In der vorliegenden Hausarbeit soll eine Filmlektüre von R. W. Fassbinders „Angst essen Seele auf“ (1973) unter Einbettung von Raymond Bellours Theorie zur Filmanalyse (aus den Jahren 1975 und 1985) erfolgen.
Hierzu wird zunächst eine kurze Darstellung der Kernthesen aus Raymond Bellours „Die Filmanalyse in Flammen“ (1975) und „Der unauffindbare Text“ (1985) vorgenommen.
Im Wesentlichen wird sich die Verfasserin auf die zentrale These Bellours von der Vieldeutigkeit des Films, resultierend aus der Unmöglichkeit der Zuordnung eines eindeutigen Verhältnisses von Signifikat und Signifikant, beziehen, da diese These der Filmsemiotik von einer individuellen Bedeutungsproduktion im Rezeptionsakt besonders für die Legitimation einer Pluralität der Deutungsansätze spricht, wie sie Raymond Bellour, Thierry Kuntzel und andere programmatisch gefordert haben.
In diesem Spiel mit der Vieldeutigkeit des Filmbildzeichens zugunsten einer veränderten Wahrnehmung, die formal filmsprachliche Muster durchbrechen und inhaltlich Tabus artikulieren will, haben Rainer Werner Fassbinders Werke des neuen deutschen Autorenfilms ihren festen Platz behauptet.
Während der Analyse werden unter anderem folgende Fragen relevant: Wo ist der Bruch mit konventioneller Wahrnehmung und Wahrnehmungsmustern in „Angst essen Seele auf“ festzustellen und wie werden diese Konventionsbrüche reflektiert, beziehungsweise filmisch umgesetzt?
Statt einer konventionellen Filmanalyse mit dem ganzheitlichen Anspruch den gesamten Film, möglichst rein werkimmanent, oder filmpsychologisch erfassen zu wollen, vertritt die Richtung Bellours eine freiere Theorie der Filmlektüre, die Raum für eigene Assoziationen und experimentierfreudige Filmkritik bieten will. Nicht der Film als Ganzes, sondern das scheinbar randständige Detail einer Szene kann zum Dreh- und Angelpunkt der gesamten Filmlektüre werden. Im Zeichen dieses Ansatzes soll sich der nun folgende Versuch einer Anwendung von Bellours Theorie auf Fassbinders Film bewegen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Darstellung der Theorie Raymond Bellours
3 Filmlektüre von R.W. Fassbinders „Angst essen Seele auf“ unter Einbettung zentraler Thesen Raymond Bellours
3.1 Unkonventionelle Wahrnehmung und Kameraführung in „Angst essen Seele auf“
3.2 R.W. Fassbinders Technik der Leerstelle
3.3 Zur Inkongruenz von Zeichen und Bezeichnetem
3.4 Das theatralische Filmbild
3.5 Die „Geste des Anhaltens“ und ihre Folgen
4 Abschließender Kommentar
5 Bibliographie
Einleitung
In der vorliegenden Hausarbeit soll eine Filmlektüre von R. W. Fassbinders „Angst essen Seele auf“ (1973) unter Einbettung von Raymond Bellours Theorie zur Filmanalyse (aus den Jahren 1975 und 1985) erfolgen.
Hierzu wird zunächst eine kurze Darstellung der Kernthesen aus Raymond Bellours „Die Filmanalyse in Flammen“ (1975) und „Der unauffindbare Text“ (1985) vorgenommen.
Im Wesentlichen wird sich die Verfasserin auf die zentrale These Bellours von der Vieldeutigkeit des Films, resultierend aus der Unmöglichkeit der Zuordnung eines eindeutigen Verhältnisses von Signifikat und Signifikant, beziehen, da diese These der Filmsemiotik von einer individuellen Bedeutungsproduktion im Rezeptionsakt besonders für die Legitimation einer Pluralität der Deutungsansätze spricht, wie sie Raymond Bellour, Thierry Kuntzel und andere programmatisch gefordert haben.
