Die explorativ angelegte Arbeit betrachtet das Konzept parasozialer Beziehungen und wendet es auf Star-Avatare - also virtuellen Starfiguren - an. Im Zuge der theoretischen Erörterung werden Star-Avatare als komplexes Phänomen beschrieben, dass sich deutlich von anderen Medienfiguren unterscheidet.
Daneben erfolgt eine kritische Auseinandersetzung und Strukturierung des Konzepts parasozialer Beziehungen.
Grundlage für eine (explorative) Überprüfung der abgeleiteten Hypothesen und Fragestellungen ist eine nicht-repräsentative Online-Stichprobe mit 422
Fällen.
Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass parasoziale Beziehungen zu Star-Avataren generell recht schwach ausgeprägt sind. In diesem Sinne ähneln die
über verschiedene Medien hinweg vom Rezipienten wahrgenommenen öffentlichen Figuren eher ′Cyber-Starlets′, also Prominenten aus der zweiten Reihe,
als wirklichen Stars. Auf Basis einer Faktorenanalyse können die gefundenen parasozialen Beziehungen als ein zweidimensionales Phänomen beschrieben
werden. Die parasozialen Beziehungen sind dabei auf einer medialen Beziehungsdimension deutlicher ausgeprägt als auf einer quasi-realen Dimension. Zur
Erklärung der medialen Beziehungsform sollte besonders der Attraktivität und der Realitätsbewertung des Star-Avatars Beachtung geschenkt werden.
Im Rahmen dieser Erkenntnis wurde ein heuristisches Modell entworfen, das die Entstehung und Entwicklung parasozialer Beziehungen zu Star-Avataren
auf empirischer Basis zu erklären versucht.
Inhaltsverzeichnis
Kapitel Kapitelüberschrift
1 Einleitung und Problemstellung
2 Was sind Avatare?
3 Theoretischer Hintergrund und Forschungsgegenstand
3.1 Das Konzept der parasozialen Interaktion
3.2 Abgrenzung parasozialer Beziehungen von parasozialen Interaktionen
3.3 Verständnis parasozialer Beziehungen im Rahmen dieser Arbeit
3.4 Das vorherrschende Verständnis von parasozialen Beziehungen in der empirischen Forschung am Beispiel der Parasocial-Interaction-Scale
3.5 Ausgewählte Erklärungszusammenhänge zur Entstehung parasozialer Beziehungen: das Standardset
3.6 Hypothesen und Forschungsfragen über parasoziale Beziehungen zu Star-Avataren in ausgewählten Erklärungszusammenhängen
4 Untersuchungsmethode
4.1 Online-Befragung als Untersuchungsmethode
4.2 Aufbau des Fragebogens, Operationalisierung und Erläuterung der Erhebungsinstrumente
4.3 Durchführung
5 Ergebnisse
5.1 Spezifizierung der Stichprobe
5.2 Beschreibung der Stichprobe anhand soziodemografischer und auf die Internetnutzung bezogener Merkmale
5.3 Interaktionsgeschichte, parasoziale Beziehung und Beziehungsqualitäten
5.4 Überprüfung der Hypothesen und Forschungsfragen über parasoziale Beziehungen zu Star-Avataren
6 Interpretation und Diskussion
6.1 Cyber-Starlets
6.2 Parasoziale Beziehungen zu Star-Avataren differenziert betrachtet
6.3 Fazit und Ausblick
7 Literaturverzeichnis
8 Abbildungsverzeichnis
9 Tabellenverzeichnis
10 Abkürzungen und Zeichen
11 Glossar
Anhang
1 Einleitung und Problemstellung
„Du beeindruckst mich immer mehr, ich wusste nicht, dass ein virtuelles
Wesen so viel empfinden kann. Ist ja auch verständlich, denn für
mich bist Du inzwischen schon viel mehr, *hab Dich lieb*
Träume schön und sanft, das [sic!] jemand mit Dir tanzt,
only you, forever true.“
(aus einen anonymisierten Liebesbrief an den Star-Avatar E-Cyas)
Virtuelle Figuren, welche zumindest hinsichtlich ihrer äußeren Erscheinungsform rein artifiziell sind (im Folgenden spreche ich von Avataren, vgl. Kapitel 2), treten zunehmend in herkömmlichen wie auch interaktiven medialen Kontexten in Erscheinung. In der kommunikationswissenschaftlichen Forschung ist bekannt, dass das Publikum mit medial vermittelten Figuren nicht nur interagieren, sondern längerfristige Beziehungen knüpfen kann (vgl. das Konzept der parasozialen Interaktion, Kapitel 3). Die Vermutung liegt nahe, dass auch Avatare – ob in interaktiven oder nicht interaktiven Medien - eine weitere Alternative in der alltäglichen Auswahl möglicher Interaktionspartner darstellen und somit auch zu Bezugspersonen in parasozialen Beziehungen werden. „Wenn mittels der künstlichen Intelligenz synthetische Darsteller den Cyberspace bewohnen können, werden VR-Bewohner ebenso zu unserem Bekanntenkreis zählen wie wirkliche Personen.