Einleitung
Die vorliegende Hausarbeit hat die Zielsetzung zu untersuchen, inwiefern neuere kriminalbio-logische Ansätze aus der Verhaltensgenetik, Psychologie und Soziobiologie in der Lage sind, Antworten auf die Frage zu geben, wovon delinquentes Verhalten ursächlich abhängt: von der genetischen Anlage oder den Umweltbedingungen. Die aus der Wissenschaftsgläubigkeit des 19. Jahrhunderts entstandene Kriminalbiologie glaubte mit empirisch-positiven Methoden das Wesen der Verbrecherpersönlichkeit herausfinden zu können. Die Untersuchung krimineller Personen vollzog sich in den jeweiligen Epochen anhand der vorherrschenden wissenschaftlichen Mittel. Die Vorstellung des Veroneser Arzt C. Lombroso, den geborenen Verbrecher anhand von wenigen physiologischen Merkmalen festmachen zu können, schien zu Beginn des 20. Jahrhunderts ad acta gelegt zu sein. Bis heute ist allerdings immer wieder ein Aufflammen biokriminologischer Theorien evident, die jeweils durch Fortschritte in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen wie der Biologischen Psychologie, der Hirnforschung oder der Verhaltensgenetik inspiriert werden. Auch in den Sozialwissenschaften zeigt sich eine wachsende Bereitschaft seit den siebziger Jahren, biologische Grundlagen in die Erklärung menschlichen Verhaltens mit einzubeziehen, in der Entwicklung der Soziobiologie. Sie erlebte ihren vorläufigen Höhepunkt in Edward O. Wilsons Standartwerk „Sociobiology – The new Synthesis“ (1977). Dass sie auch in Deutschland eine wachsende Zahl von Anhängern findet, zeigt sich alleine schon anhand der in jüngster Zeit erschienenen Einführungsbücher zum Thema. Kriminalbiologische Theorien erzielen auch darum immer wieder eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit, weil sie durch die Behauptung, Kriminalität sei angeboren und stecke im Wesen des Menschen, mythische Ängste vor einer die zivilisierte Welt bedrohenden Macht erzeugen. Mit ihrer Vorstellung vom geborenen Verbrecher wirken kriminalbiologische Ansätze deshalb so provozierend, da sie sowohl dem Menschen den freien Willen absprechen, als auch Einflüsse des sozialen Milieus negieren. Es entsteht ein ,therapeutischer Nihilismus’: Verbrechen ist Schicksal, an dem nichts zu verändern ist...
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Überblick über die Geschichte der Kriminalbiologie
2.1 Die Entstehung der Kriminalbiologie in der anthropologisch- positiven Schule des 19. Jahrhunderts
2.2 Die Rolle der Eugenik in der Weimarer Republik
2.3 Die Kriminalbiologie als staatstragende Doktrin im Dritten Reich
2.4 Die Entwicklung der Kriminalbiologie nach
3. Neuere kriminalbiologische Konzepte
3.1 Die Evolutionstheoretische Sichtweise der Humansoziobiologie
3.2 Genetische Annahmen: Die Zwillings- und Adoptionsforschung
3.3 H.J. Eysenck: Persönlichkeitstypologischer Ansatz
3.4 Biochemische Annahmen
4. Diskussion der dargestellten Ansätze
5. Resümee
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die vorliegende Hausarbeit hat die Zielsetzung zu untersuchen, inwiefern neuere kriminalbiologische Ansätze aus der Verhaltensgenetik, Psychologie und Soziobiologie in der Lage sind, Antworten auf die Frage zu geben, wovon delinquentes Verhalten ursächlich abhängt: von der genetischen Anlage oder den Umweltbedingungen.
Die aus der Wissenschaftsgläubigkeit des 19. Jahrhunderts entstandene Kriminalbiologie glaubte mit empirisch-positiven Methoden das Wesen der Verbrecherpersönlichkeit herausfinden zu können. Die Untersuchung krimineller Personen vollzog sich in den jeweiligen Epochen anhand der vorherrschenden wissenschaftlichen Mittel. Die Vorstellung des Veroneser Arzt C. Lombroso, den geborenen Verbrecher anhand von wenigen physiologischen Merkmalen festmachen zu können, schien zu Beginn des 20. Jahrhunderts ad acta gelegt zu sein. Bis heute ist allerdings immer wieder ein Aufflammen biokriminologischer Theorien evident, die jeweils durch Fortschritte in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen wie der Biologischen Psychologie, der Hirnforschung oder der Verhaltensgenetik inspiriert werden. Auch in den Sozialwissenschaften zeigt sich eine wachsende Bereitschaft seit den siebziger Jahren, biologische Grundlagen in die Erklärung menschlichen Verhaltens mit einzubeziehen, in der Entwicklung der Soziobiologie. Sie erlebte ihren vorläufigen Höhepunkt in Edward O. Wilsons Standartwerk „Sociobiology – The new Synthesis“ (1977). Dass sie auch in Deutschland eine wachsende Zahl von Anhängern findet, zeigt sich alleine schon anhand der in jüngster Zeit erschienenen Einführungsbücher zum Thema.
