Wie genau sich staatliche Repression auf soziale Bewegungen auswirkt, ist wissenschaftlich bisher nur wenig erforscht, auch wenn sie in einigen theoretischen Ansätzen eine wichtige Rolle spielt. Klar ist, dass Repression ambivalente Wirkungen entfalten kann: Je nach Kontext können die gleichen Maßnahmen eine Bewegung vollständig zerschlagen, oder ihr in letzter Konsequenz zum Durchbruch verhelfen. In der vorliegenden Arbeit sollen theoretische Annahmen über die Frage, wann Repression welche Wirkungen entfaltet, anhand der alljährlichen Proteste rund um Europas ehemals größten Naziaufmarsch am 13. Februar in Dresden geprüft werden.
In der sozialen Bewegungsforschung gibt es verschiedene Forschungsparadigmen, die sich teilweise parallel entwickelt haben und unterschiedliche Stärken und Schwächen aufweisen. Diese werden zunächst knapp dargestellt, um folglich die Wahl der Forschungsperspektive begründen zu können: Der Ansatz der politischen Gelegenheitsstrukturen ist am ehesten in der Lage, die ambivalenten Wirkungen staatlicher Repression zu erklären. Trotzdem sollen die Paradigmen nicht gegeneinander ausgespielt werden, im Gegenteil bietet gerade ihre Synthese die Möglichkeit zu weiteren Erkenntnissen. So können vor allem der Ressourcen-Mobilisierung-Ansatz und der Framing-Ansatz einen Beitrag zu Erklärung der Effekte leisten.
Nach der Darstellung der theoretischen Grundlagen werden die konkreten Proteste in den Blick genommen. Dabei wird zuerst die Vorgeschichte der Massenproteste um den 13. Februar seit den späten 90er Jahren dargestellt, um aus dieser heraus ihre Entwicklung und die Unterschiede in den staatlichen Antworten erklären zu können. Nachdem dann kurz auf die Frage eingegangen wird, inwiefern die Proteste überhaupt als soziale Bewegung zu verstehen sind, werden die theoretischen Annahmen mit dem konkreten Beispiel ins Verhältnis gesetzt. Die Liste repressiver Maßnahmen gegen die Proteste ist lang – so lang, dass sie den ehemaligen Vizepräsidenten des Bundestages dazu bewegte, die staatliche Praxis ironisch als „sächsische Demokratie“ zu bezeichnen. Trotzdem konnte die massive Repression und Überwachung, die zeitweise von einer eigens inszenierten Medienkampagne begleitet wurde, die Proteste nicht nachhaltig schwächen, im Gegenteil kam es genau zu dem in der Literatur öfter beschriebenen umgekehrten Effekt. Dies liegt vor allem daran, so die These dieser Arbeit, dass es staatlichen Institutionen nicht gelungen ist, die Protestbewegung zu spalten
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretische Grundlagen
2.1 Paradigmen der Bewegungsforschung
2.2 Politische Gelegenheitsstrukturen
2.3 Repression
2.4 Ressourcen-Mobilisierung und Koalitionsbildung
2.5 Framing
3. Die Proteste um den 13. Februar
3.1 Vorgeschichte der Massenproteste
3.2 Intensivierung der Repression und Verhinderung des Aufmarsches
3.3 Die antifaschistischen Proteste als soziale Bewegung
4. Die Wirkung von Repression am Beispiel der antifaschistischen Proteste
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Wie genau sich staatliche Repression auf soziale Bewegungen auswirkt, ist wissenschaftlich bisher nur wenig erforscht, auch wenn sie in einigen theoretischen Ansätzen eine wichtige Rolle spielt. Klar ist, dass Repression ambivalente Wirkungen entfalten kann: Je nach Kontext können die gleichen Maßnahmen eine Bewegung vollständig zerschlagen, oder ihr in letzter Konsequenz zum Durchbruch verhelfen. In der vorliegenden Arbeit sollen theoretische Annahmen über die Frage, wann Repression welche Wirkungen entfaltet, anhand der alljährlichen Proteste rund um Europas ehemals größten Naziaufmarsch am 13. Februar in Dresden geprüft werden. Dies kann in dem begrenzten Rahmen dieser Arbeit nicht in Form einer empirischen Studie erfolgen, sondern lediglich exemplarisch und schlaglichtartig geleistet werden. Trotzdem lassen sich so einige bisher konzeptionell zu wenig berücksichtigte Aspekte zeigen.
Bevor jedoch die Proteste selbst näher beleuchtet werden, muss zuerst die theoretische Ausgangsposition der Arbeit bestimmt werden. In der sozialen Bewegungsforschung gibt es verschiedene Forschungsparadigmen, die sich teilweise parallel entwickelt haben und unterschiedliche Stärken und Schwächen aufweisen. Diese werden zunächst knapp dargestellt, um folglich die Wahl der Forschungsperspektive begründen zu können: Der Ansatz der p olitischen Gelegenheitsstrukturen ist am ehesten in der Lage, die ambivalenten Wirkungen staatlicher Repression zu erklären. Trotzdem sollen die Paradigmen nicht gegeneinander ausgespielt werden, im Gegenteil bietet gerade ihre Synthese die Möglichkeit zu weiteren Erkenntnissen. So können vor allem der Ressourcen-Mobilisierung -Ansatz und der Framing -Ansatz einen Beitrag zu Erklärung der Effekte leisten.
Nach der Darstellung der theoretischen Grundlagen werden die konkreten Proteste in den Blick genommen. Dabei wird zuerst die Vorgeschichte der Massenproteste um den 13. Februar seit den späten 90er Jahren dargestellt, um aus dieser heraus ihre Entwicklung und die Unterschiede in den staatlichen Antworten erklären zu können. Nachdem dann kurz auf die Frage eingegangen wird, inwiefern die Proteste überhaupt als soziale Bewegung zu verstehen sind, werden die theoretischen Annahmen mit dem konkreten Beispiel ins Verhältnis gesetzt. Die Liste repressiver Maßnahmen gegen die Proteste ist lang – so lang, dass sie den damaligen Vizepräsidenten des Bundestages, Wolfgang Thierse, 2011 dazu bewegte, die staatliche Praxis ironisch als „sächsische Demokratie“ zu bezeichnen. Trotzdem konnte die massive Repression und Überwachung, die zeitweise von einer eigens inszenierten Medienkampagne begleitet wurde, die Proteste nicht nachhaltig schwächen, im Gegenteil kam es genau zu dem in der Literatur öfter beschriebenen umgekehrten Effekt. Dies liegt vor allem daran, so die These dieser Arbeit, dass es staatlichen Institutionen nicht gelungen ist, die Protestbewegung zu spalten. Diese Variable wird zwar in der Bewegungsforschung hin und wieder erwähnt, wie jedoch zu zeigen sein wird, ist sie in dem untersuchten Beispiel ein so entscheidender Faktor, dass ihr eine zentralere Rolle zukommen sollte.
2. Theoretische Grundlagen
2.1 Paradigmen der Bewegungsforschung
Die soziale Bewegungsforschung entstand vor allem auf Grundlage zweier gegensätzlicher Theorietraditionen des späten 19. Jahrhunderts. Auf der einen Seite ist dies der orthodoxe Marxismus, in dessen Tradition Erklärungsansätze eingeordnet werden, die in erster Linie grundlegende soziale und ökonomische Strukturen und Konflikte zur Erklärung sozialer Bewegungen heranziehen. Solche tendenziell strukturalistischen Paradigmen sind in Europa dominanter, während individualistischere eher im englischsprachigen Raum zu finden sind. Letztere werden theoriegeschichtlich auf frühe massenpsychologische Erklärungen zurückgeführt, wie sie zuerst von Gustave Le Bon entwickelt und später von Freud aufgegriffen wurden. Die jeweilige Monokausalität der beiden spiegelbildlichen Ansätze, die entweder die Makro- oder die Mikroebene als vollständig determinierend betrachteten, wurden in ihrer ursprünglichen Form von der Wissenschaft relativ schnell verworfen, aus ihnen entstanden jedoch verschiedene Forschungsparadigmen, die ihre Schwächen auszugleichen versuchen.
