Das Verhältnis von Zentrum und Peripherie bildet das Herz von Dependenz- und Weltsystemtheorie, aber auch der Imperiumstheorie von Herfried Münkler. In diesen Theorien wird jeweils die Beziehung zwischen diesen beiden Kategorien untersucht und behandelt. Dabei ist die Namensgebung allein schon wertend. Die Staaten oder Reiche, die das Zentrum bilden, sind in der Regel dominant und die handelnden Akteure, während die Peripherie in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Zentrum steht. Neben dem Abhängigkeitsverhältnis ist in den genannten Theorien die Idee der Ausbeutung der Peripherie, die vor allem ökonomisch gemeint ist, zentral. Da alle diese Ansätze nicht zu den Mainstream Theorien der Internationalen Beziehungen gehören, ist es besonders interessant, ihre Überzeugungskraft zu überprüfen. Was sind die wesentlichen Charakteristika dieses Verhältnisses und wie stehen die drei Theorien zu diesen? Welches Konzept ist am überzeugendsten? Zunächst werden die Charakteristika eingeführt, um diese dann an den 3 Ansätzen darzustellen. Die Unterschiede zwischen den Ansätzen werden insbesondere erklärt. Die Bewertung der Ansätze schließt diesen Essay.
I. Einleitung
Das Verhältnis von Zentrum und Peripherie bildet das Herz von Dependenz- und Weltsystemtheorie, aber auch der Imperiumstheorie von Herfried Münkler. In diesen Theorien wird jeweils die Beziehung zwischen diesen beiden Kategorien untersucht und behandelt. Dabei ist die Namensgebung allein schon wertend. Die Staaten oder Reiche, die das Zentrum bilden, sind in der Regel dominant und die handelnden Akteure, während die Peripherie in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Zentrum steht. Neben dem Abhängigkeitsverhältnis ist in den genannten Theorien die Idee der Ausbeutung der Peripherie, die vor allem ökonomisch gemeint ist, zentral. Da alle diese Ansätze nicht zu den Mainstream Theorien der Internationalen Beziehungen gehören, ist es besonders interessant, ihre Überzeugungskraft zu überprüfen. Was sind die wesentlichen Charakteristika dieses Verhältnisses und wie stehen die drei Theorien zu diesen? Welches Konzept ist am überzeugendsten? Zunächst werden die Charakteristika eingeführt, um diese dann an den 3 Ansätzen darzustellen. Die Unterschiede zwischen den Ansätzen werden insbesondere erklärt. Die Bewertung der Ansätze schließt diesen Essay.
II. Zentrale Charakteristika
Die Benutzung der Begriffe „Zentrum“ und „Peripherie“ beruht in allen drei Ansätzen auf einem ungefähr gemeinsamen Verständnis. Ausgehend von einer Weltwirtschaft, dem internationalen kapitalistischen System, findet in der Peripherie die Ausbeutung von Rohstoffen und unqualifizierter Arbeitskraft statt, die die anspruchsvolleren Produktionsprozesse im Zentrum ermöglicht. Die Abhängigkeit der Peripherie entsteht durch die Auslandsfinanzierung (Frank) durch das Zentrum, weil die Rohstoffförderung und die Herstellung von Massenkonsumware nur durch Kapital, Technologie und Maschinen des Zentrums möglich sind. Die Mehrwertabschöpfung ist besonders rücksichtslos (Wallerstein).
Auch wenn alle drei Ansätze ein ausbeuterisches Verhältnis mit großem Machtgefälle feststellen, gibt es in den Konzepten entscheidende Unterschiede in verschiedenen Aspekten. Der erste Aspekt ist die Typologie und die Einordnung der Subjekte in diese. Hierbei ist auch entscheidend, welche Subjekte ausgewählt werden. Der zweite Aspekt ist die Art von Machtbeziehung, die zwischen Zentrum und Peripherie besteht. Der dritte Aspekt schließlich umfasst den Determinismus oder die Möglichkeiten, das bestehende Verhältnis zu ändern.
