Einleitung
Altbundeskanzler Helmut Schmidt schrieb 1990, bezogen auf den Unterschied zur britischen Staatsauffassung und dem deutschen Hang zum Perfektionismus: „Später bin ich auf das Werk von Sir Carl Popper gestoßen, der den britischen Weg der schrittweisen verfassungspolitischen Entfaltung zu einem allgemeinen gesellschaftlichen Prinzip erhoben hat. Ich fand bei Popper [...] eine überzeugende Darlegung dessen, worauf es beim Fortschritt der Gesellschaft und bei gesellschaftlichen Reformen ankommt. Die große Reform, den einzig-großen Wurf gibt es nicht; es geht vielmehr darum, systematisch und schrittweise viele einzelne Gesetze und Vorschriften zu ändern [...] „piecemeal social engineering“, wie Popper es im Gegensatz zu utopischen Entwürfen fordert.“
Damit ist zwar noch nicht aufgezeigt, inwieweit sozial- und wirtschaftspolitische Reformen in einer Volkswirtschaft durchgeführt werden können. Diese Sichtweise vermittelt aber einen ersten Eindruck dessen, worauf es bei großen Reformen ankommt. Zur Debatte stehen in der bundesdeutschen Binnenpolitik derzeit Einschnitte in die Sozial- und Steuersysteme, die wohl als einmalig im Nachkriegs-Deutschland bezeichnet werden können. Dabei steht insbesondere die Reform des Arbeitsmarktes im Mittelpunkt der Politik aber auch der Wahrnehmung. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich daher mit den vier „Gesetzen für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“, nach dem Vorsitzenden der beratenden Kommission und ehemaligen VW-Personalvorstand Peter Hartz auch als Hartz-Gesetze bezeichnet. Dazu zieht sich zwei „rote Fäden“ durch die Ausarbeitung. Zum einen sollen die wesentlichen Umsetzungen der Kommissionsvorschläge dargestellt werden. Zum anderen ist eine losgelöste Betrachtung der einzelnen Komponenten nicht möglich, so daß eine kritische Reflektion der einzelnen Gesetze, aber auch des gesamten Gesetzespakets vorgenommen werden soll.
Zunächst ist dazu eine Abgrenzung von Wissenschaft und Politik sowie die Darstellung von Zielen und Notwendigkeiten der wissenschaftlichen Beratung der Politik erforderlich, die in Kapitel zwei vorgenommen wird. Darauf aufbauend, werden im Kapitel drei die Arbeit und Ergebnisse der von der Bundesregierung eingesetzten Hartz-Kommission dargestellt und kritisch gewürdigt. Kapitel vier ordnet die Vorschläge und Ergebnisse dieser Kommission in den Gesamtkontext der derzeitigen Reformvorhaben der Bundesregierung ein...
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Abgrenzung von Wissenschaft und Politik
3. Die Hartz-Kommission
4. Die Einordnung der Hartz-Gesetze im aktuellen Reformprozeß
5. Die Hartz-Gesetze
5 .1 Hartz I und Hartz I
5.1.1 Erhöhung der Vermittlungsgeschwindigkeit
5.1.2 Einrichtung von Personal-Service-Agenturen
5.1.3 Einführung von Job Centern
5.1.4 Existenzgründungsförderung (Ich-AGs)
5.1.5 Neuausrichtung des Weiterbildungsmarktes
5.2 Hartz III und Hartz IV
5.2.1 Umsetzung des Hartz III-Gesetzes
5.2.2 Umsetzung des Hartz IV-Gesetzes
6. Zusammenfassung und Fazit
7. Quellenverzeichnis
1. Einleitung
Altbundeskanzler Helmut Schmidt schrieb 1990, bezogen auf den Unterschied zur britischen Staatsauffassung und dem deutschen Hang zum Perfektionismus:
„Später bin ich auf das Werk von Sir Carl Popper gestoßen, der den britischen Weg der schrittweisen verfassungspolitischen Entfaltung zu einem allgemeinen gesellschaftlichen Prinzip erhoben hat. Ich fand bei Popper [...] eine überzeugende Darlegung dessen, worauf es beim Fortschritt der Gesellschaft und bei gesellschaftlichen Reformen ankommt. Die große Reform, den einzig-großen Wurf gibt es nicht; es geht vielmehr darum, systematisch und schrittweise viele einzelne Gesetze und Vorschriften zu ändern [...] „piecemeal social engineering“, wie Popper es im Gegensatz zu utopischen Entwürfen fordert.“[1]
Damit ist zwar noch nicht aufgezeigt, inwieweit sozial- und wirtschaftspolitische Reformen in einer Volkswirtschaft durchgeführt werden können. Diese Sichtweise vermittelt aber einen ersten Eindruck dessen, worauf es bei großen Reformen ankommt. Zur Debatte stehen in der bundesdeutschen Binnenpolitik derzeit Einschnitte in die Sozial- und Steuersysteme, die wohl als einmalig im Nachkriegs-Deutschland bezeichnet werden können.[2] Dabei steht insbesondere die Reform des Arbeitsmarktes im Mittelpunkt der Politik aber auch der Wahrnehmung. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich daher mit den vier „Gesetzen für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“, nach dem Vorsitzenden der beratenden Kommission und ehemaligen VW-Personalvorstand Peter Hartz auch als Hartz-Gesetze bezeichnet.
