Braucht die Stadtsoziologie einen Perspektivenwechsel, um nicht zu sagen einen Paradigmenwechsel? Hat sich das Erkenntnispotenzial der traditionellen Stadtforschung erschöpft oder ist gar ihr Erkenntnisgegenstand verloren gegangen angesichts der Tatsache, dass Stadt/Land-Unterschiede zunehmend verschwinden bzw. angesichts einer zunehmenden Verstädterung der Gesellschaft? Unter anderem haben der cultural turn und der spatial turn in den Kultur- und Sozialwissenschaften eine zunehmende Offenheit gegenüber neuen Denkansätzen, etwa was den Einbezug von Alltagswissen und Raum angeht, hervorgerufen. Diese Entwicklung ist auch an der Stadtsoziologie nicht vorbei gegangen. Die Bemühungen, denen stadtsoziologische Forschungen gelten, zielen darauf ab, gesellschaftliche Entwicklungen zu erklären, welche in der Stadt, die als Spiegel der Gesellschaft begriffen wird, sichtbar werden. Diese Sichtweise unterstellt, dass es im Prinzip keine Rolle spielt, in welcher Stadt gerade das Thema Armut oder Segregation untersucht wird. Generell gilt: Es werden Phänomene in der Stadt untersucht. Ein cultural turn setzt einen „epistemologischen Sprung“ (Bachmann-Medick 2010) voraus, „ein Umschlagen von Forschungsgegenständen hin zu neuartigen Analysekategorien“ (ebd.).
Hier setzt das Postulat einer „Eigenlogik der Stadt“ an. Dass Städte unterschiedlich sind und Hamburg ganz andere Assoziationen hervorruft als München, wird niemand bestreiten. Der Forschungsansatz „Eigenlogik der Stadt“ geht allerdings davon aus, „dass das, was wir ´die Gesellschaft` nennen, sich je nach Stadt in sehr unterschiedlichen Praktiken finden lässt“ (Löw 2008a: 18). Berking/Löw fordern einen Paradigmenwechsel, wonach nicht in der Stadt geforscht, sondern die Stadt selber erforscht werden soll. Diesem Perspektivenwechsel geht ein verändertes Verständnis vom Gegenstand der Stadtsoziologie voraus. Die Autoren und zahl-reiche andere Stadtforscher, die sich diesem Blickwechsel anschließen, sind der Meinung, dass „herkömmliche Bedeutungszuweisungen von der Stadt (…) viel-leicht überholt sind“ (Berking/Löw 2008: 10), dagegen sprechen sie (Groß)Städten spezifische Strukturen und Eigenschaften zu, die zum Konzept der Eigenlogik von Städten führen. Diese Strukturen und Eigenschaften erzeugen unabhängig von den jeweiligen Akteuren ortsspezifische Handlungsmuster (vgl. Löw 2008). Schließlich sei es die Kombination dieser Eigenschaften, welche den Habitus einer Stadt bilde. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Das Habitus-Konzept von Pierre Bourdieu
- Der Habitus
- Physischer, sozialer und angeeigneter physischer Raum
- Sozialer Raum und Klassen
- Sozialer Raum und Lebensstile
- Doxa
- Ortseffekte
- Die Besonderheit des Städtischen
- Städtische Doxa
- Eigenlogik der Stadt
- Habitus der Stadt
- Habitus und Eigenlogik
- Stadt und Handeln
- Stadt und Habitus
- Zur kontroversen (stadt)soziologischen Diskussion des Konzepts - ein vorläufiges Fazit
- Die Stadt als Gegenstand der Soziologie
- Sinn und Un-Sinn des Eigenlogik-Ansatzes
- Haben Städte einen Habitus?
- Resümée
- Literatur
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Magisterarbeit befasst sich mit der Frage, ob Städte einen Habitus im Sinne Bourdieus besitzen und ob der Ansatz der „Eigenlogik der Stadt“ einen Paradigmenwechsel in der Stadtsoziologie darstellt. Die Arbeit analysiert das Habitus-Konzept von Bourdieu und untersucht, inwieweit es auf städtesoziologische Analysen übertragbar ist.
- Das Habitus-Konzept von Pierre Bourdieu
- Die „Eigenlogik der Stadt“ als neuer Ansatz in der Stadtsoziologie
- Die Übertragbarkeit des Habitus-Konzepts auf städtesoziologische Analysen
- Die Kritik am Eigenlogik-Ansatz und die Frage nach dem Soziologischen
- Die Bedeutung des städtischen Raums und seiner spezifischen Eigenschaften
Zusammenfassung der Kapitel
Kapitel 2 stellt die Habitustheorie von Pierre Bourdieu vor, wobei die wichtigsten Kategorien „Habitus“, „sozialer Raum“, „Klassen“ und „Lebensstile“ im Fokus stehen. Die Konzepte der „Doxa“ und der „Ortseffekte“ werden ebenfalls beleuchtet, da sie für die Argumentationslinie des Eigenlogik-Ansatzes relevant sind.
Kapitel 3 befasst sich mit der „Besonderheit des Städtischen“. Es wird die These von Berking diskutiert, wonach jede Großstadt eine ihr eigene natürliche Einstellung zur Welt evoziert, die er als städtische Doxa bezeichnet. Anschließend wird das Eigenlogik-Konzept vorgestellt und diskutiert, wobei die Frage im Vordergrund steht, wie sich Städte als soziale Alltagswelten sinnhaft herstellen und reproduzieren. Die Argumentationslinie um den „Habitus der Stadt“ wird untersucht, wobei die Thesen von Bockrath und Lindner im Mittelpunkt stehen.
Kapitel 4 untersucht, ob ein Zusammenhang zwischen dem Besonderen einer Stadt und dem Handeln ihrer Menschen hergestellt werden kann, wie im Eigenlogik-Ansatz behauptet. Die Frage, wie die Stadt das Handeln von Menschen prägt, wird im Detail analysiert.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen den Habitus, die Eigenlogik der Stadt, die städtische Doxa, den sozialen Raum, die Klassen, die Lebensstile, die Ortseffekte, die Stadtforschung, die Stadtsoziologie, den Paradigmenwechsel und den cultural turn.
- Citation du texte
- Christel Kohls (Auteur), 2013, Haben Städte einen Habitus? Ein Diskussionsbeitrag zum möglichen Paradigmenwechsel in der Stadtsoziologie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/276565
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