Um das Thema "Integration von Haftentlassenen" behandeln zu können, bedarf es als erstes einer Klärung des Begriffes "Integration". Die Abgrenzung vom Begriff "Resozialisierung" und der Versuch einer Definition des Begriffes "Integration" ist eine Aufgabe dieses Buches. Des Weiteren beschäftigt sich das Buch mit der Frage nach gelungener sozialer Integration. Verschiedene Institutionen und Betroffene nehmen dazu Stellung.
Dass die Freiheitsstrafe einen dramatischen Einschnitt im Leben eines Menschen darstellt, steht außer Zweifel. Menschen werden dabei aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen, von der Gesellschaft ausgesperrt. Der Staat begründet dies vor allem mit dem Argument der Sicherheit, hat aber auch den Anspruch, durch die Freiheitsstrafe den Verurteilten zu einer rechtschaffenen und den Erfordernissen des Gemeinschaftslebens angepassten Lebenseinstellung zu verhelfen (vgl. § 20 (1) Strafvollzugsgesetz).
Durch das "Wegsperren" erfahren viele Strafgefangene eine soziale Des-Integration. Sie verlieren ihre Arbeitsstelle, der Kontakt zur Familie wird weniger oder reißt ganz ab, Schulden entstehen oder werden höher, die Wohnung geht verloren. Nach der Haftentlassung ist eine Re-Integration notwendig.
Welchen Sinn hat die Strafe, dass diese massive Veränderung im Leben eines Menschen gerechtfertigt ist? Welche Alternativen zur Freiheitsstrafe gibt es, die kleinere "Schäden" in der sozialen Integration eines Menschen verursachen?
Die Situation von Inhaftierten wird in einem weiteren Kapitel des Buches behandelt. Welchen Belastungen und Entbehrungen sind sie ausgesetzt und wie wirken sich diese auf ihre Persönlichkeit und auf das bevorstehende Leben in Freiheit aus.
Viele Haftentlassene kommen mit den Konsequenzen der Haftstrafe, aber auch mit ihren Defiziten, die sie bereits vor der Inhaftierung erworben haben, nicht zurecht. Um wieder in die Gesellschaft integriert zu werden, brauchen sie Unterstützung und Begleitung. Udo Rauchfleisch gibt hier zwei Dimensionen an, die für die Integration von Haftentlassenen wichtig sind: die soziale Dimension und die psychologische Dimension.
Eine spezielle Form der Unterstützung ist die Unterbringung in betreuten Wohnformen. Wie kann durch sozialarbeiterische Betreuung in Wohneinrichtungen die soziale Integration von Haftentlassenen unterstützt werden und welche Möglichkeiten, aber auch welche Grenzen, liegen in dieser Betreuung?
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. "Resozialisierung" und "Integration" – Definitionen
2.1. Resozialisierung
2.2. Integration
3. Gelungene soziale Integration?
3.1. Definitionen verschiedener Institutionen
3.1.1. Bundesministerium für Justiz
3.1.2. Verein Neustart
3.1.3. Caritaswohngemeinschaft WEGE
3.2. Beispiel für gelungene Integration
3.3. Integration aus der Sicht der Betroffenen
4. Strafe und Strafvollzug
4.1. Vom Sinn der Strafe
4.1.1. Gerechtigkeitstheorien
4.1.2. "Relative" Theorien
4.1.3. "Vereinigungstheorien"
4.1.4. Die negativen Aspekte der Strafe
4.2. Das Strafvollzugsgesetz
4.3. Alternativen zur Freiheitsstrafe
4.3.1. Diversion
4.3.2. Bedingte und teilbedingte Verurteilungen
4.3.3. Bedingte Entlassungen
4.4. Zusammenfassung
5. Situation von Häftlingen
5.1. Entmündigung der Insassen – Veränderung der Persönlichkeit
5.2. Deprivationen
5.2.1. Freiheitsverlust und Identitätsverlust
5.2.2. Entzug materieller und immaterieller Güter
5.2.3. Verlust der Privatsphäre und der Selbstbestimmung
5.2.4. Verlust heterosexueller Beziehungen
5.2.5. Verlust der eigenen Sicherheit
5.3. Das Gefängnis als totale Institution
5.4. Die Entlassungssituation
6. Situation von Haftentlassenen
6.1. Die soziale Dimension
6.1.1. Mangelnde Schul- und Berufsausbildung
6.1.2. Die Schuldenproblematik
6.1.3. Wohnsituation
6.1.4. Mangelnde soziale Kompetenzen
6.1.5. Aufbau eines tragfähigen sozialen Netzes
6.2. Die psychologische Dimension
7. Die Sozialarbeit mit Haftentlassenen in betreuten Wohnformen – das Konzept der Caritaswohngemeinschaft WEGE
7.1. Zielgruppe, Aufnahmeverfahren und Aufnahmekriterien
7.2. Leistungsangebot
7.3. Ausstattung
7.3.1. Räumliche Ausstattung
7.3.2. Personelle Ausstattung
7.4. Zielsetzungen der WEGE
7.5. Betreuungsgrundsätze
7.5.1. Aufnahme und Gestaltung von Beziehungen
7.5.2. Entwicklung situationsgerechter Konfliktlösungsmuster
7.5.3. Umgang mit finanziellen Mitteln
7.5.4. Organisation des Haushalts
7.5.5. Arbeitsaufnahme
7.5.6. Freizeitgestaltung
7.5.7. Selbstwert- und Identitätsfindung
7.5.8. Vernetzung mit anderen Betreuungseinrichtungen
7.6. Öffentlichkeitsarbeit
7.7. Qualitätssicherung und Dokumentation
8. Möglichkeiten und Grenzen der Sozialarbeit in betreuten Wohnformen
8.1. Der persönliche Bereich
8.1.1. Die soziale Stabilisierung
8.1.2. Die psychische Stabilisierung
8.2. Der gesellschaftliche Bereich
8.2.1. Öffentlichkeitsarbeit
8.2.2. Vernetzung
9. Zusammenfassung
10. Anhang: Privatisierung von Gefängnissen und Arbeitspflicht von Gefangenen
11. Literatur und Quellen
Zur leichteren Lesbarkeit verwende ich in meiner Diplomarbeit die männliche Form für beide Geschlechter. Wenn ich von Sozialarbeitern schreibe, sind natürlich auch Sozialarbeiterinnen gemeint usw. Diese Lösung soll nicht als Diskriminierung verstanden werden und die Leserinnen mögen mir verzeihen.
