Die vorliegende Arbeit wurde 1994 vom Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg als Dissertation angenommen. Gedankt sei an dieser Stelle der Französischen Regierung und dem DAAD, die mir ein Stipendium für einen Studien- und Forschungsaufenthalt in Paris ermöglichten, der Friedrich-Ebert-Stiftung, die mir ein Promotionsstipendium gewährte sowie der Jürgen Rickertsen Stiftung für die Übernahme der Druckkosten. Für die engagierte Betreuung meiner Arbeit danke ich Herrn Priv.Doz. Bernhard H.F. Taureck und Herrn Prof.Dr. Wolfgang Detel. Vielen Freunden/-innen sei für Anregungen, Kritik sowie moralische und praktische Hilfe gedankt. Ganz besonderer Dank gebührt dabei Herrn Karl-Jürgen Hanßmann.
Inhalt
Siglen
Vorwort von Bernhard H.F. Taureck
1. Einleitung
L1. Das Problem der Ethik bei Sartre: Eine erste For- mulierung der Fragestellung
1.2. Forschungsliteratur und Präzisierung der Fragestel- lung
1.2.1. Zur Ontologie und Freiheitstheorie
1.2.2. Literatur zur Ethik Sartres
1.2.3. Literatur zum Verhältnis von Ontologie und Ethik
1.2.3.1. Hauptargumente gegen eine Vereinbarkeit von Ontologie und Ethik
1.2.3.2. Hauptargumente für die Vereinbarkeit
1.2.3.3. Zusammenfassung zur Forschungsliteratur
1.3. Die Begriffe "normative Ethik" und "Metaethik"
1.4. Die Fragestellung der vorliegenden Arbeit
1.5. Das Hauptergebnis der vorliegenden Arbeit
1.6. Die methodischen Ziele der vorliegenden Arbeit
1.7. Vertiefte Anwendung des methodischen Zieles auf die Theorie des Für-Sich als Mangel bei Sartre
1.8. Die Gliederung der vorliegenden Arbeit
1.9. Zur Klärung einiger, in der vorliegenden Arbeit verwendeter Begriffe
1.10. Primärtexte
1.10.1. Texte von Sartre
1.10.2. Texte aus dem Umkreis von Sartre
2. "Alle menschlichen Tätigkeiten sind äquivalent"
2.1. Das Für-Sich als Mangel
2.1.1. An-Sich und Für-Sich
2.1.1.1. "An-Sich" und "Für-Sich" bei Sartre: kurze, vor- läufige Erklärung
2.1.1.2. Das Sein des An-Sich und das Sein des Für-Sich
2.1.1.3. Exkurs: Zu den Bedeutungen des Wortes "être" bei Sartre
2.1.2. Der Begriff des Mangels im allgemeinen bei Sartre
2.1.2.1. Der Mangel als Dreiheit
2.1.2.2. Der Mangel als "négation interne"
2.1.2.2.1. "Négation interne" und "négation externe" bei Sar- tre
2.1.2.2.2. Der Mangel als "négation interne"
2.1.2.2.3. Die bestimmende Funktion der "négation interne", insbesondere im Falle des Mangels als "négation interne
2.1.2.2.4. Gegenstandsbereich der "négation externe" und der "négation interne"
2.1.2.2.5. Das Erscheinen des Mangels als "négation interne" in der Welt
2.1.3. Das Für-Sich als Mangel
2.1.3.1. "Der Mensch ist Mangel" als notwendige Bedin- gung für "Der Mangel kommt nur durch den Men- schen in die Welt"
2.1.3.2. "Der Mensch ist Mangel", begründet durch das Verlangen
2.1.3.3. Das Mangelnde des Für-Sich
2.1.3.4. Zwei Aspekte des Verhältnisses zwischen An-Sich und Für-Sich
2.1.3.4.1. Die Selbstbestimmung des Für-Sich
2.1.3.4.2. Der ontologische Akt
2.1.3.4.3. Selbstbestimmung des Für-Sich und ontologischer Akt: zu ihrem Verhältnis
2.1.3.5. Das für die vorliegende Arbeit bedeutsame Ergeb- nis
2.1.3.6. Die Frage nach dem Sprung in der Argumentation
2.1.4. Das Mögliche ("possible") bei Sartre
2.1.4.1. Bestehendes, Mangelndes und Verfehltes der menschlichen Wirklichkeit
2.1.4.1.1. Das Mögliche als das Mangelnde des Für-Sich
2.1.4.1.2. Zur Begriffsverwendung
2.1.4.1.3. Lesarten zum Unterschied zwischen "possible" und "soi"
2.1.4.2. Das Sein des Möglichen
2.1.4.2.1. "Das Mögliche ist eine objektive Struktur von Sei- endem"
2.1.4.2.1.1. Das Mögliche ist keine "réalité subjective": Zu- rückweisung der Positionen von Leibniz und Spi- noza
2.1.4.2.1.2. Das Mögliche ist eine konkrete Eigenschaft beste- hender Realitäten
2.1.4.2.1.2.1. Der Mensch muß sein eigenes Mögliches sein
2.1.4.2.1.2.2. Der Mensch muß "présence à soi" sein, damit die Möglichkeit in der Welt auftaucht
2.1.4.2.1.2.3. Nochmals: Das Mögliche ist keine psychische Realität
2.1.4.2.2. Das Mögliche ist nicht
2.1.4.2.3. Das Mögliche ist "par delà l'être"
2.1.4.2.4. Das Mögliche (er)möglicht sich
2.1.4.3. Korrekturen und Ergänzungen meiner Interpretati- on des "Möglichen" bei Sartre auf der Grundlage einer Analyse von Sartres Aussagen zum Sein des Möglichen
2.1.4.4. Zusammenfassung zum Möglichen des Für-Sich bei Sartre
2.2. Die eingeschränkte Bedeutung von Aussagen wie "Alle menschlichen Handlungen sind äquivalent"
2.2.1. Die "pessimistischen" Aussagen Sartres
2.2.2. Die "nihilistischen" Äußerungen
3. Der "Wert" bei Sartre
3. L Exkurs: Sartres Theorie des Entwurfes
3.2. Kurze Zusammenfassung der wesentlichen Be- stimmungen des "Wertes" bei Sartre
3.3. Die Bestimmungen der Kategorie des "Wertes" im einzelnen
3.3.1. Der Wert ist das Sein des "soi"
3.3.2. "Valeur suprême" und Hierarchie der konkreten Werte
3.3.3. Die Subjektivität der Werte
3.3.3.1. Die Werte kommen durch den Menschen in die Welt
3.3.3.2. Sartre und der "esprit de sérieux"
3.3.3.2.1. Die Wertphilosophie Max Schelers
3.3.3.2.2. Der "esprit de sérieux" in den "Cahiers pour une morale"
3.3.3.3. Werte werden durch die Handlungen der Menschen geschaffen
3.3.3.4. Angst und moralisches Bewußtsein
3.3.4. Der Wert ist und ist nicht
3.3.5. Der Wert als Forderung
3.3.5.1. Der Wert als Forderung in "L'être et la néant"
3.3.5.2. "Valeur" und "exigence" in den späteren Werken
3.3.5.3. Verallgemeinerbarkeit des Wertes?
3.3.6. "Wir wählen nur das Gute"
3.4. Zusammenfassung
3.5. Vereinbarkeit der Werttheorie Sartres mit einer normativen Ethik und/oder Metaethik: Vereinbar- keitsthese
3.5.1. Kombination des Wertbegriffes bei Sartre mit einer normativen Ethik und/oder Metaethik: Vereinbar- keitsthese
3.5.2. Das Problem einer Dualität in Sartres Ausführun- gen zum Wert
3.5.2.1. Werte in der Welt, die von anderen geschaffen wurden
3.5.2.2. Werte in der Welt, die von mir hervorgebracht wurden
3.5.3. Die spätere Unterscheidung zwischen Wert und Forderung als Ausdruck der Dualität
3.5.4. Ergebnis
4. Freiheit und normative Ethik und/oder Metaethik
4.1. Sartres Freiheitsbeweise in "L'être et le néant":
4.1.1. Freiheit als Voraussetzung der Frage als eine menschliche Verhaltensweise: Von der Frage zur Freiheit
4.1.1.1. Sartres Argumentation
4.1.1.2. Die Bedeutung dieses Freiheitsbeweises für das Verhältnis "Freiheit - normative Ethik"
4.1.2. Intentionalität und Freiheit
4.1.2.1. Sartres Argumentation
4.1.2.2. Vergleich der beiden Freiheitsbeweise
4.1.2.3. Die Bedeutung des zweiten Beweises für das Ver- hältnis "Freiheit - normative Ethik"
4.1.3. Ergebnis der Erörterung und weiterführende Fragen
4.2. Exkurs: Freiheit - Entwurf
4.3. Freiheit und Anlässe bzw. Antriebe
4.3.1. Sartres Theorie der Anlässe und Antriebe als Ver- such eines dritten Weges zwischen Deterministen und Vertretern einer Freiheit der Indifferenz
4.3.1.1. "Le motif"
4.3.1.2. "Le mobile"
4.3.1.2.1. Die erste Bedeutung des Wortes "mobile": Konsti- tution
4.3.1.2.2. Die zweite Bedeutung des Wortes "mobile": Ein neues Verhältnis von "motif" und "mobile"
4.3.1.2.3. Zwei Bedeutungen des Wortes "mobile"?
4.3.1.3. Versuch einer Systematisierung der Theorie der "motifs" und "mobiles"
4.3.2. Bedeutung der Ergebnisse für die Frage "Freiheit - normative Ethik"
4.3.2.1. Die Theorie der Anlässe und Antriebe als Modell für das Verhältnis "Freiheit - normative Ethik"?
4.3.2.2. Bedeutung der Ergebnisse für das Verhältnis "Freiheit - normative Ethik"
4.3.3. Bedeutung der Anlässe und Antriebe, sobald sie vom Für-Sich als solche gewählt wurden
4.3.4. Freiheit und Wille
4.4. Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse zum Verhältnis "Freiheit - normative Ethik und/oder Metaethik"
4.5. Vereinbarkeit und gegenseitige Ergänzung dieser Ergebnisse mit den Ergebnissen des Kapitels über Sartres Werttheorie
4.6. Die Vereinbarkeit von Freiheit mit normativer Ethik und/oder Metaethik
4.6.1. "Les mouches" als konkretes Beispiel der Verein- barkeit von normativer Ethik und Freiheit
4.6.2. Freiheit in Situation
4.6.2.1
4.6.2.2. Bedeutung für das Verhältnis "Freiheit - normative Sartres Theorie der. Freiheit in Situation
4.7. Freiheit als kreative Freiheit: "La liberté cartésien- ne"
4.8. Die Nutzlosigkeit einer normativen Ethik: Versuch einer Lösung des Problems
4.8.1. Lösungsvorschlag
4.8.2. Normative Ethik als Appell
4.8.3. Zusammenfassung der Ergebnisse zur Frage der Nützlichkeit einer normativen Ethik und/oder einer Metaethik
4.9. Nihilismus?
4.10. Zusammenfassung des Kapitels
5. Zusatz: Normative Ethik und Metaethik - Unauf- richtigkeit, reine Reflexion, Authentizität und Frei- heit als oberstes Ziel
6. Zusammfassung
Literaturverzeichnis
Siglen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Vorwort von Bernhard H.F. Taureck
Würde man sich auf Frankreich oder auf Deutschland beschränken und nach der heutigen Beschäftigung mit Sartre fragen, so entstünde leicht der Eindruck: Sartre ist tot, und Foucault lebt. Ganz anders in England und Nordamerika. Hier wurde Sartre nie vergessen, sondern stand und steht im Mittelpunkt der Beschäftigung mit Ethik. Auch Foucault mußte sich ein anderes Gesicht geben, um im angloamerikanischen Raum zu wirken. Man spricht von einem amerikanischen, liberalen und der Aufklärung verpflichteten und von einem nietzscheanisch-anarchistischen französischen Foucault. Sartre ist im Unterschied zu Foucault kein Nietz- scheaner, obwohl er sich zeitweise dem Anarchosyndikalismus eines Ge- orges Sorel genähert hatte. Sartre ist ein moderner Aufklärer und benötig-te keine reduzierte Selbstdarstellung, um als solcher in der angloameri- kanischen Welt wahrgenommen zu werden.
