausführungen verweisen, neben der Einheit aus Information und Mitteilung, auf ein weiteres Element, das Kommunikation erst wahrscheinlich macht, nämlich das wechselseitige Verstehen. Dadurch, dass auf Seite von Alter und Ego Mitteilungsverhalten von Informationen unterschieden werden kann, lassen sich beiderseits Kommunikationsprozesse steuern, die über die reine Wahrnehmung von Informationen hinausgehen. Auf aufeinander folgenden Kommunikationen muss überprüft werden, ob die vorausgegangene Kommunikation auch verstanden wurde (Luhmann 1987: 199). Die aufgenommene Mitteilung wird mit Bezug auf sich selbst geprüft und die Möglichkeit dieses Verstehens gleichzeitig auf Alter attribuiert. So können zwar kommunikative Zumutbarkeiten und daraus durchaus folgende Einschränkungen in Bezug auf Themen und Semantik folgen, diese berühren aber nicht die Verstehbarkeit einer Aussage, lediglich deren Bewertung einer Eignung, die wiederum Verstehen voraussetzt und anderweitige Anschlussmöglichkeiten zulässt (Luhmann 1987: 201).
2.2.2.1.1 Anschlussfähigkeit
In einem kurzen Verweis soll der Terminus der Anschlussfähigkeit genauer beleuchtet werden. Sinnsysteme zeichnen sich, wie erläutert, durch ihre Eigenart aus, auf der Grundlage von Sinn zu operieren, womit sie die Differenz von Aktualität und Möglichkeit ihren weiteren Operationsleistungen zugrunde legen. Die das System konstituierenden Elemente werden darin von diesen selbst erst immer wieder neu geschaffen. Systeme prozessieren entsprechend auf der Basis ihrer jeweiligen Elementaroperationen, dass bedeutet, sie schließen ihre Operationen, indem sie selbstreferentiell auf die für das System anschlussfähigen Elemente rekurrieren und dadurch definieren. Soziale Systeme schließen somit Kommunikationen an andere Kommunikationen an und sind per definition gar nicht in der Lage bspw. Bewusstseinsinhalten im Rahmen systemischer Operationen Anschlussfähigkeit zu gewähren (Luhmann 1987: 59ff). Anders gesagt: Man kann zwar darüber kommunizieren, dass man sich unglücklich fühlt, aber man kann das Gefühl nicht unmittelbar auf jemand anderen übertragen. Dadurch, dass Sinnsysteme ihre Reproduktion selbstreferentiell-geschlossen prozessieren, muss sich eine systemtheoretische Perspektive de facto dafür interessieren „wie man überhaupt von einem Elementarereignis zu einem nächsten kommt“ (Luhmann 1987: 62). Der Schwerpunkt, um etwa Strukturbildung zu erklären, liegt also darin, die Reproduktion des Systems durch genuine operative Anschlussfähigkeiten der Elemente zu verstehen. Im Fall von Sinnsystemen definiert die in der Sinnbeobachtung mitgeführte Differenz von Aktualität und Möglichkeit (als Akt der Selbstreferenz), sowie die damit inhärent verknüpfte Selektion sinnhafter Elemente bzw. Ereignissejene Elemente, die für die Elementaroperationen des Systems anschlussfähig, also möglich, sind (Luhmann 1987: 94 -100).
2.2.2.2. Annahme/Ablehnung
Sobald Verstehen als Selektion integriert ist, kommt Kommunikation zustande und eröffnet Möglichkeiten wie auch Einschränkungen für weitere Kommunikationsakte.
Kommunikation ist nun zwar mithilfe der drei oben genannten Selektionen realisiert. Simultan läuft allerdings, mit jedem Kommunikationsakt, auch die Differenz von Annahme- als auch Ablehnungswahrscheinlichkeit bestimmter Sinnofferten mit. Wenn Kommunikation als Einheit erfolgt, stimuliert sie zwangsläufig ihre Differenzbildung in Anschlussmöglichkeiten und setzt zur ihrer Realisierung Verstehen voraus. Sobald also ein Kommunikationsakt verstanden wird, ist Kommunikation geschehen und bleibt auch irreversibel Kommunikation. Unberührt hiervon ist allerdings, ob diese auch für den Empfänger anschlussfähig, im Sinne einer positiven Annahme oder negativen Ablehnung, sein wird. Zweifellos zwingt Kommunikation den Empfänger zur Selektion ebendieser (Luhmann 1987: 204-205). Daher wirkt Kommunikation einerseits einschränkend und andererseits auch möglichkeitsgewährend.
