Die Geschichtsschreibung (historia) zählt neben der Rede (eloquentia oratoria) und der Philosophie (philosophia) zu den drei römischen Kunstprosagattungen. Trotz des Grundpostulats, dass sie zur Ermittlung der historischen Wahrheit dienen sollte, stand der literarisch-ästhetische Aspekt aber immer im Vordergrund. Ziel der Geschichtsschreibung war die Verknüpfung von prodesse und delectare. Da es sich bei den Autoren meist um Staatsmänner handelte, sollte sie auch dazu dienen, politisch zu wirken. Eine häufig patriotische Prägung ist daher nicht verwunderlich. Vor allem in der Kaiserzeit wurde sie auch gerne benutzt, um Kritik an den herrschenden Verhältnissen zu üben.
Die Arbeit bietet neben einem kleinen Exkurs zu den Vorformen der römischen Geschichtsschreibung einen umfassenden Überblick über die wichtigsten Vertreter der Gattung von der frühen Republik bis zur späten Kaiserzeit. Abschließend wird die Gattung noch aus Sicht Quintilians gewürdigt, der im 10. Buch seiner Institutio oratoria nicht nur auf den Verdienst der Geschichtsschreibung für den Redner eingeht, sondern auch einen Lektürekanon mustergültiger griechischer und römischer Autoren aufstellt.
Inhaltsverzeichnis
A. Allgemeines zur römischen Geschichtsschreibung
1. Etymologie
2. Antike Definition
3. Ursprünge und Vorformen
4. Gattungsmerkmale und Intention
B. Gattungsgeschichte
1. Die frühe Republik
2. Die späte Republik (Krise)
3. Die frühe Kaiserzeit
4. Die späte Kaiserzeit
C. Die römische Geschichtsschreibung bei Quintilian
1. Quintilian: Leben und Werk
2. Das Gattungsverständnis bei Quintilian
3. Die römische Geschichtsschreibung (§ 101-104)
D. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
A. Allgemeines zur römischen Geschichtsschreibung
1. Etymologie
Das griechische Wort historìa ist etymologisch verwandt mit dem lateinischen videre und dem deutschen wissen und wurde ursprünglich im Sinne von „Erkundung“ / „Erforschung“ gebraucht. Übertragen auf die Geschichtsschreibung bedeutet das also die Erforschung geschichtlicher Tatsachen, sowie deren möglichst wahrheitsgetreue Wiedergabe.
2. Antike Gattungsdefinition
Die Geschichtsschreibung (historia) zählt neben der Rede (eloquentia oratoria) und der Philosophie (philosophia) zu den drei römischen Kunstprosagattungen. Aristoteles grenzt sie in seiner Poetik (1451 a38-b5) folgendermaßen gegen die Dichtung ab: „Denn der Geschichtsschreiber und der Dichter unterscheiden sich nicht dadurch voneinander, dass sich der eine in Versen und der andere in Prosa mitteilt [...]; sie unterscheiden sich vielmehr dadurch, dass der eine das wirklich Geschehene mitteilt, der andere, was geschehen sein könnte.“
3. Ursprünge und Vorformen
Wie der Großteil der literarischen Gattungen geht auch die Geschichtsschreibung auf griechische Vorbilder zurück, wobei auch in Rom selbst Vorformen existierten, die später in der Geschichtsschreibung aufgegriffen wurden. Zu diesen Vorformen gehörten unter anderem die Familienarchive. Diese Archive waren deshalb von so großer Bedeutung, weil sich das Ansehen einer Gens ganz wesentlich darauf stütze, welche Leistungen und Taten die Vorfahren erbracht hatten. Damit diese Leistungen öffentlich wurden, war es üblich, bei der Bestattung eines Verwandten eine Leichenrede (laudatio funebris) zu halten, in der noch einmal an seine Erfolge und Auszeichnungen erinnert wurde. Diese Leichenreden wurden häufig verschriftlicht und in den Familienarchiven gesammelt.[1] Auch der titulus, die Grabinschrift, hob noch einmal in knapper Form die wichtigsten Daten hervor.
Inwieweit die Annales Maximi, ein jährlich vom pontifex maximus zusammengestelltes Verzeichnis der wichtigsten Daten (Inhaber der hohen Ämter, Erdbeben, Kriege, etc.), die Geschichtsschreibung beeinflusst haben, ist unklar. Möglicherweise geht die Annalistik (jahrweise Darstellung der Geschichte Roms ab urbe condita) eher auf die Annales des Q. Ennius zurück. Zwar handelte es sich dabei nicht um ein Prosawerk, sondern um einen epischen Text, aber die Darstellung der Geschichte Roms wies durchaus annalistische Züge auf.
Auch der Einfluss der Fasti, einem Verzeichnis von Magistraten, Triumphatoren etc., dürfte damit ähnlich schwer nachzuvollziehen sein.
4. Gattungsmerkmale und Intention
Von Cicero als opus oratorium, von Quintilian als carmen solutum bezeichnet, gehörte die römische Geschichtsschreibung, wie bereits erwähnt, zu den drei Gattungen der römischen Kunstprosa. Trotz des Grundpostulats, dass sie zur Ermittlung der historischen Wahrheit dienen sollte, stand der literarisch-ästhetische Aspekt daher aber immer im Vordergrund.[2] Ziel der Geschichtsschreibung war die Verknüpfung von prodesse und delectare. Da es sich bei den Autoren meist um Staatsmänner handelte, sollte sie auch dazu dienen, politisch zu wirken. Eine häufig patriotische Prägung ist daher nicht verwunderlich. Vor allem in der Kaiserzeit wurde sie auch gerne benutzt, um Kritik an den herrschenden Verhältnissen zu üben.
