Soziale Marktwirtschaft und Sozialpartnerschaft gehören zusammen. Die Sozialpartnerschaft war zwar nie eine reine Harmonieveranstaltung aber eine Garantie für den sozialen Frieden in der Gesellschaft. Die Stabilität eines freiheitlichen Staates setzt ein Minimum an sozialer Sicherheit für die Mehrheit der Bevölkerung voraus. Diese Gewährleistung lasse dem einfachen Gesetzgeber einen weiten Spielraum zur Ausgestaltung der Tarifautonomie. Vorgaben des höherrangigen Rechts für das Arbeitskampfrecht. Arbeitskampfmaßnahmen sind insoweit von der Koalitionsfreiheit erfasst "als sie allgemein erforderlich sind, um eine funktionierende Tarifautonomie sicherzustellen". Die Wahl der Koalitionsmittel wurde den Koalitionen überlassen: "Die Wahl der Mittel, die sie zur Erreichung dieses Zwecks für geeignet halten überlässt Art. 9 Abs. 3 GG grundsätzlich den Koalitionen. Der Schutzbereich der Koalitionsfreiheit umfasst auch die koalitionsmäßige Betätigung und zwar nicht nur im Kernbereich. Dies umfasst die Tarifautonomie sowie den Arbeitskampf, jedenfalls soweit er tarifvertragsbezogen ist. Die atypischen Arbeitskampfformen stellen darauf ab, die Kampfbereitschaft streikunerfahrener Arbeitnehmerinnen nicht zu strapazieren und die Aktionen durch Hinzuziehung externer Sympathisanten sowie einer diffusen Öffentlichkeit zu unterstützen. Bei der Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts (Flashmob) besteht ein weiter Handlungsspielraum. Die Wahl der geeigneten Mittel zur Erreichung der koalitionsspezifischen Zwecke überlässt Art. 9 Abs. 3 GG grundsätzlich der Koalition selbst. Die Arbeit verändert sich, sie wird schneller und spezialisierter. Anderseits sind die Beschäftigten seltener krank als früher. Dennoch gaben viele Mitarbeiter an, sie seien durch Termin und Leistungsdruck gestresst. Die subjektiv empfundenen psychischen Belastungen sind nicht zu vernachlässigen. Die Rechtsgrundlage des Arbeitskampfrechts beruht auf der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Das bedeutet aber nicht, dass die Gerichte nach freiem Ermessen entscheiden dürften. Vielmehr sind sie bei ihrer Rechtsfortbildung insbesondere an verfassungsrechtliche Vorgaben gebunden. Die Grenzen des vom BAG als Ersatzgesetzgeber zu schaffenden Arbeitskampfrechts ergeben sich aus Art. 9 Abs. 3 GG. Die Vorschrift enthält, was immer wieder in Erinnerung zu rufen ist, allein ein Individualgrundrecht auf Bildung von Koalitionen. Das Bundesverfassungsgericht und die Lehre haben daraus entwickelt.
Eine konsequente Demokratisierung aller Lebensbereiche ist die einzige Möglichkeit, ein demokratisches System lebendig zu halten... Demokratie wagen, dies hieße Einbeziehung der Bürgerinnen in die Verfügungsmacht über die Produkte ihrer eigenen Arbeit - hieße: Wirtschaftsdemokratie wagen. Ohne ein höheres Maß an Wirtschaftsdemokratie könnte am Ende die Zivilgesellschaft scheitern (frei nach Oskar Negt, 2011).
Jede Anwendung von Recht erzeugt neues Recht (Bogdany).
Die Rechtsprechung leistet mehr als nur Streit zu schlichten. Sie nimmt auch die Aufgaben der Rechtsschöpfung und der sozialen Kontrolle wahr.
Arbeitsrecht und die Arbeitsgesellschaft der Gegenwart und Zukunft Direktor des FOI (an der DHBW), Prof. Dr. jur. utr. Dr. rer. publ. Siegfried Schwab, Assessor jur., Mag. rer. publ., Kreisverwaltungsdirektor a. D
Die Grundbedingung unter der die Tätigkeit des Arbeitens steht, ist das Leben: (Hannah Arendt)
Man merkt nie, was schon getan wurde, man sieht immer nur, was noch zu tun bleibt (Marie Curie)
Wir haben keinen Grund, die stabilisierenden Weisen des Wahrnehmens und Handelns der Vergangenheit dafür zu tadeln, dass sie die heutigen Probleme nicht lösen; wir haben eben neue Problemlösungen zu finden. (Carl Friedrich v. Weizsäcker)
Persönlichkeiten werden nicht durch schöne Reden geformt, sondern durch Arbeit und eigene Leistung (Albert Einstein)
Ein auf Verteilungsgerechtigkeit, auf ein hohes Maß von sozialer Gleichheit beruhendes System gesellschaftlicher Arbeit ist wesentliche Grundlage einer friedensfähigen Gesellschaftsordnung. (Oskar Negt, 2011)
Die Fähigkeit, Mitarbeiter zum Energiezustand der Begeisterung zu führen, setzt voraus, dass der Vorgesetzte selber davon überzeugt ist, dass sich der Einsatz lohnt. ( Laurenz Andrzejewski, 2010)
Für seine Arbeit muss man Zustimmung suchen, aber niemals Beifall (de Montesquieu) Die Sozialpartnerschaft1 /2 spielt(e) in Deutschland eine bedeutende Rolle. Auf den unterschiedlichsten Ebenen findet ein gestaltendes Miteinander zwischen ArbG und ArbN, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften mit dem Ziel statt, Interessengegensätze nach Möglichkeit durch einen konsensualen Dialog auszugleichen3 /4. Die Tarifpartnerschaft als maßgebliche Ordnungsgröße5 des Arbeitslebens6 hat sich zu einer tragenden Säule der Sozialen Marktwirtschaft entwickelt. Die Parteien des Arbeitslebens sind wie kaum sonst jemand in der Lage, die wirtschaftliche Situation ihrer Branche/ihres Unternehmens einzuschätzen und für beide Seiten tragbare Regelungen anzustreben. Durch ein anzustrebendes Kräftegleichgewicht7 der Tarifpartner konnte ein differenziertes System von Arbeitsbeziehungen, das die unternehmerische Effizienz und die soziale Teilhabe der Arbeitnehmerinnen in Einklang bringen soll, gestaltet werden. Die Tarifpartnerschaft hat zu einem hohen Maß an sozialem Frieden beigetragen. Flexibilität8 und Differenzierungen (etwa Öffnungsklauseln, flexible und gestaltbare Einmalzahlungen, flexiblen Arbeitszeitmodellen9, Work-Life Perspektiven, Ergänzungsvereinbarungen) konnte maßgeblich der soziale Frieden erhalten werden. Die Tarifautonomie10 braucht einen verlässlichen11 Ordnungsrahmen12 /13, damit das Verhandlungsgleichgewicht14 der Tarifpartner Erfolge erzielen kann. Arbeitgeber müssen während der Laufzeit eines Tarifvertrages aufgrund der Friedenspflicht15 nicht mit Arbeitskämpfen16 rechnen. Augenmaß17, Verlässlichkeit18 und Stetigkeit, Kompetenz und sozial-ethische Verantwortung19 und nachhaltiges Wirtschaften, Generationenverantwortung20 und Lernfähigkeit und -bereitschaft stecken den unerlässlichen Rahmen einer Zukunft gestaltenden Tarifpolitik 21 ab.22
Die Teilhabe23 am (Erwerbs-)Arbeitslebens in den flexibilisierten Arbeitsformen24 /25 /26 der Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft ist zentral für dem Zugang zu Ressourcen und die gesellschaftliche Arbeit. Die Flexibilisierung und Liberalisierung der Arbeitsformen27 schafft Freiräume für die autonome Selbstgestaltung und Selbstverwirklichung.28 Sie bietet Chancen29 auf größere Autonomieräume, auf eine bessere (wirkliche!) Vereinbarkeit von Arbeit, Lebenswelt und (Weiter-)Lernen und sicher nicht zuletzt auch nachhaltig ökonomischen Wohlstand.30 Die nachhaltig gestaltet Arbeitspolitik31 darf aber bei aller Flexibilisierung32 (atmende Arbeitszeit und Entgelt)33 die sozialen Absicherungsmechanismen auf menschenwürdigem Niveau nicht vergessen.34 /35 /36
Die Baustelle "moderne Arbeitswelt"37 /38 ist keineswegs nebensächlich. "Arbeit ist ein zentrales Feld der Lebenserfüllung": Sich Herausforderungen39 stellen, gefordert werden, Leistung erbringen und Erfolgserlebnisse haben - das macht die besondere Qualität beruflicher Arbeit aus". Ohne Arbeit40 geht es nicht: "Der Mensch kann auf Dauer nicht untätig in seinen eigenen vier Wänden verweilen. Leben ist die Lust zu schaffen.“41
Für die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens sind die Ideen aller Mitarbeit entscheidend und wichtig. Innovationen sind erst dann erreicht, wenn sie sich auf dem Markt bewiesen und bewährt haben (Peter Schumpeter). Innovationen können in einem Unternehmen von allen MitarbeiterInnen ausgehen, wenn das Unternehmen die Veränderungen als Chance begreift, und ein Vertrauensklima schafft, das Denkansätze respektiert, unterstützt und fördert, dass diese Ansätze ergänzt und verwirklicht werden. Zur Realisierung bietet sich intergenerative und interkulturelle Teamarbeit besonders an. Eine lebendige und erfolgreiche Innovationskultur zeichnet aus, dass sich jeder einzelne Mitarbeiter auch zum Mitmachen eingeladen fühlt. Job Rotationen können diesen Prozess beschleunigen. Die Innovationskultur muss auch im Personalbereich aktiv gelebt werden.
Vielfältige Formen der Selbstachtung42 und der sozialen Anerkennung im friedlichen Verkehr miteinander sind nach wie vor in zentraler Weise mit dem Wesensgehalt einer Arbeit verknüpft, die ihres Lohnes würdig ist. Wenn Entwürdigung und Entrechtlichung so im Alltagleben der Gesellschaft auftreten und nicht lediglich auf eine Ausnahmesituation beschränkt sind, wie können dann Bedingungen hergestellt ´werden, unter denen ein würdiges Leben möglich ist. (Oskar Negt, 2011)
Die Zusammenhänge zwischen den gesamtgesellschaftlichen Folgen einer alternden, insgesamt zurückgehenden Bevölkerung und besonders die Zusammenhänge zwischen erheblichen Veränderungen in der Erwerbsbevölkerung und die daraus folgenden Auswirkungen auf unsere künftige Lebensgestaltung müssen für jeden erkennbar und einsichtig (gemacht) werden (Rainer Schlegel)
Anstatt wie vormals Güter zwischen sozialen Gruppen mit unterschiedlichen Marktchancen umzuverteilen, zielt der Umbau des Wohlfahrtsstaates auf mehr Eigenverantwortung43 und auf die Förderung von Chancengleichheit. Einige der Folgen dieses Prozesses sind bekannt: Befristete Beschäftigungsverhältnisse und Minijobs werden ausgedehnt, die Anforderungen an die Flexibilität der Erwerbspersonen steigen. (Holger Lengfeld, 2011)
Ein Leben das der Würde des Menschen als eines bedürftigen und auf soziale Beziehungen angelegtes Wesen, kann durch den gleichen Zugang zu Bildung und Information ein gelingendes, gerechtes Leben sein (frei nach Martha Nussbaum, Die Grenzen der Gerechtigkeit, 2010).
Eine konsequente Demokratisierung aller Lebensbereiche ist die einzige Möglichkeit, ein demokratisches System lebendig zu halten... Demokratie wagen, die hieße Einbeziehung der Bürgerinnen in die Verfügungsmacht über die Produkte ihrer eigenen Arbeit - hieße: Wirtschaftsdemokratie wagen. Ohne ein höheres Maß an Wirtschaftsdemokratie könnte am Ende die Zivilgesellschaft scheitern (frei nach Oskar Negt, 2011)44.
Der Staat muss seinen Bürgern zu einem Grundstock45 an Voraussetzungen und Chancen verhelfen. Chancen, die es ihnen ermöglichen, ein Leben in Freiheit und Streben nach Glück zu ermöglichen, Was ist Gerechtigkeit, Nussbaum, Die Zeit Philosophie Juni 2013. S. 5f. Jeder Mensch besitzt eine aus der Gerechtigkeit entspringende Unverletzlichkeit, die auch im Namen des Wohles der ganzen Gesellschaft nicht aufgehoben werden kann. Der Gedanke der Gerechtigkeit erfordert ein staatlich aufgespanntes soziales Netz.
Verantwortung46: Freiheit bedeutet Verantwortlichkeit; das ist der Grund, weshalb die meisten Menschen sich vor ihr fürchten (George Bernard Shaw)
Der gute Manager erreicht sein Ziel. Der schlechte erfindet Entschuldigungen (August Wilhelm Scheer)47
Management bedeutet die Dinge richtig zu tun. Leadership bedeutet, die richtigen Dinge zu tun (Peter F. Drucker)
Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen gewerkschaftlichen Aufruf zu „Flashmob48 -Aktion“49 /50 /51 /52
Recht ist eine Verkörperung menschlicher Erfahrungen und Gebräuche, die sich vor einem Wertehintergrund als praktikable Regelungsmodelle des Zusammenlebens erwiesen haben. Dass der moderne Verfassungsstaat die "Produktion" von Rechtsnormen an demokratische Institutionen delegiert, steht dieser Annahme nicht entgegen, Krüper, Grundlagen des Rechts, 2011, S. 263.
Mit Anmerkungen von Direktor des FOI (an der DHBW), Prof. Dr. jur. utr. Dr. rer. publ. Siegfried Schwab, Assessor jur., Mag. rer. publ., Kreisverwaltungs-direktor a. D1.
****Herrn OstR a. D. Karl Peter Wettstein, MdL unserem langjährigen Lehrbeauftragten in freundschaftlicher Verbundenheit und nachhaltiger Dankbarkeit für seine wirtschaftspolitische Vorlesung an der DHBW (ÖWI) gewidmet. Lieber Karl Peter Dich gekannt zu haben, ist ein großer persönlicher Gewinn geblieben.
1. Bei der Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts besteht ein weiter Handlungsspielraum. Die Wahl der geeigneten Mittel zur Erreichung der koalitionsspezifischen53 Zwecke überlässt Art. 9 Abs. 3 GG grundsätzlich der Koalition54 selbst.55
2. Gewerkschaftlich getragene und auf Tarifverhandlungen bezogene Flashmob-Aktionen, die erkennbar darauf ausgerichtet sind, rechtmäßige Arbeitskampfziele zu stützen, sind nicht von vornherein mit der Koalitionsfreiheit (9 Abs. 3 GG unvereinbar. Dies gilt auch dann, wenn sich Dritte an der Flashmob-Aktion beteiligen.
3. Die Annahme, dass ein Arbeitgeber grundsätzlich durch eine vorübergehende Betriebsstilllegung oder die Ausübung seines Hausrechts wirksam auf eine Flashmob-Aktion reagieren kann, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Zum Sachverhalt:
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen Urteile des BAG56 /57 und des ArbG Berlin (BeckRS 2009, BECKRS Jahr 68139), mit denen diese gewerkschaftlich organisierte, streikbegleitende so genannte Flashmob-Aktionen im Einzelhandel als rechtmäßig angesehen haben.
Der Bf. organisiert als Arbeitgeberverband Einzelhandelsunternehmen im Raum Berlin-Brandenburg. Die im Ausgangsverfahren beklagte Gewerkschaft führte im Jahre 2007 einen Streik58 /59 zur Durchsetzung ihrer Forderung nach einem neuen Tarifvertrag für den Einzelhandel. Ihr Landesbezirk Berlin-Brandenburg veröffentlichte während des Streiks60 ein virtuelles Flugblatt, mit der Frage „Hast Du Lust, Dich an Flashmob-Aktionen zu beteiligen?“, bat Interessierte um die Handy-Nr., um diese per SMS zu informieren, wenn man gemeinsam „in einer bestreikten Filiale, in der Streikbrecher arbeiten, gezielt einkaufen gehen“ wolle, „z. B. so: Viele Menschen kaufen zur gleichen Zeit einen Pfennig-Artikel und blockieren damit für längere Zeit den Kassenbereich. Viele Menschen packen zur gleichen Zeit ihre Einkaufswagen voll (bitte keine Frischware!!!) und lassen sie dann stehen.“ Die Gewerkschaft propagierte dies auch in der Presse und im Rahmen einer öffentlichen Kundgebung.
Im Dezember 2007 führte die Gewerkschaft61 in der Filiale eines Mitgliedsunternehmens des Bf. eine solche Flashmob-Aktion durch. Es beteiligten sich etwa 40–50 Personen, die per SMS von der Gewerkschaft dorthin bestellt worden waren. Zwei oder drei Teilnehmende trugen eine Jacke mit der Aufschrift „ver.di“, zahlreiche andere trugen Sticker der Gewerkschaft. Zunächst betraten etwa drei Personen die Filiale, klebten ein Flugblatt mit einem Streikaufruf an einen Backofen, legten weitere Flugblätter an die Kasse und forderten eine Arbeitnehmerin zur Streikteilnahme62 auf. Später begaben sich etwa 40 Personen in die Filiale und kauften dort in größerer Zahl so genannte Pfennig- oder Cent-Artikel, weshalb sich an den Kassen Warteschlangen bildeten. Andere füllten etwa 40 Einkaufswagen mit Waren und ließen diese ohne Begründung oder mit der Angabe, das Geld vergessen zu haben, in den Gängen oder im Kassenbereich stehen. Die Aktion dauerte nach Angaben des Bf. etwa eine Stunde, nach Angaben der Gewerkschaft 45 Minuten.
Mit seiner Klage im Ausgangsverfahren verfolgte der Bf. das Ziel, der Gewerkschaft den Aufruf zu weiteren derartigen Flashmobs zu untersagen.
Das ArbG Berlin wies die Klage ab, das LAG Berlin-Brandenburg wies die Berufung zurück. Die vom Bf. eingelegte Revision wies das BAG zurück, denn die Klage sei unbegründet. Der Bf. könne von der Gewerkschaft nicht die Unterlassung künftiger Aufrufe zu so genannten Flashmob-Aktionen verlangen; diese seien nicht generell rechtswidrig. Zwar seien sie regelmäßig ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Doch sei dieser aus Gründen des Arbeitskampfrechts gerechtfertigt. Streikbegleitende Flashmob-Aktionen der Gewerkschaften, mit denen tarifliche Ziele verfolgt würden, unterfielen dem Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG. Ob eine Betätigung koalitionsspezifisch sei, richte sich grundsätzlich nicht nach der Art des gewählten Mittels, sondern nach dem verfolgten Zweck. Der Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG sei auch nicht versperrt, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass sich Dritte beteiligten. Doch bedeute dies nicht, dass Flashmob-Aktionen stets zulässig seien. Zentraler Maßstab sei die Verhältnismäßigkeit. Hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit von Arbeitskampfmaßnahmen komme den Koalitionen ein Beurteilungsspielraum zu.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Bf. eine Verletzung der Art. 9 Abs. 3, Art. 12, Art. 14, Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG sowie Art. 9 Abs. 3 GG. 20 Abs. 2 S. 2 und 20 Abs. 3 GG GG als Grenze richterlicher Rechtsfortbildung63 /64 /65 /66
Die Verfassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg.