1. Einleitung
Integration von Haftentlassenen – dieses Thema begleitet mich schon seit vielen Jahren. Seit über 15 Jahren fahren meine Eltern monatlich in die Justizanstalt Garsten um dort Glaubensrunden mit Häftlingen durchzuführen. Dabei entstanden und entstehen viele intensive Beziehungen, die auch dazu geführt haben, dass immer wieder Haftentlassene in unserem Haus wohnten. Meine Eltern nahmen sie für einige Wochen, Monate, manchmal Jahre auf, wenn sie keine anderen Möglichkeiten in Freiheit hatten. Sie waren "Familienmitglieder auf Zeit" und erfuhren bei uns soziale Integration. Sie waren einfach da. Ohne große Ansprüche oder Auflagen an sie. Auch gab es keine therapeutische oder sozialarbeiterische Betreuung. Meine Eltern versuchten, nach bestem Wissen für die Haftentlassenen da zu sein und ihnen zu helfen, in Freiheit wieder Fuß zu fassen. Oft gelang dies, manchmal auch nicht.
Dieses Aufwachsen mit Haftentlassenen hinterließ bei mir einen tiefen Eindruck, der mit ein Grund war, im Rahmen der Ausbildung an der Akademie für Sozialarbeit ein Praktikum in einer Einrichtung für Haftentlassene zu absolvieren. Ich verbrachte insgesamt 600 Stunden in der Caritaswohngemeinschaft für Haftentlassene – WEGE in Wels und lernte dort die professionelle, sozialarbeiterische Betreuung von Haftentlassenen kennen. Im Rahmen dieses Praktikums entstand auch die Idee, mich mit diesem Thema bei meiner Diplomarbeit zu befassen.
Um das Thema "Integration von Haftentlassenen" behandeln zu können, bedarf es einer Klärung des Begriffes "Integration". Zur Abgrenzung vom Begriff "Resozialisierung", der meist im Zusammenhang mit Gefangenen und Haftentlassenen verwendet wird, und zum Versuch einer Definition des Begriffes "Integration" dient das Kapitel zwei dieser Arbeit. Im Kapitel drei beschäftige ich mich mit der Frage nach gelungener sozialer Integration. Verschiedene Institutionen und Betroffene nehmen dazu Stellung.
Dass die Freiheitsstrafe einen dramatischen Einschnitt im Leben eines Menschen darstellt, steht außer Zweifel. Menschen werden dabei aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen, von der Gesellschaft ausgesperrt. Der Staat begründet dies vor allem mit dem Argument der Sicherheit, hat aber auch den Anspruch, durch die Freiheitsstrafe den Verurteilten zu einer rechtschaffenen und den Erfordernissen des Gemeinschaftslebens angepassten Lebenseinstellung zu verhelfen (vgl. § 20 (1) Strafvollzugsgesetz).
Durch das "Wegsperren" erfahren viele Strafgefangene eine soziale Des-Integration. Sie verlieren ihre Arbeitsstelle, der Kontakt zur Familie wird weniger oder reißt ganz ab, Schulden entstehen oder werden höher, die Wohnung geht verloren. Nach der Haftentlassung ist eine Re-Integration notwendig.
Welchen Sinn hat die Strafe, dass diese massive Veränderung im Leben eines Menschen gerechtfertigt ist? Welche Alternativen zur Freiheitsstrafe gibt es, die kleinere "Schäden" in der sozialen Integration eines Menschen verursachen? Diese Fragen behandle ich im vierten Kapitel. Hier gehe ich vor allem auf die Ausführungen im Buch "Hat Strafe Sinn?", herausgegeben von Balthasar Gareis und Eugen Wiesnet, ein. Anschließend beschäftige ich mich mit dem österreichischen Strafvollzugsgesetz und Alternativen zur Freiheitsstrafe.
Die Situation von Inhaftierten behandle ich im fünften Kapitel. Welchen Belastungen und Entbehrungen sind sie ausgesetzt und wie wirken sich diese auf ihre Persönlichkeit und auf das bevorstehende Leben in Freiheit aus.
Viele Haftentlassene kommen mit den Konsequenzen der Haftstrafe, aber auch mit ihren Defiziten, die sie bereits vor der Inhaftierung erworben haben, nicht zurecht. Um wieder in die Gesellschaft integriert zu werden, brauchen sie Unterstützung und Begleitung. In welchen Bereichen diese Unterstützung notwendig ist und ob "Beeinträchtigungen" durch die Haft entstanden sind oder sich bereits vorher manifestiert haben, darum geht es im sechsten Kapitel. Ich beziehe mich dabei vor allem auf einen Beitrag von Udo Rauchfleisch in der Broschüre "10 Jahre Wohngemeinschaft für Haftentlassene" der WEGE Wels aus dem Jahr 2003. Er gibt darin zwei Dimensionen an, die für die Integration von Haftentlassenen wichtig sind: die soziale Dimension und die psychologische Dimension.
Die Unterstützung von Gefangenen zur sozialen Integration passiert vor allem durch die Sozialen Dienste in den Justizanstalten. Nach der Haftentlassung ist der Verein Neustart mit der Bewährungshilfe (vom Gericht angeordnet) und der Haftentlassenenhilfe (auf freiwilliger Basis) betraut. Auch andere Institutionen bieten Haftentlassenen Unterstützung an.
Eine spezielle Form der Unterstützung ist die Unterbringung in betreuten Wohnformen. Ich gehe im Kapitel sieben und acht meiner Diplomarbeit der Frage nach, wie durch sozialarbeiterische Betreuung in Wohneinrichtungen die soziale Integration von Haftentlassenen unterstützt werden kann und welche Möglichkeiten, aber auch welche Grenzen, in dieser Betreuung liegen.
Als Beispiel für eine solche Einrichtung, anhand der ich diese Fragen klären möchte, habe ich die Caritaswohngemeinschaft für Haftentlassene – WEGE gewählt. Es gibt nur wenige (zu wenige!) Wohneinrichtungen für Haftentlassene, in denen Haftentlassene Begleitung und Unterstützung bei ihren ersten Schritten in Freiheit erfahren können. Im siebten Kapitel meiner Diplomarbeit stelle ich das Konzept der WEGE vor, um so einen Einblick in ihre Arbeitsweise zu ermöglichen.