Obwohl die einzelnen Werke selbstverständlich sehr unterschiedlich waren, gab es einige Elemente, die für die Geschichtsschreibung charakteristisch waren. Dazu gehörten zum Beispiel die Proömien, in denen sich der Autor zu seinem Thema, seiner Vorgehensweise, seinem Geschichtsverständnis und seiner Darstellungsweise äußerte, oder fiktive Reden und Briefe, die dazu dienen sollten, Hintergründe und Motivationen zu beleuchten. Ebenfalls typisch waren Exkurse mit häufig geographischer oder ethnographischer Thematik, die die fortlaufende Darstellung immer wieder unterbrachen.
B. Gattungsgeschichte
1. Die frühe Republik
Die römische Geschichtsschreibung entsteht erst Ende des 3. Jh. mit Quintus Fabius Pictor. Doch sowohl ihr Archeget, wie auch dessen Nachfolger schrieben in Griechisch. Der Grund für die Wahl der griechischen Sprache war die romfeindliche Propaganda Hannibals. Fabius Pictors Ziel war es daher, der kritischen Beurteilung Roms in der griechischen Welt entgegenzuwirken. Allerdings wurde die Wahl auch von rein sprachlichen Gründen beeinflusst: der Ausbau des Lateinischen war damals noch lange nicht abgeschlossen. Sowohl Syntax, als auch Wortschatz waren daher noch nicht geeignet, die Geschichte Roms flüssig und verständlich darzustellen. Ganz abgesehen davon, wurde das Latein noch nicht einmal in ganz Italien verstanden, geschweige denn außerhalb Italiens.[3]
Die eigentliche römische Geschichtsschreibung beginnt daher erst mit M. Porcius Cato und dessen historiographische Prosawerk Origines in lateinischer Sprache. Es handelte sich um sein Alterswerk, das mit seinem Tod einen plötzlichen Abbruch fand. Nicht nur durch die Sprache setzte er sich von seinen Vorgängern ab, auch sein Vorgehen war anders. Während Pictors Werk schon eindeutig annalistische Züge trug, grenzte sich Cato ganz entschieden von einer Darstellung, die seiner Meinung nach dem Abschreiben der Annales Maximi gleichkam, ab.[4] Neu waren auch die gesamtitalienische Darstellungsweise und die Unterdrückung der Namen, deren Ziel es war, die Aufmerksamkeit weg von der herrschenden Klasse und hin zur res publica zu lenken. Cato gilt daher als „Schöpfer der lateinischen Prosa und der wertenden Geschichtsbetrachtung.“[5] Er löste damit Q.F. Pictor in dessen Vorbildfunktion ab.
2. Die Späte Republik (Krise)
Für das Zeitalter der Gracchen war die weitere Differenzierung der Gattungen charakteristisch. Zwar wurde die Annalistik weiter fortgeführt, doch es entwickeln sich auch neue Gattungen wie die Zeitgeschichte und die Monographie. Charakteristisch für die Jüngere Annalistik war die Mischung von politischem und literarischem Ehrgeiz. Zahlen und Angaben wurden ausgeschmückt und gefälscht, um so den Beitrag der eigenen Gens an Roms Ruhm in ein möglichst gutes Licht zu rücken. Die Werke der Jüngeren Annalisten (z.Bsp. Valerius Antias) spiegelten damit den Ämter- und Machtkampf der späten Republik wider.[6] Während außerdem die Geschichtsschreibung zur Zeit der frühen Republik fast ausschließlich das Werk von Angehörigen der senatorischen Schicht war, waren die Autoren der Jüngeren Annalistik sozial deutlich niedriger gestellt.
Die Angehörigen der Führungsschicht blieben weiter als Historiographen tätig. Aber sie gingen neue Wege, indem sie sich Gattungen wie der historischen Monographie und den historiae (im Unterschied zu den Annales ausschließlich Darstellung der Zeitgeschichte) zuwandten.
Zu den wichtigsten Autoren dieser Zeit gehörten Sempronius Asellio und Lucius Coelius Antipater. Asellios Werk trug den Titel Res gestae oder Historiae und umfasste mindestens vierzehn Bücher, in denen lediglich die Zeitgeschichte bis etwa 91 v.Chr. dargestellt wurde. Neu für die römische Geschichtsschreibung war dabei die pragmatische Vorgehensweise des Asellio, die auf Polybios zurückzuführen ist.[7] Polybios nämlich hatte gefordert, dass der Geschichtsschreiber vor allem zeigen müsse, „in welcher Absicht und aus welchem Grunde jeweils gehandelt worden sei“.[8]
[...]
[1] Vgl. Rüpke, J., Röm. Geschichtsschreibung, S. 51
[2] Vgl. Lexikon der alten Welt, Röm. Geschichtsschreibung, Sp. 1074
[3] Vgl. Fuhrmann, M., Geschichte der röm. Literatur, S. 97
[4] Vgl. Peter 1, Frg. 77
[5] Lexikon der alten Welt, Sp. 1073
[6] Vgl. Fuhrmann, M., Geschichte der röm. Literatur, S. 166
[7] Vgl. Flach, D., Röm. Geschichtsschreibung, S. 82
[8] Peter 1, Frg. 1
- Citation du texte
- Dorothea Nolde (Auteur), 2004, Die römische Geschichtschreibung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28292
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