*** Meiner lieben Tochter Silke Schwab, Diplombetriebswirtin (DH), zum Geburtstag am 9. August 2014 mit Freude, Zuversicht und großer Dankbarkeit für die erfolgreiche wissenschaftliche Begleitung und guten Wünschen für eine stetige Weiterentwicklung gewidmet.
****Zur Erinnerung an meinen Großvater Heinrich Keilbach, Ex-Gemeinderat, der in der Nachkriegszeit für die Belange der Arbeitnehmer eingetreten ist.
**** Meinem Freund und Weggefährten an der DHBW Mannheim, Herrn Diplomingenieur (DH) Klaus Schmidt, Leiter des Rechenzentrums als Dank für die EDV Begleitung gewidmet.
[...]
1 Huke, Zukunft der Sozialpartnerschaft in Deutschland, APuZ 13-14/2010; Gesetzliche Mindestlöhne orientieren sich nicht an der Produktivität der Arbeitsplätze und können dazu führen, dass diese im Bereich einfacher Tätigkeiten wegfallen. Gesetzliche Mindestlöhne würden zudem zum Spielball parteipolitischer Debatten. Populismus würde an die Stelle von Augenmaß und Verlässlichkeit treten, Huke, Tarifpartnerschaft im Wandel der Politik, APuZ 13-14/2007, S. 10.
2 Soziale Marktwirtschaft und Sozialpartnerschaft gehören zusammen. Das eine ist eine notwendige Grundlage des anderen. Die Sozialpartnerschaft war zwar nie eine reine Harmonieveranstaltung aber eine Garantie für den sozialen Frieden in der Gesellschaft. Die Stabilität eines freiheitlichen Staates setzt ein Minimum an sozialer Sicherheit für die Mehrheit der Bevölkerung voraus. Für die Arbeitnehmer prägt die soziale Partnerschaft, insbesondere auf betrieblicher Ebene, ihre Vorstellung davon, ob und wie sie den sozialen Rechtsstaat (er)leben. Was der Sozialstaat verteilen will, muss zuvor erwirtschaftet werden. Die Marktwirtschaft erfordert verlässliche und vertrauensbildende Rahmenregeln für die soziale Gestaltung von Produktion und die Verteilung der erwirtschafteten Güter. Das Vertrauen der Sozialpartner zueinander ist die Grundlage und die sichere Hoffnung auf den Erfolg der Sozialen Marktwirtschaft, vgl. Rüthers, Vom Wert der Sozialpartnerschaft, Ansprache zur Verleihung des Preises "Soziale Marktwirtschaft" 2010 der Konrad-Adenauer-Stiftung.
3 Der EGMR bezeichnet im Zusammenhang mit der Auslegung von Art. 11 EMRK das Recht auf Tarifverhandlungen mit Bezugnahme auf die ILO-Konvention Nr. 98 über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechts und des Rechts auf Koalitionsverhandlungen als eines der grundlegenden Instrumente mit internationalem Standards für die Arbeitswelt. Im Unionsrecht ist ein europarechtliches Grundrecht auch der Tarifautonomie mit Art. 28 GR-Charta neu angelegt. Das Recht der Koalitionsfreiheit i. S. von Art. 9 Abs. 3 GG verteilt sich in seinem Regelungsgehalt auf die Art. 12 und 28 GR-Charta (Gründung und Beitritt zur Koalition). Die Auslegung von Art. 2 GR-Charta ist dadurch beeinflusst, dass die Tarifautonomie als spezifische Betätigungsform der Koalitionen in den nationalen Verfassungen der Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgeprägt ist, Waltermann, Entwicklungslinien der Tarifautonomie, RdA 2014, 86. Art. 11 EMRK schützt unmittelbar nur die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit; als Teil dieser wird in Art. 11 Abs. 1 HS 2 EMRK insbesondere das Recht zum Schutz der eignen Interessen Gewerkschaften zu gründen und ihnen beizutreten, genannt. Da der Beitritt zu einer Gewerkschaft dem Schutz der eignen Interessen dienen soll, ist der Anknüpfungspunkt für den EGMR auch die Betätigung der Gewerkschaften selbst bzw. andere Formen der Kollektivbetätigungen in den Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 EMRK aufzunehmen. Der EGMR stellt fest, dass sich zum Schutz der eigenen Interessen der Beitritt nur eignet, wenn die Gewerkschaft auch die Möglichkeit der Betätigung hat, Franzen/Thüsing/Waldhoff, Arbeitskampf in der Daseinsvorsorge, 2012, S. 71. Die Anerkennung eines aus Art. 11 EMRK abgeleiteten Streikrechts erging einstimmig, Tscherner, S. 358. Der EGMR erkannte, dass der Eingriff in das Koalitionsrecht zwar eine gesetzliche Grundlage hatte. Dennoch war der Eingriff in das Streikrecht in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig, EGMR, NZA 2010, 1425.
4 Der Rechtsstaat war schon immer ein Richterstaat. Wer daran zweifelt, geht nicht aufmerksam durch unsere Rechtswelt. Das Prinzip der Gewaltenteilung steht im Dienste der Machtmoderation. Es soll nicht Macht verhindern, sondern einem Missbrauch der Macht vorbeugen, Dieter Simon, Vom Rechtsstaat in den Richterstaat? Vortrag gehalten am 3. Nov. 2008 Berliner Arbeitskreis Rechtswirklichkeit.
5 Der Schutz vor Arbeitskämpfen im Anwendungsbereich von ungekündigten Tarifverträgen ist Resultat der so genannten relativen Friedenspflicht. Ihr Zweck ist es, den Tarifvertrag als eine Friedensordnung für seinen Regelungsgegenstand in seinem Geltungsbereich zu schützen. Daher untersagt sie den Tarifvertragsparteien alle Arbeitskampfmaßnahmen, die sich gegen den Bestand des Tarifvertrags insgesamt oder auch nur gegen einzelne seiner Bestimmungen richten. Es soll, wie es das BAG formuliert hat, die „tariflich geregelte Materie” während der Laufzeit des Tarifvertrags kollektiven Auseinandersetzungen entzogen sein, wobei die Friedenspflicht nach herrschender Meinung in ihrer Ausprägung als relative Friedenspflicht jedem Tarifvertrag immanent ist. Ist ein Tarifvertragssystem als abschließend anzusehen, verstoßen Arbeitskampfmaßnahmen, die zu Änderungen und/oder Verbesserungen der Anwendung findenden Regelungen des jeweiligen Tarifvertrags führen, gegen die relative Friedenspflicht. Denn nach bisheriger ganz herrschender Meinung wird die dem Tarifvertrag „innewohnende” relative Friedenspflicht so verstanden, dass sie den Tarifparteien insbesondere verbietet, einen bestehenden Tarifvertrag inhaltlich dadurch in Frage zu stellen, dass sie Änderungen und/oder Verbesserungen der vertraglich geregelten Gegenstände mit Mitteln des Arbeitskampfs erreichen wollen, Melms/Reinhardt: Das Ende der relativen Friedenspflicht – Arbeitskampf immer und überall? NZA 2010, 1033f.
6 "Gute Arbeit" wird letztlich immer von den individuellen Beschäftigten definiert. Selbständigkeit und Autonomie bzw. Flexibilität sind heute individuelle Ressourcen, auf die die Unternehmen stärker zugreifen. Sie enthalten zugleich auch Potenziale individueller Entfaltung und Selbstverwirklichung, Sauer, Von der "Humanisierung der Arbeit" zur "Guten Arbeit", APuZ 15/2011
7 Huke, Zukunft der Sozialpartnerschaft in Deutschland, APuZ 13-14/2010.
8 Die Flexibilitätsanforderungen, denen sich Unternehmen durch neue Marktverhältnisse häufig ausgesetzt sehen, sind an die Beschäftigten im Regelfall in Gestalt von externen (atypische Beschäftigungsformen) und internen Flexibilisierungsstrategien (Arbeitszeitflexibilisierung, Zeitkonten) und Managementstrategien weitergeben worden. Grundlegende Veränderungen der Erwerbsarbeit finden sich bei flexiblen Beschäftigungsformen, bei Vermarktungsstrategien und bei Anforderungen an das Engagement der Beschäftigten.
9 Die rechtlich vorgesehene strikte Trennung zwischen Arbeitszeit und Ruhezeit (bzw. Freizeit) gerät angesichts der durch die technische Entwicklung (Laptop, Handy, Smartphone) vorangetriebenen Verbreitung des Phänomens der „arbeitsbezogenen erweiterten Erreichbarkeit“ unter Druck. ( Rainer Schlegel, 2014) Die Gestaltung der Arbeitszeit fällt eine Schlüsselrolle zu. Sie hat starken Einfluss auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten und damit auf deren Möglichkeiten, überhaupt im Erwerbsleben verbleiben und weiterhin eine Tätigkeit ausüben zu können. Die Arbeitszeit ist eine wichtige Stellgröße für die Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten, Seifert, Alternsgerechte Arbeitszeiten, APuZ 18-19/2008, S.24. Die drei Dimensionen der Arbeitszeit, Dauer, Lage und Verteilung beeinflussen jeweils für sich den Grad gesundheitlicher Belastungen. Je nachdem, in welcher Kombination sie auftreten, verstärken sie die Belastungen kumulativ und umgekehrt schwächen sie sie ab. Als Element einer lebensphasenorientierten Arbeitszeitgestaltung werden Langzeitkonten bzw. Lebensarbeitszeitkonten diskutiert, Seifert, Alternsgerechte Arbeitszeiten, APuZ 18-19/2008, S. 23
10 Ein prominenter Gradmesser des gegenwärtigen Zustands der Tarifautonomie ist der Niedriglohnsektor und dort die Diskussion um Mindestlöhne. Würde die Tarifautonomie im Niedriglohnsektor funktionieren, wären menschenwürdige Mindestlöhne nicht vom Gesetzgeber zu verantworten (Staatsferne der autonomen Tarifverhandlungen). Die Tarifautonomie würde für akzeptable und zukunftssichernde Mindestarbeitsbedingungen im Niedriglohnsektor – der inzwischen fast ein Viertel der Arbeitsverhältnisse ausmacht sorgen, vgl. Waltermann, NZA 2014, 875; Picker, Niedriglohn und Mindestlohn, RdA 2014, 26 -elementarer Aspekt der Privatautonomie als Ausprägung der allgemeinen Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG, und damit der willentlichen Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse ist die Vertragsfreiheit. Durch den freien Vertragsabschluss soll ein Ausgleich entgegengesetzter Interessen durch konsensuales Aushandeln herbeigeführt werden. Der vereinbarte Lohn ist danach deshalb gerecht weil er zwischen den Vertragsparteien frei verhandelt wurde. Ein freies Aushandeln setzt aber voraus, dass beide Vertragsparteien gleich wirkmächtig auftreten können, gleich stark sind und nicht eine Vertragspartei übermächtig die Bedingungen des Vertrages bestimmen kann. Die Tarifautonomie hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten gut weiterentwickelt. In einigen Branchen prägt sie nach wie vor die Gestaltung der Arbeitsbedingungen. Die Tarifautonomie hat auch, namentlich im Hinblick auf eine von den Verbänden gesteuerte Öffnung des Flächentarifvertrags, Anpassungsfähigkeit unter Beweis gestellt. In der damit zwangsläufig verbundenen „Verbetrieblichung“ tarifvertraglicher Regelungsgegenstände liegt freilich zugleich auch ein erhebliches Gefährdungspotenzial für die Akzeptanz der Tarifautonomie, Waltermann, Stärkung der Tarifautonomie - Welche Wege könnte man gehen? NZA 2014, 874. Die Regierungsparteien haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass sie den Grundsatz der Tarifeinheit gesetzlich festschreiben wollen, Waltermann, Stärkung der Tarifautonomie - Welche Wege könnte man gehen? NZA 2014, 874. Das deutsche Tarifvertragsrecht baut in seiner verfassungsrechtlichen Verankerung - Art. 9 Abs. 3 GG - und in seiner gesetzlichen Ausgestaltung auf der Mitgliedschaft in Koalitionen auf. Es ist durch die in §§ 4 Abs. 1 und 3 Abs. 1 TVG niedergelegte, am Einzelarbeitsverhältnis orientierte Geltungsherleitung. Ein Tarifvertrag gilt grundsätzlich nur dann, wenn und soweit er von den beiden Arbeitsvertragsparteien durch eine Mitgliedschaft in den tarifabschließenden Verbänden oder - auf Arbeitgeberseite - Beteiligung am Tarifabschluss legitimiert ist. Das deutsche Tarifvertragssystem ist durch das Ziel einer Gestaltung des Arbeitslebens durch Flächentarifverträge geprägt, Bepler, Stärkung der Tarifwirkung in der Breite, Gutachten für den 70. Deutschen Juristentag, 2014 - C I 1. Der Flächentarifvertrag wird vom Grundgesetz ("Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen") und vom Tarifvertragsgesetz § 5 Abs. 1 Nr. 1 TVG als das für die sozialstaatliche Aufgabenerfüllung gegenüber der Betriebsverfassung vorrangig geeignete Regelungsinstrument angesehen. Nur auf der Grundlage von Haustarifverträgen kann keine tarifautonom geschaffene verlässliche Ordnung des Arbeitslebens entstehen, die es dem Gesetzgeber erlaubt, von gesetzlichen Strukturierungen und Sicherungsmaßnahmen abzusehen. Der Flächentarifvertrag als verlässlicher Rahmen vermittelt die Friedenspflicht der Tarifparteien und sichert im arbeitsteilig organisierten Wirtschaftsleben eine angestrebte Sicherheit und Stetigkeit auf eine überschaubare Zeit. Von den privatautonom legitimierten Tarifwirkungen ausgehend, wirkt das deutsche Recht in mehreren gesetzgeberischen Einzelaktionen auf eine rechtliche oder tatsächliche Erstreckung der Gestaltungswirkung von Tarifverträgen hin, Bepler, B 39. Die Gestaltungsbreite der Tarifverträge ist durch die Gestaltungserstreckung in einzelvertraglichen Verweisungen weit größer als sie die Mitgliedschaften in den Koalitionen ermöglichen würde. Durch Regelungsverweisungen sollen und können einheitliche Arbeitsbedingungen in Betrieb und Unternehmen geschaffen werden. Tarifautonomie ist strukturell gleichberechtigte Selbstorganisation und Selbstverwaltung der Träger der im Arbeitsleben repräsentierten Interessen anstelle der wegen der Wirkmächtigkeit nur sehr eingeschränkt tauglichen individuellen Privatautonomie und des nicht vergleichbar zu sachnaher Regelung kompetenten Gesetzgebers Stärkung der Tarifautonomie - Welche Änderungen des Tarifvertragsrechts sind gefordert? Die Wirkung tarifautonomer Rechtsgestaltung bedarf der Stärkung in der Tiefe und der Breite. Das ist aber kein Grund für einen Systemwechsel. (Bepler) Das Schriftformgebot des § 1 Abs. 2 TVG ist zu klären und auszubauen; es hab Zustandekommen, Änderungen und Beendigungen von Tarifverträgen zu umfassen; § 126 Abs. 2 S. 2 BGB muss hier unanwendbar sein. (Bepler) Tarifverträge sollten auch für Solo-Selbständige geschlossen werden, die regelmäßig allein und ohne den Einsatz eigener Arbeitnehmer Werk- oder Dienstleistungen erbringen und dabei in die betriebliche Organisation ihres Auftraggebers eingebunden sind.(Deinert) Abweichungen von zwingendem Recht zu Lasten der Arbeitnehmer sollten nur durch Tarifvertrag möglich sein, nicht aber auf Grundlage einer Bezugnahme auf den Tarifvertrag. Abweichungen durch Firmentarifvertrag sollten nur in dem Rahmen zulässig sein, den auch ein Verbandstarifvertrag gestattet. Tarifverträge i. S. des § 1 Abs. 1 TVG bedürfen der Schriftform § 1 Abs. 2 TVG. Diese Regelung dient nicht dem Übereilungsschutz; eine andere Bewertung stünde in Widerspruch mit der Tarifautonomie und dem sich daraus ergebenden Verhältnis zum staatlichen Gesetzesrecht. Der Sinn der Schriftformanordnung hängt unmittelbar mit dem normativen Charakter von Tarifverträgen zusammen. Angesichts der fehlenden Veröffentlichungspflicht von Tarifverträgen in einem "Normenblatt" dient die Schriftform dazu, jederzeit den verbindlichen Regelungstext der getroffenen Regelungen feststellen und in dem Tarifvertrag verlässlich ablesen zu können, wer der/die Normurheber sind. Von der Kenntnis, wer die Regelung veranlasste hängt das Wissen ab, ob ein Tarifvertrag im einzelnen Arbeitsverhältnis normativ und als Mindestbedingung zwingend gilt. Die Schriftform dient der Rechtssicherheit. Es bedarf für einen Tarifvertrag - als Nachschlagewerk - keiner Vertragsurkunde, auf der sich alle Unterschriften der Tarifvertragsparteien als Bestätigungs- und Legitimationsvermerke befinden, Bepler, B 14.
11 Art. 28 GR-Charta garantiert den Grundrechtsträgern das Recht auf kollektive Maßnahmen, wobei der Streik beispielhaft genannt wird. Daneben ist nach h. M. auch das Hauptkampfmittel der Arbeitgeberseite, die Aussperrung, garantiert, vgl. Engels, Das Gemeinschaftsgrundrecht auf Durchführung kollektiver Maßnahmen - eine Skizze, ZESAR 2008, 475, 479f - geht man davon aus, dass der Regelungsvorbehalt des Art. 28 GR-Charta als Schrankenvorbehalt zu verstehe ist, ist die inhaltliche Reichweite das Art. 28 zur Bestimmung des Tatbestandes der gemeinschaftsrechtlichen Arbeitskampffreiheit heranzuziehen. Denn bei Berücksichtigung der mitgliedstaatlichen Vorschriften auf Rechtfertigungsebene ist der Schutzbereich des Art. 28 GR-Charta nicht mehr von deren Inhalt abhängig, vgl. Jarass, Art. 28 GR-Charta, RN 7 - Weiter fällt die Aussperrung in den Schutzbereich des Art. 28, da die Arbeitgeberorganisationen ebenfalls als Grundrechtsträger genannt werden. Da aber die Aussperrung, anders als der Streik, nicht ausdrücklich genannt ist, könnte die Aussperrung ev. nur unter bestimmten Voraussetzungen geschützt sein, etwa nur als Abwehraussperrung und unter intensiver Prüfung der Verhältnismäßigkeit. Kollektivmaßnahmen werden bei allen Interessenkonflikten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern geschützt, nicht nur im Hinblick auf die Aushandlung von Tarifverträgen. Zusätzlich sollen Betriebsblockaden, Sympathiestreiks und Boykotte den Schutz von Art. 28 GR-Charta genießen, Tscherner, Arbeitsbeziehungen und Europäische Grundfreiheiten, 2012, S. 351; vgl. auch Rudolf, in Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 28 GR-Charta, RN 24 - die ausdrückliche Erwähnung der Arbeitnehmer- wie auch der Arbeitgeberverbände in der geltenden Fassung des Art. 28 stützt im Ergebnis die herrschende Meinung, so dass Streik und Aussperrung, aber auch sonstige Maßnahmen des kollektiven Menschenrechts erfasst sind. Das Recht auf Kollektivverhandlungen genießt in Deutschland den verfassungsrechtlichen Schutze des Art. 9 Abs. 3 GG, doch ist dieses Recht nach Art. 28 GR-Charta im Einklang mit dem Unionsrecht auszulegen, Tscherner, Arbeitsbeziehungen und Europäische Grundfreiheiten, 2012, S. 351.
