Neu ist sie nicht, die Frage nach den Wirkungen von Gewaltdarstellungen, jedoch immer noch so
aktuell und kontrovers wie zu Zeiten Platons. Und obwohl zu keinem Bereich der
Medienwirkungsforschung mehr Untersuchungen vorliegen, ist die Publikations flut ungebrochen.
Bis heute wurden über 5000 Studien zu diesem Thema gezählt, wobei die Quantität angesichts der
herrschenden Uneinigkeit oder stellenweise gar Widersprüchlichkeit der Forschungsergebnisse
nicht zwangsläufig auf deren Qualität schließen lässt.
Verursacht die Gewaltdarstellung im Fernsehen reale Gewalt? Betrachtet man den öffentlichen
Diskurs, scheint diese Frage längst überflüssig. Bei jeder spektakulären Gewalttat, besonders durch
Jugendliche, entflammt die Diskussion erneut. Mangels plausibler Erklärungen wird das Fernsehen
zum Sündenbock.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich im Folgenden mit eben dieser Frage. Denn unter Experten
wurde der direkte Schluss vom Inhalt auf die Wirkung längst negiert. Aber auch die noch in den
70er Jahren vertretene „These der Wirkungslosigkeit“ ist heute nicht mehr haltbar.
Eine empirisch gesicherte Antwort auf diese Wirkungsfrage gibt es nicht und kann es nicht geben,
da sich nicht nur die Medienlandschaft permanent verändert, sondern auch Wirkungen an sich im
Laufe der Zeit immer wieder Veränderungen, ja gar einem „Verfallsdatum“2 unterliegen. Diese
Tatsache weist auf die Problematik der vorliegenden Arbeit hin. Sie kann aufgrund der
Komplexität keinen Anspruch auf Berücksichtigung sämtlicher Aspekte des Themengebiets
erheben. Stattdessen soll versucht werden, einen Überblick über die Thematik zu geben und auf
besonders interessante und prägnante Aspekte vertiefend einzugehen.
Als fester Teil im kindlichen Alltag kann von dem Leitmedium Fernsehen als einer neuen
Sozialisationsinstanz, neben den Eltern, gesprochen werden. Junge Rezipienten sind den Wirkungen der Fernsehinhalte besonders stark ausgesetzt, da sie bis zu einem Alter von 10 bis 11
Jahren längst nicht alle Geschehnisse auf dem Bildschirm kognitiv nachvollziehen können. 3 Aus
diesem Grund bilden sie die in dieser Arbeit untersuchte Personengruppe.
Die Einbeziehung der Wirkungen weiterer Medien mit violenten Inhalten wie Comics,
Computerspiele oder das Internet wäre in einem weiteren Rahmen ebenfalls interessant, würde hier
jedoch zu weit führen. [...]
2 Merten (1999), S. 257.
3 Vgl. Kübler (1998), S. 507.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Gewalt und Aggression
3. Gewalt im Fernsehen
3.1 Struktur der Gewalt des Gesamtangebotes
3.2 Gewaltanteile der einzelnen Sender und Genres
4. Fernsehverhalten von Kindern und Jugendlichen
4.1 Quantitative Fernsehnutzung
4.2 Fernsehnutzung nach Wochentagen und Tageszeiten
4.3 Senderpräferenzen
4.4 Programminhalte
4.5 Gewaltrezeption und –faszination der Kinder und Jugendlichen
5. Modelle zur Erklärung der Wirkung medialer Gewaltdarstellungen
5.1 Die Katharsisthese
5.2 Die Inhibitionsthese
5.3 Die Stimulationsthese
5.4 Die Habitualisierungsthese
5.5 Die Suggestionsthese
5.6 Die Kultivierungsthese
5.7 Die These der Wirkungslosigkeit
5.8 Die Theorie des sozialen Lernens
6. Die Wirkungen des medialen Gewaltkonsums auf Kinder und Jugendliche
6.1 Nachahmungstaten
6.2 Unterschiede im Erleben medialer Gewalt von Mädchen und Jungen
6.3 Auswirkungen auf das Aggressionsverhalten von Kindern und Jugendlichen
7. Interventionsmöglichkeiten
8. Schlussfolgerung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
„Sollen wir es also so leicht hingehen lassen, dass die Kinder ganz beliebige Märchen und von ganz Beliebigen erfundenen anhören und so in ihrer Seele Vorstellungen aufnehmen, die meistenteils denen entgegengesetzt sind, welche sie, wenn sie erwachsen sind, unserer Meinung nach werden haben sollen? – Das wollen wir keineswegs hingehen lassen. – Zuerst also, wie es scheint, müssen wir Aufsicht führen über die, welche Märchen und Sagen dichten, und welches Märchen sie gut gedichtet haben, dieses einführen, welches aber nicht, das ausschließen.“[1]
Platon ~ 400 v. Chr.