Ein Paradigma, das soziale Bewegungen weiterhin aus weitestgehend passiven irrationalen Akteur_innen heraus erklärt, ist der Ansatz des kollektiven Verhaltens, der wegen seiner offensichtlichen Schwächen hier nicht weiterverfolgt werden wird. Ein anderes hier nicht weiterverfolgtes Konzept ist der der relativen Deprivation. Hierbei steht die wahrgenommene Kluft zwischen dem eigenen Anspruch und der Wirklichkeit, von Werterwartungen und Wertenttäuschungen von Einzelpersonen oder gesellschaftlichen Gruppen im Mittelpunkt der ursächlichen Erklärung sozialer Bewegungen. Dieser Faktor ist für das Auftauchen von Bewegungen sicher höchst relevant, da diese Arbeit jedoch gewissermaßen zeitlich später ansetzt, wenn eine Bewegung bereits entstanden ist und auf staatliche Antworten wiederum reagiert, wird auch dieser Ansatz hier nicht weiter berücksichtigt.
Als Antwort auf die durch den Relative-Deprivation-Ansatz nicht erklärbare Frage, warum nur bestimmte wahrgenommene soziale Probleme am Ende auch zu größeren Protesten führen, entstand Ende der 70er-Jahre in den USA der Ressourcen-Mobilisierung -Ansatz. Dieses sich in den 80ern zum zentralen Paradigma entwickelnde Konzept fragt nach den Bedingungen, unter denen Empörung das Potential hat, sich zu einer Bewegung auszubreiten. Dabei stehen die Ressourcen der Akteur_innen im Mittelpunkt des Interesses: Nur wenn ausreichend soziale Netzwerke, Geld, Zeit, Personal, usw. zur Verfügung stehen, kann breiterer Protest organisiert werden. Folglich werden hierbei vor allem Bewegungsorganisationen in den Blick genommen, die diese Ressourcen strategisch einsetzen. Auch Mechanismen und Folgen der Koalitionsbildung spielen hierbei eine Rolle, weshalb der Ansatz für die hier verfolgte Fragestellung eine gewisse Relevanz hat. An den Protesten um den 13. Februar waren von Anfang an sehr unterschiedlich aufgestellte und ausgerichtete lokale und überregionale Bündnisse beteiligt, sodass dieses Konzept weiter unten noch einer ausführlicheren Betrachtung bedarf.
Aus der Kritik an der Nichtberücksichtigung von sozialen Konstruktionsleistungen der Beteiligten einerseits und der Ausblendung der politischen Rahmenbedingungen von Bewegungen andererseits in diesem Ansatz sind zwei weitere Paradigmen entstanden, die für vorliegende Arbeit wichtig sind: Der Ansatz des Framings und der der politischen Gelgenheitsstrukturen. Ohne den Framing-Ansatz ausführlicher zu diskutieren, wird er weiter unten noch einmal kurz angerissen, weil der gemeinsam hergestellte Interpretationsrahmen für die interne Solidarität bei den Protesten und damit auch die Abwehr der repressiven Strategie der Spaltung eine zentrale Rolle zu spielen scheint. Das Paradigma der politischen Gelegenheitsstrukturen wird im Gegensatz hierzu im Folgenden ausführlicher dargestellt werden, weil es die Möglichkeit bietet, die spezifischen Folgen der repressiven Maßnahmen anhand der konkreten Umweltbedingungen der Proteste zu erklären. Zwar wird in dem Kernansatz der Aktivität der Bewegung selbst, ihren Ressourcen und Konstruktionsleistungen nicht ausreichend Beachtung geschenkt, allerdings bietet seine Perspektive die Möglichkeit, diese Variablen ohne Schwierigkeiten in die Betrachtung zu integrieren.
Ein letztes zu nennendes Paradigma wäre das der structural strains, das in Europa bei der Untersuchung der Neuen Sozialen Bewegungen entstanden ist. Hier stehen wieder die strukturellen Voraussetzungen für soziale Bewegungen im Vordergrund, sodass der Ansatz, ähnlich wie bei dem der relativen Deprivation, für die Frage nach der Wirkung von staatlicher Repression kaum nutzbar erscheint.
2.2 Politische Gelegenheitsstrukturen
Der Politische-Gelegenheitsstrukturen-Ansatz wurde 1973 erstmals von Peter K. Eisinger entwickelt und seit Mitte der 80er zunehmend aufgegriffen und modifiziert. Dabei werden die Gelegenheiten in den Blick genommen, die eine konkrete gesellschaftliche Situation Akteur_innen bietet, auch wenn die sozio-ökonomischen Grundstrukturen gleich bleiben. So soll erklärt werden, warum am Kreuzungspunkt dieser Strukturen mit dem Mobilisierungspotential der Beteiligten soziale Bewegungen zu bestimmten Zeitpunkten aufkommen und zu anderen nicht. Sydney G. Tarrow nennt dies das Wann sozialer Bewegungen als Synthese des Warum strukturalistischer und des Wie individualistischer Ansätze.
Es geht also zunächst um die externen Umweltbedingungen von Bewegungen. Dem Staat als Hauptgestalter dieser Bedingungen und meistens auch Adressat von Forderungen kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu, aber auch Faktoren wie Gegenbewegungen oder konkurrierende Akteur_innen spielen eine Rolle. Dabei gibt es einige im Detail unterschiedliche Ausformulierungen des Konzepts, die jeweils versuchen, alle Ebenen der politischen Umwelt in wenigen klaren Kategorien zu fassen. Doch wie auch immer sie genau ausgestaltet sind, sind die Entwürfe relativ ähnlich aufgebaut.
Der vorliegenden Arbeit liegt das Konzept zugrunde, wie es von Tarrow ausgearbeitet wurde. Er war einer der ersten, der es umfassender systematisierte. Politische Gelegenheitsstrukturen werden von ihm definiert als „Dimensionen der politischen Umwelt, die Anreize für Menschen bieten, kollektive Aktionen durchzuführen, indem sie deren Erwartung über Erfolg oder Scheitern beeinflussen.“ Diese Strukturen existieren nicht unabhängig von Akteur_innen, sondern können von diesen direkt verändert werden, zum Beispiel indem Frühaufsteher_innen („early riser“, also Gruppen, die bereits aktiv sind, bevor eine Bewegung entsteht) die Verwundbarkeit von Eliten vorführen, neue Aktionsformen oder andere Beteiligungsmöglichkeiten eröffnen, neue Verbündete aktivieren oder institutionelle Barrieren aufstoßen. So können Aktionen durch sekundäre Effekte neue Gelegenheiten schaffen. Umgekehrt können dabei aber auch Möglichkeiten für Gegenbewegungen oder konkurrierende Gruppen aufgetan werden. Tarrow unterscheidet vier Dimensionen von Gelegenheitsstrukturen:
- Steigender Zugang zum politischen System. Gemeint ist hier eine Entwicklung der plötzlichen teilweisen Öffnung relativ geschlossener politischer Institutionen. Dabei stellt er grundsätzlich fest, dass eine Mischung aus offenen und geschlossenen Strukturen die besten Voraussetzungen für Protest bieten. Meist wird eine plötzliche Öffnung durch Wahlen bewirkt, wenn eine neue Regierung an die Macht kommt.
- Instabile Ausrichtung der Politik. Auch hier spielen in repräsentativ-demokratischen Staaten Wahlen die entscheidende Rolle, weil die Wechsel von Regierung und Opposition, sowie neue Koalitionen dazu führen können, dass Teile der Eliten nach neuen Unterstützer_innen suchen und dass außerparlamentarische Herausforder_innen ermutigt werden.
- Einflussreiche Verbündete. Diese können ressourcenärmere Verbündete vor Repression schützen oder als akzeptierte Verhandlungspartner_innen mit Eliten fungieren. Außerdem erhöhen sie die Wahrscheinlichkeit, dass Außenstehende sich mobilisieren lassen, weil die Erfolgschance für sie besser aussieht und die Risiken geringer sind. Vor allem für ressourcenschwache Gruppen sind einflussreiche Verbündete entscheidend.
