Im Sommersemester 2003 startet das sich über zwei Semester erstreckende Seminar: „Spiegelbilder - experimentelle Selbsterkundungen mit allen Medien“ unter der Leitung von Herrn Professor Doktor Jens Thiele und Frau Sabine Wallach. Ziel des Seminars ist die Auseinandersetzung der Kunststudierenden mit der eigenen Identität, die in der Kreation eines ästhetischen Objektes münden soll. Während der Semesterferien arbeiten die Studierenden an der Umsetzung der im Seminarkontext entstandenen Konzepte und können Anfang des nächsten Semesters erste Ergebnisse präsentieren.
Es wird sowohl plastisch mit verschiedenen Materialen als auch fotographisch und zeichnerisch gearbeitet, teils wird die rein visuelle Aussage akustisch unterstützt. Im Wintersemester stoßen weitere Studierende hinzu und lassen sich von bereits entstandenen Produkten inspirieren um daraus eigene Ideen zur Selbstdarstellung zu entwickeln. Ein Großteil der Seminarteilnehmer entscheidet sich aus dem arbeitsintensiven Seminar eine Fachpraktische Prüfung erwachsen zu lassen und bereichert das Seminar mit weiteren kreativen Ideen.
Inhaltsübersicht
1. EXPERIMENTELLE SELBSTERKUNDUNGEN MIT ALLEN MEDIEN
1.1 HINTERGRÜNDE DER VERANSTALTUNG
1.2 VORÜBUNGEN IM SEMINAR
1.3 AUSSTELLUNG UND PRÄSENTATION IN DER GALERIE KEGELBAHN
2. HINTERGRÜNDE UND UMSETZUNG DES GESAMTKONZEPTES
2.1 VOM GUCKKASTEN ZUR GANZSÄULE
2.2 THEORETISCHER EXKURS ZU DEN PHÄNOMENEN PLAKAT UND LITFAßSÄULE
2.2.1 DIE ENTSTEHUNG UND WIRKUNGSWEISE DES PLAKATS
2.2.2 DIE LITFAßSÄULE IN IHRER URSPRÜNGLICHEN BEDEUTUNG
2.3 DAS OBJEKT UND SEINE TEILASPEKTE
2.3.1 MALEREI UND GRAPHIK
2.3.2 FOTOGRAPHIE
3. DOKUMENTATION DER PRAXISPHASE
3.1 INITIATIVE UND INFORMATION
3.2 KOORDINATION UND UMSETZUNG
3.3 PRODUKTION UND VOLLENDUNG
4. REFLEXION DER ARBEIT
4.1 FRANK KRETSCHMANN
4.2. CHRISTIANE PETERS
5. LITERATURHINWEISE
6. ANHANG / BILDTEIL
Hinweis: Die Gliederungspunkte 1, 2.2, 2.3.2 und 4.2 wurden von Christiane Peters verfasst, die Gliederungspunkte 2.1, 2.3.1, 3 und 4.1 von Frank Kretschmann.
1. Experimentelle Selbsterkundungen mit allen Medien
1.1 Hintergründe der Veranstaltung
Im Sommersemester 2003 startet das sich über zwei Semester erstreckende Seminar: „Spiegelbilder - experimentelle Selbsterkundungen mit allen Medien“ unter der Leitung von Herrn Professor Doktor Jens Thiele und Frau Sabine Wallach. Ziel des Seminars ist die Auseinandersetzung der Kunststudierenden mit der eigenen Identität, die in der Kreation eines ästhetischen Objektes münden soll. Während der Semesterferien arbeiten die Studierenden an der Umsetzung der im Seminarkontext entstandenen Konzepte und können Anfang des nächsten Semesters erste Ergebnisse präsentieren.
Es wird sowohl plastisch mit verschiedenen Materialen als auch fotographisch und zeichnerisch gearbeitet, teils wird die rein visuelle Aussage akustisch unterstützt. Im Wintersemester stoßen weitere Studierende hinzu und lassen sich von bereits entstandenen Produkten inspirieren um daraus eigene Ideen zur Selbstdarstellung zu entwickeln. Ein Großteil der Seminarteilnehmer entscheidet sich aus dem arbeitsintensiven Seminar eine Fachpraktische Prüfung erwachsen zu lassen und bereichert das Seminar mit weiteren kreativen Ideen.