Foucault ist begrifflich-philosophisch ungleich leichter zugänglich als die philosophischen Arbeiten von Sartre. Ferner existiert zum philosophischen Werk Sartres eine ausgereifte, differenzierte Kultur der Interpretation,
deren vermutlich interessantester Teil der Frage nach Ethik und Moral gilt. Uwe Töllner setzt diese Kultur der Interpretation fort und bereichert sie sowohl im Hinblick auf unser Verständnis des ersten Hauptwerks von Sartre, L' ê tre et le n é ant. Essai d'ontologie ph é nom é nologique, als auch im Hinblick auf das bis heute strittige Problem des Verhältnisses von theoretischer und praktischer Philosophie. Mit dem Blick auf die hier verarbeitete internationale Forschung und auf das verfügbare und teil-weise weit verstreute Textmaterial Sartres dürfte der Leser hier ein Maximum systematischer Rekonstruktion und damit ein hervorragendes Nachschlagewerk allein für Bedeutungsdifferenzierungen der Sartreschen Begriffe von Ansich, Fürsich, Mangel, Wert, Freiheit, mauvaise foi, Appell vorfinden.
Im Unterschied zu der frühen "existentialistischen" Rezeption Sartres und ebenso zu dem, was von Foucault-Anhängern über Foucault verfaßt wird, betreibt Uwe Töllner an keiner Stelle eine von Begründungen und
Analysen dispensierende Apologetik. Im Gegenteil: Es wird nachgewiesen, daß Sartres Schluß von "es mangelt einem etwas" auf "was mangelt, wird notwendig erstrebt", nicht allgemeingültig ist. Damit wird im Grunde die gesamte weitere Argumentation von L' ê tre et le n é ant hypothetisch.
Widerspricht Sartres Ontologie jeglicher Ethik oder ist normative Ethik mit ihr vereinbar? Dies sollte nunmehr - im Ausgang von Töllners ausführlich begründeter Antwort - Gegenstand weiterer Diskussionen werden. Da Uwe Töllner eine Vereinbarkeit darlegt, sollten im Vorfeld jeder Diskussion zwei mögliche Mißverständnisse ausgeräumt werden. Erstens geht es primär nicht um die - für sich interessante Frage -, welche Ethik denn am meisten Sartreanisch wäre. Zweitens betrifft die Verein- barkeitsfrage Vereinbarkeit auf einer eigenen Ebene. In Deutschland be- steht hier die Tradition der Verknüpfung von Theorie und Praxis über die Ästhetik, d.h. bei Kant oder Cassirer über Symbole. Sartre berührt sich übrigens mit dieser Tradition in Qu'est-ce que la litt é rature? Zweitens: Nicht identisch mit dieser Art der Vereinbarkeit ist eine in der analytischen Philosophie übliche Analyse moralischer Urteile. Die Kognitivisten (Seale, Foot, Toulmin, Warnock) lesen z.B. moralische Urteile als Erfahrungsurteile und gelangen so ihrerseits zu einer Vereinbarkeit zwi- schen theoretischer und praktischer Bezugnahme auf die Welt.
Es bleibt daher zu hoffen, daß Töllners Buch nicht nur für die Sartre- Forscher, sondern auch für die Ethikdiskussion einen Gewinn darstellen wird.
1. Einleitung
1.1. Das Problem der Ethik bei Sartre: Eine erste Formulierung der Fragestellung
Die Frage einer Ethik bei Sartre reizt immer wieder Autoren zu Stellung- nahmen und Untersuchungen. Dies verwundert nicht. So dürften sich viele Leser, die sich mit Sartre beschäftigen, bei erster Betrachtung mit immensen moralphilosophischen Problemen konfrontiert sehen. Eines dieser Probleme sei hier als Beispiel genannt: In Sartres erstem Hauptwerk EN finden sich Äußerungen wie "Alle menschlichen Handlungen sind gleichwertig" (EN, S. 721), es sei egal, ob sich jemand in Einsamkeit betrinke oder Völker führe (EN, S. 721), oder der Mensch sei die Quelle aller Werte, aber nichts rechtfertige ihn, diesen oder jenen Wert zu wählen (EN, S. 76). Wie nun, so wird sich mancher Leser fragen, sind solche Aussagen vereinbar mit Sartres doch sehr intensivem politischen Engagement? Weitere Probleme ließen sich hinzufügen. Die-se Probleme werfen immer wieder die Frage nach Sartres Ethik wie auch die nach dem Verhältnis von Ontologie und Ethik bei Sartre auf.
Nun kann unter der Frage nach der Ethik bei Sartre sehr Unterschiedliches verstanden werden. Dies zeigen auch die unterschiedlichen Ansätze der Forschungsliteratur» Eine systematische Arbeit über die Ethik Sartres müßte also zunächst deutlich machen, welcher Frage sie nach-geht. Es lassen sich zumindest folgende Fragen unterscheiden:
a) Wie beschreibt Sartre moralische Phänomene in unserer Welt? Wel- che moralischen oder ethischen Vorstellungen, Aussagen, Theorien etc. sind ihm zufolge vorhanden, wie kommen sie zustande, welche Funktion haben sie in der jeweiligen Gesellschaft usw.?
b) Welche moralischen und/oder ethischen Aussagen finden sich bei Sartre? In welcher Beziehung stehen sie untereinander? Bilden sie ei-ne konsistente ethische Theorie bzw. kann aus ihnen eine solche Theorie konstruiert werden? Es handelt sich hier also um die Frage
c) nach der Moral oder Ethik Sartres, unabhängig von ihrem Verhältnis zu anderen Theorieelementen, z.B. zur Ontologie.
d) Ist diese ethische Theorie bzw. - sollten die Aussagen nicht zu einer solchen Theorie hinreichen - sind diese moralischen und/oder ethischen Aussagen Sartres oder zumindest einige von ihnen mit der Ontologie von EN vereinbar?
e) Bietet die phänomenologische Ontologie von EN das Fundament für eine ethische Theorie, d.h. kann eine solche Theorie konsistent aus ihr entwickelt werden?2
f) Die Fragen c) und d) sind nicht identisch: die moralischen und/oder ethischen Aussagen Sartres bzw. eine hieraus aufgebaute ethische Theorie mögen zwar nicht aus der Ontologie von EN ableitbar sein oder gar zu ihr im Widerspruch stehen, dies bedeutet aber nicht, daß sich nicht eine andere ethische Theorie aus EN herleiten läßt.
g) Ist überhaupt die Ontologie von EN mit irgendeiner Art von Ethik vereinbar oder verbietet sie jegliche Art von Ethik?
h) Die Fragen c) und e) sind nicht identisch: Die Ontologie von EN mag zwar grundsätzlich mit Ethik vereinbar sein, aber nicht mit jeder Ethik, z.B. nicht mit Sartres eigener ethischer Theorie. Auch die Fra-gen d) und e) sind nicht identisch: Angenommen, es läßt sich keine ethische Theorie aus EN herleiten, dann bedeutet dies nicht, daß eine nicht aus EN hergeleitete ethische Theorie zu EN im Widerspruch stehen muß.
i) Bei den Fragen c) bis e) ist darauf zu achten, ob nur die Ontologie von EN oder EN insgesamt Gegenstand der Frage ist. EN ist zwar eine phäj) 2 Etwa im Sinne einer Äußerung Sartres am Ende von EN:
k) "L'ontologie ne saurait formuler elle-même des prescriptions morales. Elle s'occupe uniquement de ce qui est, et il n'est pas possible de tirer des impératifs de ses indicatifs. Elle laisse entrevoir cependant ce que sera une éthique qui prendra ses responsabilités en face d'une réalité humaine en situation." (EN, S. 720.)
l) Es soll zunächst weder behauptet werden, daß diese Aussage verteidigbar ist, noch, daß sie in keinem Widerspruch zu den übrigen Aussagen von EN steht. Sie wurde lediglich als Beispiel oder Erläuterung für die o.g. Frage bzw. Möglichkeit ange-führt.
m) nomenologische Ontologie, dennoch enthält dieses Werk, zumindest implizit, auch nichtontologische Aussagen.-
n) Diese Fragen c) bis e) lassen sich auch noch in genau derselben Weise für die CRD formulieren. Es ist unnötig, sie hier noch einmal, nun aber in Hinblick auf die CRD, zu formulieren. Die Formulierungen würden sich nur wiederholen, "EN" würde in ihnen lediglich durch "CRD" er-setzt werden. Auch können diesen Fragen sicherlich noch weitere hinzu-gefügt werden, z.B. die nach der Konsistenz oder einem möglichen Bruch zwischen EN und der CRD in Hinblick auf eine dieser speziellen Fragen. Zunächst kommt es mir darauf an, zumindest diese Fragen systematisch zu trennen. Dies hilft, die Fragestellung der vorliegenden Arbeit genauer herauszustellen.
o) In der vorliegenden Untersuchung soll zunächst lediglich die unter e) genannte Frage behandelt werden, also die Frage, ob die Ontologie von EN überhaupt eine Ethik zuläßt (nicht: bietet!) oder ob sie diese grundsätzlich verbietet. Im Falle einer Unvereinbarkeit von Ontologie und Ethik gilt es herauszuarbeiten, welche Aspekte der Ontologie von EN ei-ne Ethik verbieten. Im Falle der Vereinbarkeit hingegen soll geprüft wer-den, ob die Ontologie von EN Ethik zwar grundsätzlich erlaubt, aber bestimmte Beschränkungen impliziert. Z.B. könnte sich zeigen, daß be-stimmte Ethiksysteme nicht mit der Ontologie von EN vereinbar sind.
p) Direkter Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind also nicht:
q) Sartres im wesentlichen in der CRD und später im IF dargelegten
r) philosophischen Theorien. Ebensowenig frühe, von EN abweichende
s) Gedanken. Dies bedeutet nicht, daß hierauf nicht in Einzelfällen aus
t) dann zu benennenden Gründen eingegangen wird.
u) seine moralischen oder ethischen Aussagen bzw. seine Ethik.4
v) die Frage, ob EN die Grundlagen einer Ethik bietet, also Mittel, um eine Ethik zu formulieren und zu begründen.
w) Andererseits - auch dies sei betont - soll hier auch nicht untersucht werden, ob es überhaupt möglich ist, eine Ethik zu formulieren und zu begründen. Hier geht es zunächst nur um die Frage, ob eine Ethik - sollte es möglich sein, sie zu formulieren - mit EN vereinbar wäre oder ob bereits EN jegliche Ethik verbietet. Schließlich gilt es hierbei auch nicht zu prüfen, ob denn Sartres Argumentation in EN haltbar ist, wenn auch die-se Frage nicht immer ausgeklammert werden soll. Es gilt lediglich, Sartres Aussagen in Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit einer Ethik zu prüfen.
1.2. Forschungsliteratur und Präzisierung der Fragestellung
1.2.1. Zur Ontologie und Freiheitstheorie
Die Themen "Ontologie", "Freiheitstheorie", "Ethik" wie auch "Das Ver- hältnis von Ontologie/Freiheitstheorie einerseits und Ethik andererseits" sind immer wieder mehr oder weniger detailliert behandelt worden.5 Kaum ein Werk über Sartre, das diese Themen nicht zumindest kurz be-rührt. Auch liegen bereits Bücher sowie zahlreiche Aufsätze zu diesen Themen vor.
Zur Ontologie sei zunächst auf die Werke von Kl. Hartmann (Ontologie) und G. Seel (Dialektik) hingewiesen.6 Bei diesen Arbeiten dürfte es sich um die detailliertesten und genauesten Untersuchungen der Ontologie Sartres handeln. Besonders die Arbeit Kl. Hartmanns hat auch im anglo-amerikanischen Sprachraum große Anerkennung gefunden. Kl. Hartmann versucht eine "eingehende Interpretation der Sartreschen Onto- logie im Blick auf Hegel" (Vorwort, XIII). G. Seel wiederum setzt sich in seiner Arbeit auch eingehend mit der Interpretation Kl. Hartmanns aus- einander. K1. Hartmann bezeichnet die Arbeit G. Seels als einen Ge- genentwurf zur eigenen Deutung.?