Im achten Kapitel geht es um die konkreten Möglichkeiten und Grenzen der sozialarbeiterischen Betreuung in Wohneinrichtungen. Ich habe dieses Kapitel in zwei Bereiche aufgeteilt: den persönlichen Bereich und den gesellschaftlichen Bereich. Um eine soziale Integration zu ermöglichen, ist einerseits die Unterstützung und Veränderung des Individuums notwendig, andererseits muss aber auch die Gesellschaft bereit sein, die Haftentlassenen aufzunehmen, zu integrieren. Auch hier ist die Sozialarbeit gefordert, ihren Beitrag zur Veränderung der Gesellschaft zu leisten.
Als Anhang dieser Diplomarbeit findet sich noch die Vorstellung eines Projektes zum Thema "Privatisierung von Gefängnissen", wie sie in den USA, aber auch in Großbritannien bereits Alltag ist. Dieses Projekt fand im Rahmen des "Festivals der Regionen 2003" statt. Auf der Webseite zu diesem Projekt findet sich auch ein Interview mit Mark Barnsley, der acht Jahre lang in englischen Gefängnissen inhaftiert war und hier seine Erfahrungen schildert. Die Privatisierung von Gefängnissen ist in Österreich noch kein Thema. Dennoch sollen diese Ausführungen Sensibilität erzeugen und ein Anstoß zur Auseinandersetzung sein.
Für das Titelbild meiner Diplomarbeit war ich auf der Suche nach einem Symbol für Integration. Als erstes fielen mir Puzzleteile ein. Ich bat meine Tochter Sophie Hannah (3 ½ Jahre), Puzzleteile zu malen. Das Ergebnis ist auf der Titelseite zu sehen. In der Auseinandersetzung mit dem Thema erkannte ich, dass Puzzleteile nicht passen. Sie sind zu steif, zu starr. Integration bedeutet für mich, dass jeder seinen Platz findet. Den Platz, den er ausfüllen will und kann. Dafür ist Flexibilität gefordert: Vom Einzelnen, aber auch von der Gesellschaft. Das Titelbild passt aber trotzdem: Viele bunte Teile ergeben ein ganzes Bild. Manche greifen ineinander, manche haben keinen Kontakt. Aber alle gehören zu einem gemeinsamen Ganzen.
2. "Resozialisierung" und "Integration" – Definitionen
2.1. Resozialisierung
Im Zusammenhang mit der Wiedereingliederung Haftentlassener in die Gesellschaft wird häufig der Begriff "Resozialisierung" verwendet. Unter Resozialisierung versteht man die "Rückgliederung in das soziale Gefüge, insbesondere die Wiedereingliederung von Haftentlassenen in das gesellschaftliche Leben." (LexiROM 1995)
"Resozialisierung" ist ein Ziel des Strafvollzuges, das für den Gesetzgeber folgendes bedeutet: "Der Vollzug der Freiheitsstrafen soll den Verurteilten zu einer rechtschaffenen und den Erfordernissen des Gemeinschaftslebens angepassten Lebenseinstellung verhelfen und sie abhalten, schädlichen Neigungen nachzugehen. ..." (§ 20 (1) StVG).
In der Literatur finden sich mehrere Definitionen für "Resozialisierung" und es ist schwer eine allgemein akzeptierte Definition zu finden. Cornel stellt in seinem Beitrag im "Handbuch der Resozialisierung" mehrere Definitionen vor (vgl. Cornel 1995: 15 f):
- Nach Deimling versteht man unter Resozialisierung die Wiedereinführung des Gefangenen in das soziale Leben bzw. seine Wiedereingliederung in die menschliche Gemeinschaft.
Dieser Definition möchte ich entgegenhalten, dass auch in einer Haftanstalt soziales Leben herrscht und die Gefangenen in eine menschliche Gemeinschaft eingegliedert sind. Die Definition müsste also hervorheben, dass es sich um eine Wiedereingliederung in die menschliche Gemeinschaft in Freiheit handelt.
- Nach Maelicke wird Resozialisierung als Teil des lebenslangen Sozialisationsprozesses verstanden. Die Vorsilbe "Re-" drückt dabei aus, dass ein Teil der Sozialisation außerhalb der gesellschaftlich vorgegebenen Normen und Werte stattgefunden hat und daher eine
'Wieder-'Eingliederung notwendig ist.
- Schüler-Springorum führt an, dass unter Resozialisierung verstanden wird, dass der Gefangene lernen soll, sich straffrei zu verhalten.
In einem anderen Buch bezeichnet Schellhoss den Begriff Resozialisierung als "ein Ziel gesellschaftlicher Reaktion auf Kriminalität". (Schellhoss 1985: 357)
Aus den Definitionen geht hervor, dass Resozialisierung das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft betrifft. Dennoch wird der Begriff aber oft so gebraucht, "dass ein Täter, dessen Strafnormbruch allein aus seinem abweichenden Verhalten erklärt wird, sich gefälligst wieder anpassen, d. h. gegebenenfalls sein Verhalten so ändern soll, dass es nicht mehr von den Strafnormen abweicht." (Cornel 1995: 17)
Für mich drückt der Begriff "Resozialisierung" auch Herrschaft und Macht aus. Eine Person wird in ein bestehendes soziales Gefüge hineingedrängt. Die Gesellschaft besteht und die Person muss sich anpassen, um in dieser Gruppe zu funktionieren und überleben zu können. Die Gesellschaft reagiert auf Kriminalität, indem sie Menschen erst ausschließt und wegsperrt und im Anschluss daran den Wunsch hat, dass diese Menschen wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden.
2.2. Integration
Ich empfinde den Begriff "Integration" offener und wertfreier. Wie oben erwähnt, verbindet man mit dem Begriff "Resozialisierung" vor allem Haftentlassene. "Integration" hingegen wird in mehreren Bereichen verwendet, bei behinderten Menschen, bei psychisch Kranken, bei Migranten, in der Jugendarbeit usw. Dieser Begriff ist daher eher positiv besetzt.
Bei Integration geht es um die "Wiederherstellung eines Ganzen, einer Einheit durch Einbeziehung außenstehender Elemente" (LexiROM 1995).
Die Haftentlassenen sind Teile der ganzen Gesellschaft, die aber am Rande oder außerhalb stehen. Durch ihre Eingliederung passiert eine Vervollständigung, etwas, das fehlt, kommt wieder zurück. Dieser Gedanke gefällt mir sehr gut. Noch besser drückt der zweite Teil der Begriffserklärung im LexiROM das aus: "Verbindung einer unterschiedlichen Vielheit von Menschen zu einer gesellschaftlichen (und kulturellen) Einheit" (LexiROM 1995). Viele verschiedene Menschen bilden eine Einheit. Jedes Individuum ist wichtig in seiner Einzigartigkeit. Das Ganze entsteht immer wieder neu durch die unterschiedlichen Teile.
