Die oftmals zitierten „italienischen Verhältnisse― in der Politik, die zumeist mit instabilen bzw. kurzlebigen Regierungskonstellationen assoziiert werden, nehmen ihren Ursprung laut Hartmut Ullrich weniger in der Anlage der italienischen Verfassung, sondern sind vielmehr eine Konsequenz des Parteiensystems (Ullrich 2009:651). Dieses verhindere feste parlamentarische Mehrheiten und damit stabile Regierungen. Der Ansatz, dass ein direkter Zusammenhang zwischen dem Wahlsystem eines Landes und dem dortigen Parteiensystem besteht, ist in Italien von zentraler Bedeutung. Durch Änderungen des Wahlsystems versuchte man hier, gewisse Effekte in der Parteienlandschaft zu erzielen, jedoch lässt sich feststellen, dass auch andere Faktoren auf diese immensen Einfluss haben und Reformen somit teilweise ihre Ziele verfehlen können.
Italienischer Parlamentarismus
Die oftmals zitierten „italienischen Verhältnisse― in der Politik, die zumeist mit instabilen bzw. kurzlebigen Regierungskonstellationen assoziiert werden, nehmen ihren Ursprung laut Hartmut Ullrich weniger in der Anlage der italienischen Verfassung, sondern sind vielmehr eine Konsequenz des Parteiensystems (Ullrich 2009:651). Dieses verhindere feste parlamentarische Mehrheiten und damit stabile Regierungen. Der Ansatz, dass ein direkter Zusammenhang zwischen dem Wahlsystem eines Landes und dem dortigen Parteiensystem besteht, ist in Italien von zentraler Bedeutung. Durch Änderungen des Wahlsystems versuchte man hier, gewisse Effekte in der Parteienlandschaft zu erzielen, jedoch lässt sich feststellen, dass auch andere Faktoren auf diese immensen Einfluss haben und Reformen somit teilweise ihre Ziele verfehlen können.
Bis 1993 erzielten zahlreiche kleine Parteien regelmäßig Wahlergebnisse, die unter 5 Prozent lagen. Wegen des Verhältniswahlsystems spielten sie aber gleichzeitig eine entscheidende Rolle als Mehrheitsbeschaffer der Regierung. Regierungskrisen waren so eigentlich Fraktionskrisen innerhalb der Regierungskoalition. Zwei Wahlrechtsreformen sollten diesen Umstand beheben: 1993 führte man ein Mehrheitswahlsystem mit propor-tionalen Ausgleichsmechanismen ein, im Jahre 2005 wurde dieses wiederum durch ein Verhältniswahlsystem mit Mehrheitsprämie ersetzt. So unterschiedlich diese beiden Reformen gewesen sein mögen, es lassen sich einige konkrete Ziele ausmachen, die durch beide Reformen verwirklicht werden sollten: Man wollte ein möglichst bipolares Parteiensystem mit zwei klaren Polen schaffen, damit auch die Fragmentierung des Parteiensystems verringern, sowie die Parteizentralen schwächen, um die Bindung der Politiker an die Wählerschaft zu stärken (Köppl 2011:23).
Die Wahlreform von 1993 enttäuschte. Zwar kann man zu diesem Zeitpunkt immer-hin nur noch von insgesamt zweieinhalb politischen Lagern sprechen (Ullrich 2009:675f), ein stabiles Parteiensystem konnte sich aber nicht etablieren. Einen Höhepunkt erreichte die Instabilität in der Zeit von 1998 bis 2001: Zahlreiche Partei- und damit auch Fraktionsneugründungen fallen in diese Periode, die gemischten Fraktionen in Abgeordnetenhaus und Senat (gruppo misto) wuchs stetig, außerdem kam es zu zahl-losen Fraktionswechseln auch während der Legislaturperiode. Durch die erneute Änderung des Wahlmechanismus 2005 wollte man gegensteuern. Zwar handelte es sich um eine Wiedereinführung eines Verhältniswahlsystems, die stark majoritären Elemente (die sogenannte Mehrheitsprämie) lassen aber von Auswirkungen einer relativen Mehrheitswahl sprechen (Köppl 2011:113).
In diesem Papier soll argumentiert werden, dass das seit 2006 geltende Wahlsystem Italiens das Ziel einer Bipolarisierung des Parteiensystems war erfüllen konnte, es aber dennoch nach wie vor Defizite bezüglich der Fragmentierung des Parteiensystems gibt. In Anlehnung an Luciano Bardi sollen dafür drei Ebenen des italienischen Parteien-systems unterschieden werden: Auf elektoraler Ebene hat sich bereits seit der Wahlrechtsreform der 1990er Jahre ein bipolares System zwischen den beiden Lagern herausgebildet. Auf parlamentarischer Ebene muss aber nach wie vor von einem fragmentierten System gesprochen werden, das Auswirkungen bis auf die gouvernementale Ebene hat.
Bipolarisierung auf elektoraler Ebene
Das Wahlsystem von 2005 hat die Konzentrationstendenzen im Parteiensystem nochmals verstärkt. Seine faktischen Auswirkungen einer relativen Mehrheitswahl zwingen die Parteien dazu, Wahlbündnisse zu schließen. Um von der Mehrheitsprämie zu profitieren, muss man als stärkste Kraft aus der Wahl hervorgehen. Vor und während der Wahl ist Italien demzufolge als Zweiparteiensystem zu bezeichnen: Ein Mittelinkslager tritt gegen ein Mitterechtslager an, eine dritte Kraft ist nahezu nicht vorhanden. Newell errechnete bei der Wahl von 2006 ihren Anteil bei weniger als einem Prozent der Stimmen (Newell 2010:237).
Die Konzentration auf nur zwei politische Lager lässt sich auch damit begründen, dass die vorher existierenden Anti-Systemparteien nicht mehr von Bedeutung sind. Neo-faschisten und Kommunisten spielen kaum noch eine Rolle, so dass breite Bündnisse mit allen systemrelevanten Parteien möglich werden.
Da Bündnisabsprachen auf nationaler Ebene getroffen werden, ist eine Zentralisierung zu bemerken.
Die Fragmentierung auf parlamentarischer und gouvernementaler Ebene
Die Fragmentierung des Parteiensystems stieg in Italien bis 1992 stetig an, auch die erste Wahlrechtsreform brachte kaum Besserung (Bardi 2007:723). Ursprünglich wurden dafür zwei Begründungen angeführt: Zum Einen sei Italien geprägt von einer politisch-kulturellen bzw. ideologischen Zerklüftung in der Gesellschaft, sowie weiterhin territorialen Konflikten. Zum Zweiten führte ohne Zweifel das Verhältniswahlsystem ohne Sperrklausel zu einer erheblichen Zersplitterung der Parteien (Köppl 2011:141). Beide Faktoren können jedoch durch den Wegfall der rechts- bzw. linksextremen Parteien sowie die Änderung des Wahlsystems als hinfällig gelten.
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- Dominik Mönnighoff (Author), 2013, Die Beziehung von Wahlsystem und Parteiensystem in Italien. Eine Analyse, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/276437