Der Reader "Staatstätigkeit in der Globalisierung" befasst sich mit der hochaktuellen Frage, ob und wie sich die Globalisierung auf die etablierten Muster der Staatstätigkeit auswirkt. Anpassungsdruck entsteht mit Blick auf die Strukturen, die Interaktionsformen und Prozesse und die Inhalte (national-) staatlichen Handelns. Erstens bleibt die Öffnung vormals nationaler Regelungskontexte nicht ohne Auswirkungen auf die strukturellen Handlungsgrundlagen (Institutionen, finanzielle Ressourcen) des Staates. Zweitens verändern sich die Handlungsmuster und Prozesse staatlicher Tätigkeit. Externe, nicht-nationale Akteure werden als Kooperationspartner bedeutender, aber auch veränderte Handlungsstrategien der nicht-staatlichen Akteure im nationalen Kontext, die ihrerseits auf Internationalisierungs- oder Transnationalisierungsprozesse reagieren, machen eine Anpassung notwendig. Dabei werden in der Globalisierung die Spielräume, sich der staatlichen Einflussnahme zu entziehen, für nicht-staatliche Akteure insgesamt größer. Hierarchische Regelungsmechanismen greifen daher zunehmend ins Leere; sie werden z.T. ersetzt durch andere Governance-Formen wie Kooperation oder das Setzen von staatlichen Rahmenregelungen für eine freiwillige Regulierung („Schatten der Hierarchie“). Drittens ergeben sich veränderte inhaltliche Anforderungen an die Staatstätigkeit. Neben neuen grenzüberschreitenden Problemen, die nur kooperativ und grenzübergreifend bearbeitet werden können, steht der Staat auch im Innern vor neuen Herausforderungen. Viele Aufgaben, die bis vor nicht allzu langer Zeit noch als ‚natürliche Monopole‘ des Staates betrachtet worden sind, werden heute – in einem Umfeld europäischer und internationaler Deregulierungs- und Marktöffnungsbestrebungen – privat erbracht. Zugleich ist wohlfahrtsstaatlichem Handeln angesichts der internationalen Öffnung von Märkten, einer internationalen Standortkonkurrenz und des Risikos einer mitunter rasanten Verbreitung von Krisen, z.B. auf den internationalisierten Finanzmärkten, die Möglichkeit zur weiteren Expansion des Sozialstaates nicht nur verstellt, die aufgezählten Einflüsse wirken in einem Umfeld der „Austerität“ als zusätzliche Druckfaktoren in Richtung eines Umbaus und vielfach Abbaus des Sozialstaates.
Ausführliche Zusammenfassung ohne Literaturangaben.
Staatstätigkeit in der Globalisierung
Staatstätigkeit verändert sich durch Globalisierung:
- Öffnung vormals nationaler Regelungskontexte bleibt nicht ohne Auswirkungen auf strukturellen Handlungsgrundlagen (Institutionen, finanzielle Ressourcen) des Staates und seiner Teilsysteme
- Handlungsmuster und Prozesse staatlicher Tätigkeit verändern sich à Externe, nicht-nationale Akteure werden als Kooperationspartner bedeutender, aber auch veränderte Handlungsstrategien der nicht-staatlichen Akteure im nationalen Kontext, die ihrerseits auf Internationalisierungs- oder Transnationalisierungsprozesse reagieren
- Durch Globalisierung werden Spielräume, die sich der staatlichen Einflussnahme zu entziehen, für nicht-staatliche Akteure insgesamt größer à Hierarchische Regelungsmechanismen greifen ins Leere; werden z.T. ersetzt durch andere Governance-Formen wie Kooperation oder das Setzen von staatlichen Rahmenregelungen für eine freiwillige Regulierung („Schatten der Hierarchie“)
- Ergeben sich veränderte inhaltliche Anforderungen an Staatstätigkeit (grenzüberschreitende Problemen, die nur kooperativ bearbeitet werden können, interne neue Herausforderungen)
Stefan A. Schirm: Stand und Perspektiven der Globalisierungsforschung
- D efinition Globalisierung: Integration von Märkten, grenzüberschreitende Verdichtung ökonomischer Räume, Entgrenzung wirtschaftlicher Prozesse
- Ökonomische Globalisierung: Zunehmender Anteil grenzüberschreitender privatwirtschaftlicher Aktivitäten an der gesamten Wirtschaftsleistung von Ländern à Empirisch messbar
- Entwicklung weltweit: Anteil grenzüberschreitender Interaktionen an der gesamten Wirtschaftsleistung hat zugenommen, aber nach wie vor verläuft größter Teil des Wirtschaftsgeschehens auf nationaler Ebene à Globalisierung findet nur zwischen OECD-Ländern statt, Entwicklungsländer sind davon so gut wie nicht betroffen (negativ)
