Ob ein Objekt materieller oder ideeller Art kitschig ist, meint beinahe jeder allein aus der Intuition heraus beurteilen zu können. Schwieriger ist es dagegen, allgemeingültige Aussagen über das Wesen von Kitsch zu treffen. Der Wahrig definiert Kitsch als eine „auf Breitenwirkung zielende, süßlich-sentimentale Scheinkunst“. Diese Definition spiegelt zwei Standpunkte, die in der Kitschforschung lange Zeit vorherrschend waren: Die Annahme, es gäbe statische, exklusiv kitschige Wesensmerkmale und das Verständnis von Kitsch als schlechter Nachahmung eines künstlerisch wertvollen Originals. Indem wahre Kunst derart zu einem mythischen Erlebnis stilisiert wurde, dass nur Privilegierten vorbehalten war, diente das Werturteil Kitsch bzw. Kunst auch der Festigung sozialer Hierarchien.
Im Kontext der Postmoderne erweisen sich diese Auffassungen als wenig effizient, um das Wesen von Kitsch zu erfassen. Das Prinzip der Intertextualität hat die Dichotomie von Kunst bzw. Original und Kitsch bzw. Kopie obsolet gemacht. Die Grenzen zwischen Kitsch und Kunst scheinen immer mehr zu verwischen. Kitschästhetik ist in der bildenden Kunst als Gestaltungsprinzip anerkannt. Dennoch sprechen wir weiterhin mit großer intuitiver Sicherheit von Kitsch in Abgrenzung zu Kunst. Wie also lässt sich Kitsch in der Postmoderne begreifen?
Claudia Putz hat sich in ihrer Dissertation Kitsch – Phänomenologie eines dynamischen Kulturphänomens mit dieser Frage auseinander gesetzt. Sie stellt dar, dass Kitsch und Kunst sich der gleichen Strukturen bedienen. Die quantitative und qualitative Gestaltung dieser Strukturen auf inhaltlicher, stilistischer und ästhetischer Ebene entscheidet letztlich über die Rezeption als Kitsch oder Kunst. Ob es sich um Kitsch und Kunst handelt, kann demnach nicht unter dem Paradigma einer starren Dichotomie unterschieden werden. Vielmehr muss die Unterscheidung anhand einer dynamischen Skala erfolgen. Dieser Logik folgend muss es möglich sein, durch eine Modifizierung der inhaltlichen, stilistischen und ästhetischen Strukturierung Kitsch zu Kunst und umgekehrt Kunst zu Kitsch zu wandeln. Diese Möglichkeit der Umwandlung von Kitsch zu Kunst, soll in der nachfolgenden Arbeit anhand des Romans Der Himmel kennt keine Günstlinge von Erich Maria Remarque und dem darauf basierenden Film Bobby Deerfield nachvollzogen werden.
Inhaltsverzeichnis
1 Vom Werturteil zum Kulturphänomen - Kitsch in der Postmoderne
2 Kitsch als dynamisches Rezeptionsphänomen - Analyseraster
2.1 Rührseligkeit und Identifikation - Der Umgang des Rezipienten mit dem Text
2.2 Mediierung menschlicher Dilemmata - Informationelle Strukturierung
2.3 Eindeutigkeit und Déjà-Vu-Erlebnis - Stilistische Strukturierung
2.4 Tiefsitzende Regelmäßigkeiten - Ästhetische Strukturierung
3 Kitsch und Original - Der Himmel kennt keine Günstlinge
3.1 Liebe in Zeiten der Tuberkulose - Die Romanhandlung
3.2 Der edle Held und seine todkranke Geliebte - Konzeption und Konstellation der Romancharaktere
3.3 Zauberberg reloaded - Remarques Rückgriffe auf Thomas Manns Roman
4 Kunst und Kopie - Filmanalyse von Bobby Deerfield
4.1 Identitätssuche im Rennfahrermilieu - Die Filmhandlung
4.2 Screw-Ball-Dynamik - Konzeption und Konstellation der Filmcharaktere
4.3 Die Auflösung des Konflikts
4.3.1 Tod als paradoxer Ausgleich - Konfliktlösung im Roman
4.3.2 Das Licht am Ende des Tunnels - Konfliktlösung im Film
5 Dekadenz und Ironie - Ästhetische Strukturierung von Roman und Film
6 Kopie bzw. Adaption als eigenständige Kunstform - Fazit
7 Bibliographie
8 Filmprotokolle
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