Kriminalbiologische Theorien erzielen auch darum immer wieder eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit, weil sie durch die Behauptung, Kriminalität sei angeboren und stecke im Wesen des Menschen, mythische Ängste vor einer die zivilisierte Welt bedrohenden Macht erzeugen. Mit ihrer Vorstellung vom geborenen Verbrecher wirken kriminalbiologische Ansätze deshalb so provozierend, da sie sowohl dem Menschen den freien Willen absprechen, als auch Einflüsse des sozialen Milieus negieren. Es entsteht ein ,therapeutischer Nihilismus’: Verbrechen ist Schicksal, an dem nichts zu verändern ist. Eine besonders plastische Wirkung erzielen vor allem Vertreter der Zwillings- und Adioptionsforschung, wenn sie in einschlägigen Fernsehsendungen den Einfluss der Vererbung als derart stark charakterisieren, dass eineiige Zwillinge nicht nur häufig gemeinsam kriminell werden, sondern auch die gleiche Zahnpasta benutzen (was neben einem Kriminalitätsgen auch auf ein ,Blen-da-Dent-Gen’ schließen lassen würde).
Um einen Überblick über verschiedene Ansätze aus dem Bereich der Kriminalbiologie bieten zu können, bezieht die folgende Ausarbeitung neben der Soziobiologie auch einen Ansatz aus der Psychologie mit ein, der genetische, physiologische und persönlichkeitstypologische Gesichtspunkte miteinander verknüpft. Schließlich soll auch der Einfluss der Biochemie auf das menschliche Verhalten diskutiert werden.
2. Überblick über die Geschichte der Kriminalbiologie
2.1 Die Entstehung der Kriminalbiologie in der anthropologisch-positiven Schule des 19. Jahrhunderts
Im Mittelalter galt das Verbrechen als Sünde wider Gott. Die zeitgeschichtlichen Epochen des Humanismus und der Renaissance vermittelten erstmals ein säkularisiertes Weltbild, das den Menschen als Individuum in den Mittelpunkt des Interesses stellte. Das Strafrecht musste sich von seinen religiösen Bezügen lösen und weltlich begründet werden. Seine Reformbedürftigkeit verdeutlichte die Entdeckung gesellschaftlicher Verbrechensursachen. So schlug der Humanist Thomas Morus (1478-1535) bereits im 16. Jahrhundert eine präventive Kriminalitätsbekämpfung durch die Linderung von Elend und Armut vor.
Eine systematische und wissenschaftliche Befassung mit der Kriminalität setzte im 18. Jahrhundert im Zeitalter der Aufklärung ein. Der aufklärerische Geist betrachtete alle Menschen als freie und gleiche, rational und eigenverantwortlich handelnde Individuen. Aufgrund der unterschiedlichen Verteilung von Triebhaftigkeit, Bildung und Wohlstand galten zwar manche Menschen als stärker gefährdet, Straftaten zu begehen, als andere. Prinzipiell wurde die Kriminalität allerdings als ein für jedermann vermeidbarer Umstand gesehen, wodurch täterorientierte Erklärungen des Verbrechens grundsätzlich ausschieden. Statt dessen wurden die Kriminalitätsursachen etwa in einer unvernünftigen und ungerechten Struktur des Kriminaljustizsystems, d.h. in einer sozialen Reaktion auf ein gesellschaftlichen Phänomen, gesucht. Auf dieser Grundlage brachte die klassische Schule der Kriminologie erste Ansätze zu einer Humanisierung des damaligen menschenunwürdigen Justizsystems mit sich. Der Schutz der Freiheit und Privatsphäre des Strafgefangenen sowie die Erkenntnis der Nutzlosigkeit und Ungerechtigkeit von Todesstrafe und Folter waren Schritte auf dem Weg zu einem verhältnismäßigen, rechtsstaatlichen und effizienten Strafrecht. Durch eine Ökonomie des Strafens sollte seine Wirksamkeit und soziale Akzeptanz erhöht werden (vgl. Kunz 1994: 83-89).
