Die Notwendigkeit entscheiden zu müssen, ob man bestimmte Informationen besser weitergibt oder darüber Stillschweigen bewahrt, stellt sich zwangsläufig jedem im Strafvollzug Beschäftigten. Die besondere Schwierigkeit zwischen verschiedenen Interessen vermitteln zu müssen und dabei eine „richtige“ Entscheidung zu treffen, ergibt sich aber insbesondere für den sozialen Dienst. Lange Zeit blieb das Verhältnis zwischen Offenbarungs- und Schweigepflicht innerhalb des Strafvollzugs gesetzlich ungeregelt. Erst am 1.12.1998 trat mit dem vierten Änderungsgesetz zum Strafvollzugsgesetz eine spezielle Regelung über die Offenbarungs- und Schweigepflichten der im sozialen Dienst des Strafvollzugs Beschäftigten in Kraft.
Die vorliegende Arbeit behandelt die folgenden Fragestellungen zum Thema Offenbarungs- und Schweigepflichten im Strafvollzug: Welche Probleme ergeben sich aus dem Grundkonflikt zwischen Sicherung und Resozialisierung für die Schweigepflicht Im Strafvollzug? Welches waren die rechtlichen Bestimmungen zur Offenbarungs- und Schweigepflicht vor und was sind diese nach dem Inkrafttreten des vierten Änderungsgesetzes zum Strafvollzugsgesetz? Wann liegt eine Offenbarungsbefugnis vor und unter welchen Umständen besteht eine Offenbarungspflicht? Welches sind die Hauptkritikpunkte am §182 Strafvollzugsgesetz (StVollzG)? Die Arbeit enthält auch die benötigten Gesetzestexte, sowie eine exemplarische Fallsammlung.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Konflikt zwischen Sicherung und Behandlung
3. Rechtliche Grundlagen
3.1. Regelungen vor dem Inkrafttreten des vierten Änderungsgesetzes zum Strafvollzugsgesetz
3.1.1. Schweigepflicht
3.1.2. Offenbarungsbefugnis
3.1.2.1. Offenbarungsbefugnis durch Einwilligung
3.1.2.2. Offenbarungsbefugnis aus rechtfertigendem Notstand
3.1.3. Offenbarungspflicht
3.1.3.1. Offenbarungspflicht nach §138 StGB
3.1.3.2. Offenbarungspflicht in Gerichtsverfahren
3.2. Umsetzung der rechtlichen Bestimmungen im Strafvollzug
4. Regelungen nach dem Inkrafttreten des vierten Änderungsgesetzes zum Strafvollzugsgesetz
4.1. Entstehung des §182 StVollzG
4.2. §182 StVollzG
4.2.1. Inhalt des §182 StVollzG
4.2.2. Anerkennung einer innerbehördlichen Schweigepflicht
4.2.3. Keine Einschränkung sonstiger Offenbarungsbefugnisse
4.2.4. Gefahrenabwehr für Leib oder Leben des Gefangenen oder Dritter
4.2.5. Unterrichtung des Gefangenen über die bestehenden Offenbarungsbefugnisse
4.2.6. Streitpunkte des §182 StVollzG
4.2.6.1. Offenbarungspflicht
4.2.6.2. Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde
5. Auslegung von Heinz Schöch
6. Kritik an §182 StVollzG
7. Fazit
8. Literaturliste
9. Beispielfälle
1. Einleitung
Die Notwendigkeit entscheiden zu müssen, ob man bestimmte Informationen besser weitergibt oder darüber Stillschweigen bewahrt, stellt sich zwangsläufig jedem im Strafvollzug Beschäftigten. Die besondere Schwierigkeit zwischen verschiedenen Interessen vermitteln zu müssen und dabei eine „richtige“ Entscheidung zu treffen, ergibt sich aber insbesondere für den sozialen Dienst. Lange Zeit blieb das Verhältnis zwischen Offenbarungs- und Schweigepflicht innerhalb des Strafvollzugs gesetzlich ungeregelt. Erst am 1.12.1998 trat mit dem vierten Änderungsgesetz zum Strafvollzugsgesetz eine spezielle Regelung über die Schweige- und Offenbarungspflichten der im sozialen Dienst des Strafvollzugs Beschäftigten in Kraft.
Dieses Gesetz führte zu einer heftigen Diskussion. Besonders auf Seiten der im Strafvollzug tätigen Psychotherapeuten löste es starke Kritik aus, bis hin zum Vorwurf der Verfassungswidrigkeit.