1.2 Vorübungen im Seminar
Am 13.10.2003 eröffnet das Seminar mit der Frage nach einer Definition des Begriffs Spiegelbild. Über Spiegelbilder findet Identitätsbildung statt, indem laufend Selbst - und Fremdwahrnehmung aufeinander abgestimmt werden. Unterschiedliche Materialien wie Spiegel, Fotoapparat und Videokamera werden zur Verfügung gestellt mit der Aufgabenstellung zu vergleichen, wie wir Studierende uns in den verschiedenen Spiegeln sehen und dies schriftlich zu reflektieren. Am 20.10. beginnt das Seminar mit einem Ausschnitt aus dem Stück Dr. Jackle und Mr. Hyde1, in dem die Problematik der zweier teils divergierender Anteile in einer Person, dem offenkundigen Ich und dem nach außen versteckten, ersichtlich wird. Die Frage wird aufgeworfen wie man diese verschiedenen Anteile künstlerisch sichtbar machen könne. In einer experimentellen Phase wird den Studierenden die Möglichkeit geboten mit vorhandenen Materialien verschiedene Aspekte des Selbst in ein Objekt zu überführen.
Am Ende dieser Praxisübung werden die dabei entstandenen Produkte besprochen; die Palette reicht dabei von Guckkästen über zerstückelte und verfremdete Polaroids oder kopierte und neu zusammengesetzte Gesichter, mehrfach kopierte und seriell nebeneinander gelegte Augen und schließlich Collagen, die das Ich in einen größeren, globalen Kontext verorten. Dieses Spektrum an Möglichkeiten der Selbstdarstellung soll Inspirationsquelle für eine weitere Beschäftigung und konkrete Ideenentwicklung für die Umsetzung eines ausstellungswürdigen Konzeptes zur eigenen Identität sein.
1.3 Ausstellung und Präsentation in der Galerie Kegelbahn
Am 26. Januar 2004 sollen die Ergebnisse ihre öffentliche Würdigung in einer Ausstellung erfahren, die in der Galerie Kegelbahn stattfindet.
Eine Seminarteilnehmerin erklärt sich bereit den Pressetext zu formulieren und eine weitere sorgt für das Publikmachen in Form von Plakataushängen unter dem Motto „Was siehst Du?“2. Am 19. Januar überführen alle Seminarteilnehmer ihre Exponate in den Ausstellungssaal. Es werden die Prüfungsberichte abgegeben und weitere organisatorische Aspekte besprochen, wie Getränke - und Gläserbeschaffung. Zur Eröffnung am 26.01. ist eine Kurzaufführung des Seminars geplant. Die vorläufigen Besprechungen sehen eine ca. 10 - minütige Inszenierung vor. In dem abgedunkelten Galerieraum stellen sich die Studierenden im Kreis oder in einer Reihe auf. Scheinwerferlicht trifft einen von ihnen, der seinem Nachbarn in einem symbolischen Akt einen Spiegel vorhält und ihm diesen anschließend überreicht, damit er ebenso mit dem nächsten verfährt.
2. Hintergründe und Umsetzung des Gesamtkonzeptes
2.1 Vom Guckkasten zur Ganzsäule
Während im Seminar verschiedene Experimente zur Selbsterkundung stattfinden, beginnen wir teils außerhalb der Veranstaltungszeit mit dem Sammeln von Ideen und entwickeln erste Konzeptionsansätze. Zahlreiche konkrete Vorübungen, z.B. die Erprobung von Medien wie Polaroid und Videokamera, beeinflussen und erweitern diese Ansätze. Eines der letzten gemeinsamen Experimente im Plenum gibt schließlich den Ausschlag, einen Guckkasten entstehen zu lassen.
Dieser Guckkasten soll jedoch nicht als klassisches Objekt gestaltet werden, in welches der Betrachter hineinschaut, um das Innere auszumachen. Vielmehr planen wir die Erweiterung des klassischen Guckkastens um die Dimension eines dialogischen Verhältnisses zwischen Betrachter und Objekt.
