Vorlesungsmitschrift zur Vorlesung "Staatsrecht II - Grundrechte", die an der Uni Bonn gehalten wurde.
Staatsrecht II
Schutz der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1)
Allgemeines:
- Schlüsselnorm für das Verständnis des gesamten GG à tragendes Konstruktionsprinzip
- Abs. 2: Verfassunggeber bekennt sich zu vorstaatlichen Menschenrechten
- Abs. 3: unmittelbare Verbindlichkeit
- Voranstellung der Menschenwürde à Staat ist kein Selbstzweck, sondern dient dem Zweck, die Menschenwürde zu schützen
- Menschenwürde geht teilweise über den Tod hinaus à postmortaler Persönlichkeitsschutz
- Menschenwürde als Grundrecht oder als Grund der Grundrechte?
Schutzbereich
- Probleme:
➔ Menschenwürde ein Begriff mit zweieinhalbtausend jähriger Philosophie-geschichte
➔kultureller Zusammenhang einer Gesellschaft ergibt unterschiedliche Vorstellungen
➔ worin liegt im Vergleich zum Recht auf Leben oder den Gleichheitsrechten das besondere der Menschenwürde?
➔ wann beginnt Menschenwürde, wann endet sie? (➔ Nidation und Hirntod?)
- Zwei unterschiedliche Auffassungen:
➔ 1) ein dem Menschen von Gott oder der Natur mitgegebener Wert, der niemals verloren gehen kann ➔ „Mitgifttheorie“
➔ niemals und nirgends ganz ohne Rechte, jeder Mensch bringt gewisse Rechte als Mindestausstattung in die Rechtsordnung mit ein
➔ 2) Mensch hat seine Würde aufgrund seines eigenen selbstbestimmten Verhaltens ➔ „Leistungstheorie“ (Problem: Handlungs- oder Willens-unfähige Menschen)
Eingriff
- Objektformel: Der Mensch darf niemals zum bloßen Objekt der Staats-gewalt gemacht werden ➔ Problem: sehr unbestimmt
- Typische Eingriffe: Sklaverei, Menschenhandel, Folter, Entzug des Existenz-minimums etc.
Rechtfertigung
- Kein Gesetzesvorbehalt
- Durch Art. 79 Abs. 3 besonders geschützt ➔ daher auch kein kollidierendes Verfassungsrecht
- Ausnahme: nur bei Kollision mit ebenfalls durch Art. 79 Abs. 3 geschützte Güter ist eine Abwägung unter Umständen denkbar ➔ aber: Menschenwürde wird als oberster Wert der freiheitlichen Demokratie verstanden, alle in Art. 20 genannten Verfassungsgrundsätze bestehen gerade um der Menschenwürde willen
- Kein Eingriff in die Menschenwürde des Einen, um die Menschenwürde des Anderen zu schützen
- Jeder Eingriff in die Menschenwürde stellt somit einen Verstoß gegen sie dar
Freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1)
Allgemeines:
- Auffanggrundrecht gegenüber speziellen Grundrechten ➔ tritt hinter diese zurück
- Nur bedeutend wenn bei keinem einschlägigen Grundrecht der Schutzbereich eröffnet ist
- Art. 2 Abs. 1 wurde von der Rechtssprechung des BVerfG weiterentwickelt
Schutzbereich
- Zweigeteilt:
➔ Allgemeine Handlungsfreiheit
➔ Allgemeines Persönlichkeitsrecht (iVm Art 1 Abs. 1)
- Allgemeine Handlungsfreiheit umfasst nahezu jedes menschliche Handeln
➔ Schutzbereich ist sehr groß
➔ eröffnet damit in weitem Umfang die Verfassungsbeschwerde
- Allgemeines Persönlichkeitsrecht (➔ Persönlichkeitskerntheorie)
➔ Selbstbestimmung: Recht auf Datenschutz (Recht auf den eigenen Namen, Kenntnis der eigenen Abstammung, Recht auf Fortpflanzung usw.)
➔ Selbstbewahrung: Recht auf Privatsphäre (Schutz eines Rückzugraums; Sphärentheorie unterscheidet zwischen unantastbarer Intimsphäre und Privatsphäre)
➔ Selbstdarstellung: Recht am eigenen Wort und Bild (Schutz der persön-lichen Ehre, Schutz vor heimlichen Mit- oder Abhören, Recht auf Gegen-darstellung usw.)