Gerhard Deimling hat bereits 1968 den Ausdruck "soziale Integration" als Alternative zur Resozialisierung vorgeschlagen. "Bei der Verwendung dieses Begriffs wird die Absolutsetzung eines Teilausschnittes der Gesellschaft vermieden, der dynamische soziale Wandel berücksichtigt und der Gefangene als ein bereits Sozialisierter betrachtet. Ausgehend von einer Theorie der sozialen Integration besteht die Funktion des Strafvollzugs in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft, in der gezielten und planmäßigen Hinführung des Gefangenen in solche Gruppen, die integrierende und allgemein positiv bewertete Bestandteile der Gesamtgesellschaft sind." (Deimling 1968: 259)
Ich wage zu behaupten, dass diese Hinführung nur in Einzelfällen und auch mehr auf Initiative des Gefangenen stattfindet. Nähere Angaben dazu liefert das Kapitel "3.3. Integration aus der Sicht der Betroffenen", in dem ich Gesprächsrunden mit Gefangenen protokolliert habe.
"Tatsächlich macht der Begriff der Integration besonders deutlich, dass ein großer Teil der Probleme gerade erst durch die Ausgrenzung, durch die Desintegration des Straftäters entsteht. Es wird in ihm deutlich, dass es um das Verhältnis der Gesellschaft zum Straftäter geht, ..." (Cornel 1995: 34).
Dazu möchte ich ein Ergebnis der "Österreichischen Wertestudie 1990 – 2000"[1] anführen. Auf die Frage: "Könnten Sie einmal alle jene Personengruppen sagen, die Sie NICHT gern als Nachbarn hätten?" gaben die 1400 befragten Personen folgende Antwort:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(http://www.pastoral.univie.ac.at/studien/werte-data/grafiken/Unerw%FCnschte%20Nachbarn.pdf)
27 % der Befragten gaben an, keine Personen, die vorbestraft sind, als Nachbar haben zu wollen. Damit liegen Vorbestrafte an fünfter Stelle von 15 möglichen Gruppen. Dieser Wert ist zwar im Vergleich zu 1990 um einige Prozentpunkte zurückgegangen (1990: 31 %), dennoch muss man festhalten, dass fast ein Drittel der Befragten keine vorbestraften Nachbarn will. Diese Einstellung erschwert natürlich die Integration von Haftentlassenen.
Udo Rauchfleisch nennt als Ziel der Integration bei Strafentlassenen, "dass die professionelle Begleitung und Behandlung zu einer psychischen und sozialen Stabilisierung dieser Menschen führen soll mit dem Erfolg, dass keine weitere Straffälligkeit mehr auftritt und sie ein einigermaßen befriedigendes Leben führen." (Rauchfleisch 2003: o. S.)
Er unterscheidet in seinen Ausführungen zwei Dimensionen von Integration: die soziale und die psychologische. Die soziale Dimension umfasst fünf Aspekte:
- Schul- und Berufsausbildung
- Schuldensanierung
- Wohnsituation
- soziale Kompetenzen
- Aufbau eines tragfähigen, nicht-kriminellen Freundes- und Bekanntenkreises
Die psychologische Dimension beschäftigt sich mit der Persönlichkeit, ihren Funktionen und ihrer Dynamik. Hier ist "die Arbeit an den Ich-Funktionen und am Selbstwerterleben von vorrangiger Bedeutung. [...] Außerdem muss das Selbstwertgefühl auf einer realistischen Grundlage gefestigt werden, ..." (Rauchfleisch 2003: o. S.).
Mit diesen beiden Dimensionen werde ich mich im sechsten Kapitel meiner Arbeit noch eingehender beschäftigen.
Zusammenfassend möchte ich soziale Integration folgendermaßen definieren: Ein eigenverantwortliches Leben als akzeptierter Teil der Gesellschaft führen und Möglichkeiten zur Mitbestimmung und Mitgestaltung der Gesellschaft und zur Selbstverwirklichung nützen (können).
3. Gelungene soziale Integration?
3.1. Definitionen verschiedener Institutionen
Wann ist (soziale) Integration gelungen?
Um diese Frage beantworten zu können, braucht es vorher eine Antwort auf die Frage: Was ist (soziale) Integration? Wie im vorherigen Kapitel bereits dargestellt, gibt es keine allgemein gültige Definition von sozialer Integration. In der Literatur gibt es verschiedene Auslegungen und auch in den damit befassten Einrichtungen herrschen verschiedene Meinungen vor. Um dennoch zu einer Antwort auf diese Frage zu kommen, habe ich verschiedene Institutionen nach ihrer Definition von erfolgreicher Integration befragt. Diese Diskussionen, vor allem mit dem Team der Caritaswohngemeinschaft WEGE, haben mir gezeigt, dass es wert wäre, zu diesem Thema eine eigene Arbeit zu verfassen, um alle Aspekte erfassen und behandeln zu können. Es geht nicht nur um die Festlegung von Kriterien für gelungene Integration, sondern auch um die Definition von gelungener, erfolgreicher sozialarbeiterischer Betreuung und Begleitung. Das Ziel der befragten Institutionen ist ja, soziale Integration zu bewirken. Und da es sich immer um eine soziale Arbeit mit einzelnen Menschen mit unterschiedlichen Persönlichkeiten handelt, fällt es den Sozialarbeitern sehr schwer, allgemeingültige Ziele zu formulieren.
Ich stelle im Anschluss die Antworten der drei befragten Institutionen (Bundesministerium für Justiz, Verein Neustart, Caritaswohngemeinschaft WEGE) vor und ergänze sie mit eigenen Anmerkungen. Dadurch gebe ich einen kleinen Einblick in das große Feld des Verständnisses von gelungener Integration (und damit auch erfolgreicher sozialarbeiterischer Begleitung und Betreuung).
3.1.1. Bundesministerium für Justiz
Vom Bundesministerium für Justiz erhielt ich die Antwort, mich "zu diesem Thema direkt mit dem Verein Neustart [Bewährungshilfe] ins Einvernehmen zu setzen" (E-Mail Bundesministerium für Justiz vom 24.7.2003).
Aus dieser Antwort schließe ich, dass es im Justizministerium keine weitreichenden Überlegungen zur Integration von Haftentlassenen gibt und diese Thematik den "Spezialisten" vom Verein Neustart, der in Österreich mit der Bewährungshilfe betraut ist, überlassen wird.