Um dies zu erreichen, ist eine aufwendigere Konstruktion notwendig. In zahlreichen Probekonstruktionen aus Pappe und Karton entstehen Modelle für einen Quader, in den Maßen von ca. 50 x 70 Zentimetern. Dieser Quader enthält an einer Seite kleine Öffnungen in der Größe eines Augapfels, durch die der Betrachter hineinblicken kann. Die gegenüberliegende Seite der Einblicköffnung ist im Inneren mit einer Spiegelfläche versehen. Diese spiegelt beim Hineinschauen das Motiv an der Rückseite der Einblickfläche wieder3. Zur Innenbeleuchtung des geschlossenen Objekts sollen je nach Innenmotiv farbige Leuchtstoffröhren dienen, welche
Diese Konstruktion folgt in ihren Grundzügen der Idee des florentinischen Bildhauers und Baumeisters Filippo Brunelleschi. Als Schlüsselfigur bei der Entdeckung und theoretischen Begründung der Zentralperspektive konstruierte Brunelleschi eine ähnliche Apparatur. Sie entstand quasi als Nebenprodukt bei der Projektion eines räumlichen Gebildes auf eine zweidimensionale Fläche, die unter anderem für Bauzeichnungen zum Einsatz kam.
Schaut der Betrachter in diesen Guckkasten hinein, erblickt er zuerst das gespiegelte Motiv an der Rückseite der Einblicköffnung. Er wird jedoch einer optischen Täuschung gewahr, sobald in mitten des Motivs auch seine eigenen Augen ausmacht. Als motivische Vorschläge entsprechend den Vorgaben der Selbsterkundung planen wir die Zusammenstellung einer Palette von Fotographien. Diese sollen einerseits verschiedene Stationen der eigenen Biographie und andererseits unterschiedliche Stimmungen enthalten. Das Verschmelzen der Augen des Betrachters mit denen des Motivs4 betrachten wir dabei als den Anstoß eines Denkprozesses, als eine Art kommunikativen Akt.
Die konsequente Weiterentwicklung dieser Idee erleidet jedoch diverse Unterbrechungen. Bei der zwischenzeitlichen Materialrecherche und Informationsbeschaffung treten einige problematische Aspekte, z.B. das eher unästhetische, klotzige Wirken des Quaders, zu Tage. Zudem sehen noch weitere Konzeptionen im Plenum die Konstruktion eines Guckkastens vor. Diese und eine Reihe weitere Gründe führen letztlich zu dem Entschluss, die begonnene Idee nicht weiter zu verfolgen.
In einer weiteren Phase der Ideenfindung erwachsen neue Konzepte. Der bevorstehende Ausstellungstermin und die fortgeschrittene Semesterzeit beschränken jedoch die Möglichkeit des kreativen Denkprozesses: nicht jede Idee kann intensiv weiterverfolgt werden. Eines der favorisierten Konzepte ist der Bau einer Litfaßsäule. Nach Vorstellung und Besprechung im Seminar entscheiden wir uns, diese Idee umzusetzen.
Das Konzept umfasst eine ungefähr zwei Meter hohe Ganzsäule mit ca. einem Meter Durchmesser. Sie soll ihrer Form und Gestaltung nach der klassischen Werbesäule entsprechen, die in größeren Städten häufig zur kommerziellen Plakatwerbung im Einsatz ist.
Die Litfaßsäule wird in unserem Konzept aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen. Sie ist nicht länger Werbefläche auf Straßen und Plätzen sondern ein Raum schaffendes Objekt im Rahmen einer Ausstellung. Durch Öffnung der Säule um ca. eine Vierteldrehung erhält sie eine neue Dimension: das Innere der Litfaßsäule wird sichtbar und bildet eine Sphäre, welche dem Betrachter in der Regel verborgen bleibt. Als pluralistische Objekte dient die Ganzsäule als Werbeträger für die verschiedensten Bereiche. So unterstreicht auf die Litfaßsäule den Gedanken, ein gemeinsames Ausstellungsobjekt zu gestalten, welcher ursprünglich aufgrund des erhöhten Arbeitsaufwandes des Guckkastens nach Brunelleschi entstanden war. Nur selten dienen Ganzsäulen als Träger für nur einen Werbefall, in der Regel zeigen sie ein mehr oder weniger zufällig entstandenes Flickwerk diverser Plakate.
Unser Konzept der Selbsterkundung folgt der Darstellung von Innen- und Außenwelt.
Die Säule präsentiert zwei verschiedene Personen, sie dient als Medium. Im Außenbereich zeigt sie die öffentliche Seite: diese ist für den Betrachter klar erkennbar und weckt Interesse. Im Inneren werden nichtöffentliche Facetten thematisiert: Beim Einblicken in die Säule erhält der Galeriebesucher die Möglichkeit, Verborgenes zu entdecken.