In diesem Spiel mit der Vieldeutigkeit des Filmbildzeichens zugunsten einer veränderten Wahrnehmung, die formal filmsprachliche Muster durchbrechen und inhaltlich Tabus artikulieren will, haben Rainer Werner Fassbinders Werke des neuen deutschen Autorenfilms[1] ihren festen Platz behauptet.
Während der Analyse werden unter anderem folgende Fragen relevant: Wo ist der Bruch mit konventioneller Wahrnehmung und Wahrnehmungsmustern in „Angst essen Seele auf“ festzustellen und wie werden diese Konventionsbrüche reflektiert, beziehungsweise filmisch umgesetzt?
Statt einer konventionellen Filmanalyse mit dem ganzheitlichen Anspruch den gesamten Film, möglichst rein werkimmanent, oder filmpsychologisch erfassen zu wollen, vertritt die Richtung Bellours eine freiere Theorie der Filmlektüre, die Raum für eigene Assoziationen und experimentierfreudige Filmkritik bieten will. Nicht der Film als Ganzes, sondern das scheinbar randständige Detail einer Szene kann zum Dreh- und Angelpunkt der gesamten Filmlektüre werden. Im Zeichen dieses Ansatzes soll sich der nun folgende Versuch einer Anwendung von Bellours Theorie auf Fassbinders Film bewegen.
2 Darstellung der Theorie Raymond Bellours
Zunächst einige Betrachtungen zu „Die Analyse in Flammen“[2]. Bereits die Formulierung des Titels nimmt Bezug auf den Film „Time smoking a Picture“ aus dem Jahr 1980 von Thierry Kuntzel. Bellour ist der Meinung, dass Kuntzel als Regisseur, der ebenso unkonventionelle Filmanalysen[3] schreibt, in diesem „reflexiven und fiktionalen“ Video die Filmanalyse in Flammen hat aufgehen lassen. Allein aus dem Titel ist abzuleiten, dass sich dieser Film dem Instrumentarium konventioneller Filmanalyse entzieht, die sich somit ,in Rauch auflöst.`
Im ersten Abschnitt des Textes wird das Motto Bellours „In Wirklichkeit dürfte es keine Filmanalysen mehr geben“ etabliert. Bellour fasst den status quo der Filmanalyse der achtziger Jahre zusammen als „eine Kunst ohne Zukunft“.[4]
Die Filmanalyse zeichne sich aus, durch eine Art Selbstgenügsamkeit, wodurch sie sich zur eigenen Theoriegattung etabliert habe. Diese Theoriegattung legitimiere sich aus der ,trügerischen Fülle des Analyseaktes selbst’.[5] Kinematographische Signifikanten des Films, die materiale Besonderheit und die Selbstgenügsamkeit seien Quellen der Analyse.
Die Selbstgenügsamkeit ist meiner Ansicht nach so zu verstehen, dass die Filmanalyse keine Referenz auf andere Medien oder Methoden aufweist. Sie leitet ihre Erkenntnisse größtenteils aus sich selbst und aus dem Gegenstand ihrer Untersuchung, den Filmen ab.
Ein neues Interesse am Film und an allgemeiner Theorieentwicklung sieht Bellour als Antrieb der Filmanalyse, wodurch man den „Körper des Textes“ berührt habe. Als Beispiel darf man hier an das europäische Autorenkino der 60`er Jahre denken: Das Drehbuch erreicht das Niveau eines literarischen Textes. Es entstehen zahlreiche Literaturverfilmungen (z.B. Schlöndorff, Fassbinder, französisches Autorenkino), die Reflektion von Theorie und die Thematisierung des Films als Medium und seiner Mittel geschieht nun im Film selbst.
Dass ein Film, sei er auch völlig nonverbal, wie ein Text lesbar ist, klingt in „Die Analyse in Flammen“ zwar an, stellt aber ursprünglich die zentrale These Bellours in „Der unauffindbare Text“ dar. Dem Film liegen allerdings mehrere Zeichensysteme zugrunde, als dem Buch beziehungsweise dem geschriebenen Text.[6] Der Film besitzt demzufolge einen komplexen Textkörper, der aus Bild, Ton und Text besteht, also nicht so leicht zu entziffern ist, wie Buchstaben, die man zu sinnvollen Worten zusammensetzt.