Neben Pressions- und Aushandlungselementen, welche die Anschlussfähigkeit von Kommunikationsakten beeinflussen, sind vor allem Konditionierungen wirksam, indem sie evolutionär-bewährte Folgeoperationen strukturieren. Sie bestimmen den Selektionsakt und präformieren die Annahme- und Ablehnungswahrscheinlichkeit von Kommunikationen, womit unwahrscheinlichere Kommunikationen möglich gemacht werden können (Luhmann 1987: 206)[13].
2.2.2.3. Themen / Beiträge
Wenn unwahrscheinliche Kommunikation in wahrscheinliche Kommunikation transformiert werden soll, setzt sie Nicht-Beliebigkeit voraus. Kommunikationsakte würden sonst als Einzelakte oder situativ stets neu verhandelbare Ereignisse auftreten. Um Kommunikation als Prozess auszudifferenzieren - Ereignisse die selbstreferentiell und wechselseitig konditioniert sind - bedarf es der Differenz von Themen und Beiträgen. Themen ordnen Kommunikationszusammenhänge und konstituieren damit einen sinnhaften Rahmen, den Beiträge als Referenz nutzen und damit gleichzeitig reproduzieren können (Luhmann 1987: 213-214). Sie strukturieren folglich den Kommunikationsprozess und können eine Generalisierungsleistung erbringen, indem sie entkoppelt von einer sachlichen, sozialen und zeitlichen Punktuierung Kommunikationsinhalte und deren (selbstreferentielle) Verarbeitung installieren. Entsprechend emanzipieren Themen von
Einzelkommunikationen, da Sinnbezüge letztlich jederzeit aktualisiert werden können und reduzieren so Komplexität. Da sie jedoch Teil des Kommunikationsprozesses sind, läuft bei ihnen selbstverständlich die Differenz zwischen Annahme / Ablehnung mit: sie konditionieren und dekomplexisieren zwar Beiträge, annullieren damit indes nicht den im Akt mitlaufenden Gegensinn.
(Luhmann 1987: 216ff).
2.2.2.4. Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation / Erfolgsbedingungen
Gegeben sind nun die formellen Voraussetzungen um Kommunikation zu installieren, sowie in einen konditionierten Rahmen zu überführen. Geklärt ist damit allerdings noch nicht, was Anschlusskommunikationen möglich bzw. wahrscheinlich macht. Vorausgesetzt, dass Kommunikation Abstimmungsfindungen zwischen Lebewesen mit ihrer je eigenen Umwelt erfordert, sind Kommunikationsakte tendenziell der Kontingenz ausgeliefert und müssen so als unwahrscheinlich zu realisieren gelten (Luhmann 1987: 217). Im Rahmen der weiter oben genannten Punkte ist, nach Luhmann, mit drei Unwahrscheinlichkeiten zu rechnen:
1. Die Unwahrscheinlichkeit, dass der Empfänger den Absender versteht. Verstehen und Missverstehen läuft als Möglichkeit von Sinnsystemen immer mit und da Sinn an den Kontext des jeweiligen Systems bzw. Bewusstseins gekoppelt ist, ist eine Abstimmung, bzw. ein sinngleiches Verstehen diffizil.
2. Die Unwahrscheinlichkeit den Adressaten zu erreichen. Dies berührt das Problem, außerhalb situativer Kontexte Kommunikation zu betreiben, da räumliche und zeitliche Grenzen als Barrieren wirken.
3. Die Unwahrscheinlichkeit mit der verstandenen Kommunikation auch Erfolg zu haben, also Annahmewahrscheinlichkeiten zu realisieren (Luhmann 1987: 218).
Selbst wenn also Kommunikation auftritt und verstanden wird, muss die Realisierung von Extensions- und Annahmewahrscheinlichkeiten vollbracht werden, damit soziale Systeme sich vor dem Hintergrund der Kontingenz als emergente Ordnungen bilden können. Soziokulturelle Evolution heißt damit vor allem eine „Umformung und Erweiterung der Chancen für aussichtsreiche Kommunikation “ (Luhmann 1987: 219), was sich durchaus komplementär zur Replikationsfähigkeit von Memen bei Dawkins und Blackmore betrachten ließe. Evolutionärer Erfolg bedeutet auch hier Überlebensfähigkeit unter der Bedingung numerischer und kontingenter Unwahrscheinlichkeit unter Beweis zu stellen.
Für soziale Systeme dienen Medien als eben jene evolutionären Errungenschaften, welche Unwahrscheinliches in Wahrscheinliches transformieren (Luhmann 1987: 220). Dialogisch zu den drei Imponderabilien lassen sich dazuje ihre drei komplementären Bearbeitungsmedien skizzieren.
1. Das Medium der Wahrscheinlichkeit um Verstehen zu gewährleisten heißt hier Sprache. Arbiträre Ereignisse erscheinen für das System als Information und somit sinnhaft.