- Uneinige Eliten. Eine Uneinigkeit gesellschaftlicher Eliten schafft einen Anreiz für soziale Bewegungen, indem sie die Möglichkeit eröffnet, Teile davon auf die eigene Seite zu ziehen. Diese können sich als „Volkstribune“ („tribunes of the people“) inszenieren und einflussreiche Verbündete werden.
Neben diesen variableren Gelegenheitsstrukturen identifiziert Tarrow noch stabilere Aspekte des politischen Systems, die für diese Arbeit wichtig sind. Diese sind vor allem in dem Konzept der Staatsstärke bzw. -schwäche zusammengefasst. Damit ist gemeint, dass zentralisierte Staaten oder solche mit effektiven politischen Strukturen die Tendenz haben, kollektive Akteur_innen entweder vollständig zu integrieren oder effektiv zu unterdrücken. Wenn der Staat Forderungen von sozialen Bewegungen umsetzt, werden diese eher zu konventionellen Protestformen zurückkehren, wenn er dies verweigert, wird es tendenziell zu gewaltförmigen Konfrontationen kommen, für die die Staatsmacht besser ausgerüstet ist. Dezentralen oder schwächeren staatlichen Strukturen fällt sowohl eine Umsetzung von Forderungen als auch die direkte Unterdrückung schwerer. Außerdem bieten sie mehr verteilte Angriffsziele und befördern durch diese Elemente längerfristige lokale Organisation. Dabei verführt das Konzept der Staatsstärke zu falschen Vereinfachungen: Diese ist nicht immer gleich, sondern variiert je nach beteiligten Gruppen, den Sektoren der Auseinandersetzung, der Reichweite von Forderungen, der Einigkeit der Eliten, wirtschaftlicher Situation, usw. Es besteht folglich ein komplexer Zusammenhang zwischen einzelnen Dimensionen sozialer Bewegungen, stabilerer staatlicher Struktur und wechselnden politischen Gelegenheiten. Demnach ist es sinnvoll, die einzelnen für eine soziale Bewegung relevanten Aspekte der Staatsstärke konkret in den Blick zu nehmen. Neben der Struktur des Parteiensystems ist dies vor allem Form und Ausmaß von Repression.
2.3 Repression
Ob staatliche Repression tatsächlich ein relativ stabiler Faktor politischer Strukturen ist, oder nicht doch variabler im Sinne politischer Gelegenheiten ist umstritten. Doug McAdam zieht in seinem Modell politischer Gelegenheitsstrukturen die beiden Dimensionen Uneinigkeit der Eliten und instabile Ausrichtung der Politik zusammen, um als vierte Variable die Fähigkeit und Bereitschaft des Staates zu Repression einzuführen. Unabhängig davon, wie konstant oder variabel die Repressionsneigung des Staates bewertet wird, kommt die Forschung doch zu ähnlichen Ergebnissen, weshalb diese Frage hier nicht weiter beschäftigen muss.
Charles Tilly definiert Repression zunächst basal als „jede Aktion einer anderen Gruppe, die die Kosten für kollektive Aktionen der Herausforderer erhöht.“ Auf Grundlage dieser relativ weit gefassten Definition können beispielsweise auch staatliche Delegitimierungskampagnen als Repression gefasst werden, da diese die Mobilisierung zu Protesten erschweren. Grundsätzlich werden repressive Maßnahmen wahrscheinlicher und intensiver, desto radikaler die Forderungen einer Bewegung sind und je autoritärer der entsprechende Staat ist. Dabei gibt es jedoch Teilaspekte autoritärer Staaten, die kollektive Aktionen fördern und umgekehrt auch in repräsentativen Staaten Mechanismen, die diese entschärfen.
Die systematische Unterdrückung von Protest in autoritären Regimen kann zum Beispiel Radikalisierungseffekte haben oder Gruppen zu effektiverer Organisation zwingen. Wenn keine institutionalisierten Kanalisierungen für Unzufriedenheit vorhanden sind, werden moderate und damit potentiell einbindbare Kritiker_innen leicht zu grundsätzlichen Regimegegner_innen. Außerdem bieten zentralisierte Strukturen klare und symbolträchtige Ziele, die die Mobilisierung erleichtern, sobald die Strukturen ins Wanken geraten. Sie bieten sich für starke Master Frames an und ermöglichen so eine breite Organisierung.
Repräsentative Staaten hingegen haben große Potentiale, entstandene soziale Bewegungen schnell wieder aufzulösen. Indem dort Kritik und Partizipation möglich ist, kann Protesten der Wind aus den Segeln genommen werden: Die dringendsten oder offensichtlichsten Probleme werden angegangen und gleichzeitig die Teile der Bewegung ausgeschlossen und diskreditiert, die weitergehende Forderungen stellen. Vor allem durch Wahlen werden Teile sozialer Bewegungen regelmäßig ins politische Establishment integriert, indem sie entweder eigene Parteien gründen oder versuchen, auf mit ihnen sympathisierende Parteien Einfluss zu nehmen. Die allgemeine Norm der institutionalisierten Konfliktbearbeitung kann folglich einzelne Forderungen oder ganze Bewegungen delegitimieren. Gegen radikalere Gruppen kann der Staat dann mit umfassender Repression vorgehen – wenn diese auch noch gewaltsam vorgehen oder als gewalttätig inszeniert werden, kann sich die staatliche Gewalt umso besser legitimieren. Festzuhalten bleibt, dass auch repräsentative Demokratien ein großes und teilweise brutales Repressionsrepertoire besitzen – und wenn sie sich gefährdet sehen, setzen sie es genauso ein wie autoritäre Staaten. Allerdings können sie dies durch kleinere Zugeständnisse, die Einbindung von Teilen der Bewegung und den Verweis auf formal-demokratische Spielregeln der Entscheidungsfindung wesentlich besser rechtfertigen.
Dabei lassen sich verschiedene Formen von Repression unterscheiden. Maßnahmen können entweder direkt bei kollektiven Aktionen ansetzen oder diese indirekt erschweren, indem sie die Kosten für ihre Voraussetzungen erhöhen: Dies kann z.B. durch Organisationsverbote, offene Überwachung oder die Beschlagnahmung von Informations- oder Mobilisierungsmaterial erreicht werden. Grundsätzlich ist diese Form der Repression effektiver als eine direkte Unterdrückung, aber auch schwieriger umzusetzen. Außerdem sind sowohl die finanziellen als auch die administrativen Kosten für den Staat höher. Darüber hinaus hat jede Form nicht-selektiver Repression, die sich also gegen alle potentiellen Akteur_innen sozialer Bewegungen gleichermaßen richtet, das Problem, dass sie auch konstruktive Kritik verstummen lässt und so die oben genannten befriedenden Effekte repräsentativer Staaten aushebeln kann. Eine weit verbreitete Form von Repression ist das Statuieren von Exempeln durch hohe Strafen. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde eine solche Abschreckung vor allem durch lange Haftstrafen versucht. Betrifft dies allerdings zu viele Menschen, kann der Staat auch an Legitimität verlieren, wie es beispielsweise bei den Bewegungen des zivilen Ungehorsams in den USA oder Indien der Fall war. In den letzten Jahrzehnten haben sich in westlichen Staaten daher weniger auffällige Regulationsformen durchgesetzt, die von Bewegungen schwerer zu skandalisieren sind. Als Beispiele hierfür wären eine Anmeldepflicht von Aktionen, die Veranstaltungsverbote ermöglicht, zu nennen oder erkennungsdienstliche Behandlungen mit der Speicherung von persönlichen Daten, Abgabe von Fingerabdrücken und neuerdings auch DNA-Proben, wie auch die kontinuierliche Verurteilung zu Geldstrafen. Diese Formen schrecken Akteur_innen nachhaltig ab, zermürben auf Dauer und vereinfachen die Kontrolle von Bewegungen, ohne diesen gute Vorlagen für neue Mobilisierungen zu liefern.