Das Konzept von Innen und Außen wird durch die farbliche Gestaltung der Litfaßsäule unterstrichen. Der Säulenkorpus in seinem kühlen glänzenden Blau der Außenhülle symbolisiert eine Art Schutzschicht. Sie ist Oberfläche und Grenze zugleich. Das Innere präsentiert sich in warmen Orangetönen und zeichnet sich durch eine unregelmäßige Stofflichkeit aus. Weich und diffus zeigt sich das Innere durch die Ausgestaltung mit verschiedenen Polyesterstoffen. Sie ergeben zusammen mit der akustischen Unterstützung durch einen ruhigen Pulsschlag, welcher im Inneren der Säule erklingt, ein fast ein unwirkliches, fast surrealistisches Bild zweier menschlicher Innenwelten.
Die Tatsache, dass es dem Betrachter möglich ist, die Grenze zwischen Außen- und Innenwelt zu überschreiten, ja sogar in die Innenwelt einzudringen, verlangt nach einer letzten Instanz, die den inneren Teil vor seiner völligen Entprivatisierung bewahrt. Gewährleistet wird dies durch das leuchtend Warme Aufblitzen einer Stroboskoplampe aus dem Inneren: sie wirkt für den Betrachter fast bedrohlich und versucht ihm eine Art Mindestdistanz aufzuerlegen. Auf diese Weise umhüllen die Blitze die Verletzlichkeit der inneren nichtöffentlichen Seite mit einer letzten hauchdünnen Schutzschicht.
Die Gestaltung der Außen- und Innenfläche differenziert sich neben dem Säulenkorpus in Teilkonzepte zweier Plakatentwürfe. Der erste Entwurf arbeitet mit den Möglichkeiten von Malerei und Graphik, der Zweite mit dem Medium der Fotographie. Die Teilkonzepte werden in Kapitel 2.3.1 und 2.3.2 erläutert.
2.2 Theoretischer Exkurs zu den Phänomenen Plakat und Litfaßsäule
Für die Plakatgestaltung ist es unerlässlich über theoretisches Hintergrundwissen zu verfügen und die von der Reklamewissenschaft erforschten Gestaltungsprinzipien zur optimalen Werbewirksamkeit dieses Mediums zu berücksichtigen. Nach einem abrissartigen historischen Exkurs in die Entstehungsgeschichte des Plakates mit dem Schwerpunkt der Wegbereitung eines dafür neuen Kunstverständnisses und Rezeptionsverhaltens beim Publikum erfolgt ein zusammenfassender Überblick über wesentliche Ergebnisse der Werbeforschung bezüglich der Wirkungs - und Gestaltungsweise von Plakaten. Anknüpfend an den in 2.2.1. erläuterten zeitgeschichtlichen Bezug wird in 2.2.2. die sich daraus zwangsläufig ergebende Erfindung der Litfasssäule erläutert mit dem Ziel sich ihrer ursprünglichen Bedeutung bewusst zu werden um unsere Arbeit an und mit ihr besser nachvollziehen und in ihrem historischen Kontext verorten zu können.
2.2.1 Die Entstehung und Wirkungsweise des Plakats
Den Anschlag gibt es schon seit Menschengedenken, allerdings in Form reiner ankündigender Schriftplakate ohne jegliche Illustrationen. Die auf nahsichtige Verwendung ausgerichtete Schaufensterreklame in Buchläden kann zu den Anfängen der Plakatkunst gezählt werden. Alois Senefeler erfindet 1796 die Litographie, vier Jahre später werden die ersten lithographischen Druckanstalten gegründet und schon 1830 laufen aus den Schnellpressen erste Farbendrucke. Grundlage für die Weiterentwicklung von der Lithographie zum Plakat ist die Karikatur, die besonders in Paris zwischen 1830 und 1840 Popularität genießt. Durch sie wird ein Rezeptionsverhalten im Volk vorbereitet, das für die Plakatwirkung unerlässlich ist. Die politische und sittengeschichtliche, teils auch satirische Karikatur hat mit dem Plakat folgende Komponenten gemein: Prägnanz und Zuspitzung auf das Typische in wenigen treffenden Strichen, das die intendierte Aussage schlagartig erfassbar macht.5 So ist es nicht verwunderlich, dass aus diesem Kreise eine große Zahl wichtiger Plakatkünstler hervorgehen wird.