2. Die Medien zur Realisierung von Extension sind Verbreitungsmedien, die sich auf Grundlage von Sprache entwickelt haben: Schrift, Massenmedien, Internet (Luhmann 1987: 221). Sie dienen als selektive Standardisierungen von Informationen.
3. Annahmewahrscheinlichkeiten werden durch symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien erhöht. Sie stellen jene generalisierten Medien dar, die sich als gemeinsamer Nenner in ihrer Anschlussfähigkeit evolutionär bewährt haben[14] (Luhmann 1987: 222).
Insbesondere mit den Verbreitungsmedien, wie Schrift und Buchdruck, wird Kommunikation aus einem interaktionellen Umfeld entkoppelt, indem die Differenz zwischen Information und Mitteilung hervortritt. Informationen gewinnen so ihre eigene Realität und können daraufhin als scheinbar objektiv feststehende Entität geprüft und wieder in die Kommunikation eingebracht werden. Entsprechend organisiert wird dies über die Reproduktion der weiter oben genannten Themen und die damit inhärenten Beiträge (Luhmann 1987: 224). Einen besonderen Stellenwert als extensives Verbreitungsphänomen nehmen hierbei Massenmedien ein (Luhmann 1995). Sie transformieren Irritation, also Zufälle, in Informationen, wobei sich der Informationswert daraus zieht, ob sie eine Neuigkeit darstellen. Erst dann ist eine Irritation so weit erzeugt, dass sie vom System als Information bearbeitet und kommunikativ in Form von Nachrichten eingeführt werden kann. Strukturbildend sind Nachrichten, Werbung und Unterhaltung als Formen massenmedialer Kommunikation insofern, als dass sie vor dem Hintergrund tenedenziell unendlich vieler Empfänger, Voraussetzungen für weitere anschlussfähige Kommunikationen schaffen, die natürlich jederzeit auch wieder, als "nicht konsenspflichtige Realität" abgelehnt werden können (Luhmann 1995: 14, 17-22, 48/49).
2.2.2.5. Redundanz und Differenz
Soziale Systeme steigern zwangsläufig interne Komplexität, wenn sie mithilfe von Kommunikation Zufälle in Informationen umwandeln, also innerhalb ihrer Sinngrenzen zur Möglichkeit der Aktualisierung resorbieren (Luhmann 1987: 237). Zur Regulierung der Komplexität dient Redundanz, indem sie „überzählige Möglichkeiten, die aber gleichwohl eine Funktion erfüllen “ bereitstellt. Redundanzen meinen einen Informationsüberschuss, bei dem Informationen nicht mehr an eine einzelne Person oder Instanz gekoppelt sind, sondern über viele verschiedene Wege, Personen, Medien relativ kopiergenau übernommen werden können (Luhmann 1987: 238ff). Mittels Redundanzen werden so Sinnkonditionierungen, ergo Strukturbildung in Gang gebracht und nehmen das selektive Geschehen für den Einzelnen vorweg.
Inwieweit sich dann thematische Strukturen und die damit verknüpfte Redundanz von Sinngehalten evolutionär bewähren, ist laut Luhmann „aus der Zwangsläufigkeit des Ordnungaufbaus nicht abzuleiten“ (Luhmann 1987: 239). Kommunikation katalysiert zwar Systembildung und realisiert mit der Zeit die Transformation von Unwahrscheinlichkeit in Wahrscheinlichkeit, aber es liegt letztendlich in der Konfiguration des System-Umwelt Verhältnisses begründet, ob Elemente vom System als Informationen und Redundanzen oder letztlich Störungen verarbeitet werden. Eine Theorie selbstreferentiell-geschlossener Systeme, die mit dem Kommunikationsbegriff operiert, bietet vor allem einen analytischen Rahmen, der auf Differenz fußt und Kommunikation als selektives Geschehen und deren Erfolg als evolutionäre Errungenschaft begreift. Vor dem Hintergrund präsenter Kontingenz und Entropie ist strukturierte Wahrscheinlichkeit demnach immer unwahrscheinlich.
2.3. Konklusion
Ein derartiger systemtheoretischer Ansatz korrespondiert mit der Logik von Memen, indem, ähnlich wie bei Dawkins und Blackmore, evolutionstheoretische Prämissen auf kommunikative Elemente angewandt werden. Ein Mem kann in dieser Hinsicht als Kommunikationselement verstanden werden, das sich erst vor dem Hintergrund von Realisierungsunwahrscheinlichkeiten durch positive Selektierung durchsetzen kann. Gleichsam ko-evolvieren damit Strukturen und Konditionierungen, die Kommunikation bzw. Mem-Anschlussfähigkeit mit der Zeit immer wahrscheinlicher machen.
