Das umfangreiche schriftstellerische Werk Italo Calvinos entstand im Laufe mehrerer Jahrzehnte und ist geprägt durch das Experimentieren mit unterschiedlichen Textgattungen
und das Aufgreifen neuer stilistischer Elemente. Seine Feingespür und sein innovativer Geist, die sich in seiner schriftstellerischen Experimentierfreudigkeit ausdrücken,
haben dazu geführt, dass sein OEvre heute als eines der abwechslungsreichsten Gesamtwerke des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird:
Calvino [...] è tra gli scrittori italiani uno dei più sensibili e innovatori, sempre pronto a comunicare con i segni del tempo e a inserirli in una scrittura che si acuisce nel confronto tra storia e letterature.
Bereits in den Jahren vor seinem Umzug nach Paris, wo Calvino mehr als ein Jahrzehnt seines Lebens verbrachte, setzte er sich intensiv mit den Theorien seiner französischen Kollegen auseinander. Von den Einflüssen des französischen Poststrukturalismus und seinem Interesse für die Ideen der Oulipiens sowie für die Verfahren der strukturalen Textanalyse zeugen insbesondere die Texte des späten Calvino.
Im Fokus der vorliegenden Arbeit steht 1972 erschienene, sich einer konkreten Gattungszuordnung entziehende Text Le città invisibili (1972), bei dem es sich um eine ré-écriture von Marco Polos Reisebericht Il Milione aus dem 13. Jahrhundert handelt.
Bereits im Jahr 1960 hatte sich Calvino erstmals mit dem Vorhaben einer ré-écriture dieses Textes beschäftigt. Das Projekt kam jedoch erst zehn Jahre später mit dem Entwurf von Le città invisibili zu einer konkreten Realisierung und zwar inhaltlich „arricchito dalla complessità delle sperimentazioni combinatorie degli anni sessanta“.
In seinem formalen, beinahe mathematisch anmutenden Aufbau ist dieser Text wiederholter Ausdruck der Affinität Calvinos gegenüber dem Experimentieren mit nichtliterarischen
Textformen.
Die vorliegende Arbeit nähert sich dem Text zunächst über den notwendigen Exkurs zu einigen theoretische Grundbegriffen, dessen Ziel es ist, das écriture-Konzept des Autors speziell im Hinblick auf Le città invisibili zu erarbeiten. Das poststrukturalistische Verständnis von Text als intertextuelles Konstrukt wendet Calvino auf seine unsichtbaren Städte an, die ihrerseits als rein intertextuelles Produkt zu verstehen sind. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Theoretische Grundlagen
- Einordnung von Le città invisibili in den poststrukturalistischen und postmodernen Kontext
- Der Text als intertextuelles Konstrukt
- Lesen als produktiver Akt
- écriture, ré-écriture, mythécriture
- Dekonstruktion und différance
- Mythos und Mythenanalyse
- Begriffsklärung
- Die strukturale Mythenanalyse von Lévi-Strauss
- Über Calvinos Umgang mit Intertextualität und Mythos
- Einordnung von Le città invisibili in den poststrukturalistischen und postmodernen Kontext
- Prätext und ré-écriture
- Der Prätext: Il Milione
- Einführung
- Wahrheitsgehalt und Spannungsaufbau
- Die ré-écriture: Le città invisibili
- Einführung
- Die Problematik der Gattungszuordnung
- Gemeinsamkeiten und Unterschiede
- Il Milione und Le città invisibili zwischen Beschreibung und Erzählung
- Der Prätext: Il Milione
- Der venezianische Blick. Venedig-Reminiszenzen in den Città invisibili
- Kulturell-historischer Kontext der Stadt Venedig und ihre Bedeutung als Wirtschaftsmacht
- Venedig als literarischer Schauplatz und Mythos
- Venedig in der Imagination Calvinos - zwischen Archetyp und Utopie
- Die Stadt als initiales Dispositiv und das Funktionieren von Erinnerung
- Textanalyse
- Vorbemerkung
- Città acquatiche
- Handel und Handwerk
- Die Bedrohungen der (modernen) Stadt
- Die Transformation der erzählten unsichtbaren Städte in eine sichtbare Bildergalerie
- Vorüberlegung
- Das Verhältnis von Bild-Text und Text-Bild
- Die künstlerischen Stadt-Dispositive von Cano und Corrado Brannigan
- Bild-Analyse
- Bauci - Eine Frage der Perspektive
- Ottavia - Die Stadt als Imitation der Natur
- Pentesilea - Die Stadt als Makrokosmos
- Sofronia - Die demontierte Stadt
- Schluss
- Literaturverzeichnis
- Anhang
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Masterarbeit analysiert Italo Calvinos Roman „Le città invisibili“ (1972) im Kontext seiner literarischen und theoretischen Einflüsse. Die Arbeit untersucht die Entstehung des Romans als Ré-écriture von Marco Polos Reisebericht „Il Milione“ und analysiert die Rolle Venedigs als Modellstadt und Inspirationsquelle für Calvinos unsichtbare Städte.