Dazu zieht sich zwei „rote Fäden“ durch die Ausarbeitung. Zum einen sollen die wesentlichen Umsetzungen der Kommissionsvorschläge dargestellt werden. Zum anderen ist eine losgelöste Betrachtung der einzelnen Komponenten nicht möglich, so daß eine kritische Reflektion der einzelnen Gesetze, aber auch des gesamten Gesetzespakets vorgenommen werden soll.
Zunächst ist dazu eine Abgrenzung von Wissenschaft und Politik sowie die Darstellung von Zielen und Notwendigkeiten der wissenschaftlichen Beratung der Politik erforderlich, die in Kapitel zwei vorgenommen wird. Darauf aufbauend, werden im Kapitel drei die Arbeit und Ergebnisse der von der Bundesregierung eingesetzten Hartz-Kommission dargestellt und kritisch gewürdigt. Kapitel vier ordnet die Vorschläge und Ergebnisse dieser Kommission in den Gesamtkontext der derzeitigen Reformvorhaben der Bundesregierung ein.
Im Hauptteil Kapitel fünf werden die aus den Vorschlägen der Kommission – 13 sogenannte Innovationsmodule – hervorgegangenen Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt dargestellt. Hierbei liegt das Hauptaugenmerk insbesondere auf dem Unterschied zwischen den Ergebnissen der Kommissionsarbeit und der realen politischen Umsetzung in Gesetze. Neben der reinen Deskription der Gesetzespakete „Hartz I bis Hartz IV“ und dem Unterschied zu den Vorschlägen wird dabei auch eine kritische Reflektion zu den gewünschten Zielen der Maßnahmen vorgenommen.
Kapitel sechs schließlich faßt die wesentlichen Ergebnisse zusammen und gibt einen Ausblick auf die weitere mögliche Entwicklung.
2. Abgrenzung von Wissenschaft und Politik
Der Begriff der Wissenschaft kann definiert werden als kritische Neugier mit dem Ziel der Wahrheitsfindung. Kritisch – vom griechischen „krinein“ - meint in diesem Falle trennen, unterscheiden, beurteilen, erklären. Dies kann durch eine intersubjektiv nachvollziehbare Methodik erreicht werden.[3] Zumindest theoretisch ist damit der Anspruch der Wissenschaften nach der Wahrheitsfindung definiert. In der Praxis wird sich kein Mensch von einer gewissen Subjektivität freimachen können. Jürgen Habermas spricht in diesem Fall von einem „Erkenntnisinteresse“, also einem subjektiv motivierten Interesse, einen speziellen Sachverhalt zu erforschen und zu erklären. Darüber hinaus besteht das methodologische Ziel eines Wissenschaftlers oft aber nicht in der zur Wahrheitsfindung eigentlich notwendigen falsifikatorischen Kritik seiner (eigenen) Theorien, sondern in ihrer Verteidigung gegen empirische Gegenbeispiele.[4]
Im Gegensatz zur Wissenschaft mit diesem hohen Anspruch der Wahrheitsfindung besteht die Aufgabe der Politik im Treffen von Entscheidungen. "Politik ist demnach jenes menschliche Handeln, das auf die Herstellung und Durchsetzung bzw. Verhinderung allgemein verbindlicher Regelungen und Entscheidungen in und zwischen Gruppen von Menschen abzielt.“[5] Diese Entscheidungen werden in einer Demokratie nach dem Mehrheitsprinzip getroffen, im einfachsten Fall mit der „fünfzig plus eins“ Regel. Entscheidungsbefugt sind hierbei die Mandatsträger, die jedoch in ihrer Entscheidungsfindung auf Expertenurteile angewiesen sind, also auf wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgreifen müssen. Hierin liegt der Schnittpunkt zwischen Wissenschaft und Politik, die Politik ist auf wissenschaftliche Beratung angewiesen. Auch wissenschaftlich fundierte Expertenurteile können dabei jedoch wie gezeigt nicht wertfrei sein.