Neu ist sie nicht, die Frage nach den Wirkungen von Gewaltdarstellungen, jedoch immer noch so aktuell und kontrovers wie zu Zeiten Platons. Und obwohl zu keinem Bereich der Medienwirkungsforschung mehr Untersuchungen vorliegen, ist die Publikationsflut ungebrochen. Bis heute wurden über 5000 Studien zu diesem Thema gezählt, wobei die Quantität angesichts der herrschenden Uneinigkeit oder stellenweise gar Widersprüchlichkeit der Forschungsergebnisse nicht zwangsläufig auf deren Qualität schließen lässt.
Verursacht die Gewaltdarstellung im Fernsehen reale Gewalt? Betrachtet man den öffentlichen Diskurs, scheint diese Frage längst überflüssig. Bei jeder spektakulären Gewalttat, besonders durch Jugendliche, entflammt die Diskussion erneut. Mangels plausibler Erklärungen wird das Fernsehen zum Sündenbock.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich im Folgenden mit eben dieser Frage. Denn unter Experten wurde der direkte Schluss vom Inhalt auf die Wirkung längst negiert. Aber auch die noch in den 70er Jahren vertretene „These der Wirkungslosigkeit“ ist heute nicht mehr haltbar.
Eine empirisch gesicherte Antwort auf diese Wirkungsfrage gibt es nicht und kann es nicht geben, da sich nicht nur die Medienlandschaft permanent verändert, sondern auch Wirkungen an sich im Laufe der Zeit immer wieder Veränderungen, ja gar einem „Verfallsdatum“[2] unterliegen. Diese Tatsache weist auf die Problematik der vorliegenden Arbeit hin. Sie kann aufgrund der Komplexität keinen Anspruch auf Berücksichtigung sämtlicher Aspekte des Themengebiets erheben. Stattdessen soll versucht werden, einen Überblick über die Thematik zu geben und auf besonders interessante und prägnante Aspekte vertiefend einzugehen.
Als fester Teil im kindlichen Alltag kann von dem Leitmedium Fernsehen als einer neuen Sozialisationsinstanz, neben den Eltern, gesprochen werden. Junge Rezipienten sind den Wirkungen der Fernsehinhalte besonders stark ausgesetzt, da sie bis zu einem Alter von 10 bis 11 Jahren längst nicht alle Geschehnisse auf dem Bildschirm kognitiv nachvollziehen können.[3] Aus diesem Grund bilden sie die in dieser Arbeit untersuchte Personengruppe.
Die Einbeziehung der Wirkungen weiterer Medien mit violenten Inhalten wie Comics, Computerspiele oder das Internet wäre in einem weiteren Rahmen ebenfalls interessant, würde hier jedoch zu weit führen.
Untersucht werden soll nur das Fernsehen, spezieller die dargestellte fiktive Gewalt. Die Erforschung realer Gewalt wurde in diesem Zusammenhang bisher kaum berücksichtigt und wird von Kindern und Jugendlichen auch weniger konsumiert. Ferner erfordert die Komplexität eine Fokussierung auf die Auswirkungen auf das Aggressionsverhalten der jungen Fernsehzuschauer.
Grundlage dieser Arbeit bildet die zu Beginn skizzierte Gewaltpräsenz im deutschen Fernsehprogramm und die darauf folgende Zusammenfassung des aktuellen Fernsehverhaltens der Kinder und Jugendlichen. Ein Vergleich dieser Daten soll Aufschluss über den Gewaltkonsum der hier untersuchten Gruppe geben. Anschließend werden die Entwicklungen der Medienwirkungsforschung und ihre populärsten Thesen beschrieben. Den Schwerpunkt dieser Arbeit stellt das sechste Kapitel. Dieses ist den Wirkungen der Gewaltdarstellungen im Fernsehen auf Kinder und Jugendliche gewidmet. Es fokussiert, unter Einbezug der aktuellen Forschungstrends, mögliche Einflüsse auf ihr Aggressivitätsverhalten.