12 So wie die sozialen Bewegungen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert die entstehende Industriegesellschaft und den neuen radikalen Kapitalismus zähmen und humanisieren mussten, stellt sich heute wieder eine vergleichbare Aufgabe. Denn Digitalisierung der Welt hat bislang nur das Potential, um Wohlstand und große technische Innovation hervorzubringen. Denn genauso wie damals wird durch die rasante technische Entwicklung nicht zuallererst unsere Arbeitswelt herausgefordert, sondern unsere Gesellschaft und unser Denken werden in ihrer Gesamtheit revolutioniert. Wenn wir Menschen infolge der Digitalisierung mögliche Vernetzung des Menschen nur noch die Summe unserer Daten sind, in unseren Gewohnheiten und Vorliegen komplett abgebildet und ausgerechnet als gläserner Konsumbürger der neue Archetyp des Menschen des 21. Jahrhunderts sein werden, dann ist der Schritt nicht weit, dass wir dann ach nur noch die politischen und kulturellen Informationen erhalten, die unserem vermuteten Interessen entsprechen sollen. Damit wäre dann die Vorstellung vom Menschen, der sich frei entwickeln und der es durch Bildung und harte Arbeit nach "ganz oben schaffen kann" endgültig erledigt. Entstanden wäre der neue Mensch: der determinierte Mensch. Die grundrechtlich geschützte "Privatheit" des Menschen erfordert deshalb soziale Bewegungen, die den Mut aufbringen, das Notwendige zu tun, und die dafür die erforderlichen normativen und historischen Prägungen mitbringen und letztlich die Unverletzlichkeit und Unabwägbarkeit der menschlichen Würde aufrecht erhalten, frei nach Martin Schulz, Warum wir jetzt kämpfen müssen, FAZ vom 6. Februar 2014.
13 Das "klassische" Normalarbeitsverhältnis steht unter Druck. Prekäre und schlecht bezahlte Arbeit beschädigen die Grundpfeiler der Arbeitsmarktordnung. Zeit für eine neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. Die Arbeitsmarktordnung der Sozialen Marktwirtschaft hat sich aufgelöst. Merkmale sein die Verknüpfung von hoher wirtschaftlicher Effizienz und Leistungsbereitschaft auf der einen sowie gesellschaftlicher Solidarität auf der andern Seite gewesen. Für einen Kurswechsel hin zu einer neuen Arbeitsmarktordnung braucht es ein neues Leitbild: Sozial abgesicherte, flexible Erwerbsverläufe für Männer und Frauen mit Ansprüchen auf kürzere Arbeitszeit bei Elternschaft, Pflege und Weiterbildung, gute Arbeitsbedingungen, die angemessen bezahlte Erwerbstätigkeit bis zur Rente ermöglicht. Innovationsfähigkeit und Flexibilität - dazu gehören gute Ausbildung sowie zeitlich und funktionale Flexibilität. Eine Qualifizierungsoffensive, um den Anteil der gering Qualifizierten weiter zu reduzieren, Wetzel, Quo vadis Normalarbeitsverhältnis? www.igmetall-kurswechselkongress.de/.../quo-vadis-normalarbeitsverhältnis; vom 7. Dezember 2012.
14 Leitbild der industriellen Beziehungen in Deutschland ist die Sozialpartnerschaft. Interessensunterschiede zwischen Beschäftigten und Kaptalseite so die Vorstellung sind nicht unüberbrückbar, da es ein gemeinsames Interesse an der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Wirtschaft gebe. Ob Gewerkschaften eher in eine sozialpartnerschaftliche oder stärker in eine konfliktorientierte Richtung tendieren, hängt von den Zeitumständen und den anstehenden Problemen ab.(Arbeitslosigkeit, Arbeitszeitflexibilisierung, Aging-Workforce, Trennungskultur, Work-Life Balance Perspektiven, Programme Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Betriebsverlagerungen oder -Schließungen, betriebliches Gesundheitsmanagement, alternsgerechte Arbeitsmodelle, Lohnentwicklung und Kaufpreisverluste- Effektivlöhne, Kampagne zur Regulierung der Leiharbeit). Dass sich Kinder und Karriere vereinbaren lassen, eine Lüge? Zeit für mehr Ehrlichkeit, vgl. Brost/Welfing, Die Zeit vom 30. Januar 2014, S. 6. Unsere Kinder kennen keine "Quality time". Das Gerede verschleiert nur, dass das Zeitproblem einfach ungelöst ist. Die moderne Arbeitsweilt hat sich enorm beschleunigt und gleichzeitig verdichtet, alle erleben das. Die Grenze zwischen Arbeitszeit und privater Zeit ist längst durchlässig geworden, weil man immer erreichbar sein will oder soll. Hilfreich wäre mehr Ehrlichkeit. Kinder schaffen Glück! und Stress! Unweigerlich Beides. Es könnte schon eine wirkliche Hilfe seín, das ehrlich auszusprechen, statt immer weiter die Vereinbarkeitslüge zu verbreiten. Denn auch die produziert wieder nur: Stress. In Deutschland sind nach h. M. Generalstreiks oder politische Streiks rechtlich nicht zulässig, Dribbusch/Birke, Die DGB-Gewerkschaften seit der Krise, 2014, S. 12. Bei Tarifauseinandersetzungen ist das Gegenmachtpotenzial u. U. für die Durchsetzung ausgehandelter Kompromisse entscheidend, d. h. die betriebliche Stärke und die daraus resultierende Verhandlungsmacht; ein wesentlicher Aspekt ist dabei die Fähigkeit der Gewerkschaft, Mitglieder und Beschäftigte auf die ausgehandelten Kompromisse verpflichten zu können. Bisher konnte der "Krisenkorporatismus" betriebliche Konflikte nicht vollständig absorbieren, Dribbusch/Birke, Die DGB-Gewerkschaften seit der Krise, 2014, S. 19. Da Arbeitskämpfe von den Gewerkschaften zunehmend als "Gelegenheiten" der Organisierung und Mitgliederwerbung begriffen werden, spielt das Organizing eine zunehmende Rolle. Das gilt besonders für untypische Arbeitskämpfe in wenig organisierten und prekarisierten Bereichen. Organizing wird pragmatisch auf lokale betriebliche Situationen bezogen.
15 Handelt es sich bei der tarifvertraglichen Friedenspflicht um einen Vertrag (mit Schutzwirkung) zu Gunsten Dritter, so dass sich auch Drittbetroffene auf eine Verletzung der Friedenspflicht berufen können? Oder können Drittbetroffene unter dem Gesichtspunkt des Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb Schadensersatz bei rechtswidrigen Streikmaßnahmen verlangen? Ein rechtswidriger Streik stellt einen rechtswidrigen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Arbeitgebers i. S. des § 823 Abs. 1 BGB dar. Der Arbeitgeber kann analog § 1004 BGB Unterlassung der Streikmaßnahme verlangen, BAG, NZA 1989, 475 = NJW 1989, 1881. Der Unterlassungsanspruch kann auch vorbeugend im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens geltend gemacht werden, BAG, NZA 1989, 475; ErfK/Dieterich, Art. 9 GG RN 224. Bei einer (drohenden) Verletzung der Friedenspflicht besteht ein vertraglicher Unterlassungsanspruch. Die Friedenspflicht besteht primär zwischen den Tarifvertragsparteien selbst. Für schuldhafte Pflichtverletzungen und daraus entstandene Schäden kann gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 BGB Schadensersatz verlangt werden. Die Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich des Tarifvertrages ist zu bejahen, wenn ein besonderes Näheverhältnis zum Arbeitgeber besteht und das tarifschließende Unternehmen ein besonderes Interesse am Schutz des Dritten hat und dies bereits bei Abschluss des Tarifvertrags für die Gewerkschaft erkennbar war. Der Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter ist ein von der Rechtsprechung geschaffenes Institut, welches dazu dienen soll, Lücken im vertraglichen Haftungssystem des BGB zu schließen. (vom Parteiwillen getragene rechtsgeschäftliche Vereinbarung ansehen („Vertragskonzept”; oder gesetzliche Haftungserweiterung aufgrund einer richterlichen Rechtsfortbildung und § 242 BGB - "Treu und Glauben"), vgl. Zenner, Der Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter - Ein Institut im Lichte seiner Rechtsgrundlage, NJW 2009, 1030. Der Arbeitskampf ist als Hilfsmittel der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Tarifautonomie (mittelbar) geschützt (so genannte Annexgewährleistung), so dass sich die streikführende Gewerkschaft hinsichtlich rechtswidriger Forderungen folglich nicht auf die Koalitionsfreiheit berufenen kann. Ist eine der erhobenen Streikforderungen rechtswidrig, dann kann der Arbeitgeber Unterlassung der Arbeitskampfmaßnahme verlangen. Auf ein Verschulden der Gewerkschaftsvertreter kommt es nicht an. Eine Berufung auf den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens ist der Gewerkschaft, auch wenn es sich bei der rechtswidrigen Forderung um eine bloße Nebenforderung handelt, verwehrt, so Willemsen/Mehrens, Rechtswidriger Streik ohne Risiko? – Zum Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens, NZA 2013, 1404. Dies gebietet der Grundsatz der Rechtsklarheit des Streikaufrufs und die Verlässlichkeit der Rechtsordnung. Eine Berufung auf ein Alternativverhalten würde dem Schutzzweck der Friedenspflicht widersprechen.
16 Streiks haben kein über längere Zeiträume stabiles Subjekt: die sie tragenden Gruppen wechseln und ihre Zusammensetzung ändert sich. Konflikte und Veränderungen in Produktion und Wertschöpfungsketten halten die Welt der Arbeit im Fluss. Was heute Normalarbeitsverhältnis ist, muss es morgen nicht bleiben. Wer zum Kern der Lohnarbeit und wer zum prekären Rand gehört, wer formell und wer informell beschäftigt ist, wird nicht zuletzt durch gesetzgeberische Aktivitäten mittelbar beeinflusst. Streiks und Gewerkschaften bilden in der allgemeinen Wahrnehmung eine Einheit. Wie das Kräfteverhältnis in den Auseinandersetzungen um die Zukunft Sozialstaatlicher Errungenschaften in Europa aussieht, und wie die soziale Gerechtigkeit gesichert werden kann ist eine noch offene Frage, vgl. Streik und sozialer Protest, Bewernitz/Dribbusch, WSI Mitteilungen 5/2014 Editorial.
17 Politik ist angewandte Liebe zum Leben (Hannah Arendt). Beim Augenmaß als wichtiger Tugend des Menschen geht es um die richtige Distanz des Menschen zur Sache. Sich nicht mutlos in Unübersichtlichkeiten des dauerhaften Prozesses zu verlieren, ist unerlässlich (frei nach Franz Müntefering, FAZ vom 21. Juni 2014, S. 11).
18 Gleichheit hat nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine Absicherungsfunktion für die Freiheit, ist ein der Freiheit dienendes Recht und stellt sicher, dass jedem die gleiche, seiner Persönlichkeit angemessene Möglichkeit der Entfaltung gegeben wird. Freiheit und Gleichheit sind auch keine Gegensätze, sie ergänzen sich, Schmitt-Glaeser, Die Gerechtigkeit ist ein Wiesel, FAZ vom 29. Juli 2007. Gleichheit ohne Freiheit führt in diktatorische Zustände; Freiheit ohne Gleichheit behindert die Freiheit all derer, die über weniger Ressourcen oder Chancen verfügen, Gerhard, APuZ 34-36/2013, S. 20. Frei ist nur der Bürger, der auf die Früchte seiner Arbeit (John Locke) vertrauen kann, statt völlig und fest in das Zaumzeug staatlicher Verteilungspolitik eingespannt zu werden. Freiheit ist nicht Selbstzweck - sie schützt vor ungerechten Verteilungsmechanismen.
19 Langfristigkeit und Stabilität der deutschen Unternehmens und Wirtschaftskultur, Hüther, Die unentbehrliche Nation, FAZ vom 23. März 2014 und die Prinzipien der Freiheit, Rechtsgleichheit und Bürgerlichkeit, der Volkssouveränität, Rechtsstaatlichkeit (Recht ist ein sensibles aber verlässliches Medium), die Gewaltenteilung und die Grund- und mehrheitsresistenten Menschenrechte haben bei nachhaltig bewusster sozialer Verantwortlichkeit viele Jahre stabile gesellschaftliche Verhältnisse in Deutschland gesichert. Bei der Neupositionierung der deutschen Gewerkschaften handelt es sich um den relativ seltenen Fall des expliziten Organisationslernens. Rehder, Revitalisierung der Gewerkschaften? Berliner Journal für Soziologie, 2008, 3:434. Seit den 1990er Jahren wird durch den wachsenden Wettbewerbsdruck auf nationalen und internationalen Märkten der Betrieb zur konkurrierenden Bezugsgröße interessenpolitischer Organisierung. Die deutschen Gewerkschaften waren lange durch ihren hohen Institutionalisierungsgrad tendenziell weniger von Input-Legitimität abhängig. Allenfalls mussten sie damit rechnen, von den Mitgliedern an der Output-Legitimität, also den erzielten Resultaten der Interessenvertretung (z. B. Lohnabschlüssen) gemessen zu werden. Die Gewerkschaften brauchen unter den Bedingungen des intensivierten Wettbewerbs eine direkte Bindung an ihre Mitglieder, um ihre Organisation zu stabilisieren und ihre Politik zu legitimieren, Rehder, Revitalisierung der Gewerkschaften? Berliner Journal für Soziologie, 2008, 3:439. Eine viel größere Rolle als Effizienzüberlegungen spielen bei Nicht-Ökonomen Fairnessgedanken und Moralvorstellungen, die freilich das Wohlergehen der Mitglieder der eigenen Gruppe höher gewichten als das Schicksal fernstehender Gruppen, Biebeler/Lesch, Arbeitnehmerinteressen und Gewerkschaftsprogrammatik Was sagt die Empirie? W-Trends 4/2010, S. 4. Trotz Mitgliederverlusten weisen die Gewerkschaften eine relativ robuste Organisationsstabilität auf. Und immer wieder aufflammende Konflikte um Einkommen, Arbeitsplätze und Sozialstandards zeig(t)en von der weiterhin vorhandenen Fähigkeit, in harten Verteilungskonflikten Erfolge zu erzielen, vgl. Urban, Niedergang oder Comeback der Gewerkschaften, APuZ 13-14/2010, S. 3. Ohne Fähigkeit zur autonomen Mobilisierung von Machtressourcen bleiben politische Einflussmöglichkeiten geliehen. Und sollten gewerkschaftliche Verhaltensweisen mit den Interessenlagen und Strategiegrenzen der Regierung kollidieren, könnten Anerkennung und geliehener Einfluss schnell widerrufen werden, Urban, a.a.O., S. 4. Die Gewerkschaften müssen die realen Revitalisierungspotenziale analytisch erfassen. Und sie müssen diese in entsprechende strategische Politikprojekte übersetzen Das drängt in Richtung einer offenen Strategiedebatte und eines gewerkschaftspolitischen Rollenverständnisses als "konstruktiver Vetospieler". Der konstruktive Vetospieler nutzt offensiv korporatistische Einflusskanäle in die politischen Entscheidungsarenen, gibt sich aber keinen Illusionen über Interessenlagen und Erfolgsaussichten hin. Er setzt zugleich auf die Erneuerung autonomer Verhandlungs- und Organisationsmacht durch eigene Machtressourcen und mobilisiert diese gegen Krisenpolitiken zu Lasten der Bevölkerungsmehrheit. Fest steht, dass die nachhaltige Erneuerung eigener Verhandlungs- und Organisationmacht erforderlich ist. Dies erfordert eine Stabilisierung gewerkschaftlicher Verankerung in traditionellen Wirtschaftssektoren und zugleich die Erschließung neuer Beschäftigungsbereiche. Dies ist der Kern gewerkschaftlicher Organizing-Strategien. Dabei handelt es sich um eine offensive Rekrutierungspolitik. Die Erneuerung gewerkschaftlicher Organisationsmacht, Erhalt und Ökologisierung industrieller Wertschöpfung sowie die Transformation des exportgetriebenen Entwicklungsmodells sind Projekte von hoher Dringlichkeit und hohem strategischen Potenzial. Der Begriff der neuen öko-sozialen Wirtschaftsdemokratie bringt den Anspruch zum Ausdruck, Krisenbewältigung und Strukturwandel nicht den Vermögens- du Machtinteressen privater Akteure zu überlassen, um gesellschaftliche Folgekosten zu begrenzen und beides im Sinne ökologischer und sozialer Verträglichkeit zu steuern, so Urban, a.a.O., S. 7.
20 Ein verlässliches, dauerhaft zukunftsfähiges vertrauensbegründendes System der Alterssicherung ist eine große Herausforderung für die politisch Verantwortlichen, die die unterschiedlichen Lebensplanungen und Erwerbsbiografien sowie die Altersstruktur berücksichtigen müssen um ein stabiles, stetiges Sicherungsniveau und einen sozial verantwortlichen Beitragssatz absichern muss. Die Erhaltung des sozialen Friedens in der Gesellschaft verbietet populistische Schnellschüsse.