3. Zur Akteur-Netzwerk-Theorie bei Bruno Latour
Die Basis, auf der ein grundlegender Akteur-Netzwerk-Theorie-Ansatz (ANT) aufbaut, besteht darin, unbestreitbare Tatsachen (matters of fact) wieder in umstrittene Tatsachen (matters of concern) zu transformieren. Aus einer Perspektive des Konstruktivismus, die Latour und andere Vertreter der ANT verwenden, ergibt sich die Fragestellung, wie eine Realität durch die Mobilisierung und Assoziation von Entitäten entstehen bzw. scheitern kann. Sie geht im Vorfeld von der Prämisse aus, dass Realität immer konstruiert ist, und es Sache der Wissenschaft sei, die für die Konstruktion zuständigen Elemente aufzuschlüsseln. Hingegen sei innerhalb der sozialkonstruktivistischen Theorieentwicklung das „Soziale“ zum Platzhalter einer morphologischen Binde- und Prägekraft von Phänomenen erklärt worden. Sie rekurriert damit auf eine ontische Stofflichkeit, die selbst Reduktionsleistungen anstrebt, damit sie Erklärungen für soziale Phänomene liefern kann. Ein solches Verfahren wird von der ANT als matter of fact bezeichnet: eine anfänglich vereinbarte Präferenz für Handlungsträger und Wirkkräfte, die sich selektiv unter dem Begriff des Sozialen subsumieren ließen (Latour 2007: 152-176). Vielmehr liege die Aufgabe der Soziologie jedoch darin, wieder die Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sich Akteure versammeln. Dieser Herangehensweise ist daher eine Fluidität der facts, der sozialen Tatsachen als stoffliche Ursachenphänomene inhärent, die keinen Erklärungsanspruch einfordern dürfen. Stattdessen müssen feststehende Begrifflichkeiten hinterfragt und abgelehnt werden, und dafür einer Zuwendung zur Unbestimmbarkeit des Sozialen Platz einräumen. Aus den matters of facts müssen so matters of concern werden (Latour 2007: 179).
3.1 Vom Akteur zum Aktant
Um im Kern das zu beschreiben was das „Soziale“ bildet, empfiehlt ein Ansatz, der sich auf die Akteur-Netzwerk-Theorie stützt, eine Reformulierung der Wirkketten, die sich mit dem Begriff Handlung beziffern lassen. Ausgegangen wird hierbei von einer Welt des Sozialen, die durch unendlich viele, intransparente Handlungsträger konstituiert ist und sich im ständigen Werden und Vergehen befindet. Dabei wird Handlung nicht auf die Performanz intentionaler, bewusster Akteure, etwa Subjekte, beschränkt: Handeln wird vielmehr verstanden als ein „Konglomerat aus vielen überraschenden Handlungsquellen “. Dadurch werden einerseits die Begriffe Handlung und Akteur nivelliert, und andererseits auf eine ergebnisoffene Methodik hingewiesen, die sich mit potentiellen Instabilitäten und Fluiditäten beschäftigt, auf deren Grundlage das Soziale konstituiert ist (Latour 2007: 77). Die Schlussfolgerung aus einer Kritik des „klassischen“ subjektorientierten Begriff des Handelns ist indes nicht dessen Aufhebung, sondern Respezifizierung. Der Terminus „Handlung“ in der ANT muss in der Lage sein, die Polykontextuariltät, Fluidität und Simultanität des Sozialen zu beschreiben (Latour 2007: 79).
