Das Buch gibt einen detaillierten Erfahrungsbericht einer Münchner Zeitzeugin wider, die im Laufe einer geschichtswissenschaftlichen Arbeit mehrmals zum Thema Bombenangriffe befragt wurde. Die lebhafte Schilderung der alten Dame sind ein unschätzbares Zeugnis im historischen Zusammenhang.
A Einleitung
I. Erkenntnisinteresse
Vor fast genau 60 Jahren erlebte die Stadt München die schwersten Angriffe der Alliierten aus der Luft. Die Einwohner der Stadt wurden zum Ziel der „Zermürbungstaktik“ der Alliierten, die damit die sog. Heimatfront angriffen. Für die Opfer und deren Angehörige sind die Verluste an Leben, Besitz und Heimat unwiederbringlich.
Sirenengeheul, Luftschutz, Verdunkelung und Hunger waren an der Tagesordnung. Dennoch ging man seiner Arbeit nach, versuchte mit den wenigen Mitteln, die einem blieben, das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten.
Die Erfahrungen einer Zeitzeugin, Frau Waltraud Zittner, Jahrgang 1922, sollen einen Einblick schaffen in den Alltag dieser Zeit, mit all ihren Wirrungen, Problemen und Nöten.
Die Sicht einer Frau aus dem Mittelstand, die in München die Zeit des Bombenkriegs erlebte, soll das persönliche Erleben der Einwohner Münchens, der Zivilbevölkerung in den Vordergrund rücken, abseits der detaillierten Kriegsbeschreibungen in der Geschichtswissenschaft. Die direkten Zeitzeugen aus dieser Zeit, die ihre Erfahrungen aus erster Hand zu schildern im Stande sind, sollen ebenfalls ihren Platz in der Geschichte finden. Eine demokratische Zukunft bedarf einer Vergangenheit, in der nicht nur die Oberen hörbar sind. Viele Bemühungen sind nun auch darauf gerichtet, auch und gerade diejenigen ins Geschichtsbild zu holen, die nicht im Rampenlicht standen. Dabei sei auf die Subjektivität der Erfahrungsberichte der Zeitzeugen im Allgemeinen hingewiesen, die das Erlebte aus ihrer Sicht mit ihren eigenen Worten wiedergeben. Die Zeitzeugin soll in dieser Arbeit nicht auf ihre „Opferrolle“ reduziert werden, als Objekt derer, die die Geschichte lenkten, vielmehr soll ihre Erfahrung die Geschichtswissenschaft bereichern.[1]
II. Forschungsstand und Methode
Zum Thema Bombenkrieg in München gibt es bereits eine Reihe von Abhandlungen und Bildbänden, die sich in unterschiedlicher Weise mit dem Thema auseinandersetzen. Die Werke von Richardi, Bauer, Matern/ Berthold geben mit vielen Fotos Aufschluss über die Zeit zwischen 1940 und 1945, meist ist das Stadtarchiv München Quelle der Forschung. Sehr genau werden dort die militärischen Ziele der Alliierten und die Zerstörung der Landeshauptstadt beschrieben. Als herausragend sei die Arbeit von Irmtraud Permooser „München im Bombenkrieg“ zu nennen, das die Ereignisse in den größeren Zusammenhang des Gesamtgeschehens einbettet. Sie hat vor allem amerikanische und englische Quellen verwendet, um auch „die andere Seite“ mit einzubeziehen. Die Arbeit „Verdunkeltes München“ sowie „Die Zeichen der Zeit“ und „München unterm Hakenkreuz“ sind Erfahrungsberichte betroffener Zeitzeugen im Münchener Alltag während des Krieges. In der jüngsten Literatur heizt das Werk „Der Brand“ von Jörg Friedrich eine alte Diskussion wieder auf. Darf man die Deutschen als Opfer sehen angesichts des Unheils, das sie über die Welt gebracht haben?[2]
Die Arbeit von Jörg Friedrich ist eine auf ganz Deutschland bezogene Beschreibung des Luftkriegs mit seinen Auswirkungen auf das Land und seine Bevölkerung. Das Leben selbst, die persönliche Situation in all ihren Facetten wird jedoch von den bisherigen Werken ausgeblendet. Nur selten geht es um die Wohnsituation, um die Nahrungsbeschaffung oder um die Menschen, die in den getroffenen Städten lebten.