Das ökonomische Strafsystems der klassischen Schule war auf eine Gesellschaft gleicher, wirtschaftlich und politisch emanzipierter Bürger zugeschnitten. Mit der Entstehung des Industrieproletariats und den sich verhärtenden Klassengegensätzen verlor dieses Konzept seinen Bezug zur gesellschaftlichen Realität. Die mit Armut und Elend zusammenhängende Kriminalität war Auslöser einer milieubezogenen Betrachtung des Verbrechens, wie sie bspw. Gabriel Tarde (1843-1904) in Frankreich vornahm. Diese Herangehensweise war allerdings keineswegs Ausdruck eines ausgeprägten Verständnisses von Kriminalität als Produkt gesellschaftlicher Einflüsse. Es handelte sich um den Versuch von mit bürgerlichen Wertvorstellungen beseelten Besserungsvereinen, den Kreislauf von Verelendung und Kriminalität im beginnenden Industriezeitalter zu durchbrechen. Deshalb fand in den Zucht-Häusern eine Auslese zwischen denjenigen, die sich für die vermittelte Arbeitsdisziplin empfänglich zeigten, und den ,unverbesserlichen’ Straftätern statt, die unschädlich gemacht werden sollten. Das Augenmerk der Kriminologie richtete sich von nun an auf die Natur jener Unverbesserlichen, die sie vermeintlich zum Verbrechen drängte. Die Idee einer biologischen Prädestination zum Verbrechen wurde zuerst vom Züricher Pfarrer Johann Casper Lavater (1741-1801) entwickelt. Er studierte die Gesichtszüge hingerichteter Missetäter und leitete daraus eine Kriminalphysiognomie ab. Im Zuge der raschen Entwicklung der medizinischen und experimentellen Wissenschaften im 19. Jahrhundert verstärkte sich das Interesse einer biologischen Kriminalitätserklärung auf der theoretischen Grundlage von Charles Darwins (1809-1982) Evolutionslehre. August Comte (1798-1857) lieferte durch seinen positiven, erfahrungswissenschaftlichen Ansatz das methodische Rüstzeug, den gesellschaftsbezogenen, präventiven klassischen Ansatz zugunsten einer empirisch-positiven Analyse des Verbrechers aufzugeben. Paradoxerweise begegnete man den sozialen Problemen der Zeit mit dem gleichen positivistischen Enthusiasmus, der im Zuge der Industriellen Revolution für deren Entstehung erst verantwortlich gewesen war (vgl. Justizministerium NRW 1997: 71).
Der Veroneser Arzt Cesare Lombroso (1836-1909) entwickelte dieses biologische Verständnis zu einem anthropologischen Erklärungsansatz weiter. Nachdem die Aufklärung noch von willensfrei handelnden Individuen ausgegangen war, behauptete Lombroso, dass menschliches Verhalten durch angeborene Wesensmerkmale vorherbestimmt sei. Er teilte die Menschen in bestimmte Typen ein, für die jeweils spezielle Neigungen charakteristisch seien. Lombroso unterschied anhand einer Mischung von physischen und psychischen Merkmalen, z.B. einer fliehenden Stirn, hohen Backenknochen, Gemütlosigkeit, Grausamkeit oder Schmerzunempfindlichkeit zwischen normalen Menschen und dem geborenen Verbrecher. Ein Drittel aller Delinquenten verdächtigte er, aufgrund ihrer vererbten Anlage zwanghaft zum Verbrechen getrieben worden zu sein. Für Lombrosos erschien es möglich, den Verbrechertypus aus der bloßen Alltagsbeobachtung heraus, gewissermaßen ,instinktiv’, erkennen zu können:
„Wenn der Verbrecher auch alle seine Gesichtszüge in der Gewalt hat, so gelingt es doch dem grössten Heuchler nicht, den Blick, der sein Innerstes verräth, zu verstecken. Ich finde eine grosse Aehnlichkeit zwischen dem Blick des Mörders und dem der Katze, wenn sie im Hinterhalte lauert oder zum Sprung bereit ist.“ (Lombroso 1876, zitiert nach: Kunz 1994: 96)
Aus dieser Auffassung resultieren Lombrosos Vorstellungen der Verbrechertherapie: er solle für immer in Anstalten für Unverbesserliche interniert oder ganz beseitigt werden. Für den jugendlichen Täter sei ein den schlechten Charaktereigenschaften entsprechender Beruf, z.B. Schlächter oder Prostituierte, angemessen.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich als Gegenthese zu Lombroso der Anlage-Umwelt-Streit, den u.a. Mediziner und Psychologen gegen Soziologen bis heute austragen. Zum Ende des Jahrhunderts zogen im Deutschen Reich einige Juristen praktische Strafrechtsreformen einem theoretischen Streit vor. Deshalb einigte man sich auf die mehr politisch-pragmatisch zu verstehende Kompromissformell des sowohl als auch, die u.a. durch den liberalen Strafrechtsreformer Franz v. Liszt (1851-1919) und die 1888 gegründete Internationale Kriminalistische Vereinigung getragen wurde. Diese multikausale Kriminalitätserklärung entsprach einem gemäßigten kriminalpolitischen Klima, in dem Prävention den Vorrang vor Repression hatte, eine gute Sozialpolitik als die beste Kriminalpolitik galt und die Besserung des Rechtsbrechers zur vordringlichen Aufgabe wurde. Franz v. Liszt beeinflusste dieses Klima mit seinem Marburger Programm von 1882 maßgeblich (vgl. Kunz 1994: 90-98).