Die Respezifizierung von Handlung erfolgt bei Latour, indem Handlung unter einem Ereignisgesichtspunkt aufgefasst wird. Handeln dient nicht als Reifizierungspunkt, um kausale Wirkketten abzubilden, weshalb er auch nicht unter bestimmte, konstruierte Handlungsträger wie Klasse, Kultur, Struktur, Gesellschaft subsumiert werden kann. Es gibt somit kein spezifisches Makrophänomen, von dem sich behaupten ließe, dass es handele oder eine Wirkung (X) auf ein Phänomen (Y) habe. Handlung ist selbst „Überraschung, Vermittlung und Ereignis “ (Latour 2007: 80). Handlung wieder zu dekonstruieren und als ergebnisoffenen Terminus zu behandeln, führt zur Schlussfolgerung, diese unterdeterminiert zu verstehen und sich erneut zu fragen wer oder was eigentlich „handelt“. Ein erster Schritt, sich dieser Frage zu nähern besteht darin, den offenen Begriff von Handlung mit einem modifizierten Bild des Akteurs in Vereinbarung zu bringen. Akteure haben innerhalb der ANT eine kleinste gemeinsame Funktionseinheit inne: der Akteur stellt nicht den Handlungsursprung dar, sondern ist selbst ein Ereignis, welches durch (viele) andere zum Handeln gebracht wird (Latour 2007: 81). Ein Akteur ist somit zuvorderst auch etwas, was einen Unterschied macht, bzw. eine Spur hinterlässt, womit er im Sinne der ANT „handelt“: er verändert, ist Teil der Veränderung und wird durch andere Entitäten selbst verändert, die erst dessen Handeln initiieren. Er kann auch beschrieben werden als „Suchheuristikzur Identifikation von Beteiligten an kollektiven Zusammenhängen“ (Passoth in Sutter/Mehler 2010: 216-217). Wird Handeln nicht mehr als Ursprung von Akteuren betrachtet, sondern als Potentialität und Ereignis, als „Entlehnung“, so muss auch davon ausgegangen werden, dass sich Handlungen nicht direkt lokalisieren lassen (Latour 2007: 82). Sie bleiben zuvorderst unbestimmt in ihrem Ursprung und müssen vom Soziologen auch als unbestimmte Phänomene respektiert und behandelt werden. Die Reformulierung des Akteur- und Handlungsbegriff stellt entsprechend eine methodische Empfehlung dar, das Prinzip der Ergebnisoffenheit maximal auf alle sozialen Phänomene anzuwenden, ohne sich von Erwartungen leiten zu lassen, welche die Phänomene verzerren (Latour 2007: 83ff).
Sobald die ANT dazu übergeht, Akteure und ihr Handeln, im Vorfeld unbekannt zu lassen, ist es die Aufgabe des Soziologen, Handlungsträger innerhalb eines Berichtes wieder zu identifizieren. Dem zugrunde liegen die Schlussfolgerungen:
1. Handlungsträger als Spuren hinterlassend zu definieren. In dieser Hinsicht kann die Anzahl potentieller Akteure in einem Netzwerk immer zunehmen, da sich erst innerhalb des Berichts herausstellt, welcher Träger einen „Unterschied für die gegebene Situation “ macht (Latour 2007: 92). Ein Akteur, der nichts bewirkt ist daher auch kein Akteur und wird im Netzwerk nicht berücksichtigt, da er nicht „spricht“ (Passoth in Sutter/Mehler 2010: 218).
2. Muss der Hinweis gegeben werden, dass der Akteursbegriff durchaus vorurteilsbehaftet ist, da er eine bestimmte Figuration impliziere, die auf vorkonstruierte, stoffliche Mikro-, Meso- oder Maktroentitäten als Handelnde abziele. Um sich von der klassischen Akteurssicht zu emanzipieren, gibt Latour den Ratschlag, auf den Begriff des Aktanten zurückzugreifen, der Assoziationen Raum lässt (Latour 2007: 93-97).
3. Sollten Akteure als reflexive Akteure gewürdigt werden; sie sind „selbst kritisch in Bezug auf Entitäten“ und stellen somit eine eigene selbstreferentielle Realität her (Latour 2007: 98ff).
4. Folgt hieraus auch, dass Akteure durchaus in der Lage sind, von sich und ihrer Umgebung selbst Handlungstheorien zu entwerfen, um selbstreflexiv die Phänomene zu erklären, die sie umgeben und prägen (Latour 2007: 100).
3.2 Zwischenglieder und Mittler
Durch den Verzicht auf eine Substantivierung des Sozialen, also die Reduzierung sozialer Assoziationen auf einen stofflichen Kausalursprung, muss mit einer Redefinition von Akteur und Handlung auch die Beziehung zwischen den Akteuren performativ verstanden werden. Damit wird der Annahme Tribut gezollt, dass das Soziale sich nicht in einem festen Bezugsrahmen verwirklicht: soziale Phänomene sind mannigfaltiger und volatiler und lassen sich nicht bzw. nur näherungsweise, anhand einer Kausalbeziehung zwischen Strukturen, Korrelaten und Subjekten abbilden. Es lässt sich somit im Kontext einer Akteur-Netzwerk-Theorie auch nicht konstatieren, dass es spezifische Gruppen gäbe, mittels derer sich soziale Aggregate skizzieren ließen (Latour 2007: 53). Stattdessen sind Verschiebungen und Fluktuationen der jeweiligen Bezugsrahmen als Regel geltend zu machen. Man kann ad hoc nie wissen, welche Akteure sich wann, wo und vor allem wie asoziieren. Somit sind nicht nur die Akteure selbst, wie bereits oben erläutert, umstrittene Tatsachen, sondern auch die Beziehungen und performative Netzwerke, die jene Akteure miteinander eingehen (Latour 2007: 62).
