Im Sommersemester 2004 startet an der Universität Oldenburg ein Seminar der ästhetischwissenschaftlichen Praxis mit dem Titel „Von der Skizze zum Bild - Bilder nach Bildern“ unter der Leitung der Hochschullehrenden Angela Kolter. Ziel der Veranstaltung ist die künstlerische und analytische Auseinandersetzung der Kunststudierenden mit Werken klassischer und zeitgenössischer Kunst. Theoretische und praktische Arbeitsanteile wechseln dabei einander ab. Die Studierenden 1 haben die Möglichkeit eine Bandbreite verschiedener Techniken und Stile zu erproben. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Acrylmalerei.
Während sich der theoretische Veranstaltungsteil neben dem Training analytischen ´Handwerkszeugs´ auf die Darbietung und Reflexion von Projektarbeiten sowie deren praktische und didaktische Umsetzung nicht nur im schulischen Rahmen erstreckt, bietet sich im Praxisteil die Möglichkeit, Aspekte selbst gewählter Malerei nachzuempfinden und malerisch zu erarbeiten. Ebenso bleibt ausreichend Raum für umfassenden Austausch und Befruchtung untereinander sowie Besprechungen eigener und fremder Arbeiten sowohl im gruppeninternen als auch individuellen Rahmen.
Hauptaufgabe zum Ende des Seminars ist die Durchführung eines eigenständigen Projekts in Form von Auswahl eines Werkes der Malerei sowie einer vertieften künstlerischen Auseinandersetzung mit diesem. Gegenstände und Inhalte dieser Auseinandersetzung können beispielsweise emotionale, materielle oder motivische Bezüge sein. Als primäres Medium kommt Acrylmalerei auf Nessel zum Einsatz. Neben der Kreation eines ästhetischen Objekts in Form von Tafelmalerei entwerfen die Studierenden ein Konzept und beschreiben ihr Arbeitsvorhaben in kurzer Berichtsform. Aus diesem Zusammenhang erwächst ebenso die fachpraktische Prüfung, deren Konzeption in diesem Bericht beschrieben wird.
Inhaltsübersicht
1. „VON DER SKIZZE ZUM BILD - BILDER NACH BILDERN“
1.1 HINTERGRÜNDE DER VERANSTALTUNG
1.2 PRAKTISCHE VORÜBUNGEN IM SEMINAR
2. DAS GELBE HAUS - EIN ORIGINAL IM ÜBERBLICK
2.1 BILDBESCHREIBUNG
2.2 BILDANALYSE
2.3 DEUTUNG UND INTERPRETATION IM HISTORISCHEN KONTEXT
3. DOKUMENTATION DER KÜNSTLERISCHEN AUSEINANDERSETZUNG
3.1 DAS GELBE HAUS - ERSTE BERÜHRUNG
3.2 KONZEPT EINER FIKTION
3.3 DAS ARBEITSVORHABEN IM DETAIL: PRODUKTION UND UMSETZUNG
3.4 ABSCHLUSSBETRACHTUNG
5. LITERATURHINWEISE
6. ANHANG / BILDTEIL
1. „Von der Skizze zum Bild - Bilder nach Bildern“
1.1 Hintergründe der Veranstaltung
Im Sommersemester 2004 startet an der Universität Oldenburg ein Seminar der ästhetisch - wissenschaftlichen Praxis mit dem Titel „Von der Skizze zum Bild - Bilder nach Bildern“ unter der Leitung der Hochschullehrenden Angela Kolter.
Ziel der Veranstaltung ist die künstlerische und analytische Auseinandersetzung der Kunststudierenden mit Werken klassischer und zeitgenössischer Kunst. Theoretische und praktische Arbeitsanteile wechseln dabei einander ab. Die Studierenden1 haben die Möglichkeit eine Bandbreite verschiedener Techniken und Stile zu erproben. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Acrylmalerei.
Während sich der theoretische Veranstaltungsteil neben dem Training analytischen ´Handwerkszeugs´ auf die Darbietung und Reflexion von Projektarbeiten sowie deren praktische und didaktische Umsetzung nicht nur im schulischen Rahmen erstreckt, bietet sich im Praxisteil die Möglichkeit, Aspekte selbst gewählter Malerei nachzuempfinden und malerisch zu erarbeiten. Ebenso bleibt ausreichend Raum für umfassenden Austausch und Befruchtung untereinander sowie Besprechungen eigener und fremder Arbeiten sowohl im gruppeninternen als auch individuellen Rahmen.