21 Die neue gewerkschaftliche Marschroute führt aber auf eine zweite Ebene: die wirkliche Konfliktlinie verlagert sich mit jedem weiteren Ausbau des Sozialstaats ein Stück weiter in die Arbeitnehmer-Mittelschicht und damit in die Gewerkschaftsbewegung hinein. Einerseits zählt die Bedeutung gut qualifizierter Fachkräfte und der Tarifautonomie für den "Zukunftsstandort" Deutschland zum Standardrepertoire für Sonntagsreden, doch tatsächlich setzt die Regierung völlig andere Schwerpunkte in der Sozialpolitik. Der gesetzliche Mindestlohn zielt auf eine Umverteilung zugunsten Geringqualifizierter, das Rentenpaket - die Rente mit 63 und die erweiterte Mütterrente zugunsten von Menschen außerhalb der aktiven Arbeitswelt. Die Gewerkschaften müssen klären, wie sie ihre künftige Rolle als Vertretung von Arbeitnehmerinteressen sehen: Wollen sie noch dafür einstehen, dass es besser ist, Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen in frei verhandelten Tarifverträgen zu gestalten als durch Sozialstaat und Gesetz? Oder schenken sie einer Koalition Glauben, die ihnen unter dem Etikett "Tarifautonomie" immer mehr Allgemeinverbindlichkeitsverordnungen, Lohn-, Zeitarbeits- und Werkvertragsregulierungsgesetze verkaufen will? Die besondere Qualität frei verhandelter Tarifverträge liegt darin, dass sie nicht auf Funktionärskonferenzen geschrieben werden. Sie entstehen unter dem direkten Einfluss der Stimmung in den Belegschaften - nur was Mitgliedern wichtig genug ist, um dafür notfalls mit einem Streik dafür einzutreten, findet den Weg in Tarifverträge. Diese Interessenarbeit ist aufwendig. Bequemer ist es, die Verantwortung für die Arbeitsbedingungen bei der Regierung abzugeben und sich aufs Fordern und Kritisieren zu beschränken. Bisher war man mit der Staatsferne bei der Ausgestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gut gefahren. Langfristig werden die Gewerkschaften kaum noch erklären können, warum man bei ihnen Mitglied werden soll. Da helfen dann auch Organizing Kampagnen kaum zum Erfolg, vgl. Creutzburg, Der neue Verteilungskampf, FAZ vom 12. Mai 2014
22 Kennzeichen der modernen Arbeitsgesellschaft Orientierung am Prinzip zweckrationalen Handelns - für Arbeitsorganisationen wurde es immer wichtiger ihre Leistung mit möglichst wenigen Ressourcen und zu möglichst geringen Kosten zu erbringen Entwicklung von Märkten - Güter, Dienstleistungen, Arbeitskraft, Boden und sogar Geld werden zu Waren, die auf den entsprechenden Märkten nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage getauscht werden Erwerbsarbeit als zentrales Organisationsprinzip von Arbeit - Lohnarbeit wurde zum zentralen Organisationsprinzip von Arbeit ... usw., vgl. Heidenreich/Zirra, ,Die Herausbildung der Arbeitsgesellschaft, http:77www.bpb.de/grundfragen/deutsche-verhaeltnisse-eine sozialkunde/138700/die-heraubildung- Erwerbsarbeit spielt in Deutschland sowohl in gesellschaftlicher als auch in individueller Hinsicht eine zentrale Rolle. Arbeit ist die Hauptquelle zur Sicherung des Lebensunterhalts. Arbeit ist aber auch ein wichtiger Teil der persönlichen Selbstentfaltung, vgl. Schüller/Wingerter, Deutschland als Arbeitsgesellschaft, http://www.bpb.fr/nachschlagen/datenreport-2013/arbeitsmarkt-und-verdienste/173363/arbeitsgesellschaft
23 Die Zahl der arbeitenden Armen hat sich im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends erhöht. Eine Vielzahl von neu geschaffenen Arbeitsplätzen war/ist befristet und ungesichert. Immer mehr Menschen pendeln dauerhaft oder längere Zeit zwischen Erwerbslosigkeit und informeller oder prekärer Beschäftigung, Birke, Macht und Ohnmacht des Korporatismus. Eine Skizze zu den aktuellen Arbeitskämpfen in Deutschland, Sozial Geschichte Online 5 (2011), 146. Die "Lohnspreizung" durch Einführung oder Fortschreibung niedriger Einstiegslöhne schreibt unsichere Situationen länger fest. An der "Brückenfunktion", die vielleicht ein schmaler Steg ist - IAB - Kurzberichte 13/2010, kommen Zweifel auf. Birke, Macht und Ohnmacht des Korporatismus. Eine Skizze zu den aktuellen Arbeitskämpfen in Deutschland, Sozial Geschichte Online 5 (2011), 147. Wachsende gesundheitliche Belastungen, entgrenzte Arbeitszeiten und Zerfall der Kohärenz von Arbeits- und Lebensverhältnissen und zwanghafte Mobilität versstärkten die soziale Polarisierung der Arbeitenden, Birke, Macht und Ohnmacht des Korporatismus. Eine Skizze zu den aktuellen Arbeitskämpfen in Deutschland, Sozial Geschichte Online 5 (2011), 147.
24 Die Arbeitsbedingungen sind weitreichenden Veränderungen unterworfen. Flexibilisierung und Flexibilität der Aufbau und Ablauforganisation, personenbezogene und produktionsnahe Güterproduktion des Dienstleistungsbereichs kennzeichnen schlagwortartig die veränderten Rahmenbedingungen für Arbeit, die ausgelöst und verstärkt wurden durch die IuK-Technologien. Der Grundsatz der modernen Arbeitsorganisation besteht darin, jedem Arbeiter freie Hand in den Aufgaben zu lassen, für die er sich besonders eignet und ihn von Aufgaben zu entlasten, bei denen er nur "irgendjemand" ist, Renneberg, Veränderte Arbeitsbeziehungen - Veränderung der Arbeitskampfformen? WSI Mitteilungen 5/2005, 265.
25 Schwab, Arbeit auf Abruf, ODWW 2010, 461
26 Teilzeit in Führungsetagen ist eine Ausnahme auch wenn das Thema Arbeitszeitreduzierung wegen der stärkeren Vereinbarkeit von Beruf und Familie für die Beschäftigten wichtiger geworden ist, vgl. Hipp/Stuth, Management und Teilzeitarbeit - Wunsch und Wirklichkeit, WZ Brief Arbeit vom 15. Mai 2013. Ein stärkeres Entgegenkommen bei flexiblen und reduzierten Arbeitszeiten von Unternehmensseite kann die Mitarbeiterbindung fördern. Jobsharing soll und kann verhindern, dass wertvolles Wissen bei einem zeitweisen Ausfall oder beim Ausscheiden aus den Unternehmen verloren gehen. Das ausdrückliche Angebot an Führungskräfte, zeitweise in Teilzeit zu arbeiten kann zu einer Änderung der Unternehmenskultur beitragen.
27 Die Flexibilisierung der Arbeitszeit (atmende Arbeitszeit) ist neben der Flexibilisierung von Vergütungsabreden atmendes Entgelt) der größte und zugleich auch der wichtigste Bereich der Flexibilisierung im Arbeitsrecht. Unter dieses Stichwort fallen verschiedene Gestaltungsformen, wie die Teilzeitarbeit, die Arbeit auf Abruf oder verschiedene Formen der Verkürzung der betrieblichen Arbeitszeit Vertrauenszeit und Arbeitszeitkonten.
28 Das Gelingen von Weiterbildung ist mit einer Reihe von Ressourcen und Rahmenbedingungen - auf betrieblicher wie auf individueller Seite - verbunden. Dazu zählen finanzielle Mittel, Zeit, die Motivation der Teilnehmenden, die Organisation und Qualität der Maßnahmen sowie die Anerkennung der Bildungsergebnisse. Die Bereitstellung ausreichender zeitlicher Spielräume erweist sich dabei als eine wichtige Voraussetzung, die in der betrieblichen Praxis oft nicht gegeben ist. Die Kosten für Weiterbildung (in Form von Zeit- und Geldinvestitionen) müssen bereits in der Gegenwart getragen werden, während der künftige Nutzen für Betriebe und Beschäftigte unsicher ist. Bei Betrieben und Beschäftigten, bei denen die verfügbaren Ressourcen gering sind und Bildungsinvestitionen mit noch größeren Unsicherheiten verbunden sind, stellt Weiterbildung somit ein besonders häufig feststellbares Problem dar, Wotschack/Scheier/Schulte-Braucks/Solga, Zeit für Lebenslanges Lernen. Neue Ansätze der betrieblichen Arbeitszeit- und Qualifizierungspolitik, WSI Mitteilungen 10/2011, 542. Auf Seiten der Beschäftigten entstehen oft gerade bei den Gruppen zeitliche Zugangsbarrieren, die einen besonders hohen Bedarf an Weiterbildung aufweisen. Durch die fortschreitende Intensivierung der Arbeit einerseits sowie einen wachsenden Anteil an Zweiverdienerhaushalten und neuen Betreuungs- und Pflegeaufgaben andererseits hat sich die Abstimmung beruflicher und außerberuflicher Anforderungen erheblich kompliziert, vgl. Wotschack/Scheier/Schulte-Braucks/Solga, Zeit für Lebenslanges Lernen. Neue Ansätze der betrieblichen Arbeitszeit- und Qualifizierungspolitik, WSI Mitteilungen 10/2011, 542. In Phasen hoher Auslastung wird Zeit zur knappen Ressource, die sich nachteilig auf die betriebliche Weiterbildung auswirkt; in Flautezeiten ist die Ressource Zeit zwar eher verfügbar, aber die finanziellen Ressourcen das Betriebes können zu einem verknappenden Faktor werden. Qualifizierung währen der Kurzarbeit: zwei der untersuchten Betriebe haben die freien zeitlichen Kapazitäten im Zuge des wirtschaftlichen Abschwungs 2008/2009 für die Durchführung der Weiterbildung genutzt. Handlungsansätze, die indirekt mehr Zeit für Weiterbildung ermöglichen, umfassen alle Arbeitszeitinstrumente, die Beschäftigten eine Variation der Dauer, Verteilung und Lage ihrer Arbeitszeit im Erwerbsverlauf erlauben. In einem Betriebsfall wird sehr stark auf bezahlte Freistellungsmodelle (Sabbaticals) in Kombination mit Teilzeitoptionen gesetzt. Hier geht es um eine Kombination aus Variationen der Dauer und Verteilung der Arbeitszeit. Im Mittelpunkt stehen individuelle Sabbatical Lösungen, die in der Regel durch angepasste Entgelte, Resturlaub und Guthaben aus dem Jahresarbeitszeitkonto erzielt werden. Vorsorgende Instrumente zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit, wie Teilzeitoptionen oder Freistellungsoptionen im Erwerbsverlauf finden sich dabei oft in Kombination mit nachsorgenden Instrumenten wie Lebensarbeitszeitkonten, Wotschack/Scheier,/Schulte-Braucks/Solga, Zeit für Lebenslanges Lernen. Neue Ansätze der betrieblichen Arbeitszeit- und Qualifizierungspolitik, WSI Mitteilungen 10/2011, 545.
29 Es bedarf erheblicher betrieblicher Anstrengungen, um alter(n)gerechte Arbeitsbedingungen zu schaffen und die Beschäftigung zu sichern: ergonomische Ausstattung des Arbeitsplatzes, Anpassung der Leistungsanforderungen, spezielle Weiterbildungsangebote und präventive sowie begleitend gesundheitserhaltende Maßnahme (Gesundheitsmanagement), vgl. Trischler/Kistler, Wie alternsgerecht sind Arbeitswelt und Personalpolitik? Aging Workforce-Maßnahmen als betriebliche Bausteine einer alters- und alternsgerechten Personalpolitik: Arbeitsabläufe sollen so gestaltet sein, dass die Gesundheit der Erwerbspersonen nicht gefährdet wird Gesundheitsgefährdung tritt in den Vordergrund. Ein betriebliches Gesundheitsmanagement ist gefragt, das nicht erst bei bereits festgestellten Erkrankungen Gegenmaßnahmen ergreift. Eine ergonomische Arbeitsplatzgestaltung kann die Gesundheitsförderung unterstützen, Trischler/Kistler, Wie alternsgerecht sind Arbeitswelt und Personalpolitik? S. 10. Bei der Arbeitszeitgestaltung sollte den Bedürfnissen der ArbN entgegen gekommen werden. Durch eine flexiblere Gestaltung der Arbeitszeitstrukturen können die Bedürfnisse der ArbeitnehmerInnen in Bezug auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder Pflege verwirklicht werden. Durch eine intergenerative Zusammenarbeit können sich die Qualifikationsprofile (dazu zählt auch die berufliche Erfahrung) gut ergänzen. Durch den gegenseitigen Wissensaustauch könne die jeweiligen Stärken gut genutzt werden.
30 Die Dimensionen der Arbeitswelt - Zentrale Herausforderungen Unternehmen: Starre Systeme brechen - agile Systeme überleben. Für Unternehmen sind neben der demografischen Entwicklung, technisch-ökonomische und gesellschaftliche Entwicklungen bedeutsam, da sie sie zu erheblichen Anforderungen an die Unternehmensorganisation und Personalpolitik führen. Das gesamte System Arbeit befindet sich in einem Spannungsfeld von "Flexicurity". Flexicurity - Flexibilisierung und Flexibilität bzw. Sicherheit bedeutet, dass es einerseits gilt, die Mitarbeiter in Bewegung zu halten, diese allerdings auch Balance und Sicherheit sowie Heimat brauchen. Diese Anforderung gehört zu den Grundprinzipien des Employabilitty-Konzepts. Flexicurity lässt sich auch auf die organisatorische Ebene übertragen. Ein Unternehmen braucht Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, gleichzeitig aber auch einen Rahmen der Kontinuität und Verlässlichkeit, in dem agiert und innoviert werden kann. Unternehmen benötigen eine grundsätzliche Offenheit für Risiken und Ungewissheit und hohe Beweglichkeit, um mit widersprüchlichen Tendenzen umzugehen. Der Innovationsprozess wird mit der IuK-Technologie zunehmend herausfordernder. In-time-Arbeit und Ergebnisorientierung ersetzen zunehmen die Anwesensheitsorientierung und die Festschreibung von Arbeitszeiten Künftig hinterfragen die Arbeitnehmer stärker ihre Arbeitsstrukturen und -Prozesse und wollen mitgestalten/gestalten. Komplexität und Pluralität in der Organisation müssen dafür zugelassen werden und offen sein. In zunehmendem Maße entsteht in den kommenden Jahren eine kurzfristiger angelegte Projektkultur. Nur flexible Kooperationsformen können den steigenden Anforderungen an Innovations- und Anpassungsgeschwindigkeit sowie der immer größer werdenden Kompetenz und Wissensbreite gerecht werden können. Aufgrund der komplexer gewordenen Voraussetzungen für Innovationsprozesse müssen sich Unternehmen für Kooperation mit externen Partnern öffnen. Open- Innovation bezieht sich auf die Phasen von der Produktidee bis zur Marktreife. Die Risiken lassen sich aufgrund interdisziplinärer Wissensbestände und erweiterter Problemlösungskapazitäten leichter diversifizieren. Mit der Förderung von Beschäftigungsfähigkeit sind stärkenorientierte Personalplanung und ein stärkenorientierter Personaleinsatz gefragt. Um die Beschäftigungsfähigkeit langfristig zu fördern bzw. zu erhalten, muss ein vorausschauender Ansatz verfolgt werden, in dem die Qualifikation des Einzelnen einer kontinuierlichen Evaluation und Anpassung unterliegt. Arbeitsinhalte und Arbeitsbedingungen sind so zu gestalten, dass die Mitarbeiter über ihre Lebensarbeitszeit hinweg ohne arbeitsbedingte physische oder psychische Einschränkungen arbeiten können. Setzen sich die Trends er vergangenen Jahre fort, wird die Arbeitswelt der Zukunft in noch stärkerem Maße durch ungebundene Einsatzorte (die modernen Bürotechnologien machen Vieles möglich) und mehr Zeitsouveränität des Arbeitnehmers geprägt sein. Kehrseite dieser Freiheitsgewinne sind aber zunehmend erfolgsorientierte Leistungserwartungen und ein weiteres nahtloses Übergehen von beruflicher und privater Sphäre. Das Arbeitskampfrecht ist durch ein erhebliches Maß an Rechtsunsicherheit geprägt. Es fehlt vollständig an einer detaillierteren einfachgesetzlichen Regelung. Die Praxis muss auf ein wertoffeneres und wandlungsfähigeres Richterrecht bei gleichzeitiger Überlagerung durch internationales Recht (ILO 87, EMRK. EU-GRcharta), Robert Bosch Stiftung - Die Zukunft der Arbeitswelt - Auf dem Weg ins Jahr 2030, Stand 4. März 2013, Übergabe an Frau Ministerin von der Leyen, S. 106.
31 Wir müssen neu darüber nachdenken, was brauchen Menschen, um arbeiten zu können und wie verändert sich Arbeit in der neuen Welt. Unser Bild von Arbeit ist bisher gewesen: mittelalt, männlich, Industrie. Gleichzeitig gibt es unabhängig von der Krise einen Strukturwandel: Arbeit wird in Zukunft älter, weiblicher, bunter, innovativer sein. Und es wird immer mehr Menschen geben, die mit Dienst am Menschen ihr Geld verdienen. Mindestlöhne sind weder eine Katastrophe, noch ein Allheilmittel. Sie sind ein Instrument. Ministerin Von der Leyen, "Die Arbeitswelt wird älter, weiblicher, bunter", Interview in der Süddeutschen Zeitung vom 17. Mai 2010. http://www.sueddeutsche.de/wirtscnaft/2.220/von-der-leyen-die-arbeit Mit dem 1.1.2015 vollzieht sich im deutschen Arbeitsrecht ein Paradigmenwechsel: Es gilt ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn, vgl. hierzu Picker, Niedriglohn und Mindestlohn, RdA 2014, 25 ; Bayreuther, Der gesetzliche Mindestlohn, NZA 2014, 865 - Das Mindestlohngesetz (MiLoG) ist Bestandteil des zwischen CDU/CSU und SPD bereits im Koalitionsvertragvereinbarten Tarifautonomiestärkungsgesetzes, vgl. hierzu das Rechtsgutachten von Preis/Ulber, Die Verfassungsmäßigkeit des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns, Köln Mai 2014; erstellt auf Ersuchen der Hans-Böckler-Stiftung. Gesetzliche Mindestlöhne sollen die strukturelle Unterlegenheit von Arbeitnehmern bei Abschluss, Durchführung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses kompensieren. Sie sollen ermöglichen, dass wenigstens ansatzweise ein Entgelt gewährt wird, das einem kontradiktorischen privatautonomen Interessenausgleich entsprungen sein könnte. Das MiLoG legt eine allgemeine Untergrenze fest, die die Arbeitnehmer vor unangemessenen Löhnen schützen soll. Der Schutz der Arbeitnehmer soll bewirken, dass weniger staatliche Transferleistungen erforderlich werden. Ferner soll/kann durch die Begrenzung des Lohnkostenwettbewerbs ein Beitrag zur Stabilisierung des Tarifvertragssystems erfolgen. Ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn begrenzt den Lohnkostenvorteil, den ein Unternehmen durch Tarifflucht oder fehlende Tarifbindung erzielen könnte. Der Wettbewerb zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen ArbG um Arbeitskräfte kann nur noch eingeschränkt über die Lohnkosten erfolgen. Der gesetzliche Mindestlohn unterstützt den ArbN in seinem Bemühen mit seiner Arbeit den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu sichern. Ein menschenwürdiges Leben ist nur bei gesichertem Einkommen gewährleistet. Für die Sozialpolitiker der Großen Koalition ist der Mindestlohn ein Glücksfall. Für sie ist eingängig, dass man von seiner Hände Arbeit leben können soll. Die Befürchtung für strukturschwächere Regionen und einzelne Tätigkeitsbereiche: Da der Staat Unternehmen nicht zwingen kann, Arbeitsplätze zu erhalten, die sich betriebswirtschaftlich nicht rechnen, werden möglicherweise Stellen verlorengehen. Das wird schleichend passieren, wenn nicht die soziale Verantwortung der betroffenen Arbeitgeber obsiegt, vgl. Steltzner, Der Mindestlohn, FAZ vom 3. Juli 2014. Verdi-Chef Bsirske spricht von "Willkür von Hungerlöhnen und "grober Wählertäuschung", SpiegelOnline vom 29. Juni 2014 http://www.spiegel.de/wirtschaft/sozialesverdi-chef-bsirske-wettert... Bundesarbeitsministerin Nahles verteidigt das Tarifautonomiestärkungsgesetz, es stehe in der Tradition einer starken Tarifautonomie, die ein Eckpfeiler der sozialen Marktwirtschaft und damit Garant des Wohlstandes sei. Alle Beteiligten sind gut beraten, sensibel zu beobachten, wie sich der Mindestlohn auf den Arbeitsmarkt und die Preisentwicklung auswirkt, Bialas, Das Parlament - es bleibt spannend. Die Zugeständnisse an eine fairere Entlohnung von Arbeitnehmern am unteren Ende der Lohnskala werden aber viele Bundesbürgerinnen billigen. "Rote Karte für Lohndumping"? Das MiLoG gibt einen allgemeinen Grundlohn vor, der als solcher die unterste Grenze für die Entlohnung von Arbeitnehmern in Deutschland bildet. Abreden, die den Mindestlohn unterschreiten, sind nach § 3 S. 1 MiLoG unwirksam, vgl. Spielberger/Schilling, Der Regierungsentwurf zum Gesetz über die Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (MiLoG), NZA 2014, 414. Der Arbeitsvertrag bleibt im Übrigen wirksam, § 139 BGB greift im vorliegenden Kontext nicht (§ 3 S. 1 MiLoG: „insoweit“). Mindestlohnwidrige Vergütungsvereinbarungen werden dabei nicht etwa „geltungserhaltend“ auf den Mindestlohn „angehoben.“ Dies würde der mit dem Gesetz verfolgten Regelung eindeutig zuwider laufen. Vielmehr tritt an Stelle der unwirksamen Vergütungsvereinbarung die Vergütungsregelung des § 612 BGB. § 612 BGB - Vergütung (1) Eine Vergütung gilt als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. (2) Ist die Höhe der Vergütung nicht bestimmt, so ist bei dem Bestehen einer Taxe die taxmäßige Vergütung, in Ermangelung einer Taxe die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen. Der Arbeitgeber schuldet damit nicht mehr alleine den Mindestlohn, sondern vielmehr die Vergütung, die im Wirtschaftsgebiet üblicherweise für eine vergleichbare Tätigkeit bezahlt wird, was häufig der in einem fachlich und räumlich einschlägigen Tarifvertrag vorgesehene Arbeitslohn sein wird. Für die Vertragsgestaltung folgt daraus, dass die vertraglich vereinbarte Vergütung den Mindestlohn erreichen oder überschreiten muss. Maßgebend ist die übliche Vergütung im vergleichbaren Wirtschaftskreis, BAG 20.4.2011, NZA 2011, 1173 - ; zur üblichen Vergütung Preis, in ErfK § 612 BGB, RN 37. Die nach § 612 Abs. 2 BGB geschuldete übliche Vergütung ist diejenige, die am gleichen Ort in ähnlichen Gewerben und Berufen für entsprechende Arbeit bezahlt zu werden pflegt; maßgeblich ist die übliche Vergütung im vergleichbaren Wirtschaftskreis, vgl. Schmidt, Sittenwidrige Vergütung, NJW-Spezial, 2006, 561. Fehlt jegliche Möglichkeit der Bestimmung der üblichen Vergütung, so bleibt nichts anderes übrig, als eine Leistungsbestimmung über §§ 315 oder 317 BGB vorzunehmen.