Performativ bedeutet hierbei soviel wie Instabilität. Assoziationen sind nicht feststehend, sondern sind, sobald sie entstehen, immer auch im Punkt ihrer Auflösung begriffen, weshalb sich Assoziationen auch nur dann darstellen lassen können, wenn diese sich in ihren Wirkungen zeigen. Nur der Akteur, der eine Spur hinterlässt, ist ein Akteur und genauso sind Assoziationen nur solche, wenn sie auch sichtbare Wirkungen entfalten - wobei beide nur unter performativen Umständen in Kraft treten. Sobald Akteure nicht mehr in Beziehung zueinander stehen, nicht mehr handeln, löst sich auch die Assoziation auf (Latour 2007: 67/68).
Latour unterscheidet zwischen Zwischengliedern und Mittlern als Elemente, die das Soziale produzieren. Als Zwischenglied bezeichnet er eine Entität, die eine bestimmte Kraft aufnimmt und weiter transportiert, diese aber nicht weitergehend transformiert. Mit dem Input ist auch der Output vordefiniert, womit Zwischenglieder sich tendenziell auch dazu eignen, klare, lineare Kausalaussagen zu treffen. Ein gutes Beispiel hierfür wären in der Kybernetik etwa triviale Systeme, wie ein Verbrennungsmotor, oder bspw. Habitustheorien, die von einem bestimmten Milieu und der damit verknüpften Ausstattung an Kapitalarten auf den Habitus einer Gruppe schließen können. Die theoretischen Rahmenbedingungen sind statisch gehalten und lassen Prognosen zu. Mittler stellen gegenteilig Elemente dar, deren Output sich nicht aus dem Input erschließen lässt. Die Eigenart eines Mittlers ist es, die Bedeutung der Elemente, die er aufnimmt, zu ,,übersetzen, erstellen, modifizieren und transformieren “. Ein Mittler ist so in der Lage, einem relativ banalen Input ein Höchstmaß an Komplexität hinzuzuführen. Ein Beispiel für einen Mittler wäre etwa eine Aussage in einem Gespräch, die zwar trivial erscheinen mag, aber abhängig von der Situation unerwartete, komplexe, sogar paradoxe Folgen auf verschiedenen Interaktionsebenen mit sich führen kann (Latour 2007: 67ff).
Der genuine Unterschied zwischen Zwischengliedern und Mittlern lässt sich darin ausmachen, dass erstere eine Transportfunktion erfüllen; Elemente, die auf Zwischenglieder treffen, werden invariabel weitergegeben, während letztere diese Elemente zu übersetzen imstande sind, was eine erhöhte Variabilität und Unsicherheit zulässt. Daraus folgt auch die theoretische Notwendigkeit, dass die Verknüpfungen, die Zwischenglied und Mittler bilden, aufeinander irreduzibel sind: beide erfordern jeweils eine spezifische Art der theoretischen und methodischen Annäherung (Latour 2007: 70-72). Für die Akteur-Netzwerk-Theorie heißt dies, dass sie, wenn sie sich für die performative Dimension der sozialen Assoziationen öffnet, Akteure immer auch als Mittler auffassen muss, die in ihren Folgen keine klaren, erwartbaren Resultate aufweisen können. Soziale Aggregate konstituieren sich auf Grundlage einer infiniten Anzahl an Mittlern, in denen Zwischenglieder nicht, wie in den meisten soziologischen Theorien die Regel, sondern die Ausnahme darstellen (Latour 2007: 70-72).
3.3 Interobjektivität und Dauerhaftigkeit
Diese Prämissen zielen auf die Berücksichtigung eines instabilen, performativen Bezugsrahmens. Dennoch schließt Volatiltiät nicht Formen der Struktur und Dauerhaftigkeit aus. Daher muss auch die Akteur-Netzwerk-Theorie ihr Augenmerk darauf legen, wie sich soziale Beständigkeit erklären lässt.
Es läge nahe, dies von der Ebene der Interaktion heraus zu tun. Wenn von volatilen Assoziationen die Rede ist, treten vor allem Interaktionen als situative, spontane, instabile Sozialitätstypen in das Bewusstsein, aus deren Verfestigung die Bildung sozialer Gebilde, wie Netzwerke oder Gesellschaft, erklärt werden soll. Eine Akteur-Netzwerk-Theorie lehnt diesen Standpunktjedoch ab, da Interaktionen nur einen geringen Ausschnitt aller Assoziationen ausmachen und soziologische Konglomerate, wie der Begriff der Bindung, analytisch unzureichende Abkürzungen darstellen (Latour 2007: 117-119).
