Während man sich in unserem Kulturkreis noch im 20 Jahrhundert, vor allem in der ersten Hälfte, überwiegend einer durch Überlieferung und Rolle bedingten, klar vorgezeichneten Lebensbahn entlang entwickelte, ist heute eine Art Herumirren in der Zeit dominant geworden. Die Entfaltungsmöglichkeiten des Subjektiven und damit auch die individuelle Entwicklung scheinen durch eine zunehmende Umkehrbarkeit der Entscheidungen immer wieder unterbrochen, ja zurückgeworfen zu sein.
Schlüsselmomente der Gegenwart
Gespräche, Oktober bis Dezember 2011
Gesprächsleitung: Robin Schmidt, Bodo von Plato, Edda Nehmitz, Johannes Nilo Ca. 20-25 Teilnehmer, teils wechselnd
Das Thema des Gespräches war das Selbsterleben von Raum, Zeit und Innenleben.
Einleitung
Während man sich in unserem Kulturkreis noch im 20 Jahrhundert, vor allem in der ersten Hälfte, überwiegend einer durch Überlieferung und Rolle bedingten, klar vorgezeichneten Lebensbahn entlang entwickelte, ist heute eine Art Herumirren in der Zeit dominant geworden. Die Entfaltungsmöglichkeiten des Subjektiven und damit auch die individuelle Entwicklung scheinen durch eine zunehmende Umkehrbarkeit der Entscheidungen immer wieder unterbrochen, ja zurückgeworfen zu sein.
Aufmerksamkeit
Die früher vorherrschende Wertorientierung wird zunehmend durch eine Aufmerksamkeitsorientierung ersetzt. Bedeutung in der heutigen Gesellschaft entsteht durch die Menge von zugewandter Aufmerksamkeit. Die Gefahr einer Außenlenkung nimmt dadurch stark zu, denn das Öffentliche drängt sich mächtig in die Privatsphäre hinein, die Grenze zwischen den beiden verwischt sich. Der Stand der jeweiligen Aufmerksamkeit des Einzelnen bestimmt den zukünftigen Zufluß an Informationen, wodurch einer Aufspaltung der Gesellschaft in eine Anzahl von Subkulturen Vorschub geleistet wird.
Umfeld
Unsere Bewusstseinsprozesse reichen zum Begreifen der neuesten Entwicklungen nicht aus. Als Ausweg klammert man sich an Überlebtes. Als eine Folge davon werden immer noch Produkte erzeugt und gekauft, die eigentlich nicht mehr gebraucht werden, längst schon ersetzt worden sind.
Das Verbindende eines gemeinsamen Naturerlebens fällt zugunsten eines jeweils spezifischen naturwissenschaftlich-technischen Umfeldes weg. Heute belebt nicht die Natur den Menschen, im Gegenteil, der Mensch hat die Aufgabe, die Natur zu beleben. Die Tatsache des Weggleitens des Erlebens der göttlichen Weltordnung wird jedoch nicht bewußt wahrgenommen, Leben und Bewußtsein driften auseinander. Man verdrängt einerseits die Tatsache, daß auch die schrumpfenden Naturreservate auf Erholungswert angelegtes Menschenwerk sind, versäumt es andererseits, sein technisches Lebensumfeld mit Bewußtsein zu durchdringen. Man riskiert damit, in einer Illusion zu leben statt in seiner Lebenswirklichkeit. Die Entwicklung eines neuen Bewusstseins, das mit den heute nötigen Fähigkeiten zu tun hat, geht nur zögernd vor sich.
Läßt man sich vom Umfeld bestimmen, übersieht man, wie stark die eigene Aufmerksamkeit ichbildend wirkt und das Wesen des eigenen Ichs nicht nur spiegelt, sondern auch formt. Unwesentliches wird durch die Außenlenkung in die Mitte geschoben, Wesentliches wird überdeckt. Es wird uns kaum bewußt, daß das Setzen von Entwicklungszielen und das Sich-messen am Grad von deren Erreichung der heutigen Lebenswirklichkeit immer weniger angemessen ist. Die Vorbedingung dazu: nämlich der Zusammenhang im Zeitablauf entspricht den Lebensumständen in keiner Weise. Ein wesentliches Merkmal der Entscheidungen aus der Situation heraus, die der Bewußtseinsentwicklung entsprechend zunehmend gefordert werden, ist Vergangenheits- und Zukunftslosigkeit,. Während also das Bewußtsein sich noch an Entwicklungsmaßstäben orientiert, verläuft das von Bewußtsein nicht mehr voll erfasste Leben in der Autonomie spontaner Entscheidungen. Das Willensleben löst sich weitgehend vom Gedankenleben und Gefühlsleben los.
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- Dipl.Ing.Dr. techn.Lic.phil I Jan Pohl (Auteur), 2012, Schlüsselmomente der Gegenwart, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/275758