Zunächst wird der Grundkonflikt, aus dem sich die besondere Problematik für den sozialen Dienst bzgl. des Verhältnisses von Schweige- und Offenbarungspflicht ergibt, kurz dargestellt. Um die durch die Neuregelung des Strafvollzugsgesetzes entstandenen Veränderungen deutlich zu machen, werden im Anschluss die rechtlichen Bestimmungen aufgeführt, die vor der Änderung zur Regelung des Sachverhalts herangezogen wurden. Im Anschluss erfolgen die rechtlichen Bestimmungen nach Inkrafttreten des vierten Änderungsgesetzes zum Strafvollzugsgesetz. Danach wird die Auslegung von Heinz Schöch und die Kritik an §182 StVollzG zusammengefasst und schließlich ein Fazit gezogen.
Um den umständlichen Terminus „die im sozialen Dienst des Strafvollzugs Beschäftigten“ zu vermeiden und der Zusammensetzung des Seminars Rechnung zu tragen, wird in der Seminararbeit die Problematik am Beispiel des im Strafvollzugs tätigen Psychologen dargestellt und statt der obengenannten Umschreibung die Begriffe Anstaltspsychologe, Therapeut etc. verwendet. Soweit nicht ausdrücklich erwähnt, gelten die genannten Regelungen für die anderen zum sozialen Dienst gehörenden Berufsgruppen wie Sozialarbeiter und Sozialpädagoge jedoch analog.
2. Konflikt zwischen Sicherung und Behandlung
Während der Verbüßung der Freiheitsstrafe soll der Gefangene resozialisiert, d.h. zur Legalbewährung befähigt und auf diese Weise wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden (§2Abs.1 StVollzG). Darüber hinaus soll durch den Strafvollzug der Schutz der Allgemeinheit gewährleistet sein (§2 Abs.2 StVollzG). Nach dem Wortlaut von §2 StVollzG hat die Resozialisierung als Vollzugsziel Vorrang vor dem Schutz der Allgemeinheit. Allerdings wird diese Prioritätensetzung im Gesetz nicht beibehalten, sondern ein Vorrang der Sicherheit in allen sicherheitsempfindlichen Bereichen z.B. bei der Gewährung von Vollzugslockerungen (§11 Abs. 2 StVollzG) festgelegt.[1]
Dieser latente Grundkonflikt erstreckt sich auch auf die Regelungen zur Schweige- und Offenbarungspflicht bzw. Offenbarungsbefugnis. Zum einen ergeben sich aus umfassenden Offenbarungspflichten, und damit Zugang der Strafvollzugsbehörden zu allen verfügbaren Informationen, eine maximale Kontrolle und Sicherung. Zum anderen bedarf es, zur erfolgreichen Durchführung von Resozialisierungsmaßnahmen, eines durch Schweigepflicht geschützten Vertrauensbereichs. Diesem Grundkonflikt ist, aufgrund der zugewiesenen Funktionsaufgaben, insbesondere der soziale Dienst im Strafvollzug ausgesetzt. Der Anstaltspsychologe benötigt für die Erfüllung seiner therapeutischen Arbeit ein Vertrauensverhältnis zum Patienten, das sich nur aufgrund der Zusicherung der Verschwiegenheit über bestimmte Informationen aufbauen lässt. Zum anderen macht seine Einbindung in andere Aufgaben- und Funktionsbereiche des Strafvollzugs auch Offenbarungspflichten bzw. –befugnisse notwendig.
3. Rechtliche Grundlagen
3.1. Regelungen vor dem Inkrafttreten des vierten Änderungsgesetzes zum Strafvollzugsgesetz
Bevor auf die Neuregelung zur Schweigepflicht und Offenbarungsbefugnis bzw. Offenbarungspflicht eingegangen wird, sollen an dieser Stelle die allgemeinen Rechtsnormen dargestellt werden. Vor Inkrafttreten des vierten Änderungsgesetzes zum Strafvollzugsgesetz war der innerbehördliche Umgang mit Schweige- und Offenbarungspflichten für den sozialen Dienst im Strafvollzug nicht speziell geregelt.
3.1.1. Schweigepflicht
In Art. 2 des Grundgesetzes wird von Seiten des Staates jedem Menschen in Deutschland das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, auf Leben und körperliche Unversehrtheit garantiert. Durch die technischen Möglichkeiten, personenbezogene Daten elektronisch zu speichern und beliebig zu vervielfältigen, zählt die Rechtssprechung seit den 80er Jahren zum Schutzbereich des Art.2 GG auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, d.h. das Recht des Individuums auf Schutz seiner personenbezogenen Daten.
Der Schutz dieses Rechtes manifestiert sich strafrechtlich u.a. in §203 StGB.