Stattdessen wird von der Interaktion abgerückt und auf eine Integration aller Entitäten abgestellt, die im Sinne des Akteurbegriffes handeln, also einen Beitrag dazu leisten, das Netzwerk zu bilden und zu stabilisieren. Dabei kommt den Objekten und Dingen eine besondere Bedeutung zu: es handelt sich dabei, im Widerspruch zu einer objektivistischen Perspektive, um basale, materielle Dinge wie Schlüsselanhänger, Fahrstuhl, Poststelle, Eisenbahn, PC, die im Kontext einer Stabilisierung des Netzwerkes zu berücksichtigen sind. Durch Dinge kann sich bestimmtes soziales Handeln nicht-dauerhafter Akteure, wie Menschen, zeit- und raumübergreifend festigen (Latour 2007: 121-122). In Objekt-Entitäten können somit, vermittelt durch andere soziale Akteure, Bedeutungen, Handlungsaufforderungen, Einschränkungen wie Ermöglichungen eingeschrieben sein, die damit innerhalb eines Netzwerkes selbst zum sozialen Akteur werden können. Ihre Sozialität äußert sich, sobald sie mit anderen vormalig unasoziierten Entitäten zusammenkommen und ein Akteur-Netzwerk bilden (Latour 2007: 112). Das Ding wird also dann sozial, wenn es eine „gegebene Situation verändert“ (ein Felsen in menschenleerer Wüste wäre etwa nicht sozial: er handelt nicht und ihm ist auch keine weiterführende Bedeutung eingeschrieben. Er würde durchaus sozial werden, sobald ein Auto mit ihm kollidiert oder ein Kult beginnt, den Stein anzubeten) (Latour 2007: 123)[15].
Akteur-Netzwerke sind somit auch durchaus von Interobjektivitätsformen geprägt und durchzogen, die in der Lage sind, ephemere Assoziationen zu stabilisieren. Damit sind Objekte nicht qua Definition „sozial“, aber sie sind immer in der Lage sozial zu werden, indem sie Verbindungen mit anderen Akteuren eingehen, also am Handlungsverlauf beteiligt sind (Latour 2007: 124, 134). Daraus folgt schlussendlich auch eine weitere Redefinition des Sozialen, die nicht mehr als Ursache dienen kann, um etwas zu erklären, sondern selbst erklärungsbedürftig ist (Latour 2007: 188). Sie verliert somit ihr Alleinstellungsmerkmal als unbestreitbare, wirkende Entität. Damit öffnet sich die Akteur-Netzwerk-Theorie stärker dem Primat der Versammlung. Sie richtet sich nicht nach scheinbaren ontischen Gegensätzen, sondern nach den Akteuren selbst, die es aufzuspüren gilt und die in ihrer interobjektiven Gesamtheit das Soziale bilden (Latour 2007: 188-199). Latour spricht hier von einem „zweiten Empirismus“, der sich darauf stützt, dass die methodische Offenheit für die Möglichkeiten der Versammlung von Akteuren unaufhörlich Daten zu generieren imstande ist (Latour 2007: 200). Dazu dienen Berichte als Beschreibungsformen für Akteur-Netzwerke.
[...]
[1] Bei GIF handelt es sich um ein bestimmtes Dateiformat, mit dem Animationen erstellt werden können.
[2] Pop-Tarts sind insbesondere in den USA populäre, süße Frühstückssnacks, die im Toaster zubereitet werden.
[3] Verfügbar unter dem Link https://www.voutube.com/watch?v=OH2-TGUlwu4 - Upload vom Nutzer "sarajOOn"
[4] Dawkins nennt als Beispiel den Neuseeland-Lappenstar, der den Gesang anderer Vögel imitiert, dieserjedoch nicht durch genetische Vererbung bedingt ist.
[5] Ansteckung ist zu verstehen als bereits angeborenes Verhalten, welches durch Beobachtung desselben Verhaltens bei jemand anderem in Form einer Reaktion erfolgt, etwa Gähnen oder Lachen (Blackmore 2000: 93). Von Imitation unterscheidet sich soziales Lernen dadurch, dass Verhaltensweisen zwar abgeschaut, aber daraus kein tatsächlich neues Verhalten resultiert. Vielmehr bedeutet letzteres „durch Beobachtung anderer etwas über seine Umwelt (zu) lern(en) “ (Blackmore 2000: 96). Während soziales Lernen auf bereits im Tier vorhandene Handlungsmöglichkeiten, etwa das Picken einer Meise, Bezug nimmt und Handlungsskripte so lediglich auf Grundlage derje eigenen Umwelt aktualisiert werden (Meisen lernen, was man zu picken hat), wird bei Imitation ein völlig neues Verhalten nachgeahmt, kopiert und gegebenenfalls respezifiziert und aktualisiert (Blackmore 2000: 97).
[6] Memplexe sind Memgruppen die gemeinsam repliziert werden, sie operieren also nur mithilfe von Ko-Memen und können nur hierdurch ihren Replikationserfolg gewährleisten (Blackmore 2000: 55). Das gängigste Beispiel von Dawkins ist sicherlich die Religion, aber auch Kettenbriefe, Mode und Internet sind als Memplexe zu kategorisieren.