Um zu einem für diese Hausarbeit erwünschten Ergebnis zu gelangen, habe ich mich für die Durchführung einer Zeitzeugenbefragung entschieden. Vor dem Hintergrund einer Beschreibung der allgemeinen Alltagssituation in München während des Kriegs werden so tiefere Erkenntnisse der Gedanken und Empfindungen der Zivilbevölkerung in München offen gelegt, die im Sinne der Oral History als Quellen aus dieser bewegten Zeit dienen. Sie werden später auf Wunsch dem Institut für Biographie und Geschichte zur Verfügung gestellt. Das Interview wurde nach den allgemein geltenden Regeln für Zeitzeugenbefragungen durchgeführt. Die Auswahl der Interviewpartnerin erfolgte unter der Prämisse, eine typische „Münchnerin“ zu finden, die bereits sehr lange in ihrem Stadtteil lebt und die die Jahre 1942- 1945 ebenfalls in München gelebt hat. Der Autor kennt die Befragte seit ca. 20 Jahren, allerdings nicht gut. Die Interviewpartnerin wurde am 28. April 2004 in ihrer Küche in vertrauter Umgebung zunächst zu ihrem Leben im Allgemeinen befragt, um später die Fragestellung auf den Forschungsgegenstand zu konkretisieren. Bei der Befragung wurde versucht, keinerlei Einfluss auf die Zeitzeugin auszuüben, Frau Zittner erzählte das Erlebte ganz frei, kleine Zwischenfragen dienten dazu, bestimmte Themen entweder zu vertiefen oder um den Fokus wieder auf die Forschungsfrage zu lenken. Das erste Interview dauerte knapp zwei Stunden, ein weiteres Treffen bei Frau Zittner diente zur Absicherung und Bestätigung der gewonnenen Erkenntnisse. Schwierigkeiten ergaben sich bei der Bestimmung der zeitlichen Abfolge und der genaueren Schlüsseldaten (z.B. Daten der ersten erlebten Bombenangriffe, des Umzugs usw.). Die Erfahrungen der Zeitzeugin werden mit den Sekundärquellen verknüpft und in eine chronologische Reihenfolge gebracht. Das Interview wurde mit einem Diktiergerät auf Microkassette aufgenommen und später in Auszügen, die für die Hausarbeit relevant waren, transkribiert.
Zur Frage der statistischen Repräsentativität sei gesagt, dass eine umfangreichere Zeitzeugenbefragung den Rahmen der Arbeit gesprengt hätte. In Absprache mit der Betreuerin der Hausarbeit hat man sich auf die Befragung einer Einzelperson beschränkt. Es werden aus der Literatur andere Zeitzeugen zu Wort kommen, um eine Vergleichbarkeit der gewonnenen Erkenntnisse zu gewährleisten und sie in einen Gesamtzusammenhang zu fügen.
III. Luftkrieg über München- Strategie der Alliierten
Engländer und Amerikaner hatten verschiedene Luftkriegskonzepte. Die Briten führten Flächenangriffe („area bombing“) bei Nacht, die US- Luftflotten Punktzielbombardierungen bei Tage durch. Die englischen Bomber hatten demzufolge nicht einzelne Punkte wie bestimmte Industriewerke oder Bahnverbindungen zum Ziel, sondern immer das Stadtgebiet selbst.[3]
Die englische Luftkriegspolitik setzte auf die kontinuierliche Schädigung der städtischen Infrastruktur sowie auf die allmähliche Zermürbung der Bevölkerung. Diese Taktik sollte gemäß englischer Strategie letztendlich dieselbe Wirkung erzielen wie direkte Treffer auf kriegswichtige Anlagen.[4]
Diese Strategie der Royal Air Force geht auf Sir Arthur Harris zurück, der am 14. Februar 1942 zum Chef des Oberkommandos des Bomber Command ernannt wurde.[5] Er hat die Strategie der Flächenbombardements nicht entwickelt, und er war auch nicht angetan von der Idee, die Moral der Bevölkerung als ein eigenständiges strategisches Ziel zu definieren. Vielmehr verstand er den Luftkrieg als ein Mittel, Deutschlands wirtschaftliche und militärische Macht durch Angriffe auf Industriegebiete und Industriearbeiter so lange zu schwächen, bis die Invasion auf dem europäischen Kontinent nur noch eine reine Säuberungsaktion sein würde. Harris riet in einem Brief dem Air Ministry:
„Das Ziel der Combined Bomber Offensive und der Rolle, welche die britischen Bomberverbände dabei übernehmen sollen… ist die Zerstörung deutscher Städte, die Tötung deutscher Arbeiter und die Zerschlagung des zivilisierten sozialen Lebens in ganz Deutschland.“
„Es sollte unterstrichen werden, dass die Zerstörung von Gebäuden, von öffentlichen Einrichtungen, Transportmitteln und Leben, die Schaffung eines Flüchtlingsproblems von bislang ungeahntem Ausmaß und der Zusammenbruch der Moral an der Heimat- bzw. an der Kriegsfront durch die Furcht vor noch umfassenderen und heftigeren Bombenangriffen akzeptierte und beabsichtigte Ziele unseres Bombardierungsstrategie sind. Keinesfalls sind sie Nebenwirkungen von Versuchen, Fabriken zu treffen.“[6]
Man wollte die Heimatfront moralisch in die Knie zwingen, um in Deutschland einen Aufstand gegen Hitler und seine Gefolgschaft zu provozieren. Wenn die deutsche Bevölkerung den Krieg auf Grund zu hoher menschlicher und materieller Verluste nicht mehr unterstützte, so könnte man mit der Kapitulation Deutschlands rechnen.
