"Es sind nicht die Menschen die sich ändern. Es sind die Labels. Nicht die Zahl psychischer Erkrankungen nimmt zu, sondern die Bezeichnungen für sie" - so der US-Psychiater Allen Frances in einem Focus-Interview (2013, Nr. 18).
Jenes Zitat soll den Ausgangspunkt dieser Arbeit bilden, die sich mit der spannenden Frage beschäftigt, welche Auswirkungen die Diagnose einer "psychischen Erkrankung" auf den Diagnostizierten hat. Welche Macht hat eine solche Diagnose - macht sie den Menschen erst "krank", indem sie ihn für "krank" erklärt? Zunächst werden relevante theoretische Ansätze angerissen, um deren Position zu psychiatrischen Diagnosen herauszuarbeiten. Die Diagnose einer "psychischen Erkrankung" wird unter dem Gesichtspunkt des Labeling Approach untersucht - einer soziologischen Sichtweise, die die Entwicklungsmöglichkeiten eines Menschen durch die Etikettierung mit einer solchen Diagnose als stark eingeschränkt sieht. Anhand der sozial-konstruktivistischen Sicht wird die Diagnose als etwas, das Wirklichkeit erzeugt, vorgestellt. Daraufhin wird der Aspekt der Stigmatisierung, die zu Selbststigmatisierung führen kann, erläutert. Es folgt eine Auseinandersetzung mit personenbezogenen Sichtweisen - insbesondere der medizinischen - die eine "Störung" im Menschen verankert und somit die Diagnose als gerechtfertigte Kategorisierung für die Auswahl der "richtigen" Behandlung sieht. Kritik wird dabei am defizitorientierten Klassifikationssystem ICD-10 und einer zu starken Fixierung auf "genetisch bedingte" Ursachen einer "psychischen Erkrankung" geübt. Zuletzt wird die systemische Sichtweise auf psychiatrische Diagnosen mit einbezogen - wobei deutlich wird, dass nach diesem Ansatz nicht der Einzelne als "krank" diagnostiziert werden kann, sondern als "krank" erlebtes Verhalten immer nur innerhalb eines bestimmten Kontextes betrachtet und erklärt werden kann.
Aufbauend auf dieser theoretischen Grundlage werden folgende Hypothesen anhand zweier Interviews, mit Menschen, die als "bipolar" diagnostiziert wurden, untersucht: "Die Diagnose einer 'psychischen Erkrankung' schränkt bei dem 'Etikettierten' das Gefühl der Selbstwirksamkeit ein und hat deshalb einen negativen Einfluss auf Selbstwahrnehmung, Selbstwertgefühl und die eigene Entwicklung", "In Familien, in denen die gleiche Diagnose mehrfach auftritt, wird nicht die 'Erkrankung' sondern die Diagnose weitergegeben" und "Die Diagnose 'bipolar' macht aus einem vorübergehenden Zustand eine chronische Erkrankung."
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Theoretische Grundlagen
- Die Diagnose einer "psychischen Erkrankung" unter dem Gesichtspunkt des Labeling Approach
- Die Diagnose einer "psychischen Erkrankung" aus sozial-konstruktivistischer Sicht
- Die Folgen von Stigmatisierung und Selbststigmatisierung aufgrund der Diagnose einer "psychischen Erkrankung"
- Die Diagnose einer "psychischen Erkrankung" aus personenbezogener Sicht
- Die Diagnose einer "psychischen Erkrankung" aus systemischer Sicht
- Zusammenfassung und Ableitung der Hypothesen
- Praxisteil: Welche Auswirkungen hat die Diagnose "bipolar" auf die von ihr Betroffenen?