3.1.2. Verein Neustart
Vom Verein Neustart kam zu meiner Anfrage als Antwort ein Auszug aus dem Qualitätshandbuch des Vereines. Darin heißt es, dass das Ziel der Leistung (der Haftentlassenenhilfe) die soziale Integration ist. Soziale Integration bedeutet die Integration in den Arbeitsmarkt und das soziale Umfeld. Ein weiteres Ziel ist die Prävention. Unter "Teilziele" sind folgende Punkte angeführt: "Kontaktaufbau, Abklärung der aktuellen Lebenssituation und der konkreten Anliegen der Klienten, Erarbeitung individueller Zukunftsperspektiven, Krisenintervention nach Haft, Ressourcensicherung (existenzsichernde
Maßnahmen, Wohnen), emotionelle Entlastung und soziale Unterstützung der Klienten, Erweiterung der sozialen Kompetenz, Stärkung und Überprüfung der Kontraktfähigkeit, Sicherstellung der psychosozialen Versorgung, Vermittlung an andere, spezialisierte Einrichtungen." (E-Mail Zembaty vom 29.9.2003)
Weitere Ausführungen, was der Verein Neustart unter gelungener Integration versteht, wurden mir nicht mitgeteilt. Dieses Vorgehen hat mich etwas überrascht und auch enttäuscht. Ein Verein, der in Österreich das Monopol auf die angeordnete Bewährungshilfe hat und den überwiegenden Teil der Haftentlassenenhilfe abwickelt, sollte meiner Meinung nach mehr Auskunft über gelungene Integration geben können als nur einen Auszug aus dem Qualitätshandbuch. Vor allem die Auslegung von sozialer Integration als Integration in den Arbeitsmarkt und das soziale Umfeld erscheint mir etwas kurz gegriffen. Oftmals ist ja gerade das soziale Umfeld der Haftentlassenen für ihre kriminelle Karriere mitverantwortlich. Hier fände ich eine genauere Differenzierung und Formulierung des Begriffes "soziales Umfeld" notwendig. Es kann ja nicht die Aufgabe der Haftentlassenenhilfe sein, durch ihre Betreuung die Haftentlassenen wieder in das kriminelle Umfeld zu integrieren, in dem sie vielleicht vor ihrer Inhaftierung verankert waren.
3.1.3. Caritaswohngemeinschaft WEGE
Auch das Team der Caritaswohngemeinschaft für Haftentlassene - WEGE in Wels habe ich um eine Antwort auf meine Frage gebeten. Immerhin wird im Konzept angeführt, dass die (Re-)Integration von Haftentlassenen zentrale Aufgabe und Zielsetzung der Wohn-gemeinschaft ist.
Bei der Klausur im Herbst 2003 wurde dieses Thema diskutiert:
In der WEGE bestehen Kriterien für die Definition von gelungener Integration. Allerdings wurden diese Kriterien von der Leitung vorgegeben und nicht im Team entwickelt. Sie wurden im Rahmen der Halbjahresberichte bearbeitet und an die Leitung weitergeleitet. Nachdem von dieser wenig bis keine Reaktion darauf kam, wird derzeit auf die Ausarbeitung dieser Kriterien verzichtet.
Mögliche Kriterien, die auch dem Team der WEGE sinnvoll erschienen, wären:
- Einbindung in den Arbeitsmarkt, Verbesserung der Schul- und Berufsausbildung
- finanzielle Absicherung (durch Arbeitsaufnahme, Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, ...), Schuldenregulierung
- Wohnsituation
- Erwerb von sozialen Kompetenzen (sozial angepasste Umgangsformen, Haushaltsführung, Beziehungsstabilität, ...)
- Aufbau eines sozialen Netzes (Kontakt zur Familie, zu Freunden)
- Delinquenzfreiheit
Weiters ist auch die Stärkung der psychischen Situation eine wichtige Grundlage für soziale Integration, vor allem das Selbstwertgefühl der Klienten muss korrigiert werden.
Soziale Integration kann aber auch als Anpassung und Unauffälligkeit beschrieben werden. Diese Auslegung ist allerdings nicht Ziel der Arbeit in der WEGE. Außerdem tritt die Frage nach dem "Wohin" der Integration auf. Die Klienten sind mit verschiedenen sozialen Systemen konfrontiert, in die sie integriert sein sollen/wollen. Jedes dieser Systeme (Arbeit, Familie, Wohnumfeld, ...) erfordert eine andere Annäherung und Vorgehensweise, um die soziale Integration zu ermöglichen. Bedeutet "soziale Integration" Integration in eines dieser Systeme, oder ist sie erst erfolgreich, wenn der Klient überall integriert ist? Ist es überhaupt möglich, überall integriert zu sein?
[Ich denke, es geht darum, den Klienten zu befähigen, sich integrieren zu können. Er wird immer wieder mit neuen Systemen konfrontiert sein, durch einen Jobwechsel, durch einen Wohnungsumzug, usw. Wenn er gelernt hat, wie er ein Teil einer gesellschaftlichen Gruppe werden kann, ist er fähig, sich immer wieder neu zu integrieren.]
Erfolgreiche Arbeit passiert dann, wenn eine positive Veränderung passiert. Diese Veränderung ist durch die Dokumentation der WEGE auch messbar. Ziel der Arbeit ist, den Klienten zu einem straffreien, selbständigen Leben zu verhelfen und ihre Existenz abzusichern.
Um soziale Integration zu erreichen ist auch eine Veränderung des Umfeldes z. B. der Stadt notwendig. Dazu müssen Entscheidungen über die Betreuung und Begleitung genau überlegt werden. So wurde z. B. eine geplante externe Wohngruppe in einem Wohnhaus wieder abgesagt, da diese Wohngruppe möglicherweise zu einem Ghetto innerhalb des Wohnhauses geworden wäre. Das Team hat sich entschieden, weiter Einzelwohnungen für die externe Betreuung der Klienten zu nutzen, um so diese Ghettobildung und Abkapselung der Klienten zu vermeiden. Auch die Gespräche mit Vertretern von Ämtern und Behörden und die Begleitung der Klienten zu Amtterminen trägt zur Öffentlichkeitsarbeit bei. Durch diese Gespräche können Vorurteile abgebaut und so Schritte zur sozialen Integration der Bewohner der WEGE gesetzt werden.
Abschließend stand die Bemerkung, dass eine Bewertung nach Zahlen an der Wirklichkeit vorbeigeht. Der Beurteilungsbogen, den der Klient und der Sozialarbeiter quartalsmäßig und am Ende der Betreuung ausfüllen, stellt die Entwicklung des Klienten dar und ist nicht eine Entscheidung, ob diese Betreuung erfolgreich war oder nicht.