“ (Bente & Otto, 1996, S. 219). Zumindest für zukünftige, fortgeschrittenere Entwicklungen von Avataren wird also propagiert, dass sie als qualifizierte Beziehungspartner gelten werden. Zum jetzigen Zeitpunkt befinden sich Avatare aber technologisch gesehen noch am Anfang ihrer Entwicklung, z. B. was ihre interaktiven, als auch ihre von menschlicher Hilfe autonomen Fähigkeiten angeht (vgl. Kapitel 2). Um so erstaunlicher, dass eine gewisse Gruppe an Avataren (ich bezeichne diese Gruppe als Star-Avatare; vgl. Abschnitt 2.2) anscheinend schon auf dieser Entwicklungsebene als Beziehungsfigur angenommen wird, wofür nicht nur das einleitende Zitat einen plausiblen Beleg abliefert. Star-Avatare wie Lara Croft, Kyoko Date und E-Cyas haben mittlerweile eine weitreichende Bekanntheit erlangt und einen großen Fankreis aufgebaut (Meckel & Ravenstein, 1999). Obwohl Star-Avatare medienübergreifend präsentiert werden, beruht Ihre Popularität dabei anscheinend maßgeblich auf ihrer Präsenz im Internet (vgl. ebd.). Der Begriff „Star-Avatar“ vergegenwärtigt die implizite Voraussetzung seitens der Produzenten, dass ihre medial vermittelten Figuren auch in der Wahrnehmung des Publikums Starcharakter besitzen. In der Kommunikationsforschung waren Avatare bislang jedoch nicht Gegenstand empirischer Untersuchungen, so dass die Vermutung der Produzenten eher als Intuition denn als Gewissheit gedeutet werden mag. Eine frühe Erforschung der virtuellen Figuren scheint jedoch auch darüber hinaus zweckmäßig zu sein, da anzunehmen ist, dass mit verbesserten technischen Möglichkeiten, vorausschreitender Verbreitung digitaler Medien und weiterer Gewöhnung an medial vermittelte Personae Star-Avatare neben anderen medialen Figuren zunehmend Bestandteil des Medienalltags werden. Auf diese Weise bieten sie sich als besondere Bezugsperson einem breiter werdenden Publikum an, und es stellt sich die Frage, inwiefern dieses Angebot über den Aufbau parasozialer Beziehungen zu den Avataren im individuellen Beziehungsnetzwerk berücksichtigt wird. Die vorliegende Arbeit versucht auf dem Weg zur Beantwortung dieser Frage erste Pointierungen herauszuarbeiten, in dem folgende übergeordnete Forschungsfragen untersucht werden:
Können Star-Avatare schon jetzt als Interaktionsobjekt und darüber hinaus als Bezugsperson parasozialer Beziehungen angesehen werden? Wie sind diese parasozialen Beziehungen beschaffen, bzw. welche Gratifikationen werden damit verbunden? Und welche Rolle spielt das Internet im Aufbau parasozialer Beziehungen zu Star-Avataren? Diesen Fragen soll in vorliegender Arbeit nachgegangen werden. Zudem soll, sofern parasoziale Beziehungen auftreten, geklärt werden, welche grundlegenden Determinanten diese besitzen.
(Star-)Avatare sind bislang kaum Gegenstand kommunikationswissenschaftlicher Forschung gewesen. Der Forscher betritt daher zumindest was das Objekt „Avatar“ betrifft, weitest- gehend Neuland. Zur Einführung in die Thematik werden daher in Kapitel 2 zunächst der in der Literatur bislang noch recht unterschiedlich verstandene Begriff „Avatar“ präzisiert und dabei drei mögliche Verständnisformen vorgestellt, wobei insbesondere auf Star-Avatare eingegangen wird. In Kapitel 3 wird das Konzept der parasozialen Interaktion vorgestellt, wobei zunächst eine kritische Auseinandersetzung sinnvoll erscheint (Kapitel 3.1 und 3.2), um dieser Arbeit ein plausibles Verständnis parasozialer Beziehungen (in Anlehnung an Gleich, 1997; 1996) zu Grunde legen zu können (Abschnitt 3.3). Es folgt eine kurze Diskussion des Verständnisses parasozialer Beziehungen anhand der Parasocial-Interaction-Scale, welche in vielen empirischen Studien angewandt wurde (Kapitel 3.4). In Kapitel 3.5 werden darauf aufbauend ausgewählte empirische Ergebnisse präsentiert, welche unter Einbezug der theoretischen Erörterungen mit parasozialen Beziehungen zu Star-Avataren in Hypothesen und Forschungsfragen (Kapitel 3.6) münden. In Kapitel 4 wird die Methode der vorliegenden Untersuchung expliziert. In Kapitel 5 werden die Ergebnisse dargestellt und in Kapitel 6 mit Rücksicht auf den theoretischen Kontext interpretiert und diskutiert.
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