Johannes Raschke unterscheidet zwei Formen staatlicher Strategien zur Kontrolle sozialer Bewegungen: Abwehr- und Veränderungsstrategien. Bei Abwehrstrategien wird den beteiligten Gruppen meistens entweder Realitätssinn oder die Legitimität abgesprochen, um sie dann als „radikale Minderheiten“ darstellen zu können. Dabei ist die Anwendung staatlicher Gewalt vor allem begrenzt durch ihre Legitimierbarkeit: Wird sie in der Bevölkerung als willkürlich wahrgenommen oder hat eine Bewegung dort viel Rückhalt, kann sie Mobilisierungseffekte hervorrufen. Raschke hält fest, dass vor allem lang anhaltende und von geschlossenen Eliten getragene Repression gute Erfolgsaussichten hat, während „unvollständige“ Repression eher ambivalente Effekte hervorruft. Ist die Bewegung noch schwach, wird der Staat wahrscheinlich mit Ignoranz reagieren. Im Sinne repressiver Toleranz kann es sich ein starker Staat leisten, kollektive Aktionen zu tolerieren und gleichzeitig dafür sorgen, dass sie folgenlos bleiben, indem er einfach nicht auf sie reagiert, sie an nicht öffentlichkeitswirksame Orte verlegt, oder das Gespräch mit Akteur_innen verweigert. Wenn Bewegungen stärker werden oder ihre Folgenlosigkeit durch direkte Aktionen untergraben, funktioniert das Konzept in dieser Form nicht mehr. Dann wird die Reaktion eher aus einer Mischung aus Veränderung und Abwehr bestehen, wie sie weiter oben bereits dargestellt wurde. Veränderungsstrategien zielen eher auf den schon beschriebenen Effekt, Bewegungen zu integrieren und sie durch die Umsetzung von Teilforderungen zu neutralisieren. Zusammenfassend schreibt Raschke: „Am ungünstigsten für die Bewegung ist eine Abwehr-Strategie, bei der eine Status quo-Politik mit einer Repression der Bewegung verbunden wird.“ Doch selbst wenn diese Strategie mit kleineren Zugeständnissen verbunden wird, ist ihr Erfolg noch keineswegs sicher, wie sich an dem gewählten Beispiel zeigen wird.
2.4 Ressourcen-Mobilisierung und Koalitionsbildung
Der Ressourcen-Mobilisierung-Ansatz kann hierfür einen erklärenden Beitrag leisten. Zunächst geht es dabei wieder um die Frage, bei welchen sozialen Problemen eine erfolgreiche Mobilisierung gelingt. Die Antwort wird vor allem gesucht in festen Bewegungsorganisationen, die dazu in der Lage sind, die unterschiedlich verteilten Ressourcen von verschiedenen Akteur_innen zu mobilisieren, zu bündeln und gezielt strategisch einzusetzen. Da fraglich ist, inwiefern die um den 13. Februar herum agierenden Bündnisse überhaupt als Bewegungsorganisationen im Sinne solcher formalen Interessenorganisationen gefasst werden können und da zudem in der Literatur festgestellt wird, dass auch lose Vernetzungen von Gruppen dieselben Funktionen erfüllen können, brauchen Bewegungsorganisationen an dieser Stelle nicht weiter zu interessieren. Wichtig sind hier vor allem die Mechanismen der Koalitionsbildung, die ebenso eine Ressourcenbündelung ermöglichen und nicht nur wichtig für die Mobilisierung sind, sondern vor allem auch im Falle von Repression entscheidend zu deren Erfolg oder Misserfolg beitragen – auch wenn dieser Zusammenhang in der Literatur nicht systematisch berücksichtigt wird.
Unter Protestkoalitionen sollen hier freiwillige, relativ dauerhafte Verhandlungsarrangements von Akteur_innen verstanden werden, die unterschiedliche, aber vereinbare Ziele verfolgen und die getrennten Handlungsressourcen strategisch koordinieren. Bei solchen Akteurskonstellationen können Gruppen, die Zugang zu einer bestimmten Ressource haben, ausgleichen, dass andere bei dieser benachteiligt sind. Durch diesen Effekt der Bündelung ist eine Protestkoalition zu Aktionen in der Lage, die getrennte Gruppen alleine niemals leisten könnten.
Letztlich sind die Überlegungen des Ressourcen-Mobilisierung-Ansatzes unter dem Stichwort einflussreiche Verbündete in den Ansatz der politischen Gelegenheitsstrukturen integriert worden, allerdings etwas verändert und damit verflacht, weil mit einem allgemeinen Fokus auf Ressourcen auch Aspekte fokussiert werden können, die auf den ersten Blick nicht als Einflussreichtum verstanden werden würden, wie beispielsweise die Bereitschaft, sich auf direkte Konfrontationen mit der Polizei einzulassen oder Ähnliches. Mit diesem Blickwinkel können unterschiedliche Ressourcendimensionen als getrennte Kontinua betrachtet werden und so wechselseitige Vorteile für die Gruppen einer Protestkoalition gesehen werden, wo sonst nur der Vorteil von scheinbar ressourcen-armen sichtbar ist.
2.5 Framing
Für das dauerhafte Bestehen von Protestkoalitionen – gerade bei Zerreißproben, wie sie staatliche Repressionsmaßnahmen darstellen können – spielt dabei Framing eine wichtige Rolle. Damit ist im Anschluss an Erving Goffmann der Prozess des Konstruierens von kulturellen und sozialen Deutungsrahmen gemeint, die notwendig sind, um die eigenen Erfahrungen kognitiv zu organisieren. Im Kontext der Bewegungsforschung heißt das vor allem, Rahmen herzustellen, die gesellschaftlich anschlussfähig sind und es so ermöglichen, Menschen für kollektive Aktionen zu mobilisieren. Für den Erfolg einer Bewegung nehmen solche Konstruktions- und Darstellungsstrategien eine Schlüsselrolle ein, weil sie darüber entscheiden, ob wahrgenommene Probleme auch von anderen als solche interpretiert werden können. Dabei werden in der Regel drei Framing-Prozesse voneinander unterschieden. Beim diagnostic framing geht es zunächst um die Identifikation eines Problems und seiner Ursachen. Prognostic framing meint die Herstellung einer zumindest vagen Vorstellung von möglichen Lösungen für das Problem und mit motivational framing ist das Schaffen von Anreizen für die Beteiligten gemeint, z.B. durch Anerkennung bei einer Gruppe, erfahrene Solidarität oder moralische Aufwertung. Thomas Kern fügt diesen drei Formen noch eine wichtige vierte hinzu: memory framing bezeichnet bei ihm das Herstellen eines kollektiven Gedächtnisses einer Bewegung, das den Beteiligten eine Selbstverortung und Reflexion über einen längeren Zeitraum ermöglicht. Im klassischen Framing-Konzept können die Frames zwar bei verschiedenen beteiligten Gruppen unterschiedlich sein, aber je innerhalb derselben müssen alle Ebenen vorhanden und gut miteinander integriert sein. Empirische Untersuchungen ergeben hingegen, dass dies auch bei größeren Bewegungen keineswegs der Fall sein muss, sondern höchst unterschiedliche Interpretationsrahmen, die nur lose miteinander verbunden sind, nebeneinander existieren können und auch nicht unbedingt ein Rahmen für jede Dimension existieren muss.
Was jedoch eine gemeinsame Mobilisierung und Aktion verschiedener Gruppen und damit ihren Zusammenhalt und Erfolg wesentlich erleichtert, ist die Existenz eines sogenannten Master-Frames. Damit ist ein Rahmen gemeint, der über eine bestimmte Gruppen hinaus auch für andere an Relevanz gewinnt, weil er sich auf einem allgemeineren Niveau bewegt. Solche Rahmen sind vor allem für die Bildung von Protestkoalitionen zentral, weil sie gewissermaßen den gemeinsamen ideologischen Nenner darstellen, unter dem sich verschiedene Interessen finden und abstimmen können. Ist dieser auch noch an dominante kulturelle Traditionen anschlussfähig, kann er breite Bevölkerungsschichten mobilisieren. Gerade wenn einzelne Proteste sich zu Wellen ausweiten, die nicht mehr lokal gebunden sind, spielt meistens die Entwicklung eines neuen Master-Frames die entscheidende Rolle.