Für den französischen Sprachraum sei besonders auf die allerdings schon älteren Arbeiten Varets und Jeansons (Problème moral), für den englisch- amerikanischen Sprachraum auf die ebenfalls bereits ältere Arbeit Natansons (Ontology) hingewiesen. Schließlich gilt es diesbezüb lich, insbesondere noch Catalanos Kommentar zu EN (Comm. EN) zu erwähnen. Weitere Arbeiten wie auch ein Teil der Aufsätze zu Einzelfra-gen sind im Literaturverzeichnis genannt. All diese Werke, selbst die von Kl. Hartmann und G. Seel, konnten allerdings häufig bei Fragen, die sehr ins Detail gehen, nicht helfen.8
Auch zur Freiheitstheorie Sartres liegt eine Fülle von Arbeiten vor, z.B. die von Anderson (Freedom), Buddabus, Davenport, F011esdal, Gahamany, Görland, Hana, Helstrom, Hengelbrook, Howells (Freedom), McLeod, Merkel, Pothast, Turki und M. Warnock (Freedom).9 In diesen Arbeiten wird die Freiheitstheorie Sartres, seine Freiheitsbeweise, seine Konzeption von "Freiheit in Situation" usw. in ihren wesentlichen Zügen wie auch in Einzelfragen behandelt. Auch die spätere Eingrenzung der absoluten Freiheit aus EN wird nicht übergangen...
Schließlich seien an dieser Stelle noch einige berblicksdarstellungen erwähnt. Besonders hinzuweisen ist auf die Arbeit von Manser. Das Buch Dantos sei als Versuch einer "analytischen" Interpretation erwähnt. Die Arbeiten von Mary Warnock erscheinen mir als zu oberflächlich und Sartre zu sehr verfälschend. Für den deutschen Sprachraum kann die Überblicksdarstellung von Suhr hervorgehoben werden. Daneben liegt eine Anzahl weiterer Überblicksdarstellungen vor, die manches gute Buch enthält (vergl. das Literaturverzeichnis).
1.2.2. Literatur zur Ethik Sartres
Bereits oben wurde darauf hingewiesen, daß unter der Frage nach der Ethik Sartres Verschiedenes verstanden wird, was sich auch in den unterschiedlichen Ansätzen der Forschungsliteratur zeigt. Folgende Ansätze stehen im Vordergrund:
a) der Versuch einer Rekonstruktion der Ethik Sartres, besonders seiner frühen Ethik.
b) die Darstellung der Entwicklung seines ethischen oder moralischen Denkens.
c) die Frage nach der Vereinbarkeit von Ontologie und Ethik.10
Diese Kategorien lassen sich nicht streng trennen. Z.B. beinhaltet die Darstellung der Entwicklungsphasen von Sartres ethischem Denken zu- mindest in Ansätzen auch die Darlegung der Grundzüge seiner ethischen Systeme. So lassen sich die Arbeiten oft auch nicht nur einer Kategorie zuordnen. Anderson z.B. versucht, die frühe Ethik Sartres zu rekonstruie- ren und zugleich die Vereinbarkeit dieser Ethik mit EN zu zeigen. Den- noch steht bei den Arbeiten zumeist ein Aspekt im Vordergrund.
In den Arbeiten der ersten Kategorie wird versucht zu rekonstruieren, wie Sartres Ethik aussähe, wenn er sie geschrieben und vollendet hätte. Gegenstand dieser Untersuchungen war bisher fast ausschließlich Sartres Ethik aus der Zeit von EN. Im wesentlichen liegen hier zwei Richtungen vor: Für die Autoren der einen Richtung ist Authentizität der oberste Wert bei Sartre (Bell, M. Grene, Manser, Smoot, M. Warnock u.a.), für die Autoren der anderen Richtung ist es die Freiheit (vor allem Anderson, Jeanson (Problème moral), auch Fahrenbach). Wenn auch Authentizität und Freiheit bei Sartre eng miteinander zusammenhängen, so rückt doch jeweils eines als oberster Wert ins Zentrum. Es geht stets um die Frage, ob Authentizität oder Freiheit jeweils nur Mittel oder das letzte Ziel ist. Thomas Anderson z.B. insistiert immer wieder darauf, daß Freiheit das oberste Ziel sei 11 Sartres Ethik ist deshalb für ihn, im Gegensatz zu anderen Autoren (z.B. Frankena: Ethics, S. 16, 23), teleologisch und nicht deontologisch.)2
Seit einigen Jahren steht nun auch ein Teil der Manu- und Typoskripte aus der Zeit der CRD zur Verfügung, in denen Sartre erneut versuc te, eine Ethik zu schreiben. Dies hat einige Autoren offenbar zu dem Ver-such veranlaßt, auch diese Ethik zu rekonstruieren. So z.B. Anderson und Arino/Fretz.13 Anderson hatte zwar schon in "Foundation" die spätere Weiterentwicklung der Ethik Sartres behandelt. Jetzt aber stehen neue Texte zur Verfügung. Neben seinem Aufsatz "Need", in dem bereits die Grundlinien auch dieser Ethik dargestellt werden, sowie der genannten Neuerscheinung (Sartre's two ethics) liegen bisher allerdings hauptsächlich Artikel anderer Autoren vor, die vornehmlich nicht diese Ethik als System zu rekonstruieren versuchen, sondern einzelne Fragen klären oder die Texte darstellen und kommentieren (z.B. Simont: Zu den CV; Stone und Bowmann: Zum RV; dies: Zu den CV; dies: Making the human; Verstraeten: Impératif).
Die zweite Kategorie von Arbeiten behandelt die Entwicklung von Sartres ethischem Denken. Hierzu zählen vor allem die Arbeiten von An- derson (Need), McBride (Morals), Jeanson (Exigence) und G. Seel (Moral). Die Autoren berufen sich zumeist auf ein Interview, das Sartre Michel Sicard gewährt hat und in dem er drei Etappen seines ethischen Denkens unterscheidet: die idealistische Ethik der Phase von EN, die realistische Ethik aus der Zeit der CRD und schließlich eine dritte Ethik am Ende seines Lebens.14 Auf die Textgrundlagen für diese Ethiken soll unten, im Abschnitt "Primärtexte", näher eingegangen werden.
Auch diese Arbeiten versuchen, in engeren Grenzen, Sartres Ethik zu rekonstruieren oder zumindest hierzu beizutragen, diesmal auch für die Ethiken der späteren Schaffensperioden. Anderson berücksichtigt dabei für die zweite Phase auch schon den RV (Need, S. 323ff). Dennoch geschieht diese Rekonstruktion hier nicht in dem Maße wie in den Arbeiten der ersten Kategorie, zumal es sich hier ausschließlich um Aufsätze oder Abschnitte in Büchern und nicht um umfangreiche Werke handelt.
Auch beschränken sich diese Arbeiten meines Erachtens darauf, die systematische Behandlung an die drei o.g. Etappen zu binden. Jede Etappe steht hier für eine Art von Ethik. Es mangelt meines Erachtens an einer Sammlung und Ordnung aller Aussagen Sartres zur Moral oder Ethik. Diese könnten dann zunächst verschiedenen Kategorien (deskriptiv-ethisch, normativ-ethisch, metaethisch und vielleicht weiteren Kategorien) zugeordnet werden. Einerseits ist EN zufolge die Freiheit die Grundlage aller Werte (EN, S. 76). Andererseits finden sich z.B. im RV natu- ralistisch klingende Begründungen: Die Basis jeglicher Moral oder Moralität seien die menschlichen Bedürfnisse.is
In diesem Sinne ließen sich zahlreiche Aussagen zusammentragen. Es könnte dann nach dem Zusammenhang dieser Kategorisierung mit der Einteilung in die drei Etappen gefragt werden. Dies wäre dann eine zu- gleich systematische und historische Untersuchung der Versuche Sartres, eine Ethik zu schaffen, wie auch seiner vereinzelten ethischen oder mo- ralischen Aussagen.
All dies ist, wie bereits oben herausgestellt wurde, nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Hier soll es nicht um die Rekonstruktion der Sartreschen Ethik gehen, sondern um die Vereinbarkeit der Ontologie von EN mit einer Ethik. Bevor ich auf die Arbeiten zu diesem Thema, al-so diejenigen der dritten Kategorie, näher eingehe, muß noch auf die zahlreichen Arbeiten hingewiesen werden, die spezielle Fragen der Ethik oder mit ihr direkt verbundener Themen behandeln, so z.B. auf Arbeiten zum Wertbegriff (u.a. Lauth, Mihalich) oder zur Handlungstheorie (u.a. Atwell). Auch sind die genannten Kategorien der Forschungsliteratur nicht erschöpfend. Es werden auch Themen bearbeitet, die keiner dieser Kategorien wirklich entsprechen. Fahrenbach z.B. behandelt nicht nur das ethische Denken u.a. Sartres, sondern versucht, die Ansätze existenz- philosophischen Denkens "für die gegenwärtige und künftige ethische Reflexion zu erschließen und zur Geltung zu bringen" (S. XI). Die Relevanz, so versucht er zu zeigen, der Existenzphilosophie für die Ethik be-steht hauptsächlich in dem Zusammenhang zwischen philosophischer Anthropologie und Ethik (S. XII).
Kariuki wiederum versucht, ausgehend von der absoluten Freiheit des Menschen bei Sartre zu zeigen, wie universell gültige und objektiv bindende "moralische" Urteile in einer existentialistischen Ethik zum Tragen gebracht werden können (S. Vf, X, 303, 304). Abgesehen von einigen spärlichen Bemerkungen (z.B. S. VIII) wird leider die Vereinbarkeit solcher universell gültiger und objektiv bindender "moralischer" Urteile mit der Ontologie von EN nicht wirklich erörtert.
Neudeck behandelt in seiner detaillierten und vergleichenden Studie die Frage einer politischen Ethik bei Sartre und Camus. Die politische Ethik fragt ihm zufolge danach, wie wir richtig zusammenleben können (S. 9). Auch diese eher aus der Perspektive der Politik geschriebene Ab- handlung bearbeitet aber nicht wirklich das Verhältnis zwischen Ontologie und Ethik.
Barnes schließlich will nicht die Ethik Sartres rekonstruieren, sondern auf der Grundlage von Sartres ontologischem Denken eine eigene exi- stentialistische Ethik entwickeln (Exist. Ethics, S. 29). Jeder Versuch, die Arbeit Sartres auszuführen, also seine Ethik zu schreiben, wird zurück- gewiesen (Exist. Ethics, S. 47). Im Kapitel "Sartres Wahl" wird lediglich Sartres Abbruch seiner Ethikprojekte oder sogar seine Zurückweisung aller ethischen Bemühungen diskutiert.16
1.2.3. Literatur zum Verhältnis von Ontologie und Ethik
Von besonderer Bedeutung für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit erscheinen - zumindest auf den ersten Blick - jene Arbeiten, die die Frage nach dem Verhältnis von Ontologie und Ethik bei Sartre untersuchen, er- örtern oder kommentieren.17 Zunächst stehen sich hier im wesentlichen zwei Positionen gegenüber. Die einen, insbesondere Jeanson (Problème moral) und Anderson, behaupten, Sartres frühe Ontologie schließe eine Ethik nicht aus oder sei sogar die Grundlage seiner Ethik. Auch Fretz (Individualiteitsconcept) zählt sich zu den Befürwortern einer Vereinbarkeit. Er meint allerdings, daß EN noch nicht die Grundlage bietet, von der eine Ethik abgeleitet werden kann. Die anderen meinen, die Absicht Sartres, eine Ethik zu schreiben, sei deshalb gescheitert, weil auf der Ba-sis seiner Ontologie keine Ethik formuliert werden könne.18
Robert Misrahi drückt dies sehr drastisch aus:
"La vérité, c'est que, s'il n'y a pas de morale sartrienne, ce n'est pas parce que Sartre ne l'a pas écrit, c'est parce que l'Etre et le N é ant l'interdisait II n'y a pas de morale sar- trienne parce qu'EN n'a pas jeté les bases d'une doctrine du préférable." (Bonheur II, S. 181 .)