2.2 Die Rolle der Eugenik in der Weimarer Republik
Der eugenische Diskurs setzte in Deutschland um 1890 in den verschiedensten Wissenschafts- und Intellektuellenkreisen ein. Die Eugenik zielte auf Basis der Vererbungslehre auf eine Verbesserung des kollektiven Erbgutes der Bevölkerung. Durch die Geburtenförderung von ,wertvollen’ Erbträgern und Geburtenminderung bei ,erbkrankem’ Personen sollte mit einer Art Biopolitik die soziokulturelle Leistungsfähigkeit der Bevölkerung erhalten werden. Da aber noch nicht einmal im Dritten Reich ein Konsens über die Definition von ,hochwertigem’ Nachwuchs erzielt werden konnte, war in der Praxis höchstens eine Geburtenminderung bei kleinen Bevölkerungsminderheiten gesellschaftlich akzeptabel. In den USA wurde dagegen im Jahre 1907 ein Entwurf des weltweit ersten Sterilisationsgesetztes angenommen, dass die Zwangssterilisation für als erbkrank definierte „Verbrecher, Blödsinnige und Schwachsinnige“ vorsah (Justizministerium NRW 1997: 18). Die sog. Weimarer Eugenik setzte bewusst auf die Vereinbarkeit mit demokratischen und wohlfahrtsstaatlichen Zielen. Die Möglichkeiten und Grenzen des eugenischen Konzeptes in einem demokratischen Sozialstaat zeigten sich dabei deutlich am Beispiel der sozialistischen Eugenik. Sie speiste sich vor allem aus dem Glauben an Wissenschaft und Sozialplanung und aus einem kollektiven Idealismus. Obwohl sie als Konsequenz eine Aushöhlung der Individualrechte mit sich brachte, unterschied sie sich von der nationalsozialistischen Eugenik in dem entscheidenden Punkt, dass das Lebensrecht sog. ,Minderwertiger’ nicht in Frage gestellt wurde.
Im sozialdemokratisch-intellektuellen Milieu entwickelte sich die Vorstellung, dass die Gesellschaft sich vor der Fortpflanzung krankhafter und ,verbrecherischer’ Anlagen schützen müsse. Die wissenschaftlich (eugenisch, medizinisch, soziologisch und juristisch) legitimierte Unfruchtbarmachung vermeintlicher erbkranker Gewohnheitsverbrecher war für die SPD ein praktisches und der Gesellschaft dienliches Ziel. Schon 1909 propagierte der SPD-Reichstagsabgeordnete Edmund Fischer die Verhinderung der Fortpflanzung des ,geborenen Verbrechers’ nach US-amerikanischem Vorbild. Er forderte eine selbständige Geburtenkontrolle von proletarischen Frauen, um dem Problem des jugendlichen Verbrechertums zu begegnen. Die Sozialdemokraten beriefen sich auf ihr Feindbild des asozialen Lumpenproletariats, von dem sie sich als organisierte Arbeiterbewegung klar abgrenzen wollten. Dabei besetzten ihre Vertreter in der Weimarer Republik die Positionen von Ärzten, Wohlfahrtsbürokraten, Richtern und Staatsanwälten, welche zuvor dem bürgerlichen Klassenfeind vorbehalten geblieben waren. Die Sterilisationsproblematik wurde in der Partei kontrovers diskutiert. Als Gegenargument kam zur Sprache, die Sozialdemokratie würde sich zu stark von bestimmten Bevölkerungsgruppen wie dem Dieb und dem Trinker isolieren, statt diese zu verstehen und zu retten.