3. Die Proteste um den 13. Februar
3.1 Vorgeschichte der Massenproteste
Vor dem Hintergrund des beschriebenen theoretischen Rahmens sollen nun die Proteste um den 13. Februar beleuchtet werden. Bevor jedoch die Massenproteste seit 2010 und die umfassenden dagegen in Stellung gebrachten Repressionsmaßnahmen untersucht werden können, muss deren Vorgeschichte kurz dargestellt werden, um die vorhandenen Konstellationen verstehen und einordnen zu können.
Bereits unmittelbar nach den Angriffswellen vor allem englischer und US-amerikanischer Bomberstaffeln zwischen dem 12. und 15. Februar 1945 wurden diese von der nationalsozialistischen Führung propagandistisch ausgeschlachtet und der Grundstein für die zahlreichen Mythen und Lügen gelegt, die bis heute über die Angriffe existieren. In der DDR wurde daran von offizieller Seite angeknüpft, weil so vor dem Hintergrund des Kalten Krieges Stimmung gegen den imperialistisch-kapitalistischen Westen gemacht werden konnte. Seitdem wird bis heute alljährlich ein städtisches Gedenken auf dem Heidefriedhof begangen. In den 80er-Jahren wurde dann durch oppositionelle Friedensgruppen das Gedenken in der Innenstadt wiederbelebt und die Basis für das seither stattfindende abendliche stille Trauern an der Frauenkirche geschaffen.
1998 gab es den ersten Versuch von Neonazis, an das Gedenken durch eine selbständige Demonstration anzuschließen, allerdings scheiterten die nur 30 Beteiligten an der Polizei, die sie daran hinderte, an die Frauenkirche zu gelangen. Seit 1999 führten sie dann jedes Jahr eine angemeldete Demonstration durch, die bis 2002 auf über 1000 Teilnehmer_innen anwuchs. Seit 2004 wurden immer zwei Demonstrationen durchgeführt, eine am 13. Februar selbst und eine an dem vorangegangenen oder folgenden Wochenende. Zwischen 2005 und 2010 kamen schließlich (mit einer Ausnahme 2007) jährlich zwischen 4500 und 7000 Nazis aus ganz Europa nach Dresden, um an dem geschichtsrevisionistischen „Trauermarsch“ teilzunehmen. Die größte regelmäßig stattfindende Nazidemo Europas hatte sich etabliert.
Proteste gab es allerdings nicht erst gegen die Naziaufmärsche, sondern schon 1993 und 1995 gegen das entkontextualisierte Trauern um angebliche deutsche Opfer im Nationalsozialismus. Diese wurden damals jedoch in erster Linie von antideutschen und antinationalen Antifagruppen aus anderen Städten getragen. Seit 1996 wurde versucht, in der radikalen Linken Dresdens das Thema 13. Februar in die Diskussion zu bringen, sodass 1998 – in dem Jahr, in dem Neonazis erstmals eine eigene Versammlung am 13. Februar abhielten – erstmals Störaktionen bei der Kranzniederlegung an der Frauenkirche stattfanden. Bis 2003 wurden anschließend jedes Jahr aus dem Umfeld des Zusammenhangs venceremos Interventionen gegen das Gedenken und die Naziaufmärsche organisiert. In den Jahren 2004 bis 2007 wurden die Aktionen von überregionalen Antifabündnissen getragen. Inhaltlich blieb der Fokus auf den engen Zusammenhang zwischen bürgerlichem und neonazistischem Opfermythos gerichtet, der die Attraktivität von Dresden für die Naziszene ausmache. Auch die antifaschistischen Demonstrationen bekamen mehr Zulauf, sodass 2007 bereits bis zu 1500 Menschen an Blockadeversuchen teilnahmen, die durch ein massives Polizeiaufgebot größtenteils verhindert wurden. Doch bereits 2006 wurde der Naziaufmarsch erstmals durch eine Blockade von mehreren hundert Gegendemonstrant_innen gestoppt.
Zusätzlich formierte sich seit 2004 Protest der bürgerlichen Linken, der sich ausschließlich gegen die Naziaufmärsche richtete und bis 2009 jedes Jahr eine eigene Gegenveranstaltung durchführte, die jedoch nicht Blockaden zum expliziten Ziel hatten. Diese wurden von Anfang an von verschiedenen gewerkschaftlichen, religiösen und zivilgesellschaftlichen Gruppen getragen, später kamen auch noch größere Parteien wie DIE LINKE, SPD und Bündnis 90/Grüne hinzu. Im Vorfeld des 13. Februar 2009 gründete sich darüber hinaus das von bundesweiten eher bewegungsorientierten linksradikalen Strukturen getragene Bündnis No Pasaran, das den inhaltlichen Schwerpunkt vom Gedenken auf die Naziaufmärsche verlagerte und als Ziel ankündigte, diese zu blockieren. Die beiden Gegendemonstrationen brachten 2009 bereits über 10.000 Menschen auf die Straße, die Polizeistrategie verhinderte jedoch effektive Störungen des Naziaufmarsches. Aufbauend auf dieser Erfahrung fusionierten die Akteur_innen beider Bündnisse für die Vorbereitungen für 2010 in dem zivilgesellschaftlichen Blockadebündnis Dresden Nazifrei. No Pasaran hielt in der Auswertung explizit fest: „Eine Trennung zwischen zivilgesellschaftlichen und linksradikalen [sic] Protest darf es in Zukunft nicht geben.“ Trotzdem hielten sowohl bewegungsorientierte wie auch antideutsche Gruppen getrennte Mobilisierungen mit eigenen Schwerpunktsetzungen weiter aufrecht.
3.2 Intensivierung der Repression und Verhinderung des Aufmarsches
Repressive Maßnahmen gab es bereits vor 2010 unzählige. Die Altstadt wurde zur Sperrzone für linke Demonstrationen erklärt, Polizeieinheiten griffen Demonstrationen an, riegelten Versammlungen vollständig nach außen ab und nahmen zahllose Menschen in Gewahrsam und die Proteste selbst wurden öffentlich diffamiert. So bezeichnete die Dresdner CDU 2008 sogar die bürgerlichen Demonstrant_innen als „linke Chaoten“ – von den linksradikalen Aktivitäten ganz zu schweigen.
Nachdem sich nun jedoch abzeichnete, dass die Proteste eine neue Dimension erreichen würden, wurde seitens staatlicher Institutionen ein Strategiewechsel vollzogen. Schon seit 2004 gab es als Reaktion auf die internationale Wahrnehmung der Naziaufmärsche erste Versuche seitens der Stadt, ihr Gedenken von diesen abzugrenzen. 2009 wurde erstmals das Protokoll auf dem Heidefriedhof geändert, zusätzlich zum stillen Gedenken distanzierte sich die Oberbürgermeisterin von nun an in einer Rede von den zahlreich teilnehmenden Neonazis. Außerdem wurde die AG 13. Februar ins Leben gerufen, die seit 2010 jedes Jahr am 13. Februar eine Menschenkette um die Innenstadt durchführt, in der sie das Gedenken an die deutschen Opfer mit einem niedrigschwelligen Protest gegen „Extremisten“ verbindet, die den Tag missbrauchen würden. Seither wird auch in offiziellen Äußerungen zur Bombardierung auf deren nationalsozialistische Vorgeschichte verwiesen.