Hauptaufgabe zum Ende des Seminars ist die Durchführung eines eigenständigen Projekts in Form von Auswahl eines Werkes der Malerei sowie einer vertieften künstlerischen Auseinandersetzung mit diesem. Gegenstände und Inhalte dieser Auseinandersetzung können beispielsweise emotionale, materielle oder motivische Bezüge sein. Als primäres Medium kommt Acrylmalerei auf Nessel zum Einsatz. Neben der Kreation eines ästhetischen Objekts in Form von Tafelmalerei entwerfen die Studierenden ein Konzept und beschreiben ihr Arbeitsvorhaben in kurzer Berichtsform. Aus diesem Zusammenhang erwächst ebenso die fachpraktische Prüfung, deren Konzeption in diesem Bericht beschrieben wird.
1.2 Praktische Vorübungen im Seminar
Aus den zahlreichen praktischen Übungen, die an nahezu jedem Sitzungstermin stattfinden, soll hier der Kürze halber nur ein Ausschnitt dargestellt werden.
Zu Semesterbeginn eröffnet die Veranstaltung nach der Klärung organisatorischer Fragen spontan mit einer anspruchsvolleren Arbeit. Aus einer selbst gewählten Malerei gilt es die verschiedenen Licht- sowie Hell - Dunkelwerte zu ermitteln. Die Studierenden übersetzen dabei das farbige Original in Form einer Acrylmalerei in Schwarz und Weiß. Geschult wird neben dem analytischen Blick auch bereits das Anmischen feiner Farbnuancen, auch als eine wichtige Vorübung für den späteren Umgang mit dem gesamten Farbspektrum.
Im weiteren Verlauf sind unter anderem motivische Um- und Ausgestaltungen, Manifestation von Emotionen in Farbe oder Kontrastlehre Inhalte der Praxisphasen, ebenso auch methodisch - technische Aspekte wie beispielsweise die Spachteltechnik.
Die zahlreichen Hinweise und Anregungen der Hochschullehrenden werden ergänzt durch Wissens- und Methodenvermittlung, beispielsweise bezüglich Künstlerwerkzeugen, Bezug von Literatur und Materialien oder den Malgrund.
Nach einem Veranstaltungstermin in der Kunsthalle Bremen widmet sich das Seminar vor dem Beginn des eigenständigen Projekts der Herstellung eines geeigneten Malgrundes für die Acrylmalerei. Die Studierenden erhalten Einblick in den Bau und die Herstellung eines Keilrahmens, das Bespannen desselben mit Leinentüchern sowie dessen anschließende Grundierung. Neben der Möglichkeit, fertig bespannte Malgründe zu beziehen, nutzen einige Teilnehmerinnen des Seminars diese Option und produzieren Keilrahmen in individuellen Größen entsprechend der jeweiligen Intention ihres Arbeitsvorhabens.
2. Das gelbe Haus - Ein Original im Überblick
2.1 Bildbeschreibung
Das gelbe Haus2 , auch unter dem Namen Die Straße bekannt, ist ein klassisches Landschaftsbild im Querformat, welches Van Gogh 1888 im Alter von 35 Jahren in Arles anfertigt. Es handelt sich dabei um Vincents Wohnhaus während seiner Zeit in der Provence. In der Technik Öl auf Leinwand hat es die Maße von 76 cm mal 94 cm und befindet sich im Rijksmuseum Amsterdam.
Als Hauptmotiv wählt Van Gogh aus einer Übereckperspektive einen gelben Gebäudekomplex in klassizistischer Bauweise, der sich kontrastreich von einem kraftvoll blauen Himmel im Hintergrund abhebt. Der Betrachter blickt dabei von einer leichten Anhöhe aus auf die Gebäudeecke.