Die Industrialisierung führt zu einem immensen Anwachsen der Städte und unter immer größer werdenden Konkurrenzdruck kommen Formen der Kundenwerbung mit dem Ziel einer Absatzsteigerung auf. Das Plakat entsteht als Medium der Wirtschaft und Ausdruck modernen Lebens und Fortschrittsglaubens einer technisierten Zivilisation.6 Aus der l`art pour l`art7 wird die angewandte l`art pour la vie; Kunst ist nicht länger nur einer kleinen Elite zugänglich, sondern einer breiten Rezipientenschicht, sie geht aus der Galerie auf die Straße8.
1866 erreicht die Plakatkunst ihren Höhepunkt in Paris mit Jules Chéret, dem Vater des modernen Plakats, und Henri de Toulouse- Lautrec, dem König der Plakatkünstler, die die Geschichte des Plakats als künstlerisches Medium begründen. Vom japanischen Holzschnitt inspiriert, erkennen sie, dass Kunst, die auf der Straße wirken soll, eine andere Auffassung und Technik verlangt als Gemälde.
Ein neues Medium bringt neue Wissenschaftszweige hervor: die Werbepsychologie und die Werbeforschung oder auch Reklamewissenschaft. Früh erkennt man, dass „ das Plakat … gegen den Willen des Beschauers, ja meistens, ohne dass er sich dessen bewusst wird (wirkt)“9. Die Werbewirkung lässt sich in Teilkomponenten zerlegen, die auf das Gefühl, Denken und Bewusstsein und die Gesamtheit der Stimmungen und Gemütszustände sowie Einstellungen einwirken.10 Die Inhalte der Werbebotschaft werden vom Betrachter gespeichert und wieder aktiviert.
Um diese Werbewirkung zu erreichen werden Gestaltungsregeln entworfen, um die es im Folgenden gehen soll.
AIDA: Attention, Interest, Desire, Action ist die Zauberformel nach der Werbung funktioniert. Ein Blickfang zum Beispiel in Form eines Schlüsselreizes, der ein unterbewusstes Verlangen anspricht richtet die Aufmerksamkeit auf sich. Er weckt Interesse und zwingt zu weiterer Beschäftigung mit der dargestellten Thematik. Der Wunsch nach Klärung führt zur Handlungsmotivation und schließlich zur Handlungsumsetzung.
Letztlich müssen noch Komponenten wie Auffälligkeit, Übersichtlichkeit, Einprägsamkeit, Verständlichkeit, Originalität und der künstlerische Gesamteindruck bei der Gestaltung berücksichtigt werden.
Ein Plakat kann in unterschiedlichster Weise mit dem Rezipienten in Kontakt treten. Hierbei reicht die Skala von relativer Unbeteiligkeit des Betrachters bis hin zu derart starker Einbeziehung, dass die ästhetische Grenze zwischen Betrachter - und Bildraum überschritten werden kann. Martin Henatsch unterscheidet, im Grad der
Betrachterdeterminierung ansteigend, die Abstraktionskategorie, bei der Inhalte nur durch Schrift oder Symbole vermittelt werden und die Allegorie - Narrations - Kategorie, die sich ebenfalls durch starke Autonomie der Bildwelt auszeichnet und die Intention über Handlungsschemata vermittelt. In der Demonstrations- Kategorie präsentiert ein Bild einleitendes Motiv dem Rezipienten von einem Bühnenraum aus ein Objekt, spricht ihn also nur mittelbar, aus der Distanz an, während er in der Konfrontations - Kategorie direkt angesprochen oder angesehen wird meist in Verbindung mit suggestiven Mitteln wie Nahsicht oder Unterperspektive, damit sich der Betrachter der Bildsituation nicht erwehren kann. Bei der Identifikations- Kategorie dringt der Betrachter in den Bildraum ein, indem er sich mit abgebildeten Personen und Geschehen identifiziert.11
2.2.2 Die Litfaßsäule in ihrer ursprünglichen Bedeutung
Die Straße wird also seit 1820 als öffentlicher Raum entdeckt. Gerade in den pulsierenden Metropolen London, Paris und Berlin führt das Bedürfnis nach Informationsbefriedigung über das neue Medium zu einem regelrechten Anschlagchaos12. Das Zitat eines Berliner Zeitgenossen, der von der großen Mühe berichtet, die verursacht (wird) um „ … die fast versteinerten Überreste … (der alten Plakate) in einer Nacht zu beseitigen, und … (der Tatsache, dass) beispielsweise 150 Mann nur mit dem Reinigen der Bäume Unter den Linden beschäftigt (waren)“13 vermag die Ausmaße dieses Umstandes zu schildern, die das Eingreifen des Staates heraufbeschwören. So folgt die Berliner Regierung 35 Jahre später dem Beispiel Englands und genehmigt die Aufstellung von vorläufig 150, nach dem Buchdruckereibesitzer und Verleger Ernst Litfaß benannten, Litfaßsäulen.