Gleichzeitig wurde der Repressionsdruck erhöht, indem der Aufruf von Dresden Nazifrei als „Aufruf zu Straftaten“ gewertet und das Blockadebündnis kriminalisiert wurde. So wurden im Vorfeld Hausdurchsuchungen in Dresden und Berlin durchgeführt und das Mobimaterial von Dresden Nazifrei und No Pasaran fast vollständig beschlagnahmt, sowie die Domain des Bündnisses gesperrt. Davon unbeeindruckt wurden unmittelbar darauf breit öffentlich angekündigte Plakatieraktionen durchgeführt und die Maßnahmen hatten eher einen Mobilisierungseffekt für die Proteste: Am 13. Februar belagerten mehr als 10.000 Menschen den Aufmarschort der Neonazis von allen Seiten, sodass es nur ein Bruchteil dieser überhaupt zur Auftaktkundgebung schaffte. Brennende Barrikaden und Auseinandersetzungen zwischen militanten Antifas, Neonazis und der Polizei im weiteren Umfeld der Blockaden taten ihr Übriges, damit die Polizeikräfte sich nicht in der Lage sahen, diese zu räumen und den Neonazimarsch abzusichern. Nachdem die Stadt zunächst versuchte, die Verhinderung als Erfolg der in einem anderen Stadtteil stattfindenden Menschenkette zu verbuchen, musste sie schnell wieder zurückrudern.
Dresden Nazifrei hatte sich im Vorfeld als kleinsten gemeinsamen Nenner auf einen Aktionskonsens für die Blockaden geeinigt: „Wir leisten zivilen Ungehorsam gegen den Naziaufmarsch. Von uns geht dabei keine Eskalation aus. Unsere Massenblockaden sind Menschenblockaden. Wir sind solidarisch mit allen, die mit uns das Ziel teilen, den Naziaufmarsch zu verhindern.“ In diesem stecken alle zentralen Elemente der Aktionen. Es geht um zivilen Ungehorsam, von dem keine Eskalation ausgeht. Was jedoch passiert, wenn die Polizei die Lage eskaliert, wird nicht gesagt, was Unsicherheit für gewalttätige Polizeimaßnahmen schafft. Dass die Blockaden ausschließlich Menschen- und keine Materialblockaden sind, senkt die Teilnahmeschwelle, weil es sie einschätzbar macht und eine Eskalation unwahrscheinlicher erscheinen lässt. Zuletzt wird allen die Solidarität erklärt, die das Ziel teilen, den Aufmarsch zu verhindern – über die Mittel ist damit nichts gesagt und damit jeder Strategie der Spaltung von vornherein eine Absage erteilt.
Nachdem die Staatsanwaltschaft jedoch mit dem Vorwurf des Aufrufs zu Straftaten gescheitert war, wurden härtere Register gezogen: Ein Ermittlungsverfahren wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ nach §129 StGB wurde eröffnet. Ein solches Verfahren eröffnet den Behörden den Zugriff auf fast alle Überwachungsmaßnahmen, die der deutsche Staat zu bieten hat. Bis heute wurden mit Bezug auf den 13. Februar in verschiedenen Verfahrenskomplexen über vierzig Beschuldigte geführt, gegen mindestens 25 von ihnen dauern die Ermittlungen an. Die durchgeführten Maßnahmen reichen von Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) – also dem Mitschneiden von jeglichem Telefon- und Internetverkehr – über Hausdurchsuchungen bis zu direkten Observationen. All dies ist nicht nur bei Beschuldigten legal, sondern auch für Personen, die nur mittelbar über Andere Kontakt zu diesen haben. Damit ist es der Polizei im Prinzip möglich, die komplette Dresdner Linke zu überwachen. So wurden die Maßnahmen in den folgenden Jahren fortgeführt. Am 19. Februar 2011 setzte die Polizei auf eine Strategie der harten Hand und eskalierte damit die Lage vollständig. Über Stunden kam es im Bereich der Südvorstadt zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Gegendemonstrant_innen und der Polizei, während an anderer Stelle wieder Massenblockaden durchgeführt wurden. Am Abend stürmte ein Sondereinsatzkommando der Polizei das Pressebüro von Dresden Nazifrei, beschlagnahmte sämtliche Technik und verhaftete alle anwesenden Personen, um mit ihnen erkennungsdienstliche (ED-) Behandlungen durchzuführen – also Fingerabdrücke, Fotos und persönliche Daten aufzunehmen. Rund um den 13. und 19. Februar wurden durch Funkzellenabfragen (FZAs) mehr als eine Millionen Handydaten an verschiedenen Orten in Dresden gesammelt. Es wurden 70 Verfahren gegen Sitzblockierer_innen und circa 60 wegen „(schwerem) Landfriedensbruch“ eröffnet. Außerdem wurde der „Mahngang Täterspuren“, mit dem der Trauer um angebliche deutsche Opfer ein Aufzeigen von NS-Täter_innen entgegengesetzt werden sollte, faktisch verboten. Eine Hausdurchsuchungswelle in über 20 Büro- und Privaträumen im April 2011 wurde von einer umfangreichen staatlich inszenierten Medienkampagne gegen „linke Gewalttäter“ begleitet. Im Nachgang wurde ein nicht vorbestrafter Familienvater aus Berlin in einem Indizienprozess, der bundesweit für Skandalschlagzeilen sorgte, zu 20 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt, weil er die Menge zu Straftaten aufgewiegelt haben soll. Der Richter begründete das harte Urteil explizit mit einem erhofften Abschreckungseffekt.
Trotz dieser Dimension der Repression gelang es Dresden Nazifrei in den Folgejahren, sich zu etablieren und auch vonseiten der Stadt mehr Akzeptanz zu erhalten. So wurde der ehemals verbotene Mahngang Täterspuren 2014 offiziell von der Stadt beworben und nachdem ihm jahrelang mit einer Mischung aus Repression und Ignoranz begegnet wurde soll es in den Vorbereitungen für 2015 erstmals direkte Gespräche zwischen dem Bündnis und der Stadt Dresden geben. Auch Dresdner Bürger_innen beteiligen sich immer häufiger an Blockadeaktionen, sodass bereits mehrfach auch unter der Woche mehrere tausend Teilnehmer_innen mobilisiert werden konnten – auch wenn dies, wie die Autor_innengruppe „Dissonanz“ feststellt, nur „auf Kosten einer Kritik am geschichtsrevisionistischen Gedenken in Dresden“ gelang. Darüber hinaus hatte der Erfolg überregionale Ausstrahlung. Bundesweit gründeten sich seither Blockadebündnisse mit ähnlichem Namen und Aktionskonsens. Das Konzept von massenhaften Menschenblockaden gegen Naziaufmärsche wurde zwar in Dresden nicht zum ersten Mal angewandt, doch sein Erfolg unter den widrigen sächsischen Bedingungen hat ihm eine weitreichende Resonanz beschert.
Warum die umfassenden Repressionsmaßnahmen es in diesem Fall nicht vermochten, die Proteste zu unterbinden oder zumindest erheblich zu beeinträchtigen, muss im Folgenden untersucht werden. Vorher bleibt jedoch noch kurz die Frage zu klären, inwiefern sie überhaupt als soziale Bewegung gefasst werden können, und woran man damit verbunden ihren Erfolg oder Misserfolg messen könnte.
3.3 Die antifaschistischen Proteste als soziale Bewegung
Auf den ersten Blick erscheint es unklar, ob sich die Proteste als soziale Bewegung fassen lassen. Jedenfalls besetzen sie keine klassischen Themen sozialer Bewegungen wie soziale Ungleichheit, Krieg, Umwelt oder ausgeschlossene soziale Gruppen. Auch geht es auf den ersten Blick nicht um Forderungen an den Staat, wie es sonst bei Bewegungen typisch ist. Raschke definiert eine soziale Bewegung zunächst annähernd als „kollektive[n] Akteur, der in den Prozess des sozialen Wandels eingreift.“ In diesem allgemeinen Sinne und ohne sozialen Wandel näher zu bestimmen ist das in dem gewählten Beispiel eindeutig der Fall. Um das Feld jedoch klarer einzugrenzen schreibt er weiter, der Akteur verfolge mit einer gewissen Kontinuität das Ziel, „grundlegenderen sozialen Wandel herbeizuführen, zu verhindern oder rückgängig zu machen.“
Die Frage des grundlegenderen sozialen Wandels macht die Sache etwas schwieriger. Für die radikale Linke lässt sie sich trotzdem recht simpel beantworten. Antifagruppen gehen in den seltensten Fällen in reiner Anti-Nazi-Arbeit auf. Im Gegenteil stehen fast immer auch die gesellschaftlichen Bedingungen in der Kritik, die den Nährboden für deren Ideologien darstellen: Vor allem der bürgerliche Nationalstaat und die kapitalistische (Re-) Produktionsweise der Gesellschaft. Im Falle der Aufmärsche in Dresden spielten dabei vorrangig die Ausblendung oder Verdrehung der nationalsozialistischen Vergangenheit, auch bei Repräsentant_innen des Staates, eine wichtige Rolle. Teile der Gruppe venceremos nennen rückblickend auch die Abschaffung des öffentlichen Gedenkens als (nicht erreichtes) Ziel, sehen es aber durchaus als Erfolg, dass ein entkontextualisierter Bezug auf die Bombardierung und das Verbreiten der klassischen Mythen über Dresden nicht mehr ohne Weiteres möglich ist – auch wenn dabei für sie alte Probleme bestehen bleiben und neue entstanden sind.
