Jürgen Habermas (*1929) als herausragender deutscher Philosoph und Denker hat sich in der Periode zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung intensiv mit der Problematik der Wiedervereinigung seines Landes beschäftigt. Das war nicht das erste Mal, dass er sich in der öffentlichen Debatte eingemischt hat, wie beispielsweise 1986 im sogenannten Historikerstreit: Er „kritisierte zeitgenössische deutsche Historiker, die den Nationalsozialismus mit dem Stalinismus auf eine Stufe stellten und damit aus seiner Sicht die Verbrechen der NS-Zeit insofern relativierten, als die den Nazi-Terror entweder als Antwort auf den sowjetischen Gulag oder als antibolschewistisches Pendant dazu betrachten“. Im Verlauf der Wiedervereinigung und später kritisierte er die Regierung Kohl scharf über die Art und Weise, wie der Einigungsprozess geführt wurde. „Die Einigung sei von Kohl und anderen als ein reiner Verwaltungsakt betrachtet worden und nicht als ein normativ gewollter Akt der Bürger beider Staaten, die sich politisch selbstbewusst zu einer gemeinsamen Staatsbürgernation zusammenschließen“. Damit wollte Habermas selbstverständlich nicht die Wiedervereinigung an sich kritisieren; seine Kritik richtete sich vielmehr gegen den Modus und „gegen die Unterschätzung und Ausdünnung jenes politisch-kulturellen Polsters, in das der demokratische Rechtsstaat eingebettet sein muss, um stabil zu bleiben“. Diese von Jürgen Habermas geübte Kritik am Modus des Einigungsprozesses vom Bundeskanzler Helmut Kohl soll nun in der vorliegenden Arbeit untersucht werden.
Im ersten Teil der Arbeit werden die historischen Ereignisse der Wiedervereinigung und die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten der Wiedervereinigung untersucht. Dabei soll der Schwerpunkt insbesondere auf der Einigungsstrategie der Bundesregierung durch den Art. 23 des Grundgesetzes und Habermas Kritik an dieser Vorgehensweise als einen „Anschluss“ der DDR von der BRD gelegt werden. Im Anschluss daran sollen die von Habermas vorgeschlagenen Alternativen zum von der Bundesregierung geplanten Einigungsprozess untersucht werden: Eine Konföderation deutscher Staaten und die Einigung durch den Art. 146 des Grundgesetzes im Zusammenhang mit den beiden Begriffen Republikanismus und Verfassungspatriotismus.
Inhaltsverzeichnis
I Einleitung
II Historische und verfassungsrechtliche Hinführung
A Von der friedlichen Revolution zur Wiedervereinigung Deutschlands (1989-1990)
B Die Wege zur Wiedervereinigung : Das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes und die politische Flexibilität seiner Durchsetzung
1 Das Wiedervereinigungsgebot der Präambel des Grundgesetzes
2 Die Artikeldebatte für die Wiedervereinigung : Art. 23 oder Art. 146 des Grundgesetzes ?
III Die erste Alternative der Wiedervereinigung Habermas : Die Konföderation deutscher Staaten
A Die erste Alternative von Habermas : Eine nationale Konföderation deutscher Staaten
B Oktober 1989-Februar 1990 : Die unmögliche Konföderation
IV Die zweite Alternative der Wiedervereinigung Habermas : Die Durchsetzung des Art. 146 GG
A Jürgen Habermas : Kritiker der Regierung Kohls und des Art. 23 GG, Befürworter des Art. 146 GG
B Der Art. 23 GG oder die unmögliche Berliner Republik
C Die Wiedervereinigung : Die gescheiterte Gelegenheit zur Begründung einer deutschen Identität im Verfassungspatriotismus
V Fazit
VI Abbildungen
VII Literaturverzeichnis
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