Die Amerikaner verfolgten das Ziel, möglichst viele strategisch wichtige Einrichtungen zu treffen.
Die erfolgreiche Durchführung der Luftoffensive gegen das deutsche Kriegspotential hing entscheidend von der Niederringung der deutschen Jagdfliegerverbände ab. Betriebe der Flugzeugherstellung und Flughäfen hatten noch bis Mitte 1944 absolute Priorität. Die vollständige Luftüberlegenheit war die Voraussetzung für die letzten entscheidenden Operationen, die sich erst nach der Invasion verwirklichen ließen.[7] Erst im Verlauf des Krieges gingen auch die Amerikaner zu Flächenbombardements über.
B. Erfahrungen von W. Zittner im Bombenkrieg
I.1. Alltag und Beruf
Im Anschluss an ihre Schullaufbahn begann Frau W. Zittner eine Schneiderlehre, obwohl sie eigentlich eine Ausbildung zur Bürokauffrau machen wollte. Aufgrund ihres angeborenen Hörfehlers, der sich mit zunehmendem Alter verschlimmerte, blieb ihr dieser Weg jedoch verwehrt. Im Nachhinein befand sie dies als glücklichen Umstand, da das Schneiderhandwerk ihr bis zu ihrer Dienstverpflichtung bei Dornier in Oberpfaffenhofen genug zum Leben gab. Sie ging vor Ausbruch des Kriegs ihrer Arbeit als Schneiderin nach, wo Hausbesuche ihr den Einblick in die reicheren Familien Münchens gewährten.[8]
Die Ausgrenzung der Juden wurde in dieser Zeit immer offensichtlicher. Bereits 1933 boykottierte die SA jüdische Geschäfte, jüdische Ärzte, jüdische Juristen. Es gab kaum einen Bereich des öffentlichen Lebens, aus dem die Juden nicht nach und nach ausgegrenzt wurden: Universität, Verwaltung, Gewerbe, Kultur. Arier besetzten freigewordene Stellen, später auch die entmieteten Wohnungen. Dennoch entsetzte viele Münchner die Reichspogromnacht am 9./ 10. November 1938. Ein solidarischer Protest blieb allerdings aus. Es war wohl auch Gewöhnung, dass man die immer sichtbarere Ausgrenzung akzeptierte. Unter den Augen der Münchner wurden schließlich im September 1941 die Menschen selbst stigmatisiert: Jeder Jude musste einen gelben Stern sichtbar auf der Brust tragen. Auch in der Frage der vollständigen „Entjudung“ spielte München, die „Hauptstadt der Bewegung“ eine unrühmliche Rolle. Systematisch wurden Juden in Lagern zusammengefasst.[9]
Frau Zittner erlebte die Ausgrenzung der Juden vor allem im Laden ihrer Eltern. Die SS forderte alle Ladenbesitzer auf, nicht mehr an Juden zu verkaufen und ein Bild des Führers in die Auslage zu stellen. Die Eltern weigerten sich lange vehement gegen diese Auflagen, bis die Angst vor scharfen Sanktionen oder Verrat überwog. Innerhalb der Familie wurde wenig über Politik geredet, obwohl der Vater, ein ehemaliger Chauffeur im Hause Hohenlohe, dem Parteiprogramm der NSDAP kritisch gegenüber stand. An ein Erlebnis erinnert sie sich, als sie als Auszubildende nach Nymphenburg in ein ansehnliches Herrenhaus bestellt wurde, um für ein Beerdigungsgewand Maß zu nehmen. Im Eingang stand ein blaues Kästchen mit einem Judenstern darauf, auf dem stand: „Täglich einen Pfennig für Palästina“. Als sie zu Hause dem Vater erzählte, was sie gesehen hatte, verbot der Vater ihr aufs Schärfste, „jemals auch nur irgendjemandem“ davon zu berichten. Erst sehr viel später wurde ihr bewusst, weshalb der Vater so streng reagierte.[10]