[7] Dies ist durchaus mit Tardes Begriff der Ideenketten in Verbindung zu bringen, nach der letztlich kulturelle Errungenschaften, sowie Erfindungen das Resultat der Iteration bereits vorhandener Bewusstseinsinhalte darstellen (Tarde 2009: S. 21-22)
[8] Am Beispiel der Evolutionstheorie Darwins ließe sich formulieren, dass die Kernbegriffe seiner Theorie sehr vielen Leuten oberflächlich geläufig sind, auch wenn er oftmals sehr unterschiedlich verstanden und/oder wiedergegeben wurde (Dawkins 1978: 231)
[9] Dies sei nicht zu verwechseln mit einer Annahme, dass Meme intendiert die Ausbreitung von Genen steuern, sondern eher als Hinweis darauf zu verstehen, dass Meme wie Gene sich ebenfalls durch Selektion verbreiten und diese miteinander in Wechselwirkung stehen. (Blackmore 2000: ebd)
[10] Lautalphabete besitzen tendenziell eine weitaus größere Kombinationsmöglichkeit um Wörter zu gestalten als etwa das Kanji, da in letzterem fürjedes Wort ein neues Zeichen einstehen muss, während die 26 Buchstaben, die Laute abbilden, quasi beliebig rekombiniert werden können, ohne neue Zeichen zu installieren. Für Meme bedeutet dies, dass sie sich zum Einen wiedergabetreuer replizieren können, es müssen schließlicht nicht erst neue zeichen gelernt werden um ein bestimmtes Mem aufzunehmen und sie bleiben zum Anderen leichter im Gedächtnis, da sie nur eine Neukombination bereits bekannter Zeichen darstellen.
[11] Dies soll nicht den Eindruck erwecken, dass Systeme als ex ante Ordnung entstünden, die monadisch ihre Umwelt aus einer höheren Perspektive formen würden. Selektion wird durch Einschränkungen heraus möglich und damit als Operationsleistung, die sich auf die Leitdifferenz stützt, ohne teleologischen oder subjektiven Charakter einer höheren Ordnungsstufe anzunehmen (Luhmann 1987: 57).
[12] Dabei kann der Horizont der einen Sinndimension nicht mit jenem der anderen Sinndimension ineinander übergehen und vice versa (Luhmann 1987: 112). Zur Sachdimension zählen hierbei Gegenstände und Themen sinnhafter Intention in Systemen, die Zeitdimension fußt auf der Differenz von vorher/nachher und die Sozialdimension bildet letztlich das basale Verhältnis zwischen Alter und Ego ab, die als Sonderhorizonte von Erwartungsstrukturen fungieren
[13] Je höher der Standardisierungs- und Generalisierungsgrad, umso leichter lassen sich im Kommunikationsgeschehen Erwartbarkeiten installieren. Extrem unwahrscheinliche Anschlusskommunikationen, etwa im Rahmen intimer Liebesbeziehungen, können durch bestimmte Diskurse und Semantiken strukturiert werden, was dazu führt, dass man als Liebender auf Codierungen zurückgreifen kann um das hochkomplexe und kontingente Geschehen zu überschauen (Luhmann 1994).
[14] Dazu zählen Medien wie Macht, Geld, Wahrheit, Liebe die in ihrenjeweiligen Funktionssystemen das operative Substrat suprainteraktioneller Kommunikation darstellen und entsprechend binär codiert sind.
[15] Verdeutlicht wird dies am sicherlich bekannten Beispiel des Schlüsselanhängers im Hotel. Damit die Schlüssel in einem Hotel auch immer regelmäßig an der Abgabe zurückgebracht werden, hängen diese an einem sperrigen Schlüsselanhänger, der dem Gast auffallt und ihn daran erinnert, diesen auch abzugeben. Dem Anhänger ist somit Bedeutung wie auch Imperativ eingeschrieben, nämlich den Gast an dessen Rückgabe zu erinnern. Der Anhänger steuert und strukturiert damit das Netzwerk, einfach durch seine bloße Existenz. Während das situative Setting zwischen Gast und Hotelier stetig performativ wiederhergestellt werden müsste, durch Erinnern, Auffordern und Aufbau eines situativen Rahmens, bewirkt die an den Schlüsselanhänger delegierte Handlungsaufforderung eine „Härtung“ des Netzwerkes (Passoth in Sutter/Mehler 2010: 217).
- Arbeit zitieren
- Daniel Kusch (Autor:in), 2014, Replikation, Imitation, Viralität. Zum Begriff des Mems in der Soziologie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/284338
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