III. Unterschiede in den drei Ansätzen
1. Auswahl der Subjekte, Typologie und Einordnung
Schon bei der Auswahl der zu untersuchenden Subjekte besteht Uneinigkeit zwischen den drei Theorien. Die Dependenztheorie untersucht das Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem europäisch-US-amerikanischen Zentrum und der lateinamerikanischen Peripherie. Innerhalb dieses Ansatzes wählt André Gunder Frank die betreffenden Länder als Ganzes als Untersuchungsgegenstand, während Cardoso und Faletto die Wichtigkeit herausstellen, jedes Land einzeln und in seinem historisch-strukturellen Kontext einbettend zu untersuchen. Wallerstein hingegen definiert Weltsysteme, innerhalb derer das Verhältnis Zentrum-Peripherie entsteht. Diese Konstruktion ist aber abstrakt und beschränkt sich nicht auf ein konkretes historisches Beispiel. In der Imperiumstheorie Münklers werden die historischen Imperien und das aktuelle Beispiel der USA untersucht. Innerhalb jeden Imperiums gibt es ein Zentrum, das durch militärische oder ökonomische Expansion eine auszubeutende Peripherie schafft. Dies inkludiert das Subjekt der Dependenztheorie, da die Peripherie Lateinamerika sowohl im Beispiel der europäischen Kolonialimperien als auch der USA vorkommt. Allerdings liegt das Augenmerk der Imperiumstheorie auf den Akteuren des Zentrums und vernachlässigt die Sichtweise der Peripherie. Grundsätzlich ist in allen drei Theorien das Zentrum die Gruppe der entwickelten Volkswirtschaften aus Europa, Nordamerika und teilweise Fernostasien. Die Peripherie vereinigt dementsprechend die rückständigen Staaten, die entweder im sozio-politischen „Süden“ der Welt oder an den Randgebieten der ehemaligen Imperien (Osteuropa z.B.) angesiedelt sind.
Es gibt weiterhin Unterschiede in der grundsätzlichen Typologie zwischen Zentrum und Peripherie. In der Dependenztheorie gibt es nur die beiden Extreme. Entweder ist ein Staat dem Zentrum oder der Peripherie zugeordnet. Wallerstein führt in der Weltsystemtheorie allerdings noch eine Zwischenkategorie ein, die Semi-Peripherie. Diese dient der Stabilisierung des gesamten Systems, in dem es Mobilität zwischen den Kategorien in Aussicht stellt, und dadurch Systemrevolutionen verhindert. Das Verhältnis der drei Kategorien ist transitiv. So wird die Semi-Peripherie zwar weiterhin vom Zentrum ausgebeutet, entwickelt aber in bestimmten Branchen erfolgreiche Industrien und Unternehmen, durch die wiederum die Peripherie ausgebeutet wird. Bei Münkler gibt es innerhalb eines Imperiums das Zentrum und Ränder, die durchaus unterschiedliche Ausprägungen haben. So gab es zum Beispiel im Römischen oder Zarischen Reich jeweils einen hochzivilisierten und einen barbarischen Rand.
2. Die Art von Machtbeziehung
Die drei Ansätze unterschieden sich auch in der Machtbeziehung zwischen Zentrum und Peripherie. Für die Vertreter der Dependenztheorie ist das Verhältnis sehr einseitig, so dass das Zentrum allen Einfluss ausübt. In der Weltsystemtheorie besteht dagegen ein fühlbares Wechselverhältnis. Insbesondere die Staaten der Semi-Peripherie können sich eine Machtbasis gegenüber dem Zentrum aufbauen, da sie ein notwendiger stabilisierender Faktor für das System sind. In der Imperiumstheorie kann der Einfluss der Peripherie besonders stark werden. In Krisensituationen der Imperien spielt die Peripherie eine entscheidende Rolle zu deren Überwindung, weshalb sie auf allen Machtebenen in das Reich integriert werden muss. Besonders zu sehen ist dies im Römischen Reich, in dem zahlreiche Kaiser aus den peripheren Provinzen kamen.
Die Analyse von André Gunder Frank befasst sich mit rein ökonomischen Verhältnissen, wie Außenhandel oder Bruttoinlandsprodukte. Für ihn sind Unternehmen aus dem Zentrum mit internationaler Monopolstellung die Förderer des Abhängigkeitsverhältnisses und der Unterentwicklung der Peripherie. Cardoso und Faletto heben diese Restriktion leicht auf, in dem sie soziale Strukturen und historische Prozesse mit einbeziehen. Grundsätzlich steht für Dependenztheoretiker also das wirtschaftliche Verhältnis zwischen Zentrum und Peripherie im Vordergrund. Die Abhängigkeitsverhältnisse entstehen nicht aus einem politischen Willen gewisser Akteure sondern viel mehr durch den strukturellen Einfluss der ökonomischen Verhältnisse. In Wallersteins Weltsystemtheorie besteht in der kapitalistischen Weltökonomie das Abhängigkeitsverhältnis ebenfalls aus wirtschaftlichen Faktoren. Bei ihm spielt die internationale Politik und das Konzept des Staates aber auch eine Rolle. Der Staat gibt als stabilisierende Entität den Unternehmen die Freiheit und Sicherheit für ihre Existenz und das anarchische internationale Staatensystem verhindert, dass ein Staat die absolute Dominanz über alle anderen bekommt und somit die Weltökonomie ersetzen kann. Von Kritikern kann ihm aber durchaus ökonomischer Reduktionismus vorgeworfen werden, so dass hier eine starke Ähnlichkeit zur Dependenztheorie besteht. Herfried Münkler geht noch einen Schritt weiter, indem er die ökonomische Macht nur als eine von vier entscheidenden Mächten darstellt. Das Zentrum kann so in seiner Expansionsphase sogar ganz ohne ökonomische Macht die Peripherie ausbeuten. Erst das Gleichgewicht der ökonomischen, politischen, militärischen und ideologischen Macht sorgt aber für Stabilität des Imperiums, das es braucht, um die Ränder in Abhängigkeit zu halten.