„Christian Metz (1973) hat gezeigt, wie sich fünf Ausdrucksmaterien in Film verbinden, sobald er zu sprechen beginnt: der phonetische Laut, die schriftlichen Angaben, der musikalische Ton, die Geräusche, das photographische, bewegte Bild.“[7]
Daher ist der Filmtext schwer greifbar:
„Der Filmtext ist ein unauffindbarer Text, denn er ist nicht zitierbar.“[8]
Linguistisch beziehungsweise zeichensemiotisch betrachtet, kann man sagen, dass Zeichen und Bezeichnetes im Film selten unmittelbar in Beziehung zu setzen und eindeutig sind, was Bellour mit der „Vieldeutigkeit des Textkörpers“[9] umschreibt. Diese Mehrdeutigkeit und Offenheit resultiert nach Bellour auch daraus, dass sich die „bildlich-analoge“ Materie der Sprache entzieht. Ein Zeichen kann demnach auf viele Referenzbereiche des Bezeichneten verweisen. Umso komplexer wird die Zuordnung von Zeichen und Bezeichnetem, wenn es, wie beim Film, um mehrere Arten der Kodierung geht, da mit verschiedensten Zeichen operiert wird. Ein Beispiel für den Widerspruch von Zeichen und Bezeichnetem wird bei der Analyse von Fassbinders Film noch gegeben.
Die Genitivmetapher „Körper des Textes“ ergänzt Bellour, indem er sagt, der Körper sei verführerisch. Es sei weder möglich ihn zu zitieren, noch ihn zu umfassen. Damit gibt er eine sehr bildhafte Beschreibung des Phänomens, mit der zum Ausdruck gebracht werden will, dass ein fundamentaler Unterschied zum Buch besteht, welches jederzeit zitierbar ist und nicht über die „Flüchtigkeit“ des Films verfügt.
„Die Filmanalyse hört nicht auf einen Film aufzufüllen, welcher immerzu
entflieht: Sie ist wahrhaftig ein Faß ohne Boden. Deswegen ist der Filmtext ein
unauffindbarer Text; und er ist es zweifellos um diesen Preis.“[10]
[...]
[1] Formulierung aus Gronemeyer, Andrea : Schnellkurs Film. Köln: Dumont, 1998, S. 140.
[2] Bellour, Raymond (1985): Die Filmanalyse in Flammen (Ist die Filmanalyse am Ende?), in Montage AV, 1/1999, S. 18-23.
[3] Siehe Thierry Kuntzels psychologisch, symbolisch und motivisch orientierte Filmanalyse zu „The Most Dangerous Game“ In: Montage AV, 1/99, S. 24-82. Auch hier wird nicht der ganze Film, sondern einige wiederholte Motive werden von Kuntzel eingehend untersucht. Außer im werkimmanenten Sinn ordnet Kuntzel die Themen in einen übergeordneten, außerhalb liegenden Kontext und verzichtet darauf eindeutige Antworten und Beobachtungen zu liefern, was einer vieldeutigen Filmanalyse nach Bellours Vorstellungen entspricht.
[4] Bellour : Die Analyse in Flammen. (1985), S. 18.
[5] Vgl. Ders., S. 18.
[6] Vgl. Bellour, Raymond (1975): Der unauffindbare Text. In: Montage AV, 1/ 1999, S. 8.
[7] Ders., S. 13.
[8] Ders., S. 9.
[9] Bellour: Die Filmanalyse in Flammen (1985) , S. 18.
[10] Bellour: Der unauffindbare Text (1975), S. 16.
- Citation du texte
- Magistra artium Yvonne Rudolph (Auteur), 2003, Raymond Bellours Theorie zur Filmanalyse angewandt auf Rainer Werner Fassbinders "Angst essen Seele auf", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27427
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