Die Politikfähigkeit eugenischen Denkens erlebte in den 20er Jahren einen spürbaren Aufschwung. Die von der preußischen SPD eröffnete Debatte um voreheliche Gesundheitszeugnisse und ein Eheverbot bei Erbkrankheiten erstreckte sich bis Mitte der 20er. Während insbesondere die Sterilisationspolitik eine wachsende Zustimmung erlebte, blieb die Rechtmäßigkeit praktischer Zwangsmaßnahmen (wie z.B. ein Straferlass für den Delinquenten, der sich freiwillig einer sterilisierenden Operation unterzog) umstritten. Die parlamentarische Diskussion konzentrierte sich fast ausschließlich auf den erbkranken Kriminellen. Der Minimalkonsens in dieser Hinsicht, die freiwillige Sterilisation erbkranker Krimineller, scheiterte 1930 im Zuge der Strafrechtsreform dreimal im Reichstag. Dies war aber kein Anzeichen der Chancenlosigkeit einer solchen Politik, sondern erhöhte im Zuge des zunehmenden politischen Verfalls Weimars die politische Chance für eine allgemeine gesetzliche Regelung der Sterilisation, die ab Sommer 1932 vermehrt Gegenstand der Diskussion wurde (vgl. Justizministerium NRW 1997: 13-21). Nach den parlamentarischen Beratungen des Jahres 1931 zeigten auch die Reichsregierung in Person von Reichskanzler Heinrich Brüning, sowie die Ministerialbürokratie und das Justizministerium verstärkt Interesse an der Problematik, obgleich die gesamte Entwicklung in Weimar letztendlich legislativ folgenlos blieb (vgl. Justizministerium NRW 1997: 60-68).
Die wachsende politische Akzeptanz der Sterilisationsprogrammatik war auch das Ergebnis diverser wissenschaftlicher Diskurse. Als Beispiel soll hier der Beitrag des sozialdemokratischen Soziologen Theodor Geiger skizziert werden, der sich auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise mit der Problematik beschäftigte. Ziel seiner Biopolitik sollte es nicht sein, das Erbgut der Bevölkerung durch gezielte Züchtung von ,Hochwertigen’ zu verbessern, da er die Aufstellung einer Rangskala als problematisch betrachtete. Er befürwortete vielmehr Zwangsmaßnahmen gegen ,Minderwertige’, da sich deren Beurteilung auf diagnostisch nachweisbare Defekte stützen könne. Mit seiner öffentlichen Forderung nach Zwangsmaßnahmen ist er als Hardliner in der Sterilisationsfrage zu bezeichnen. Er ging über den Weimarer Konsens von Wissenschaft (Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene) und Politik (SPD, Zentrum) hinaus, die ihre Bereitschaft zu Sterilisationsmaßnahmen an die Freiwilligkeit gebunden hatten. Die persönliche Freiheit hielt Geiger für ein anachronistisches liberalistisches Ideal. Er unterstellte, dass eine freiwillige Sterilisation ein Verantwortungsgefühl bei den Gruppen voraussetze, wo es am wenigsten vorhanden sein könne. Als Folge würden sich „Schwachsinnige, Kriminelle und Halbverbrecher [...] weiter wie die Kaninchen vermehren und [die Bevölkerung] mit ihrem minderwertigem Nachwuchs [überschwemmen]“ (Geiger 1933b: 93f, zitiert nach: Justizministerium NRW 1997: 58). So war Theodor Geiger mit seiner Studie über die Erbpflege (1933) mit daran beteiligt, Kriminelle zu Minderwertigen und damit zu potentiellen Sterilisationsopfern zu stempeln. Er übernahm unkritisch zweifelhafte Forschungsergebnisse, die eine Vererbbarkeit von Kriminalität, Prostitution usw. unterstellten. Das Lumpenproletariat galt für ihn als „Sammelbecken der Deklassierten aller Schichten, der gesunkenen Leute“ (Geiger 1933, zitiert nach: Justizministerium NRW 1997: 56), die praktisch als Untermenschen außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft standen. Sozialpolitik sollte seiner Meinung nach nicht mit fragwürdigen Wohlfahrtsleistung für ,Minderwertige’ vermischt werden, sondern der Versuch der Umweltverbesserung für erblich zumindest ,durchschnittliche’ sein.
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- Daniel Lois (Autor), 2002, Zurück zur Kriminalbiologie?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28097
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