Diese Aussagen bieten auch ein Beispiel dafür, wie zwei verschiedene Aspekte dieser Frage verschmischt werden. Nach meiner obigen Syste- matisierung ist zu unterscheiden zwischen der Frage, ob EN eine Ethik verbietet (erste Aussage im Zitat), oder ob es keine Grundlage bildet, die dazu dient, eine Ethik zu schaffen (zweite Aussage im Zitat). Die erste Aussage kann als einigermaßen klare Antwort auf meine Frage genommen werden: EN verbietet jegliche Ethik.
M. Warnock zufolge hat Sartre sich vom Existentialismus ab- und dem Marxismus zugewandt, u.a. weil es ihm unmöglich war, innerhalb der Grenzen des Existentialismus eine schlüssige ethische Theorie zu entwickeln (Ex.Ethics, S. 3 und S. 49ff).
Eine Position zwischen den beiden Lagern (Vereinbarkeit - Unverein- barkeit) nimmt Smoot ein. Einerseits meint er, die Wertlehre Sartres verbiete jegliche systematische Ethik. Dies bedeutet ihm zufolge jedoch nicht die Unmöglichkeit jeglicher existentialistischer Moralphilosophie. (Ethical Theory, 147-149.)
Auch Gallagher nimmt eine Art Zwischenstellung ein. Im Kontext der Ontologie von EN könnten ethische Elemente bzw. ethisches Denken entwickelt werden (S. V, VI, 1, 2, 7, 203, 210f, 219). Ähnlich Smoot be-tont auch er, daß dieses ethische Denken keine traditionelle Ethik bedeute. Eine traditionelle Ethik stünde gerade im Widerspruch zu den ethischen Elementen, die im Kontext der Ontologie von EN entwickelt wer-den können. (S. VI, 6, 211, 212f.) Im Gegensatz zu Smoot spricht er nicht einmal von der Möglichkeit einer existentialistischen Moralphilosophie, sondern nur von ethischen Elementen oder ethischem Denken»
Im nachfolgenden sollen die in dieser Debatte vertretenen Hauptar- gumente und Positionen vorgestellt werden. Dabei werden die beiden Lager getrennt behandelt. Smoot und Gallagher werden auf Grund ihrer Zwischenstellung in beiden Abschnitten berücksichtigt. Bei dieser Vor- stellung der Hauptargumente sollen auch deren Schwächen und Mängel benannt werden. Dabei wird deutlich werden, warum dieses Thema hier erneut aufgegriffen wird. Darüber hinaus wird diese kritische Vorstellung es mir erlauben, die Fragestellung der vorliegenden Arbeit aus der Kritik der bisher geleisteten Arbeit heraus noch weiter zu präzisieren.'°
1.2.3.1. Hauptargumente gegen eine Vereinbarkeit von Ontologie und Ethik
Als ein zentrales Hindernis für eine Ethik oder Moral wird von vielen Autoren, wenn auch in verschiedenen Varianten, immer wieder Sartres Theorie der radikalen Freiheit angeführt. Hierbei steht die freie Wahl der Werte zumeist im Mittelpunkt. Oft nimmt dieses Argument deshalb auch eine andere Form an: Die angeblich individualistische, subjektivistische oder relativistische Werttheorie Sartres sei ein Hindernis für eine Ethik.21 Anderson führt dieses Argument auch stets unter dem Stichwort "Werttheorie", nicht unter dem der "Freiheit" an.22 Die so charakterisier-te Werttheorie hat ihre Grundlage aber letztlich in Sartres Freiheitstheorie. Deshalb wäre eigentlich die Freiheit das Hindernis. So ist es Frondizi zufolge auf der Grundlage von Sartres Freiheitstheorie nicht möglich, Kriterien zu liefern, nach denen etwas als moralisch besser oder schlechter bewertet werden kann. Solche Kriterien würden die Freiheit begrenzen. Die Freiheit selbst sei Sartre zufolge die Quelle aller Werte. Dies führe zu einer "ethics of indifference" (Sartre's Ethics, S. 375, 377, 380f, 386, 389). Ähnlich argumentiert auch Bernstein: es gebe Sartre zu-folge keinen Grund und keine Rechtfertigung dafür, was Menschen wählen oder wählen sollen, damit auch nicht für die Wahl der Werte. Die Wahl der Werte sei "ultimately gratious". Damit seien tatsächlich alle Handlungen gleichwertig. (S. 146, 147, 148, 150, 152, 154, 155, 161.) Bernstein hebt hervor, daß damit das Konzept von "Wert" keinen Sinn mehr mache (S. 152). Das Resultat sei Nihilismus (S. 152). Smoot zufolge steht Sartres Werttheorie, insbesondere die freie Wahl der Werte im Widerspruch zu jeglicher systematischer Ethik, d.h. ihm zufolge vor al-lem zu jeglicher Ethik, die auf logischen, religiösen oder naturalistischen Wertbegründungen beruht (Ethical Theory, S. 147-149). Im Gegensatz zu Bernstein bedeutet dies für ihn allerdings nicht Nihilismus (Ethical Theory, S. 111-116).23 Smoot versucht, Sartre gegen den Nihilismusvorwurf zu verteidigen. Die von ihm behauptete Unvereinbarkeit der Wertlehre mit jeglicher systematischer Ethik bedeutet für ihn nicht gleich das Ende jeglicher Moralphilosophie auf der Grundlage von EN (Ethical Theory, S. 147, 149). Platinga wiederum weist darauf hin, daß eine Moral oder Ethik die Möglichkeit voraussetze, zwischen richtig und falsch oder bes-ser und schlechter zu unterscheiden. Sartres Freiheitstheorie unterminiere diese Möglichkeit: Es gäbe keine Werte vor der freien Wahl, damit keine guten und schlechten Wahlen; was immer ich wähle, sei per definitionem richtig; es gäbe keine Möglichkeit, einen moralischen Fehler zu begehen. (S. 241, 242, 248, 250.) Auch Reiman zufolge kann es bei Sartre keine Standards geben, nach denen festgestellt werden kann, welche meiner Wahlen richtig ist (S. 401f). Reiman setzt einige neue Akzente, auf die hier einzugehen allerdings nicht nötig ist.
Hunyadi stellt zwar nicht so explizit wie die genannten Autoren die Freiheit als Hindernis für eine Ethik dar, wenn er aber meint, eine Verpflichtung stelle für das freie Bewußtsein eine unannehmbare Entfremdung dar, so fällt dies durchaus in diese Art von Argumentation, zumal vom freien Bewußtsein die Rede ist. (S. 86, 88, 91.)
Wird die Argumentation der Autoren genauer betrachtet, so finden sich zwei Richtungen des Argumentes:
a) Was ergibt sich aus der freien Wahl der Werte für die Frage der Ethik: es gäbe keine guten und schlechten Wahlen mehr; das Konzept von "Wert" mache keinen Sinn mehr; alle Handlungen seien gleich-wertig; Nihilismus usw.
b) Was würden Normen und Verpflichtungen für die Freiheit bedeuten:
Begrenzung der Freiheit; Entfremdung des freien Bewußtseins.
Diese beiden Perspektiven des Problems werden in der Forschungsliteratur nicht ausreichend differenziert. Beide Richtungen der Argumentation sind fehlerhaft oder werfen zumindest Fragen auf:
ad a) Diesbezüglich versäumen es die Autoren, die spezifische Bedeutung der "freien Wahl", insbesondere der "freien Wahl der Werte" bei Sartre herauszuarbeiten. Wenn nämlich gezeigt wird, daß es sich hier nicht um eine kontemplative Wahl handelt, so stellt sich die Frage, ob es neben diesen nichtkontemplativen Wahlen nicht auch kontemplative Wahlen von Werten geben kann, nach denen Handlungen als richtig oder falsch beurteilt werden können (ganz im Sinne einer traditionellen Ethik).
ad b) Es ist nicht einsehbar, warum solche Normen und Verpflichtungen per se die Freiheit begrenzen: Niemand ist gezwungen, sich nach diesen Normen und Verpflichtungen zu richten. Die Frage stellt sich also eher nach der Bedeutung und Funktion solcher Normen und Verpflichtungsurteile.
Gegen diese unter ad b) genannte Position könnte ein Argument vor- gebracht werden, das von Reiman in der Debatte über das Verhältnis von Ontologie und Ethik bei Sartre vorgebracht wurde: Begriffe wie "Wahl" und "Wert" können Reimann zufolge nur dann als moralische Kategorien bezeichnet werden, wenn sie vier Forderungen erfüllen: Moralität enthalte Verpflichtungen; sie enthalte Ideale; sie unterscheide richtige und falsche Wege, das Schicksal anderer zu beeinflussen und sie enthalte Mög- lichkeiten, eigene Handlungen als falsch zu beurteilen. Sartres Begriffe von "Wahl" und "Wert" erfüllen nun Reiman zufolge keine dieser Anfor- derungen. Dies sei letztlich auf Sartres Freiheitstheorie zurückzuführen. (Reimann, S. 403-410.)
Der Hauptfehler auch Reimans liegt hierbei darin, nicht ausreichend zu verdeutlichen, daß diese Feststellung, wenn überhaupt, dann zunächst nur auf die spezifischen Kategorien von "Wahl" und "Wert" bei Sartre zutrifft. Wird hiervon ausgegangen, so kann sich u.U. die Möglichkeit koexistenter kontemplativer Wahlen von Werten ergeben, die die vier Forderungen erfüllen.
Eine etwas andere Wendung nimmt dieses Argument der freien Wahl der Werte schließlich bei Pilkington. Gegenstand seiner kritischen Untersuchung ist allerdings nicht die Ethik allgemein, sondern die nach seiner Meinung von Sartre in EH entwickelte soziale Ethik. Jener Ethik mit Freiheit als oberstem Wert stehe u.a. Sartres Leugnung von Werten im intelligiblen Himmel entgegen. (Pilkington, S. 43.) Sartre, so sei hinzugefügt, bezeichnet diese Position, die Werte im intelligiblen Himmel behauptet, als "esprit de sérieux" (EN, u.a. S. 721).
Pilkington behandelt hier zwar nur einen bestimmten Wert, den der Freiheit. Sartres Ablehnung des "esprit de sérieux" könnte jedoch auf andere Werte übertragen und so als ein Hindernis auch für andere Werte angesehen werden. Wichtig wäre dann allerdings folgendes: Diese Ablehnung von Werten im intelligiblen Himmel müßte dann nicht die Unmöglichkeit jeglicher Ethik bedeuten. Zunächst würde sie nur die Unmöglichkeit aller Ethiksysteme implizieren, die auf Werte im intelligiblen Himmel beruhen. Sartres Aussage wäre zunächst nur unvereinbar mit einer bestimmten Art von Ethiksystemen. Dieses also gegebenenfalls zu einer Einschränkung führende Hindernis ist insofern von besonderer Bedeutung, als Sartre solche Werte explizit zurückweist. Zu untersuchen wäre dabei, was denn Werte im intelligiblen Himmel für Sartre sind. Erst dann kann jene Einschränkung genauer präzisiert werden.
Es stellt sich jedoch auch noch die darüber hinausgehende Frage, ob Sartres Freiheitstheorie nicht doch auch mit Werten im Himmel der Intelligibilität vereinbar ist: Ist der Mensch, wenn er denn frei ist, nicht auch frei, sich nicht nach solchen Werten zu richten? Vielleicht ergibt sich eine mangelnde Konsistenz bei Sartre selbst.
Die genannten Autoren wurden kritisiert, die spezifische Bedeutung bestimmter Kategorien Sartres nicht genügend berücksichtigt zu haben. Vor allem die Kategorie der "Wahl" betreffend, wird dies von Robbins besser geleistet. Wenn zwar im Endeffekt auch in seinem Ergebnis enthalten, so stellt er doch nicht, wie Bernstein, Platinga und Reimann die Frage in den Vordergrund, ob die Begriffe "richtig" und "falsch" sowie der Begriff des "Wertes" bei Sartre noch einen Sinn haben. Er hebt einen von den anderen Autoren sehr vernachlässigten, zumindest nicht explizit behandelten, aber doch für die Frage einer Ethik sehr wichtigen Aspekt der Philosophie Sartres hervor: Sartres Aussage, jegliche "délibération volontaire" sei verfälscht (EN, S. 527; vergl. Robbins, S. 410). Nach der Freiheitstheorie und der Werttheorie wird damit hier ein weiteres mögliches Hindernis für eine Ethik angeführt.24 Sartres Hauptfehler, so Rob-bins, sei es, die wichtige Rolle der reflexiven Aktivität und des Willens nicht anerkannt zu haben (S. 421). Sartre gestehe zwar zu, daß Menschen darüber nachdenken, was zu tun sei. Solche Überlegungen hätten aber keinen Einfluß darauf, was getan werde. (S. 410.) Werte würden angenommen, ohne daß darüber reflektiert werde. Sie seien die Bedeutungen von Handlungen. Sie könnten Handlungen nicht rechtfertigen, sondern nur erklären. (S. 416.)