32 Ein Blick in die Zukunft der Arbeitswelt: Keine festen Jobs, kein fürsorglicher Arbeitgeber, keine Arbeitsteilung - so stellen sich Wissenschaftler und Trendforscher die Zukunft vor. Sie gehört den Projektarbeitern und Einzelkämpfern. Machen wir da mit? Unternehmen arbeiten ohne feste Angestellte und ohne Bürogebäude projektbezogen für deutsche Großunternehmen. Jeweils für ein Projekt stellt ein Projektleiter Teams zusammen, die über das Internet zusammenarbeiten. Der Projektleiter handelt die Verteilung der Aufgaben und der Einkünfte zu Beginn des Projekts auf. Das virtuelle Unternehmen arbeitet in einer gewandelten Arbeitswelt. Das Verschwinden von Routinetätigkeiten hat weitreichende Konsequenzen: es bedeutet etwa dass Arbeit in Zukunft typischerweise Projektarbeit sein wird. Damit wird die pauschale Entlohnung von Arbeitszeit zum Auslaufmodell. Wenn man es überwiegend mit Wissensarbeit zu tun hat, dann ist ein über Stundenzahlen geregeltes Arbeitspensum ein Anachronismus, der in erster Linie das Kontrollbedürfnis der Vorgesetzten bedient. Die Arbeit von Kreativen und Wissensarbeitern zeichnet sich durch wenig strukturierte Prozesse und unsichere Resultat aus - und passt somit nicht in herkömmliche Arbeitszeitmodelle. Outsourcing und Crowdsourcing sind Modelle der Zukunft: Unternehmen verlagern Teile der Wertschöpfungskette an Dritte an andere Unternehmen, an Lieferanten oder gar Kunden. Das Internet bietet dafür hinreichend Chancen. Der Kunde muss in seiner Freizeit arbeiten. Die Grenzen zwischen Arbeit und Leben werden weiter verwischt, Nöcker, Die Zukunft gehört den Einzelkämpfern, FAZ vom 31, Dezember 2006.
33 Der Arbeitsvertrag soll Sicherheit durch ein unbefristetes Normalarbeitsverhältnis für den/die ArbeitnehmerInnen schaffen, indem ein Entgelt und soziale Leistungen des Arbeitgebers (Beitragsleistungen an die gesetzlichen Sozialversicherungen) den Lebensbedarf der Erwerbstätigen absichern können. Der Anteil der Arbeitsverhältnisse, die normativ oder faktisch von einem Tarifvertrag bestimmt sind, variiert, Rebhan, Gibt es ein Europäisches Sozialmodell der Arbeitsbeziehungen? ZESAR 2009, S. 164. Ein Europäisches Sozialmodell ist eine kohärente Konzeption zur Ordnung des Zusammenlebens, insbesondere in Bezug auf Arbeitsbeziehungen, Soziale Sicherheit und Daseinsvorsorge, wobei es entscheidend auf die Perspektive des Einzelnen ankommt, Rebhahn, Gibt es ein Europäisches Sozialmodell der Arbeitsbeziehungen? ZESAR 2009, 159. Die EU beeinflusst die nationalen Sozialmodelle der Arbeitsbeziehungen auf verschiedenen Wegen. Durch Normen wie die Arbeitnehmerfreizügigkeit Art. 45 AEUV und durch Richtlinien (etwa die RL 2003/88/EG]- EG-ArbeitszeitgestaltungsRL). Art. 7 der RL 2008/88 gibt den Mitgliedstaaten auf, Regelungen über den Mindestjahresurlaub zu treffen (vgl. § 7 BUrlG). Krankheitsbedingt nicht genommener Jahresurlaub ist abzugelten § 7 Abs. 4 BUrlG, vgl. Schwab, Beamte sind Arbeitnehmer, ODWW 2014, 564. Artikel 7 Jahresurlaub (1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind. (2) Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden. Urlaubsabgeltungsanspruch bei Tod des Arbeitnehmers, EuGH (Erste Kammer), Urt. v. 12.6.2014 – C-118/13 mit Anmerkung Schwab, ODWW, 2014, Artikel 624. Die Befristungs-RL schränkt zwar Schlechterstellungen ein, begrenzt die Möglichkeit zur wiederholten Befristung aber nur partiell, Rebhahn, a.a.O., S. 164. Gegen EU-Recht verstößt eine nationale Regelung wie § 14 Abs. 3 TzBfG, die den Abschluss befristeter Arbeitsverträge mit Arbeitnehmern, die älter als 52 Jahre sind, uneingeschränkt erlaubt, sofern nicht zu einem vorhergehenden unbefristeten Arbeitsvertrag mit demselben Arbeitgeber ein enger sachlicher Zusammenhang besteht. Dies entschied der EuGH einem Vorabentscheidungsersuchen auf Vorlage des ArbG München. Einer solchen Vorschrift stehe insbesondere Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf entgegen, EuGH, Urteil vom 22. 11. 2005 - C-144/04, EuZW 2006, 17 mit Anm. Reich = RdA 2007 169 mit Besprechung Kuras; vgl. Schwab, Das Mangold-Urteil 2014; Schwab, Befristung in der neueren Rechtsprechung, ODWW 2010, 452. Zu den fundamentalen Aufgaben eines Rechtsstaats gehört es, gesetzliche Normen so weit als möglich rechtssicher, transparent und verlässlich zu gestalten. Eine sachgrundlose Befristung ist nach § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber „bereits zuvor“ ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Das BAG begrenzt seit seiner Entscheidung vom 6.4.2011 das „Vorbeschäftigungsverbot“ durch verfassungskonforme Auslegung auf drei Jahre, BAGE 137, 275 = NZA 2011, 905 = NJW 2011, 2750 Ls.; BAGE 139, 213 = NZA 2012, 255 - Eine „Zuvor-Beschäftigung“ i. S. von § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG ist nicht gegeben, wenn das frühere Arbeitsverhältnis mehr als drei Jahre zurückliegt. Das ergibt die Auslegung der Vorschrift. Der Wortlaut und die systematische Interpretation des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG zwingen bei der Frage der zeitlichen Dauer zwischen einem vorangegangenen und einem neuen – sachgrundlos befristeten – Arbeitsverhältnis zu keinem bestimmten Auslegungsergebnis. Die Gesetzesgeschichte deutet eher auf ein zeitlich unbeschränktes Verständnis des Verbots der Vorbeschäftigung. Gründe der Praktikabilität und Rechtssicherheit und vor allem der Normzweck sprechen für ein zeitlich begrenztes Verständnis des Vorbeschäftigungsverbots. Auch das arbeitsrechtliche Schrifttum interpretiert § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG überwiegend als zeitlich uneingeschränktes, „absolutes“ oder „lebenslanges“ so genanntes Anschlussverbot APS/Backhaus, 3. Aufl., § 14 TzBfG; Arnold/Gräfl/Gräfl, TzBfG, 2. Aufl., § 14 RN 256; Dörner, Der befristete Arbeitsvertrag, 2. Aufl., RN 431 f. Unter Berücksichtigung aller Auslegungskriterien ist ein Verständnis der Vorschrift in dem Sinne geboten, dass das „Zuvorbeschäftigungsverbot“ zeitlich eingeschränkt ist. Der Wortlaut und die Gesetzessystematik zwingen zu keiner bestimmten Auslegung. Die Gesetzesgeschichte deutet eher auf ein zeitlich unbeschränktes Verbot der Zuvorbeschäftigung. Dagegen sprechen der Normzweck, Gründe der Praktikabilität und Rechtssicherheit sowie insbesondere verfassungsrechtliche Erwägungen für eine zeitliche Beschränkung des Verbots. Der Aussagegehalt erschließt sich, wie auch bei anderen temporalen adverbialen Bestimmungen, regelmäßig erst aus dem satzinternen oder externen Bedeutungszusammenhang. „Bereits zuvor“ kann etwa ausdrücken jemals zuvor“ bzw. „irgendwann zuvor“, „unmittelbar zuvor“ oder „mit dem Bezugsereignis oder der Bezugssituation in einem zeitlichen und/oder sachlichen Zusammenhang stehend“. Ginge man davon aus, der Gesetzgeber habe eine sachgrundlose Befristung generell nicht mehr zulassen wollen, wenn der Arbeitnehmer bereits irgendwann zuvor einmal in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber gestanden habe, ist dies im Gesetzestext jedenfalls nur unvollständig zum Ausdruck gekommen, Dörner, RN 431; nicht für eindeutig halten den Wortlaut insbesondere auch: Müller-Glöge, in ErfK, § 14 TzBfG RN 98 und Bauer, NZA 2011, Seite 241, 243. Dass die Verwendung der Worte „bereits zuvor“ nicht zwingend „jemals zuvor“ bedeutet, mag ein fiktives Beispiel belegen: Würde eine Regelung dahin lauten, dass die Anordnung von Nachtschicht unzulässig sei, wenn der Arbeitnehmer „bereits zuvor“ in einer Tagschicht gearbeitet habe, wäre ein Verständnis, Nachtschicht könne nicht mehr zulässig angeordnet werden, wenn der Arbeitnehmer „jemals zuvor“ eine Tagschicht absolviert habe, ersichtlich fernliegend. Die Gesetzesmaterialien sind bei der Auslegung nur unterstützend und nur insofern heranzuziehen, als sich aus ihnen auf einen objektiven Gesetzesinhalt schließen lässt, vgl. BVerfGE 62, 1 = NJW 1983, 735. Gegen ein Verständnis des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG im Sinne eines zeitlich völlig unbeschränkten Verbots spricht der Zweck der Regelung. Dieser besteht darin, zu verhindern, dass die in § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG vorgesehene Möglichkeit der sachgrundlosen Befristung zu Befristungsketten“ missbraucht wird. Zur Verwirklichung dieses Zwecks bedarf es keines lebenslangen Anschlussverbots. Ein solches wäre vielmehr nach dem Normzweck überschießend. § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG schränkt den Anwendungsbereich des § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG ein. Sein Normzweck kann demzufolge zutreffend nur ermittelt werden, wenn zugleich der vom Gesetzgeber mit § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG verfolgte Zweck berücksichtigt wird. Richter sind nur zur Auslegung des Gesetzes berufen, nicht zur Gesetzgebung Sie dürfen das Recht nicht fortbilden i. S. einer Abänderung, sondern sind darauf beschränkt, den Sinn zu entfalten. Der Richter ist an Gesetz und Recht gebunden. Er hat kein Mandat zur Gesetzeskorrektur, di Fabio, Grenzen der Rechtsfortbildung in Europa, Vortrag Nr. 199, Zentrum Europäisches Wirtschaftsrecht, Bonn, 2012. Die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf hat weitreichende Auswirkungen auf das Arbeitsrecht. Arbeitnehmer sollen vor unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierungen geschützt werden, vgl. EuGH, NZA 2010, 85 <Kücükdeveci>, mit Anm. Schwab, ODWW 2010, 457; Schwab, Rechtswidrigkeit der Einschränkung des Kündigungsschutzes, 2014. Das Recht der Europäischen Union, insbesondere das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters in seiner Konkretisierung durch die Richtlinie 2000/78 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass es einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der vor Vollendung des 25. Lebensjahrs liegende Beschäftigungszeiten des Arbeitnehmers bei der Berechnung der Kündigungsfrist nicht berücksichtigt werden. Nationale Kündigungsschutzregelung, nach der vor Vollendung des 25. Lebensjahrs liegende Beschäftigungszeiten des Arbeitnehmers bei der Berechnung der Kündigungsfrist nicht berücksichtigt werden verstoßen gegen die Richtlinie 2000/78, EuGH, NZA 2010, 85=NJW 2010, 427 mit Anm. Link; RdA 2010, 247 mit Anm. Stenslik, EuZW 2010, 177 mit Anm. Schubert: vgl. auch di Fabio, Nationales Arbeitsrecht im Spannungsfeld von Grundgesetz und Grundrechtscharta, RdA 2012, 262; Schwab, Angemessenes Entschädigung wegen Altersdiskriminierung, ODWW 2010, 432.
34 Die aktuellen und künftigen Lebens- und Arbeitsbedingungen wandeln sich. Die Anhebung der Altersgrenze in der Rentenversicherung, und die Herausforderung, länger im Arbeitsleben stehen zu sollen oder wollen, um die soziale Sicherung zu erhalten, fordert die Arbeitgeber, insbesondere die Personalverantwortlichen und die Interessenvertretungen, sich mit dem Altern in der Arbeitsgesellschaft, insbesondere mit alter(n)sgerechten Arbeitsbedingungen zu beschäftigen und Lösungen zu finden, Blank/Schulze-Buschoff, Altern in der Altersgesellschaft, WSI Mitteilungen 5/2013, Editorial.
35 Der IAO wurde die Aufgabe der Wächterin über die globale Gewährleistung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen übertragen. Aufgrund des im Völkerrecht geltenden Konsensprinzips hängt die Wirkmächtigkeit wesentlich davon ab, welche Kompetenzen die Mitgliedstaaten der IAO zuweisen. Die Staaten haben sich auf Arbeits- und Sozialstandards in Form von freiwilligen Selbstverpflichtungen geeinigt, Hofmann, Streik(recht) in der Internationalen Arbeitsorganisation, Friedrich Ebert Stiftung, 2014, S. 5. Zentrales Instrument der Internationalen Arbeitsorganisation für die Entwicklung der sozialen Verhältnisse und Arbeitsbedingungen sind die Internationalen Arbeitsstandards Weitere Instrumente sind IAO-Übereinkommen, Empfehlungen und Kernarbeitsnormen. Die Präambel der Grundlagenverfassung nennt als zentralen Grund für die Notwendigkeit, die Arbeits- und Sozialpolitik und die Gesetzgebung international u koordinieren: "Die Nichteinführung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen durch eine Nation (würde) die Bemühungen anderer Nationen um Verbesserung des Loses der Arbeitnehmer hemmen." Von Anfang an waren die Sozialpartner an den Entscheidungsprozessen beteiligt. Wesentliche Instrumente für die Entwicklung der sozialen Verhältnisse und insbesondere der Arbeitsbedingungen sind die internationalen Arbeitsstandards. Sie sind von den Normen anderer internationaler und regionaler Organisationen zu unterscheiden, wie z. B. den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte oder der Europäischen Sozialcharta. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, ein gewisses Schutzniveau in einem bestimmten, konkreten Bereich des Arbeitslebens zu gewährleisten. Die IAO-Übereinkommen sind völkerrechtliche Verträge; sie enthalten rechtlich bindende Bestimmungen zu den verschiedensten Bereichen des Arbeits- und Sozialrechts. Damit sie innerstaatlich Bindungswirkung entfalten können, müssen sie von den jeweiligen Ländern ratifiziert werden. Die Kernarbeitsnormen reflektieren die Grundwerte und die Rechte der IAO, die im Zusammenhang mit Beschäftigungsverhältnissen geschützt werden müssen. Die festgelegten Standards sind absolute Mindestvoraussetzungen für eine menschenwürdige Gestaltung der Arbeitsbeziehungen. Die Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen sind in den Übereinkommen Nr. 97 und 98 geregelt. Die Vereinigungsfreiheit umfasst das Recht, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften zu gründen, ihnen beizutreten und sich zu betätigen. Vorgesehen ist ein umfassender Schutz vor staatlicher Einmischung in die internen Angelegenheiten der Verbände und ein Schutz vor Gewerkschaftsdiskriminierung. Das Recht auf Kollektivverhandlungen verpflichtet die Staaten, den Abschluss von Kollektivverträgen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern zu ermöglichen.
36 Der EuGH hatte sich in mehreren Entscheidungen mit der gemeinschaftsrechtlichen Zulässigkeit der Befristung von Arbeitsverträgen beschäftigt, u. a. in der Rechtssache "Impact". Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH können die Vorgaben aus der Richtlinie gegenüber staatlichen Behörden sowie gegenüber Organisationen und Einrichtungen, die dem Staat oder seiner Aufsicht unterstehen und mit besonderen Rechten ausgestattet sind, die über diejenigen hinausgehen, welche sich aus den für die Beziehungen zwischen Privatpersonen geltenden Vorschriften ergeben, unmittelbar geltend gemacht werden. Rofs/de Groot, Die Befristung von Arbeitsverträgen in der Rechtsprechung des EuGH, ZESAR 2009, 5ff.