2.3 Das Objekt und seine Teilaspekte
2.3.1 Malerei und Graphik
Die Entscheidung zwei verschiedene deutlich voneinander abweichende Plakatkonzeptionen an einer Säule zu präsentieren fällt bereits sehr früh im Umfeld der Idee von Innen- und Außenwelt. Fest steht für meinen Teil der Plakatausarbeitung der Einbezug klassischer Gestaltungsmittel wie Malerei und Graphik. Die genaue inhaltliche Ausformung von Außenplakat und Innenbereich ergibt sich jedoch erst deutlich später.
Mehrfach verwerfe ich Ideen oder entwickle Ansätze nicht weiter, da sie thematisch die Möglichkeiten des Objektes nicht voll ausschöpfen. Im Außenbereich manifestiert sich letztlich der Grundgedanke, das Medium Puzzle zum Ausgangspunkt meiner Arbeit zu machen.
Die Erfindung des Puzzles als Rätselform wird dem englischen Kupferstecher und Lehrer Spilsbury zugeschrieben. 1767 präsentiert er erstmals zerteilte Landkarten, welche seine Schüler zu Ausbildung- und Lernzwecken wieder zusammensetzen müssen. Diese ursprünglich spielerische Art der Aneignung von Unterrichtsinhalten avanciert später zum Zeitvertreib. Zur besseren Handhabung bringt man die Puzzlemotive auf Holzplatten auf. Zedern- und Mahagonihölzer, später auch Laubund Sperrholz sorgen für Langlebigkeit der Puzzlespiele.14
Das Puzzle erlebt die Verbreitung als Massenprodukt nach dem zweiten Weltkrieg. Neuartige Produktionsmethoden durch Stanzung von dicken Kartonen ermöglichen die günstige Herstellung in einer guten Qualität. Als Klassiker wird das Puzzle durch Variation der Motive beständig aktualisiert. Neue Trends umfassen eine breite Angebotspalette vom Reliefrätsel bis hin zu aufwändigen mehrdimensionalen Puzzlespielen.
Zur Annäherung an das Phänomen Puzzle experimentiere ich zunächst mit verschiedenen Teilstücken. Obwohl in der Regel kein Teil dem anderen vollkommen gleicht, lassen sich mittels Wiederholungsdrucken und Skizzen einige Grundformen herausarbeiten. Um mit der eher kleinteiligen Puzzlestruktur dem optischen Anspruch eines Plakats gerecht zu werden, entschließe ich mich, Puzzlestücke in XXL - Größen auf farbigen Kartonen herzustellen. Sie kommen in der Plakatgestaltung als motivischer Mittelpunkt zum Einsatz.
[...]
1 Anmerkung hyde von hid (engl.)= versteckt
2 vgl. Abbildung des Ausstellungsflyers im Anhang.
3 Vgl. hierzu die Abbildung im Anhang.
4 Selbst bei den nur annähernd genauen Maßen des Modells funktionierte dieser Effekt bereits ausreichend.
5 Vgl. Henatsch, Martin: Die Entstehung des Plakats. S. 26 - 37.
6 Vgl. ebd. S.230.
7 Übersetzt: Kunst um der Kunst Willen.
8 Anmerkung: „Galerie der Straße“. Die Plakatkunst ist die Kunst der Armen.
9 Vgl. Entstehung des Plakates S.256 zitiert nach E. Growald, Kunst im Dienste der Reklame, 1914, S.92.
10 vgl. http://medialine.focus.de
11 Vgl. Entstehung d. Plakats S. 106/107.
12 Fachbegriff = Affichomanie.
13 Aus: Entstehung des Plakates S. 230/231. Zitiert nach Berlinische Nachrichten von Staats - und gelehrten Sachen, Berlin 3.7.1855, zit. Nach D. Vorsatz, 1980.
14 Daher rührt die englische Bezeichnung „jigsaw-puzzle“, zu Deutsch Laubsägenrätsel.
- Quote paper
- Frank Kretschmann (Author), 2004, Einblickfaßsäule - Bericht zur fachpraktischen Prüfung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27545
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