Wenn Robbins auch meist von der Unmöglichkeit eines moralischen Lebens spricht, impliziert dies für ihn wohl auch die Unmöglichkeit einer Moral (vergl. S. 409). Er gesteht Anderson zu, daß Sartre zunächst nur die Alltagsmoral und den "esprit de sérieux" kritisiert und diese von einer Moral "de la délivrance et du salut" unterschieden habe. Später habe Sartre aber seine Kritik an der bürgerlichen Moral auf alle Formen moralischen Lebens übertragen. Dies sei zu erwarten gewesen. Der Skepti- zismus sei viel tiefer situiert, als Anderson es annehme. (Robbins, S. 423, Anm. 18.) Hierbei scheint mir allerdings die Bedeutung und Verwendung der Ausdrücke "Unmöglichkeit eines moralischen Lebens" und "Unmöglichkeit einer Moral" sowie auch die Übergänge von einem auf das andere nicht immer ausreichend deutlich und nachvollziehbar.
Robbins Ausführungen enthalten meines Erachtens den Hinweis auf zwei mögliche Hindernisse für eine Ethik. Leider diskutiert selbst Anderson diese nicht ausreichend bzw. gar nicht. Zunächst handelt es sich um Sartres Aussage von der stets verfälschten willentlichen Überlegung. Dies enthält allerdings meines Erachtens noch nicht die Unmöglichkeit einer Ethik. Es bedeutet zunächst nur, daß eine Ethik möglicherweise Sartre zufolge verfälscht ist. Ob dies der Fall ist, kann erst dann entschieden werden, wenn geklärt ist, was denn Sartre zufolge genau ver-fälscht ist. Sartre spricht von der "délibération volontaire", die stets ver-fälscht sei (EN, S. 527). Der Ausdruck kann mit "willentliche Überlegung" oder "willentliche Erwägung"25 übersetzt werden. Was ist damit aber genau gemeint? Und: Sind Sartre zufolge auch Reflexionen, Erkenntnisse, logische Ableitungen usw. verfälscht? Auf diese Fragen und Unterschiede geht Robbins leider nicht ein.
Neben diesem wichtigen Problem weist die Arbeit von Robbins noch auf ein zweites hin: Unsere Überlegungen haben Sartre zufolge keinen Einfluß darauf, was getan wird. Dieses Problem wird sich in der vorliegenden Arbeit, im Kapitel zur Vereinbarkeit einer normativen Ethik und/oder Metaethik mit Sartres Freiheitstheorie bestätigen. Es wird sich dort jedoch die Notwendigkeit zeigen, es sehr viel intensiver zu untersuchen, als Robbins es tut. Vor allem bedeutet dies nicht, daß keine Ethik möglich ist, sondern nur, daß sie keinen Einfluß auf die Handlungen hat. In der vorliegenden Arbeit soll allerdings versucht werden, eine wenn auch begrenzte Bedeutung normativer Ethik und/oder Metaethik dafür aufzuzeigen, wie Menschen handeln werden.
Beide Probleme werden schließlich meines Erachtens bei Robbins nicht ausreichend getrennt. Damit wird auch der Zusammenhang, der zwischen ihnen besteht, nicht hinreichend deutlich.
Ein anderes zentrales Hindernis für eine Ethik bei Sartre ist angeblich dessen Ablehnung der "mauvaise foi" bzw. seine Forderung nach Au- thentizität: Die Ablehnung der "mauvaise foi" impliziere die Zurückwei- sung jeglicher Normen und Regeln. Dieses Argument wird besonders von M. Warnock, Bernstein, Gallagher und Pilkington vorgebracht.26 Es be- trifft allerdings, so muß bemerkt werden, nicht das Verhältnis von Onto- logie und Ethik. Die Autoren behaupten z.B. nicht, Sartres Analyse der "mauvaise foi" verbiete Normen und Regeln, sondern seine Ablehnung ihrer. Diese Ablehnung der "mauvaise foi" ist zudem bei Sartre im Kontext seiner Ethik der Authentizität zu verstehen.27 Wenn die Ablehnung der "mauvaise foi" tatsächlich jegliche Normen verbietet, so würde dies also bedeuten, daß hier eine moralische oder ethische Haltung Sartres andere ethische Aussagen verbietet. Wir haben es also mit einem rein ethischen Problem zu tun, nicht mit dem Verhältnis von Ontologie und Ethik.28
Auch Sartres Charakterisierung der menschlichen Beziehung als Konflikt in EN gilt als Hindernis für eine Ethik. Hier ist zunächst M. Warnock zu nennen.29 Wenn sich die Menschen EN zufolge nur gegenseitig bekämpfen könnten, der eine immer nur Mittel, nie Ziel für den anderen30 sein könne, dann gäbe es keine Möglichkeit mehr, die Interessen der einen Person mit jenen der anderen auszugleichen. Dies aber sei Aufgabe der Moral:
"Morality means the accomodation of one person to the interests of another, and this is exactly what Sartre has ruled out" (Phil. Sartre, S. 133).
Ob der Ausgleich der Interessen Aufgabe der Ethik ist, scheint mir fraglich. Einleuchtender ist Warnocks etwas schwächere Formulierung, derzufolge es die Aufgabe einer Ethik sei, das Verhalten der Menschen untereinander zu regeln (Phil.Sartre, S. 129; Ex.Ethics, S. 38).
Warum nun soll es, selbst den ständigen Konflikt der Menschen un- tereinander vorausgesetzt, nicht möglich sein, die Interessen und das Verhalten der Menschen untereinander durch Normen zu regeln? Sind hier nicht gerade Normen nötig? Zumindest: Warum verbietet ein ständiger Konflikt zwischen Menschen eine Ethik? Dies ist nicht plausibel. So wird die Argumentation M. Warnocks auch nur dann einsehbar, wenn das andere, von ihr in diesem Zusammenhang betonte Hindernis, Sartres Ablehnung der "mauvaise foi", als das eigentliche Hindernis genommen wird. Dann ergibt sich nämlich folgendes, schon eher plausibles Argument: Sartres Ablehnung der "mauvaise foi" verhindert Normen, die die zwischenmenschlichen Konflikte regeln. Die Konflikte selbst wären dann kein Hindernis. Auf die Problematik der Ablehnung der "mauvaise foi" wurde bereits eingegangen.
Eine schon plausiblere Bedeutung gewinnt das Konfliktargument bei Hunyadi (S. 91). Wie bereits oben erwähnt, stellt ihm zufolge jede Ver- pflichtung eine unannehmbare Entfremdung für das freie Bewußtsein dar. Sartre versuche nun in den CM der Verpflichungsmoral eine Alter-native entgegenzustellen, die auf dem Appell beruhe (S. 86, 88). Dieser Versuch sei auf Grund der Sartreschen Theorie des Bewußtseins, derzufolge notwendigerweise ein Konflikt zwischen den Bewußtseinen be-steht, gescheitert (S. 91). Es bestehe nämlich stets die Möglichkeit, daß der andere sich weigert, dem Appell zu folgen. Diese Weigerung sei schlimmer als Gewalt. Sie erzeuge Gegengewalt und ende mit dem Mord. (S. 90f.) Dieser Mord sei damit nur der letzte Ausdruck des Konfliktes zwischen den Bewußtseinen (S. 91).
Hier handelt es sich um eine der wenigen Arbeiten, die hinsichtlich der Bedeutung einer Ethik bei Sartre differenzieren: Es wird zwischen einer Ethik, die auf Verpflichtungsurteilen beruht und einer solchen, die den Appell zur Grundlage hat, unterschieden.31 Es wird sich deshalb als notwendig erweisen, gerade auf diese Arbeit zurückzukommen. Hier sei nur soviel kritisch angemerkt: Einerseits führt die Weigerung Sartre zu-folge nicht notwendigerweise zur Gewalt (CM, S. 303 und 306). Andererseits versucht Sartre, das Problem durch eine "proposition 'entre parenthèse"' zu lösen (CM, S. 306). Auf diesen Versuch geht Hunyadi nicht ein. Sartre selbst weist diesen Lösungsversuch zurück, weil er nicht authentisch sei (CM, S. 306). Die Forderung nach Authentizität ist aber ei-ne moralische Forderung bei Sartre, nicht eine ontologische Feststellung. Das Problem ist also möglicherweise wieder nicht das von Ontologie und Ethik, sondern rein ethisch.
Als ein weiteres Argument gegen die Möglichkeit einer Ethik bei Sartre werden einige seiner Aussagen, besonders am Ende von EN, ange-führt, die auf den ersten Blick einen Relativismus, Nihilismus oder Pessimismus nahelegen: Der Mensch sei eine "unnütze Leidenschaft" (EN, S. 709), alle menschlichen Handlungen seien zum Scheitern verurteilt (EN, S. 721), alle Handlungen seien gleichwertig (EN, S. 721) usw. Die-se und weitere Aussagen bedeuten der Auffassung einiger Autoren zu-folge die Unmöglichkeit einer Ethik auf der Basis von EN.32 Dabei wird leider nicht immer sehr deutlich, ob die Autoren jene Aussagen Sartres als ein eigenständiges Hindernis für eine Ethik betrachten. Einige der Autoren führen die zitierten Aussagen als Folge oder Ausdruck bestimm-ter anderer philosophischer Positionen Sartres an. Aus jenen anderen philosophischen Positionen, z.B. aus der absoluten Freiheit, ergibt sich ihnen zufolge eben tatsächlich, daß alle Handlungen gleichwertig und/oder zum Scheitern verurteilt sind.33 Dann wären aber nicht jene Aussagen Sartres das eigentliche Hindernis, sondern die anderen philosophischen Positionen.
Einige Passagen dieser und auch anderer Autoren sind aber auch so lesbar, als bilden die o.g. Aussagen Sartres selbst ein Hindernis für eine Ethik, als folge schon aus ihnen Relativismus, Pessimismus oder Nihi- lismus.34 Selbst wenn dies aber von den Autoren nicht behauptet würde oder wird, müßte geprüft werden, inwieweit schon allein jene Aussagen Sartres als ein Hindernis für eine normative Ethik und/oder Metaethik angesehen werden können, weil diese Aussagen stets als ein Hindernis angeführt werden können: Sartre selbst, so könnte argumentiert werden, habe ja gesagt, daß alle Handlungen gleichwertig seien. Diese Aussagen gilt es allerdings aus ihrem Kontext heraus zu verstehen. Wird dieser be- rücksichtigt, so erhalten jene Aussagen eine ganz begrenzte und spezifische Bedeutung. Einige Autoren führen zwar den Kontext an, verallgemeinern aber die Bedeutung jener Aussagen in unzulässiger Weise.
Schließlich sind dem noch drei Aspkete hinzuzufügen, die nach M.C. Hornyansky ein Hindernis für eine Ethik bilden könnten:35 1) Sartres Aussage am Ende von EN, die Ontologie könne keine präskriptiven Aussagen formulieren. 2) Die existentielle Psychoanalyse sei nach ihm eine moralische Beschreibung. Eine Psychologie des Interesses wie auch einen ethischer Utilitarismus gelte es zurückzuweisen. 3) Die einzige Grundlage der Moral sei den CM zufolge die Spontaneität.
Hornyansky versucht allerdings, die Vereinbarkeit jener Aussagen sowie auch der Werttheorie Sartres mit einer positiv-ethischen wie auch metaethischen Theorie zu zeigen sowie diese Theorie darzulegen. Sie gehört also zu jenen Autoren, die die Vereinbarkeit von Ontologie und Ethik bei Sartre zeigen. Dennoch galt es, hier kurz die von ihr genannten möglichen Hindernisse zu nennen.