37 Die Studie "Die Zukunft der Arbeitswelt - Auf dem Weg ins Jahr 2030, hat gezeigt, dass es erhebliche Potenziale gibt, die gehoben werden können. So lässt sich sogar eine annähernde Stabilisierung der Zahl der Erwerbspersonen bis zum Jahr 2030 erreichen, wenn entsprechende Maßnahmen in Bezug auf die Erhöhung der Frauen, Älteren, Personen mit Migrationshintergrund und qualifizierten Zuwanderern sowie auf die Erhöhung des Arbeitsvolumens, vor allem von teilzeitbeschäftigten Frauen ergriffen werden. An konkreten Maßnahmen sind u. a. zu priorisieren: Verminderung der Risikogruppen im Bildungssystem und einen verbesserten Übergang zwischen Schule und Beruf- gewinnen auch der Jugendlichen für den Arbeitsmarkt, die bislang nur wenige Perspektiven hatten. Rahmenbedingungen schaffen, die eine Ausweitung der Erwerbsbeteiligung und des Arbeitsvolumens auch für Menschen mit familiären Fürsorgepflichten ermöglichen. D h Ausbau der Betreuungsinfrastruktur und der familienunterstützenden Dienstleistungen. Im Dialog der Sozialpartner müssen Arbeitszeitregelungen entwickelt und umgesetzt werden, die über unterschiedliche Lebensphasen hinweg ein gesundes, motiviertes und qualifiziertes Arbeiten auch über eine verlängerte Lebensarbeitszeit ermöglichen, Jutta Rump, "Mitwirken von Politik und Gesetzgeber", Interview www.demografienetzwerk-frm.de/das-netzwerk/.../prof-jutta-rump/
38 Die aktuellen und künftigen Lebens- und Arbeitsbedingungen wandeln sich. Die Anhebung der Altersgrenze in der Rentenversicherung, und die Herausforderung, länger im Arbeitsleben stehen zu sollen oder wollen, um die soziale Sicherung zu erhalten, fordert die Arbeitgeber, insbesondere die Personalverantwortlichen und die Interessensvertretungen, sich mit dem Altern in der Arbeitsgesellschaft, insbesondere mit alter(n)sgerechten Arbeitsbedingungen zu beschäftigen und Lösungen zu finden, Blank/Schulze-Buschoff, Altern in der Altersgesellschaft, WSI Mitteilungen 5/2013, Editorial.
39 Sechs Megatrends in der Arbeitswelt: Demografische Entwicklung, gesellschaftlicher Wandel, Technologische Entwicklungen Wissensgesellschaft/Bildung, Frauen und Globalisierung. Um beschäftigungsfähige Mitarbeiter im Unternehmen zu halten gilt: Zielgruppenspezifische Benefits und Kompensation, Abkehr von ausschließlich traditionellen Karrierepfaden; kontinuierliche Personalentwicklung unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Lebenshasen und Lernmuster; Work-Life-Balance sowie Vereinbarkeit von Beruf und Familie/Freizeit. Alternsgerechte Personalpolitik - nicht selten wird von einem vermeintlichen Verlust an Beschäftigungsfähigkeit mit zunehmendem Alter ausgegangen. Ein solches Defizitmodell wird durch wissenschaftliche Untersuchungen nicht bestätigt Es besteht kein grundsätzlicher Zusammenhang zwischen dem Alter und der Lern- und Leistungsfähigkeit Beschäftigungsfähigkeit. Es ist eher eine Frage der Persönlichkeit und der Berufsbiografie sowie schließlich der Motivation. Die Motivation kann man durch ein strukturiertes Anreizsystem (Arbeitsklima, monetäre und soziale Anerkennung und Wertschätzung der Arbeit, Schaffen von Freiräumen durch Flexibilisierung und Innovationen) positiv beeinflussen. Über Ideen zu mehr Identifikation - eine gelebte Innovationskultur, die die Mitarbeiter und ihre Vorschläge schätzt und würdigt (Treffpunkt I - Qualitätszirkelarbeit, vgl. Schwab, Möglichkeiten des Vorgesetzten den Arbeitsalltag der Mitarbeiter motivierend zu gestalten, DÖD 1988, 4ff). Intergenerative Lernpartnerschaften und Projektteams erschließen das Erfahrungswissen älterer Mitarbeiter und verbinden es mit dem modernen "Spezialistenwissen" jüngerer Kollegen/innen. Unternehmen, die Employabiliti fordern, sind in der Pflicht, diese zu fördern! Rump, Zukunft der Arbeit - Arbeit der Zukunft: Herausforderungen an Unternehmen und Mitarbeiter, Vortrag: Potsdam 17. November 2008.
40 Nach der Begründung zum Regierungsentwurf (BT-Drucks. 14/4374, 13) enthält § 14 TzBfG ein Regel-Ausnahmeverhältnis zwischen der Befristung mit Sachgrund und ohne Sachgrund sowie das zwischen unbefristetem und befristetem Vertrag. Nach dem Wortlaut und der Systematik des § 14 ist in den Fällen der Beschäftigung in Kleinbetrieben und privaten Haushalten keine Ausnahme vom Sachgrunderfordernis vorgesehen, vgl. Backhaus, Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, § 14 TzBfG, RN 15. Nach § 14 besteht keine Ausnahme vom Sachgrunderfordernis für eine nachträgliche Befristung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses, ArbRBGB/Dörner § 620 BGB, RN 79. Vertretungsfälle rechtfertigen eine befristete Beschäftigung, da der vertretene ArbN weiterhin vertraglich gebunden ist und mit der Rückkehr in das Arbeitsverhältnis die suspendierten Leistungspflichten der Stammkraft den Beschäftigungsbedarf der Vertretungskraft entfallen lässt. Der ArbG rechnet mit der Rückkehr dieses Arbeitnehmers, Tillmanns, § 14 TzBfG, RN 36. Damit besteht für die Wahrnehmung der an sich dem ausfallenden Mitarbeiter obliegenden Arbeitsaufgaben durch eine Vertretungskraft von vornherein nur ein zeitlich begrenztes Bedürfnis, vgl. etwa BAGE 101, 257 ="<"/span> AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 235 = EzA BGB § 620 Nr. 192. Die Befristungsmöglichkeit ermöglicht dem ArbG eine Personalsteuerung ohne Erhöhung der Mitarbeiterzahl. Teil des Sachgrunds ist eine Prognose des Arbeitgebers über den voraussichtlichen Wegfall des Vertretungsbedarfs durch die Rückkehr des zu vertretenden Mitarbeiters. Davon kann grundsätzlich ausgegangen werden, weil in der Regel damit zu rechnen ist, dass der Vertretene nach Beendigung der Freistellung oder Beurlaubung seine arbeitsvertraglichen Pflichten wieder erfüllen wird, BAG, NZA 1992, 883. Der Vertretungsbedarf ist prognostizierend darzulegen bei Krankheit, Beurlaubung, Elternzeit und z. B. vorübergehender Abordnung. Entscheidend ist, dass der ArbG aufgrund von konkreten Anhaltspunkten zum Ergebnis gelangen durfte, dass der ArbN seine Arbeitstätigkeit wieder aufnehmen werde, so dass nur ein vorübergehender Bedarf an einer Aushilfstätigkeit besteht. Auch in Krankheitsvertretungen kann der ArbG grundsätzlich davon ausgehen, dass die zu vertretende Stammkraft ihre Tätigkeit wieder aufnehmen wird. Er muss darüber hinaus keine zusätzlichen Erkundigungen über die gesundheitliche Entwicklung des erkrankten Mitarbeiters einholen, Tillmanns, RN 37. Dies gilt selbst bei mehrfacher Folgeerkrankung. Die Prognoseentscheidung des ArbG muss nicht die Dauer des voraussichtlichen Vertretungsbedarfs und den Umfang der wieder aufzunehmenden Tätigkeit umfassen, BAG, NZA 2001, 721. Der sachliche Befristungsgrund der Vertretung verlangt auch nicht die vollständige Übernahme der Aufgaben des zu vertretenden Mitarbeiters, und den funktionellen Einsatz auf der konkreten Stelle des Vertretenen. Die konkrete Personaleinsatzplanung und Aufgabenverteilung unterliegt der Organisationsgewalt des ArbG. Der Sachgrund der Vertretung setzt nicht voraus, dass der befristet zur Vertretung eingestellte Mitarbeiter die vorübergehend ausfallende Stammkraft unmittelbar vertritt und die von ihr bislang ausgeübten Tätigkeiten erledigt. Der Vertreter kann auch mit anderen Aufgaben betraut werden. Die befristete Beschäftigung zur Vertretung lässt die Versetzungs- und Umsetzungsbefugnisse des Arbeitgebers unberührt, BAGE 90, 335 = NJW 1999, 3143. Es muss jedoch sichergestellt sein, dass die Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers wegen des Arbeitskräftebedarfs erfolgt, der durch die vorübergehende Abwesenheit des zu vertretenden Mitarbeiters entsteht. Fehlt dieser Kausalzusammenhang, ist die Befristung nicht durch den Sachgrund der Vertretung gerechtfertigt. Der ArbG muss nachvollziehbar die Aufgabenzuordnung im Vertretungsfall darstellen. Nur wenn der Arbeitgeber im Ausnahmefall auf Grund von Informationen, die ihm vorliegen, erhebliche Zweifel daran haben muss, dass die zu vertretende Stammkraft überhaupt wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren wird, kann dies dafür sprechen, dass der Sachgrund der Vertretung nur vorgeschoben ist. Die meisten Sachgründe setzen eine substantiierte, tatsächliche Prognose voraus, Müller – Glöge, in ErfK, § 14 TzBfG, RN 16. Die Wirksamkeit einer Befristungsabrede ist nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu beurteilen, NZA 2006, 37; NZA 2006, 37; NZA 2009, 27 Dies gilt insbesondere für das Vorliegen des Sachgrunds, BAG, NZA 2002, 443. Spätere Abweichungen können lediglich eine indizielle Bedeutung dafür haben, dass der Sachgrund für die Befristung bei Vertragsschluss in Wahrheit nicht vorlag, sondern lediglich vorgeschoben ist, BAGE 81, 300 = NZA 1996, 1092. Wird die vom Arbeitgeber angestellte Prognose allerdings durch die nachträgliche Entwicklung bestätigt, besteht eine ausreichende Vermutung dafür, dass sie hinreichend fundiert erstellt worden ist. Es ist dann Aufgabe des Arbeitnehmers, Tatsachen vorzubringen, die die Richtigkeit der Prognose im Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrags in Frage stellen, BAG,NZA 1997, 313. Die gerichtliche Kontrolle erfolgt nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Während der Vertragslaufzeit eintretende Änderungen berühren die Wirksamkeit der vereinbarten Befristung grundsätzlich nicht, BAG, AP HRG § 57a Nr. 8. Bei mehreren aufeinander folgenden befristeten Arbeitsverträgen unterliegt grundsätzlich nur die Befristung des zuletzt abgeschlossenen Arbeitsvertrags der Befristungskontrolle, BAG, NZA 2006, 784.
41 so Opaschowski, Düstere Prognosen für eine bessere Zukunft Pressemitteilung Nr. 13 vom 16. August 2012 13. Zukunft Personal Europas größte Fachmesse für Personalmanagement. Veränderungen in Betriebsklima und Firmenkultur - Flexibilisierung bedeutet zugleich mehr Individualisierung. Das ist ein "sozialer Fortschritt", aber auch eine große Herausforderung für jeden Einzelnen. Nicht alle gehen verantwortlich mit den neuen Freiheiten und Freiräumen des Lebens um, so Opaschowski. Die Bindungen der Arbeitnehmer an ihren Arbeitgeber werden lockerer, Beschäftigungsverhältnisse auf Zeit nehmen zu. "Weil es keine Beschäftigungsgarantien mehr gibt, lassen auch Betriebstreue und Loyalität der Arbeitnehmer nach, so der Zukunftsforscher Opaschowski. Die Gesellschaft der Zukunft werde (ergänzt von mir soll) eine demokratische Gemeinschaft auf Gegenseitigkeit sein, mit grundlegenden (ergänzt von mir - hoffentlich positiven) Veränderungen für das Betriebsklima und die Firmenkultur. Der abhängig Beschäftigte ist kein Leitbild mehr; jeder muss für sich selbst lernen, unternehmerisch tätig zu werden veranschaulicht Opaschowski zum nachhaltigen Nachdenken.
42 Betriebliche Weiterbildung gewinnt mehr und mehr an Bedeutung, Beschäftigten hilft sie mit der sich rasant verändernden Arbeitswelt Schritt zu halten und sich beruflich weiterzuentwickeln. Für Betriebe wird sie angesichts einer alternden Bevölkerung und des Fachkräftemangels zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor. Das Gelingen von Weiterbildung setzt eine Reihe von Ressourcen und Rahmenbedingungen voraus. Genügend Zeit ist eine der wichtigsten Voraussetzung, doch in vielen Betrieben wird die Arbeitszeitgestaltung dem Weiterbildungsbedarf nicht gerecht. Die große Bedeutung betrieblicher Weiterbildung steht im deutlichen Kontrast zur tatsächlichen Weiterbildungsaktivität der Betriebe und Beschäftigten. Dazu komm noch: Weiterbildung ist statistisch ungleich verteilt. Manche Beschäftigtengruppen kommen kaum in den Genuss von Weiterbildungsmaßnahmen - obwohl weitere Qualifikationen zur Sicherung ihres Arbeitsplatzes für sie äußerst wichtig wären. Zu diesem Personenkreis gehören insbesondere Frauen, die Familien und Pflegeaufgaben übernommen haben und denen die Zeit fehlt, sich weiterzubilden und zu qualifizieren. Wenig zeitlichen Spielraum gibt es auch in niedrigen Qualifikations- und Einkommensgruppen, die zur Sicherung eines ausreichenden Haushaltseinkommens lange Arbeitszeiten und Überstunden in Kauf nehmen müssen oder u. U. einen Zweitjob benötigen, um den finanziellen Bedarf einigermaßen abdecken zu können. Weil viele Betriebe von kurz- oder mittelfristigen Markt- und Auftragsschwankungen abhängig sind, gilt ihr Interesse einer flexiblen Gestaltung der Arbeitszeiten, die oft auf Kosten der Mitarbeiter geht (gerne greifen solche Betriebe auf die Möglichkeit, Arbeit auf Abruf zu vereinbaren zurück, vgl. Schwab, Arbeit auf Abruf, ODWW 2010, 461, vgl. Wotschack/Schreier/Schulte-Braucks/Soga, Beruf und Bildung vereinbaren - Neue Arbeitszeitmodelle gegen den Fachkräftemangel, WZ Brief Arbeit 11 September. Mehr als ein Drittel der Personalverantwortlichen gibt als Grund für fehlende betriebliche Weiterbildung an, dass die Freistellung von Beschäftigten aus zeitlichen Gründen unmöglich sei. In der betrieblichen Praxis gibt es kaum Ansätze, die Arbeitszeitgestaltung und Weiterbildungspolitik als gemeinsame Aufgabe zu sehen. Sie werden überwiegend isoliert voneinander gestaltet, Wotschack/Schreier/Schulte-Braucks/Soga, Beruf und Bildung vereinbaren - Neue Arbeitszeitmodelle gegen den Fachkräftemangel, WZ Brief Arbeit 11 September. Wie Weiterbildung funktionieren kann: Betriebe integrieren betriebliche Arbeitszeitgestaltung und Weiterbildungspolitik und stellen so direkt Zeit für betriebliche Weiterbildung zur Verfügung. Eine Lösung ist auch eine individuelle Sabbatical-Lösung, die in der Regel durch den Verzicht auf Teile des Gehalts, Resturlaub und Guthaben aus dem Jahresarbeitszeitkonto zustande kommt. Für die Arbeitszeitpolitik stellt sich die Aufgabe, vorausschauende Handlungsansätze zu fördern, um damit die langfristige Beschäftigungsfähigkeit breiter Beschäftigtengruppen zu sichern Um eine Kehrwende zu erreichen und sich auf den zunehmenden Fachkräftebedarf einzustellen, ist ein neues Leitbild einer nachhaltigen und integrativen Arbeitszeitpolitik gefordert. Erforderlich sind betriebliche flexible Regelungen für die wechselnden beruflichen und außerberuflichen Anforderungen der Beschäftigten. Ihr Ziel muss es sein, langfristige Kosten und Risiken durch zeitliche Überlastung, Erwerbsunterbrechungen oder Qualifizierungsdefizite zu vermeiden. Wichtig sind dabei verbindliche Ansprüche, klare Regelungen und die nachhaltige finanzielle Unterstützung niedriger Einkommensgruppen. Nur so lässt sich wirkungsvoll sicherstellen, dass auch benachteiligte Gruppen über die notwendige Zeit für Beruf, Familie, Pflege, Erholung und Weiterbildung verfügen, um langfristig am Erwerbsleben teilnehmen zu können, vgl. Wotschack/Schreier, Schulte-Braucks, Soga, Beruf und Bildung vereinbaren - Neue Arbeitszeitmodelle gegen den Fachkräftemangel, WZ Brief Arbeit 11 September 2011.
43 Die Arbeit verändert sich, sie wird schneller und spezialisierter. Anderseits sind die Beschäftigten seltener krank als früher. Dennoch gaben viele Mitarbeiter an, sie seien durch Termin und Leistungsdruck gestresst. Die subjektiv empfundenen psychischen Belastungen sind nicht zu vernachlässigen. Wesentlich glücklicher sind Angestellte, die im Rahmen einer Gruppenautonomie etwa Fragen der Flexibilisierung von Arbeitszeiten in einem bestimmten Umfang untereinander regeln konnten, Astheimer, Im Takt der Maschinen, FAZ vom 30. April 2008.
44 Hintergrund für internationale soziale Aufgabenbereiche ist eine bestehende Ungleichheit, die ein Streben nach internationaler Gleichbehandlung impliziert. Zu den wichtigsten Trägern internationaler sozialpolitischer Aufgabe gehört auch die Internationale Arbeitsorganisation (ILO).Die Anfänge der ILO reichen bis in das 19. Jahrhundert zurück, als die immer schwerwiegenderen sozialen Probleme, die die Industrialisierung mit sich brachte, eine zwischenstaatliche Regelung verlangten. Schwerpunkt bildete dabei das Thema Arbeitsschutz, Pfaffenberger, Zur Internationalisierung und Supranationalisierung der Sozialpolitik, 1996, S. 83. Fundamentaler Gedanke der ILO ist, dass der Weltfriede auf Dauer nur auf sozialer Gerechtigkeit aufgebaut werden kann (Präambel der ILO). Aus dieser Grundannahme ergeben sich eine Vielzahl von einzelnen Zielen wie etwa Hebung des Lebensstandards, Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts, Anerkennung fundamentaler Menschenrechte, Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer und Förderung der Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Es werden internationale arbeits- und sozialpolitische Mindestnormen in den Feldern Arbeitszeit, Entlohnung, Ausbildung, Sozialversicherung Unfallschutz, Koalitionsfreiheit festgesetzt, Pfaffenberger, Zur Internationalisierung und Supranationalisierung der Sozialpolitik, 1996, 83. Die Tätigkeitsfelder der ILO erstrecken sich auf alle Bereiche der Sozialpolitik. Schwerpunkte bilden etwa die Vollbeschäftigungspolitik und die Behandlung von Produktivitätsfragen. Die Beschlussfassungen werden von den meisten Staaten respektiert, Pfaffenberger, a.a.O., S. 87.