Aufbauend auf diesen Erkenntnissen werden abschließend pädagogische Interventionsmöglichkeiten skizziert. Begonnen werden soll im Folgenden jedoch mit den umstrittenen Begriffe ‚Gewalt’ und ‚Aggression’, deren bis dato ungenügende und in den meisten Studien sehr unterschiedlich verwendete Definitionen eine Präzisierung des Diskurses der Gewaltwirkung weiterhin erschwert.
2. Gewalt und Aggression
„Ja, was heißt / Bei dir Gewalt?“[4] – Lessing, Nathan der Weise (1778)
„Gewalt ist einer der schillerndsten und zugleich schwierigsten Begriffe der Sozialwissenschaften.“[5] Die Vielzahl kontroverser Deutungen allein in Lexika macht die Komplexität des Begriffes deutlich. Auch alltagssprachlich ist der Begriff alles andere als eindeutig: Bevölkerungsumfragen offenbaren eine extreme kognitive Diffusität des Gewaltbegriffs.[6] Dieses definitorische Defizit schlägt sich deutlich auf die Aussagekraft jedweder Hypothesen zur Gewaltwirkung nieder. Daher soll den Anfang dieser Arbeit eine Definition nicht nur der Gewalt, sondern auch des durch einige Autoren gleichgesetzten Begriffs der Aggression stellen:
Der Begriff Aggression entstammt der Psychologie und wird in der Fachliteratur zumeist als ein zerstörerisches, antisoziales Verhalten dargestellt. Hobmair versteht unter „[…] Aggression […] alle Verhaltensweisen, die eine direkte oder indirekte Schädigung von Organismen und/oder Gegenständen beabsichtigen.“[7] Im Gegensatz dazu findet sich im „Brockhaus“ die Aussage, Aggression sei ein „affektbedingtes Angriffsbedürfnis“[8], insofern kann diese also als eine natürliche, dem Menschen innewohnende Neigung verstanden werden. Vergessen wird oftmals die prosoziale Aggression, eine Aggression für gesellschaftlich akzeptierte Zwecke wie die Durchsetzung des Rechts, die durchaus eine produktive und konstruktive Kraft darstellt.[9] Aggression bedeutet nämlich im ursprünglichen Sinn so etwas wie einen Beginn oder einen Zugang zu etwas oder jemandem (von lateinisch: a-gredi), deshalb sei ein Leben ohne Aggression unmöglich, sofern es um die Umsetzung der Werte Eigenständigkeit und Selbstbewusstsein gehe. Aggression muss also nicht zwangsläufig auf gewalttätige, destruierende Weise entladen werden.[10]
Oftmals gehen die Definitionen von Aggression und Gewalt ineinander über, wie bei einem Vergleich von Hobmairs Definition mit der folgenden deutlich wird:
„Gewalt [ist] die rücksichtslose Anwendung von physischem und/oder psychischem Zwang gegenüber einem anderen, um diesem Schaden zuzufügen […].“[11]
Da es der Rahmen dieser Arbeit nicht zulässt, eine vertiefende Diskussion dieser Begrifflichkeiten darzulegen, werden im Folgenden, wie in der Fachliteratur, zwischen zwei theoretischen Formen der Gewalt unterschieden: personelle und strukturelle Gewalt.
Nach Galtung (1971) handelt es sich bei struktureller Gewalt um die in ein soziales System „eingeflochtene“ Gewalt, um eine Art „Ungerechtigkeit“. Sie tritt auf, ohne dass sichtbar eine ausführende Person vorhanden ist und „ohne dass sich das Opfer von der strukturellen Gewalt dieser ‚Vergewaltigung’ bewusst sein muss, in ungleichen Machtverhältnissen“.[12] Die Thematik der strukturellen Gewalt ist jedoch aufgrund der großen Probleme, die mit ihrer Operationalisierung verbunden sind, in der Debatte zur Wirkung von medialen Gewaltdarstellungen bisher nahezu unbeachtet geblieben.[13]
Personale Gewalt zeigt sich laut Theunert in dem Handeln und Verhalten eines speziellen Individuums mit den Folgen einer sichtbaren physischen oder psychischen Verletzung.[14]
Eine unabhängige Betrachtung dieser beiden Gewaltarten ist jedoch kaum möglich. Personale Gewalt wird durch strukturelle begünstigt, strukturelle Gewalt dagegen durch personale aufrechterhalten.