- Globalisierung wurde hauptsächlich durch politische Entscheidungen seit 70er Jahren beschleunigt (Liberalisierung des Welthandels, Öffnung nationaler Finanzplätze, De-Regulierung von Märkten) à Globalisierung war beabsichtigte Entwicklung der Industrieländer um nationales und weltwirtschaftliches Wachstum zu fördern
- Globalisierung ist Folge demokratisch legitimierter Regierungen auf nationaler Ebene
- Zwei Ansätze bei Auswirkungen von Globalisierung:
- Staat wird durch Globalisierung geschwächt, weil sein Handlungsspielraum territorial begrenzt ist à Akteure der Globalisierung können sich dem Zugriff des Staates leichter entziehen
- Staat ist nach wie vor politisch gestaltungsfähig, gerät zwar durch Globalisierung unter Druck, aber Globalisierung macht auch staatliches Engagement für gesellschaftlichen Wandel wichtig und für Stärkung der nationalen Institutionen
- Globalisierung ändert zunächst nur Rahmenbedingungen für staatliches Handeln à Mehr Wettbewerb um Standortvorteile und Absatzmärkte sowohl unter Staaten als auch unter Unternehmen
- Länder, die stark weltmarktorientiert sind, sind auch wohlhabend (Industrieländer) à Länder mit wenig Wachstum und Wohlstand sind Entwicklungsländer
- Konvergenz-These: Um Wettbewerbsanreize des Weltmarkts zu nutzen, führen Staaten marktliberale Reformen durch und gleichen so ihre Wirtschaftspolitik einander an
- Divergenz-These: Grund für große Unterschiede in Wirtschafts- und Sozialpolitik ist unterschiedliche Prägung der Gesellschaft à Unterschiedliche sozioökonomische Institutionen und Normen
Schwächung des Staates?
- These: Unter starkem Wettbewerbsdruck muss Staat seine Leistungen im Wohlfahrtssystem verringern und Sozial- und Umweltstandards abbauen (Race tot he bottom)
- Stimmt nicht, weil gerade die Staaten mit hoher Weltmarktorientierung auch hohe Steuern und ausgebauten Wohlfahrtsstaat haben (Dänemark, Schweden)
- Internationale Märkte reagieren eher negativ auf Haushaltsdefizite, weil diese inflationsfördernd wirken können
- Aber weder Konvergenz von Wohlfahrtsstaaten nach unten ist zu beobachten noch bestehen nationale Unterschiede weiter fort à Globalisierung zeigt schon Auswirkungen, aber nicht auf wohlfahrtsstaatlichen Abbau
- Entscheidend für Wettbewerbsvorteil ist Qualität der staatlichen Leistungen (Besserer Staat)
- Damit sich Land dem Wettbewerb stellen kann, muss es Strukturwandel vollziehen, deren Anpassungskosten politisch abgefedert sind und somit auch für Verlierer des Wandels akzeptabel wird
- Durch mehr Außenhandel kam es auch nicht zu Abbau von Standards, wurden sogar eher verschärft
- Ergebnis: Staat wird in grundlegenden Aufgaben (Sicherung des gesamtwirtschaftlichen Wohlstands) nicht unbedingt durch Globalisierung geschwächt à Kann durch Nutzung der Wachstumsdynamik seine Verantwortung möglicherweise sogar besser wahrnehmen
- Herausforderung: Widerstand der Gruppen überwinden, die an Aufrechterhaltung des Status Quo interessiert sind
- Globalisierung löst zum Teil klassischen Widerspruch zwischen Kapitalgebern und Arbeitnehmern auf, da beide Seiten zunehmend gleiche Interessen haben à Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt
- Empirisch zeigt sich, dass Handelsliberalisierung meist gesamtwirtschaftlich positiv wirkt, da über Wettbewerb, Mobilität, Arbeitsteilung und Innovation ein effizienter Einsatz von Ressourcen ermöglicht wird, der Produktion dort erlaubt, wo es am günstigsten ist
- Auch politische Stabilität, gute Bildungssysteme, funktionierende Rechtsprechung und staatliche Aufsicht über Wettbewerbsbedingungen gewinnen an Relevanz à Fehlen geeigneter Institutionen kann also dazu führen, dass Staaten nicht von Liberalisierung profitieren
Global Economic Governance
- Forschung beschäftigt sich mit Möglichkeiten der Steuerung wirtschaftlicher Integration
- Untersuchung der Rolle internationaler Wirtschaftsorganisationen, Einflusses der Privatwirtschaft und von NGOs und Relevanz von Public-private-partnerships als neue Regulierungsformen
- Für Prävention und besseres Management von Wirtschaftskrisen und Konflikten sind Austausch über unterschiedliche nationale Vorstellungen zur Rolle des Staates in der Ökonomie (arguing) und wirkungsvolle Mechanismen zum Ausgleich divergierender materieller Interessen (bargaining) wichtig
- Regionale Wirtschaftsintegration spielt für Globalisierungsforschung auch große Rolle: Liberalisierungsprozesse und Steuerungsmöglichkeiten in kleinem, aber politisch und ökonomisch intensiven Maß