Zu diesen Hindernissen kann angemerkt werden: Sartres Aussage, die Ontologie vermöge keine Imperative zu formulieren, ist kein Hindernis für eine Ethik, da eine Ethik ja nicht unbedingt durch die Ontologie be-gründet werden muß. Sie ist vielleicht ein Hindernis für eine naturalistische Ethik. Eine mit EN vereinbare Ethik dürfte dann nicht naturalistisch begründet sein. Zudem ist diese Aussage Sartres auch nur dann ein onto- logisches Hindernis für naturalistische Ethikbegründungen, wenn sie selbst eine ontologische oder aus der Ontologie folgende Aussage ist. Dies ist aber sehr fraglich. Schließlich muß die Fortsetzung dieser Aus-sage beachtet werden. Die Ontologie lasse "entrevoir cependant ce que sera une éthique qui prendra ses responsabilités en face d'une r é alit é humaine en situation" (EN, S. 721). Liegt hier sogar eine Art naturalistischer Begründung vor? Allerdings wird eine Voraussetzung genannt: 'Wenn man die Verantwortung im Angesicht der menschlichen Realität in Situation übernähme.' Diese Übernahme der Verantwortung müßte als Forderung wiederum erst begründet werden.
Der beschränkte Aussagewert der existentiellen Psychoanalyse sagt meines Erachtens nichts über die Unmöglichkeit einer Ethik aus. Zudem sagt Sartre zunächst lediglich, die existentielle Psychoanalyse lehre uns, die utilitaristische Interpretation des menschlichen Verhaltens zurückzuweisen (EN, S. 720). Das verbietet lediglich eine utilitaristisch-deskriptive Ethik, nicht aber eine utilitaristisch-normative Ethik.
Bleiben die Spontaneität und die Werttheorie als Hindernis. Beiden liegt meines Erachtens die Vernachlässigung der spezifischen Bedeutung des Wertbegriffes bei Sartre zugrunde. Ich werde zu zeigen versuchen, daß der Wert in seiner spezifischen Bedeutung bei Sartre durchaus ver-einbar ist mit einem anderen, zweiten Wertbegriff. Dies wird sowohl das Problem der Werttheorie als auch das der Spontaneität lösen helfen.
Es dürfte deutlich geworden sein, daß der Nachweis, Sartres Ontologie verbiete grundsätzlich eine Ethik, bisher nicht geleistet ist: Fragen bleiben offen, wie z.B. die, ob Werte und Normen die Freiheit wirklich aufheben (u.a. bei Bernstein, Frondizi, Platinga); die spezifische Bedeutung der Begriffe Sartres wird nur mangelhaft berücksichtigt (Bernstein, Frondizi, Pilkington); wichtige Aspekte seiner Philosophie werden vernachlässigt (u.a. Bernstein, Hunyadi); der Kontext wird außer acht gelas-sen (bes. Misrahi, Pilkington); es handelt sich bei einem angeführten Hindernis nicht um ein ontologisches, sondern um ein moralisches oder ethisches, wenn es denn überhaupt ein Hindernis ist (Bernstein, Gallagher, Platinga, M. Warnock). Schon auf Grund dieser Mängel kann der Aufassung der Autoren nicht zugestimmt werden.
Diesen gezeigten Schwächen und Problemen sind noch einige allgemeine hinzuzufügen: 1. handelt es sich bei vielen Arbeiten nur um Artikel oder Abschnitte in einem Buch (Ausnahme: Warnock). Kann das Problem in dieser Kürze behandelt werden? Dieser Einwand ist nur be- dingt gültig: Oft wird nur ein einziges Hindernis diskutiert. Dies erfordert weniger Aufwand als die Untersuchung mehrerer Hindernisse. Wenn aber ein Hindernis aufgezeigt ist, reicht dies, die Unvereinbarkeit von Ontologie und Ethik zu zeigen. Ein solcher Nachweis ist aber meines Er-achtens in keinem der Fälle gelungen. 2. Posthume Werke werden in dem größten Teil der Arbeiten nicht berücksichtigt (Ausnahme: Hunyadi). 3. Oft konzentrieren sich die Autoren sogar nur auf EN und EH (Bernstein, Frondizi) oder auf ein anderes Werk (Hunyadi auf die CM). 4. Es wird nicht ausreichend zwischen "EN bietet keine Mittel für eine Ethik" und "EN verbietet jegliche Ethik" unterschieden (Warnock, Frondizi, Reimann, Misrahi, Pilkington). 5. Mit Ausnahme Hunyadis wird nicht zwischen verschiedenen Arten von Ethik unterschieden. 6. Es mangelt den Autoren an Wohlwollen. Es wird oft gar nicht der Versuch unternommen, eine plausible Lesart zu finden, die die Lösung eines Problems ermöglicht.
1.2.3.2. Hauptargumente für die Vereinbarkeit
Es sind im wesentlichen zunächst drei Autoren, die versuchen zu zeigen, daß die Ontologie von EN mit einer Ethik vereinbar ist: Francis Jeanson, Thomas Anderson und Wiliam R. Smoot.36 In anderen Arbeiten, wie z.B. der von Anthony Manser, wird u.a. versucht, die Ethik Sartres darzustellen. Hierbei wird oft sicherlich auch davon ausgegangen, daß diese Ethik mit EN vereinbar ist. Die Frage der Vereinbarkeit wird hier aber nicht explizit behandelt. Es wurde jedoch oben schon auf die Möglichkeit hin- gewiesen, eine Ethik Sartres darzulegen, die im Widerspruch zu anderen Aussagen aus EN steht.
Auch Leo Fretz zählt sich zu den Befürwortern einer Vereinbarkeit von Ontologie und Ethik bei Sartre (Individualiteitsconcept, S. 233, 264). Er meint sogar, daß EN zumindest implizit eine normative Ethik enthalte (Individualiteitsconcept, S. 244, 261, 264). Ihm geht es aber nicht darum, die Sartresche Ethik zu bearbeiten. Er stellt die Frage nach den ontologi- schen und anthropologischen Grundlagen einer Ethik. (Individualiteits- concept, S. 241.) Fretz behandelt also nicht eigentlich die Frage nach der Vereinbarkeit von Ontologie und Ethik, wenn diese Vereinbarkeit auch behauptet wird (Individualiteitsconcept, S. 233, 264), sondern stellt die Frage nach den ontologischen und anthropologischen Grundlagen für ei-ne Ethik. Diese Grundlagen nun wiederum sind ihm zufolge mit EN noch nicht gegeben (Individualiteitsconcept, S. 244, 264, 269). Der Grund hierfür liegt seiner Auffassung nach in dem in EN ungelösten Problem der Solipsismus (Individualiteitsconcept, S. 242f, 244). Dieses Problem werde aber in der CRD gelöst (Individualiteitsconcept, S. 242f, 253, 259f, 264, 269). Damit biete die CRD die Grundlage für eine Ethik der Solidarität (Individualiteitsconcept, S. 233, 244).
Neben diesen Autoren ist auch noch M.C. Hornyansky zu erwähnen. Sie behandelt in ihrem Aufsatz allerdings einen ganz spezifischen Teil des Problems "'Ontologie - Ethik' bei Sartre": Sartres Aussage am Ende von TE, dieses Werk könne die Grundlage einer positiven Ethik und Politik bilden, scheint Hornyansky zufolge zunächst im Widerspruch zu bestimmten Aussagen aus EN und aus den CM zu stehen (S. 151ff). Po- sitive Ethik meint für Hornyansky "an ethics of identifiable, usually in some sense quantifiable, effects in the world" (S. 153). Die in TE genannte positive Ethik könne nur eine utilitaristische Ethik sein (S. 151).
Hornyansky meint nun, diese angeblichen Widersprüche bei Sartre aufzulösen und eine Ethik Sartres aufzuzeigen, die sowohl eine positive als auch eine metaethische Theorie sei (S. 151). Leider sind ihre Ausführungen zur Lösung des Problems zumindest für mich ziemlich unverständlich. Dies sowohl in Hinblick auf einige Einzelargumente als auch in Hinblick auf den Gesamtzusammenhang. Zudem verweist die Autorin nur selten auf Textstellen bei Sartre. Dadurch wird es nur bedingt möglich, das Verständnis durch Lektüre der entsprechenden Textstellen bei Sartre zu verbessern.
Ich möchte deshalb an dieser Stelle darauf verzichten, die Auflösung der o.g. Widersprüche durch Hornyansky und ihre Rekonstruktion der positivethischen und metaethischen Theorie Sartres darzulegen. Es soll aber zumindest kurz erwähnt werden, welche drei Elemente diese Lösung und Rekonstruktion, so wie ich sie verstehe, enthält:
Die Handlungen des transzendenten Egos führten zu einer positiven Ethik (S. 152, 156).
Aus Sartre Analyse des Wertes und seiner Symbolisierungen ergäbe sich ein positives Programm der Selbstkritik und der Erhaltung der moralischen Freiheit (S. 157).
Der ontologische Charakter der menschlichen Existenz sei nicht für bestimmte Moralen verantwortlich, sondern nur für die universelle wertende Orientierung des Menschen. Der Impuls zur Selbstverwirk- lichung entspringe der ontologischen Struktur. Worauf sich dieser Impuls richte, sei allerdings eine individuelle und soziale Frage. (S. 159f.)
Es dürfte deutlich geworden sein, daß dieser Aufsatz die in der vor- liegenden Arbeit gestellte Frage keineswegs befriedigend beantwortet. Sein Wert liegt allerdings u.a. darin, jene o.g. angeblichen Widersprüche aufgezeigt zu haben.
Jeanson und Anderson behaupten nicht nur die Vereinbarkeit von Ontologie und Ethik bei Sartre. Ihnen zufolge bietet die Ontologie von EN sogar die Grundlage für eine Ethik. Jeanson versucht zu zeigen, wie eine Ethik der Freiheit, d.h. mit Freiheit als oberstem Wert, in der Ontologie von EN bereits enthalten ist. Anderson hingegen versucht die logische Herleitung einer Freiheitsethik aus der Ontologie von EN. Jene Systeme einer Freiheitsethik bei Jeanson und Anderson gleichen sich in den Grundstrukturen weitgehend, unterscheiden sich jedoch in der Art, vor allem im Grade ihrer Ausarbeitung. Smoot wiederum versucht die Grundzüge einer in EN implizit enthaltenen Ethik der Authentizität her- auszuarbeiten. Er kommt allerdings zu dem Ergebnis, daß jegliche sy- stematische Ethik im Widerspruch zur Werttheorie Sartres, besonders zur freien Wahl der Werte steht. Das bedeutet für ihn aber nicht das Ende der Moralphilosophie. Die Wertlehre erlaube eine existentialistische Moral- philosophie der Wahl, deren Grundzüge allerdings meines Erachtens bei Smoot nicht deutlich werden. (Ethical Theory, S. 147-149.)
Sowohl Smoot als auch Anderson meinen, mit ihren Untersuchungen nicht nur einen Beitrag zur Sartre-Forschung zu leisten, sondern darüber hinaus auch zur Frage, ob Ethik angesichts des Mangels an objektiven Werten noch möglich ist. Der Anspruch Smoots geht diesbezüglich je-doch weit über den Andersons hinaus. Anderson geht vom Problem bei Sartre aus und weist auf die darüber hinausgehende allgemeine Bedeutung seiner Arbeit hin (Foundation, S. 3). Smoot hingegen geht vom all-gemeinen Problem aus und meint durch seine Bearbeitung des Problems der Ethik bei Sartre eine Antwort auf die allgemeine Frage zu leisten (Ethical Theory, S. if).
Ziel traditioneller Ethik ist es Smoot zufolge anzugeben, was ein gutes Leben und was richtiges Handeln ausmacht (Ethical Theory, S. if, 140, 147). Dies führe zur Frage nach den Werten, also zur Axiologie. Die gegenwärtige Ethikdiskussion habe aber gezeigt, daß es keine Werte gä-be, die von der menschlichen Bewertung unabhängig sind. Smoot erhebt den Anspruch, durch eine kritische Darlegung der ethischen Theorie Sartres eine Lösung dieses "Problems" zu liefern. (Ethical Theory, S. if.)