3. Gewalt im Fernsehen
Dieses Kapitel beschreibt die aktuelle Gewaltstruktur des deutschen Fernsehens. Die Daten, die dabei zur Verfügung stehen, basieren auf einer Untersuchung von Groebel und Gleich im Auftrag der Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfalen von 1993.
Während eines Zeitraumes von acht Wochen wurden „nach einer Zufallsstichprobe Programme jedes einzelnen Senders [Anm.: RTL, SAT 1, Tele 5 (heute nicht mehr existent), PRO 7, ARD, ZDF] so ausgewählt, dass insgesamt eine vollständige Woche nach dem jeweiligen Programmschema repräsentiert war“[15]. Anschließend wurde das gesammelte Material nach Qualität und Quantität der vorkommenden Gewalthandlungen analysiert. Psychische Gewalt fand aufgrund der schlechten objektiven Messbarkeit nur sehr begrenzt Berücksichtigung.
Diese erste veröffentlichte seriöse Inhaltsanalyse von Gewaltdarstellungen im bundesdeutschen Fernsehen stellt immer noch das primäre Referenzmaterial dar. Seit dieser Zeit hat sich das Fernsehprogramm strukturell und inhaltlich allerdings sehr verändert.
Die Anzahl deutscher Eigen- und Auftragsproduktionen ist gestiegen. Es etablierten sich zunehmend neue Formate wie Boulevardmagazine, TV-Movies, Talkshows, Doku-Soaps und Reality-TV. Fakten und Fiktionen verschwimmen zusehends, was auch für die Anteile der Gewaltdarstellung von Bedeutung sein dürfte.[16] Dieses muss bei der Interpretation der folgenden Ergebnisse berücksichtigt werden.
3.1 Struktur der Gewalt des Gesamtangebotes
Groebel und Gleich konnten feststellen, dass in „fast der Hälfte aller deutschen Fernsehsendungen [...] zumindest einmal Aggression oder Bedrohung in irgendeiner Form thematisiert“ und „stündlich [...] im deutschen Fernsehen fast fünf aggressive Handlungen gezeigt“[17] werden.
Mehr als 50 Prozent der medialen Gewaltdarstellungen beinhalten eine direkte physische Schädigung, annährend 20 Prozent ziehen die Todesfolge nach sich.
Dabei sind die Aggressionsakte wie folgt verteilt: 39 Prozent werden als körperlicher Zwang bzw. leichte Körperverletzung klassifiziert, 32 Prozent als psychische Bedrohung und 23 Prozent als Sachbeschädigung. Mord folgt mit weiteren 15 Prozent aller Gewaltdarstellungen vor der Schlägerei mit 14 Prozent und der Körperverletzung mit 11 Prozent aller Aggressionsereignisse. 10 Prozent lassen sich weiterhin als „Massive Beschimpfung“ zusammenfassen.
Der Großteil der „Aggressoren“ (92 Prozent) waren Erwachsene mittleren Alters, 4 Prozent Jugendliche und weniger als 2 Prozent Kinder oder ältere Leute.
Bezogen auf die Geschlechterverteilung konstatierten sie einen Anteil an weiblichen Aggressoren von lediglich 8,7 Prozent. Die Opferrolle kam der Frau dagegen mit 15,4 Prozent aller Gewaltakte zu. Die Wahrscheinlichkeit für Frauen ist also fast doppelt so hoch, als Opfer denn als Täterin gezeigt zu werden.
Bei einem Zusammenschnitt aller körperlichen Gewaltszenen innerhalb ihrer untersuchten Woche kamen Groebel und Gleich auf eine Dauer von 25 Stunden.
Im Vergleich zu anderen Zeitabschnitten vor 23 Uhr verbuchte diese Studie die größte Ballung der dargestellten Gewalt zwischen 18 und 20 Uhr im Vorabendprogramm. Bis zu 20 Gewalttaten konnten in diesem Zeitraum täglich gezählt werden.
In fast zwei Drittel aller Fälle ergibt der unmittelbare Handlungskontext keinen Grund, zumindest kein explizites Motiv für die angewandte Gewalt. Das restliche Drittel stellt meist Aggression zur Erreichung von Zielen, zur Lösung von Konflikten oder als Reaktion auf das Verhalten anderer dar.