Ein Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch Personen, die durch Ausübung ihres Berufes Zugang zu personenbezogenen Daten erhalten, wird nach §203 StGB verfolgt. Für einen Anstaltspsychologen ist hierbei §203 Abs.1 Nr.2 StGB einschlägig, in dem es heißt, dass sich „Berufspsychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher Abschlussprüfung“ strafbar machen, falls sie „ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis“, das ihnen im Rahmen ihrer Berufsausübung bekannt geworden ist, unbefugt offenbaren.[2]
Unter Geheimnis wird hierbei, eine Tatsache verstanden, die nur einem Einzelnen oder einem beschränkten Personenkreis bekannt ist und die eindeutig einer bestimmten Person zugeordnet werden kann.[3] Diese Schweigepflicht besteht auch gegenüber Personen, die selbst der Schweigepflicht unterliegen. D.h. der Anstaltspsychologe darf ein ihm anvertrautes Geheimnis, beispielsweise nicht einem anderen Anstaltspsychologen offenbaren.
Zusätzlich ergibt sich daraus, dass der Anstaltspsychologe als Angestellter des öffentlichen Dienstes die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit gegenüber Außenstehenden über alles hat, was er im Rahmen seiner Amtstätigkeit erfährt. Diese sogenannte Amtsverschwiegenheit soll im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter vertieft werden, da sie sich weitgehend mit den Regelungen des §203 Abs.1 StGB überschneidet. Als bedeutendste Unterschiede zu §203 Abs.1 StGB seien nur genannt, dass die Amtsverschwiegenheit nur gegenüber Außenstehenden besteht und die Entbindung von dieser Amtsverschwiegenheit nur durch einen Dienstvorgesetzten erfolgen kann, während, wie im folgenden gezeigt wird, bei §203 Abs.1 StGB eine Einwilligung in die Offenbarung durch diejenige Person erfolgen kann, deren Geheimnis geschützt werden soll.[4]
3.1.2. Offenbarungsbefugnis
Wie aus der Erläuterung zu §203 StGB deutlich geworden ist, erstreckt sich die darin festgelegte Schweigepflicht umfassend auf alle Tatsachen, die dem Anstaltspsychologen im Rahmen seiner Berufsausübung zugänglich werden. Diese grundsätzliche Schweigepflicht kann beim Vorliegen bestimmter Umstände durchbrochen werden.
3.1.2.1. Offenbarungsbefugnis durch Einwilligung
Ein Verstoß gegen §203 StGB ist nur gegeben, falls das Geheimnis unbefugt offenbart wird.
Wenn der durch die Schweigepflicht Geschützte selbst die Erlaubnis zur Weitergabe seiner personenbezogenen Daten erteilt, besteht somit eine Offenbarungsbefugnis.
3.1.2.2. Offenbarungsbefugnis aus rechtfertigendem Notstand
§34 StGB legt fest, dass jemand nicht rechtswidrig handelt, falls er eine Tat zum Schutz eines bedrohten Rechtsgutes begeht, sofern das bedrohte Rechtsgut wesentlich höherwertiger ist, als das Beeinträchtigte und die Gefahr nicht auf anderem Wege abgewehrt werden kann.
Eine Offenbarungsbefugnis ist demnach gegeben, wenn beispielsweise dem Angestellten des sozialen Dienstes Geheimnisse bekannt werden, die eine konkrete, schwerwiegende, nicht anders abwendbare Gefährdung des Gefangenen (z.B. Suizidabsichten) oder von Dritten durch den Gefangenen als glaubwürdig erscheinen lassen.
3.1.3. Offenbarungspflicht
In einigen Ausnahmefällen besteht nicht nur eine Offenbarungsbefugnis, sondern zum Schutz von höherstehenden Rechtsgütern eine Offenbarungspflicht, desjenigen, der Kenntnis über ein Geheimnis erlangt hat (z.B. des Anstaltspsychologen). Eine Missachtung dieser Offenbarungspflicht wird im Unterschied zur Offenbarungsbefugnis disziplinarrechtlich oder strafrechtlich verfolgt.
Für die Angestellten des sozialen Dienstes sind hier insbesondere zwei gesetzlich geregelte Offenbarungspflichten von Belang.
3.1.3.1. Offenbarungspflicht nach §138 StGB
§138 StGB bestimmt, dass bei glaubhafter Kenntnisnahme von der Planung oder Durchführung schwerer Verbrechen (u.a. Mord, Raub, Totschlag) Anzeigepflicht besteht. Diese Offenbarungspflicht bezieht sich nur auf geplante Straftaten.[5] Bezüglich vergangener, unaufgeklärter Straftaten ergibt sich aus §138 StGB somit keine Offenbarungspflicht.
In diesem Zusammenhang sei auch genannt, dass Psychologen bzgl. vergangener Straftaten keine Strafverfolgungspflichten haben.
[...]
[1] Vgl. Schwind/ Böhm Rn. 8 zu §2 StVollzG
[2] Vgl. Dreher/ Tröndle, RN 7f zu §203 StGB
[3] Vgl. Dreher/Tröndle Rn.2 zu §203 StGB
[4] Vgl. Kühne, S.372
[5] Vgl. Kühne, S.133
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