- Methodendarstellung und Interviewpartner
- Ergebnisdarstellung
- Umgang mit der Theorie der "genetischen Vorbelastung"
- Persönliche Bedeutung der Diagnose und Selbstbild
- Konsequenzen der Diagnose auf die berufliche Situation
- Reaktionen anderer
- Eigene Erklärungen der Probleme und ihrer Lösungsmöglichkeiten
- Interpretation der Ergebnisse
- Hypothese 1
- Hypothese 2
- Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
- Ausblick
- Literaturverzeichnis
- Eidesstattliche Erklärung
- Appendix
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Bachelorarbeit untersucht die Auswirkungen der Diagnose einer "psychischen Erkrankung" auf den Betroffenen. Der Fokus liegt auf der Frage, ob die Diagnose selbst den Menschen erst "krank" macht, indem sie ihn für "krank" erklärt. Die Arbeit basiert auf zwei Interviews mit Personen, die als "bipolar" diagnostiziert wurden.
- Der Labeling Approach und seine Bedeutung für die Entstehung und Aufrechterhaltung von "psychischen Erkrankungen" durch Etikettierung.
- Die sozial-konstruktivistische Sichtweise auf Diagnosen als Wirklichkeitskonstrukte.
- Die Folgen von Stigmatisierung und Selbststigmatisierung aufgrund der Diagnose einer "psychischen Erkrankung" für das Selbstbild und die Entwicklung.
- Die Rolle der "genetischen Vorbelastung" in der Entstehung von "psychischen Erkrankungen" und die Frage, ob die Diagnose selbst in Familien weitergegeben wird.
- Die Auswirkungen der Diagnose auf das Selbstwertgefühl, die Selbstwirksamkeit und die Lebensgestaltung der Betroffenen.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Forschungsfrage nach der Macht der Diagnose einer "psychischen Erkrankung" und skizziert den Aufbau der Arbeit. Der Theorieteil beleuchtet verschiedene Perspektiven auf psychiatrische Diagnosen, darunter der Labeling Approach, der soziale Konstruktivismus, die personenbezogene Sichtweise und die systemische Sichtweise. Aus diesen Ansätzen werden drei Hypothesen abgeleitet, die im Praxisteil anhand der Interviewergebnisse untersucht werden.
Der Praxisteil beschreibt die methodische Vorgehensweise und die Interviewpartner. Die Ergebnisse werden in fünf Kategorien dargestellt: Umgang mit der Theorie der "genetischen Vorbelastung", persönliche Bedeutung der Diagnose und Selbstbild, Konsequenzen für die berufliche Situation, Reaktionen anderer und eigene Erklärungen der Probleme und ihrer Lösungsmöglichkeiten.
Die Interpretation der Ergebnisse zeigt, dass die Diagnose "bipolar" bei beiden Interviewpartnern unterschiedliche Auswirkungen auf das Selbstbild hatte. Während der eine Interviewpartner durch die Diagnose stark in seiner Selbstwirksamkeit eingeschränkt und in seiner Entwicklung behindert wurde, erlebte die andere Interviewpartnerin die Diagnose als Entlastung und Bestätigung. Die Interpretation der Ergebnisse führt zu einer Präzisierung der Hypothesen und beleuchtet die Rolle der Selbststigmatisierung, die durch die Diagnose und gesellschaftliche Vorurteile hervorgerufen werden kann.
Die Zusammenfassung und Schlussfolgerungen fassen die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit zusammen und versuchen, die Ausgangsfrage zu beantworten. Der Ausblick thematisiert die zunehmende Zahl von Diagnosen und die Gefahr, dass durch die Etikettierung Menschen zu schnell als "psychisch krank" eingestuft werden. Es werden offene Fragen aufgeworfen und Vorschläge für einen sinnvollen Umgang mit der Diagnose einer "psychischen Erkrankung" erarbeitet.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Diagnose einer "psychischen Erkrankung", den Labeling Approach, den sozialen Konstruktivismus, Stigmatisierung, Selbststigmatisierung, Selbstwertgefühl, Selbstwirksamkeit, "genetische Vorbelastung", "bipolare Störung", Burnout, Therapie, Medikamentengabe, und die Auswirkungen der Diagnose auf die Lebensgestaltung der Betroffenen.
- Citar trabajo
- Charlotte Fritsch (Autor), 2013, Die Macht der Diagnose. Macht die Diagnose einer "psychischen Erkrankung" den von ihr Betroffenen erst krank?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/273037
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