Für die Gruppen des No Pasaran-Bündnisses ließe sich das ähnlich formulieren, auch wenn sich dort der Hauptfokus stärker auf die konkrete Verhinderung des Naziaufmarsches richtete. Unter anderem bei dem schon genannten Ziel, keine Trennung von zivilgesellschaftlichem und linksradikalem Protest mehr zuzulassen, wurde sicherlich ein überregional ausstrahlender Wandel erreicht – ebenso wie bei einem neuen Anstoß zur breiteren Diskussion über die Legitimität zivilen Ungehorsams und insbesondere von Massenblockaden als direkten Aktionen.
Etwas schwieriger ist die Antwort bei einer ausschließlichen Fokussierung auf den Naziaufmarsch, wie dies vor allem bei Dresden Nazifrei anfangs der Fall war. Allerdings hilft hier die Formulierung der Verhinderung von grundlegendem sozialen Wandel weiter: Wenn in dem Aufruf für 2010 postuliert wird, „nie wieder werden wir wir den AnhängerInnen des verbrecherischen Nazi-Regimes unsere Städte überlassen!“, dann ist dies ein eindeutiger Hinweis in diese Richtung.
Zusammenfassend lassen sich die Proteste also durchaus als soziale Bewegung fassen. Wie dies für Bewegungen typisch ist, vertreten die Akteur_innen dabei teilweise heterogene Ziele, die jedoch alle auf die ein oder andere Weise auf sozialen Wandel zielen. Der auch bei No Pasaran und Dresden Nazifrei eine wichtige Rolle spielende Zusammenschluss „Interventionistische Linke“ konstatiert rückblickend gar, das Feld Antifaschismus sei „in den letzten dreißig Jahren zu einer der zentralen linken sozialen Bewegungen geworden.“
4. Die Wirkung von Repression am Beispiel der antifaschistischen Proteste
Zum Abschluss soll versucht werden, die diskutierten theoretischen Konzepte an dem gewählten Beispiel zu prüfen. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, warum die umfassenden repressiven Maßnahmen ihr Ziel verfehlten, die antifaschistischen Proteste zu unterbinden oder zumindest nachhaltig zu schwächen – unabhängig von den zum Teil drastischen Folgen, die sie für die direkt betroffenen Personen bedeuten.
Wenn zunächst die stabileren Bedingungen in den Blick genommen werden, die unter dem Konzept der Staatsstärke vorgestellt wurden, ergibt sich ein ambivalentes Bild. Sicherlich ist die Bundesrepublik Deutschland ein repräsentativ-demokratischer Rechtsstaat, der zudem föderal organisiert ist. Da jedoch Polizei und Justiz Ländersache sind, ist die sächsische Ebene für das Thema Repression maßgeblich. Für Versammlungen und das offizielle Gedenken spielt hingegen die Stadt Dresden die entscheidende Rolle. Nun ergibt sich hierbei die besondere Situation, dass sowohl die Stadt Dresden als auch das Land Sachsen seit der Wiedervereinigung ausschließlich CDU-regiert sind. Dies hebelt einige Aspekte aus, die normalerweise in Demokratien für einen Interessenausgleich sorgen sollen. Wenn in 25 Jahren kein einziger Regierungswechsel stattfindet, schränkt dies den Raum für politische Veränderungen erheblich ein und sorgt für eine relativ homogene Durchsetzung der staatlichen Verwaltungsstrukturen, wie sie beispielsweise in den (letztlich verhinderten) Ermittlungen zum sogenannten Sachsensumpf zum Ausdruck kamen. Die Kampangne Sachsens Demokratie schreibt unter Auflistung zahlreicher Vorfälle im Kontext antifaschistischer Proteste von einem „Klima der Konfliktscheuheit“, in dem kein Raum für politische Auseinandersetzung gegeben werde und nur „ganz wenig Freiheit“ für diejenigen bestehe, die politische Veränderungen forderten. Festzustellen ist jedenfalls, dass zum Beispiel der Effekt der Befriedung durch eine Einbindung in staatliche Institutionen nur mangelhaft funktioniert, wenn die Opposition ohnehin nie an die Regierung kommt. Für eine Umsetzung von Teilforderungen sieht das Bild ähnlich aus. So werden moderate Kritiker_innen sicherlich nicht gleich zu Regimegegner_innen, wie das in autoritären Staaten der Fall ist, aber ihre Befriedung fällt schwerer. Auf der anderen Seite sind auch die Stadt- und Landesregierung darauf angewiesen, ihre Maßnahmen bei ihren Anhänger_innen zu legitimieren und insofern in ihrem repressiven Handlungsspielraum begrenzt. So lassen sich die Protokolländerungen auf dem Heidefriedhof oder die Initiierung der Menschenkette durchaus als Zugeständnisse werten, mit der den Protesten einerseits entgegengekommen wurde und die ihnen andererseits auch Legitimität abziehen sollte. Gleichzeitig wurde diese Strategie der Veränderung von einer Strategie der Repression begleitet, die aus unterschiedlichen Gründen nicht aufging.
Dazu sollen zunächst die vier Dimensionen politischer Gelegenheitsstrukturen in den Blick genommen werden. Ein steigender Zugang zu Institutionen ist in dem relevanten Zeitraum keineswegs zu beobachten, allerdings lässt sich die besondere sächsische Situation durchaus als eine solche Mischung aus offenen und geschlossenen Strukturen beschreiben, die nach Tarrow die grundsätzliche Wahrscheinlichkeit für das Entstehen sozialer Bewegungen erhöht. Von einer instabilen Ausrichtung der Politik kann bei 25 Jahren Regierung durch die selbe Partei ebenso wenig die Rede sein. Anders sieht es jedoch bei uneinigen Eliten und einflussreichen Verbündeten aus. Zunächst läge nahe, den Faktor uneinige Eliten mit Verweis auf die genannten sächsischen Zustände ebenso abzuweisen. Raschke nennt allerdings als Beispiele für solche Eliten etablierte liberale und gewerkschaftliche Organisationen. Ob man diese nun als Teil gesellschaftlicher Eliten fasst, oder schlicht als einflussreiche Verbündete, macht letztlich keinen Unterschied; das Bündnis mit etablierten Gewerkschaften, Parteien und Organisationen war sicherlich einerseits ein wichtiger Faktor für das schnelle Anwachsen der Bewegung, sowie andererseits auch für die Abwehr der Repression. Dass sich gerade auch die Oppositionsparteien als „tribunes to the people“ darstellen konnten – zumindest für den Teil der Bevölkerung, der sich von der sächsischen CDU nicht repräsentiert fühlt – erhöhte sicher ebenso die Motivation für deren Engagement.