Extreme Gefühle zeigten die untersuchten Aggressoren selten, mehr als 25 Prozent führte ihre Gewaltakte kalt und überlegen aus. Im Rahmen der Lerntheorie interessieren die Folgen, die sich aus der Tat für die Aggressoren stellen. Wenn überhaupt, so zeigen es Groebel und Gleich durch ihre Studie auf, erfährt der Angreifer, zumindest im unmittelbaren Kontext, eher befriedigende oder gar keine Konsequenzen (in zusammen 85,1 Prozent der Fälle).
3.2 Gewaltanteile der einzelnen Sender und Genres
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Verteilung aggressiver Elemente als Anteil des jeweiligen Gesamtprogramms. Der mit ARD/ZDF betitelte Balken bezieht sich lediglich auf das gemeinsame Vormittagsprogramm.
Die Grafik zeigt einen Zeitanteil aggressiver Ereignisse am Gesamtprogramm, der sich mit senderspezifischen Schwankungen um die 10 Prozent bewegt. Die Privatsender weisen dabei einen deutlich größeren Anteil an Aggressionssequenzen im Vergleich zu den Öffentlich-Rechtlichen auf. Der gewalthaltigste Sender dieser Inhaltsanalyse ist demnach, mit einem doppelt so hohen Wert wie die ARD, der Privatsender Pro 7. Ein Zusammenschnitt der gewalthaltigen Stunden der untersuchten Fernsehwoche reicht von 5 Stunden 45 Minuten bei der ARD bis zu 19 Stunden 6 Minuten bei Pro 7.
Mit rund 85 Prozent überwiegt die Darstellung der fiktiven Gewalt bei weitem, Nachrichten und Dokumentationen machen nur einen Anteil von 15 Prozent des gesamten Aggressionsbudgets aus. Die fiktive Gewalt setzt sich mit über 50 Prozent aus Serien und Spielfilmen und rund weiteren 25 Prozent aus Trickfilmen zusammen.
4. Fernsehverhalten von Kindern und Jugendlichen
In diesem Kapitel wird größtenteils Bezug genommen auf die Daten der Analyse der Fernsehnutzung 2000 der 3- bis 13-Jährigen von Feierabend und Simon.[18] Dazu wurden 1611 Kinder und Jugendliche im Alter von 3 bis 13 Jahren für das Jahr 2000 befragt, die laut Feierabend und Simon die 8,79 Millionen Kinder in diesem Alter in Ost- und Westdeutschland repräsentieren. Grundlage bieten die Daten der GfK-Fernsehforschung. Eine neuere Studie aus dem Jahr 2002, erhoben durch den Sender Super RTL, ergibt keine nennenswerten Änderungen.[19]
4.1 Quantitative Fernsehnutzung
Das Fernsehen nimmt in der Freizeit der Kinder und Jugendlichen einen immer größeren Stellenwert ein. 24 Prozent der Mädchen und Jungen zwischen 6 und 13 Jahren geben Fernsehen als ihre Lieblingsbeschäftigung an. Damit liegt diese knapp hinter Fußballspielen (25 Prozent) auf Platz zwei der liebsten Freizeitbeschäftigungen. Auf die Frage, womit sie sich drinnen am liebsten beschäftigen, nennen sogar 76 Prozent der Kinder das Fernsehen.[20]
Während 1999 noch 29 Prozent der Kinder zwischen sechs und dreizehn Jahren über ein eigenes Fernsehgerät verfügten, waren es ein Jahr später schon 34 Prozent, in den neuen Bundesländern sogar 51 Prozent.[21] Von einem weiteren Anstieg ist aufgrund der zunehmenden Ausbreitung multimedialer Technik auszugehen.
62 Prozent der 3- bis 13-Jährigen (65 Prozent in Ostdeutschland) nutzen das Fernsehen täglich. Bezogen auf die Gesamtanzahl dieser Altersgruppe wurden also täglich rund 5,4 Millionen Kinder und Jugendliche durch das Fernsehen erreicht.
Die durchschnittliche Sehdauer der hier befragten Gesamtgruppe (die aus Sehern ebenso wie aus Nichtsehern berechnet wird) beträgt 97 Minuten, wobei Kinder, die in den alten Bundesländern leben, mit 91 Minuten eine geringere Sehdauer aufweisen als Kinder, die in den neuen Bundesländern leben (123 Minuten).