So versucht Smoot eine Ethik der Authentizität darzulegen und zu verteidigen, wie sie nach seiner Meinung in EN implizit enthalten ist (Ethical Theory, bes. S. 55-57). Wer sich für die Authentizität entscheide, wähle damit allerdings auch die Freiheit (Ethical Theory, S. 67, 70, 72, 77, 78). Oberster Wert scheint also für Smoot - im Gegensatz zu Anderson - die Authentizität und nicht die Freiheit zu sein. Im Gegensatz zu Anderson, der in seiner Rekonstruktion der Ethik Sartres versucht, die Freiheitsethik logisch aus der Ontologie von EN abzuleiten, besteht Smoot darauf, daß Sartre wohl nicht eine logische oder metaphysische, sondern eine "existentielle" Ableitung versucht habe. Was dies genauer bedeutet, wird meines Erachtens nicht ganz deutlich. Er meint wohl entweder so etwas wie eine gewählte Ableitung oder eine Betonung der Wahl selbst (Ethical Theory, S. 140, 144, 150). Immer wieder hebt er in seiner Arbeit die "Wahl" hervor: Ethische Aussagen seien der Werttheorie Sartres zufolge immer nur Ausdruck der einsamen ethischen Wahl eines individuellen Bewußtseins (Ethical Theory, S. 140, 144).
Dieses bedeute letztendlich auch, daß Sartres Ethik der Authentizität die Ansprüche traditioneller Ethik nicht erfülle. Sartres Werttheorie, ins- besondere die freie Wahl der Werte stehe im Widerspruch zu jeglicher systematischen Ethik. Damit meint er insbesondere solche ethischen Sy- steme, die logische, naturalistische oder religiöse Wertbegründungen enthalten. Sartre selbst habe wohl aus diesem Grunde seinen Versuch, eine Ethik zu erarbeiten, aufgegeben. (Ethical Theory, S. 147-149.)
Dennoch meint er, dies bedeute nicht das Ende der Moralphilosophie. Es ist schwierig zu verstehen, was er unter einer "existentialistischen Moralphilosophie" versteht. Es scheint nicht mehr zu sein, als ein Appell an die Individuen, den moralischen Standard selbst zu finden (Ethical Theory, S. 150f). Es wurde oben bereits auf seine Betonung der "Wahl" hingewiesen. Darüber hinaus glaubt er, daß das Ideal der Authentizität in Grenzen gültig ist. Diese Grenzen zu bestimmen, könne aber nicht Ziel seiner Arbeit sein. Es geschehe durch das Individuum und dessen Erfahrung (Ethical Theory, S. 151).
Zusammenfassend ermöglicht die Wertlehre von EN Smoot zufolge eine gewisse existentialistische Moralphilosophie, verbiete aber eine systematische Ethik. Hindernis ist für Smoot letztlich die Freiheit.
Ist nun hiermit, so die erste Frage, das o.g. allgemeine Problem der gegenwärtigen Ethik seiner Auffassung zufolge gelöst oder nicht? Un-klar bleibt auch, was Sartre nun versucht hat. Einerseits spricht er von den Versuchen einer existentiellen und eben nicht logischen, naturalistischen oder religiösen Begründung. Dies entspräche evtl. jener existentialistischen Moralphilosophie. Andererseits meint er, Sartre habe gerade wegen jener Unvereinbarkeit der Wertlehre mit einer systematischen Ethik das Projekt einer Ethik aufgegeben. Hat Sartre also doch mehr als jene "existentialistische" Ethik versucht? Dieser Widerspruch dürfte sich auch nicht durch eine über "logisch, naturalistisch und religiös" hinaus-gehende Bedeutung von "systematisch" lösen lassen.
Inwiefern hilft dann jene nebulöse Beschreibung der "existentiali- stischen Moralphilosophie"? Es sollen hier nicht generell Ansätze zu- rückgewiesen werden, die versuchen, eine nicht-traditionelle oder eine nicht-systematische existentialistische Moralphilosophie zu entwickeln und zu zeigen, daß diese mit EN vereinbar ist. Vielleicht kann dies auch weniger nebulös verdeutlicht werden. Nur soll dies nicht in der vorlie- genden Arbeit geschehen. Hier soll gerade nach der Vereinbarkeit von EN mit einer systematischen Ethik gefragt werden. So hat die Auseinan- dersetzung mit Smoot bereits geholfen, die Fragestellung der vorliegen-den Arbeit etwas zu präzisieren wie auch einzugrenzen.
Noch schwächer als bei Smoot ist die Position bei Gallagher. Dieser spricht nicht einmal von der Möglichkeit einer "existentialistischen Mo- ralphilosophie", sondern nur von der ethischer Elemente oder eines ethi- schen Denkens.37 In seiner vergleichenden Studie versucht er zu zeigen, daß "Sein und Zeit" und EN von Heidegger respektive Sartre zwar für rein ontologische Werke gehalten wurden (S. V, 1, 210), in Wirklichkeit aber Aussagen mit ethischen Implikationen enthalten. Es könne zwar aus diesen Werken keine Ethik abgeleitet werden (S. VI, 2, 210, 219), diese Werke böten aber den Kontext, in dem sich ethisches Denken entwickeln lasse.38 Für Sartre gilt dies Gallagher zufolge vor allem ausgehend von dessen Aussagen zur Authentizität und Inauthentizität (S. VI, 1, 6, 203, 205ff, 211ff). Aus diesen Aussagen könne jedoch keine Ethik im traditionellen Sinne entwickelt werden. Jegliche traditionelle Ethik stünde im Widerspruch zu den ethischen Elementen, die im Kontext von EN ent- wickelt werden können (VI, 6, 211, 212; vergl. auch S. 201f).
Es ist nicht auszuschließen, daß die Entwicklung ethischer Elemente oder ethischen Denkens im Kontext der Ontologie von EN auch für die vorliegende Arbeit von Bedeutung ist. Dennoch soll in der vorliegenden Arbeit die Vereinbarkeit der Ontologie von EN gerade mit einer normativen Ethik und einer Metaethik, also mit "traditioneller" oder auch syste- matischer Ethik geprüft werden.
Gallagher und Smoot verneinen die Möglichkeit einer traditionellen bzw. systematischen Ethik auf der Grundlage von EN. Für Gallagher sind die ethischen Elemente, die im Kontext der Ontologie entwickelt werden, also nicht die Ontologie selbst, das Hindernis, für Smoot ist es die Frei-
[...]
1 Siehe den nachfolgenden Abschnitt zur Forschungsliteratur.
3 Wenn im folgenden von der Vereinbarkeit einer Ethik mit EN gesprochen wird, so ist damit die Ontologie von EN gemeint. Diese Reduzierung geschieht aus Gründen der Vereinfachung und der besseren Lesbarkeit.
4 Auf die Bedeutung der Ethikversuche Sartres für die vorliegende Arbeit komme ich unten zurück. (Abschnitt I.10.: Primärtexte).
5 Es mag die Auffassung vertreten werden, die Freiheitstheorie sei nicht Teil der Ontologie Sartres und somit nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit zur Vereinbarkeit von Ontologie und Ethik bei Sartre. So wird z.B. in den im nachfolgenden genannten zentralen Arbeiten zur Ontologie die Freiheitstheorie Sartres z.T. nur in geringem Maße behandelt. Selbst wenn aber die Freiheitstheorie Sartres nicht als Teil seiner Ontologie betrachtet werden kann, so ist sie doch sehr eng mit der Ontologie verbunden und kann als aus der Ontologie erwachsend angesehen werden. Auch gilt die Freiheitstheorie Sartres als ein wesentliches Hindernis für eine normative Ethik und/oder Metaethik bei Sartre. Die Frage nach der Vereinbarkeit von Ethik und Freiheitstheorie kann also hier nicht übergangen werden.
6 Von einigen Ausnahmen abgesehen, soll in der vorliegenden Arbeit bei Textverweisen darauf verzichtet werden, die vollständigen bibliographischen Angaben in An- merkungen zu geben. Dies gilt auch, wenn eine Arbeit zum ersten Mal angeführt wird. Die vollständigen bibliographischen Angaben finden sich im Literaturverzeichnis. Dort ist auch angegeben, unter welchem Kürzel das jeweilige Werk zitiert wird. Bei Textverweisen erfolgt jeweils die Angabe des Autors, des Kürzels und der Seitenzahl (z.B. G. Seel: Dialektik, S. 5). Bei Autoren, von denen nur ein Werk für die vorliegende Arbeit verwendet wurde, wird bei Textverweisen in der Regel nur der Name des Autors und die Seitenzahl genannt. Geht aus dem Text zweifelsfrei hervor, um welchen Autor es sich handelt, wird nur das Kürzel und die Seitenzahl bzw. nur die Seitenzahl genannt. Fehlt eine Seitenzahl, bezieht sich der Verweis auf das gesamte Buch oder den gesamten Aufsatz des jeweiligen Autors. Für viele Werke Sartres sind vor der Arbeit Siglen genannt (z.B. "EN" für "L'être et le néant'). Für die dort nicht genannten Werke Sartres werden im Literaturverzeichnis Kürzel eingeführt. Diese sind so gewählt, daß sie bei einem Textverweis er-kennen lassen, um welches Werk es sich handelt. lm Literaturverzeichnis werden auch jene vor der Arbeit genannten Siglen erneut mit angeführt. Wird auf eine Text-stelle bei Sartre verwiesen, erfolgt die Angabe der Sigle oder des Kürzels und der Seitenzahl. In bestimmten Fällen wird der Name des Autors hinzugefügt. Aus technischen Gründen werden "ebd." und "a.a.O." nur selten verwandt. Meistens wird bei jedem Textverweis erneut in der o.g. Weise verfahren. Um den Lesefluß nicht allzusehr zu unterbrechen, erfolgen kurze Textverweise im fortlaufenden Text, längere in Fußnoten. Hervorhebungen der Autoren sind kursiv gedruckt, eigene Hervorhebungen fett.
7 Im Vorwort zur Neuausgabe seiner Werke "Ontologie" und "Sozialphilosophie", S. VI.
8 Hinzuweisen ist noch auf eine Neuerscheinung: Thomas Damast: Jean-Paul Sartre und das Problem des Idealismus - Eine Untersuchung zur Einleitung in 'L'être et le néant'. Berlin: Akademie Verlag, 1994. Nach Ankündigung des Verlages enthält dieses Werk u.a. eine Satz-für-Satz-Analyse der ersten fünf Abschnitte der Einleitung zu EN. Für die vorliegende Arbeit konnte es nicht mehr benutzt werden.
9 Diesen Arbeiten ist auch noch die neueste Veröffentlichung Thomas Andersons hin- zuzufügen: Sartres two ethics. Vergl. hierzu die Anm. 13, S. 24.
10 In der Forschungsliteratur wird zumeist nicht genügend zwischen "Moral" und "Ethik" unterschieden. Diese Unklarheit spiegelt sich auch in den nachfolgenden Ausführungen zu dieser Literatur. Eine Klärung der Begriffe "Moral" und "Ethik" wird im nachfolgenden Abschnitt (1.3.) vorgenommen.
11 Foundation, S. 28, 34, 41ff, besonders S. 42; Need, S. 318ff; Early Ethics, S. 191.
12 Foundation, S. 43ff, S. 61 und S. 140; Notebooks, S. 101.
13 Zu Anderson vergl. dessen Aufsatz "Need". Außerdem erschien im Dezember 1993 ein neues Buch von Thomas Anderson, in dem er auch die Ethik Sartres aus der Zeit der CRD zu rekonstruieren versucht: Sartre's two ethics. Dieses Buch konnte für die vorliegende Arbeit nicht mehr verwendet werden. Es wurde und wird jedoch an ei- nigen wenigen Stellen der Einleitung zur vorliegenden Arbeit, zumeist in Anmer- kungen, auf dieses Buch hingewiesen. - Zu Arino/Fretz vergl. S. 208, Anm. 8 des im Literaturverzeichnis genannten Aufsatzes dieser beiden Autoren. Dort heißt es, daß diese Autoren eine Arbeit Ober Sartres Ethik ausgehend von der CRD und seinen posthumen Schriften planen. Eine entsprechende Veröffentlichung ist mir nicht be- kannt. Allerdings versucht Fretz schon in "Tndividualiteitsconcept" zu zeigen, daß die CRD die Grundlage einer Ethik der Solidarität bietet (S. 233, 244). Es ist dort jedoch nicht seine Absicht, über diese Ethik zu schreiben. Er konzentriert sich auf die ontologischen und anthropologischen Grundlagen dieser Ethik. (S. 241.) Auch standen ihm damals noch nicht die jetzt zugänglichen Schriften zu dieser Ethik aus der Zeit der CRD zur Verfügung.
