Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Marxschen Fetischkritik im Kapital. Es soll daher um den Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis gehen. Es soll zunächst knapp ein allgemeines Verständnis des Fetischismus erarbeitet werden, anhand dessen der besondere Charakter des Warenfetischismus als Fetisch sui generis herausgestellt werden kann; der
Warenfetischismus soll hierbei als spezifisch kapitalistisches Phänomen vorausgesetzt werden. Die Darstellung muss notwendig unvollständig bleiben; dabei soll jedoch auf
das Geheimnis von Waren- und Geldfetisch sowie auf den Wert als »automatisches Subjekt« (MEW 23: 169) eingegangen werden. Die Marx´sche Fetischkritik soll hierbei stets in Verschränkung von Theorie und Praxis gedacht werden.
1 Einleitung
Der gesellschaftliche Zusammenhang der Individuen in der bürgerlich- kapitalistischen Gesellschaft konstituiert sich über den Austausch ihrer Arbeitsprodukte (MEW 23: 87)1. Markt und der ihm immanente Austausch bilden den nexus rerum 2 kapitalistischer Gesellschaften. Weil deshalb die Individuen erst über den Tausch vermittelt in gesellschaftlichen Kontakt treten, lässt sich hier von einer negativen Vergesellschaftung sprechen: es handelt sich nicht um die Vergesellschaftung autonomer Subjekte, sondern um diejenige der Produzenten, d.h. der Warenbesitzer, als Repr ä sentanten ihrer Arbeitsprodukte. Weil und indem diese den Gesetzen und Bewegungen ihrer Waren gehorchen, treten sie gegenst ä ndlich vermittelt in Kontakt zueinander3. Den Individuen erscheinen ihre ökonomischen und daher ihre gesellschaftlichen Verhältnisse als etwas ihnen Äußerliches; sie erscheinen ihnen als fremde Mächte, die ihnen unverbrüchlich und mit Eigengesetzlichkeit behaftet gegenüberstehen. Sie finden eine fertige und von ihnen unabhängige Ding- und Tatsachenwelt vor. Diese nur mittelbare Vergesellschaftung der Individuen hat nach Marx ihre Ursache in der eigentümlichen bürgerlich-kapitalistischen Form der Vergesellschaftung ihrer Arbeit und dem daraus resultierenden Charakter der warenproduzierenden, d.h . wertbildenden Arbeit selbst. Das spezifisch gesellschaftliche Verhältnis der Menschen erscheint notwendig als eines von selbst ä ndigen Dingen. Diese Verdinglichung, dieser Prozess ist der Grund für das, was Marx den Fetischcharakter der Ware nennt. Hier soll es daher im Folgenden um den Fetischcharakter der Ware und dessen Geheimnis gehen. Es soll zunächst knapp ein allgemeines Verständnis des Fetischismus erarbeitet werden, anhand dessen der besondere Charakter des Warenfetischismus als Fetisch sui generis herausgestellt werden kann; der Warenfetischismus soll hierbei als spezifisch kapitalistisches Phänomen vorausgesetzt werden4. Die Darstellung muss notwendig unvollständig bleiben; dabei soll jedoch auf das Geheimnis von Waren- und Geldfetisch sowie auf den Wert als »automatisches Subjekt« (MEW 23: 169) eingegangen werden. Die Marx´sche Fetischkritik soll hierbei stets in Verschränkung von Theorie und Praxis gedacht werden.
2. Fetischismus
Der Begriff »Fetischismus« stammt aus dem Portugiesischen, feiti ç o, und bezeichnet ursprünglich Zauber, Zaubermittel, einen magischen Gegenstand oder ein Götzenbild. Im engeren Sinne daher ein künstlisch Hergerichtetes oder ein Machwerk, was sich auch vom lateinischen facere: machen, tun herleitet5. Ein Fetisch ist ein (toter) Gegenstand, dem magische Eigenschaften zugeschrieben werden, die er nicht hat. Es handelt sich dabei also um eine Projektion, er ist ein Bewusstseinsphänomen. So ist es das Wesen des Fetischs als Kunstprodukt, als Gemachtes, als (totes) Ding, Produkt des menschlichen Geistes zu sein. Dem Fetisch-Ding wird Leben eingehaucht, weshalb Marx die Analogie zur »Nebelregion der religösen Welt« (MEW 23: 86) heranzieht, wenn er von den Produkten der menschlichen Hand bzw. der spezifisch menschlichen Praxisformen, den Waren, als mit eigenem Leben begabte und sich gegenüber den Menschen verselbständigende spricht. Der Fetischcharakter der Ware, so Marx, sei unzertrennlich mit der Warenproduktion verbunden und resultiere dabei aus der warenproduzierenden Arbeit und der Form ihrer Vergesellschaftung. Dabei haben wir es beim Warenfetisch mit einem Fetisch sui generis zu tun. Es handelt sich um eine Fetischform, bei der die Akteure nicht einmal wissen, dass sie Fetischdiener sind. Dem Bewusstsein entzogen reproduziert sich der Warenfetischismus, und mit ihm alle weiteren entfalteten, d.h. erscheinenden Fetischformen (Geld, Kapital, Zins) des Werts, durch schlichte gesellschaftliche Praxis. Das gilt es näher zu erläutern. Das Rätsel der Warenform sei die Verkehrung gesellschaftlicher Verh ä ltnisse in Natureigenschaften der Dinge selbst; sodass es sich bei den gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen der Menschen letztlich also um ein »außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen« (MEW 23: 86) zu handeln scheint. In der Tat findet diese Verkehrung statt: ihre eigenen konkreten gesellschaftlichen Verhältnisse, die Produkte ihrer eigenen Arbeit sowie ihre eigenen menschlichen Beziehungen, weil sie dinglich vermittelt sind, verselbst ä ndigen sich ihnen gegenüber und versteinern ihrem Bewusstsein gegenüber zu Naturformen.