Ein solches direktes Aufeinandertreffen von Politik und Wissenschaft ist in der Bundespolitik unter anderem durch die in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages festgelegte Möglichkeit zur Einsetzung von sogenannten Enquettekommissionen möglich. Auf Antrag eines Viertel der Mitglieder des Bundestages ist der Einsatz einer Enquettekommission zwingend vorgeschrieben, des weiteren unterliegt die Zusammensetzung dieser Kommission gewissen Regeln, so daß jede Fraktion ein oder mehrere Mitglieder entsenden kann. Ein Spannungsverhältnis innerhalb der Kommission ist hier somit vorhersehbar, aber auch gewünscht.[6] Es bestehen darüber hinaus jedoch viele Möglichkeiten der wissenschaftlichen Beratung der Politik. Im Bereich der Wirtschaftspolitik sind dabei insbesondere der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die wissenschaftlichen Beiräte bei den Bundesministerien für Wirtschaft und Finanzen, die erwähnten Enquette-Kommissionen und die großen deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute zu nennen. Die Hartz-Kommission, die in dieser Ausarbeitung dargestellt und kritisch analysiert werden soll, wurde von der aktuellen Bundesregierung eingesetzt und diente somit auch in erster Linie der Bundesregierung in beratender Funktion. Im Gegensatz zu den ständigen Beratungsgremien hatte Sie jedoch einen spezifischen, zeitlich eng befristeten Auftrag. Im folgenden soll zunächst die Darstellung der Zielrichtung der Kommission und der erarbeitenden Kommissionsvorschläge erfolgen. Das Hauptaugenmerk wird darauf aufbauend aber insbesondere auf einer kritischen Analyse der realen Durchsetzung der Kommissionsvorschläge liegen. Neben der reinen Deskription der Handlungs-empfehlungen der Kommission muß kritisch geprüft werden, inwieweit die Empfehlungen umgesetzt wurden und inwieweit damit die Zielsetzung der Politik erreicht werden kann bzw. bereits erreicht worden ist.
3. Die Hartz Kommission
Auslöser für den Einsatz der Kommission war der Rücktritt des damaligen Chefs der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg Florian Gerster aufgrund geschönter Arbeitslosenzahlen. Am 22.02.2002 setzte die Bundesregierung die Hartz-Kommission mit 15 Mitgliedern unter Führung des ehemaligen VW-Personalvorstandes Peter Hartz ein. Bis zum 16.08.2002 sollten von der Kommission Vorschläge zur Reformierung der Bundesanstalt für Arbeit (BA) erarbeitet werden.[7] Der Wortlaut des Auftrages lautete: „Ausarbeitung eines Konzeptes für den Arbeitszuschnitt und die Organisationsstruktur der BA inklusive eines Durchführungsplanes.“[8] Teil des Auftrages waren somit insbesondere nicht die Reformierung des Arbeitsmarktes, der Abbau der Arbeitslosigkeit sowie eine Tangierung der Geld- und Fiskalpolitik. Die von der Kommission erarbeiteten Vorschläge haben laut Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit jedoch „den Abbau und die Vermeidung von Arbeitslosigkeit zum Ziel“.[9] Aus dieser Diskrepanz wird das Spannungsverhältnis zwischen wissenschaftlicher Beratung der Politik und der politischen Motivation und Umsetzung solcher Vorschläge deutlich.
Die Konzeption des Hartz-Berichts umfaßt insgesamt 13 "Innovationsmodule", die auf sogenannte Zielgruppen der Nation abstellen. Diese Zielgruppen repräsentieren alle für den Arbeitsmarkt relevanten gesellschaftlichen Gruppen. Ziel des Masterplans ist nach Hartz, die Zahl der Arbeitslosen in drei Jahren um zwei Millionen und die Dauer der Arbeitslosigkeit von heute durchschnittlich 33 auf 22 Wochen zu reduzieren. Dadurch ergäbe sich ein Einsparungspotential in Höhe von bis zu 19,6 Milliarden Euro, das für die Umsetzung der Reformvorschläge zur Verfügung stehe. Insgesamt würden heute 100 Millionen Euro für die Arbeitslosigkeit ausgegeben, die besser in Arbeit investiert werden könnten.[10] Hier wird erneut das klassische Dilemma des Wissensproblems deutlich. Wie weit soll der Auftrag an die Kommission reichen? Da eine Kommission immer nur Vorschläge unterbreiten kann, bleibt es in letzte Konsequenz die Aufgabe der Politik diese Vorschläge umzusetzen oder gegebenenfalls abgeändert durchzuführen. Die Abbildung 1 gibt zunächst einen Überblick über die erarbeiteten Vorschläge.
[...]
[1] Schmidt, Helmut: Die Deutschen und ihre Nachbarn, Seite 120
[2] Der Spiegel, Nr. 42 vom 31.10.2003, Seite 3
[3] von Alemann, Ulrich: Politikwissenschaftliche Methoden, Seite 17
[4] Giesen,B./Schmidt, M. „Basale Soziologie: Wissenschaftstheorie“, München 1976, S.111 f.
[5] Altenhof, Ralf: Die Enquete-Kommissionen des deutschen Bundestages, Seite 54
[6] Altenhof, Ralf: Die Enquette-Kommissionen des deutschen Bundestages, Seite 54
[7] http://www.bundesregierung.de/bericht-,413.430420/Hartz-Kommission-uebergibt-Ref.htm, Abruf vom 02.03.2004
[8] Wagner / Schuldt Arbeitsmarktpolitische Reformen im Kontext der Vorschläge der Hartz-Kommission – Chancen und Risiken für den ostdeutschen Arbeitsmarkt, S. 10 ff.
[9] Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit: „A-Z der Arbeitsförderung“, Seite 2
[10] http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID1391480_TYP6_THE2415058_NAV2415058_REF1_BAB,00.html, Abruf vom 29.02.2004
- Citar trabajo
- Dennis Möhlmann (Autor), 2004, Die praktische Umsetzung der Hartz-Gesetze in der aktuellen Reformpolitik, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27913
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