Eingriff:
- Problem: jegliche Beeinträchtigung stellt einen Eingriff dar
- Daher liegt ein Eingriff nur vor wenn:
➔ es sich um eine rechtliche (nicht faktische) Maßnahme der Staatsgewalt handeln
➔ die Maßnahme muss gegen einen Einzelnen gerichtet sein, nicht gegenüber Dritten
Rechtfertigung:
- Drei unmittelbare Verfassungsschranken (Schrankentrias)
➔ Verfassungsmäßige Ordnung
➔ Rechte anderer
➔ Sittengesetz
- Nur die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung spielt in der Rechts-sprechung eine Rolle ➔ dies wird als die Gesamtheit aller Normen, die formell und materiell mit der Verfassung vereinbar sind aufgefasst (➔ letztlich ein einfacher Gesetzesvorbehalt)
- Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ➔ je stärker der Eingriff in Art. 2 Abs. 1, desto sorgfältiger muss die Norm begründet sein
Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1)
Allgemeines:
- Problem: wann beginnt das Leben und wann endet es?
➔ Nidation bis Hirntod
Schutzbereich:
- Recht auf Leben: Schutzgut ist das menschliche Leben
- körperliche Unversehrtheit: Integrität der Körpersphäre ➔ Gesundheit im physiologischen und geistig-seelischen Sinne
Eingriff:
- Recht auf Leben
➔ Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe
➔ finale Rettungsschuss
➔ Pflicht zum Einsatz von Leben und Gesundheit (Polizei, Feuerwehr usw.)
- körperliche Unversehrtheit
➔ Folter
➔ Menschenversuche
➔ Impfzwang
➔ Blutentnahme
➔ zwangsweise Veränderung der Haar- und Barttracht
- geringe Intensität einer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit schließt einen Eingriff nicht aus
Rechtfertigung:
- Gesetzesvorbehalt ➔ aber: staatliche Eingriffe sind in diesem Fall von sehr hoher Intensität
- Wesentlichkeitslehre: Eingriff muss auf Grundlage eines Parlaments-gesetzes erfolgen, eine Rechtsverordnung reicht in der Regel nicht aus
- Schranken-Schranken
➔ Art. 102 (Abschaffung der Todesstrafe)
➔ Art. 104 Abs. 1 S. 2 (Folterverbot)
- Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist hier besonders sensibel zu prüfen
Schutzpflicht und Schutzrecht:
- Hohe Schutzpflicht, da Grundrechtsverletzungen stets irreparabel sind
- Staat muss sich schützend und fördernd vor jedes Leben stellen ➔ vor rechtswidrigen Eingriffen Dritter bewahren
- Aber: Staat hat einen erheblichen Handlungsspielraum ➔ es gilt hier nur das Untermaßverbot
Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 und Art. 104)
Schutzbereich:
- Körperliche Bewegungsfreiheit / Fortbewegungsfreiheit: Jeder hat das Recht einen Ort aufzusuchen und ihn wieder zu verlassen (auch negativ)
- Ob jeder beliebige Ort aufgesucht werden kann ist ein Problem des Art. 11
Eingriff:
- Freiheitsentziehung (Art. 104), Arrest, Gefängnisstrafe
- Wehr- und Schulpflicht
Rechtfertigung:
- Art. 104 unterliegt qualifiziertem Gesetzesvorbehalt, gilt damit als lex specialis und verdrängt den in Art. 2 Abs. 2 S. 3 genannten einfachen Gesetzesvorbehalt
- Freiheitsbeschränkungen können damit nur auf der Grundlage eines förmlichen Gesetzes erfolgen (➔ keine Rechtsverordnung, Vgl. Wesentlich-keitslehre)
- Freiheitsentziehungen müssen in der Regel im Voraus richterlich angeordnet werden
- Schranken-Schranke ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
➔ lebenslange Freiheitsstrafe? (➔ Regelungen zur Begnadigung und Aus-setzung der Strafe)
➔ Untersuchungshaft? (➔ Aufklärung einer Straftat, Flucht- oder Verdunklungsgefahr)
Religions-, Weltanschauungs- und Gewissensfreiheit (Art. 4, Art. 12a Abs. 2 und Art. 140 iVm Art. 136 Abs. 1, 3, 4 sowie Art. 137 Abs. 2, 3, 7 WRV)
Allgemeines:
- Art. 140 verweist auf Normen der Weimarer Reichsverfassung ➔ diese sind dem GG angegliedert und damit vollgültiges Verfassungsrecht
- Moderne säkulare Staaten sind aus Religionskriegen hervorgegangen und sind daher nun weltanschaulich neutral
- Art. 4 umfasst fünf Elemente: 1) Glaubensfreiheit, 2) Gewissensfreiheit, 3) Bekenntnisfreiheit, 4) Religionausübungsfreiheit, 5) Kriegsdienstfreiheit
- Problem: Religionsfreiheit kann zur Handlungsfreiheit religiös motivierten Verhaltens werden
Schutzbereich:
- Forum internum ➔ Religiöser Glaube und moralische Überzeugung (Denken)
- Forum externum ➔ Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses (Handeln)
- Positive und negative Religions- und Weltanschauungsfreiheit
- Glaube: Innere Überzeugung des Menschen von Gott und dem Jenseits ➔ bzw. die Negation dessen
- Gewissen: Bewusstsein des Menschen vor der Existenz des Sittengesetzes
- Bekenntnis: Kundgabe des Glaubens und des Gewissens
- Art. 4 Abs. 3 als lex specialis zu Art. 4 Abs. 1 (➔ Ersatzdienst kann daher nicht aus Gewissensgründen verweigert werden)
Eingriff:
- Denken: Staat versucht die Bildung und den Bestand religiöser, weltan-schaulicher und moralischer Überzeugungen indoktrinierend zu beeinflussen
- Reden: Verpflichtung zum Schweigen oder Offenbaren
- Handeln: Unterlassen einer religiös motivierten Handlung wird gefordert
- Gewisse Wechselwirkung: Wer sich gegenüber einer staatlichen Anordnung auf entgegenstehende Glaubens- oder Gewissenspositionen beruft, kann diese nicht gleichzeitig verschweigen
- Individuelle Religionsfreiheit
- Kollektive Religionsfreiheit
Rechtfertigung:
- Vorbehaltloses Grundrecht ➔ nur verfassungsimmanente Schranken kommen in Betracht
- Schranken in Art. 136 und 137 WRV werden durch Art. 4 GG überlagert
- Auch Art. 2 Abs. 1 kann laut BVerfG nicht als Gesetzesvorbehalt heran-gezogen werden, da alle Grundrechte eigenständig sind
- Schranken-Schranken
➔ Übermaßverbot
➔ Wesensgehaltsgarantie (Art. 19 Abs. 2)
Meinungs-, Informations-, Presse-, Rundfunk- und Filmfreiheit (Art. 5 Abs. 1, 2)
Schutzbereich:
- Meinungsfreiheit
➔ Meinungsäußerung: Werturteile, die daher weder wahr noch falsch sind
➔ Tatsachenbehauptungen sind nur geschützt, wenn sie wahr sind
➔ nicht geschützt: bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen
➔ Problem: auch Tatsachenbehauptungen sind oftmals zugleich Werturteile
➔ Äußerung und Verbreitung in Wort, Schrift und Bild ➔ aber auch durch Gebärdensprache oder Schweigen
➔ negative Meinungsfreiheit
- Informationsfreiheit
➔ Möglichkeit, sich aus allgemein zugänglichen Quellen zu informieren
➔ Quellen müssen demnach technisch geeignet und dazu bestimmt sein, der Allgemeinheit Informationen zu verschaffen (➔ z.B. Zeitungen, Fernsehen, Plakate usw.)
➔ negative Freiheit: Schutz vor unentrinnbar aufgedrängter Information
- Pressefreiheit
➔ Presse: alle zur Verbreitung geeigneten und bestimmten Druckerzeugnisse
➔ auch einmalig erscheinende Druckwerke wie Aufkleber, Flugblätter usw.
➔ pressespezifische Tätigkeiten wie Recherche und Verbreitung einer Meldung
➔ kein Spezialfall der Meinungsfreiheit, diese bleibt vielmehr bestehen
➔ im Pressewesen tätige Personen und Unternehmen werden in der Ausübung ihrer Tätigkeit geschützt
- Rundfunkfreiheit
➔ umfasst Radio und Fernsehen (➔ redaktionelle Tätigkeit muss vorliegen)
➔ öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten fallen ebenfalls in den Schutz-bereich, da sie dem von Art. 5 geschützten Lebensbereich zuzuordnen sind
➔ ähnlich der Pressefreiheit
- Filmfreiheit
➔ alle Personen, die unmittelbar zur Entstehung des Films beitragen
➔ dokumentarische Filme und Spielfilme
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