- Die Einordnung von „Le città invisibili“ in den poststrukturalistischen und postmodernen Kontext
- Die Analyse des Romans als intertextuelles Konstrukt und die Rolle des Lesers als aktiver Produzent des Textes
- Die Untersuchung der Beziehung zwischen „Il Milione“ und „Le città invisibili“ als Prätext und Ré-écriture
- Die Analyse der venezianischen Reminiszenzen in „Le città invisibili“ und die Bedeutung Venedigs als kulturell-historischer Kontext und literarischer Mythos
- Die Transformation der unsichtbaren Städte in eine sichtbare Bildergalerie und die Analyse der künstlerischen Stadt-Dispositive von Cano und Corrado Brannigan
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik der Arbeit ein und stellt die zentrale These vor: „Le città invisibili“ basiert auf einer Modellstadt, die sich auf Venedig bezieht und als „impliziter Ausgangspunkt aller Reisen des Kaufmanns“ (Marco Polo) zu verstehen ist.
Das zweite Kapitel widmet sich den theoretischen Grundlagen der Arbeit und beleuchtet die Einordnung von „Le città invisibili“ in den poststrukturalistischen und postmodernen Kontext. Es werden die Konzepte der Intertextualität, des Lesens als produktiven Akt, der écriture, ré-écriture und mythécriture sowie der Dekonstruktion und différance erläutert.
Das dritte Kapitel untersucht die Beziehung zwischen „Il Milione“ und „Le città invisibili“ als Prätext und Ré-écriture. Es werden die formalen und inhaltlichen Eigenschaften beider Texte sowie ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede erarbeitet.
Das vierte Kapitel analysiert die venezianischen Reminiszenzen in „Le città invisibili“ und beleuchtet die Bedeutung Venedigs als kulturell-historischer Kontext und literarischer Mythos. Es wird gezeigt, wie Calvino einen modernen Mythos um Venedig konstruiert, der Reminiszenzen an das damalige und das heutige Venedig enthält.
Das fünfte Kapitel widmet sich der Textanalyse von „Le città invisibili“ und untersucht die verschiedenen Kategorien von Städten, die Calvino beschreibt, wie z.B. „Città acquatiche“, „Handel und Handwerk“ und „Die Bedrohungen der (modernen) Stadt“.
Das sechste Kapitel analysiert die Transformation der unsichtbaren Städte in eine sichtbare Bildergalerie und untersucht die künstlerischen Stadt-Dispositive von Cano und Corrado Brannigan. Es werden verschiedene Bilder aus der Bildergalerie analysiert, um die Beziehung zwischen Bild-Text und Text-Bild zu erforschen.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen Italo Calvino, Le città invisibili, Marco Polo, Il Milione, Venedig, Intertextualität, Ré-écriture, Poststrukturalismus, Postmoderne, Mythos, Stadt, Architektur, Kunst, Bild-Text-Beziehung.
- Citation du texte
- Joana Tornow (Auteur), 2013, Die Welt aus venezianischer Sicht. Venedig-Reminiszenzen in Calvinos "Le città invisibili" und die Verbildlichung der unsichtbaren Städte in der Bildenden Kunst, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/280276
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