Dem Warenfetisch sind dabei zwei wesentliche Aspekte immanent: zum einen ist er Resultat einer historisch-spezifischen Praxis form menschlicher Vergesellschaftung, der »Versubjektivierung der materiellen Grundlagen der Produktion« (MEW 25: 887); ihm liegt also eine verkehrte Wirklichkeit zugrunde; zum anderen ist er die Widerspiegelung dieser verkehrten Verhältnisse im Bewusstsein der Akteure. Der Warenfetischismus ist daher kein bloßes Bewusstseinsphänomen: die Wirklichkeit erscheint nicht bloß verkehrt, sondern verkehrt sich mit entwickelter Warenproduktion tatsächlich ihrem Wesen nach durch die gesellschaftliche Praxis6. »Die verdrehte Form, worin die wirkliche Verkehrung sich ausdrückt, findet sich natürlich reproduziert in den Vorstellungen der Agenten dieser Produktionsweise«7. Die reale Verdinglichung der Verhältnisse, d.h. die real verdinglichte gesellschaftliche Praxis, spiegelt sich im Bewusstsein der Akteure, weshalb die Warenproduktion eben auch die ökonomische Charaktermaske8 der Warenbesitzer9 (vgl. MEW 23: 99f.) erzeugt. Das sich im Bewusstsein Spiegelnde ist dann die adaequatio rei der verkehrten Verhältnisse: ein realer Schein. Die gesellschaftlichen Verhältnisse gerinnen zur Natur. Dass es sich dabei aber eben um historisch-konkrete menschliche Verhältnisse handelt, die, obwohl vom Menschen erzeugt, in Verkehrung des Subjekt-Objekt-Verhältnisses denselben zum bloßen Anhängsel der Produktionsverhältnisse machen, liegt im Wesen der kapitalistischen Produktionsweise und ihrer Verkehrsformen begründet.
Warenfetischismus und Mystizismus der Warenwelt sind also nur der spezifische Ausdruck, die Erscheinung der kapitalistischen Produktionsweise, die diese (Selbst-)Verkehrungen ihrem Wesen nach in sich trägt. Die Gesellschaft des universalen Tauschprinzips ist mithin diejenige Gesellschaftsformation, die ihren ideologischen Schleier schlicht durch alltägliche gesellschaftliche Praxis, durch blo ß en Vollzug reproduziert. Im Folgenden soll daher der R ä tsel charakter des Warenfetischismus beleuchtet werden.
[...]
1 Im Folgenden werden die Marx-Engels-Werke (MEW 23 usf.) bei Zitaten und Paraphrasen im Text in Klammern belegt.
2 Vgl. Sohn-Rethel (1989): 12.
3 Vgl. Elbe (2005): 1.
4 Vgl. Lukács (1967): 97.
5 Vgl. Kluge (2012).
6 Vgl. Heinrich (2005): 69.
7 MEW 26.3: 445, Hervorhebung R.H.
8 Vgl. MEW 23: 16 und 100; der Marx´sche Begriff der ökonomischen Charaktermaske bzw. der Individuen als Personifikationen derselben verdeutlicht noch einmal, dass es sich in Wirklichkeit um gesellschaftliche Bewegungen und Verhältnisse von Sachen handelt, nicht um diejenigen ihrer selbst mächtiger und souveräner Subjekte. Das erklärt auch den Umstand, dass das Kapitel über den Austauschprozess erst nach Analyse der Warenform und nach der Wertformanalyse im Kapital seinen Platz findet: gemäß einer Vergesellschaftung, die von den handelnden Akteuren abstrahiert und sie zu Anhängseln ihrer Verkehrsformen macht, vgl. Elbe (2005): 1.
9 »Die Gesetze der Warennatur betätigten sich im Naturinstinkt der Warenbesitzer.« (MEW 23: 101);darauf wird noch einzugehen sein.
- Arbeit zitieren
- René Haase (Autor:in), 2014, Zur Marxschen Fetischkritik im Kapital, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/275455
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