- Regionale Kooperationen (europäischer Binnenmarkt) fördern ökonomische Effizienz und politische Akzeptanz von nationalen Wirtschaftsreformen à wichtig für Liberalisierung
- PPPs könnten Dilemma der fehlenden demokratischen Legitimation auflösen à Global Compact der UN
- Ergebnis der Forschung: Nachdem in 90er Jahren These von Schwächung des Staates aktuell war, kommen heutige Studien eher zu Ergebnis, dass nationale Politik und Institutionen weiterhin über Autonomie und Gestaltungsfähigkeit verfügen à Rahmenbedingungen haben sich geändert, Staaten sind aber weiterhin in der Lage, auf weltwirtschaft zu reagieren, wenn auch zunehmend in Kooperation mit anderen Staaten und nicht-staatlichen Akteuren
Philip Cerny: Restructing the political area: Globalization and the paradoxes of the competition state
- Transformation des Nationalstaats in einen Wettbewerbsstaat
- Politische und wirtschaftliche Akteure müssen beide anstreben, die politischen Strukturen auf einen globalen Kontext zu erweitern
- Drei Paradoxe:
- Die Transformation zu einem Wettbewerbsstaat erfordert eigentlich eine Ausweitung des Staats in Form von Regulierung von Wettbewerb und Markt
- Staat und Institutionen fördern selber Globalisierung um damit effektiver zu werden
- Globalisierung strapaziert das Gemeinschaftsgefühl und damit die Legitimationsbasis von nationalen Institutionen
- Globalisierung als politischer Effekt: Nationalstaaten verlieren Handlungsspielräume zu Gunsten transnationaler Entscheidungsprozesse zwischen Staaten (und nicht mehr innerhalb von Staaten)
- Bisher war Nationalstaat (und sein Territorium) die Bezugsgröße für alle Arten von Politik
- Durch Globalisierung entstehen auch undemokratische Elemente (zB auf Weltmärkten, durch Macht privater Interessenorganisationen
- Krise des Wohlfahrtstaats liegt in Unvermögen, nationale Wirtschaft von globaler Wirtschaft zu isolieren à Kombination aus Inflation und Stagnation wenn sie es trotzdem versuchen
- Transnationale Entwicklungen haben vier Typen politischen Wandels erzeugt:
- Wechsel von makroökonomischer zu mikroökonomischer Intervention
- Fokus auf strategische oder grundlegende Interventionen
- Schwerpunkt auf Inflationsbekämpfung und Monetarismus
- Wechsel zur Förderung von Innovation und Effizienz im privaten und staatlichen Sektor
- Generelle These: Staat soll sich so wenig wie möglich in Marktwirtschaft einmischen à Markt funktioniert auf natürliche Weise, Einmischung des Staates erzeugt nur zusätzliche Kosten
- Wohlfahrtsstaat basiert auf einem Paradox: Er soll die Verlierer des Markts auffangen aber besitzt selbst die Möglichkeit, das Marktsystem an sich zu untergraben
- Wohlfahrtsstaat muss sich gegen vier Beschränkungen behaupten:
- Haushaltsdefizit von vorangehenden Regierungen
- Nationale Wirtschaft heizt Inflation an
- Staat muss Ineffizienz der Wirtschaft ausgleichen
- Negative Auswirkung auf Außenhandel und Währungskurs
- Ergebnis: Liberalisierung, De-Regulierung und Privatisierung haben nicht den Handlungsspielraum des Staates begrenzt, sondern haben nur Schwerpunkt auf Erhöhung der Effizienz der bisherigen Strukturen gelegt
- Aufgrund der neuen Herausforderungen kann der Staat nicht mehr nur Aufgaben in private Sektoren verlagern à Er wird selber zum privatwirtschaftlichen Akteur (Kapitalgeber, Vermittlungsmann, Anwalt, Unternehmer)
- Nationalstaat ist nicht abgeschafft, seine Rolle hat sich nur geändert: Bürger müssen immer mehr auf bisherige wohlfahrtsstaatliche Leistungen verzichten
- Schwerpunkt des Wettbewerbsstaats ist die Förderung von Wirtschaftswachstum, im Nationalstaat und darüber hinaus
- Neue Formen von Legitimität
Reimut Zohlnhöfer: Globalisierung der Wirtschaft und nationalstaatliche Anpassungsreaktionen
- Großer Wandel vor allem bei globalisierten Kapitalmärkte seit 70er Jahren Thesen:
- Sowieso schon begrenzte Fähigkeit von Regierungen, Wirtschaft gezielt zu steuern, ist geschrumpft à Veränderungen haben zu Handlungszwängen für nationalstaatliche Wirtschaftspolitik geführt à Reaktion ist Deregulierung und Senkung der Steuer- und Abgabenbelastung
- Quote paper
- Michaela Sankowsky (Author), 2013, Staatstätigkeit in der Globalisierung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/279190
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