3. Determinismus
Die drei Ansätze unterscheiden sich ebenfalls in ihrer Sichtweise auf die Veränderbarkeit des Systems. Die Weltsystemtheorie und Münklers Imperiumstheorie schließen einen Determinismus in ihr Konstrukt ein. So sind die Entstehung des aktuellen Systems und deren mögliche Auflösung von langfristigen ökonomischen und sozio-strukturellen Prozessen abhängig. Nichtsdestotrotz sagt Wallerstein den Untergang der kapitalistischen Weltökonomie in naher Zukunft voraus. Die Dependenztheorie lässt hingegen Spielraum für soziale oder politische Bewegungen, die die bestehenden Verhältnisse aufbrechen können. Dies kann aber nur der Fall sein, wenn sich die Bourgeoisie und Elite des abhängigen Staates mit den Arbeitskräften zusammentut. Allerdings sind die Interessen jener meist übereinstimmend mit denen des Zentrums. Die Gründung eines Subimperiums verbessert zwar den absoluten Wohlstand des betreffenden Staates der Peripherie, kann aber nicht über die weiterhin bestehende Abhängigkeit vom Zentrum hinwegtäuschen.
IV. Diskussion und Bewertung
In Hinblick auf das Verhältnis zwischen Zentrum und Peripherie ist die Weltsystemtheorie überzeugender als die Dependenztheorie. In zwei der Charakteristika, nämlich der Typologie und der Machtbeziehung ist sie schlicht komplexer und umfassender. Durch die Einführung der Semi-Peripherie, der Mobilität zwischen den Typen (z.B. Japan als neuer Teil des Zentrums) und der Einbeziehung politischer Akteure hebt sie viele der Einschränkungen der Dependenztheorie auf. Außerdem werden nicht nur lateinamerikanische Länder untersucht. Somit lassen sich insgesamt mehr Aspekte in die Theorie einbeziehen und die Wirklichkeit etwas besser abbilden. Dennoch wird in beiden Theorien die Rolle des Staates sehr unterschätzt, insbesondere im Vergleich zu Mainstream Theorien wie dem Neo-Realismus oder dem Liberalismus. Der Staat als Akteur hat einfach ein zu großes Gewicht in den Internationalen Beziehungen und lässt sich nicht zugunsten von ökonomischen Strukturen ignorieren. Und wenn, dann sollte dies gründlicher und auffälliger argumentiert werden als es in den beiden Texten der Fall ist. Münklers Imperiumstheorie ist hingegen sehr gefällig. Die Beobachtungen und die Schlussfolgerungen sind plausibel und genau. An seine Analyse der Vergangenheit schließt er sogar Handlungsempfehlungen für das US-amerikanische und europäische Imperium an. Allerdings ist Münklers Perspektive sehr vom Zentrum geprägt und greift nur dann, wenn das Weltsystem durch ein Imperium dominiert ist. Die Stärke der Dependenztheorie ist aber gerade der Perspektivwechsel hin zur Peripherie. Die Weltsystemtheorie kann sich dagegen mit einer feinen Typologie der Akteure brüsten. Die Imperiumstheorie überzeugt schließlich damit, die relevanten Einflüsse vierzuteilen und sich nicht allein auf das ökonomische Umfeld zu beschränken. Eine Kombination dieser drei Punkte könnte eine wesentlich glaubhaftere Theorie aus diesem Kanon bilden.
V. Schlussfolgerung
Die Trias der Dependenztheorie, der Weltsystemtheorie und der Imperiumstheorie Münklers sieht das Verhältnis zwischen Zentrum und Peripherie als zentral an. In den wichtigen Charakteristika dieses Verhältnisses, nämlich der Typologie, der Art und des Determinismus, zeigen die Ansätze aber mitunter grundlegende Unterschiede. Im gezeigten Überblick haben sich auch einige Schwächen offenbart. Statt nur auf den Vergleich dieser drei Theorien zu schauen, würde es sich lohnen, diese noch mit den Mainstream Theorien der Internationalen Beziehungen zu vergleichen.
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- Justus Lindl (Autor), 2013, Dependenz-, Weltsystem und Imperiumstheorie im Vergleich, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/278450