(vgl. Mitschrift der Diskussion bei der Klausur 2003)
Wie bereits in der Einleitung zu diesem Kapitel erwähnt, hat mir vor allem diese Diskussion gezeigt, dass die Definition von gelungener Integration sehr komplex und schwierig ist. Die Sozialarbeiter der WEGE und ich haben sich mit dem Thema auseinandergesetzt und gemeinsam sind wir immer wieder auf neue Antworten gestoßen.
Mein Resümee daraus ist: Für die Sozialarbeit braucht es zweierlei: Einerseits einfache Kriterien, mit denen Integration bewertet werden kann, um damit auch ein Stück weit den Erfolg einer Einrichtung bewerten zu können (allerdings ist der Erfolg einer Einrichtung nicht nur von der Erreichung dieser Kriterien abhängig und daran messbar), andererseits eine persönliche Auseinandersetzung mit der Thematik, damit der einzelne Sozialarbeiter weiß, was das Ziel seiner Arbeit ist und wann er Erfolg hat.
3.2. Beispiel für gelungene Integration
Um das Thema "gelungene Integration" aus der Praxis zu beleuchten und damit anschaulicher zu machen, möchte ich ein Beispiel für eine gelungene soziale Integration aus der Arbeit der Caritaswohngemeinschaft WEGE anführen:
Herr B., geb. 1958, war von 1981 bis 2001 wegen Mordes in Haft. Er wohnte aufgrund einer richterlichen Weisung von 24.4.2001 bis 4.9.2002 in der WEGE, anschließend war er noch ein Jahr in externer Betreuung in einer eigenen Mietwohnung. Herr B. zeigte bei seinem Einzug große Integrationsschwierigkeiten aufgrund der langen Haftdauer, er hatte eine problematische Realitätseinschätzung, fehlende berufliche Qualifikation und massive gesundheitliche Einschränkungen. Als Betreuungsziele wurden vereinbart: Strukturierung des Alltags, Sicherstellung der finanziellen Grundlage, Eintritt in Beschäftigung, Aufbau sozialer Beziehungen, Einüben von Konflikt- und Kompromissfähigkeit, Erlernen der Eigenverantwortung für das persönliche Fortkommen.
"Betreuungsverlauf:
Die Anpassung an die Lebensbedingungen im neuen sozialen Umfeld verlief anfangs schwierig, im Laufe seines Aufenthaltes in der WEGE jedoch zunehmend entspannter und problemloser bis letztlich großteils positiv. Herr B. kam rasch in Arbeit, gab sich Mühe, alle ihm für die bedingte Entlassung auferlegten Weisungen einzuhalten und baute teils sehr intensive familiäre Bindungen zu Geschwistern wieder auf, die jahrelang nicht mehr gepflegt worden waren. In der Arbeit, welche er in einem sozialökonomischen Beschäftigungsprojekt fand, zeigte er sich sehr zuverlässig. Er erhielt nach kurzer Zeit einen Transitarbeitsplatz. Allerdings tauchten bald gesundheitliche Probleme auf, welche eine Operation an der Halswirbelsäule und in der Folge Reha-Maßnahmen erforderlich machten. Eine Folgewirkung ist die dauernde Einschränkung der Arbeitsfähigkeit (80% Invalidität). Die Wohnmöglichkeit in der WEGE wurde u.a. wegen der gesundheitlichen Situation um ein halbes Jahr verlängert. Herr B. konnte nach deren Ablauf mit finanzieller Unterstützung durch diverse Hilfseinrichtungen eine eigene Wohnung anmieten und stieg in ein berufliches Reha- Programm ein. Für die ersten Monate in der eigenen Wohnung stellt ein Betreuungsvertrag mit der WEGE eine stabilisierende Maßnahme dar."
Resümee:
Die angestrebten Ziele konnten mit intensiver Unterstützung seitens der WEGE großteils erreicht werden. Herr B. ist persönlich stabil, der Erhalt der eigenen Wohnung ist damit abgesichert. Er hat eine finanzielle Absicherung durch die Invaliditätspension und kann sich seine finanziellen Mitteln einteilen. Herr B. hält weiterhin Kontakt zu seinen Geschwistern. Seit seiner Entlassung ist Herr B. straffrei geblieben. Trotz der gesundheitlichen Probleme kann bei Herrn B. von einer positiven Entwicklung gesprochen werden und eine soziale Integration hat stattgefunden.
(vgl. Abschlußbericht Herr B., Dokumentation der WEGE)
3.3. Integration aus der Sicht der Betroffenen
In zwei Gesprächsrunden (17. und 24. 7. 2003) mit insgesamt 15 Häftlingen in der Justizanstalt Garsten habe ich diese Frage erörtert. Wie sehen Häftlinge ihrer Integration in Freiheit entgegen? Was verstehen sie unter diesem Begriff? Wo erwarten sie Unterstützung und mit welchen Schwierigkeiten rechnen sie, wenn sie wieder in die Gesellschaft eintreten werden?
Die Gefangenen, mit denen ich gesprochen habe, wurden zum Großteil zu sehr langen Freiheitsstrafen verurteilt (zehn Jahre bis lebenslang) und die meisten haben erst einen kleinen Teil ihrer Strafe abgesessen. Die Entlassung steht für sie also noch in weiter Ferne. Trotzdem waren sie sehr interessiert am Gespräch über Integration.
Protokoll der Gesprächsrunde vom 14.7.2003:
Die Häftlinge sind der Meinung, dass ein Großteil der Bevölkerung die Integration von Haftentlassenen gar nicht will. "Für die Gesellschaft bist und bleibst du ein Verbrecher. Einmal Verbrecher, immer Verbrecher." Und auch der politische Wille zur Wiedereingliederung Haftentlassener fehlt. Es sind zwar im Gesetz Paragrafen vorhanden, die Möglichkeiten enthalten, die Entlassung in die Freiheit vorzubereiten und so zu einer besseren Integration beizutragen (§§ 144 – 147 StVG). Die Anwendung dieser Paragrafen obliegt aber der Anstaltsleitung und wird sehr unterschiedlich gehandhabt. Wenn sich ein Gefangener nicht selbst darum kümmert, seine Integration vorzubereiten und Schritte zu setzen um wieder in Freiheit Fuß fassen zu können, steht er alleine da. Von Seiten der Justizanstalt gibt es keine Unterstützung.