Die geringste Fernsehdauer weisen mit 76 Minuten pro Tag drei- bis fünfjährige Kinder auf.
Mit zunehmendem Alter steigt der Fernsehkonsum der Kinder immer weiter an.
Bezogen auf den Langzeitvergleich ist die Sehdauer nicht alarmierend gestiegen, die Gesamtgruppe sieht im Vergleich zu 1992 nur 4 Minuten länger fern, bei den Drei- bis Fünfjährigen stieg der Konsum um 10 Minuten.
Die Verweildauer, die die am Stück vor dem Fernseher verbrachte Zeit angibt, ist im Verlauf der letzten Jahre um einige Minuten gesunken. Bei den Jugendlichen über 14 Jahren stieg die Verweildauer seit 1992 jedoch kontinuierlich an und erreichte im Jahr 2000 erstmals 4,5 Stunden.[22]
4.2 Fernsehnutzung nach Wochentagen und Tageszeiten
In den Wintermonaten ist der kindliche Fernsehkonsum genau wie bei Erwachsenen höher als in den Sommermonaten.
Aufgrund der vermehrten Freizeit sehen Kinder vor allem am Wochenende fern. Liegt der Wert der Sehdauer von Montag bis Donnerstag bei 87 Minuten, so steigt er freitags schon auf 104 Minuten an. Der Samstag ist mit 119 Minuten der Hauptfernsehtag der Kinder, während die Zeit sonntags auf 110 Minuten schon wieder etwas abfällt. Mädchen sehen in der Woche durchschnittlich eine Minute länger fern als Jungen, diese verbringen dafür am Wochenende mehr Zeit vor dem Gerät.
An Schultagen sitzen einige wenige Kinder der Gesamtgruppe schon ab 6:00 Uhr vor dem Fernseher; mittags erreicht der Wert die 5-Prozent-Marke und steigt bis 15 Uhr kontinuierlich an. Den deutlichen Anstieg gegen 14:30 Uhr auf 13 Prozent führen Feierabend und Simon auf das erstmalige Auftauchen der Pokémons am Tag zurück. Danach sinkt die Fernsehnutzung der Kinder wieder unter 10 Prozent. Die „Primetime“ der Kinder (ca.18%) wird zwischen 18.45 und 20.15 Uhr erreicht. Nach 20.15 Uhr verringert sich die Fernsehnutzung kontinuierlich, um 21.45 Uhr sitzen aber immerhin noch ca. 8 Prozent vor dem Bildschirm, um 22.30 Uhr noch 3 Prozent, um 00.00 Uhr liegt der Wert dann nahe der 1-Prozent-Marke. Besonders hoch ist die Anzahl derer, die in den späten Abendstunden vor dem Fernseher sitzen, am Freitag. Hier wird von allen Abenden der Woche das TV am meisten genutzt, zwischen 22 und 25% schauen von 20.15 bis 21.30 Uhr fern. Betrachtet man das Wochenende, ist samstags vor allem morgens um 9.30 Uhr eine Nutzung von ca. 12 Prozent der Drei- bis Dreizehnjährigen zu verzeichnen, was auf das große Angebot der Sender an Zeichentricksendungen zu dieser Zeit zurückzuführen ist und darauf, dass das Fernsehen hier in vielen Familien als Babysitter fungiert. Abends steigt der Anteil der Kinder, die zwischen 20.00 und 22.00 Uhr den Fernseher nutzen, auf 22%. Sonntag morgens ist ein signifikanter Anstieg der jungen Zuschauerzahlen (auf knapp 15%) zwischen 11.30 und 12.00 zu erkennen, laut Feierabend und Simon „ein Effekt der ‚Sendung mit der Maus’“.[23] Am Nachmittag liegt die Anzahl der fernsehenden Kinder bis ca.17.30 Uhr bei ungefähr 10 Prozent, bis sich dann am Abend ein den Prozentwerten der Wochentage ähnliches Nutzungsverhalten einpendelt.
Im Langzeitvergleich (1992 bis 2000) stellen Feierabend und Simon eine Veränderung fest: „Immer mehr Kinder sitzen immer später am Tag vor dem Fernsehgerät.“[24] Die Nutzung am Nachmittag scheint nur zuzunehmen, wenn Inhalte angeboten werden, die für eine Breite der jungen Fernsehzuschauer attraktiv sind und auch entsprechend vermarktet werden, wie z.B. die „Pokémons“.