Die beiden Elemente, Betrachterposition und Haus, sind durch eine breite unebene Straße getrennt. Am linken Bildrand ist ein angeschnittener Laternenmast erkennbar sowie das eingezäunte Nachbargrundstück. Ein großer Baum darin gibt den Blick auf ein rosafarbenes Gebäude mit grünen Fensterläden frei. Über die beiden Seitenstraßen links und rechts im Bild gelangt man zum zentral gelegenen gelben Haus, welches sich am Rande eines Parks befindet. Vor dem linken Teilkomplex des Hauses sitzt rechts neben der grünen Tür ein Mann auf einem Stuhl mit dem Rücken zur Straße. Er befindet sich im Schatten einer ausgefahrenen rosa Markise. Seine genaue Tätigkeit ist aufgrund der Entfernung nicht auszumachen, zudem wird er durch eine auf dem Gehweg vorbeilaufende blau gekleidete Frau mit weißer Stola verdeckt. Hinter ihr geht eine weitere Person.
Im Obergeschoss verfügt die rechte Fassade über zwei rechteckige Fenster mit grünen Fensterläden, im Untergeschoss zeigen sich ein Rundbogenfenster und eine Tür, ebenfalls in kräftigem Grün gehalten. Der linke Bauteil verfügt über ein ähnliches Aussehen, jedoch sind die Fensterrahmen deutlich blasser gestaltet. Ein Treppenhaus im Mittelteil des Gebäudekomplexes verbindet die beiden von der Bauweise nahezu identischen Doppelhaushälften. Es verfügt über einen orangefarbenen Eingang, darüber ein großes Doppelfenster mit balkonartigem Austritt.
Hinter diesem Komplex erhebt sich ein viergeschossiger Block mit orange - rotem Dach und zwei gelben Schornsteinen. Zu ihm gelangt man über einen Hof, welcher von der rechten Seitenstraße aus über eine bräunliche Pforte zu erreichen ist. Auf dem Gehweg vor diesem Gebäudeteil sitzen ebenfalls unter einer rosa Markise mehrere Personen um einen runden Tisch. Zwei Frauen mit einem Kind an der Hand überqueren die breite Straße, um auf diesen Gehweg zu gelangen. Eine weitere männliche Person bewegt sich im Mittelgrund auf der Straße.
Der Hintergrund wird neben einigen vegetativen Andeutungen von zwei Eisenbahnbrücken dominiert. Während die vordere klar herausgearbeitet ist, lassen sich von der zweiten, hinteren Brücke lediglich die Umrisse der Brückenpfeiler ausmachen. Die vordere der beiden Brücken wird gerade von einer Dampflokomotive mit kräftigem Ausstoß überquert.
2.2 Bildanalyse
Das gelbe Haus befindet sich in der Zentralposition. Der Betrachter blickt in einer Übereckperspektive schräg auf den Gebäudekomplex. Die durch die Bildkomposition vorgegebene Räumlichkeit wird jedoch nicht durch die Schattenwirkung zusätzlich verstärkt. Das Licht fällt von vorne links in das Bild auf die Häuserfront, führt jedoch kaum zu einer Abdunkelung der dem Licht abgewandten Seiten. Van Gogh wandelt bewusst einige der dunkleren Gelbtöne ins Grünliche. Damit erreicht er zwar einen gewissen Grad an Räumlichkeit, jedoch kaum illusionistische Tiefe und wirkliche Plastizität. Infolge dieser Technik wird die Sehgewohnheit gestört. Dieser bewusst gewählte Effekt verstärkt sich durch die relative Flächigkeit Farbfelder.
Ein gewisses Maß an Tiefe erzeugt die gewählte Farbperspektive. Durch das warme Gelb im Kontrast zum kühleren Blau treten die Gebäude in den Vordergrund.
Van Gogh arbeitet mit opakem und pastosem Farbauftrag. Diese Primamalerei lässt deutlich reliefartige Strukturen und den Duktus erkennen, welcher darauf schließen lässt, mit welcher Geschwindigkeit und in welcher Richtung die Farbe aufgetragen wurde. Hieraus lässt sich ebenso ein Rückschluss auf das Temperament des Künstlers ziehen.
Der Prozess des Auftragens erfolgt in einer gestischen Malweise, welche die Pinselspuren betont und wird dadurch unüberlesbar. In nahezu ekstatischem Malfanatismus baut sich das Gemälde wie von selbst auf, ein Drama tobt auf der Leinwand, in dem die kommataartig aufgetragenen Farben teils ungebrochen, teils vermischt nebeneinander stehen. Dieser spontane und ungezügelte Farbauftrag deutet auf eine fieberhafte Arbeitshaltung hin, die sich in zahlreichen Werken aus dieser Schaffensperiode widerspiegelt. Van Gogh versucht während dieser Zeit häufig die Gemälde direkt vor Ort, teilweise an einem Tag, mit unglaublicher Arbeitsgeschwindigkeit fertig zu stellen.