Was ebenfalls die Integration sehr erschwert, ist das falsche Bild der Bevölkerung vom Leben in einer Justizanstalt. "Die Leute sehen amerikanische Filme im Fernsehen und glauben bei uns geht es genau so zu."
Was wäre nun hilfreich, um eine Integration nach der Entlassung zu fördern?
Es sollte ein geplantes Programm zur Vorbereitung der Entlassung geben. Im Gesetz ist auch die Erstellung eines Vollzugsplanes für jeden Gefangenen vorgesehen (§§ 134 - 135 StVG). In der Praxis gibt es aber keinen Einblick in diesen Plan, mit den Gefangenen werden keine Ziele oder Schritte für ihre Entwicklung in der Haft besprochen oder erarbeitet. Auch die vorgesehene Entlassungsvorbereitung (siehe oben angeführte Paragrafen) findet in der Praxis nur unzureichend statt. Nach Meinung der Häftlinge fehlt eine Zwischenstufe zwischen Inhaftierung und Freiheit. Ein Freigängerhaus, wie es z. B. in der Justizanstalt Wels besteht, ist eine gute Möglichkeit, um wieder ein selbständiges Leben einzuüben und Verantwortung für die Bewältigung des Alltags trainieren zu können. Auch betreutes Wohnen nach der Haft ist eine gute Möglichkeit, um sich wieder integrieren zu können. Allerdings müssen diese Wohnformen offen sein und Freiräume schaffen. "Ich gehe nicht von einem Gefängnis in ein anderes." Und die Information, welche Möglichkeiten es in diesem Bereich gibt, ist nur sehr spärlich. Auch der Kontakt zu solchen Einrichtungen müsste viel früher stattfinden, damit eine Entscheidung über den Einzug in eine Wohngemeinschaft gut überlegt werden kann.
Einer der wichtigsten Bereiche zur Integration ist die Wiedereingliederung in die Arbeitswelt. Auch hier sollte bereits während der Haft versucht werden, dies vorzubereiten. Es gibt zwar die Möglichkeit, in der Haft kostenlos eine Schulausbildung nachzuholen und auch eine Lehre zu absolvieren. Spezielle Kurse die z. B. von BFI oder WIFI angeboten werden, müssen aber selbst bezahlt werden, was für viele Häftlinge eine unüberwindbare Hürde darstellt. Und oft fehlen für diese Kurse auch die notwendigen Arbeitsgeräte (z. B. Computer).
Protokoll vom 24.7.2003:
Die Häftlinge, die an dieser Gesprächsrunde teilnahmen, vertreten ähnliche Ansichten wie in der Woche davor. Sie sind der Meinung, dass die Haftstrafen zu lange sind. Ein Gefangener, der die Hälfte seiner Strafe abgesessen hat, stellt die Frage, was sich noch ändern soll. Er bereut seine Tat, aber durch weitere zehn Jahre Haft kann diese auch nicht ungeschehen gemacht werden.
Vor allem die mangelnde Betreuung und Vorbereitung auf die Entlassung wird auch hier angeführt. Die Strafgefangenen erhalten keinen Einblick in den Vollzugsplan, der eigentlich für jeden Inhaftierten in den ersten sechs Monaten der Haft erstellt werden muss. Der Soziale Dienst hat zuwenig Personal und zu wenig Einfluss, um wirklich etwas erreichen zu können. Es gibt keine Anleitung zur Selbständigkeit, was aber für ein Leben in Freiheit sehr wichtig wäre. Viele Personen werden in jungem Alter inhaftiert, sie haben noch keine Erfahrung in selbständiger Lebens- und Haushaltsführung. Nach 20 Jahren Haft kommen sie mit 40 oder 50 Jahren aus dem Gefängnis und haben keine Ahnung, wie sie ihren Alltag bewältigen sollen. Sie können nicht kochen, putzen oder bügeln und stehen alleine da. Hier sollten Möglichkeiten geschaffen werden, um diese Fähigkeiten zu erlernen.
Ein Häftling vergleicht das Leben im Gefängnis mit dem Leben in einem kommunistischen Land: Alles wird von oben geregelt, man muss sich um nichts kümmern. Ohne Sorgen um den nächsten Tag kann man leben. Essen, Wohnen, Kleidung und Arbeit werden zur Verfügung gestellt. Mit der Entlassung wird man aber von einem Tag auf den anderen in eine völlig andere Welt gestellt, in der man sich selbst um alles kümmern muss. Für viele Gefangene bedeutet das eine Überforderung - ein Rückfall ist damit vorprogrammiert.
Um diesem "Entlassungsschock" vorzubeugen, sollte frühzeitig ein Kontakt mit der Außen-welt hergestellt werden bzw. versucht werden, dass dieser Kontakt nicht abreißt und das Leben in Freiheit nicht verlernt wird. Auch die Bewährungshilfe sollte früher einsetzen, bereits einige Monate vor der Entlassung, damit ein guter Kontakt aufgebaut werden kann und eine Vorbereitung auf die neue Situation erfolgt.
Großes Unverständnis bei den Gefangenen löst auch der Umgang mit bedingten Entlassungen und damit verbundenen Auflagen aus. Für eine bedingte Entlassung ist eine Wohn- und Arbeitsbestätigung notwendig, bei der Entlassung zum Strafende kümmert sich aber keiner mehr darum, ob eine Wohnung oder eine Arbeit vorhanden ist. "Die Strafe ist aus und du wirst einfach vor die Tür gestellt. Schau selber, wie du weiterkommst."
Die Strafgefangenen erleben in ihrer Haft eine anstrengende und aufreibende Hinhaltetaktik. Von den Beamten sind keine klaren Aussagen zu erhalten, sie legen sich nicht mit einem Nein oder Ja fest, sondern geben ausweichende Antworten. Aus diesem Verhalten lernen auch die Inhaftierten: "Mit ehrlichen Antworten erreichst du gar nichts. Du musst den richtigen Schmäh haben, wenn du was willst." Ähnliche Erfahrungen haben die Häftlinge auch mit Gerichten. Es wird zwar eine Therapie angeordnet (die oft Voraussetzung für eine bedingte Entlassung ist), aber in der Justizanstalt fehlt dann das Personal um diese Anordnung auch umzusetzen. Und damit rückt die bedingte Entlassung wieder in weite Ferne.
Was erleichtert die soziale Integration?