4.3 Senderpräferenzen
Bei den beliebtesten Sendern der Kinder dominieren eindeutig die Privaten; die öffentlich-rechtlichen Anstalten sind für die Kinder „Wochenendsender“, da sie, seit der Einführung des Kinderkanals (KI.KA), die jungen Zuschauer nur noch am Wochenende bedienen. Die privaten Sender spielen deshalb eine große Rolle, da sie vor allem tagsüber eine Menge Programme senden, die Kinder anziehen.
Die folgenden Daten beziehen sich erneut auf die Studie aus dem Jahr 2000 von Feierabend und Simon: Auf Platz eins in der Gunst der Kinder liegt Super RTL mit einem Marktanteil von 19,6 Prozent unter den drei- bis dreizehnjährigen Kindern. Mit 12,8 Prozent landet RTL auf dem zweiten Platz knapp vor RTL II mit 12,3 Prozent. Es folgen ProSieben (10,0 %) und der Kinderkanal KI.KA (9,9 %).[25] Die Markanteile der Öffentlich-Rechtlichen unter den jungen Zuschauern sind im Vergleich zum Vorjahr um 0,4 bis 0,6 Prozentpunkte gesunken. Das Erste Programm der ARD liegt damit bei 6,2 Prozent, das ZDF bei 5,0 und die acht Dritten Programme bei 4,1 Prozent Marktanteil.
Betrachtet man die Altersgruppe differenzierter, fällt auf, dass Kinder bis elf Jahren Super RTL favorisieren, bevor mit 12 Jahren RTL zum Lieblingssender wird. In diesem Alter beginnen die Kinder folglich, sich für andere Fernsehinhalte als Zeichentrick zu interessieren.
Auffällig bei einer geschlechtsspezifischen Betrachtung ist die Beliebtheit der öffentlich-rechtlichen Sender unter den drei- bis dreizehnjährigen Mädchen, die zwar mit 28,1 Prozent weit hinter dem Marktanteil der RTL-Familie (42,1 Prozent) liegt, jedoch höher ausgeprägt ist als unter den Jungen (22,4 Prozent im Vergleich zu 47,2 Prozent der RTL-Familie).
Zu beachten bleibt der öffentlich-rechtliche Kinderkanal KI.KA, dessen Sendezeit während der Erhebung durch Feierabend und Simon nur zwischen 6:00 und 19:00 Uhr lag und daher die hier aufgezeigten Marktanteile relativierbar macht. Betrachtet man lediglich den Zeitraum des KI.KAs, errang dieser mit 15,9 Prozent den zweiten Platz hinter Super RTL.
Zu Beginn dieses Jahres hat er seinen Marktanteil bezogen auf seinen jetzigen Sendezeitraum (6:00 bis 21:00 Uhr) auf 16,8 Prozent unter den Drei- bis Dreizehnjährigen gesteigert.[26]
4.4 Programminhalte
Der Schwerpunkt des kindlichen Fernsehkonsums liegt auf fiktionalen Angeboten und dabei auf Zeichentrickfilmen. Die Nutzung dieser Cartoons ist bei sechs- bis neunjährigen Kindern am höchsten und nimmt bei älteren Kindern deutlich ab. Dadurch lassen sich die Marktanteile des Privatsenders Super RTL erklären, der zu 80 Prozent fiktionale Angebote, vor allem Zeichentrick sendet (der Rest besteht fast vollständig aus Werbung). In der Gruppe der Zehn- bis Dreizehnjährigen werden spannende oder komödiantische Filme und Serien interessant. Mädchen präferieren unterhaltende Filme, während ihre männlichen Altersgenossen eher das fiktionale Genre Zeichentrick und Spannung nutzen. Während auf Super RTL und RTL II von der untersuchten Altersgruppe hauptsächlich Zeichentrickfilme gesehen werden, nutzen die Kinder ProSieben und SAT.1 für spannende Filme und Serien und ARD und ZDF für unterhaltende Fiktion.[27]
Die beliebteste Kindersendung des Ersten Programms ist seit Jahren die „Sendung mit der Maus“, gefolgt vom „Tigerenten Club“. An der Spitze des ZDFs steht bei Kindern wie auch bei Erwachsenen „Wetten, dass...“. Es folgen Kindersendungen wie „Löwenzahn“. Der KI.KA begeistert die Kleinen z.B. mit „Biene Maja“. Ganz vorne bei RTL liegen auch schon unter den Kindern „Gute Zeiten – Schlechte Zeiten“ und „Wer wird Millionär?“. Auf SAT.1 dagegen präferieren die Kinder Comedy oder Serien wie „Kommissar Rex“. Die Hitliste von ProSieben führt unter anderem die Kultserie „Die Simpsons“ an. Bei RTL II sorgt das Format „Big Brother“ für steigende Marktanteile unter den Kindern, der Kölner Sender trumpft aber vor allem mit den „Pokémons“ auf, die unter den Sechs- bis Neunjährigen oft Marktanteile über 70 Prozent erreichen. Auch die „Digimons“ erfreuen sich hier immer größerer Beliebtheit. Der Favoritensender Super RTL zieht die Kinder mit ihren Zeichentrickformaten wie „Chip und Chap“ und „Disney’s Gummibärenbande“ an.