Die repressiven Maßnahmen setzten tatsächlich auf den beiden beschriebenen Ebenen an – Untergrabung von Voraussetzungen der Mobilisierung und direkt bei Aktionen. So wurde Mobilisierungsmaterial beschlagnahmt, wurden Menschen offen überwacht, Versammlungen im Vorhinein verboten, es wurden durch hohe Haftstrafen Exempel statuiert und Medienkampagnen gegen „linke Gewalttäter“ inszeniert, wie auch weniger auffällige Repressionsformen genutzt wie ED-Behandlungen, Hausdurchsungen, unzählige Strafbefehle über Bußgelder oder die massenhafte Auswertung von Handydaten. Gleichzeitig wurden auch die direkten Formen ausgeschöpft mit Schlagstock- und Pfeffersprayeinsätzen oder Wasserwerfern bei Minusgraden.
Jedoch war der Zeitpunkt, an dem die staatlichen Institutionen von einer Strategie der repressiven Toleranz bzw. Ignoranz gegen die noch schwachen „early riser“ aus dem venceremos-Zusammenhang zu einer Mischung aus kleinen Veränderungen und massiver Repression wechselte, zu spät gewählt. Es hatte sich bereits ein heterogenes Bündnis gegründet, das das explizite Ziel verfolgte, sich nicht spalten zu lassen. Dem spielte zusätzlich in die Hände, dass die Repression sich nicht nur gegen die radikaleren Teile der Bewegung wandte, sondern von Beginn an auch moderatere Gruppen einschloss, wie der Versuch der Unterbindung der Moblisierung von Dresden Nazifrei oder die letztlich gescheiterten Prozesse gegen Sitzblockierer_innen – unter ihnen beispielsweise Landtagsabgeordnete der LINKEN – anschaulich machen. Ebenso in dieser Reihe zu nennen wäre der Skandalprozess gegen den Jenaer Stadtjugendpfarrer Lothar König wegen „aufwieglerischem Landfriedensbruch“, der mittlerweile eingestellt werden musste.
Wenn Raschke feststellt, dass lang anhaltende und von geschlossenen Eliten getragene Repression sehr gute Erfolgsaussichten hat, dann liegt ihr Scheitern aber in diesem Fall nicht ausschließlich an Fehlern seitens der Behörden. Auch bestimmte Aspekte der Protestkoalitionen und des Framings spielten dabei eine große Rolle. So hatten die an Dresden Nazifrei beteiligten Gruppen ausgesprochen heterogene Ressourcen zur Verfügung. Die radikaleren Akteur_innen beispielsweise brachten einige Erfahrungen in der Konfrontation mit Polizeikräften mit, die auf der Straße notwendig waren, um die missliebigen Blockaden zu errichten und gegen Angriffe der Polizei zu halten. Die etablierteren Kräfte hingegen konnten vor allem die diskursiven Angriffe abwehren und auch bei den oft teuren Strafverfahren im Nachhinein unterstützen. Die Kontakte zu überregionalen Medien führten beispielsweise dazu, dass die „Hofberichterstattung“ der Dresdner lokalen Medien immer wieder korrigiert werden musste und Druck auf die Landesregierung ausgeübt wurde.
Dass die Koalitionen jedoch standhielten, obwohl immer wieder von massenmedialer oder staatlicher Seite eine Distanzierung eingefordert wurde, ist vor allem dem starken Master-Frame geschuldet, der mit dem Aktionskonsens explizit ausformuliert wurde. Dieser ist so allgemein gehalten, dass sich ihm unterschiedlichste Akteur_innen anschließen können, ohne dabei ihre eigenen Inhalte aufgeben zu müssen. Durch den Bezug auf zivilen Ungehorsam schafft er eine breite kulturelle Anschlussfähigkeit für alle, die sich mit demokratischen Kämpfen wie der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung verbunden fühlen. Ein zentraler Bestandteil ist die Solidarität mit allen, die das Ziel der Verhinderung des Naziaufmarsches teilen. Da dies bereits vor Beginn der Repressionswellen als Konsens bestand, hatten es die staatlichen Institutionen schwer, radikalere Kräfte zu isolieren und zu delegitimieren. Dass sich die Maßnahmen – wenn auch in unterschiedlicher Intensität – tendenziell gegen alle an den Blockaden beteiligten Akteur_innen richtete, tat sein Übriges.
Ines Wallrodt fasste diese für die Abwehr der Repression wichtigen internen und externen Komponenten bereits 2012 folgendermaßen treffend zusammen:
„Das gewachsene Vertrauen der Bündnispartner wie auch ihre Konzentration auf das gemeinsame Ziel erwiesen sich nach den Demonstrationen im vergangenen Jahr. Trotz der hartnäckigen Strafverfolgung, Wasserwerfern und Pfefferspray und obwohl am 19. Februar 2011 nicht nur Menschen mit ihren Körpern blockiert, sondern auch Barrikaden gebrannt haben, ist der Kreis nicht auseinandergebrochen. Das ist wohl auch den sächsischen Behörden zu verdanken, die mit flächendeckender Überwachung, Ramboüberfällen auf linke Büros und vielen Rechtswidrigkeiten mehr den Bogen weit überspannten und deshalb zu Recht die Empörung auf sich gezogen haben. Die gesellschaftliche Breite des Bündnisses ist auch Grundlage dafür, dass Kriminalisierung und Repression nicht nur solidarisch beantwortet wurden, sondern sogar zur Mobilisierung beitragen konnten.“
5. Fazit
Wie in der Arbeit gezeigt werden konnte, liefern die verschiedenen Paradigmen der sozialen Bewegungsforschung einen breiten Begriffsapparat, mit dem auch die verschiedenen Aspekte der antifaschistischen Proteste in Dresden gut erfasst werden können. Nach den gängigen Variablen der Theorie politischer Gelegenheitsstrukturen waren die Voraussetzungen für einen Erfolg der staatlichen Repression denkbar gut. Es wurde die These vertreten, dass sie trotz dessen ihr Ziel deshalb verfehlte, weil eine effektive Polarisierung der Öffentlichkeit und damit verbundene Legitimierung von umfassender Repression bei konsequenter gegenseitiger Solidarität der Akteur_innen nicht funktioniert. Das bedeutet, dass für die Frage der Wirkung von Repression die Aktivität der Bewegung selbst mehr Beachtung verdient. Ohne Frage üben externe Faktoren einen wichtigen Einfluss aus, die Mechanismen der Bildung von Protestkoalitionen und des Framings spielen jedoch eine ebenso bedeutende Rolle. Repression gegen eine starke soziale Bewegung kann diese nur dann zerschlagen, wenn die Beteiligten sich auf eine staatlich forcierte Spaltung einlassen. Hält sie zusammen, übt gegenseitig praktische Solidarität und wehrt sie diese mit den gemeinsam zur Verfügung stehenden Ressourcen ab, ist sie demgegenüber wesentlich widerstandsfähiger.
In der vorliegenden Arbeit konnte diese These jedoch nur schlaglichtartig plausibilisiert werden. Wie groß die Rolle der internen Solidarität tatsächlich ist, müsste in größeren empirischen Studien untersucht werden. Die zahlreichen anderen seit 2010 entstandenen Nazifrei-Bündnisse könnten hierfür das Material liefern.
Darüber hinaus konnten einige weitere Aspekte in diesem begrenzten Rahmen nicht weiter berücksichtigt werden, die durchaus noch zur Erhellung des Sachverhalts hätten beitragen können. Unter dem Stichwort „die soziale Konstruktion der Barrikade“ beschreibt Tarrow unter anderem interne Funktionen, die der gemeinsame Kampf an der Barrikade im 19. Jahrhundert erfüllte. Dabei geht es auch um Stärkung der Solidarität durch die gemeinsam gemachten Erfahrungen. Ähnliches ließe sich sicher auch bei Massenblockaden beobachten – erst recht wenn diese direkt von Polizeieinheiten angegriffen oder Mitblockierende im Nachhinein vor Gericht gestellt werden. Allgemein wäre noch zu klären, welche Effekte das in Deutschland noch relativ neue Mittel der massenhaften Menschenblockaden hat, auch auf Reaktionen des Staates, der damit wesentlich weniger Erfahrungen hat als im Umgang mit konventionellen Demonstrationen oder Materialblockaden.
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- Quote paper
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