Kontakthalten mit der Familie und der Außenwelt: Ausbildungen, um am Arbeitsmarkt bessere Chancen zu haben ("Frustrationen durch oftmalige Ablehnungen bei der Arbeitssuche sind der Anfang vom Rückfall"): zufriedenstellende, leistbare Wohnmöglichkeiten und finanzielle Absicherung ("Mit dem Entlassungsgeld kommst du nicht weit. Das ist nach wenigen Tagen weg. Du brauchst Kleidung, gehst mal wieder essen, usw. Die paar tausend Schilling helfen dir nicht viel weiter.") sind wichtige Schritte auf dem Weg zurück in die Freiheit.
Es bleibt also nach diesen Gesprächen der Eindruck, dass seitens der Justizanstalt sehr (zu) wenig getan wird, um ein geregeltes Leben nach der Haft vorzubereiten. Wenn nicht der einzelne Gefangene Initiativen setzt, um sich in Freiheit wieder in die Gesellschaft integrieren zu können, stehen seine Chancen für ein befriedigendes Leben sehr schlecht.
Ob die Integration gelungen ist, kann nur im Einzelfall von dem Betroffenen selbst entschieden werden. Jeder Mensch hat eine eigene Vorstellung von einem erfüllten und befriedigenden Leben.
4. Strafe und Strafvollzug
In diesem Kapitel gebe ich einen Überblick über verschiedene Straftheorien und über das österreichische Strafvollzugsgesetz. Im StVG ist als Ziel der Freiheitsstrafe die Resozialisierung genannt. Die weiteren Ausführungen meiner Diplomarbeit zeigen, dass dieses Ziel nur unzureichend erreicht wird. Am Ende des Kapitels stelle ich noch die Alternativen zur Freiheitsstrafe, die in Österreich möglich sind, vor.
4.1. Vom Sinn der Strafe
"Die Strafe stellt das einschneidendste Zwangsmittel des Staates gegenüber seinen Bürgern dar; es berührt in jedem Falle die Grundrechtssphäre. [...] Die Verhängung einer Strafe enthält [...] ein sozial-ethisches Unwerturteil, das im Namen des Volkes, der Rechtsgemeinschaft, ausgesprochen wird: [...] Dieses sozial-ethische Unwerturteil, das dem Täter klarmacht, dass er sich außerhalb der Gesellschaft gestellt hat, gibt dem staatlichen Eingriff "Strafe" – neben der oft existenzvernichtenden Intensität – sein besonderes Gewicht." (Benda 174: 17f)
In Österreich wurden im Jahr 2001 38.763 Personen rechtskräftig verurteilt, 5.711 Personen davon zu einer unbedingten Freiheitsstrafe, weitere 2.328 zu einer teilbedingte Freiheitsstrafe (was bedeutet, dass sie einen Teil ihrer Strafe ebenfalls im Gefängnis absitzen müssen).
(vgl. Statistisches Jahrbuch 2003)
Die Freiheitsstrafe stellt den massivsten Eingriff in die Grundrechte eines Menschen dar.
4.1.1. Gerechtigkeitstheorien
"Der Sinn der Strafe liegt für diese Auffassung in der Bewährung der Gerechtigkeit ohne Ansehen des Nutzens für den Täter oder für die Rechtsgemeinschaft. Der Staat straft den Täter, weil er schuldhaft Rechtsgüter verletzt hat, die von der Strafrechtsordnung geschützt sind. [...] Die Strafe hat den Sinn des Ausgleichs, der Vergeltung schuldhaft begangener Rechtsverletzung." (Benda 1974: 22)
Anders formuliert: "[...] die wir als absolute Theorien oder Gerechtigkeitstheorien bezeichnen, hat die Strafe keinen besonderen Zweck zu erfüllen. Sie ist unabhängig, abgelöst von allen Zweckvorstellungen. Sie ist lediglich Vergeltung des vom Täter begangenen Unrechts (VERGELTUNGSTHEORIE) oder Sühne für das vom Täter begangene Unrecht (SÜHNETHEORIE)." (Kreft u.a. 1983: 443)
Boubenicek schreibt dazu: "Gerechtigkeitstheorie – Der Staat straft den Täter, weil er schuldhaft Rechtsgüter verletzt hat, die von der Strafrechtsordnung geschützt sind. Strafe ohne jeden Zweck für Täter oder Geschädigten." (Boubenicek 2001: 2)
Diese Straftheorie mutet doch etwas befremdlich an. Strafe nur mit dem "Sinn" der Vergeltung, der Rachegedanke als einziger Antrieb, jemanden zu bestrafen. Niemandem wird dadurch geholfen. Das Opfer erhält keinen Ausgleich für das ihm zugefügte Unrecht, auch eine Änderung des Täters ist nicht Ziel der Strafe.
4.1.2. "Relative" Theorien
Sinn des staatlichen Strafens ist die Verbrechensverhütung (Prävention) durch Abschreckung möglicher Täter mit Hilfe der Strafdrohung, der Strafverhängung oder des Strafvollzuges (Generalprävention). Allerdings kann dies nicht der alleinige Sinn der Strafe sein, da dadurch der Täter als bloßes Mittel missbraucht wird. Strafe kann auch den Sinn haben, den Täter von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten und ihn zu resozialisieren (Spezialprävention). Diesem Verständnis steht die Frage gegenüber, ob man Erwachsene überhaupt im Strafvollzug "erziehen" kann und ob nicht eine "Resozialisierungsstrafe" einer Wiedereingliederung sogar im Wege stehen kann. (vgl. Benda 1974: 25 ff)
Auch hier noch eine andere Ausführung: "[Nach] den sogenannten relativen Theorien, muss die Strafe einen besonderen Zweck haben. Sie muss zur Verfolgung sozialer Ziele eingesetzt werden. Bei diesen relativen Theorien gibt es zwei Untergruppen, wobei die eine den Zweck der Strafe in der Abschreckung zukünftiger Täter sieht (GENERALPRÄVENTION) – während die andere stärker auf die Besserung des einzelnen straffällig gewordenen Menschen abhebt (SPEZIALPRÄVENTION)." (Kreft u.a. 1983: 443 ff)
[...]
[1] "Globalziel des Projekts "Die Wertewelt der ÖsterreicherInnen im europäischen Kontext. Europäischen Wertestudie - Österreichteil 1999" ist es, Lebenskonzepte und Werthaltungen von Österreicher/inne/n zu verschiedenen person- und gesellschaftsbezogenen Themenfeldern zu erforschen." (http://www.pastoral.univie.ac.at/studien/)
- Citar trabajo
- Franz Xaver Mayr (Autor), 2004, Integration von Haftentlassenen. Möglichkeiten und Grenzen im Rahmen betreuter Wohnformen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28372
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