14 Int. Sicard, S. 14. - Anderson unterscheidet die zweite Phase noch in zwei Subphasen: eine erste des amoralischen Pragmatismus und eine zweite der "'living' morality" (Need, S. 3l5).
15 Zitiert nach Anderson, Need, S. 324.
16 Exist. Ethics, S. 29-48. - Zu dieser Haltung Sartres vergl. auch de Beauvoir: La for-ce des choses, S. 218.
17 Diese Arbeiten sind nicht unbedingt immer die wichtigsten. Die detaillierten Arbeiten von Kl. Hartmann und G. Seel z.B. sind sicherlich wichtiger als ein oberflächlicher Aufsatz zum Verhältnis von Ontologie und Ethik bei Sartre. Die im folgenden genannten und z.T. vorgestellten Arbeiten sind allerdings zumindest insofern zentral für die vorliegende Arbeit, als hier die wichtigsten Argumente für oder gegen eine Vereinbarkeit von Ontologie und Ethik vorgetragen werden.
18 Diese These der Unvereinbarkeit von Ontologie und Ethik bei Sartre findet sich mehr oder weniger deutlich bei folgenden Autoren: Beis, Bernstein, Caws, Chrétien, Frondizi (Sartres Ethics), Hunyadi, Jolivet, Misrahi, Philonenka, Pilkington, Platinga (Ex.Ethics), Reiman, Robbins, M. Warnock, und R. Williams. Wohl auch bei Bukala und Spiegelberg. Anderson zufolge wird diese These auch noch von Desan, Mészàros, Stern, Veatch und Wild vertreten (Anderson: Possible, S. 118, 135, Anm.
13 ; ders.: Foundation, S. 20f, 154, Anm. 10; ders.: Early Ethics, S. 183, 198, Anm. I, S. 198f, Anm. 3). Ich vermag dieser Interpretation nicht zuzustimmen. Andererseits wurden hier Autoren als Vertreter dieser Position genannt, die Anderson nicht anführt.
19 Schließlich ist noch auf eine jüngere amerikanische Dissertation zu diesem Thema hinzuweisen: David Lopez: The Question of a Sartrean ethics: An inquiry into the possibility of an ethics within the ontology of 'Being and Nothingness'. University of California, Davis, 1992. Diese Dissertation lag bis zur Fertigstellung der vorliegen-den Arbeit noch nicht vor und konnte deshalb nicht berücksichtigt werden. Der Abstract zeigt jedoch, daß sich die Fragestellung und das Ergebnis dieser Dissertation in wesentlichen Punkten von der Fragestellung und dem Ergebnis der vorliegenden Arbeit unterscheidet (Dissertation Abstracts International, Bd. 54, Nr. 1, July 1993, S. 204-A).
20 Mancher Leser mag bei der Lektüre der nachfolgenden Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur zur Frage der Vereinbarkeit von Ontologie und Ethik bei Sartre den Eindruck gewinnen, hier werde eine Erörterung vorgenommen, die eigentlich nicht in dieser Einleitung zu der vorliegenden Arbeit, sondern erst in ihrem Haupt-teil zu erfolgen hat. Diese nachfolgende Diskussion ist aber hier so beabsichtigt und auch notwendig. Auf die genannte Forschungsliteratur kann und soll hier nicht nur mit wenigen Worten eingegangen werden. Es müssen die wesentlichen Positionen und Argumente vorgestellt und auch kritisch erörtert werden. Nur so kann gezeigt werden, warum das Thema hier erneut bearbeitet wird und wodurch sich die Fragestellung der vorliegenden Arbeit von anderen Arbeiten unterscheidet. Anders formuliert: Nur so kann die Fragestellung der vorliegenden Arbeit aus der Erörterung der bisher geleisteten Arbeit, ihrer Ziele, ihrer Verdienste, Schwächen etc. entwickelt werden. Soweit sie im Verlaufe der späteren Untersuchungen wichtig sind, werden die hier diskutierten Positionen und Argumente dann wieder herangezogen.
21 Dieses Argument der radikalen Freiheit, insbesondere der freien Wahl der Werte, als Hindernis für eine normative Ethik findet sich bei Beis (S. 153, 163f, 167, 176f), Bernstein (bes. S. 152), Caws (S. 113, 121, 127), Chrétien (S. 856f, 861ff), Frondizi (Sartres Ethics, S. 373-375, 380f), Hunyadi (S. 86, 88, 91), Jolivet (S. 47ff, 101), Philonenka (S. 158), Pilkington (S. 42f), Platinga (Ex.Ethics, S. 241, 248), Reiman (S. 401, 404, 410f), Smoot (Ethical Theory, S. 147-149) und R. William (S. 251, 255). Weniger deutlich bei Bukala (S. 462, 464), Spiegelberg (S. 100, 105) und M. Warnock (Ex.Ethics, S. 43, 47). Anderson zufolge wird dieses Argument auch noch von Stern, Veatch und Wild vorgebracht (Anderson: Possible, S. 118, 135, Anm. 13; ders.: Foundation, S. 20f, 154, Anm. 10; ders.: Early Ethics, S. 183, 198f, Anm. 3). Ich vermag dem nicht zuzustimmen. Andererseits nennt Anderson nicht alle Autoren, die hier angeführt wurden, als Vertreter dieses Arguments.
22 Possible, S. 198; Foundation, S. 20f; Early Ethics, S. 183.
23 Den Relativismus habe Sartre selbst zugegeben. Daraus folge aber nicht notwendi- gerweise auch Nihilismus. (Ethical Theory, S. 111, 114.)
24 Es wird sich in der vorliegenden Arbeit allerdings zeigen, daß Freiheit und ver-fälschte Überlegung eng zusammenhängen.
25 So die neue deutsche Übersetzung von EN (ENdt2, z.B. S. 782).
26 M. Warnock: Ethics 1900, S. 129, 135, 136f, 139; dies.: Phil. Sartre, S. 130, 133; dies.: Ex. Ethics S. 33, 43, 49. - Bernstein, S. 142, 149, 150. - Gallagher, S. VI, 6, 211, 212. - Pilkington, S. 38, 44f.
27 Vergl. oben, S. 25 der vorliegenden Arbeit.
28 Etwas anders stellt sich dies möglicherweise dann dar, wenn die Ablehnung der "mauvaise foi" und damit die Ethik der Authentizität notwendig aus der Ontologie von EN folgt. Eine andere Ethik, die im Widerspruch zu jener Ablehnung der "mauvaise foi" bzw. zur Ethik der Authentizität steht, stünde dann möglicherweise auch im Widerspruch zur Ontologie von EN. Die genannten Autoren behaupten allerdings nicht, daß Sartres Ablehnung der "mauvaise foi" mit Notwendigkeit aus der Ontologie von EN folgt. Zu dem allgemeinem Problem einer mit Notwendigkeit aus der Ontologie von EN folgenden Ethik und den damit möglicherweise verbundenen Einschränkungen für andere mit EN vereinbare Ethiken, vergl. unten S. 65f.
29 Ethics 1900, S. 135; Phil. Sartre, S. 133f; Ex. Ethics, S. 38f, 43, 47.
30 Die besondere Problematik des Anderen bei Sartre soll in der vorliegenden Arbeit keine besondere Berücksichtigung erfahren. Deshalb wird auf die Unterscheidung durch Groß- und Kleinschreibung (der Andere - der andere; ¡'Autrui - 1'autrui) verzichtet und stets die Kleinschreibung gewählt.
31 Wobei einzugestehen ist, daß anderen Autoren die CM noch nicht zur Verfügung standen. Aber QL war vorhanden, wo Sartre Literatur als Appell auffaßt. Schon hier konnte die Frage gestellt werden, ob dies nicht auf eine Ethik übertragbar ist. Auch Hunyadi vernachlässigt dieses für die Frage einer Ethik bei Sartre doch sehr wichtige Werk.
32 Beis, S. 169; Bernstein, S. 124f, 142, 148, 149ff, 152, 155f, 161; Jolivet, S. 48f, 104; Misrahi: L'inachèvement, S. 11; ders.: Bonheur II, S. 180f; Pilkington, S. 38. 45; R. Williams, S. 251ff, bes. S. 255. Anderson nennt als Vertreter dieses Arguments auch noch Desan, Mészàros und Philonenka (Anderson: Possible, S. 118 und S. 135, Anm. 8; ders.: Early ethics, S. 183 und S. 198, Anm. 1). Meines Erachtens ist diese Interpretation der drei Autoren nicht oder nur schwer vertretbar. Andererseits werden nicht alle hier genannten Autoren auch von Anderson angeführt.
33 So besonders bei Bernstein (u.a. S. 161), Jolivet (S. 46ff) und R. Williams (S. 251-255).
34 So bei Beis, S. 169; Bernstein, S. 150f, 161; Jolivet, S. 47f, 104, und vor allem bei Misrahi: L'inachèvement, S. Il; dems: Bonheur II, S. 180f sowie bei Pilkington, S. 38, 45.
35 Insgesamt nennt sie vier mögliche Hindernisse. Neben den drei hier genannten auch noch die Werttheorie, auf die aber schon eingegangen wurde.
36 Das Buch Jeansons (Problème moral), so gilt es zu betonen, hat Sartres explizite Zustimmung gefunden. Jeanson, so Sartre, habe die Entwicklung seines, d.h. Sartres, Denkens so vollkommen dargestellt, daß er, Jeanson, die Positionen Sartres zur glei- chen Zeit überschritten und sich dieselben Fragen gestellt habe, wie er. Sartre, selbst (Sartre: Lettre-Préface, in: Jeanson: Problème morale, S. 12). 1951 empfiehlt Sartre Salvan zufolge dieses Buch erneut als eine für ihn vollständig zufriedenstellende Interpretation seiner Ansichten in Hinblick auf ethische Fragen (Salvan, S. 14. - Salvan gibt hier das Gedächnisprotokoll eines Interviews, das er mit Sartre geführt hat.) Bei der nachfolgenden Darlegung und Diskussion der Positionen Jeansons werde ich mich deshalb auch auf dieses "Standardwerk" konzentrieren und spätere Aufsätze dieses Autors (Moral Perspectives; Exigence) vernachlässigen. - Die Arbeit von Smoot hat bisher in der Forschung kaum Beachtung gefunden. Selbst Anderson, dem sonst nichts entgeht, nennt sie nicht. Berücksichtigt wird sie allerdings von Gallagher.
37 S. V, VI, 2, 7, 203, 219. An einigen wenigen Stellen spricht er auch von einer "ethics" (S. 204, 210).
38 S. V, VI, 1, 2, 7, 203, 210f, 219. - Es finden sich bei Gallagher unterschiedliche Formulierungen für das Verhältnis zwischen Ontologie und ethischen Elementen. Einige seien hier angeführt: "ethical elements within the context of the ontological theories" (S. V), "ethical connotations of the works" (S. VI), "an unmistakingly ethical tinge is given to this ontological analysis" (S. 1),"ontology may provide in some sense a context for the development of ethical thought" (S. 2),"an ontology which seems permeated with ethical elements" (S. 203), "an ethics wich stems from, though does not directly derive from the ontology" (S. 210), "the ethical elements ... relate to their ontologies" (S. 219). Einige dieser Formulierungen können so ver-standen werden, als seien die ethischen Elemente schon in der Ontologie enthalten. Die meisten der Formulierungen deuten jedoch eher darauf hin, daß die ethischen Elemente Gallagher zufolge im Kontext der Ontologie oder ausgehend von der Ontologie entwickelt werden. Gallaghers Vergleich Heidegger - Sartre ist hier nicht von Bedeutung. Vergl. hierzu Gallagher, z.B. S. V, 4, 5, 7, 201 und 209ff.
- Arbeit zitieren
- Uwe Töllner, Dr. (Autor:in), 1995, Sartres Ontologie und die Frage einer Ethik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28388
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