Die affektive Wirkung der verwendeten Lokalfarben Gelb und Blau, welche das Gesamtkolorit bestimmen, sind zum einen sonnig, freundlich und fröhlich, zum anderen aber auch wässrig und kühl. Sie widerspiegeln eine äußerst divergente seelische Disposition Van Goghs.
Durch den gewählten Kalt - Warm - Kontrast sowie Farbbereichs- aber auch Hell - Dunkel Kontrast werden die Häuser sowie die Straßenszene akzentuiert, so dass andere Bildelemente trotz ihrer zum Teil detailreichen Ausgestaltung in den Hintergrund treten. Das Bild wirkt belebt und kraftvoll. Jede Farbe zieht das Augenmerk auf sich und wirkt so Intensitäts steigernd.
2.3 Deutung und Interpretation im historischen Kontext
Zum ersten Mai des Jahres 1888 mietet Van Gogh den Ostflügel des gelben Hauses in Arles an. Zu diesem Zeitpunkt stehen als Folge der regionalen Wirtschaftskrise zahlreiche Gebäude und Wohnungen leer. Somit kann sich Van Gogh trotz seiner bescheidenen Mittel ein Atelierhaus dieses Ausmaßes für monatlich 15 Francs mieten.
Ihm gehört der rechte, gelb gestrichene Flügel des Doppelhauses mit grünen Türen und Fensterläden, innen weiß getüncht und mit einem Fußboden aus roten Ziegeln. Darin stehen ihm schließlich 4 Zimmer zur Verfügung, zwei davon als großzügige, Licht durchflutete Atelierräume mit jeweils mehr als 20 m² Wohnfläche. Die beiden kleineren Räume im Obergeschoss dienen ihm als Schlafstube und Gästezimmer. In einem späteren Brief aus dem Herbst 1888 schildert er, zwei weitere frei gewordene Zimmer im Haus hinzugemietet zu haben, somit habe er das Haus nun ganz.3
Im linken Teil des Doppelhauses befindet sich das Geschäft des Lebensmittelhändlers Crevoulin. Als barähnliche Lokalität dient es Van Gogh neben dem rosa Restaurant im Bildmittelgrund nicht selten zur Einnahme seines Mittagessens.
Finanziert wird der vorerst sehr arme Künstler von seinem Bruder Theo, doch das Geld reicht zunächst nicht für das allernötigste Mobiliar. Van Goghs Einrichtung besteht anfangs lediglich aus einem Tisch und zwei Stühlen. In Ermangelung eines Bettes muss er daher bis Mitte September trotz eigenem Wohnsitz in verschiedenen Hotels der Stadt nächtigen. Im September befreit ihn das Erbe seines Onkels von der größten Not. Der Nachlass des reichen Kunsthändlers ermöglicht ihm den Kauf einer Grundausstattung. Zum Zeitpunkt seines Einzuges im Mai 1888 befindet sich das Haus offensichtlich in einem verwahrlosten Zustand. Trotz seiner temporären Mittellosigkeit erwirkt Van Gogh jedoch bei seinem Hauswirt eine umfassende Renovierung. Im Zuge dieser Arbeiten wird der „buttergelbe“ Außenanstrich des Hauses erneuert, ebenso die Lackierung der Fensterläden und Rahmen in hartem Grün aufgefrischt.4 Im Inneren tüncht man sämtliche Räume weiß, was die Wirkung des ziegelroten Fußbodens noch erhöht.
[...]
1 Der Kürze halber sowie zwecks Übersichtlichkeit des Textbildes werden in diesem Aufsatz entweder nur die männliche, nur die weibliche oder beide Formen nacheinander verwendet. Die gewählte Form enthält somit keinerlei geschlechtsdifferenzierende Aussagen. Andernfalls wird an entsprechender Stelle gesondert darauf hingewiesen.
2 Vgl. Abb. IX.
3 Dorn, Roland. Décoration. 1990, S. 39.
4 Vgl. Dorn, Roland. Décoration. 1990, S.39.
- Citation du texte
- Frank Kretschmann (Auteur), 2004, Vincent van Gogh, Das gelbe Haus - Praktisch-Methodische Prüfung in Acrylmalerei, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27542
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