45 Das BVerfG hat hervorgehoben, dass das Arbeitskampfrecht, im Verhältnis zwischen den Tarifvertragsparteien als Grundrechtsträgern nicht zwingend einer gesetzlichen Regelung bedürfe. Die Rechtsprechung ist gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an die Grundrechte sowie gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden. Die Vorgaben durch die Verfassung und den einfachen Gesetzgeber muss auch der rechtsfortbildende Richter i Arbeitskampfrecht beachten, Deinert, in Deinert, Vorgaben des höherrangigen Rechts für das Arbeitskampfrecht, in Rehder/Deinert/Callsen, Atypische Arbeitskampfformen, 2012, A. 37. Art. 9 Abs. 3 GG gewährleiste mit der Koalitionsfreiheit auch die Tarifautonomie und damit den Kernbereich eines Tarifvertragssystems, BVerfG AP Nr. 24 zu § 2 TVG. Diese Gewährleistung lasse dem einfachen Gesetzgeber einen weiten Spielraum zur Ausgestaltung der Tarifautonomie, Deinert, Vorgaben des höherrangigen Rechts für das Arbeitskampfrecht, in Rehder/Deinert/Callsen, Atypische Arbeitskampfformen, 2012. Arbeitskampfmaßnahmen sind insoweit von der Koalitionsfreiheit erfasst "als sie allgemein erforderlich sind, um eine funktionierende Tarifautonomie sicherzustellen". Die Wahl der Koalitionsmittel wurde den Koalitionen überlassen: "Die Wahl der Mittel, die sie zur Erreichung dieses Zwecks für geeignet halten überlässt Art. 9 Abs. 3 GG grundsätzlich den Koalitionen. Der Schutzbereich der Koalitionsfreiheit umfasst auch die koalitionsmäßige Betätigung und zwar nicht nur im Kernbereich. Dies umfasst die Tarifautonomie sowie den Arbeitskampf, jedenfalls soweit er tarifvertragsbezogen ist. Dazu verlangt die Verfassung, dass das Arbeitskampfrecht so ausgestaltet ist, dass strukturell bedingte Disparitäten ausgeglichen werden. Die Koalitionsbetätigungsfreiheit schießt die freie Wahl der Kampfmittel auch mit beträchtlicher Wirkung auf Gegner und Allgemeinheit ein ("schützt vor staatlicher Einflussnahme" - Deinert, S. 44). Vor dem Hintergrund des Fehlens eines abschließenden Arsenals von Kampfmitteln ist es nicht überzeugend, wenn versucht wird, ein solches mit der Behauptung zu kreieren, sie müssten der Typik von Streik und Aussperrung entsprechen, so Thüsing/Waldhoff, ZfA 2011, 338ff; a. A. Deinert,S. 44. Die Kampfmittelfreiheit versteht das BAG als "Freiheit der Koalitionen, ihre Kampfmittel an die sich wandelnden Umstände anzupassen, um dem Gegner gewachsen zu bleiben und ausgewogene Tarifabschlüsse zu erzielen. Die Ausgestaltung des Arbeitskampfrechts müsse den Grundsatz der Parität und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügen, Danach lassen sich einige sehr allgemeine Grundlinien erkennen, die das richterliche Arbeitskampfrecht prägen: Grundsätzlich besteht Kampfmittelfreiheit unter Einschluss einer Kampfmittelerfindungsfreiheit. Sofern ein neues Kampfmittel keine selbstregulierenden Schranken enthält, wie sie die Selbstschädigung beim Streik darstellt, bedarf es anderer Elemente der Beherrschbarkeit. Keiner Seite dürfen Arbeitskampfmittel zur Verfügung stehen, die die Kampfparität beeinträchtigen könnten. Der Einsatz eines Arbeitskampfmittels darf keine übermäßige Beeinträchtigung der Rechte des Gegners bewirken. Das BVerfG sieht die EMRK als Auslegungshilfe für die Bestimmung und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des GG an, vorausgesetzt, dies führt nicht zu einer Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes, vgl. BVerfG, NW 2004, 3407, 3411; Deinert, S. 58. Auch wenn das BVerfG die Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung der Grundrecht und völkerrechtsfreundlichen Auslegung des einfachen Gesetzesrechts zur EMRK entwickelt hat, lassen sich diese Grundsätze auf die Grundrechtssysteme des Europarats (EMRK. ESC) und der Vereinten Nationen (IPBPR, IPWSKR) sowie die grundlegenden Regelungen in ILO-Übereinkommen (u. a. Nr. 87) übertragen. Auch Gesetze sind im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland auszulegen und anzuwenden, selbst wenn sie zeitlich später erlassen worden sind als ein geltender völkerrechtlicher Vertrag, denn es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will, Deinert, S. 58 unter Hinweis auf das BVerfG, NJW 1987, 2427. Nationales Recht ist daher unabhängig vom Zeitpunkt des Inkrafttretens nach Möglichkeit im Einklang mit dem Völkerrecht auszulegen. Da das Arbeitskampfrecht von der Rechtsprechung als "Ersatzgesetzgeber" geprägt und entwickelt wurde, diese aber an Gesetz und Recht gebunden ist, muss die Rechtsprechung völkerrechtliche Bindungen der Bundesrepublik Deutschland ebenfalls bei Auslegung und Anwendung des nationalen Verfassungsrechts - Art. 9 Abs. 3 GG beachten ("Bei der Auslegung des Grundgesetzes sind auch Inhalt und Entwicklungsstand der Europäischen Menschenrechtskonvention in Betracht zu ziehen, sofern dies nicht zu einer Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führt, eine Wirkung, die die Konvention indes selbst ausgeschlossen wissen will", BVerfG, Beschluss vom 26.03.1987 - 2 BvR 589/79, NJW 1987, 2427 = BVerfGE 74, 358; vgl. Ismer/Baur: Verfassungsmäßigkeit von Treaty Override, IStR 2014, 422 - "das Rechtsstaatsprinzip über die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes derart aufgeladen werden."
46 Altern ist kein "Defizit". Die physischen und psychischen Fähigkeiten eines Menschen verändern sich mit den Jahren. Die meisten ArbeitnehmerInnnen können diesen Wandel durch mehr Erfahrung wettmachen. Die Abkehr von der jugendzentrierten Personalpolitik geschieht zwar zögerlich aber der demografische Wandel ist in den Betrieben angekommen. Die Altersstrukturen verschieben sich. Ältere ArbeitnehmerInnen sind "motivgewandelt". Sie sind nicht weniger leistungsmotiviert als Jüngere, Alters- und alternsgerechte Erwerbsarbeit im Betrieb, Ebert/Kister/Trischler pdf-Download - Hans- Böckler-Stiftung, Stand 2009, S. 21. Die Arbeitsproduktivität im Alter bleibt konstant. Die nachlassende physische Leistung wird durch "Erfahrungsleistung", d. h. durch bestimmte Komponenten der Intelligenz wie Erfahrungswissen, Allgemeinwissen und kommunikative Fähigkeiten ausgeglichen, Alters- und alternsgerechte Erwerbsarbeit im Betrieb, Ebert/Kister/Trischler pdf-Download - Hans- Böckler-Stiftung, Stand 2009, S. 22. Gruppenarbeit bietet Vorteile: Arbeitsorganisatorische Maßnahmen können viel dazu beitragen, dass Beschäftigte bis ins hohe Alter hinein erwerbstätig sein und produktiv arbeiten können. Spezielle Gruppenarbeit steigert die Arbeitsproduktivität Älterer. Gruppenarbeit profitiert von den Synergieeffekten, die durch die unterschiedliche Erfahrung Kreativität und Fitness der Teammitglieder erreicht werden kann. Führungskonzepte sollten sich stärker an den Lebensphasen der Beschäftigten ausrichten. Dadurch könnten sie den veränderten Motiven, Bedürfnissen und Werten der unterschiedlichen Altersgruppen besser gerecht werden.
47 Der unmittelbare Einfluss der ILO auf die private und informelle Wirtschaft besitzt ein großes Potenzial, Arbeitnehmerrechte zu stärken und die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen zu fördern, S. 15. Während outcome standards (Verbesserung von Arbeitsbedingungen) die unmittelbaren Konditionen der Arbeit sowie die Bedingungen am Arbeitsplatz umfassen, (Sicherheit und Gesundheitsschutz, Mindestlöhne und Arbeitszeiten, betreffen process rights (Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte) die Beziehungen zwischen den Sozialpartnern (Recht zur Gewerkschaftsbildung, Recht auf Kollektivverhandlungen). Process Rights sollen Arbeitnehmerinnen eine starke Verhandlungsposition verleihen und wirken sich damit in der Folge auch auf die Qualität von outcome Standards aus, Maier-Rigaud, Die technische Zusammenarbeit der ILO zur Stärkung von Menschenrechten, S. 14. Wie alle internationalen Verträge sind Übereinkommen der ILO für die Mitgliedstaaten erst dann völkerrechtlich verbindlich, wenn sie durch die jeweils zuständige nationale Instanz ratifiziert werden. Da das Abschließen völkerrechtlich bindender Verträge auf Staaten beschränkt ist, unterliegen privatwirtschaftliche 'Akteure den bindenden Vorgaben von IL-Übereinkommen immer nur indirekt, Maier-Rigaud, Die technische Zusammenarbeit der ILO zur Stärkung von Menschenrechten, S. 15. Soft Law (Vereinbarungen, die keine Vertragsqualität besitzen mit Parteien, die keine völkerrechtlich verbindliche Verträge abschließen können, etwa Arbeitnehmer und ArbeitgebervertreterInnen) wirken vertrauensbildend und können die politischen Prozesse stimulieren. Sie können eine Vorstufe für später folgende verbindliche Regelungen bilden. Die Übereinkommen und Empfehlungen der ILO erfassen regulatorisch weitgehend alle Bereiche des Arbeitslebens wobei die spezifische Rolle der Arbeitnehmer- und ArbeitgebervertreterInnen durchgängig in besonderem Maße betont wird. Neben politischen und sozialen Grundrechten wie dem Recht auf Vereinigungsfreiheit, hat die ILO auch über den Arbeitsplatz hinaus reichende Regelungen, wie z. B. Gebote zur Gestaltung von Sozialversicherungssystemen entwickelt. In ihrer Präzision gehen die menschenrechtsrelevanten ILO-Übereinkommen über die Inhalte der UN-Pakte (etwa IPBGR) hinaus. Diese Komplementarität wurde vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen bewusst unterstützt. Bei konkreten Verstößen gegen Übereinkommen bietet die ILO-Verfassung als Reaktionsweg das Beschwerdeverfahren, den Arbeitnehmer - und Arbeitgeberverbänden an.
48 Atypische gewerkschaftliche Arbeitskampfformen aus sozialwissenschaftlicher Sicht, Rehder, in Rehder/Deinert/Callsen, Arbeitskampfmittelfreiheit und atypische Arbeitskampfformen, 2012 www.hugo-sinzheimerinstitut.de/.../Britta_Rehder_Olaf_Deinert.pdf Die neue Entwicklung in der betrieblichen bzw. tarifpolitischen Praxis ist ein sozialer Wandel im Bereich des gewerkschaftlichen Arbeitskampfverhaltens, der noch nach neuen rechtlichen Formen sucht. Die neuen Arbeitskampfformen sind inspiriert von den Praktiken US-amerkikanischer Gewerkschaften, die wiederum stark beeinflusst werden von den Aktionsformen der neuen sozialen Bewegungen und der Nicht-Regierungsorganisationen. Raschke unterscheidet drei Grundtypen politischer Aktionsformen: intermediäre, direkte und demonstrative Aktionen. Raschke klassifiziert den Streik als intermediäre Aktion wegen seines hohen Regulierungsgrades. Die Aktion ist organisationsvermittelt und findet in institutionalisierten Bahnen statt. Der klassische Streik wird von den Gewerkschaften strategisch geplant, durchgeführt und kontrolliert. Anfang und Ende sowie die Trägerschaft der Aktionen sind kalkuliert, die Aktionsformen werden auf spezifische Bereiche und Orte (Branchen oder Unternehmen) sowie Praktiken (Entzug der Verfahren begrenzt. Auch die atypischen Arbeitskampfformen werden von den Gewerkschaften geplant. Häufig sind sie ein Bestandteil strategischer Kampagnen gegen ein Unternehmen. Die Gewerkschaften versuchen den öffentlichen Raum einzubeziehen und die Öffentlichkeit für die eigenen Belange einzunehmen. Das heißt, ein Teil der Streikintention zielt nicht ausschließlich auf Unternehmen oder Branchen ab, sondern auf Dritte. In diesen Aktionstyp können z. B. die sogenannten "Flashmobs" eingeordnet werden, die aus den sozialen Bewegungen stammen und auch als Arbeitskampfform praktiziert werden. Die von der Gewerkschaft Ende 2007 im Rahmen einer tariflichen Auseinandersetzung organisierte Flashmob-Aktion zeichnete sich dadurch aus, dass der Kreis und die Zahl der Teilnehmenden nicht klar definiert war. Betriebsfremde konnten und sollten sich an der Aktion beteiligen. Die Mobilisierung der Öffentlichkeit bestand in der extern direkten Unterstützung durch Dritte. Die neuen Arbeitskampfformen sind weniger institutionalisiert und nur bedingt organisationsvermittelt. Sie stellen darauf ab, externe Dritte direkt oder indirekt in die Auseinandersetzung einzubeziehen. Die atypischen Arbeitskampfformen sind eine Antwort auf strukturell ungünstige Streikbedingungen in gewerkschaftlich schlecht organisierten Bereichen der Ökonomie. Die atypischen Arbeitskampfformen stellen darauf ab, die Kampfbereitschaft streikunerfahrener Arbeitnehmerinnen nicht zu strapazieren und die Aktionen durch Hinzuziehung externer Sympathisanten sowie einer diffusen Öffentlichkeit zu unterstützen. Dies gilt vor allem dort, wo die Chancen auf gewerkschaftliche Organisierung aus den Betrieben heraus schlecht sind. Die neuen Arbeitskampfformen signalisieren die Erkenntnis, dass die Gewerkschaften zur Aufrechterhaltung des Tarifsystems verstärkt auf ihre eigne Organisationsmacht angewiesen sind.
49 BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 26.3.2014 – 1 BvR 3185/09, NZA 2014, 493.
50 1955 schuf der Große Senat des BAG als Ersatzgesetzgeber ein modernes Arbeitskampfrecht, das den Streik um die Wahrung und Förderung tariflicher Arbeitsbedingungen – noch ohne Rückgriff auf das Grundgesetz – vom Makel des Vertragsbruchs befreite, BAG, NJW 1955, 882 = AP Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 1.; vgl. dann BAG, NJW 1971, 1668 = AP Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 43. Die Entscheidungen des BAG gingen davon aus, dass der rechtmäßige Streik nur die kollektive Einstellung der Arbeit ohne vorherige Kündigung erlaube und nur dann rechtmäßig sei, wenn er sich auf friedliche Mittel der Auseinandersetzung beschränke, das heißt ohne physische Behinderung Arbeitswilliger und des Arbeitgebers beim An- und Abtransport von Waren und Rohstoffen geführt werde . Streikposten müssen sich deshalb auf „gütliches Zureden beschränken, Blockaden der Werkstore zur Behinderung Arbeitswilliger sind daher rechtswidrig. Streikposten müssen „peaceably” (IAO-Abkommen Nr. 87); FAC,Digest Nr. 435, bleiben und sich auf „gütliches Zureden, BAG, NJW 1957, 1047 = AP Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 5 ; NJW 1989, 57 = NZA 1988, 846 = AP Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 108; NJW 1984, 1371 = AP § 626 BGB Nr. 78. Der Streik ist kein Grundrecht, das die Verletzung absolut geschützter Rechtsgüter anderer Personen wie Leben, Körper, Freiheit und Eigentum gestattet. Wenn ein Streik als Folge mangelnder Solidarität der Beschäftigten in einer Branche seine Durchsetzungskraft verliere, so sollen neue aktive Kampfmittel, auch wenn sie sich über den Willen der Arbeitswilligen und die Eigentumsrechte der Unternehmen hinwegsetzen, grundsätzlich erlaubt sein. Er folgt damit der Auffassung Däublers gegen die herrschende Lehre. Der 1. Senat lässt den Einsatz von Partisanen zu, die, als Kunden getarnt, in den Betrieb kommen und als schadenstiftende Kämpfer gehen, nachdem sie ohne eigene Verantwortung und Haftung den Geschäftsbetrieb auf Zeit lahmgelegt haben. Die Entscheidung zum Flashmob ist nur knapp begründet. Immer wieder dienen Verhältnismäßigkeit, Angemessenheit und Friedlichkeit als Brücken, die semantisch die Kontinuität mit der bisherigen Judikatur aufrechterhalten sollen. Für Angemessenheit und Friedlichkeit genügt ihm der Verzicht auf Zerstörung des Eigentums; die mit dem Eigentum essenziell verbundene Nutzungs- und Verfügungsbefugnis über die Sache wird ignoriert. Damit ist der Bruch mit der bisherigen Rechtsprechung vollzogen, Säcker, Von der offenen Arbeitseinstellung zur verdeckten Betriebsblockade, NJW 2010, 1116.
51 Die Macht des Verfassungsgerichts ist in einer Demokratie nicht grenzenlos. Die Richter des BVerfG sprechen das letzte Wort in Streitfragen über die Interpretation des GG. Damit haben sie beträchtlichen Einfluss auf die politische Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Ein Verfassungsgericht ist ein Gewinn für den Rechtsstaat. Eine Verrechtlichung der Politik durch einen übermäßigen Einfluss des Verfassungsgerichts ist aber nicht im Sinne des Grundgesetzes. Es kann die Demokratie gefährden und die Beurteilungs- und Gestaltungsfreiheit des demokratisch gewählten Gesetzgebers einengen, vgl. ähnlich Landfried, Jedem das Seine, FAZ vom25. Juli 2012. Die Verfassungsrichter haben im Laufe der Zeit ihre ohnehin erhebliche Machtfülle durch neue Sanktionsformen, die Vermischung von Prozessarten und das Überschreiten der konkreten Streitfrage ausgedehnt. So wurde beispielsweise die verfassungskonforme Interpretation mit dem Ziel entwickelt, den Handlungsspielraum des Gesetzgebers nicht unnötig einzuschränken. Mit der verfassungskonformen Auslegung definieren die Richter eine bestimmte Auslegungsmöglichkeit als die einzig verfassungsgemäße und verringern so die Offenheit der Verfassung. In seiner institutionellen Aufgabenbeschreibung war von Anfang an angelegt, dass das BVerfG mehr als nur ein Schiedsrichter ist, welcher die Einhaltung des politischen Spielregelwerkes überwacht. Die umfassenden Kompetenzen - nicht zuletzt die abstrakte Normenkontrolle - machten es auch zum Streitentscheider, zuweilen zum Streitschlichter, bei Konflikten zwischen Opposition und Regierung, zwischen dem Bund und den Ländern sowie zwischen den Ländern. Über das Institut der individuellen Verfassungsbeschwerde - ein Novum in der Geschichte der Verfassungsgerichtsbarkeit.- wuchs das Gericht zunehmend auch in die Rolle eines Bürgergerichts hinein. Dabei sicherte es Positionen der Bürgerinnen und Bürger, baute den Grundrechtsschutz in vielfältiger Weise aus und verwies Legislative und Exekutive immer wieder in ihre Grenzen - oder forderte den Gesetzgeber zu konkreten Maßnahmen auf. Das Bundesverfassungsgericht ist ein Machtfaktor im politischen System der Bundesrepublik Deutschland. Die Stärke des Gerichts in Karlsruhe liegt in ihrer Deutungsmacht begründet, die vom Vertrauen der Bevölkerung gestützt wird so Vorländer, Regiert Karlsruhe mit? Das Bundesverfassungsgericht zwischen Recht und Politik, APuZ 35-36/2011. Stillt ein Ort die Sehnsucht nach Überparteilichkeit und tut er es womöglich allzu gut, so leidet die Akzeptanz des Parteienbetriebs umso mehr. Die Gerichte, die regelmäßig wie monolithische Spruchkörper wirken, wenn sie nicht über das Instrument des Sondervotums verfügen und davon auch Gebrauch machen, befrieden den Streit; dies aber nicht nach außen sichtbar deliberativ, sondern im Erkenntnisakt des verkündeten Urteils: eindeutig, endgültig, ohne weitere Widerworte. Einer Gesellschaft, die Streit nicht sonderlich schätzt, kommt das entgegen. Wer wagt sich denn noch, wirklich politisch und grundsätzlich zu streiten? Die Medien wachen - hier durchaus den Bedürfnissen vieler Bürgerinnen und Bürger entsprechend - häufig mehr darüber, ob Parteien geschlossen auftreten und sich ansonsten an geheimnisvolle Linien des politisch guten Tons halten. Wer falsche Themen wählt, falsche Positionen vertritt, sieht schnell die rote Karte wegen Populismus-Fouls: Die Nachricht ist dann nur noch das Faktum der Grenzüberschreitung, so di Fabio, Vom Recht, Recht zu sprechen: Die Legitimation des BVerfG, APuZ 35-36/2011.