Die Familie wurde unter der Herrschaft der Nationalsozialisten zu einem umworbenen Feld zwischen Tradition und neuer „Volksgemeinschaft“. Die Familie wurde als „Keimzelle der Nation“ bezeichnet. Die Instrumentalisierung der Familie im Sinne der Nationalsozialisten ging weit über den eher biologischen „Aspekt“ hinaus. Es gab ein großes Angebot an Kursen zu Kinderhygiene, Haushaltsführung und Ernährung. Einen wesentlichen Anteil an der späteren Zersetzung des Familienverbandes hatte das ausgeprägte Spitzelwesen. Niemandem konnte man mehr vertrauen.[11]
An diese Problematik erinnert sich Frau Zittner sehr lebhaft. Einmal sei ein Nachbar, ein Herr Michael Jakob von einem Spitzel des Plünderns bezichtigt worden. Der glückliche Umstand, dass im Nachbarhaus ein Jakob Michael wohnte, also den fast identischen Namen hatte, ersparte dem vermeintlichen Plünderer wahrscheinlich die Todesstrafe, da bei dem „falschen“ Jakob Michael die gestohlene Nähmaschine nicht gefunden wurde.[12]
Der 64- jährige SAD Mann Bernhard Fischer wurde von SS und Polizeigericht München zum Tode verurteilt. Er hatte bei den Bergungsarbeiten im Hause Schneckenburgerstrasse 31 zwei Paar Hosenträger und andere Gebrauchsgegenstände von geringem Wert entwendet. Dieser Fall ging allerdings nicht auf das Konto von umhergehenden Gestapo- Leuten, sondern von einem nach dem Angriff eingesetzten Hitlerjungen, der seine Wahrnehmung rechtzeitig meldete.[13]
Frau Zittner war selbst oft genug Zeugin von Plünderungen nach Bombeneinschlägen. So weiß sie zu berichten: „Beim Luisoder ist geplündert worden, in der Schule, der Bürgerbräukeller ist geplündert worden. Beim Luisoder kommt eine Frau mit einem ganzen Leiterwagen voller Stoffe raus, da hab ich mir gedacht, Stoffe… Da hat sie gesagt, `mei Mädel, nimm den, nimm Dein Radl und fahr weg ´, dann gibt sie mir so ein Stück und ich komm damit, mit dem Packerl heim…Hab ich wieder hintragen müssen, das hat der Vater nicht erlaubt, der hätt´ mir den Hals abgedreht (lacht). Man durfte sich nicht erwischen lassen, aber das hat jeder gesehen, in den ersten Tagen, da hat jeder genommen, was er tragen konnte. So wahr ich da sitze.“[14]
[...]
[1] L. Niethammer: Lebenserfahrung und kollektives Gedächtnis. Die Praxis der Oral History, S. 7- 8
[2] L. Kettenacker: Ein Volk von Opfern, S. 11
[3] Th. Guttmann: Giesing- Vom Dorf zum Stadtteil, S. 199
[4] I. Permooser: München im Bombenkrieg, S. 48
[5] R. Neillands: Der Krieg der Bomber, S. 126
[6] L. Kettenacker: Ein Volk von Opfern, S. 40
[7] I. Permooser: München im Bombenkrieg, S. 190
[8] Interview am 28.04.2004 mit Frau W. Zittner
[9] M. Krauss: Die Zeichen der Zeit, S. 62
[10] Interview am 28.04.2004 mit Frau W. Zittner
[11] M. Krauss: Die Zeichen der Zeit, S. 14
[12] Interview am 28.04.2004 mit Frau W. Zittner
[13] I. Permooser: München Im Bombenkrieg, S. 132
[14] Interview am 28.04.2004 mit Frau W. Zittner
- Arbeit zitieren
- Hubertus Lerchenfeld (Autor:in), 2004, München zur Zeit der Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg- Erfahrungen einer Zeitzeugin, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27897
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