4.5 Gewaltrezeption und –faszination der Kinder und Jugendlichen
Kinder und Jugendliche präferieren eindeutig die Privatsender und dies hauptsächlich aufgrund der reichlich vorhandenen Kindersendungen. Nach Ende dieser Sendungen schalten jedoch längst nicht alle ab, denn wie oben gezeigt, sitzen Kinder im Laufe der letzten Jahre abends immer später noch vor dem Fernseher. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass nach 19.00 Uhr keine expliziten Fernsehprogramme für Kinder mehr ausgestrahlt werden und so von der Altersgruppe viel konsumiert wird, was für sie noch nicht bestimmt ist und belastend sein kann.[28] Es sind diese von den Kindern präferierten Privaten die im Vergleich zu den Öffentlich-Rechtlichen mehr Gewalt ausstrahlen (denn sie unterliegen ja dem Quotendruck und Sex und Gewalt verkauft sich bekanntlich gut).
Laut Pfeiffer konsumieren inzwischen 56 Prozent der 12- bis 17-jährigen Jungen häufig jugendgefährdende Filme (bei den Mädchen nur 25 Prozent). Er spricht angesichts der aktuellen Zahlen der Sehdauer (s.o.) und rezipierten Inhalte der Kinder von einer zunehmenden „Medienverwahrlosung“.[29]
[...]
[1] Platon, (~400 v.Chr.), Politeia, S. 114, 377 b-c.
[2] Merten (1999), S. 257.
[3] Vgl. Kübler (1998), S. 507.
[4] Lessing (1981), S. 43.
[5] Imbusch (2002), S. 26.
[6] Vgl. Imbusch (2002), S. 26.
[7] Hobmair (1991), S.168.
[8] Brockhaus-Enzyklopädie (1986), S.211.
[9] Vgl. Zimbardo (1995), S. 426; Rogge (1999), S. 142 f.
[10] Vgl. Rogge (1999), S. 143.
[11] Meyers Lexikonredaktion (1996), Band 4, S. 1265.
[12] Kunczik (1998), S. 16.
[13] Vgl. Kunczik (1998), S. 16.
[14] Vgl. Theunert (1997), S. 89.
[15] Groebel/Gleich (1993), S. 9.
[16] Vgl. Grimm (2001), o.S.
[17] Groebel/Gleich (1993), S. 62.
[18] Vgl. Feierabend / Simon (2001), S. 176-188.
[19] Vgl. Guth / Schulte (2003), o.S.
[20] Vgl. Studie Kinderwelten (2002), S. 28.
[21] Vgl. Feierabend / Simon (2001), S. 176.
[22] Vgl. Feierabend / Simon (2001), S. 177 f.
[23] Vgl. Feierabend / Simon (2001), S. 180.
[24] Feierabend / Simon (2001), S. 183.
[25] Vgl. Feierabend / Simon (2001), S. 180 f.
[26] Information der Marketingabteilung des KI.KAs auf Anfrage der Verfasserin.
[27] Vgl. Feierabend / Simon (2001), S. 186.
[28] Vgl. Feierabend / Simon (2001), S. 179 f.
[29] Pfeiffer (2003), o.S.
- Arbeit zitieren
- Christina Buchholz (Autor:in), 2004, Die Wirkung der Gewaltdarstellung im Fernsehen auf Kinder und Jugendliche, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27732
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