52 Folgt ein Gewerkschaftsmitglied dem Streikaufruf einer anderen Gewerkschaft, stellt dieses Gewerkschaftsmitglied nicht den eigenen Tarifvertrag in Frage; vielmehr setzt es sich für einen (noch) fremden Tarifvertrag ein. Die Situation kann man mit einem Unterstützungsstreik vergleichen. Im Unterschied zum „echten” Sympathiestreik sind in der vorliegenden Fallkonstellation die Tarifgebiete regelmäßig identisch, was noch eine größere Nähebeziehung als beim echten Sympathiestreik indizieren würde, BAG, AP Nr. 173 zu Art. 9 GG Arbeitskampf stellt für die rechtliche Bewertung von Unterstützungsstreiks auf eine Vielzahl von Kriterien ab, wobei der „Nähe” von Unterstützungsstreik zum Hauptstreik wesentliche Bedeutung zukommen soll, BAG v. 19. 6. 2007, AP Nr. 173 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Aber auch beim Sympathiestreik ist ganz überwiegend anerkannt, dass die Friedenspflicht keine Rechtsgrenze aufstellt, Im Übrigen trifft die Friedenspflicht des Tarifvertrags nicht das einzelne Gewerkschaftsmitglied, BAG v. 17. 12. 1958, AP Nr. 3 zu § 1 TVG Friedenspflicht, Franzen, Das Ende der Tarifeinheit und die Folgen RdA 2008, 193, 201.
53 Koalitionsspezifische, durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Betätigung ist nur eine solche, die geeignet ist, auf die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Einfluss zu nehmen. Der funktionale Bezug zwischen Freiheitsrecht und Handlungszweck unterstreicht die dienende Funktion der Koalitionsbetätigung. Das BVerfG spricht davon, dass der Gewährleistungsgehalt des Art. 9 Abs. 3 GG darin besteht, als Freiheitsrecht in dem von staatlichen Regelungen freigelassenen Raum zu gewährleisten, dass die Beteiligten selbst eigenverantwortlich bestimmen können, wie sie die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen fördern wollen, BVerfGE, 50, 290, 371;BVerfGE 92, 365, 394; Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, 2005, S. 415.
54 Der EuGH betont, dass Gewerkschaften eine weitreichende, rechtliche Autonomie durch den Staat unabhängig von quasilegislativen Befugnissen oder einer quasi öffentlichen Stellung übertragen sei. Die Koalitionsfreiheit ist nicht nur liberales subjektives Freiheitsrecht, sondern wird zugleich als "soziales Schutzrecht" und objektives Ordnungsprinzip verstanden. Den Koalitionen wird ein staatsfreier Autonomiebereich zugesichert, Johannsen, Europarechtliche Aspekte des Arbeitskampfrechts, Policy Papers on Transnation Ecconomic Law, No. 28/2008.
55 Das BAG hat atypische Angriffsmittel grundsätzlich anerkannt, BAG, NZA 2007, 1055 = AP Nr.173 zu Art. 9 GG Arbeitskampf und BAG, NZA 2009, 1347. Art 9 Abs. 3 GG schützt nicht nur einen „Kernbereich” unerlässlicher koalitionstypischer Verhaltensweisen, sondern hat einen weiten Schutzbereichs, BVerfG, NJW 1996, 1201=AP GG Art. 9 Nr. 80. Der Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG beschränkt sich nicht auf diejenigen Tätigkeiten, die für die Erhaltung und die Sicherung des Bestandes der Koalition unerlässlich sind; er umfasst alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen. Dazu gehört auch die Mitgliederwerbung durch die Koalition und ihre Mitglieder. Das Grundrecht schützt die Freiheit des einzelnen, eine derartige Vereinigung zu gründen, ihr beizutreten oder fernzubleiben. Außerdem schützt es die Koalitionen in ihrem Bestand und ihrer organisatorischen Ausgestaltung sowie solche Betätigungen, die darauf gerichtet sind, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern, vgl. BVerfGE 84, 212, 224= NZA 1991, 809 = NJW 1991, 2549; Greiner, Atypische Arbeitskampfmittel und Kampfpluralität, NJW 2010, 2977.
56 NZA 2009, 1347, des LAG Berlin-Brandenburg, NZA-RR 2009, 149.
57 Jacobs beleuchtet kritisch das in den Entscheidungen zum Ausdruck kommende Verständnis vom Grundsatz der freien Kampfmittelwahl und vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Bei der Ausgestaltung der Grenzen dieser weit verstandenen Kampfmittelfreiheit stelle das Gericht im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung auf das Kampfziel ab und gestehe den Gewerkschaften bei der Geeignetheit und Erforderlichkeit der Kampfmittel eine Einschätzungsprärogative zu, Jacobs, Das neue Arbeitskampfrecht des BAG, ZfA 2011, 71ff. Im konkreten Fall stellt sich die Frage, ob das Grundrecht aus Art. 9 Abs.3 GG das Recht zum Eingriff in absolut geschützte Rechte der Kampfbeteiligten gibt. In der Rechtsprechung des BAG wurde diese Frage eindeutig verneint. Das BAG hat in der Flashmob - Entscheidung die Weichen neu gestellt. Hier stellt sich die Frage nach den Grenzen der Rechtsfortbildung durch die Gerichte, Boemke, jurisPR-ArbR 24/2014 Anm. 1.
58 Ein kirchlicher ArbG, der ein gewerkschaftliches Angebot auf Abschluss eines Haustarifs ablehnt muss einen Überraschungsangriff nicht fürchten, wenn er die Belegschaft hinter sich weiß. Denn die Gewerkschaft kann trotz aller Professionalität und Streikerfahrung so lange nichts ausrichten und so lange keinen nennenswerten Druck ausüben, als eine relevante Gefolgschaft innerhalb des bestreiten Unternehmens für die postulierten Streikziele nicht zu erwarten ist, Reichold, Streik zur Systemüberwindung oder Systemstabilisierung? ZTR 2012, 316
59 Der Streik ist und bleibt eine legitime Reaktion auf arbeitgeberseitige Defektionen, ganzabgesehen davon, dass er verfassungsrechtlich im Kern garantiert wird Die institutionellen Rechtsregeln des Arbeitskampfes haben in Deutschland zwar "verrechtlicht", nicht aber entmachtet, so Reichold, in Rieble (Hg.), Zukunft des Arbeitskampfes, ZAAR Schriftenreihe, 2005, S. 26. Die Tarifautonomie steht im Dienst der tarifunterworfenen Mitglieder und bedarf der Legitimation durch diese. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände trifft deshalb die Verpflichtung, vor Beginn eines Streiks oder einer Aussperrung festzustellen, ob die Mehrheit ihrer unter den Tarifvertrag fallenden Mitglieder den geplanten Arbeitskampf und das mit ihm verfolgte Ziel billigt. Der autonomen Willensbildung der Verbände muss es überlassen bleiben, ob sie eine qualifizierte Mehrheit vorsehen.
60 Streiks haben kein über längere Zeiträume stabiles Subjekt: die sie tragenden Gruppen wechseln und ihre Zusammensetzung ändert sich. Konflikte und Veränderungen in Produktion und Wertschöpfungsketten halten die Welt der Arbeit im Fluss. Was heute Normalarbeitsverhältnis ist, muss es morgen nicht bleiben. Wer zum Kern der Lohnarbeit und wer zum prekären Rand gehört, wer formell und wer informell beschäftigt ist, wird nicht zuletzt durch gesetzgeberische Aktivitäten mittelbar beeinflusst. Streiks und Gewerkschaften bilden in der allgemeinen Wahrnehmung eine Einheit. Wie das Kräfteverhältnis in den Auseinandersetzungen um die Zukunft Sozialstaatlicher Errungenschaften in Europa aussieht, und wie die soziale Gerechtigkeit gesichert werden kann ist eine noch offene Frage, vgl. Streik und sozialer Protest, Bewernitz/Dribbusch, WSI Mitteilungen 5/2014 Editorial.
61 Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit als objektives Ordnungs- und Funktionsprinzip kollektiver koalitionsmäßiger Selbstorganisation und sozialer Selbstverantwortung hat zum Ziel, das Arbeitsleben zu ordnen und zu befrieden. Organisierte Arbeitnehmerschaft und Arbeitgeber sollen im Prozess freiheitlicher Interessenausgleichung das Arbeitsleben gestalten. Im Koalitionsgegensatz gilt das freie Spiel der Kräfte. Arbeitskampf und Arbeitskampffreiheit stehen unter dem Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG, ohne dass damit einzelne Arbeitskampfmittel einzelne Formen der Kampfführung und Kampftaktiken festgelegt sind. Scholz/Konzen, Die Aussperrung im System von Arbeitsverfassung und kollektivem Arbeitsrecht, 1980, S. 106. Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit enthält eine verfassungsunmittelbare Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips als das Koalitionsrecht ein soziales Schutzrecht zugunsten der Arbeitnehmerschaft verkörpert, Scholz/Konzen, Die Aussperrung im System von Arbeitsverfassung und kollektivem Arbeitsrecht, 1980, S. 112. Das Sozialstaatsprinzip als dynamischer Konkretisierungsauftrag und das Rechtsstaatsprinzip mit seinen normativen Ausprägungen bedingen und begrenzen einander. Der soziale Staat i. S. des GG ist gleichzeitig liberaler Staat. Als rechtsstaatlich gebundene Funktionsmaxime vermag das Sozialstaatsprinzip die Zuständigkeiten der Koalitionen nicht beliebig über die gesetzliche Arbeits- und Wirtschaftsverfassung zu erweitern
62 Heiner Dribbusch nahm die Entwicklung von Arbeitskämpfen in Deutschland in den Blick. Er stellte heraus, dass Deutschland seit ca. 10 Jahren eine deutliche Zunahme von Arbeitskämpfen erfahre, auch wenn das Streikvolumen im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern bescheiden bliebe. Streiken ist bisher eine Minderheitenerfahrung Lediglich ca. 20 % der Beschäftigten geben an, überhaupt schon einmal in ihrem Berufsleben gestreikt zu haben. Der wichtigste Trend der aktuellen Entwicklung, sei die Verschiebung des Arbeitskampfgeschehens in den Dienstleistungssektor. Damit verbunden sei eine Feminisierung der Arbeitskämpfe, die sich vor allem in einer gestiegenen <zahl streikender Frauen niederschlage. Neu sei ebenfalls, dass traditionell eher wenig streikaffine Berufsgruppen angefangen hätten zu streiken, was besonders deutlich in den Krankenhäusern zu beobachten sei. Neu ist auch die gestiegene Arbeitskampfhäufigkeit im Niedriglohnsektor, in die auch prekär Beschäftigte einbezogen seien. Arbeitskämpfe wirkten dabei als Katalysator um kollektive Stärke aufzubauen und die Gewerkschaft im Betrieb zu stärken. Dies werde durch veränderte Streiktaktiken sowie eine stärkere aktive Einbeziehung der Streikenden unterstützt. Detje analysierte das divergierende Krisenbewusstsein in der deutschen Arbeiterinnenschaft. Die Streikerfahrung bei den Erzieherinnen in Bereich der Kindertagesstätten führt zu einer Wiederaneignung von Politik und zu einer Demokratisierung im Kontext eines autoritären Neoliberalismus. Entscheidend sei dafür die Überwindung der Individualisierung durch eine direkte Organisierung. Angesichts der Erosion der traditionellen Gewerkschaftsmacht verlieren die institutionalisierten Formen von Arbeitskämpfen an Bedeutung. Gleichzeitig gibt es die Wahrnehmung einer Zunahme von Protestaktionen sowohl als Generalstreiks auf der sektoralen bzw. nationalen Ebene, als auch in betrieblichen Konflikten. Es wird einerseits versucht, u. a. durch "Social Movement Unionism" einen Arbeitskampf vermittelt über die öffentliche Aufmerksamkeit zu führen. Andererseits wird der Arbeitskampf lokalisiert und auf die Intervention in konkreten Problemlagen fokussiert. Dabei ergibt sich teilweise eine neue Sichtbarkeit im öffentlichen Raum, die Ansatzpunkte für eine Verknüpfung mit stadtpolitischen Konflikten bietet. Zu diskutieren bleibt, welche politischen Potenziale diese "neuen" Formen von Arbeitskämpfen bergen und ob sie sich in eine urbane soziale Bewegung einfügen. Als einen Ursachenkomplex für Arbeitskämpfe haben sich verschiedene Formen von Normverletzungen herauskristallisiert. Insbesondere die Missachtung und der Bruch von arbeitsrechtlichen Normen, häufig im Zuge von Informalisierung und sexistischer, rassistischer und kastenbasierter Diskriminierung gibt Anlass für Arbeitskämpfe, Weber, "Streik!?"-Annäherungen an den globalen Bedeutungswandel von Arbeitskämpfen, Hamburg, 13./14. Juni 2013 – Konferenzbericht.
63 Unter richterlicher Rechtsfortbildung wird die Weiterentwicklung der gesetzlichen Vorgaben über ihren möglichen Wortsinn hinaus verstanden, Bort, Richterliche Rechtsfortbildung im Steuerrecht, 1996, S. 26ff. Sie ist abzugrenzen von der richterlichen Gesetzesauslegung bei der es sich lediglich um eine auf den streitigen Fall bezogene Klarstellung des Sinns der Rechtsvorschrift handelt. Die ergänzende Rechtsfortbildung (praeter legem) dient der Rechtsfindung, in den Fällen, in denen dem anzuwendenden Gesetz unmittelbar keine Entscheidung entnommen werden kann, das Gesetz etwa unvollständig oder lückenhaft ist. Eine Unvollständigkeit einer Rechtsnorm, die mit Inkrafttreten entstehen oder erst nachträglich durch tatsächliche oder rechtliche Entwicklungen eintreten kann, muss von den zur Entscheidung berufenen und unter Beachtung des Justizgewährungsanspruchs des Rechtsschutzsuchenden Richters im Einzelfall durch ergänzende Rechtsfortbildung beseitigt werden. Der Richter ist befugt und verpflichtet, zu prüfen, was unter veränderten Umständen "Recht" im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG ist, BVerfGE 88, 145, 166. Er hat hierzu eine festgestellte Lücke unter Anwendung anerkannter und geeigneter Methoden (z. B. Analogie, Umkehrschluss, Schluss von Mehr auf Weniger, Anknüpfen an Verkehrssitten oder Handelsbräuchen) zu schließen. Er muss dabei das Gesetz unter Berücksichtigung der systematischen Grundaussagen seiner tragenden Grunderwartungen und seiner Entstehungsgeschichte zu Ende denken, Spindler, Richterliche Rechtsfortbildung, in Leitgedanken des Rechts, Festschrift für Paul Kirchhof, 2013, § 165, S. 1791. Richter sind nur zur Auslegung des Gesetzes berufen, nicht zur Gesetzgebung Sie dürfen das Recht nicht fortbilden i. S. einer Abänderung, sondern sind darauf beschränkt, den Sinn zu entfalten. Der Richter ist an Gesetz und Recht gebunden. Er hat kein Mandat zur Gesetzeskorrektur, di Fabio, Grenzen der Rechtsfortbildung in Europa, Vortrag Nr. 199, Zentrum Europäisches Wirtschaftsrecht, Bonn, 2012.
64 Die unvermeidbare Fortbildung des Rechts ist eine legitime Daueraufgabe der Justiz. Wegen der herausragenden 'Folgen für die Machtstrukturen und die verfassungsmäßige Ordnung verdient das Richterrecht erhöhte Aufmerksamkeit, Rüthers, Wer herrscht über das GG? FAZ vom 17. Nov. 2013.
65 Die Leistungen richterlicher Rechtsfortbildungen in Deutschland zeigen in historischer Sicht ein differenziertes Bild. Einerseits ist das Richterrecht für eine sachgerechte Rechtsanwendung in einer Gesellschaft mit wachsender Veränderungsgeschwindigkeit unentbehrlich. Die obersten Bundesgerichte haben zur Stabilisierung des demokratischen und sozialen Rechtsstaates du des inneren Friedens Bedeutendes beigetragen. Die richterliche Rechtsfortbildung birgt andererseits die Gefahr, dass die letzten Instanzen bei realen oder (nicht weniger häufig) "erfundenen" Gesetzeslücken ... ihre subjektiven Regelungsvorstellungen für die objektive Gerechtigkeit halten und in rechtskräftiges Richterrecht umsetzen, Rüthers, Richter ohne Grenzen, FAZ vom 17. Juni 2010
66 Ein Rechtssystem wie das unsere, das sich über Kodifikationen organisiert, also die inhaltlichen Anweisungen rechtlicher Entscheidungen aufschreibt, anstatt sie von denjenigen, die zu entscheiden befugt sind, von Fall zu Fall entwickeln zu lassen – ein solches Rechtssystem hat sich mit seiner Entscheidung für die Kodifikation zugleich und unausweichlich für die Bindung des Richters an diese Kodifikation entschieden. Denn wozu sollte das Gesetz denn dienen, wenn es sich nicht in die Entscheidung verlängert, für die es gelten soll? Alles andere hätte doch den Ruch von Täuschung und frivolem Spiel: In einem kodifikatorischen System mit einer Unterscheidung von Gesetzgebung und Rechtsprechung ist die Bindung des Richters an die Kodifikation ohne Alternative. Gesetzgebung generiert Gesetzesbindung. Wie aber diese Bindung aussehen kann, wie sie bewerkstelligt werden soll, steht auf einem andern Blatt. Das erste Blatt heißt Verfassung, Rechtsstaat und Gewaltenteilung, das zweite Blatt heißt juristische Methodenlehre und richterliche Auslegungspraxis. Beide Blätter sind nicht miteinander identisch, sie sind aber miteinander verwachsen: Gesetzesbindung gelingt umso eher, je eher juristische Methode gelingt, und sie bleibt dann ein hohles Versprechen, wenn sich keine Methode finden lässt, welche die Bindung verlässlich ins Werk setzen und sichern kann. Insofern – aber auch nur insofern – hat eine juristische Methode Verfassungsbezug, und zwar eine jegliche Methode, soweit sie Methode ist: Ohne Regeln der Gesetzesauslegung und der Normbefolgung durch die gesetzesauslegenden Institutionen wird sich Gesetzesbindung nicht herstellen. Hingegen verordnet die Verfassung nicht die Unterwerfung unter eine bestimmte Methode der Gesetzesinterpretation, und sie verordnet schon gar nicht, dass sich eine solche Methode finden lassen muss – wie denn auch? Hassemer, Gesetzesbindung und Methodenlehre, ZRP 2007, 213f.
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- Prof. Dr. Dr. Assessor jur., Mag. rer. publ. Siegfried Schwab (Author), 2014, Arbeitsrecht und Arbeitsgesellschaft der Gegenwart und Zukunft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/279805
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